Der Marathon

Nur eine Zahl, aber eine Leistung.

Wir sind auf ZACKBUM eher sparsam mit Eigenlob. Aber für eine runde Zahl machen wir eine Ausnahme. Das hier ist der 2000. Artikel, der seit dem 25. Juli 2020 auf ZACKBUM erscheint.

Wir verkündeten damals die Rückkehr der Medienkritik, und in der seither vergangenen Zeit ist es immer einsamer auf diesem Gebiet geworden. Die NZZ entledigte sich ihres langjährigen Medienkritikers und sparte dann auch gleich das Gefäss ein. Der «Schweizer Journalist» denaturierte zur «Journalist:in», und so ist der Inhalt auch. Tamedia bedient das Gefäss nur von Fall zu Fall mit dem Blick durch die Gesinnungsbrille, bei CH Media fäustelt gelegentlich ein eingewechselter Schreiber.

Also eine USP für ZACKBUM, aber darüber kann man sich nicht freuen. Wir freuen uns hingegen, dass wir in der Branche zwar fleissig gelesen, aber verkniffen ignoriert werden. Von der Chefetage bis zum Fussvolk nimmt man unsere Artikel zur Kenntnis. Souveräne Vertreter der Branche melden sich gelegentlich mit Lob und Tadel, andere Exemplare machen die Faust im Sack und denken vergeblich «na warte».

Wir profitieren von einer in der heutigen Medienlandschaft einmaligen Stellung: wir sind niemandem verpflichtet. Haben keine Rücksichten zu nehmen. Müssen nicht als Mietmaul, Büttel oder Lohnschreiber auftreten. Diese Freiheit kostet zwar, so ist uns der Zugang zu den Mainstream-Medien verbaut, aber diesen Obolus entrichten wir gerne für die damit mögliche Freiheit.

Neben dem Niedergang der Medienkritik ist in diesen zwei Jahren auch ein deutlicher Niedergang der Medien zu verzeichnen. Die Berichterstattung über Corona hat dem sowieso nicht hochstehenden Image der Medienschaffenden einen schweren Schlag versetzt. Je mehr sie in die Bedeutungslosigkeit absinken, desto lauter und krampfhafter wird ihre Kommentarsucht, ihre Rechthaberei und Besserwisserei, der unselige Hang, den Leser nicht informieren, sondern belehren zu wollen.

Das setzt sich nahtlos in die Berichterstattung über den Ukrainekrieg oder den aufkommenden Sparwahn fort.

Es gibt exogene Faktoren, die das Geschäftsmodell Newsvermittlung problematisieren. Aber im Wesentlichen sind die Probleme hausgemacht. Wer meint, minderwertigen Inhalt, zum Skelett gesparte Redaktionen und Gesinnungsjournalismus zu exorbitanten Preisen verkaufen zu können, ist nicht ganz dicht.

ZACKBUM wird, die anhaltende Lust des Autors vorausgesetzt, auch mit den nächsten 2000 Artikeln den Trauermarsch bis zum Friedhof begleiten. Trost spenden dabei nur fremdsprachige Medien, vor allem angelsächsische. Sie zeigen dem deutschen Jammertal, was heutzutage alles möglich ist.

Trotz unseren Dichtern und Denkern leben wir vielleicht in der falschen Sprachwelt.

Auch wenn wir gelegentlich an ihnen verzweifeln, danken wir dennoch unseren Lesern, Unterstützern und Kritikern ganz herzlich. Ohne sie wäre das hier alles gar nicht möglich.

Dummheit ginge ja noch

Aber abgefeimte Hinterfotzigkeit ist dann doch etwas anderes.

Es mag unfair erscheinen, immer auf das intellektuelle Leichtgewicht Philipp Loser einzudreschen, der ja so schwer an seiner Gesinnungsaufgabe trägt, so verzweifelt anderen ungefragt seine Ratschläge und Meinungen aufdrängt – wenn er nicht gerade als Konzernjournalist unterwegs ist.

Aber bei ihm denaturiert eben das ganze Elend des modernen Elendsjournalismus am elendiglichsten. Die Ausgangslage ist klar: es dürften happige Preiserhöhungen auf uns zukommen, was Strom und Heizung betrifft. Es sieht bislang nicht so aus, als ob der Bundesrat und in erster Linie die zuständige Bundesrätin Sommaruga den Ernst der Lage erfasst hätten – geschweige denn den Eindruck erwecken, einen Plan zu haben. Es droht möglicherweise ein Corona-Desaster im Energiebereich.

