Tagi neu mit Ton
Aber wenn der Inhalt gleich bleibt …
Tamedia versucht’s mit einer neuen Dienstleistung für seine Leser. Die können jetzt auch zu Hörern werden. Denn jedem Artikel ist ein Audioschnipsel vorgeschaltet. Wie meist beim Tagi ist’s eine halbe Mogelpackung. «Hören Sie diesen Artikel», verspricht sie, dabei sind es jeweils nur Teile des Artikels, die von einem Chatbot vorlesen werden. Kommen englische Ausdrücke vor, bekommt der Roboter plötzlich einen englischen Akzent. Mehr Unterhaltsprogramm also.
Bei Silke Bigalkes «Leitartikel» im Tagi ist es sogar nur die Einleitung, danach sollte man sich einloggen; also auch noch dafür zahlen, dass das Qualitätsmedienhaus aus Zürich mal wieder die Meinung der Moskau-Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung» mietet und übernimmt.
«Im Lande Putin» lautet der Originaltitel, der war dem Tagi offenbar nicht knackig genug:
Man könnte diesen «Leitartikel» schnell abhandeln, indem man einfach darauf hinweist, womit er sich die Seite teilt:
Offenbar hat der/die/das Kim seinen Schreibstau überwunden. Auch das noch.
Aber widmen wir uns nicht seinem Gestammel, sondern demjenigen obendrüber. «Der grössere Teil der Bevölkerung steht nicht mehr hinter dem Präsidenten», weiss Bigalke. Das ist eine steile These. Sie ist ungefähr so realistisch wie die Behauptung, eine Wahlbeteiligung von 46,6 Prozent in der Schweiz bedeute, dass mehr als die Hälfte der Stimmbürger «nicht begeistert hinter der Schweizer Demokratie» stünde, «sondern sie läuft eher passiv mit». Nur schrieb Bigalke natürlich Putin statt Schweizer Demokratie.
Aber Bigalke blickt noch tiefer in die Seele Russlands: «Auch russische Wähler gehen eher nicht wählen, wenn sie wissen, dass ihre Stimmen ohnehin nichts wert sind – und nie waren sie wertloser als jetzt.»
«Auch»? So wie die Schweizer Wähler? Sie beweist damit, dass eine Berufsgattung unkaputtbar ist: die des Kremlastrologen. Nur hat sich dessen Fokus verschoben. Früher konzentrierte er sich auf das Deuten der hermetisch abgeriegelten Prozesse innerhalb des Entscheidungszirkels der KPdSU und schloss beispielsweise aus leichten Umstellungen auf der Tribüne beim Abnehmen der Parade zum Ersten Mai auf Machtverschiebungen innerhalb des Politbüros. Krachte es dort dann tatsächlich mal, waren die Astrologen regelmässig überrascht, denn das hatte ihnen die Glaskugel nicht gezeigt.
Nun stellt Bigalke wilde Vermutungen auf. Wie die, dass «der grösste Teil» der Bevölkerung aus passiven Mitläufern bestehe. Das ist allerdings ein Phänomen, das weltumspannend nicht unbekannt ist. Und woran sie das bei Russland festmacht; irgend ein Indiz, der Hauch eines Arguments, das fehlt völlig.
Aber dieses wackelige Konstrukt ist nur das Sprungbrett für einen Abflug in die Zukunft. «Die Militarisierung der Gesellschaft wird zunehmen, die nationalistische Erziehung umfassender werden.» Prognosen haben den grossen Vorteil, dass sie zwangsweise aus reinen Vermutungen bestehen. Von denen hat Bigalke jede Menge zu bieten: «Die Opposition wird völlig verschwinden. Gelegenheiten für Andersdenkende, sich gefahrlos öffentlich zu zeigen, werden seltener werden.»
Solche Wahrsagereien haben noch einen zweiten Vorteil. Schon morgen wird sich niemand mehr daran erinnern. Auch nicht an den dunklen Schluss dieses Leitartikels: «Die Frage ist, wann es nicht mehr reicht, einfach nicht dagegen zu sein.» Hä?
Was will uns die Russland-Kennerin damit sagen? Die Mehrheit der Russen sei nicht für Putin, sondern einfach nicht gegen ihn, bestehe aus Mitläufern. Aber irgendwann reiche das nicht mehr? Wieso, wofür, warum?
Wenn der Tagi schon meinungslos Gequatsche von der SZ übernimmt, könnte er doch wenigstens für teures Geld seiner Leser dafür sorgen, dass der einen Leitartikel auch versteht. Aber das ist offenbar zu viel verlangt, heutzutage.
Was die Medien heute grossmehrheitlich schreiben ist reiner Voodoo-Journalismus. Was das ist? Nun, Voodoo-Journalismus bedeutet, dass der Journi schreibt wie er die Welt gerne hätte und nicht, wie sie tatsächlich ist.
>»Wenn der Tagi schon meinungslos Gequatsche von der SZ übernimmt, könnte er doch wenigstens für teures Geld seiner Leser dafür sorgen, dass der einen Leitartikel auch versteht»
Ich finde den Artikel leicht verständlich: Neuspeech des DeepStates unserer Freunde USA war der Anlass für Bigalkes Ergüsse.
Jetzt mal ermsthaft: Der/der/dieses Kim geht es gar nicht gut. Ich glaube mit Schreibstau geht es der Person besser. Da hat es gar nicht gut getan, Preise zu verleihen und ich glaube, es ist schädlich und grob fahrlässig, da noch Plattform einzuräumen.
Sollten wir nicht langsam die Polizei einschalten, um eine Fürsorgliche Unterbringung zu arrangieren? Ist anderes nicht inzwischen „Unterlassene Hilfeleistung“!?
Artikel: «könnte er doch wenigstens für teures Geld seiner Leser dafür sorgen, dass der einen Leitartikel auch versteht». Wie denn? Der TA hat seine Auslandskompetenz mehrheitlich aufgegeben, zu teuer, zu anspruchsvoll, Münger ist nur noch Schatten an der Werdstrasse, die Musik spielt in München. Dort wird bestimmt was die TA LeserInnen über das Ausland wissen müssen.
Danke, Herr Brunner, für diese wichtige und bislang fehlende Ergänzung zu dem, was Herr Zeyer unermüdlich sagt.