Schlagwortarchiv für: Weltwoche

Wumms: Matthias Matussek

Die «Weltwoche» als Abklingbecken für ausgebrannte Journalisten.

Matussek hatte mal eine Karriere. «Stern», «Spiegel», dort sogar Leiter des Kulturressorts. Dann 2015 als Kolumnist der «Welt» entlassen.

Das verstärkte offenbar beim Zögling des von Jesuiten geführten Aloisiuskolleg das Gottvertrauen, dem er als bekennender Katholik auch öffentlich nachlebt. Seine Bemerkung, dass der liebe Gott das Klima mache, könnte man noch als Ironie abtun. Dass für ihn Homosexualität ein «Fehler der Natur» sei, ist schon anrüchiger.

Wie jeder Renegat neigt er zu Militanz: «Ich bin so leidenschaftlich katholisch, wie ich vor vierzig Jahren Marxist war. Warum? Weil mein Verein angegriffen wird.»

Schon immer eher Rechtsausleger, hatte er in den letzten Jahren zunehmend weniger Berührungssängste mit rechten Rändern, als selbsterklärter «Sympathisant der Identitären». Vom Satiremagazin «Titanic» wurde er vorgeführt, als er sich an einer fiktiv angebotenen Mitarbeit im US-Rechts-Magazin Breitbart interessiert zeigte.

In der «Weltwoche» hat er’s allerdings auch nicht leicht:

Dass er sich in der Kurzpolemik gegen die FAZ (was dem Schweizer Leser schwer an einem gewissen Körperteil vorbeigeht) gegen jegliche Reform in der Katholikenkirche ausspricht, wohlan.

Aber liebe Bildredaktion, das mit einem Foto einer evangelischen Kirche zu illustrieren, ist schon Realsatire. Dass es im Hintergrund Pace-Fahnen hat, ist noch nicht mal das Sahnehäubchen. Offenbar handelt es sich um die Trauung eines lesbischen Paares – der Katholik Matussek ist strikt gegen gleichgeschlechtliche Ehen.

Gottseibeiuns, das nennt man eine Bild-Text-Schere. Oder handelt es sich bei der WeWo-Bildredaktion um eine gottlose Veranstaltung?

Wumms: Christoph Mörgeli

 

These ist gut. Widerspruch ist schlecht. Also ist Weglassen Trumpf.

Christoph Mörgeli hat seine Sternstunden. Der gut fundierte Hinweis darauf, dass Tamedia im Glashaus nicht mit Steinen auf die Bührle-Sammlung schmeissen sollte, war hervorragend. Denn die Coninx-Sammlung böte auch Anlass zu vertiefter Untersuchung. Nur kommt das keinem kritischen, unabhängigen Raubkunst-Jäger im Hause in den Sinn. Warum bloss?

In der aktuellen «Weltwoche» geht Mörgeli aber mit einer spekulativen These auf die Pirsch – und landet im Gebüsch. «Wer unterdrückte in der NZZaS die Berichterstattung über Bundesrat Bersets Affären?», raunt er inhaltsschwanger.

Nun wird’s einen Moment kompliziert. Mörgeli enthüllte einen Seitensprung samt Amtsmissbrauch. Daraufhin wurde er zuerst mit Schweigen bestraft, dann mit Kritik überschüttet. Nur Peter Hossli fügte in der NZZaS die nette Note hinzu, dass sich Bundesrat Berset mit der Staatskarosse vom Liebesnest in Freiburg im Breisgau nach Bern zurückkutschieren liess.

Dann schrieb Kurt W. Zimmermann die Räuberpistole, dass Hossli eigentlich noch viel mehr Munition gehabt hätte, aber Jonas Projer, frisch im Amt, seinen ersten Fehlentscheid traf und die fertige, zweiteilige Story abwürgte.

Liegt alles nur im weit, zu weit gefassten Streubereich der Wahrheit. Das hätte Mörgeli auf ZACKBUM nachlesen können. Nun klappert er noch mit seiner These hinterher, dass eigentlich der pensionierte und abgehalfterte Ex-Chefredaktor Felix M. Müller als Berater von Projer seine Finger im Spiel gehabt hätte. Der fällt regelmässig mit peinlichen Medien-Kolumnen auf.

Lass weg, was deine Räuberpistole stört, meinte Mörgeli offenbar. Also zählt er die wenigen Organe auf, die auf Zimmis Story aufsprangen. In der kurzen Liste fehlt allerdings das Online-Medium, das am ausführlichsten und am besten drüber berichtete.

Die Bescheidenheit verbietet uns, seinen Namen zu nennen. Wir sind doch nicht vom Aff bisse.

Wandeln auf dünnem Eis

Ein veritabler Krimi: wurde in der NZZaS zensiert?

Medienkenner Kurt. W. Zimmermann liess in der «Weltwoche» eine kleine Bombe platzen. Chefredaktor Jonas Projer habe eine zweiteilige Story über das Liebesleben von Bundesrat Alain Berset gekippt.

«Reporter Hossli recherchierte monatelang über Bersets Liebesleben in seinem politischen Umfeld. Er redete mit mehreren Frauen, die intime Beziehungen zum Bundesrat hatten, unter anderem mit einer Diplomatin, einer Angestellten der Bundesverwaltung und einer Journalistin.»

Resultat: «Der erste Teil handelte von den diversen Gespielinnen des verheirateten Bundesrats und ging der Frage nach, ob Alain Berset dabei seine Macht und seine Privilegien missbraucht hatte. Im zweiten Teil ging Hossli auch auf das Thema ein, wie die Strafakten an die Öffentlichkeit gelangt waren, die im letzten Herbst die sogenannte Erpressungsaffäre Berset ausgelöst hatten.»

Soweit Zimmermann. Während die «Weltwoche» aus den ihr zugespielten Strafakten zitierte, trug Peter Hossli in der NZZaS noch das Detail nach, dass sich Berset von einem Liebeswochenende in Freiburg im Breisgau mit der Staatslimousine nach Bern zurückkutschieren liess. Allerdings ohne das in weitere Rechercheergebnisse einzubinden.

Man fragt sich nun, ob der Wechsel von Hossli an die Spitze der Journalistenschule von Ringier und der Abgang des Ressortleiters Hintergrund bei der NZZaS einen Zusammenhang mit dieser verhinderten Publikation haben.

Projer verteidigt sich in dieser ersten echten Bewährungsprobe in seinem Amt nicht sonderlich geschickt. Gegenüber Zimi soll er gesagt haben, dass er nicht bestätigen könne, dass es eine solche Berset-Story gegeben habe.

Nun tritt er auf persoenlich.com nach und erklärt, dass Artikel in der NZZaS erst dann publiziert würden, wenn eine Recherche hieb und stichfest sei und den hohen Qualitätsansprüchen der NZZ genüge.

Das heisst mit anderen Worten, dass das auf die Arbeit von Hossli nicht zutrifft, wenn nun allgemein akzeptiert ist, dass es die Recherche gab, der Artikel in zwei Teilen fertig geschrieben und laut Zimi juristisch überprüft vorlag und auch vom Ressortleiter Hintergrund befürwortet wurde.

Noch eins auf die Kinnlade von Projer

Hossli ist inzwischen zu Ringier gewechselt, auch Michael Furger ist von Bord gegangen und meldete sich auf Twitter zu Wort. Er kenne Hossli seit einigen Jahren und «keinen Journalisten, der höhere Qualitätsanforderungen an seine Arbeit stellt als er».

Das ist nun indirekt eins in die Kinnlade von Projer. Der hatte gerade die Chefredaktion auf- und umgeräumt und sich seiner Nummer zwei entledigt. Damit wollte er offenbar auch signalisieren: ich bin gekommen, um zu bleiben.

