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Wumms: Raphaela Birrer

Als hätten wir’s geahnt: Sie macht wieder den Leitartikel zum Leidartikel.

Tiefes Nachdenken über ein längst beschriebenes Phänomen könnte sich lohnen. Könnte. Aber schon der Lead lässt Schlimmes ahnen:

«Seit Präsident Pfisters Rücktritt bricht in der Partei etwas auseinander. Was ist da los? Und warum will niemand Bundesrat werden?»

«Etwas bricht auseinander»? Ja was denn? «Was ist da los?» Genau, auf diesem Niveau möchte man geistreich unterhalten werden. Aber sagen wir mal so: immerhin ist der Leitartikel nicht von Andreas Tobler. Das ist aber auch schon der einzige Trost.

Schon den Einstieg muss man überwinden wollen: «Es ist gerade die spannendste Serie der Schweiz. Sie läuft nicht auf SRF oder bei Netflix. Sondern unter der Bundeshauskuppel.»

Hallo, ich habe eine Metapher gefunden, als reite ich sie zu Tode: «Die Serie spielt in der Mitte-Partei … Der Plot ist rasant … Augenblicklich und unaufhaltsam

Dann auch hier der klare Durchblick: «Klar: Bundesratswahlen sind Zeiten der Intrigen und Gerüchte. Alte Rechnungen werden beglichen.» Also nichts Neues unter der Bundeshauskuppel, würde Birrer vielleicht formulieren. Stattdessen stellt sie eine rhetorische Frage: «Was also tritt hier derart eruptiv an die Oberfläche?» Magma, Lava?

Nein, es geht hier um das hohe C. Beziehungsweise um die Fusion mit der BDP: «In der Urabstimmung sprachen sich zwar 60 Prozent der CVP-Basis für den Namenswechsel aus. Aber eben auch 40 Prozent dagegen. 40 Prozent, die Pfister mit dem identitätsverändernden Projekt nachhaltig verstört haben dürfte

Das ist sehr wahr, muss aber immer wieder gesagt sein. Wenn 60 Prozent dafür sind, dann sind, Moment, wir rechnen, 40 Prozent dagegen. Heureka.

Und was schliesst Politik-Analystin Birrer daraus? «Doch es scheint plausibel, dass der nun aufbrechende Konflikt auch eine Spätfolge dieser tiefgreifenden Reformen ist.» Sie will sich aber nicht zu sehr auf die Äste rauslassen. «Scheint plausibel», abwattiert, schallgedämpft, kann sein, muss nicht sein.

Nun versucht sie sich mit einer kleinen Bilderflut, dass es dem Leser die Fussnägel hochrollt: «Wenn keiner mehr den Deckel draufhält, droht sie sich im Flügel- und Konkurrenzkampf zu zerreiben

Dazu käme noch die Absage von Kandidaten; der Stress im Bundesrat sei halt schon gross, findet Birrer. Ausserdem fände ja auch Viola Amherd «besorgniserregend, wie das Klima verroht». Dabei war besorgniserregend, wie sie im Amt versagte.

Nun noch ein wenig Slalom zum Schluss: «Auch sie war persönlichen Verunglimpfungen ausgesetzt. Das muss zu denken geben. Trotzdem bleibt das höchste politische Amt ein Privileg.» Was soll daran zu denken geben, dass Versager im Amt wie Berset oder Amherd auch persönlichen Angriffen ausgesetzt sind? Wie heisst es doch: wer die Hitze nicht verträgt, soll die Küche verlassen.

Schliesslich Schussfahrt ins Ziel. Auf diese Ratschläge muss die sich im Flügelkampf unter dem geöffneten Deckel zerreibende Partei hören:

«Darum muss sich die Mitte-Partei jetzt rasch zusammenraufen: Sie muss erstens überzeugende Kandidaturen bringen. Und zweitens der Bevölkerung statt interner Konflikte Visionen für die Landesregierung präsentieren. Noch-Präsident Gerhard Pfister braucht einen Notfallplan.»

Wichtiger Bestandteil dieses Notfallplans sollte allerdings sein: ja nicht auf Birrer hören. Oder soll es ihm wie dem Tagi gehen, mit Leser-und Auflagenschwund?

Wumms: Tomas Avenarius

Es gibt doch noch intellektuelle Lebenszeichen aus der SZ.

Tomas Avenarius hat sich schon mehrfach als Klugscheisser hervorgetan. Bereits 2023 sah er das Ende Putins nahen. Auch für den Gazastreifen hatte er eine duale Lösung:

«Wer die Hamas zerschlagen will, muss entweder den Gazastreifen mit Bomben endgültig unbewohnbar machen oder eine politische Lösung des Palästinenserproblems finden

Gut, das war dann alles nix, aber ZACKBUM ist begeistert, mitteilen zu können, dass Avenarius tatsächlich dazugelernt hat. Nun titelt Tamedia, das mal wieder seine Meinung in Form eines Leitartikels von den Kollegen aus München übernimmt:

Das ist schon mal interessant und wird die verbliebenen «Israelis sind die Guten, wer sie kritisiert, ist Antisemit»-Kreischen zu lautem Getöse animieren.

Aber Avenarius geht diesen Weg unbeirrt weiter, was ihm garantiert da Etikett Judenfeind ankleben wird. Denn seine Schlussfolgerung ist so bitter wie wie realistisch:

«Es gilt nur noch das Recht des Stärkeren. Diplomatische Phrasen und Moralappelle bewirken überhaupt nichts mehr. Knallharter, unparteiischer Druck auf Israelis, Palästinenser und Iraner – das ist das Einzige, was vielleicht noch Aussicht auf Erfolg hätte

Allerdings bleibt er einem kleinen Denkfehler treu. Knallharten Druck auf Israel wird es nicht geben. Der israelische Ministerpräsident Netanyahu hat schon zur Genüge gezeigt, dass er auf Ratschläge oder gar Druckversuche der USA pfeift. Nicht zuletzt möchte er so lange wie möglich dem Knast entgehen.

Und gerade im Wahlkampf um die Präsidentschaft wird es kein Kandidat wagen, es sich mit der mächtigen Israel-Lobby in den USA zu verscherzen. Und die regierende Lame Duck wir auch nichts tun, was auf die Kandidatur seiner Vizepräsidentin negative Auswirkungen haben könnte.

