Man prügelt nicht den Köppel zum Scherz

Denn dann gibt es eine Coverstory in der WeWo.

Roger Köppel ist in einem Alter (57), in dem man sich langsam Gedanken um Werte, Sinn, Liebe und Vergänglichkeit macht. Solange man die dem lieben Tagebuch anvertraut, ist das auch völlig okay. Leider ist Köppels Tagebuch öffentlich, also sorgte er mit einer Seite Liebesgedöns für Fremdschämen und musste hier unter die kalte Dusche gestellt werden.

Zusammen mit einigen Leidens- und Altersgenossen. Da Köppel immer gerne wider den Stachel löckt, konnte er sich diesen Satz nicht verkneifen: «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau. Und nur der Mann, der die Kraft hat, durch den Todesstreifen seiner Verneinung zu marschieren, qualifiziert sich für das Glück, das die ersehnte Frau für ihn verkörpert.»

Mitten in der «Nur ja heisst ja» oder «nein ist nein»-Debatte darüber, was konsensualer Sex ist und was Vergewaltigung, wusste er natürlich genau, dass er damit einen Aufschrei in feministischen Kreisen und im Haltungsjournalismus provoziert.

Der dröhnte ihm dann offenbar doch so in den Ohren, dass er sich sagte: na warte. Und so sieht dann das Na-warte aus:

Für nicht so ganz bildungsbürgerlich Sattelfeste erklärt die WeWo im «Intern», was es mit diesem Gemälde über «Dante und Beatrice» so auf sich hat. Es ist bezeichnend für das verbiesterte Niveau der Debatte, dass seine bewusste Provokation mit dem Nein Geheule und Gebrüll auslöste, dabei aber kaum jemand sich über das gestelzte Geschwurbel in seinem Text lustig machte:

«… sich uneingeschränkt hingebend, eintaucht in einen warmen Ozean des Vertrauens, der totalen Innigkeit, wo die Grenzen zwischen Ich und Du verschwimmen, …, zweisam vereint, auch in der körperlichen Verfliessung, … dem Materiellen, Fleischlichen entrückten Glückseligkeit …»

Weil aber Köppel (meistens) cleverer als seine Gegner ist, benützt er nun die beste Waffe gegen fanatischen Kampffeminismus. Denn unabhängig vom Thema einigt Extremisten, Fanatiker und Gläubige eine Eigenschaft: sie sind völlig humorlos und spassfrei.

Also lässt Köppel die britische Bestseller-Autorin Kathy Lette einen humorvollen, witzigen, schalkhaften, spielerischen Essay schreiben:

Die Autorin, wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für Gleichberechtigung und Menschenrechte mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, kann leider nicht als Verräterin am eigenen Geschlecht denunziert werden, die dumme Männerfantasien bedient. Zudem beherrscht sie eine Kunst, die im deutschen Sprachraum selten, in der Schweiz nicht einmal in Spurenelementen vorhanden ist: das wie ein gepflegtes Salongespräch dahinplaudernde Essay, das nicht belehrt, nicht fuchtelt, sondern amüsant-intelligent unterhält.

Man kann sich dem Charme der Autorin schlecht entziehen:

«Also, was wollen Frauen? Nichts Besonderes: gute Brustmuskulatur, Doktortitel, Knackarsch, eine nichtsexistische Einstellung, gebräunte Haut, belesener Penis, die Fähigkeit, etwas mit mangetout zu machen, Krokodile im Ringkampf zu bezwingen, an einer echten Beziehung interessiert zu sein, aber auch an Sex, der einer Frau das Knochenmark schmelzen lässt – das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt von einem Milliardär.
Nein, eine Frau möchte einen Mann, der perfekt genug ist, um zu verstehen, warum sie es nicht ist. Sie möchte einen Mann, der wortgewandt ist. Oft hat sie das Gefühl, ihr Dünndarm sei mitteilungsfreudiger als ihr Lebenspartner. Wortspiele sind das beste Vorspiel. Nichts erregt eine Frau mehr als ein Mann mit einem pulsierenden Riesending – dem zwischen seinen Ohren.»