Es ist kein grosses Geheimnis, dass seine Einwechslung von «Blick TV» und seine Vergangenheit als Fernsehmann ohne grosse Printerfahrung nicht gerade Begeisterungsstürme bei der NZZaS-Redaktion auslöste. Zudem schmerzte die erst zweite Abservierung eines amtierenden Chefredaktors in der langen Geschichte der NZZ und der kurzen der NZZaS. Schliesslich gab es auch einen oder zwei interne Anwärter, die sich das Amt zugetraut hätten und auch gerne auf dem Chefsessel platzgenommen hätten.

Nun hat Zimmermann sicherlich nicht das Redaktionsarchiv der NZZaS geknackt und dort den Artikel von Hossli im Quarantänebereich gefunden. Natürlich wurde ihm das zugesteckt, und zwar entweder von Hossli selbst oder aus der Redaktion der Zeitung. Was bedeutet, dass wir an der Falkenstrasse so eine kleine Imitation der Verhältnisse in der Credit Suisse haben. Ein Heckenschütze versucht, Projer durch diese Indiskretion abzuschiessen.

Da ist die Frage, ob er – wie im Fall von Horta-Osório – noch mehr Pfeile im Köcher hat oder damit bereits am Ende seiner Möglichkeiten angelangt ist.

Zudem ist die Redaktion verunsichert, wie und ob ein weiterer Zusammenschluss mit der NZZ-Stammmannschaft stattfinden wird. Sollte die NZZ den Weg von Tamedia gehen, braucht es eigentlich nur mehr einen Frühstückdirektor bei der NZZaS. Oder Eric Gujer regiert gleich direkt durch.

Wirrungen und Weiterungen

Diese bislang von Projer leicht verstolperte Affäre könnte Anlass bieten, so aufzuräumen. Dann wären seine Gegner zwar Projer losgeworden, dafür aber direkt in die harte Hand von Gujer gefallen.

Lustige Ausgangslage: wer bei der NZZaS möglichst viel Autonomie behalten möchte, muss eigentlich Projer unterstützen. Ob der ihm passt oder nicht. Projer wollte auf Anfrage keine Stellung nehmen.

Lustig ebenfalls: Hossli sitzt nun auf einem fertiggeschriebenen Doppelstück, das zumindest die juristische Prüfung überstanden habe. Ob es qualitativ wirklich mässig ist? Das könnte man erst beurteilen, wenn es veröffentlicht würde. Auch er reagierte nicht auf eine Anfrage.

Nun ist es so, dass normalerweise der Autor im Besitz der Recht an seinen Werken ist. Nachdem Hossli bei der NZZaS nicht mehr in einem Abhängigkeitsverhältnis steht, es ganz danach aussieht, dass er seine neue Stelle als Leiter der Journalistenschule bei Ringier nicht als Kurzzeitengagement sieht, könnte er natürlich …

Schon alleine, um zu belegen, dass einer, der Journalisten ausbildet, sich den Vorwurf nicht gefallen lassen kann, er liefere qualitativ ungenügende Artikel ab. Auf der anderen Seite ist bekannt, dass das Haus Ringier und sein CEO dem Bundesrat Berset nicht unbedingt kritisch gegenüberstehen.

Man könnte es also so formulieren: würde Hossli seine Story anderweitig publizieren, hätte er ein zumindest arbeitsrechtliches Problemchen mit der NZZ. Zudem würde es dann wohl mit seinem Stellenantritt bei Ringier nichts. Also wird er das lassen.

Nun ist es unbestreitbar so, dass Christoph Mörgeli von der «Weltwoche» das Thema «Liebesleben eines Bundesrats» an die Öffentlichkeit brachte. So wie Zimi für seinen Artikel angefüttert wurde, bekam auch Mörgeli entsprechendes Material zugespielt. In beiden Fällen ist die spannende Frage: von wem?

Und Er heisst Köppel?

Der Mann kann was. Aber er ist nicht allmächtig.

Was über alles für Roger Köppel spricht: er ist der einzige Verleger, Herausgeber, Besitzer und Chefredaktor, den man in seinem eigenen Blatt kritisieren kann. Das schreibt ZACKBUM völlig schleimfrei, weil nicht nur wir das schon tun durften. Denn sein Kriterium ist einzig: wenn’s gut und anregend geschrieben ist, hat’s Platz in seiner «Weltwoche».

Allerdings verkörpert er auch als Einziger eine solche Personalunion und damit Machtvielfalt, sozusagen seine eigene Dreifaltigkeit. Hier kann kein Verleger, und erst recht kein Besitzer dem Chefredaktor sagen: lass den Quatsch, sonst knallt’s. Wenn schon, dann knallt’s unter ihm. So hat er nicht immer ein glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Mitarbeiter oder gar Stellvertreter. Kenneth Angst, gerade nach einer üblen Affäre bei der NZZ in hohem Bogen herausgeflogen, denn deren Firmen-Kreditkarte sollte man nicht unbedingt im Rotlichtmilieu missbrauchen, konnte er bei der WeWo an Bord gehen. Kurzer Ausflug.

Viel länger hielt sich Philipp Gut auf dem Posten. Solidarisch, treu, Köppel konnte «fass» sagen, und Gut schnappte zu, verbiss sich und liess nie mehr los. Selbst Gerichtsurteile konnten ihn davon nicht abhalten. Dann zackiger Abgang, «nicht ganz freiwillig» mehr weiss man nicht. Auch hier: keine übergeordnete Kraft, die Köppel mal kurz in den Senkel stellte.

Die Auswahl des Personals ist nicht seine Kernkompetenz 

Auch Hanspeter Born (Toast Hawaii), wohl der einzige Journalist der Welt, der einen Täter freigeschrieben hat, kommt auch nach seiner Pensionierung immer wieder zu Gastauftritten. Urs Gehriger, mehrfach des Plagiats überführter «Auslandchef», echter Groupie von Donald Trump (und dessen Frau!): beim wiederholten Mal ein strenger Blick von oben, angebliches Opfer «interner Massnahmen», aber sonst: weiter so, Ausland ist weitgehend gegendarstellungsfrei, weiss man doch.

Dann füllt sich das Blatt mit der Krankheit Kolumnitis wie kein zweites. Darunter edle Federn, aber auch Abgehalftertes wie Hansrudolf Kamer, pensionierter Auslandchef der NZZ, mitten im Abklingbecken von ehemaligen Weltenordnern. Andreas Honegger, ehemaliger Zürich-Chef des Weltblatts, der schon damals sehr viel Zeit in Restaurants verbrachte. Oder Anabel Schunke, Postergirl von achgut.de und anderen Selbstbestätigungsplattformen. Claudia Schumacher, die das letzte Tröpfchen Langeweile aus dem Thema Liebe, Beziehungen und Sex rauspresst. Ganz zu schweigen von Tamara Wernli, die flacher als ein Blatt Papier schreibt.

Aber den Vogel schiesst Köppel gerade mit einem Wiederholungstäter ab. Das muss man schon beinahe pathologisch nennen. Denn Tom Kummer begleitet ihn schon seit vielen Jahren. Bereits im «Magazin» des «Tages-Anzeiger» durfte das Relotius-Vorbild seine Lügen- und Fakestorys veröffentlichen. Den Kollegen von der Süddeutschen kostete das den Job.