Bis hierher als ein eingeschränktes Bravo für Avenarius. Vielleicht hätte man, aber man will ja nicht zu viel aufs Mal, von ihm noch erwarten können, dass er ein paar klare Worte zu den israelischen Terrorangriffen im Libanon sagt. Aber wahrscheinlich traut er sich nicht, weil dann auch die SZ (und Tamedia) den heiligen Zorn aller Fans von israelischen Kriegsverbrechen entzünden würde.

Und bevor auf ZACKBUM der Kommentarschreiber wieder im roten Bereich dreht: Angriffe auf Flüchtlingslager und Beiruter Wohngebiete, bei denen Zivilisten ums Leben kommen, sind schlichtweg Kriegsverbrechen. Wer’s nicht glaubt, lese halt mal die Definition nach. Und wer behauptet, die seien halt alle selber schuld, weil sich unter ihnen Terroristen eingenistet haben, der kann gerne erklären, wie er mutig diesen fundamentalistischen Wahnsinnigen entgegentreten würde.

Israel behauptet inzwischen, Belege dafür zu haben, dass die Hetzbollah zum Jahrestag des Massakers vom 7. Oktober 2023 plante, diesmal am anderen Ende Israels ein Massaker anzurichten. Man ist auf diese Belege gespannt. Mindestens so gespannt auf eine endgültige Antwort, wie es denn dieser gnadenlos effiziente Geheimdienst, der die Hetzbollah zu Kleinholz zerlegt und offenbar besser als deren Führungsclique weiss, wo sich wer wann aufhält, wie dieser gnadenlos effiziente Geheimdienst, der Pager mit Sprengladungen versehen kann und offensichtlich alles abhört, wie dieser herausragende Geheimdienst die mehr als ein Jahr andauernden Vorbereitungen auf den 7. Oktober 2023 übersehen haben kann.

Aber eigentlich meinen die Zyniker, die Israels Wüten im Libanon verteidigen, ohne sich das eingestehen zu wollen: wer in Beirut oder so lebt, hat halt Pech gehabt. Hätte ja auch in der Schweiz geboren werden können. Oder nein, noch besser: kann doch in die Schweiz flüchten, wenn er dort Angst um sein Leben haben muss.

Im Tagi bärtschiet es überall

So viele Redaktoren ahmen die publizistische Leiter nach unten nach.

CH Media hatte auch einmal eine publizistische Leiter nach unten. Pascal Hollenstein liess sich als Sprachrohr von Jolanda Spiess-Hegglin missbrauchen, beschimpfte seine Leser als Milchkühe – und wurde von einem Tag auf den anderen entsorgt. Wanners war es zu viel geworden.

Seit der letzten Reorganisation hat Tamedia (oder «Tages-Anzeiger», man weiss nicht einmal genau, wie der Haufen aktuell heisst) einen publizistischen Leiter. Simon Bärtschi ergriff die erste grosse Möglichkeit, sich unsterblich zu blamieren, indem er das nächste grosse Rausschmeissen als «Weichenstellung für Qualitätsjournalismus» hochschwurbelte. Seither gibt es die Bärtschi-Skala, mit der Peinlichkeit gemessen wird. Seine eigene Benchmark liegt bei 10 Bärtschis.

Die ganze «Bschiss»-Sause arbeitet sich daran ab und erklimmt neue Höhen; zurzeit liegt sie bei einer 13. Die 12 erreichte sie schon, als sie den «Campaigner» Daniel Graf interviewte, der schwere staatspolitische Bedenken äusserte und über seine Konkurrenz herzog. Was der Qualitäts-Tagi zu erwähnen vergass: auch Graf ist im Geschäft des Unterschriftensammelns unterwegs.

Aber nachdem man diverse Kreisch-Artikel zum Thema brachte, den Fachmann interviewte, sogar hübsch geframt die Stellungnahme der Bundeskanzlei in die Pfanne haute, was bleibt da noch, um die Mähre weiter zu Schanden zu reiten? Natürlich, der Kommentar.

Veredelt zum «Leitartikel» stellt Thomas Knellwolf eine knallharte Forderung auf:

Schon im Lead arbeitet er mit allen Triggerwörtern: «massive Fälschungen», «Skandal», «spielen Ernst der Lage herunter», «dringend Massnahmen».

Nur hat das Getobe ein kleines Problem: es ist beweisfrei. Es ist Vermutungs- und Unterstellungsjournalismus. Der Tagi ist auch nicht aus eigenen Kräften auf diesen angeblichen Skandal gestossen. Er wurde angefüttert mit einer Strafanzeige.

Um die herum schlingt er gewagt Girlanden. Die Bundeskanzlei habe das schon lange gewusst, «aber sie schlug nicht Alarm». Immerhin wird ihr nicht mehr unterstellt, sie habe nichts getan. Dass sie sich erklärte, was soll’s. Umhüllt von tropfender Häme durfte sie mal kurz zu Wort kommen:

«Das Amtsgeheimnis, die Unschuldsvermutung, die laufenden strafrechtlichen Verfahren sowie der Schutz der Abstimmungsfreiheit gebieten es der Bundeskanzlei, die bestehenden Verdachtsfälle diskret zu behandeln.»

Zudem: «Solange die laufenden Strafuntersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann die BK (Bundeskanzlei, Red.) keine gesicherten Aussagen machen über das Ausmass mutmasslicher Unterschriftenfälschungen. Doch ihres Erachtens liegen keine belastbaren Indizien vor für die Vermutung, dass über Vorlagen abgestimmt wurde, die nicht rechtmässig zustande gekommen sind.»

Aber das ist natürlich für den Tagi nur blödes Gedöns, sonst könnte er ja nicht weiter «Skandal» rufen. Während also die Bundeskanzlei «herunterspielt», weiss Knellwolf: «Kontrolleurinnen und Kontrolleure wissen: Es fliegen nur die besonders dreisten oder dummen Fälscherinnen und Fälscher auf.»