Auch Tamedia will seine Leser nicht über Gebühr erschrecken, ausserdem steht die eher linksgrün eingestellte Redaktion vor dem Problem, ob sie denn nun – wie die deutschen Grünen – AKW plötzlich toll finden soll oder gar das Loblied auf Kohlekraftwerke singen. Stattdessen versucht sie sich mit lachhaften Sparvorschlägen:

«Einfach ein paar Grad kühler und ein paar Minuten schneller duschen. Einfach das Wasser ausschalten, während man sich einseift.»

Das sind Stromsparvorschläge auf Kindergartenniveau. Aber durchaus ebenbürtig den Vorschlägen, die der Energieministerin eingefallen sind: «Zähne putzen und Hände waschen soll man mit kaltem Wasser. «Dadurch fliesst kein Warmwasser in die Leitung», heisst es auf der Website, «welches dort abkühlen würde, bevor es überhaupt den Hahn erreicht»», berichtet Tamedia, ohne vor Lachen loszuprusten.

Also hagelt es natürlich Kritik, logischerweise von der Partei am lautesten, die Sommaruga nicht gerade toll findet. Das ist nun der Einsatz für die Allzweckwaffe Loser. Für ihn ist die SVP deswegen «die Fertigmacherpartei». Nach in seiner üblichen Flughöhe – knapp über der Strassenmarkierung – vorgetragenem Geschimpfe kommt Loser zu einem ganz bitteren Schluss: «Das Treten nach Sommaruga und unsere fehlende Reaktion darauf zeigen einmal mehr, wie sehr die Volkspartei mit ihrem Erfolg und mit ihren Methoden die Grenze des Normalen verschoben hat

Ganz falsch. Das in einer einstmals führenden und ernstzunehmenden Tageszeitung (und dank Kopfblattprinzip nicht nur dort) ein solcher Unsinn erscheinen kann, zeigt, wie sehr im Journalismus die Grenzen des Normalen verschoben wurden.

Denn was wäre seine Aufgabe? Einordnung der Problemlage. Analyse der Situation. Wiedergabe von Lösungsmöglichkeiten. Kritik an mangelnden Reaktionen oder Aktionen. Und dann, aber erst dann, und nur vielleicht: ein Kommentar, eine Meinung. Das war früher einmal das Privileg des Chefredaktors, der einen Leitartikel verfasste. Normalerweise auf Niveau, intelligent, verbal herausgeputzt, als kleine Zierleiste der übrigen redaktionellen Leistung.

Aber heutzutage gibt es keine richtigen Chefredaktoren mehr. Nur noch Westentaschenausgaben wie beim Tagi und anderswo. Dafür darf jedes kleine Würstchen kommentieren, lamentieren, kritisieren. Ohne Niveau, aber mit Haltung. Ohne Sinn, aber mit Gesinnung. Ohne sprachliche Fähigkeiten, aber mit Gebrabbel.

Loser ist dabei nur das erbärmliche Schlusslicht einer ganzen Reihe von trüben Funzeln, die sich faktenschwach, aber meinungsstark auslassen dürfen. Als Trostpflaster dafür, dass sie ihr Leben in einer Verrichtungsbox fristen müssen. Recherche bedeutet, mit Google durchs Internet zu schweifen, und Hintergrundanalyse bedeutet, mehr als zwei fremdsprachige Zeitungen kopiert zu haben.

Es ist ja kein Zufall, dass man bei all diesen Maulhelden keine einzige Reportage, keinen einzigen Sachartikel erinnert. Nur unablässige Besserwisserei, unangenehm in den Ohren klingendes Gewäffel. Nicht zu vergessen eine bodenlose Heuchelei. Völlige  Blindheit gegenüber Sauereien im eigenen Haus. Da darf eine sogenannte Co-Chefredaktorin von einer Luxusreise im Eisbrecher mit Heli, U-Boot und Philippe-Starck-Möbeln schwärmen, einer wahren Dreckschleuder, während ein paar Seiten zuvor das Gletschersterben wegen Klimaerwärmung wortreich betrauert wird. Da wird von einer keiner journalistischen Selbstachtung mehr verpflichteten Auslandredaktion ein deutscher Kommentar eines Deutschen, der sich auf Deutschland bezieht, einfach so umoperiert, dass er in der Schweiz serviert werden kann.