Und immer wieder grüsst der Faker

Nichtsdestotrotz bekam Kummer weitere Chancen in der WeWo. Und füllte das Blatt, wen wundert’s, mit Fake News. Resozialisierung, zweite Chance, Köppel war ganz als Mutter Theresa gestimmt. Und wieder fehlte ein Vorgesetzter, der ein Machtwort sprach: Köppel, lass den Quatsch. Kummer flog, Kummer fliegt wieder hinein. Und Köppel wird ein weiteres Mal auf die Schnauze fliegen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Checks and Balances ist nicht nur in der Politik eine gute Sache. Wenn das fehlt, kommt es hierzu:

«Wir freuen uns, Ihnen den Berner Schriftsteller Tom Kummer als neuen freien Mitarbeiter der Weltwoche vorstellen zu dürfen.»

Der soll angeblich einen Sohn haben, der in New York wohne, wo ihn Kummer besucht habe. Das schlägt nun alles.

Dem glaubt man nicht mal ein Selfie:
das soll Tom Kummer sein, möglicherweise vor Fototapete.

Schliesslich fehlt eine leitende Hand von oben, um Köppel vor sich selbst zu schützen. Denn der Workoholic mit täglichem Morgengrauen-Videocast, der unermüdliche Schaffer und Schreiber, der mehr Energie im kleinen Finger hat als ganze Redaktionen in allen Händen, schreibt auch ein markig mit «R.K.» gezeichnetes Editorial.

Eigentlich immer seiner nach Jahren etwas ausgeleierten Doktrin folgend: gegen den Strom. Was alle gut finden, finden wir aus Prinzip schlecht. Wenn alle Donald Trump bashen, entdecken wir seine staatsmännischen Seiten. Wenn alle Steve Bannon für einen geschwätzigen Vollidioten halten, der es sogar schafft, sich selbst aus rechtsgewirkten Plattformen zu kübeln, dann laden wir den nach Zürich ein und wollen uns in seiner aschgrauen Sonne glänzen sehen.

Auch ein Gottgleicher kann nicht alles

Vor allem aber, wenn es philosophisch wird, spielt Köppel leider ziemlich oberhalb seiner geistigen Gehaltsklasse. So bezeichnet er in seinem jüngsten Editorial den tief angebräunten Schwulstschwätzer aus dem Schwarzwald, den ehemaligen Nazi-Rektor und Lobhudel der braunen Pest, also den völlig zu Recht bis heute verfemten Martin Heidegger, als «Über-Philosophen», als «enttäuschten Katholiken», der nie über Nietzsche hinweggekommen sei.

Dabei ist dessen mystisches Geraune über Gesamtzusammenhänge der Welt als «Geviert» zutiefst kontaminiert durch seine NSDAP-Mitgliedschaft von 1933 bis 1945. Als Rektor der Freiburger Universität (und Nachfolger eines SPD-Rektors) salbaderte er über «Grösse und Herrlichkeit des Aufbruchs» der Nazis, war unbedingter Anhänger des Führerkults und mit einem Wort ein in der Wolle gefärbter Faschist.

Bis heute eigentlich nicht zitierfähig, abgesehen davon, dass sein schwülstiges Werk schwer verständlich ist und ohne Verluste an Erkenntnis ignoriert werden kann. Aber das ist für Köppel leider nur die Einleitung zu seinem eigenen Glaubensbekenntnis:

«Ich behaupte: es muss eine gütige Vorsehung geben, einen gnädigen Gott.»

Der Pfarrer von der Kanzel könnte es nicht besser: «Spielt es eine Rolle, ob wir an Gott glauben? Gottseidank glaubt Gott an uns.» Um mit einem urbi et orbi zu schliessen: «Fürchtet euch nicht. Bald ist Weihnachten.»

Nun ist Glauben Privatsache. Schon Bob Dylan sang:

But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed
You’re gonna have to serve somebody
Well, it may be the devil or it may be the Lord
But you’re gonna have to serve somebody

Aus dieser Verirrung kam er dann auch wieder heraus, damals besass er noch eine Singstimme, und zusammen mit Mark Knopfler war das ganz schön rhythmisch inszeniert. Bei Köppel muss man bedauern, dass er selbst gottgleich über seiner Redaktion thront. Die darf zwar schon widersprechen, so ist’s nicht. Aber vor und nach Weihnachten entscheidet dann nur einer.

The Man. The Boss. Der, der keinen über sich hat und sich vor keiner Fehlentscheidung fürchtet.

 

Packungsbeilage: René Zeyer schreibt mehr oder minder regelmässig in der «Weltwoche». Weniger über Gott, mehr über die Welt.

Bonus: Geldflüsse einer Netzaktivistin

Dieser Artikel erschien am 14. Oktober in der «Weltwoche»; gleicher Autor.

Es kracht im Verein von Jolanda Spiess-Hegglin. Die Nationalrätinnen Tamara Funiciello und Greta Gysin sind Knall auf Fall vom Präsidium zurückgetreten. Liegt es an den Finanzen?

Gerade hatten die Co-Präsidentinnen des Vereins Netzcourage einen Zwischenbericht unterzeichnet. Alles super, alles bestens, alles gut unterwegs.

Eine Woche später der Paukenschlag: Doppelrücktritt per sofort. Plötzlich decken sich die Vorstellungen der Nationalrätinnen Tamara Funiciello (SP, BE) und Greta Gysin (Grüne, TI) nicht mehr «mit den Vorstellungen der Geschäftsführerin» Jolanda Spiess-Hegglin. Wer die Verhältnisse in dem Verein kennt, ist darüber wenig erstaunt.

Kleiner Konzern

Seitdem Spiess-Hegglin durch ein feuchtfröhliches Beisammensein an einer Zuger Politikerfeier in die Schlagzeilen geriet, will sie ihre Privatsphäre schützen und in Ruhe gelassen werden. Das tut sie so lautstark und auf allen Kanälen, dass sie damit inzwischen ihren Lebensunterhalt bestreiten kann.

Sie ist in verschiedenen Funktionen, meistens als Geschäftsführerin, bei einem kleinen Konzern tätig, der sich um ihren Verein Netzcourage herum gebildet hat. Dazu gehört die Denunziationsmaschine Netz Pig Cock, Netz Misogyny, Winkelried & Töchter GmbH, Netzambulanz und Netzambulanz 2021.

Für dieses «Kompetenzzentrum» in Sachen gender-based cyber violence (GBCV), also für die «langfristige Bekämpfung digitaler Gewalt gegen Frauen», hat sie beim Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG), angesiedelt im Innendepartement von Bundesrat Alain Berset (SP), eine Finanzhilfe von 191 800 Franken beantragt – und das Steuergeld bekommen. Da solche Finanzhilfen nur bis zu einem Betrag von maximal 50 Prozent der Gesamtkosten ausgerichtet werden, belaufen die sich laut Antrag auf 401 800 Franken.

Nach Berufung auf das Öffentlichkeitsgesetz rückte das eidgenössische Gleichstellungsbüro nun den Antrag samt Beilagen heraus. Allerdings bleibt man verwirrt zurück, wenn man Zweck, Zielsetzung, Leistung, Leistungsmessung und ähnliche Kleinigkeiten erfassen will. Klar ist nur: Das Geld wurde für zwei Jahre gesprochen. Und die neunzehn Seiten (plus Beilagen) sind angefüllt mit pseudosoziologischem Jargon.

«Think-Tank à la Avenir Suisse»

Schon alleine die Definition der Betroffenen ist absurd:

«Gewalt an Frauen ist entsprechend inklusive, respektive inkludierend, als Gewalt an Menschen, die Gewalt erleben, weil sie sich ganz und/oder teilweise als weiblich identifizieren, ganz und/oder teilweise als weiblich gelesen werden und/oder weiblich sozialisiert wurden, zu verstehen. Die Definition von ‹Frau(en)› lautet demzufolge: Frau(en), inter, nonbinäre und Transmenschen.»