Sich einfach an Recht und Gesetz halten, die Unschuldsvermutung gelten lassen, die Ergebnisse von Strafverfahren abwarten – ach was. Damit wäre es doch kein schön knackiger Skandal mehr. Deshalb stellt Knellwolf auch gleich noch ein paar knallharte Forderungen auf, was nun getan werden müsse. Dass sie allesamt untauglich oder illegal sind, was soll’s:

«Damit das Vertrauen in die direktdemokratischen Prozesse erhalten bleibt, müssen die Bögen von Abstimmungen, die anstehen, zumindest stichprobenweise nachkontrolliert werden – und zwar indem die Personen, die angeblich unterschrieben haben, abtelefoniert werden. Sollte es für solche Kontrollen keine rechtliche Grundlage geben, muss diese schnellstens geschaffen werden.
Zudem muss langfristig ein weniger anfälliges System installiert werden. Sicherer gemacht werden kann der bisherige Sammelprozess durch ein Unterschriftenregister bei den Gemeinden oder durch E-Collecting, also elektronisches Sammeln, zum Beispiel über das Handy. Will man das nicht, bleibt nur noch ein Verbot des kommerziellen Sammelns – was ohnehin die einfachste Lösung wäre

E-Collecting, die Lieblingsidee von Graf, mit der er seine beeindruckende Adresskartei noch wertvoller machen könnte, obwohl es hier gewichtige datenschützerische Probleme gibt.

Normalerweise, das kennt man von x Wiederholungen bei den Leaks und Papers, wird Tamedia noch ein Weilchen nachjapsen, bis dann alle Qualitätsjournalisten sich trollen (falls sie nicht vorher gefeuert wurden).

Umrahmt wird das mit einem faktenwidrigen Interview mit dem «deutschen Ökonomen Holger Schmiedin», der kühn behauptet: «Leute wie Sahra Wagenknecht liegen völlig falsch», denn der Westen, also Europa, befinde sich keineswegs im Niedergang. Das wird den deutschen Mittelstand aber freuen zu hören. Nur dürfte ihm der rechte Glaube fehlen.

Zwecks Messung an der Bärtschiskala führt ZACKBUM noch die Höchstleistung des «Magazin» an: «Fragebogen zu Liebe, Sex & Partnerschaft». So eine billige Nummer trauen sich selbst Boulevardmedien immer seltener.

Und schliesslich verdreht Daniel Schneebeli mit seinem woken Kommentar «Migranten Stipendien zahlen – und Sozialhilfe sparen» auf absurde Weise die Wirklichkeit, um Stimmung für eine Zürcher Abstimmung zu machen. Auch hier erspart der Tagi dem Leser Verwirrung durch Gegenmeinungen.

Das läppert sich alles zu einer beeindruckenden Zahl von 18 Bärtschis in einer einzigen Ausgabe.

Lieber Tages-Anzeiger, liebe Tages-Anzeigerin, da geht noch was. 20 Bärtschis ist in Reichweite. Gebt nochmal alles, bevor Eure Reihen gelichtet werden. Wobei, mit rund 100 Nasen weniger kommt ihr auch auf 20 Bärtschis. Man muss nur wollen.

 

 

 

Schlichtweg bravo

Dass wir so eine Schlagzeile auf der Front der NZZ noch erleben dürfen …

Wie sich die Zeiten doch ändern. Im Kalten Krieg schrieben in der NZZ die kältesten Krieger gegen die rote Gefahr an. Gegen Fünfte Kolonnen in der Schweiz, gegen alles, was nach Kommunismus roch. Unermüdlich warnten die NZZ-Redakteure, sahen hinter jeder roten Rose eine Verschwörung, die den Bestand der Schweiz bedrohte.

Und jetzt das.

Die NZZ überlässt den angestammten Platz von Eric Gujer dem Wirtschaftsredaktor Gerald Hosp, der verdienstvollerweise ein paar Dinge zurechtrückt.

Zunächst liefert er den heute obligatorischen Obolus ab, wenn man einen Shitstorm dauererregter Gutmenschen vermeiden möchte:

«Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist eine Tragödie. Er bringt menschliches Leid in enormem Ausmass und gewaltige Zerstörungen mit sich. Die wirtschaftliche Grundlage der Ukraine wird ausgehöhlt.
Russland ist der Aggressor, das steht fest. Der russische Staat solle auch für die Schäden zahlen, wird zu Recht gefordert

In diesem Sinne hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das «den Präsidenten dazu ermächtigt, russisches Staatsvermögen in den USA beschlagnahmen zu lassen.»

Wunderbar, endlich, da jubiliert Volkes Stimme. Recht geschieht’s dem Putin-Regime, genau, reich, Russe, das reicht schliesslich auch für Beschlagnahme von Vermögenswerten. Super, dass das in den USA nun auch endlich auf russisches Staatsvermögen angewendet wird. Da müssen dann die europäischen Marionetten, Pardon, die EU-Länder schleunigst nachziehen, und wo bleibt die Schweiz?

Aber was schreibt Hosp denn da?

«Wenn die Gelder direkt eingestrichen würden, würde dies die in den Entwicklungs- und Schwellenländern weitverbreitete Ansicht verstärken, dass sich der Westen nur um das Völkerrecht schert, wenn es ihm gerade passt. Der Vorwurf der Heuchelei und des Diebstahls wäre schnell bei der Hand, zumal die USA und die EU-Staaten nicht direkt mit Russland im Krieg sind. Eine Enteignung der russischen Gelder ist deshalb ein Fehler. Was wäre der Unterschied zum Vorgehen Russlands, ukrainische Weizenfelder zu plündern

Aber was denn, hat nicht auch der Europarat beschlossen, dass einem «Kompensationsmechanismus» konfiszierte Gelder russischer Privatpersonen, Unternehmen und des russischen Staates zur Verwertung übertragen werden sollen?

Auch da setzt Hosp ein Fragezeichen: «Gleichzeitig gilt es laut Europarat, «die Prinzipien des Völkerrechts aufrechtzuerhalten und die privaten Eigentumsrechte zu respektieren». Das ist der springende Punkt. Es ist mehr als nur zweifelhaft, dass dies erfüllt werden kann.»

Dann weist er auf etwas hin, was im Furor schnell vergessen geht:

«Laut dem Völkerrecht gilt prinzipiell Immunitätsschutz: Staaten können nicht einfach auf das Vermögen eines anderen Landes zurückgreifen, was Verlässlichkeit auf internationaler Ebene bringt.»

Und dann zieht er nochmals die feine rote Linie, wo rechtlich noch knapp Haltbares in Illegales umschlägt: «Der Westen reagierte auf die russische Invasion mit einer Blockade von Notenbankgeldern, was zwar auch ungewöhnlich war, aber diesen Vorgaben entspricht. Eine Konfiskation und Weiterverwendung würde aber bedeuten, dass die Massnahme nicht mehr umkehrbar ist, das Geld wäre weg.»