Um nur zwei aktuelle unter Hunderten von betrüblichen Beispielen zu nennen. Kein einziger dieser feigen Lohnschreiber traut sich einmal, die bittere Wahrheit über die eigene Branche, über den eigenen Konzern zu formulieren. Wohlfeile Hymnen auf angebliche Meinungsfreiheit, auf den Podiumscharakter des Blatts, auf Verantwortung, Vierte Gewalt, wo man das Vertrauen des Lesers behalten, gewinnen, vertiefen wolle. Alles dummes Gequatsche, denn die Wahrheit ist doch:

Es gibt keine Branche in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte, die dermassen angesichts einer neuen Technologie versagt hat wie die Medienbranche. Bis heute stehen die wohlbezahlten Manager mit offenen Mündern da und lassen sich von wenigen Internet-Giganten die Werbebutter vom Brot nehmen. Sie verhalten sich so wie weiland der Droschenkutscher, der angesichts des Aufkommens von Automobilen beschloss, seinem Gaul das Futter zu rationieren und ihn kräftig zu peitschen.

Ausser sparen, sparen und nochmals einsparen ist diesen Nieten nichts eingefallen. Aber gar nichts. In den Redaktionen sind unerfahrene Kindersoldaten am Werk, die nach Leseminuten online gemessen werden. Inhalt, Qualität, Alleinstellungsmerkmal, Mehrwert: völlig unerheblich. Sie werden begleitet von Meinungsträgern, die ihren Oberen nach dem Mund schreiben und notfalls die eigene Leserschaft übel beschimpfen, wie in der Corona-Krise, wie bald einmal in der aufkommenden Energiekrise.

Die Umstände, die Tücke der Zeiten, das Unvermeidliche, das Alternativlose, die eigene Schuldlosigkeit? Nein. Dieses Gejammer wird von immer weniger Lesern goutiert. Das Publikum betrachtet den Trauerzug der Medien mit zunehmendem Abscheu; am Friedhof angekommen, werden die Grabreden ohne Publikum gehalten werden.

Schon jetzt sind es Meinungsmacher ohne Meinungsmacht, hat sich der öffentliche Diskurs längst zersplittert, ist auf unzählige Plattformen abgewandert, informiert sich ein zunehmender Prozentsatz vor allem jüngerer Menschen keine Sekunde mehr aus den traditionellen Medien. Schlicht und einfach, weil die sich selbst überflüssig machen.

Loser schimpft auf die SVP als Fertigmacherpartei. Dabei ist er selbst – und nicht nur er – ein Überflüssigmacherjournalist. Journalist, vom Ehrentitel zur abwertenden, abschätzigen Disqualifikation: ach so, oh je, ein Lohnschreiber, ein Mietmaul, ein Rechthaber, ein Nichtswisser. Ein Journalist halt.

Die neue Sommer-Rubrik: GÄHN

Dumm gibt es. Dünn gibt es. Aber zum Gähnen ist schlimmer.

Zum Glück verfügt ZACKBUM über eine beliebig belastbare Espresso-Maschine. Nur so ist es uns gelungen, unsere Leser mit dieser Sammlung zum Gähnen zu bringen, ohne selbst dabei wegzuschnarchen.

Wer gähn denkt, denkt automatisch an – Laura de Weck. Trotz energischen Zurechtweisungen durch ZACKBUM kann man es sich nur mit einem Frauenbonus (oder Namensbonus) erklären, dass Tamedia sie weiterhin ihre Kolumne mit Nonsens-Dialogen füllen lässt. Diesmal zum Thema:

Wir nehmen alle einen kräftigen Schluck Ristretto, denn Achtung, ich zitiere jetzt.

Hä? statt gähnen? Das ist die Schlusspointe des Dialogs. Zugegeben, die meisten Leser sind schon vorher weggeschnarcht.

Bleiben wir beim Qualitätskonzern Tamedia. Helène Arnet ist dort polivalent einsetzbar. «Im Herbst 2020 ist ihr Buch über das Leben einer Klosterfrau in Papua-Neuguinea erschienen», lesen wir in ihrer Selbstdarstellung. Aber auch weltliche Kleinigkeiten erregen ihre Aufmerksamkeit: «Erste Testfahrt der Limmattalbahn: Ein Aargauer Tram hält am Zürcher Farbhof.»

Aber dieses Gähn-Thema liegt ihr eigentlich viel mehr: «Rassismusvorwurf: Zürcher Heimatschutz wehrt sich gegen Abdeckung der «Mohrenkopf»-Inschrift». Erinnert sich noch jemand? Im Woke-Wahnsinn kam der Zürcher Stadtrat auf die Wahnsinnsidee, Hausbezeichnungen mit dem Wort «Mohr» zu überdecken, damit angeblich Betroffene beim Betrachten keinen Phantomschmerz verspüren müssen. Gähn. Dagegen hat der Heimatschutz wohlbegründet Rekurs eingelegt. Schnarch. Obwohl Tamedia das Zuhause der empfindsamen Schneeflocken ist, bringt Arnet nicht mal die Energie auf, das Tun des Heimatschutzes zu kritisieren. Kä Luscht. Doppelgähn.