Es ist sozusagen ein Aufruf zur Entbiesterung und Entkrampfung der Debatte. In der Hoffnung publiziert, dass es uns in der Schweiz erspart bleibt, wie in Schweden vor dem Geschlechtsakt beiderseitig eine Einverständniserklärung unterzeichnen zu müssen.

Denn neben allem Spass und aller Tollerei gilt: wenn sich Kirche oder Staat zu sehr in intim Zwischenmenschliches einmischen, kommt das nie gut. Wenn Fanatikerinnen das fordern, muss ihnen mit allen (erlaubten) Mitteln entgegengetreten werden.

Alles wird gut: Gysling ist wieder da

Es kann nur einen geben. Erich Gysling ordnet wieder die Welt. Scholl-Latour schaut von oben zu.

Er ist Nahost-Experte. USA-Kenner, vertraut mit China. Afrika. Lateinamerika. Natürlich auch Russland. Arktis oder Antarktis, nichts ist ihm fremd. Er ist kein Spezialist, sondern ein Generalist. Seit Peter Scholl-Latour nicht mehr unter uns weilt, ist er der Letzte seiner Art.

Auch mit 85 Jahren und nur echt mit Halstuch, bringt er alle Voraussetzungen mit, um die komplizierte, unverständliche Welt in verständliche Häppchen zu zerlegen. Auch nach vielen Jahren noch mit dieser angenehmen TV-Stimme und diesem weltmännischen Flair. Dieser Mann verdient Vertrauen.

Nun ist er auch noch Sicherheits-Experte geworden, auf seine alten Tage. In dieser Eigenschaft hat ihn «Blick TV» vor die Kamera geholt. Ganze 25 Minuten lang darf er uns die Ukraine erklären. Damit das den «Blick»-Zuschauer nicht überfordert, wurde das Marathon-Interview in drei Abschnitte aufgeteilt.

Schon ganz am Anfang zeigt Gysling, dass er im Kopf immer noch viel vifer ist als der «Blick»-Moderator. Der steigt nämlich mit der Frage nach einem «Flugverbot» über der Ukraine ein. Gysling erklärt dann des Langen und Breiten, dass ein solches Flugverbot gar nicht durchsetzbar oder möglich sei, weil es zu einer direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland führen würde. Wobei beide Seiten über Atomwaffen verfügen.

Klare Antwort, aber der Moderator muss seinen Zettel abarbeiten und fragt nach: «So ein Flugverbot hätte also grosse Auswirkungen auf den Krieg?» Da zeigt sich nun die überlegene Souveränität eines  TV-erprobten Urgesteins. So jemanden könnte man dreimal hintereinander nach seiner Wetterprognose für morgen fragen. Und bekäme dreimal eine höfliche, leicht abgewandelte Antwort.

Flüssige Wiederholung von längst Bekanntem

Also macht Gysling nicht den Helmut Schmidt und staucht den Moderator nicht zusammen, mit der eigentlich fälligen Bemerkung: das haben Sie doch gerade schonmal gefragt, und ich hab’s beantwortet. Sondern mit der Engelsgeduld, die man auch einem begriffsstutzigen Schüler gegenüber aufbringt, erklärt Gyling nochmal, dass das Flugverbot schon eine riesige Auswirkung hätte, da es aber nicht verhängt werde, hat’s dann doch keine.

Die übrigen Minuten des Interviews füllt Gysling mit flüssiger Wiederholung von längst Bekanntem. Erstaunlich zahlensicher, erstaunlich eloquent, ein Profi halt. Auch den ganz grossen Fragen weicht er nicht aus. Ob es einen Atomkrieg geben könne? «So wahnsinnig ist Putin nicht», beruhigt Gysling. Zumindest hoffe er das schwer.

Leicht irrtiert wirkt er höchstens, als der Experte für alles am Schluss gefragt wird, wie es denn wohl weitergehe in der Ukraine. Da muss er eingestehen, was wiederum von Grösse zeugt, dass er auch nicht in die Zukunft blicken kann und deshalb keine Ahnung habe. Militärisch sei es sicherlich eine klare Sache, aber wenn Russland die Hauptstadt der Ukraine erobert hat und eine Marionettenregierung einsetze, was das dann mit der Ausübung der wahren Kontrolle oder Macht zu tun haben werde, keine Ahnung.

