Wumms: Raphaela Birrer
Als hätten wir’s geahnt: Sie macht wieder den Leitartikel zum Leidartikel.
Tiefes Nachdenken über ein längst beschriebenes Phänomen könnte sich lohnen. Könnte. Aber schon der Lead lässt Schlimmes ahnen:
«Seit Präsident Pfisters Rücktritt bricht in der Partei etwas auseinander. Was ist da los? Und warum will niemand Bundesrat werden?»
«Etwas bricht auseinander»? Ja was denn? «Was ist da los?» Genau, auf diesem Niveau möchte man geistreich unterhalten werden. Aber sagen wir mal so: immerhin ist der Leitartikel nicht von Andreas Tobler. Das ist aber auch schon der einzige Trost.
Schon den Einstieg muss man überwinden wollen: «Es ist gerade die spannendste Serie der Schweiz. Sie läuft nicht auf SRF oder bei Netflix. Sondern unter der Bundeshauskuppel.»
Hallo, ich habe eine Metapher gefunden, als reite ich sie zu Tode: «Die Serie spielt in der Mitte-Partei … Der Plot ist rasant … Augenblicklich und unaufhaltsam.»
Dann auch hier der klare Durchblick: «Klar: Bundesratswahlen sind Zeiten der Intrigen und Gerüchte. Alte Rechnungen werden beglichen.» Also nichts Neues unter der Bundeshauskuppel, würde Birrer vielleicht formulieren. Stattdessen stellt sie eine rhetorische Frage: «Was also tritt hier derart eruptiv an die Oberfläche?» Magma, Lava?
Nein, es geht hier um das hohe C. Beziehungsweise um die Fusion mit der BDP: «In der Urabstimmung sprachen sich zwar 60 Prozent der CVP-Basis für den Namenswechsel aus. Aber eben auch 40 Prozent dagegen. 40 Prozent, die Pfister mit dem identitätsverändernden Projekt nachhaltig verstört haben dürfte.»
Das ist sehr wahr, muss aber immer wieder gesagt sein. Wenn 60 Prozent dafür sind, dann sind, Moment, wir rechnen, 40 Prozent dagegen. Heureka.
Und was schliesst Politik-Analystin Birrer daraus? «Doch es scheint plausibel, dass der nun aufbrechende Konflikt auch eine Spätfolge dieser tiefgreifenden Reformen ist.» Sie will sich aber nicht zu sehr auf die Äste rauslassen. «Scheint plausibel», abwattiert, schallgedämpft, kann sein, muss nicht sein.
Nun versucht sie sich mit einer kleinen Bilderflut, dass es dem Leser die Fussnägel hochrollt: «Wenn keiner mehr den Deckel draufhält, droht sie sich im Flügel- und Konkurrenzkampf zu zerreiben.»
Dazu käme noch die Absage von Kandidaten; der Stress im Bundesrat sei halt schon gross, findet Birrer. Ausserdem fände ja auch Viola Amherd «besorgniserregend, wie das Klima verroht». Dabei war besorgniserregend, wie sie im Amt versagte.
Nun noch ein wenig Slalom zum Schluss: «Auch sie war persönlichen Verunglimpfungen ausgesetzt. Das muss zu denken geben. Trotzdem bleibt das höchste politische Amt ein Privileg.» Was soll daran zu denken geben, dass Versager im Amt wie Berset oder Amherd auch persönlichen Angriffen ausgesetzt sind? Wie heisst es doch: wer die Hitze nicht verträgt, soll die Küche verlassen.
Schliesslich Schussfahrt ins Ziel. Auf diese Ratschläge muss die sich im Flügelkampf unter dem geöffneten Deckel zerreibende Partei hören:
«Darum muss sich die Mitte-Partei jetzt rasch zusammenraufen: Sie muss erstens überzeugende Kandidaturen bringen. Und zweitens der Bevölkerung statt interner Konflikte Visionen für die Landesregierung präsentieren. Noch-Präsident Gerhard Pfister braucht einen Notfallplan.»
Wichtiger Bestandteil dieses Notfallplans sollte allerdings sein: ja nicht auf Birrer hören. Oder soll es ihm wie dem Tagi gehen, mit Leser-und Auflagenschwund?