Wir steigern den Belastungstest für unseren Gähnreflex ins fast Unerträgliche. Auch da kann es nur einen Namen geben, der einem hinter der vorgehaltenen Hand einfällt. Constantin Seibt.

Oder erleben wir hier das Lesen der letzten Zeilen, bevor dem Leser die Augen zufallen? Was, dort in den hinteren Reihen des Publikums gähnt einer noch nicht? Dann nimm das: es folgen knapp 40’000 Buchstaben. Also, geht doch.

ZACKBUM legt noch eine Überdosis Gähnreflex drauf und zitiert den letzten Absatz des Werks: «Gut möglich, dass es nicht nur in den USA sehr bald nicht nur auf Merrick Garland ankommen wird. Sondern auf jede verdammte Einzelne von uns.» Versteht wieder keiner? Das ist doch der Sinn des Schreibens bei Seibt.

Alle friedlich eingeschlafen? Da haben wir zum Schluss noch ein Aufweckbildchen parat, dessen Komik sich ZACKBUM einfach nicht entziehen kann:

Die Echsenmenschen und ich

Die «Republik» weiss mehr. Mehr über alles. Und mehr über alle. Auch über mich.

Von Stefan Millius*

Endlich erfahre ich, dass ich an Ausserirdische glaube.

Und so klingt eine Ferndiagnose der Journalismus-Neuerfinder in einem der letzten Newsletter der «Republik»:

«Am Ende warten die Echsenmenschen. Das sagt Ihnen nichts? Es geht da um die Theorie, dass Ausser­irdische auf der Erde schon lange die Macht übernommen haben. (…) Klingt abstrus – klar. Aber viele Menschen glauben daran. (…) Die meisten davon nicht, weil sie durch­geknallt sind, sondern weil sie irgendwann im Strudel von Falsch­meldungen, materieller Verzweiflung oder Angst den Faden verloren haben. Und weil es Profis gibt, die davon leben, genau diese Menschen immer tiefer in den Kaninchen­bau zu locken. (…) Im Zweiteiler «Die Infokrieger» haben wir Ihnen diese Profis letzte Woche vorgestellt.»

Im besagten Zweiteiler geht es um Medienschaffende und Medien, die sich erdreisten, politisch eher rechts statt links positioniert zu sein. Darunter befindet sich meine Wenigkeit. Meinen Mitverschwörern und mir wird unterstellt (beziehungsweise natürlich nachgewiesen), dass wir Staat und Demokratie unterwandern wollen. Diesem Thema hat die «Republik» das übliche Binge-Writing gewidmet, ZACKBUM hat darüber berichtet.

Viele Behauptungen, keine Belege

Über die dünne Story, wobei nur schon dieses Wort Überwindung kostet, muss man nicht mehr viel sagen. Sehr zu meinem Leidwesen. Denn selbst als aktiver Beteiligter des hinterhältigen Plans hätten mich Details brennend interessiert, die leider fehlen, um die These des «Infokriegs» und seiner Söldner zu stützen.

Wo ist der inkriminierende, überaus geheime Mailaustausch zwischen uns Staatsfeinden, gnadenlos publiziert von der «Republik»? Wo erfahre ich als Leser mehr als das, was ich sowieso weiss, wenn ich Zeitung lese – dass «Weltwoche», «Nebelspalter» und «Die Ostschweiz» in einigen Fragen dieselbe Haltung vertreten und einige Autoren für mehrere dieser Titel arbeiten? An welchem Punkt ist die «Reportage» (auch dieses Wort fällt mir schwer) über eine angebliche Verschwörung mehr als selbst eine reine Verschwörungstheorie?

Haltlose Übertreibungen

Da wird eine journalistische Zuckerwatte, die es beim geringsten Luftzug verbläst, per Illusion zu einer 5-Kilo-Toblerone gemacht. Darüber könnte man ja noch hinwegsehen. Aber regelrecht standeswidrig für jedes Medium wird es, wenn die «Republik» in ihrem Newsletter zu abstrusen Übertreibungen und falschen Bildern greift, um den Erguss zu verkaufen.

Echsenmenschen? Ich bezweifle, dass Roger Köppel, Markus Somm, Milosz Matuschek, Joyce Küng oder irgendeiner der anderen an der Verschwörung beteiligten Personen glauben, unter der Haut von Klaus Schwab, Bill Gates, Hillary Clinton oder Alain Berset verberge sich ein ausserirdisches Schuppenmonster. Entsprechend versucht auch keiner von uns, diese Theorie den Lesern zu verkaufen.

