Leitartikeln ins Leid und Elend

Wenn der Journalist im roten Bereich dreht.

Der Leitartikel war auch mal so eine Bastion des Qualitätsjournalismus. Jahrzehntelang frönte die NZZ dem schönen Brauch, jeweils am Samstag es der ganzen Welt mal wieder zu geigen.

Markus Somm übernahm dann diese Tradition in der «Basler Zeitung», wurde aber dennoch nicht Chefredaktor bei der NZZ. Auch der «Tages-Anzeiger», und somit flächendeckend seine Kopfblätter, pflegt den Leitartikel.

Ein Leitartikel voller Fehler

Ein besonders blödes Exemplar erblickte am Samstag das Licht der Welt. Schon der Titel (Artikel hinter Bezahlschranke) gibt zu denken: «Einen Lockdown auszuschliessen, ist ein Fehler».

Zunächst verteilt der Leitartikel Betragensnoten und tadelt, «dass viele Menschen wieder bedenkenlos feiern, singen und tanzen gingen». Statt zuhause Trübsal zu blasen und sich zu überlegen, ob sie die steigende Suizidrate in der Schweiz unterstützen wollen.

Solches Tun ist insbesondere deswegen verwerflich, weil bekanntlich Mitbürger über 80, die 70 Prozent aller Coronatoten ausmachen, dafür berüchtigt sind, dass sie bedenkenlos bis in die Morgenstunden feiern, singen und tanzen, sich dabei noch die Kante geben.

Der «Tages-Anzeiger» muss ganz streng mit uns werden

Aber, so urteilt der Leitartikler streng, wir seien «immer noch gefährlich entspannt in Bezug auf einen zweiten Lockdown». Das muss sich aber radikal ändern, und dafür setzt der Autor zu einem eingesprungenen Rittberger mit doppelter Schraube an: «Paradoxerweise wird aber ein Lockdown umso wahrscheinlicher, je mehr sich die Botschaft, dass es ihn nicht geben wird, in den Köpfen festsetzt.»

Es ist verblüffend, mit welcher Geschwindigkeit sich das Narrativ geändert hat. Von einem allgemeinen «zweiter Lockdown: niemals», über «alles tun, damit es keinen zweiten Lockdown gibt» zu «Lockdown, warum nicht?»

Schlimmer noch, «wer einen Lockdown kategorisch ausschliesst, macht sich schlicht der Irreführung schuldig», behauptet der «Tages-Anzeiger», das Organ der weisen Menschenführung.

Koste es, was es wolle, ist doch egal

Dann tritt er noch dem Bundesrat Maurer ans Schienenbein, der festhielt, dass sich die Schweiz einen zweiten Lockdown schlichtweg nicht leisten könne. «So teuer diese Maximalmassnahme auch würde», was sei das schon im Vergleich zu vielen Menschenleben, entscheidet der Autor forsch.

Ist er damit am Ende angelangt? Aber nein, «die Verharmlosungen» müssten «endlich ein Ende» nehmen, fordert er. Auch auf die Gefahr hin, als Verharmloser denunziert zu werden: Das ist natürlich Schwachsinn. Unsinn, Brandgefährlich. Wirklichkeitsfern. Schlicht verantwortungslos.

Tadel aus dem sich leerenden Grossraumbüro

Man stelle sich vor, da sitzt ein Tagi-Redaktor im sich immer mehr leerenden Grossraumbüro, während auch sein Medium darüber jammert, wie sehr die Massnahmen gegen die Pandemie an die Substanz gehen. Und bevor er auch eingespart wird, fordert er geradezu seine Entlassung.

Damit hat er allerdings nicht ganz Unrecht; die Lücke, die er hinterliesse, würde ihn vollständig ersetzen. Aber es ist schon nassforsch, nachdem der erste Lockdown alleine in der Schweiz Schäden von geschätzt 100 Milliarden Franken anrichtete, locker vom Hocker die Möglichkeit eines zweiten in den Raum zu stellen.

Schon mal was von Verhältnismässigkeit gehört?

Was hier der fachfremde Bundesrat und Gesundheitsminister angerichtet hat, ist schlichtweg die grösste wirtschaftliche Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Aber es kann doch nichts zu teuer sein, wenn es um Menschenleben geht. Wer das bestreitet, ist ein materialistischer Unmensch.

Ich bestreite das, bin kein Unmensch und zudem in fachkundiger Gesellschaft. Alle Krankenkassen in der Schweiz sind gesetzlich dazu verpflichtet, die Verhältnismässigkeit einer Therapie zu prüfen, bevor sie die Kosten übernehmen. Ja, und zu dieser Prüfung gehört selbstverständlich auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung.

Denn sonst wären die Krankenkassenprämien nicht mehr länger schwer zu bezahlen, sondern unbezahlbar. Wer jeden Mitbürger als unverantwortlichen Hallodri darstellt, der es wagt, auf die eine oder andere Art das Leben etwas geniessen zu wollen, ist schlimmer als jeder Calvinist. Wer behauptet, nichts könne zu teuer sein, um Menschenleben zu retten, ist zudem ein verantwortungsloser Dummschwätzer.

Wo der Lohn herkommt, kümmert den Redaktor nicht

In Wirklichkeit verhält es sich natürlich umgekehrt als im Titel dieses Ergusses. Wer einen zweiten Lockdown herbeischreibt oder legitimiert, begeht einen verantwortungslosen Fehler.

Übersieht dabei die fatalen Schäden, das Absterben ganzer Branchen, Pleitewellen und Massenarbeitslosigkeit als mögliche Konsequenzen. Ist offensichtlich zu sehr daran gewöhnt, dass es ein Naturgesetz sei, dass er jedes Monatsende bis ans Lebensende seinen Lohn und dann seine Rente bekommt. Wo das herkommt, kümmert ihn nicht.

1 Antwort
  1. Marcella Kunz
    Marcella Kunz sagte:

    Bei den meisten Bundesräten/-innen hat man schon lange den Eindruck, dass sie die Tagi-Lektüre zur Entscheidungsfindung heranziehen. Das begann mit der Bündnerin.

    Antworten

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