Was bedeutet nun die Entscheidung der USA? «Dadurch wird die Einsicht genährt, dass auf internationaler Bühne das Recht des Stärkeren noch mehr zunimmt als ohnehin schon.
Nun gibt es aber das Problem, dass nur rund zwei Prozent der weltweit gesperrten russischen Staatsgelder in den USA liegen. Rund 200 Milliarden liegen in der EU, «genauer gesagt: bei der zentralen Verwahrungsstelle Euroclear in Belgien».

Und hierzulande?

«Für die Schweiz sind aber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Eigentumsschutzes weder Konfiskationen wie in den USA noch die Verwertung der Erträge wie in der EU ein gangbarer und wünschenswerter Weg. »

Und dann weist die NZZ noch auf einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2021 hin: «Die USA konfiszierten nach dem chaotischen Rückzug aus Afghanistan die Währungsreserven der Zentralbank des Landes, was wenig Beachtung fand.»

Man muss diesen Kommentar so ausführlich zitieren, weil er so erfrischend ist wie eine Oase in der Wüste der alle Prinzipien eines Rechtsstaats vergessenden Krakeeler, die Konfiszieren der beschlagnahmten Gelder und ihre Verwertung für die Ukraine fordern. Ohne zu merken, dass sie damit etwas Fatales tun.

Ein Rechtsstaat kann sich mit allem Recht gegen unrechte Handlungen zur Wehr setzen. Dazu ist er legitimiert. Verwendet er aber selbst rechtsstaatlich fragwürdige Methoden – nach der Devise «der gute Zweck heiligt auch böse Mittel » – dann begibt er sich auf eine ganz schiefe Bahn, an deren Ende er sich selbst mehr schadet als demjenigen, der Unrecht tut.

Zu dieser einfachen Erkenntnis sind immer weniger Kommentatoren in der Lage.

Tagi neu mit Ton

Aber wenn der Inhalt gleich bleibt …

Tamedia versucht’s mit einer neuen Dienstleistung für seine Leser. Die können jetzt auch zu Hörern werden. Denn jedem Artikel ist ein Audioschnipsel vorgeschaltet. Wie meist beim Tagi ist’s eine halbe Mogelpackung. «Hören Sie diesen Artikel», verspricht sie, dabei sind es jeweils nur Teile des Artikels, die von einem Chatbot vorlesen werden. Kommen englische Ausdrücke vor, bekommt der Roboter plötzlich einen englischen Akzent. Mehr Unterhaltsprogramm also.

Bei Silke Bigalkes «Leitartikel» im Tagi ist es sogar nur die Einleitung, danach sollte man sich einloggen; also auch noch dafür zahlen, dass das Qualitätsmedienhaus aus Zürich mal wieder die Meinung der Moskau-Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung» mietet und übernimmt.

«Im Lande Putin» lautet der Originaltitel, der war dem Tagi offenbar nicht knackig genug:

Man könnte diesen «Leitartikel» schnell abhandeln, indem man einfach darauf hinweist, womit er sich die Seite teilt:

Offenbar hat der/die/das Kim seinen Schreibstau überwunden. Auch das noch.

Aber widmen wir uns nicht seinem Gestammel, sondern demjenigen obendrüber. «Der grössere Teil der Bevölkerung steht nicht mehr hinter dem Präsidenten», weiss Bigalke. Das ist eine steile These. Sie ist ungefähr so realistisch wie die Behauptung, eine Wahlbeteiligung von 46,6 Prozent in der Schweiz bedeute, dass mehr als die Hälfte der Stimmbürger «nicht begeistert hinter der Schweizer Demokratie» stünde, «sondern sie läuft eher passiv mit». Nur schrieb Bigalke natürlich Putin statt Schweizer Demokratie.

Aber Bigalke blickt noch tiefer in die Seele Russlands: «Auch russische Wähler gehen eher nicht wählen, wenn sie wissen, dass ihre Stimmen ohnehin nichts wert sind – und nie waren sie wertloser als jetzt.»

«Auch»? So wie die Schweizer Wähler? Sie beweist damit, dass eine Berufsgattung unkaputtbar ist: die des Kremlastrologen. Nur hat sich dessen Fokus verschoben. Früher konzentrierte er sich auf das Deuten der hermetisch abgeriegelten Prozesse innerhalb des Entscheidungszirkels der KPdSU und schloss beispielsweise aus leichten Umstellungen auf der Tribüne beim Abnehmen der Parade zum Ersten Mai auf Machtverschiebungen innerhalb des Politbüros. Krachte es dort dann tatsächlich mal, waren die Astrologen regelmässig überrascht, denn das hatte ihnen die Glaskugel nicht gezeigt.

Nun stellt Bigalke wilde Vermutungen auf. Wie die, dass «der grösste Teil» der Bevölkerung aus passiven Mitläufern bestehe. Das ist allerdings ein Phänomen, das weltumspannend nicht unbekannt ist. Und woran sie das bei Russland festmacht; irgend ein Indiz, der Hauch eines Arguments, das fehlt völlig.

Aber dieses wackelige Konstrukt ist nur das Sprungbrett für einen Abflug in die Zukunft. «Die Militarisierung der Gesellschaft wird zunehmen, die nationalistische Erziehung umfassender werden.» Prognosen haben den grossen Vorteil, dass sie zwangsweise aus reinen Vermutungen bestehen. Von  denen hat Bigalke jede Menge zu bieten: «Die Opposition wird völlig verschwinden. Gelegenheiten für Andersdenkende, sich gefahrlos öffentlich zu zeigen, werden seltener werden.»

Solche Wahrsagereien haben noch einen zweiten Vorteil. Schon morgen wird sich niemand mehr daran erinnern. Auch nicht an den dunklen Schluss dieses Leitartikels: «Die Frage ist, wann es nicht mehr reicht, einfach nicht dagegen zu sein.» Hä?

Was will uns die Russland-Kennerin damit sagen? Die Mehrheit der Russen sei nicht für Putin, sondern einfach nicht gegen ihn, bestehe aus Mitläufern. Aber irgendwann reiche das nicht mehr? Wieso, wofür, warum?

Wenn der Tagi schon meinungslos Gequatsche von der SZ übernimmt, könnte er doch wenigstens für teures Geld seiner Leser dafür sorgen, dass der einen Leitartikel auch versteht. Aber das ist offenbar zu viel verlangt, heutzutage.

Eine Lanze für Krawallanten

Der Tagi mal wieder auf Abwegen.