Schwer verständlich ist auch, was mit dem Geld angestellt werden soll. «NetzAmbulanz 2021 soll punkto Online-Gewalt (GBCV) zum schweizweiten Kompetenzzentrum avancieren», heisst es in dem Gesuch. Man wolle eine «Soforthilfestelle» werden, ein «Think-Tank à la Avenir Suisse», «Teil eines Multiprojekts» und ein «Netzwerk», das «Expertise und Beratung» anbiete.

Warum das alles nötig sein soll? Gender-based cyber violence habe in den letzten Jahren rasant zugenommen, wird behauptet und das Ganze im Gesuch mit hübschen Grafiken untermalt. Nur ist es völlig unerfindlich, woher die zugrundeliegenden Zahlen kommen.

Nur einmal macht Netzcourage den Fehler, absolute Zahlen zu nennen. Man habe eine Umfrage durchgeführt, von der sich «97 Datensätze» (!) auswerten liessen. Da der Fragebogen «frei zugänglich« gewesen sei, könne eine «Rücklaufquote nicht exakt bestimmt werden».

Auf die Frage nach möglichen Risiken des Projekts lautet die Antwort: «Das Hauptrisiko wird momentan vor allem darin gesehen, dass die Zunahme an Fällen überproportional sein wird.» Das ist so schwierig zu behaupten wie zu bestreiten, da es keine Fallstatistiken gibt.

In der Beilage «Organisation» sind leider alle Namen eingeschwärzt, was noch verständlich sein mag, allerdings auch alle Qualifikationen der Mitarbeiter, was doch überrascht. Man kann ihr lediglich entnehmen, dass neben der «projektleitenden Person» – Adresse 300 Meter Luftlinie vom Wohnsitz Spiess-Hegglins entfernt – sieben weitere Mitarbeiter auf der Payroll stehen.

Aus dem «Budget» geht vor allem hervor, dass Ausgaben von 401 800 Franken haargenau Einnahmen von 401 800 Franken gegenüberstehen, darunter angeblich 150 000 Franken «Eigenleistungen». Hinzu kommen insgesamt 60 000 Franken vom Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt, vom Lotteriefonds des Kantons Zug und von der Stadt Zug.

Verblüffende Zahl

Nach lauter öffentlicher Kritik an den undurchsichtigen Verhältnissen hat Netzcourage Ende September blitzartig einen «EBG-Zwischenbericht», ein «Kommunikationskonzept» und einen «Code of Conduct» ins Netz gestellt. Den Zwischenbericht hatten noch die damaligen Co-Präsidentinnen Funiciello und Gysin unterzeichnet. Auch hier eine verblüffende Zahl: «Im Zeitraum zwischen März und September 2021 haben wir insgesamt 67 Personen unterstützt

Wogegen? Die sogenannte «strafrechtliche Relevanz» von Handlungen gegen die unterstützten Opfer äussert sich so, dass in gerade einmal 11 Fällen ein Strafantrag gestellt wurde. Also in 56 nicht.

Bezüglich der Auflagen, die das eidgenössische Gleichstellungsbüro dem Verein nach der öffentlichen Kritik mitgab, ist man laut Zwischenbericht nicht wirklich weitergekommen. So ist eine Prüfung durch die Zertifizierungsstelle für Non-Profit-Organisationen (Zewo) «geplant» – für Sommer 2022.

Der geforderte Einsatz von «qualifiziertem Fachpersonal» wird mit folgender Begründung als erfüllt erachtet:

«Jolanda Spiess-Hegglin, Geschäftsführerin #NetzCourage, arbeitet als Projektleiterin 70 Prozent für die #NetzAmbulanz und ist zuständig für Fälle mit Öffentlichkeitsrelevanz und/oder medialer Komponente.»

Es gibt nur noch eine weitere konkrete Zahl in dem Bericht: Bislang wurden seit März dieses Jahres rund 110 000 Franken ausgegeben, grösstenteils für «Personalkosten». Bei der geforderten Dokumentation der bezahlten Arbeitsstunden hapert es dann schon wieder: «Aufgrund der vielen Personalwechsel und Neuverteilung der Rollen ist eine einheitliche Dokumentation der Arbeitszeit erst ab Juni 2021 möglich.»

Es stellen sich also viele Fragen: Gibt es eine Abtrennung von persönlichen Kosten der Geschäftsführerin, klar aufgeschlüsselte Personalkosten, konkrete Tätigkeiten mit Leistungsnachweis oder zumindest eine Erfassung von bezahlten Arbeitsstunden? Gibt es Leistungsversprechen, Zielsetzungen, klar definierte Mittel zu deren Erreichung? Herrscht Transparenz, wie sie angesichts der Verwendung von Spenden- und Steuergeldern für jeden Verein selbstverständlich ist, zumal wenn er das Zewo-Prüfsiegel erwerben will?

Machen wir es kurz: Nichts davon ist hier vorhanden. Wie heisst es im Antrag? «Die Volatilität des Aufgabengebiets verlangt eine gleitende Budgetierung.» Trotzdem teilt Greta Gysin mit, Transparenz sei ein «zentrales Anliegen von Tamara Funiciello und mir».

«Eher Richtung Gnadenhof»

Es gibt weitere Fragezeichen. Nachdem Spiess-Hegglin zum zweiten Mal einen Prozess krachend verloren hat, beklagt sie, dass die Auseinandersetzungen vor Gericht sie rund 300 000 Franken gekostet habe. Das zahle kein «reicher Onkel. Sondern mein Mann und ich, privat, mit unserem Ersparten». Weder ihre Anwältin noch Spiess-Hegglin selbst wollten Stellung nehmen, wie genau diese gigantische Summe zusammengekommen sei.

Die Kämpferin gegen Hass und Hetze veröffentlichte dafür die Fragen auf Twitter und Facebook, um ihre Fan-Gemeinde zur üblichen Schnappatmung zu treiben (Duftmarke: «Der hat das Hirn in der Eichel, ekelhaft»). Und sie hetzte sogar selber mit. Der Fragesteller sei «zackdoof», teilte sie in den sozialen Medien mit, dazu «altersmässig eher Richtung Gnadenhof».

Höchste Zeit, dass der Bund hinschaut, wie hier Steuergelder eingesetzt werden.

Bundeshaus im Sturm

Ist Trump überall? Was geschah in der Nacht zu Bern? Ein Sturm im Wasserwerferglas?

Berset, Amtsmissbrauch, Staatsaffäre? I wo, es gibt Schlimmeres. Nämlich demonstrierende Corona-Skeptiker. Leugner, Aluhutträger. Verschwörungstheoretiker. Gewaltbereite Staatsfeinde. Erst noch Tausende davon versammelten sich am Donnerstagabend zu einer unbewilligten Demonstration in Bern.

Normalerweise sieht man dann solche Fotos:

Hoppla, das obere stammt von einem der Krawalle vor der Berner Reitschule.

Wie man aber auf dem unteren Foto sieht, gab es ernsthafte Versuche, das Bundeshaus zu stürmen. So sieht das zumindest der «Blick».

Im Thurgau gelungen, zu Bern verhindert.

Brechen in der Schweiz nun auch amerikanische Verhältnisse aus? «Sturm aufs Bundeshaus», das liegt brandgefährlich nahe beim «Sturm aufs Kapitol». Wir erinnern uns: nach seiner Wahlniederlage stimulierte der Loser Donald Trump seine Anhänger dazu, zum Kapitol zu marschieren. Was dann dort geschah, das wollte er natürlich nicht verantworten.