Aber genau das behauptet die «Republik». In dem «Kaninchenbau», den wir offenbar als Falle für unmündige Medienkonsumenten gegraben haben, möchten wir diesen die Legende von den Reptiloiden andrehen. Steht jedenfalls im Newsletter.

Schluss mit «Happy Hour», liebe «Republik»

Bei unserer Arbeit geht es also nicht darum, die Verhältnismässigkeit der Coronamassnahmen zu überprüfen, den Krieg in der Ukraine aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten oder ganz banal die Arbeit von Regierung und Parlament zu kontrollieren, weil das ja sonst längst keine Zeitung mehr macht.

Nein, am Ende des Regenbogens wartet unsere eigentliche Mission – endlich allen klarzumachen, dass wir von Echsenmenschen beherrscht werden.

Gäbe es die «Republik» nicht, würde ich nicht einmal selbst wissen, dass ich an Echsen aus dem All in Menschengestalt glaube. Und gäbe es im Zürcher «Rothaus», dem Sitz der Redaktion, keinen frei zugänglichen Alkohol, hätte es wohl auch diesen Zweiteiler über die «Infokrieger» nie gegeben.

*Stefan Millius ist Chefredaktor «Die Ostschweiz» und publiziert auch in anderen Medien. Unter anderen im Reptilienorgan ZACKBUM.

Tour oder Tortur?

Mal im Ernst: Was ist mit der Musik los?

Zusammen bringen diese drei Herren fast 240 Jahre auf die Bühne:

Während der Opa rechts tatsächlich so alt aussieht, wie er niemals werden könnte, trägt der mittlere Opa das gefärbte Haar immer noch im Rebel-Look. Und der links, na ja, auch gefärbt, und Ron Wood steht eigentlich nur in der vorderen Reihe, weil er noch lebt. Wobei man bei allen drei nicht so ganz sicher ist, ob es sich nicht um Avatare handelt.

40 Jahre ist der vorletzte neue Song alt, dann gibt’s noch «Living in a Ghost Town» von 2020, wobei nicht ganz klar ist, ob die Drei von der Rentnerband die Geister sind.

Obwohl viele jung gestorben sind, scheint diese Generation von Musikern ziemlich hart im Nehmen zu sein und steht solange auf der Bühne, bis sie Füsse voran hinausgetragen werden. So ging es Chuck Berry oder Leonard Cohen, aber auch David Bowie. Bob Dylan ist mehr oder weniger seit Jahrzehnten mit seiner «never ending tour» unterwegs; manchmal mit Stimme, manchmal ohne, manchmal krächzend.

Die Stones singen unermüdlich «Start me up», «Street Fighting Man» oder «Gimme shelter», ihren wohl besten Song.

Die Bandmitglieder sterben einer nach dem anderen weg, aber die Überlebenden füllen weiterhin die Stadien mit einer «Sixty»-Tour. Begleitet von Lobeshymnen in den Medien. Ist das noch eine Tour oder schon eine Tortur?

Was sagt das über eine Gesellschaft aus, wenn fast 80-Jährige einen auf rebellischen Blueser machen? Wenn Multimillionäre rotzige Protestsongs rezyklieren? Wenn im Publikum nicht nur in Nostalgie schwebende Alt-68er feuchte Augen kriegen, sondern auch Fans dabei sind, die noch nicht mal geboren waren, als die Stones schon alt wurden?

Wenn der Breitmaulfrosch Mick über die Bühne joggt, während viele in seinem Alter schon mit dem Rollator unterwegs sind, wenn Keith trotz gichtigen Händen immer noch die Töne auf der Gitarre trifft, wenn Ron einfach das ist, was er schon immer war: anwesend, wenn die Kleider so geschmacklos sind wie schon immer in der langen Karriere der Stones: was macht das Faszinosum aus?

Was besiegt die lauernde Lächerlichkeit? Während sich Dylan in seinen Altersperformances häufig darauf konzentriert, seine alten Songs endgültig kaputtzusingen, versuchen die Stones, selbst «Satisfaction» heute noch so über die Rampe zu schieben, als hätte der Song nicht 1965 das Licht der Welt erblickt.

Als sie vor ein paar Jahren in Havanna spielten, hätte sich ZACKBUM-Autor René Zeyer von seinem Wohnsitz dort nur einen knappen Kilometer ins Stadium zum Gratis-Konzert bewegen müssen. Kä Luscht; richtig alt werden sollte man nicht auf der Bühne.

Zzzzzzz

Wie eine Versicherungsgesellschaft sich lächerlich macht.