Bei dem Blatt darf jeder alles. Vorausgesetzt, es ist woke, links und gutmenschlich. Diesmal ist Jigme Garne dran. Der «Redaktor und Blattmacher im Ressort Zürich Politik & Wirtschaft» und ehemalige Student der ZHAW darf eine Initiative plattmachen. Zunächst: Was heisst eigentlich «er studierte Kommunikation»? Mal eine Vorlesung besucht, sich ins ZHAW verlaufen? ZACKBUM studiert gelegentlich die Menükarte, sollte daher in unserem Lebenslauf erwähnt werden «studierte Kulinarik»?

Aber zur Sache. Garne versucht’s mit der alten Masche «ja, aber», das dann in ein «im Prinzip ja, aber so nicht» mündet. Sein «Leitartikel» befasst sich mit einer Initiative, die als «Anti-Chaoten-Vorlage» bekannt ist. Sie fordert, dass Teilnehmer an unbewilligten Demonstrationen für die Kosten des Polizeieinsatzes und Sachbeschädigungen aufzukommen haben.

Natürlich hat die Initiative schon mal den falschen Absender: die SVP. Damit ist sie, unbeschadet des Inhalts, für den Tagi von vornherein disqualifiziert. Nun muss Garne aber etwas Luft holen, weil er das ja nicht so platt darstellen kann. Also beginnt er auf Samtpfoten: «Chaoten gehören bestraft. Die Forderung ist so simpel wie richtig.» Wunderbar. Gleich gefolgt vom dicken Aber: «Die harte Hand gibt es allerdings nur zu einem hohen Preis.»

Nun kommen wir zu seinen «Gegenargumenten».

  1. Schon die heutige Gesetzeslage sei «ausreichend». Ist sie zwar nicht, weil nicht einmal ein Bruchteil der Kosten überwälzt werden.
  2. Macht aber nix, denn die Stadt Zürich «treibt kein Geld von Demonstranten ein». Ein Anfängerfehler von Garne, diesen schreienden Widerspruch zum ersten Satz nicht zu sehen.
  3. «Die von einer linken Bevölkerungsmehrheit gewählte Stadtregierung fällt mit ihrer Praxis aber weder dem Kanton noch einer anderen Gemeinde zur Last. Sie tut es auf eigene Rechnung.» Eigene Rechnung? Die Stadtregierung zahlt? Selbst? Oder nicht doch mit dem Geld der Steuerzahler? Garne scheint beim Staatskundeunterricht im Dauerschlaf gewesen zu sein.
  4. Dann das ewige Argument: «Eine zwingende, konsequente Kostenüberwälzung wäre mit einem Mehraufwand der Polizei und der Justiz verbunden.» Grossartig, wenn man diese Logik überträgt: lassen wir das doch mit der Verfolgung von Diebstählen. Ist mit einem Mehraufwand verbunden, und die Resultate sind überschaubar.
  5. «Die Versammlungsfreiheit ist ein Fundament der demokratischen Gesellschaft.» Genau wie das Verursacherprinzip und die Haftbarkeit für Straftaten.
  6. «Die beiden Vorlagen zielen oberflächlich zwar auf Gewalttäter ab. Faktisch aber würden sie jegliche spontanen und unbewilligten Demonstrationen kriminalisieren, obwohl diese grundrechtlich geschützt sind.» Wieso damit spontane, friedliche und gewaltfreie Demonstrationen «kriminalisiert» werden sollten, erschliesst sich wohl nicht einmal dem Autor. Rechte gehen mit Pflichten einher, oder ist ihm das neu?
  7. «Die Angst vor finanziellen Folgen würde wahrscheinlich mehr friedliche Aktivistinnen als gewaltbereite Chaoten davon abhalten, ihre Meinung auf der Strasse kundzutun.» Eine unbewiesene, wilde Vermutung; mit diesem Unsinn müsste sich Garne selbst für schadenersatzpflichtig beim gequälten Leser erklären.
  8. «Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kommt zum Schluss, dass die Vorlagen gegen Völker- und Verfassungsrecht verstossen und die Demonstrationsfreiheit gefährden.» Nun, wenn das die Verfassungsrechtspezialisten von AI behaupten, dann muss es natürlich stimmen. Dann dürfte aber diese Initiative und ihr Gegenvorschlag gar nicht zur Abstimmung kommen; schon mal daran gedacht, Garne? Denn verfassungswidrige Initiativen sind verfassungswidrig, um es für ihn ganz einfach zu erklären.

Das ist der Leitartikel eines Tagi-Blattmachers zu einer Abstimmung. Ist natürlich im Rahmen der Meinungsfreiheit erlaubt. So wie es erlaubt ist, dass sich jeder öffentlich zum Deppen machen darf. Aber, nochmals: dafür auch noch Geld zu verlangen, das ist nassforsch. Frech. Unverschämt.

Der Hang zum Selbstbetrug

So ist der Mensch. Im Zweifelsfall sich selbst genug.

Es ist menschlich, sich selbst als Massstab aller Dinge zu nehmen. Unangenehm auffällig wird das, wenn der Mensch Plattformen und Sprachrohre hat, um den Mitmenschen darauf aufmerksam zu machen.

Im angelsächsischen Journalismus ist es bis heute sehr verpönt, dass ein Autor auf seine eigene Befindlichkeit hinweist. Nachrichtenjournalismus heisst, berichten, was ist. Oder zumindest den Versuch unternehmen. Allerhöchstens ein kleiner, szenischer Einstieg, dann möglichst nackte Tatsachen.

Plus die üblichen Regeln von Anstand und Respekt. Deshalb käme es im englischen Journalismus niemand in den Sinn, die Autorisierung von Quotes zu verlangen. Oder zu gewähren. Es gilt «gesagt ist gesagt», und Ehrensache, dass der Journalist den Inhalt Wort für Wort oder in einer korrekten Zusammenfassung wiedergibt. Täte er das nicht, gäbe es einen Riesenaufstand. Kommt aber praktisch nie vor.

Wenn man einem englischen Journalisten zu erklären versucht, welcher Kampf auf Deutsch um die Sternchenvergewaltigung der Sprache wogt, welche ellenlangen Manuals ausgegeben werden, dass selbst der Duden sich nicht entblödet, entsprechende Ratgeber zu veröffentlichen, dann spürt man deutlich Unglauben und Befremdung.

Wenn man noch hinzufügt, dass sogar angebliche Qualitätsmedien wie Tamedia Seiten darauf verschwenden, sich selbst und dem Leser zu erklären, wie denn nun korrekt, inkludiernd, geschlechtsneutral die Sprache malträtiert werden muss, dann schüttelt es den Kollegen, der nicht fassen kann, dass sich erwachsene Menschen mit einem solchen Pipifax beschäftigen. Wobei nicht mal die Satiresendung «Spitting Image» auf eine solche Idee gekommen wäre, und die kamen auf so ziemlich alle Ideen.