Ist es nun in der Schweiz auch so weit? War das der erste, untaugliche Versuch, Hand an das Symbol der Schweizer Demokratie zu legen? Gehen geistig verwirrte Coronaleugner den gleichen Weg wie enthemmte Trump-Anhänger? All diese Fragen stellen sich die Mainstream-Medien schreckensbleich.

Auch Tamedia befürchtete das Schlimmste.

Für ein Mal fasst «watson» die der Massendemonstration folgende verbale Aufrüstung gut zusammen:

Dem «Blick» ist es zudem gelungen, einen Hintergrund zu den Ausschreitungen auszuleuchten:

Wir fragen uns: haben denn wieder die «Freiheitstrychler» des Grauens die Massen aufgepeitscht, möglicherweise angeführt von Bundesrat Maurer? Musste die Sondereinheit Tigris der Bundespolizei eingreifen? Man weiss nichts Genaues, aber das hier ist dokumentiert:

War das der Anfang der Ausschreitungen?

Können wir wieder eine Linie ziehen:

Lärm von Kuhglocken – Ueli, der Treichler – Gewalt und Chaos vor dem Bundeshaus – Sturm auf die Bundeskuppel?

Aber immerhin, diesmal setzt CH Media die richtigen Prioritäten, muss lobend erwähnt werden:

Das «Tagblatt» verknüpft die Ostschweiz mit dem Triumphbogen in Paris.

Aber zurück zur Nacht des Grauens; wie war es denn wirklich in Bern? Schliesslich haben doch die grossen Medienkonzerne allesamt Bundeshausredaktionen. Das gehört schliesslich zur Grundversorgung mit Informationen, dafür müssen die Verlegerclans dringend eine weitere Subventionsmilliarde erhalten. Die sind doch sicherlich alle ausgeschwärmt, um die Schweizer Bevölkerung mit Informationen aus erster Hand zu versorgen.

Im Prinzip ja. In der Praxis zitiert der «Blick» einen «SDA-Reporter», der offenbar mutterseelenallein vor Ort war. Alles andere wurde in den Verrichtungsboxen im Newsroom aus dem Internet gesaugt. Das ist der Qualitätsjournalismus von heute.

Wie endete dann die Krawallnacht? Nun, ungefähr so:

Pardon, das ist schon wieder ein Foto einer Krawallnacht der friedliebenden Anhänger der Berner Reitschule.

Knutschkugel Berset

Die WeWo zündet eine Bombe. Die Mainstream-Medien in Schockstarre.

Das Wochenmagazin wirft dem Bundesrat Alain Berset Unerhörtes vor. Zwecks Bodigung der Folgen einer ausserehelichen Affäre habe der seine Machposition brutal ausgenützt.

Genauer: Der SP-Politiker habe «die Unwahrheit gesagt, Bundesbeamte missbraucht und Steuergelder verschleudert». Happige Vorwürfe; sollten sie sich bewahrheiten, haben wir eine veritable Staatsaffäre.

Was wir jetzt schon haben, ist eine Medienaffäre. Ab Donnerstagmorgen spätestens um 7 Uhr war die «Weltwoche» mit ihrem Cover am Kiosk erhältlich. Mit einer Bombenstory, mitten hinein ins langweilige Grau der Bundespolitik. Ein gefundenes Fressen für alle Medien.

Nur: kein Schwein schaut. Einzig «Inside Paradeplatz» berichtet sofort, was dort die Klickzahlen durch die Decke jagt, über 100’000 Leser hat der Artikel inzwischen. Rekord. Es berichtete noch «Die Ostschweiz» und natürlich ZACKBUM über die Medienresonanz.

Über 100’000 and counting: Klick-Rekord für den Finanzblog.

Was ist aber mit Tamedia, CH Media, Ringier, NZZ und SDA? In ihren Verrichtungsboxen in den Newsrooms sind die Kindersoldaten doch darauf getrimmt, jede Meldung sofort aufzunehmen, die Klicks generieren könnte. Denn das ist die Währung im Tagesgeschäft der Newsverbreitung.

Blick in einen Schweizer Newsroom.

Aber Wunder über Wunder: nichts ist. Schweigen herrscht. Man kann nun annehmen, dass es erst Chefentscheide brauchte, ob man der ungeliebten Konkurrenz, dem «SVP-nahen Organ», der Köppel-Postille den Gefallen tun soll, sie zu zitieren. Und Chefs stehen üblicherweise nicht so früh auf wie Roger Köppel, der in aller Herrgottsfrühe bereits die Schweiz mit seinem «Weltwoche Daily» beschallt.

Schweigen im Blätterwald, dröhnendes Schweigen

Aber der Donnerstag geht ins Land, nichts. Nichts am Morgen, nichts am Mittag, nichts am Nachmittag. Die vielen rasenden Reporter von SRF haben es selbst einen Tag später noch nicht für nötig gehalten, den wohl grössten Polit-Skandal seit Elisabeth Kopp zur Kenntnis zu nehmen. Bei der ersten Bundesrätin reichte übrigens das Herumdrucksen wegen eines Telefonats an ihren Gatten, damit sie so unter Druck geriet, dass sie zurücktrat.

SRF-Top News am Tag danach: gut investierte Gebührenmilliarden.

Aber doch nicht bei unserem Gesundheitsminister. Der trägt doch immer so scharf geschnittene Anzüge mit schmalen Krawatten, endlich etwas Clooney-Effekt in Bundesbern. Der hat doch so einen süssen welschen Akzent, und dann diese Augenbrauen unter der Glatze. Eine Knutschkugel halt.

Erst gegen Abend – und wie von seiner Kommunikationsabteilung bestellt – wagen sich CH Media, NZZ, Tamedia und «Blick» an das Thema heran. Allerdings alle mit dem Tenor: ach, alles halb so wild. Die WeWo, typisch Parteiblatt, übertreibt masslos.

Die Pille danach: die alte Tante rafft sich endlich auf.

Anhand des jetzigen Wissensstands werde die Affäre für den Gesundheitsminister kaum politischen Konsequenzen haben, meint die NZZ staatstragend. Sie will immerhin wissen, dass die Geliebte fälschlicherweise Geld für eine Abtreibung einer vom Bundesrat hergestellten Leibesfrucht gefordert habe, es handle sich in Wirklichkeit um die Einnahme einer Pille danach.

Das Recherchierblatt will sogar wissen: «Polizeiliche Ermittlungen legen offenbar den Schluss nahe, dass es sich bei der angeblichen Abtreibung um die Einnahme einer sogenannten Pille danach gehandelt haben dürfte – allerdings mehrere Monate nach Beendigung der Beziehung mit Berset, also im Zusammenhang mit einem anderen Partner. Die Konfrontation mit diesen Fakten soll die Künstlerin dazu bewogen haben, die schriftliche Vereinbarung mit Berset zu unterzeichnen.»

CH Media vermeldet, dass SVP-Nationalrat Alfred Heer in der Aufsichtskommission den Antrag stellen wird, diese Affäre genauer zu untersuchen. Was bedeutet: das wird dauern und das Resultat wird keinen Menschen mehr interessieren, wenn es publiziert wird.

CH Media, aufgewacht nach Tiefschlaf.

Tamedia hat immerhin vier seiner wenigen verbleibenden Journalisten in die Schlacht geworfen, um zu titeln: «Weltwoche» erhebt schwere Vorwürfe gegen Bundesrat.» Eingeschnappt vermeldet der Konzern, dass sich die WeWo auf eine Strafakte beziehe, «die dieser Zeitung nicht vorliegt.

Ob alle Informationen korrekt und vollständig wiedergegeben sind, lässt sich daher nicht verifizieren».