Es gab einmal die gute, alte Zürich Versicherungs-Gesellschaft. So hiess sie jedenfalls von 1872 bis 1998. Dann brach auch hier die Hektik der grossen Giermanager aus. «Zurich Financial Services» hiess der zum Allfinanzkonzern umgebaute Riese von 1998 bis 2012.

Dafür opferte man die ü-Pünktchen, no German, please. «Zurich Insurance Group» heisst der Konzern seit 2012. Da trat dann der mehrfach gescheiterte Banker Joe Ackermann an, um mal wieder zu zeigen, wie man’s nicht macht. Als sich daraufhin der CFO der Versicherung das Leben nahm und Ackermann in seinem Abschiedsbrief schwer beschuldigte, trat der so schnell wieder ab, wie er gekommen war.

Auch der ehemalige CEO Martin Senn schied ein Jahr nach seinem nicht ganz freiwilligen Rücktritt 2016 aus dem Leben.

Zurich, Z, oder die Windfahne …

Offensichtlich raue, sehr raue Sitten. Nun aber trennt sich die Versicherung «vorläufig» von ihrem Markenzeichen. Dem Z. Zumindest in den Social Media. Denn auf russischem Militärgerät prangt auch dieser Buchstabe, obwohl man nicht genau weiss, was er da eigentlich soll.

Neu nicht mehr das schön geschweifte Z,
sondern das kleingeschrumpfte Zurich.

Offensichtlich ist Z, Pardon, Zurich der Auffassung, dass es da zu Verwechslungen kommen könne. Obwohl nicht bekannt ist, dass Z, Pardon, Zurich, zu den Putin-Verstehern gehörte oder kriegerische Handlungen versichert.

Aber sich lächerlich machen, das kann Z, Pardon, Zurich, also eigentlich Zürich.

Dabei ist es vielleicht so, dass die Russen eben gewisse Bildung zeigen wollen. Es gab nämlich mal einen Film von Costa-Gavras namens «Z» (Kindersoldaten: googeln). Ein aufrüttelnder Streifen gegen die griechische Militärdiktatur (Kindersoldaten, ach, vergesst es). 1969 entstanden, der Klassiker des engagierten Kinos. Ob der unter diesem Namen heute noch gezeigt werden dürfte?

Natürlich, ein Wort in eigener Sache. Unser Autor Zeyer gedenkt nicht, sich vorläufig in Eyer umzubennenen. Alleine schon wegen der Nebenbedeutung. Auch diese Plattform hier hält mutig an ihrem Namen fest. Obwohl es einem Kommentator schon einfiel, die naheliegende Erklärung für das Z auf russischem Panzerzeugs zu liefern: das stehe natürlich für ZACKBUM.

Verbale Benimmregeln

Mit der Sprache ertasten wir die Wirklichkeit. Also benehmt euch!

Es gibt die berühmten zehn Regeln der Kriegspropaganda. Was Lord Ponsonby nach dem Ersten Weltkrieg aufschrieb, wurde oft kopiert, nie erreicht:

Lord Ponsonby (1871 – 1946).

«Die zehn Grundsätze der Kriegspropaganda:

1. Wir wollen den Krieg nicht

2. Das gegnerische Lager trägt die Verantwortung

3. Der Führer des Gegners ist ein Teufel

4. Wir kämpfen für eine gute Sache

5. Der Gegner kämpft mit unerlaubten Waffen

6. Der Gegner begeht mit Absicht Grausamkeiten, wir nur versehentlich

7. Unsere Verluste sind gering, die des Gegners enorm

8. Künstler und Intellektuelle unterstützen unsere Sache

9. Unsere Mission ist «heilig»

10. Wer unsere Berichterstattung in Zweifel zieht, ist ein Verräter»

Das befolgen inzwischen wieder weite Kreise der Kriegsgurgeln in unseren Mainstreammedien.

Seither müssen nur wenige, nebensächliche Ergänzungen in Form von Dichotomien vorgenommen werden.

Der Gegner hetzt – wir informieren.

Der Gegner lügt – wir sagen die Wahrheit.

Der Gegner behauptet – wir sagen, wie’s ist.

Der Gegner ist fanatisiert – wir sind rational.

Der Gegner ist wahnsinnig – wir sind vernünftig.

Der Gegner ist Masse – wir sind Individuen.

Der Gegner ist böse – wir sind gut.

Der Gegner ist Barbar – wir sind zivilisiert.

Der Gegner verachtet das Leben – wir schützen es.