Immerhin ist’s in den Hintergrund verschwunden

Aber, eigentlich die allereinzige positive Auswirkung des Überfalls auf die Ukraine, dieser Spuk ist weitgehend im Hintergrund verschwunden. Nur noch letzte Einzelkämpfer brabbeln etwas von «weiblichem Frieden», obwohl das Substantiv doch maskulin ist. Oder interviewen «Genderforscher», die Unsinniges über weibliche versus männliche Kriegsführung murmeln. Ohne dass sich eine der beiden Beteiligten bewusst wird, wie lächerlich das ist.

Aber viel direkter und noch unangenehmer merkt man diese Selbstüberhöhung, wenn der Journalist zum Kommentar greift. Das ist im modernen Elendsjournalismus, der jegliche Haltung, Qualität oder Recherchefähigkeit verloren hat, die Kompensation Nummer eins.

Keiner zu klein, Meinungsträger zu sein.

Der Chefredaktor höchstselbst, sei es auch nur eines Weltorgans wie das St. Galler «Tagblatt» oder der «Bote der Urschweiz», greift zum Griffel und geigt dem russischen Präsidenten mal seine Meinung. Was für ein Verbrecher der sei, was für ein Wahnsinniger, Diktator, Massenmörder, Zündler, riskiert einen Dritten Weltkrieg. Auch das wird geschrieben ohne das geringste Bewusstsein, dass solche Rempeleien völlig sinn- und wirkungslos sind.

Oder stellt sich der Kommentator wirklich im Ernst vor, dass dem Herrscher im Kreml die tägliche Presseschau vorgelegt wird, er beim jüngsten Kommentar der Auslandchefs von Tamedia hängen bleibt, erbleicht, anfängt zu zittern, zu einem der zahlreichen Telefone auf seinem Schreibtisch greift und sagt: «Genossen, ich gebe hiermit den Befehl zum sofortigen Rückzug. Und bitte alles reparieren, was wir kaputt gemacht haben»?

Keiner entkommt den Ratschlägen der Schreibtäter

Ein Spürchen, aber auch nur ein Spurenelement chancenreicher sind die überreichlichen Ratschläge, die der Schweizer Regierung gegeben werden.

Sie sollte, müsste, hätte, zögerte, hat endlich, muss noch viel mehr, darf nicht zögern, macht sich unglaubwürdig, muss ein Zeichen setzen, kann nicht abseits stehen, wird von der Welt beobachtet (und vom Redaktor), wäre gut beraten, muss nun unverzüglich.

Auch hier betrachtet der Schreiber sein Werk (und seinen Bauchnabel), findet Wohlgefallen und Behagen daran und begibt sich im sicheren Gefühl zum Feierabendbier, dass er es mal allen wieder richtig gezeigt habe und die Welt nun doch ein bisschen besser geworden sei.

Grossmäulig heisst das Gefäss immer noch «Leitartikel»; als ob dort etwas geleitet würde, etwas zum Geleit mitgegeben wird. In Wirklichkeit sind es Leidartikel, die beim Lesen ein selten intensives Gefühl des Fremdschämens auslösen. Denn ist es nicht peinlich und peinvoll, wie erwachsene Menschen, eigentlich zurechnungsfähig, sich selbst in aller Öffentlichkeit zum Deppen machen?

 

Und er schreibt doch

Pascal Hollenstein ist im Jahr 2022 angekommen. Auch das noch.

Vielleicht als Reaktion auf unsere besorgte Frage, ob er sich für 2022 vorgenommen habe, sein voluminöses Gehalt bei CH Media schweigend zu verzehren, hat sich die Leiter nach unten zu Wort gemeldet.

Zum Thema – Überraschung – «neues Mediengesetz». Dazu ist Hollenstein Köstliches eingefallen: «Demokratie ist kostbar – und darf uns etwas kosten». Pluralis majestatis nennt das der Lateiner. «Uns» ist hier der Steuerzahler; dass auch Hollenstein zwar zahlen würde, gleichzeitig aber kassieren, das wäre dann wohl zu komplex für die Darstellung.

Schon, aber auch Hollenstein?

Besonders am Herzen liegt Hollenstein das Regionale. Da geht er zunächst in die Weiten der USA, wo zeitungslose Regionen «news deserts» hiessen, Nachrichtenwüsten. Das löse dann so etwas aus:

«Der versuchte Sturm des Kapitols hat gezeigt, wohin das führen kann.»

Ein etwas kühner Zusammenhang. Aber die USA sind bekanntlich weit und weit weg. Zurück in die Schweiz: «Wie sollen Bürgerinnen und Bürger an der Urne entscheiden, wenn sie über ihren Kanton oder ihre Gemeinde nur noch Bruckstückhaftes erfahren? Oder gar absichtlich mit Fake News in die Irre geleitet werden?»

«Bruckstückhaftes»? Es ist halt so: holprige Gedanken äussern sich häufig in holpriger Sprache. Hollenstein kann auch Entwarnung geben: «Noch ist es nicht soweit. Zumindest in der Deutschschweiz gibt es noch in jedem Kanton eine oder gar mehrere Tageszeitungen

Genau; in der Ostschweiz gibt es zum Beispiel das «Tagblatt». Und das «Tagblatt», und die Kopfblätter des Tagblatts. Die alle die in Aarau angerührte Einheitssauce aus dem Hause CH Media servieren. Ganz lokal, versteht sich.

Weil die das so toll machen, hat die Alternative «Die Ostschweiz»* das «Tagblatt» online bereits abgetrocknet. Nur: CH Media würde satt an der Zusatzmilliarde abkassieren, sollte das Medienpaket am 13. Februar angenommen werden. «Die Ostschweiz» bekäme keinen Rappen.

Dennoch fragt Hollenstein rhetorisch: «Wie viel ist uns die unabhängige Versorgung mit Information im ganzen Land wert?» Dann macht er noch ein Junktim der speziellen Art: «Was sind wir bereit, für unsere direkte Demokratie zu bezahlen

Echt jetzt? Die Medienmilliarde diene der unabhängigen Infoversorgung? Sie müsse so gesehen werden, dass es eine Zahlung für die direkte Demokratie sei? Das sagt der Gleiche, der schon mal Printtitel als Milchkühe abqualifizierte, die noch gemolken werden müssten, bevor man sie zur Schlachtbank führe.