Bei CH Media wird Parteigenossen von Berset natürlich die Gelegenheit zum Zünden der üblichen Blendgranate gegeben: «Parteikollegen von Berset versuchen, die Aufregung als parteipolitisch motiviert darzustellen. Schliesslich stammt die Artikelserie von Ex-SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli, und das Magazin wird von SVP-Nationalrat Roger Köppel herausgegeben. Und nun beantragt SVP-Nationalrat Heer eine Untersuchung der GPK.»

Alles easy, alles gut: der «Blick» knutscht den Bundesrat von oben und unten ab.

Den Vogel schiesst aber der «Blick» ab. Der nähert sich dem Halszäpfchen des Bundesrats von unten und knutscht gleichzeitig den Magistraten von oben ab. Muss man mal hinkriegen.

  • Sondereinheit Tigris im Einsatz? Ach, da gab es eben Drohungen aus Deutschland, und wusste man, ob die Erpresserin damit nichts zu tun hatte? «Involvierte sprechen von einer «Gefährdungssituation». Es war unklar, ob das Erpresser-Mail damit in Verbindung stand oder nicht.»
  • Amtsmissbrauch? Ach was, «da die Erpresserin aus Bersets persönlichem Umfeld stammte, schaltete der Innenminister gleichentags privat den Berner Anwalt Patrik Eisenhut ein
  • Missbrauch von Bundesbeamten? I wo, «die Vorwürfe lassen sich kaum stützen. So hat Bruhin (Bersets Stabschef, Red.) wohl etwa zwei Arbeitsstunden fürs Bearbeiten der Erpressung aufgewendet – auch weil man die Verbindung zur Gefährdungslage eruieren musste, sagen zwei Involvierte».
  • Verfahren gegen Berset? Ausgeschlossen, hingegen müsse die WeWo mit einer Anzeige wegen Verstosses gegen das Amtsgeheimnis rechnen, unkt «Blick».

Peinlich ist gar kein Ausdruck, wie die grossen Medienhäuser mit dieser Affäre bislang umgehen. Nur dem Schweizer Farbfernsehen kann man keinen handwerklichen Fehler vorwerfen. Wer die Hände im Schoss hat, macht keinen.

Skandalträger links, Hutträger rechts.

Berset-Bombe: Betretenes Schweigen

Schweizer Politik ist langweilig. Ist sie’s mal nicht, wird drüber geschwiegen.

 

Es war die Ente des Nachrichtenmagazins «Facts». Es berichtete 1999 in Andeutungen darüber, dass sich angeblich ein aus einer Stumpendynastie stammender Bundesrat im Berner Rotlichtmilieu herumtreiben würde.

Selbst wenn man das hätte belegen können: das tut man in der Schweiz nicht. «Facts» krebste zurück, der Chefredaktor entschuldigte sich, die übrigen Medien schäumten über diese Grenzüberschreitung, diesen Tabubruch.

Seither ist das Liebesleben führender Politiker wieder Privatsache. Bis Alain Berset kam. Über ein aussereheliches Techtelmechtel des lebensfrohen Bundesrats wurde mit mehr oder minder langen Fingern berichtet. Und es flugs als seine Privatangelegenheit erklärt, in der nur Schmutzfinken und/oder politische Gegner herumwühlen wollten.

Sogar der Name der Angebeteten machte mehr oder minder verhüllt die Runde, es solle sich um eine Musikerin handeln. Pikant: sie werde von einem der vielen Subventionstöpfe des Schweizer Staates unterstützt. Aber damit entschlief die Story auch selig.

Bis nun die «Weltwoche» eine Bombe platzen liess. Laut Untersuchungsakten habe es tatsächlich eine mit Dokumenten belegte, heisse aussereheliche Liebesaffäre des Magistraten gegeben. Das sei im Jahr 2012 geschehen, im November 2019 habe dann die abgelegte Geliebte von Berset die Übergabe von 100’000 Franken gefordert; zur Begleichung von angeblichen «Schulden» und für die Kosten, die eine Abtreibung verursacht habe.

Ein Skandal? Was für ein Skandal, meinen die Mainstream-Medien.

Damit wurde die pikante Beziehung öffentlich; Berset reichte Strafanzeige ein, die Dame wurde wegen versuchter Erpressung verurteilt. Im Vorfeld hatte der Bundesrat seinen Stabschef damit beauftragt, mit der Erpresserin Kontakt aufzunehmen und sie von ihrem Vorhaben abzubringen, an die Öffentlichkeit zu gehen oder Kontakt mit Bersets Frau aufzunehmen.

Zitate aus brisanten Untersuchungsakten, fröhlich enthüllt

Laut Untersuchungsakten soll die Dame per E-Mail gedroht haben:

«Wenn herauskommt, dass Herr Bundesrat seine Frauengeschichten durch einen vom Staat finanzierten Sekretär abhandeln lässt, könnte sich die Täterrolle wegen Amtsmissbrauchs auf Ihren Chef wenden.»

Da war dann natürlich Feuer im Dach, die Affäre wollte «alles auf den Tisch legen» an die Öffentlichkeit gehen und Strafanzeige wegen Nötigung und Amtsmissbrauch stellen.

Daraufhin wurde die Frau von der Elite-Einsatztruppe «Tigris» der Bundesanwaltschaft verhaftet, ihre Wohnung durchsucht und ihre Computer beschlagnahmt. Am 14. September 2020 wurde sie wegen «versuchter Erpressung» verurteilt. Dann die plötzliche Wende, laut «Weltwoche»:

«Plötzlich nahm sie per vierseitigem zivilrechtlichem Dokument unter Entschuldigung an die Adresse des Ehepaars Berset sämtliche Vorwürfe zurück. Weder habe ihr Alain Berset ein späteres gemeinsames Leben versprochen noch sei sie von ihm schwanger gewesen noch habe er sie zum Abbruch der Schwangerschaft genötigt und dafür 100 000 Franken versprochen.»

Eine Stillschweigensvereinbarung legt den Mantel des Schweigens über die Vorfälle, im Gegenzug soll BR Berset auf alle Forderungen wie Parteienentschädigung verzichtet haben.

Sollten diese Exzerpte von offiziellen Untersuchungsakten zutreffend sein, handelt es sich um einen veritablen Politskandal, käme endlich Farbe in den beamtengrauen Berner Bundesratsalltag. Wäre das Überstülpen eines Treichler-T-Shirts Pipifax dagegen.

So sieht ein Skandal aus – laut Tamedia.

Darüber schüttete Tamedia auf einen Schlag drei Artikel, geschrieben von vier der wenigen überlebenden Redaktoren. Hier wird nun einem Magistraten Amtsmissbrauch und der Einsatz von Herrschaftsmitteln sowie Personal vorgeworfen, um aus einer Liebesaffäre so unbeschädigt wie möglich herauszukommen.

Sollte sich das bewahrheiten, wäre das ein Knaller, der möglicherweise mit einem Rücktritt enden müsste. Also eigentlich DAS Thema des Tages, wenn nicht der Woche.

Vom Treicheln betäubt oder neidisch?

Status im Mediensumpf: dröhnendes Schweigen. Null, nix, nada. Gar nicht erst ignorieren, kein Wort drüber. Was macht eigentlich Bundesrat Maurer, was gibt’s zum Abendessen und wird es am Wochenende wohl regnen?

Erst nach längerem Grübeln erschienen am Donnerstagabend die ersten Meldungen in der NZZ, Tamedia oder auf CH Media. Tenor: alles kein Ding, Privatsache, kein Fehlverhalten des Bundesrats erkennbar.