Was noch fehlt, ist die Definition des Gegners. Die muss möglichst einfach und klar sein. Jegliche Differenzierung ist überflüssig. Der Gegner ist der Russe. Jeder Russe. Ausser, der sei Dissident, Oppositioneller und habe sich öffentlich und deutlich von Putin und seinen Machenschaften distanziert. Aber selbst dann ist er in erster Linie Russe.

Das gilt nicht nur für heute lebende Russen. Auch frühere Russen sind kollektiv mitschuldig. Musiker wie Rachmaninow. Schriftsteller wie Dostojewski. Maler wie El Lissitzky. Theoretiker wie Bakunin. Wohl auch Sacharow. Solschenizyn. Alles Russen.

Der Iwan halt. Der russische Bär. Unzivilisiert. Irgendwie mongolisch barbarisch. Sagen wir’s doch, wie’s ist: der irgendwie immer noch bolschewistische Untermensch. Wild, verrückt, zügellos. Fanatisch, verführt, willenlos, Kampfmaschine, lügnerisch, arglistig, heimtückisch. Stalin. Dserschinski. Trotzki. Alles Umstürzler. Wollten und wollen den Weltbrand. Denen kann man nicht trauen.

Aber die haben Atombomben. Und schliessen deren Einsatz nicht aus. Diese Barbaren. Das tut man doch nicht. Wie bitte, die USA schliessen den Einsatz auch nicht aus? Die haben sogar bislang als Einzige Atombomben als Kriegswaffe eingesetzt?

Wer wagt es? Ein Defätist. Ein Putin-Versteher. Sicher vom Kreml bezahlt. Im besten Fall ein Verwirrter und Verführter. Im schlimmsten Fall ein Willi Wühler, ein Subversiver. Ein Vaterlandsverräter halt. Dem darf man keine Plattform geben. Da hört sich’s mit der Meinungsfreiheit aber auf.

Moskau einfach.

 

Wumms: Markus Somm

Wenn ein Historiker die Geschichte umbiegt.

Da kaum jemand hinter der Bezahlschranke den «Nebelspalter» liest, versucht es Chefredaktor Markus Somm auf anderen Kanälen, zum Beispiel mit seinen «Memos». In Nummer 68 schreibt er unter anderem:

«Gleicht damit die Lage nicht der Situation in Afghanistan? Nachdem die Sowjets das Land 1979 überfallen hatten, um ein kommunistisches Regime in Kabul an der Macht zu halten, unterstützte der Westen den afghanischen Widerstand – mit Waffen, mit Material, mit Geheimdienstinformationen. Zehn Jahre lang bissen sich die Sowjets die Zähne aus, bis sie 1989 abzogen, ohne gewonnen zu haben. Fast 15’000 sowjetische Soldaten waren gefallen.»

Dass Russland die Ukraine überfallen hat, das ist genauso unbestreitbar wie die historische Tatsache, dass damals die UdSSR einem Hilferuf der afghanischen Regierung nachkam. Die Sowjetunion wollte das linke und sekuläre Regime (Bodenreform, Entmachtung der Oberschicht und der Clans, Bildung für alle) gegen die Mudschahedin unterstützen, reaktionäre und fundamentalistische Islamisten.

Durch die Unterstützung dieses «afghanischen Widerstands» züchteten die USA eine Generation von nicht nur fanatischen, sondern bestens ausgerüsteten Gotteskriegern heran.

Die zu Tode gefolterten Leichen des letzten Präsidenten
und seines Bruders wurden öffentlich zur Schau gestellt. 

Die nach dem Rückzug der UdSSR die Regierung massakrierten und unter Führung der Taliban einen grausamen, mittelalterlichen Gottesstaat errichteten. Als Treppenwitz der Geschichte versuchte die CIA später, die von ihnen gelieferten Stinger-Luftabwehrraketen zurückzukaufen – weil sie von islamistischen Terroristen gegen die USA selbst eingesetzt wurden.

Nach der damaligen Logik des Kalten Kriegs war der Feind meines Feindes mein Freund. So unappetitlich der auch sein mochte. Für breite Bevölkerungsschichten in Afghanistan, vor allem Frauen, war der Rückzug der UdSSR keinesfalls Anlass für Triumphgefühle.

Über all das huscht Historiker Dr. Somm hinweg, um sein Bild von der historischen Parallelität – Überfall Ukraine, Überfall Afghanistan – aufrecht zu erhalten.

Dabei ist es ein ahistorisches Zerrbild. Ein völlig untauglicher Vergleich.

 

Viertes Sanktionspaket der EU

So geht’s halt: die Schweiz übernimmt und übernimmt.

Eisen, Stahl und Luxusgüter. So könnte man die Massnahmen des inzwischen vierten Sanktionspakets der EU zusammenfassen. Plus der Entzug des Meistbegünstigtenstatus und die Erweiterung der sogenannten Oligarchenliste.