Das sagt der zweitoberste Vertreter eines Verlags, der wohl Bahnbrechendes dabei geleistet hat, die Regionalberichterstattung auszuhungern, wegzusparen, zu marginalisieren, einen Exodus von Lokaljournalisten zu provozieren.

Man kann versuchen, den schwindenden zahlenden Lesern jeden Bären aufzubinden, auf den man lustig ist. Aber den Konsumenten dafür zahlen zu lassen, dass er verscheissert wird, das kann als Geschäftsmodell auf Dauer nicht gutgehen.

In Wirklichkeit ist’s ganz einfach. Es gibt ein Bedürfnis nach Qualitätsberichterstattung, gerade im Lokalen. Wer das erfüllt, also die Nachfrage mit einem adäquaten Angebot deckt, hat Erfolg und besteht auch ohne Staatshilfe. Wer das nicht tut, ist zum Untergang verurteilt. Auch mit Staatshilfe.

Begleitet er seinen Untergang noch mit Heuchelei, beschleunigt er ihn nur.

*Packungsbeilage: René Zeyer publiziert regelmässig bei «Die Ostschweiz».

 

 

 

 

Leitartikeln ins Leid und Elend

Wenn der Journalist im roten Bereich dreht.

Der Leitartikel war auch mal so eine Bastion des Qualitätsjournalismus. Jahrzehntelang frönte die NZZ dem schönen Brauch, jeweils am Samstag es der ganzen Welt mal wieder zu geigen.

Markus Somm übernahm dann diese Tradition in der «Basler Zeitung», wurde aber dennoch nicht Chefredaktor bei der NZZ. Auch der «Tages-Anzeiger», und somit flächendeckend seine Kopfblätter, pflegt den Leitartikel.

Ein Leitartikel voller Fehler

Ein besonders blödes Exemplar erblickte am Samstag das Licht der Welt. Schon der Titel (Artikel hinter Bezahlschranke) gibt zu denken: «Einen Lockdown auszuschliessen, ist ein Fehler».

Zunächst verteilt der Leitartikel Betragensnoten und tadelt, «dass viele Menschen wieder bedenkenlos feiern, singen und tanzen gingen». Statt zuhause Trübsal zu blasen und sich zu überlegen, ob sie die steigende Suizidrate in der Schweiz unterstützen wollen.

Solches Tun ist insbesondere deswegen verwerflich, weil bekanntlich Mitbürger über 80, die 70 Prozent aller Coronatoten ausmachen, dafür berüchtigt sind, dass sie bedenkenlos bis in die Morgenstunden feiern, singen und tanzen, sich dabei noch die Kante geben.

Der «Tages-Anzeiger» muss ganz streng mit uns werden

Aber, so urteilt der Leitartikler streng, wir seien «immer noch gefährlich entspannt in Bezug auf einen zweiten Lockdown». Das muss sich aber radikal ändern, und dafür setzt der Autor zu einem eingesprungenen Rittberger mit doppelter Schraube an: «Paradoxerweise wird aber ein Lockdown umso wahrscheinlicher, je mehr sich die Botschaft, dass es ihn nicht geben wird, in den Köpfen festsetzt.»

Es ist verblüffend, mit welcher Geschwindigkeit sich das Narrativ geändert hat. Von einem allgemeinen «zweiter Lockdown: niemals», über «alles tun, damit es keinen zweiten Lockdown gibt» zu «Lockdown, warum nicht?»

Schlimmer noch, «wer einen Lockdown kategorisch ausschliesst, macht sich schlicht der Irreführung schuldig», behauptet der «Tages-Anzeiger», das Organ der weisen Menschenführung.

Koste es, was es wolle, ist doch egal

Dann tritt er noch dem Bundesrat Maurer ans Schienenbein, der festhielt, dass sich die Schweiz einen zweiten Lockdown schlichtweg nicht leisten könne. «So teuer diese Maximalmassnahme auch würde», was sei das schon im Vergleich zu vielen Menschenleben, entscheidet der Autor forsch.

Ist er damit am Ende angelangt? Aber nein, «die Verharmlosungen» müssten «endlich ein Ende» nehmen, fordert er. Auch auf die Gefahr hin, als Verharmloser denunziert zu werden: Das ist natürlich Schwachsinn. Unsinn, Brandgefährlich. Wirklichkeitsfern. Schlicht verantwortungslos.

Tadel aus dem sich leerenden Grossraumbüro

Man stelle sich vor, da sitzt ein Tagi-Redaktor im sich immer mehr leerenden Grossraumbüro, während auch sein Medium darüber jammert, wie sehr die Massnahmen gegen die Pandemie an die Substanz gehen. Und bevor er auch eingespart wird, fordert er geradezu seine Entlassung.

Damit hat er allerdings nicht ganz Unrecht; die Lücke, die er hinterliesse, würde ihn vollständig ersetzen. Aber es ist schon nassforsch, nachdem der erste Lockdown alleine in der Schweiz Schäden von geschätzt 100 Milliarden Franken anrichtete, locker vom Hocker die Möglichkeit eines zweiten in den Raum zu stellen.

Schon mal was von Verhältnismässigkeit gehört?

Was hier der fachfremde Bundesrat und Gesundheitsminister angerichtet hat, ist schlichtweg die grösste wirtschaftliche Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber es kann doch nichts zu teuer sein, wenn es um Menschenleben geht. Wer das bestreitet, ist ein materialistischer Unmensch.

Ich bestreite das, bin kein Unmensch und zudem in fachkundiger Gesellschaft. Alle Krankenkassen in der Schweiz sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Verhältnismässigkeit einer Therapie zu prüfen, bevor sie die Kosten übernehmen. Ja, und zu dieser Prüfung gehört selbstverständlich auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung.

Denn sonst wären die Krankenkassenprämien nicht mehr länger schwer zu bezahlen, sondern unbezahlbar. Wer jeden Mitbürger als unverantwortlichen Hallodri darstellt, der es wagt, auf die eine oder andere Art das Leben etwas geniessen zu wollen, ist schlimmer als jeder Calvinist. Wer behauptet, nichts könne zu teuer sein, um Menschenleben zu retten, ist zudem ein verantwortungsloser Dummschwätzer.

Wo der Lohn herkommt, kümmert den Redaktor nicht

In Wirklichkeit verhält es sich natürlich umgekehrt als im Titel dieses Ergusses. Wer einen zweiten Lockdown herbeischreibt oder legitimiert, begeht einen verantwortungslosen Fehler.