Geradezu abenteuerlich legt sich der «Blick» für den Bundesrat ins Zeug. Der Einsatz der Sondereinheit «Tigris» habe damit zu tun, dass BR Berset damals mit Drohanrufen belästigt worden und es nicht klar gewesen sei, ob die Erpresserin damit etwas zu tun habe.

Der «Blick» wäscht weisser.

Damit wird der Berset-Skandal noch zu einem Medien-Skandal. Bei allem Neid, bei allem Hass, bei aller Aversion gegen die «Weltwoche»: das ist nun ein Primeur erster Güte, der sofort vermeldet werden müsste. Wenn der Journalismus der Mainstream-Konzerne noch Minimalanforderungen an Qualität und Berichterstatterpflicht genügen würde.

Es sei im Übrigen kein Fehlverhalten Bersets erkennbar, weiss das Boulevardblatt: «Die Vorwürfe lassen sich kaum stützen.» Das Verfahren wegen Erpressung sei abgeschlossen, fügt es mit drohendem Unterton hinzu, aber es «könnte wegen des Artikels ein Verfahren geben».

Nur IP vermeldet sofort – und bricht damit alle Visitors-Rekorde mit über 100’000 Lesern.

Ein weiteres Beispiel dafür, dass es wirklich keinen Grund gibt, die veranstaltenden Verlegerclans für solche Leistungen mit einer weiteren Milliarde Steuergelder zu unterstützen. Das haben sie wirklich nicht verdient.

Psst! Nicht an die grosse Glocke hängen.

Neues aus dem Brutkasten der Demagogie

Wir hätten die «Medienwoche» schon fast abgeschrieben: Kinderkrams-Postille. Wir denken um.

Denn gerade blubberte Marko Kovic, aber gewaltig. Auf 18’500 Anschlägen rechnet er mit dem sich gerade formierenden «intellectual dark web» (IDW) auf Deutsch ab. Also mit der dunklen, rechten Seite des Denkens, also des Falschdenkens.

Dunkler jüdischer Geist: Henryk Broder.

Hier träten Exponenten auf, die zwei Dinge einen. Sie  wollten «über den Dingen stehen und all die Probleme ansprechen, die im «Mainstream»-Diskurs vermeintlich zu kurz kommen». Als ob das nicht schon schlimm genug wäre; die Mitglieder dieser «Gegenöffentlichkeit» sind voll bescheuert:

«Die wissenschaftliche Sicht auf die Gefahren von Covid-19 und auf die Wirksamkeit von Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie lehnen sie ab. Stattdessen proklamieren sie, die wahre Wahrheit zu kennen

Da irren sie aber gewaltig, denn natürlich kennt die nur Kovic himself, logo. Aber wer oder was gehört denn zu diesem deutschen IDW? Hier wird’s enttarnt: «Personen wie Milosz Matuschek, Gunnar Kaiser, Roger Köppel, Milena Preradovic, Tamara Wernli, Daniel Stricker, Henryk Broder und Plattformen wie «Die Achse des Guten», der «Nebelspalter», «Die Weltwoche», der «Schweizer Monat» bilden prominente Knotenpunkte im deutschsprachigen IDW.»

Furchtlos steigt Kovic ins Grauen hinab.

«Quasi-journalistische Meinungspublikationen bis hin zur NZZ»

Da werde eine «Echokammer der Gleichdenkenden» bespasst, echot Kovic den gleichen Vorwurf, der zwischen allen Gesinnungsgruppen hin und her geworfen wird. Zudem beklagten sich diese Exponenten des deutschsprachigen IDW darüber, dass im Rahmen einer Cancel Culture sie nicht oder nur ungenügend zu Worte kämen. Völliger Quatsch, meint Kovic, die bespielen doch die gleichen Plattformen wie er, beziehungsweise haben ihre eigenen Spielplätze: «Von «alternativen» Kanälen wie YouTube und Podcasts über quasi-journalistische Meinungspublikationen wie die «Weltwoche» oder den «Schweizer Monat» bis hin zur Neuen Zürcher Zeitung.»

Senden aus der eigenen Echokammer.

Quasi journalistische Meinungspublikation NZZ? Spätestens hier muss man sich um die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung durch Kovic ernsthaft Sorgen machen. Denn er geht den Weg nach Absurdistan unbeirrt weiter. Vor allem im Zusammenhang mit der Corona-Debatte sei bei diesen Irrläufern (meint der Irrläufer) ein weiteres Problem zu beobachten: «Eine nüchterne, ergebnisoffene und breite Auseinandersetzung mit der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz» fehle «immer». Denn «einzelne «Expertenmeinungen» wie jene der prominenten wissenschaftlichen Corona-Querdenker Beda Stadler, Wolfgang Wodarg oder Suchard Bhakdi» zählten mehr «als umfassende, systematische wissenschaftliche Übersichtsarbeiten». Die diesen «Querdenkern» natürlich allesamt unbekannt sind, sonst würden sie ja nicht quer denken, die Armen.

Kovic hingegen hat den unbestechlichen Röntgenblick:

«Unter der gekünstelten Rationalitäts-Patina verbirgt sich nämlich nicht nur eine eigentliche, oft mit Sarkasmus und Häme zelebrierte Irrationalität, sondern auch eine konservativ-reaktionäre Weltsicht.»

Könnte auch aus dem «Nebelspalter» stammen:
Kovic auf seiner Webseite (Screenshot).

Das wäre ja nun soweit eine lässliche Sünde, über die sich Kovic in seiner Echokammer zwar gewaltig aufregen darf, aber noch nicht richtig gesellschaftsgefährdend. Oder eben doch:

«Die selbsterklärten Retter:innen des rationalen Diskurses sind in Tat und Wahrheit dessen Totengräber:innen.»

Zunächst ist Kovic ein Totengräber des korrekten Gebrauchs der deutschen Sprache. Dann ist er Totengräber logischer Grundprinzipien und Regeln eines sinnvollen Diskurses: These, dann Begründung oder Herleitung. Behauptung, begründungslos oder mit absurder Unterfütterung, das ist reine Demagogie.

Kovic weiss, wer zur dunklen Seite der Macht wechselt.

Sinnlos, zwecklos, hirnlos, intellektuell anspruchslos, aber in «Republik»-Länge. Kovic will diese Stimmen einer Gruppe zuordnen, diese Gruppe in eine gemeinsame Geisteshaltung pressen, die lächerlich machen und denunzieren. In «quasi-journalistischen» Organen äusserten die unwissenschaftlichen Stuss und beschwerten sich öffentlich darüber, dass man sie öffentlich nicht genügend wahrnehme. Ein Trottelhaufen, mit anderen Worten. Lächerlich, aber gefährlich.

 

Gemach, lieber Herr Kovic, das eignete sich vielleicht als Selbstdiagnose. Nur: gefährlich, das sind Sie wirklich nicht.

 

 

 

Eine Medienkritik und ihre Geschichte

Dritte Lieferung. Hier werden Fundstücke obduziert, um ihre Todesursache zu finden. Heute die Medienkritik in der «Weltwoche».

Medienkritik hat sich zu einem Gefäss für gelegentliche Ausfälle denaturiert. Gilt es, einen neuen, ungeliebten Konkurrenten fertigzumachen, okay. Aber sonst? Traut sich keiner, will keiner, kann keiner.

Logisch, ausser ZA … nein, kein Eigenlob. Sondern: sozusagen der letzte Mohikaner der regelmässigen Medienkritik ist Kurt. W. Zimmermann. Inzwischen viel länger bei der «Weltwoche» unterwegs als beim «Schweizer Journalist» (SJ).