Was schon beim gescheiterten Rahmenvertrag ein Problem darstellte, manifestiert sich hier deutlich. Mitgegangen, mitgefangen. Wer einmal Sanktionen der EU übernimmt, muss auch alle weiteren automatisch nachvollziehen.

Hier geht es um ein fast vollständiges Verbot jeglicher Transaktionen mit 12 bedeutenden russischen Staatsbetrieben wie Gasprom oder Rosneft. Allerdings, neckisch, der Erwerb «fossiler Energieträger», sowie von Titan, Aluminium etc. ist ausgenommen. Man will ja schon sanktionieren, aber bitte in der warmen Stube.

Köstlich ist auch ein Ausfuhrverbot für Luxusgüter, also

Luxusautos, Schmuck, Haushaltsgegenstände, Porzellan, Elektrogeräte, Bekleidung und Taschen, Lebensmittel und Alkoholika, reinrassige Zuchttiere.

Viel souveräner handhaben das die USA. Deren Sanktionen sind schlichtweg weltweit gültig und verbindlich. Denn eigentlich jeder (und jede) verwendet entweder US-Dollar oder Produktebestandteile oder Technologien made in USA. Und im Zweifelsfall hat man ja eine Filiale im Land of the Free, und was da eine vertiefte Prüfung der hygienischen Zustände samt Werksschliessung alles anrichten könnte …

Wie sagte EU-Präsidenten Ursula von der Leyen pompös: «Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen.»

Nehmt das, ihr Kriegsmaschinenwarte. Chanel, Rolex, Gucci, Single Malt, Meissen, Dysonfön, könnt ihr euch alles abschminken. Fertig mit Versace, der Brioni muss aufgebügelt werden, die Louboutins ausgetragen.

Kein Nachschub für Oligarchinnen …

Wer nach einem Beispiel sucht, um das Wort lachhaft zu illustrieren …

 

 

Der doppelte Gysling

Als ob einer nicht schon ausreichend wäre …

Nach anfänglichem, aber nur kurzem Schweigen ist Erich Gysling wieder voll in Fahrt. Er hat seine kurz verloren gegangene Pole Position als der Experte für alles zurückerobert. Es gibt ja den Fachexperten, der im grossen Erdenrund nur so seine kleine Expertise hat. USA, vielleicht Afrika, China, Asien, Lateinamerika.

Aber darüber thront Gysling. Er ist Spezialist und Generalist. Man könnte ihn mitten in der Nacht aufwecken; sobald er sein Foulard geknotet hat, würde er aus dem Stand über Transnistrien, die Andamanen, Cabo Verde oder Belize Grundsätzliches und Aktuelles zu bedenken geben.

Das ist zurzeit weniger gefragt, natürlich ist Gysling mit Russland und der Ukraine voll ausgelastet.

Also wäre das nicht genug Expertise, gibt es auch noch Peter Gysling. Ebenfalls ein ausgewiesener Fachmann, tatsächlich spezialisiert auf Russland, den Kaukasus, den Osten. Beide Gyslings sind in E. Gyslings «Backgroundtours» vereint. Dieses Reisebüro für Mehrbessere (knackige Preise, dafür persönliche Betreuung durch Gysling) vertreibt Erich G. die Langeweile, während Peter G. dort als Reiseführer seine Pension versüsst.

Das alles ist wunderbar, es gibt allerdings nur ein kleines Namensproblem. Denn wenn es zwei Gyslings gibt, ist es leicht möglich, dass der verwirrte Beschallte plötzlich nicht mehr weiss, welcher Gysling denn was gesagt hat.

Diesem Problem entgehen die beiden Gyslings allerdings weitgehend, indem sie durchaus Typenähnliches, manchmal auch Deckungsgleiches sagen. Allerdings ist es im Rahmen eines Alleinstellungsmerkmals schon blöd, wenn es gleich noch einen zweiten Spezialisten zum gleichen Thema mit dem gleichen Nachnamen gibt.

Man könnte sie höchstens noch durch das Haupthaar unterscheiden. Erich mit Glatze, Peter mit vollem Haupthaar. Das ist übrigens eine verblüffende Parallele zu einem Grundgesetz, was die Abfolge russischer Herrscher seit der Oktoberrevolution 1917 betrifft. Es war immer ein Wechsel.

Lenin mit Glatze, Stalin ohne. Chruschtschow mit, Breschnew ohne. Andropov mit, Tschernenko ohne. Gorbatschow mit, Jelzin ohne. Putin, nun ja, mit und ohne. Gysling nun auch mit und ohne.