Übersieht dabei die fatalen Schäden, das Absterben ganzer Branchen, Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit als mögliche Konsequenzen. Ist offensichtlich zu sehr daran gewöhnt, dass es ein Naturgesetz sei, dass er jedes Monatsende bis ans Lebensende seinen Lohn und dann seine Rente bekommt. Wo das herkommt, kümmert ihn nicht.

Blattkritik: Das «Spiegel»-Bild heute

Hat sich das Nachrichtenmagazin von Relotius erholt?

Das Objekt der Blattkritik ist die «Spiegel»-Ausgabe vom 18. Juli 2020. Die Titelstory knüpft an bessere Zeiten an: «Der Wirecard Thriller» nimmt sich des wohl grössten deutschen Wirtschaftsskandals an.

Der ehemalige Börsenliebling und als deutsches IT-Wunderkind gehandelte Konzern erwies sich als Betrugsmaschine, es fehlen rund 2 Milliarden Euro in der Bilanz. Seine Nummer zwei ist abgetaucht, und den Spuren dieses Jan Marsalek geht ein Team von 18 Redaktoren auf etwas mehr als neun Seiten nach. Launig illustriert und knackig betitelt mit «Auf der Jagd nach Dr. No».

Tatsächlich fördert der «Spiegel» hier Neues und Erstaunliches zu Tage. Es geht um Libyen, Russland, Spionagesoftware und wirklich knackige Anekdoten wie aus einem Bond-Film. Sauber chronologisch aufgearbeitet, hier spielt das Blatt seine Manpower und seine Fähigkeit, ein Recherchepuzzle süffig aufzubereiten, voll aus.

Rechthaber statt Recherche

Weniger glorios ist allerdings noch vor der Titelstory das erste Meinungsstück. Seit einiger Zeit leistet sich der «Spiegel» einen «Leitartikel». Hier erhebt der deutsche Oberlehrer sein hässliches Haupt: «Es reicht jetzt», kanzelt er Ungarns Premier und seine «illiberalen Freunde» ab. «Höchste Zeit», «Wesenskern würde beschädigt», hier wird mit dem Zeigefinger gefuchtelt, als würde irgend jemand auf die Ratschläge eines Journalisten hören.

Dem Zeitgeist geschuldet ist auch, dass jedes der klassischen Ressorts, zuerst «Deutschland», mit inzwischen fünf Seiten Kurzfutter eingeleitet wird. Ebenfalls den Mantel in den Wind hängt der «Spiegel» mit einem länglichen Stück über die Politik als Männerdomaine. Dann kommt etwas, was es seit Jahren nicht mehr gegeben hat, ein neues Ressort: Reporter.

Das beinhaltet, Überraschung, Reportagen. Offensichtlich die Wiedergutmachung für den Schaden, den der Fake-Reporter Claas Relotius anrichtete. Dessen Reportagen entsprachen zwar genau den Wünschen und der Gesinnung der Redaktion, hatten aber den kleinen Nachteil, dass sie über weite Strecken schlicht erfunden waren.

Das klassische «Spiegel»-Gespräch»

Im grossen Wirtschaftsstück «Masslose Macht», dem Aufmacher einer Serie über die zunehmende Dominanz des Staates in der Wirtschaft, merkt man deutlich, wie zwischen Kritik an staatlichen Monopolbetrieben und an «übertriebenen» Privatisierungen geeiert wird. Besonders hier zeigt sich, dass der «Spiegel» nun beileibe nicht in erster Linie ein Nachrichtenmagazin ist. Sondern ein Meinungsblatt. Es will nicht spiegeln, allenfalls einordnen und analysieren, es will nicht nur erklären, sondern richten.

Ein schönes Stück alter «Spiegel»-Kultur ist das Interview mit dem ehemaligen Sicherheitsberater des US-Präsidenten, John Bolton. Der hatte schon mit einem Enthüllungsbuch mit Trump abgerechnet. Im Gespräch erweist sich die alte Kriegsgurgel als schlagfertiger und gebildeter Mensch. Wunderbar seine Sottise, als er gefragt wird, ob dem Präsidenten eine Rede Merkels über Multilateralismus auf die Nerven gegangen sei: «Trump weiss wahrscheinlich gar nicht, was Multilateralismus ist.»

Politisch korrekt ist dann aber das Interview mit den beiden Journalistinnen, die den Hollywood-Mogul Harvey Weinstein wegen seinen sexuellen Übergriffen zu Fall brachten. Und nach 130 Seiten, auch das ist dem Zeitgeist geschuldet, ist dann Schluss.

€ 5.50 kostet das, in der Schweiz unverschämte Fr. 8.10. Früher war Montag obligatorischer «Spiegel»-Tag für sehr viele Deutsche, auch für mich. Seit 1995 ist die Auflage von über einer Million auf 700’000 zurückgegangen, und Erscheinungstag ist Freitag.

Im deutschen Sprachraum unerreicht

Von Fake Journalismus scheint sich das Magazin gut erholt zu haben, und wenn es wie bei dieser Titelgeschichte seinen journalistischen Muskel anspannt, ist es zumindest im deutschen Sprachraum unerreicht. Auch dem Zeitgeist geschuldet ist die immer grosszügigere Bebilderung mit auch ganzseitigen Fotos. Das hatte das Blatt früher nicht nötig, ein Gewinn ist’s nicht.

Überhaupt nicht erholt hat sich der «Spiegel» aber von seiner krachenden Fehleinschätzung, dass Donald Trump keine Chance habe, US-Präsident zu werden. Seither verfolgt ihn das Blatt hasserfüllt, beschimpft ihn als «Brandstifter» ruft «Das Ende der Welt» aus und tut so, als wäre es seine Aufgabe, den Präsidenten wegzuschreiben. Wie meist, wenn Journalismus Gesinnung zeigen will, ein Zeichen setzen, warnen, aufrufen, wird’s schal und unerträglich. Würde der «Spiegel» wieder vermehrt versuchen, dem Motto seines Gründers zu folgen, «sagen was ist» statt «sagen, wie’s sein sollte», dann wäre er wieder geniessbar.

Aber bei all seinen Schwächen, bei allen Zerrbildern, die er aus der Realität widerspiegelt: Natürlich bleibt er unverzichtbar für die politische Debatte im deutschen Sprachraum. Bis heute kann ihm kein anderes Blatt das Wasser reichen. Was ein Lob und auch ein Armutszeugnis ist.