Sympathisch macht ihn, dass er ohne Rücksichten auf Verluste oder eigene Flops gegen alle und alles austeilt. Dabei liefert er sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Frank A. Meyer, wer von beiden mehr Millionen verröstet hat. Der eine bei Tamedia, der andere bei Ringier.

Eine weitere Ähnlichkeit ist: beide neigen dazu, aus eigenem Antrieb oder auch aus fremdem Fertigmacherjournalismus zu betreiben. Frank A. Meyer musste nach der Borer-Affäre wegen übertriebener Härte kurzzeitig auf die Strafbank.

Die Hintergründe zum Wechsel Projers, brühwarm serviert

Das ist Zimmermann noch nie passiert. Aktuell – logisch – nimmt er sich natürlich auch DER News im Medienkuchen an. Wie kann es nur sein, dass Jonas Projer von Blick-TV direkt in den Olymp der Chefredaktion der NZZaS einzieht?

Wofür sogar der dort amtierende und nichtsahnende Chefredaktor weggeräumt werden musste? Ideal für Zimmi, seine Muskeln spielen zu lassen und den bösartigen Insider zu geben. Allerdings mit Hygienemaske vor dem Mund, damit ihm keiner was kann. Weil’s durchaus raffiniert gemacht ist, eine kurze Obduktion.

Steht Zimi mehr auf Michael Mann und Al Pacino?

Der Einstieg muss schon alles klar machen. Projer habe sich mit seinem ersten Auftritt in einer Videobotschaft lächerlich gemacht. Er müsse noch viel lernen, habe er gesagt, seither werde er auf der NZZaS-Redaktion als Dilettant verspottet. Weiss Zimmermann. Weiss dort aber keiner. Ist halt immer so eine Sache mit anonymen Quellen.

Aber schliesslich stimme das auch, wetzt Zimmi das Messer. Projer habe in seinen 15 Jahren Journalismus keine Sekunde auf einer Zeitungsredaktion gearbeitet. Stimmt zwar nicht ganz, hört sich aber gut an.

Erste Zwischenbilanz: das sei so, wie wenn man einen Mann ins Cockpit setze, der vorher als Buschauffeur gearbeitet habe. Abgesehen davon, dass Christian Dorer immer noch als Buschauffeur arbeitet: diese Welten trennen die NZZaS von allen anderen Medien? Wow.

Nun noch die Frage: wieso denn eigentlich dieser Wechsel?

Also, Pfeife am Gerät. Nun zur Frage: warum bloss? Da war Zimmi offenbar das Mäuschen bei Gipfeltreffen in den Häusern NZZ und Ringier. Denn er weiss: die NZZ war angepisst, weil sich unter Luzi Bernet das Blatt immer mehr in ein «bunt-rot-grünes-Jekami» verwandelt habe. Weiss Zimmi, aber auch nur er.

Oder auf Gene Hackman und Francis Ford Coppola?

Auf diesem einsamen Weg geht er weiter durchs «soll doch einer das Gegenteil beweisen»-Gebüsch. Zunächst habe die NZZ Patrik Müller von CH Media und Christian Dorer vom «Blick» die Chefredaktion der NZZaS angeboten. Komisch, dass die beiden davon nichts wissen, und Dorer nun wirklich nicht in Frage gekommen wäre.

Jetzt kommt ein raffinierter Doppelschlag. Wieso hätten die beiden abgelehnt? Aus Loyalität zu ihren Verlagshäusern. Projer, als «zweite Wahl», habe hingegen «kein Problem mit Illoyalität».

Eine interessante, neue Definition dieses Begriffs. Wer bleibt, ist loyal. Wer selber kündigt, ist illoyal. Aha, und wie kann man dann das Verhalten des Ringier-Konzerns bezeichnen, der alleine in den letzten 20 Jahren eine beeindruckende Latte von «Blick»-Chefredaktoren verschlissen hat? Die haben loyal alle nicht gekündigt, die wurden – offenbar bei einem Konzern keinesfalls Ausdruck von Illoyalität – allesamt gefeuert.

Illoyal war das, aber was ist der tiefere Grund für die Kündigung?

Projer ist schlichtweg die erste Führungsfigur beim «Blick», die es gewagt hat, selber zu gehen. Obwohl doch Marc Walder Blick-TV als sein Herzensprojekt, als seinen Liebling bezeichnet. Da kann man dann nicht nur von Illoyalität, sondern geradezu von Liebesentzug reden. Aus der Sicht von Ringier.

Aber wieso ist nun Projer gegangen, er war ja (noch) nicht loyal gefeuert worden beim «Blick». Auch dazu hat Zimmermann eine steile These: er musste gehen, weil er sich «in einer charakterlichen Sackgasse» befunden habe.

Was ist denn das? Nun, Zimmi habe bei Ringier mit Krethi und Plethi geredet; das Urteil sei «so einhellig negativ, dass einiges daran sein muss». Woran? «Egozentrische Drama-Queen», beratungsresistenter «permanenter Besserwisser». Kein Wunder, kam es «regelmässig zum Knall». Bis zum bitteren Ende: «Am Schluss war der nicht teamfähige Projer im Newsroom des «Blick» völlig isoliert.»

Meiner Treu, was man aus Gesprächen mit einem einzigen Informanten, der auch mir ganz heissen Scheiss gegen Projer anbot, herausmelken kann. Ich lehnte ab, weil ich keine ausschliesslich auf anonymen Beschimpfungen basierende Artikel schreibe. Zimmi ist da offenbar schmerzfrei.

Und in welcher Sackgasse befindet sich Zimmermann?

Bleibt nur die Frage, in welche charakterliche Sackgasse sich Zimmermann selbst manövriert hat. Als ehemaliger Angestellter findet er es tatsächlich illoyal, wenn jemand kündigt, weil er etwas Besseres in Aussicht hat? Loyal hingegen sei, solange auf dem Stuhl sitzen zu bleiben, bis die Führungsetage der Besitzer beschliesst, dass da mal wieder eine Rübe runtermuss? Also wurde auch Zimmi loyal beim SJ gefeuert?

Was würde Zimmermann davon halten, wenn man über ihn eine solche Kloake aus nur anonymen Quellen geschöpft giessen würde? Wenn ich Zeit für so einen Quatsch hätte, könnte ich das locker zusammenfantasieren. Ich halte aber nichts von solchem Hinrichtungsstil. Weder bei Zimmermann, noch bei den erregten Tagi-Frauen, die schärfste Anschuldigungen öffentlich herumbieten – mit ausschliesslich unbelegten, anonymen, nicht verifizierten Beispielen.

Briefe und anonyme Zitate, zwei neue Hobbys der Journalisten

Leider stösst auch Michèle Binswanger ins gleiche Horn. Sie hat sich zwar tapfer vom Protestschreiben der 78 Tamedia-Mitarbeiterinnen distanziert, nimmt aber ein anonymes Schreiben, das in der NZZ herumgeistern soll, zum Anlass, auf den designierten Chefredaktor der NZZaS einzuprügeln. Unter Verwendung genauso anonymer, genauso abwertender Meinungszitate von einem angeblichen Headhunter, der Projer für das Allerletzte hält.

Gesprächspartner, die sich sehr positiv über Projer äusserten, lässt Binswanger unter den Tisch fallen, auch sie kennt den guten Satz: Lass dir nie von der Wahrheit eine gute Geschichte kaputtmachen. Auch die Tatsache, dass sie gegenüber Projer nun wirklich befangen ist, hindert sie nicht daran, über ihn herzufallen. Nun, dass Tamedia kein Frauenproblem hat, aber ein Qualitäts- und Qualitätskontrollproblem, das war schon vor diesem Artikel bekannt.