Länger hatte Gysling geschwiegen; ZACKBUM machte sich schon Sorgen, wie lange es die Welt ohne seine Ratschläge, Einschätzungen und Erklärungen aushält. Aber jetzt ist er wieder da, alles wird gut.

Wir verleihen Gysling zudem einen neuen Titel. Er ist auch der Meister in der höflichen Beantwortung dümmlicher und repetitiver Fragen. Das muss man auch mal bringen. Ausführlich erklären, wieso etwas nicht stattfinden wird. Um dann gefragt zu werden, was es denn für Auswirkungen habe, geschähe es eben doch.

Lesen bildet

Kommt nur darauf an, was. Eine kleine Auswahl von zeitgemässen Werken ausserhalb der Bestsellerlisten. Part II

Um alle Dünnbrettbohrer abzuschrecken, fangen wir gleich mit einem Gewaltswerk an. Frank Trentmann schreibt die «Geschichte des Konsums vom 15. Jahrhundert bis heute». Er nennt das die «Herrschaft der Dinge». Zumindest in den entwickelten Teilen der Welt, aber auch immer mehr in die sogenannte Dritte Welt ausgreifend, haben wir eine Sammlung von Besitztümern angehäuft, wie sie in diesem Ausmass und in dieser Verbreitung historisch einmalig ist.

«Wie viel und was man konsumieren soll, ist eine der drängensten, aber auch verzwicktesten Fragen unserer Zeit

Haben und Sein, Konsumrausch, der Wert der Dinge, die Selbstdefinition durch Besitz, die Formen des Erwebs und der Distribution, der englische Historiker bohrt hier ein ziemlich dickes Brett. Im wahrsten Sinne des Wortes, 1100 Seiten. Selbst wenn man die ausführlichen Anmerkungen weglässt, hat man 933 Seiten vor sich.

1100 Seiten, Fr. 29.90 (Taschenbuch).

Für die Lektüre spricht, dass es gefällig geschrieben ist, nur gelegentlich zu verliebt in Details. Dafür spricht ebenfalls, dass das Werk bereits 2016 auf Englisch erschien und zwei Jahre später auf Deutsch – ohne dass es veraltet wäre oder an Singularität des Themas eingebüsst hätte.

Also schliessen wir uns für einmal der «Times» an: «Ein Meisterwerk der Forschung».

 

Zweite Empfehlung

Sozusagen mit dem Überbau der Gesellschaft befasst sich dagegen Terry Eagleton. Der Professor für englische Literatur in Manchester hat schon eine ganze Flotte von Büchern auf die Leser losgeschickt. Sein neustes Werk komplettiert den Begriff Konsum mit «Kultur».

Also mit der Antwort auf die Frage, welche Bedeutung Kultur eigentlich in der Gesellschaft hat, für den Einzelnen. Wie wichtig ist Kultur in dem, was wir als Zivilisation bezeichnen? Oder ganz banal: was ist eigentlich Kultur? Was passiert, wenn sie fehlt? Was hat man davon, wenn man als kultivierter Mensch bezeichnet werden kann?

Auch dieses Buch ist schon 2016 auf Englisch erschienen, als hätten sich die beiden Autoren abgesprochen. Eagleton entlässt den Leser aber bereits nach 200 Seiten aus seinem bereichernden Höhenflug von Herder, Schiller bis hin zur Postmoderne. Auch für der Kultur nicht gerade verfallene Menschen gewinnbringend. Eagleton zeigt da und dort eine erheiternde intellektuelle Schärfe des Vergleichs, in einer trockenen Art, wie sie nur ein Engländer hinkriegt:

«Fundamentalismus ist die Überzeugung derer, die sich von der Moderne abgehängt und gedemütigt fühlen, doch die Antriebe, die für diesen krankhaften Geisteszustand verantwortlich sind, sind ebenso wie jene, die den Multikulturalismus hervorgebracht haben, mitnichten kulturell.»

200 Seiten, Fr. 29.90 (gebunden).

 

Dritte Empfehlung

Sehr knackig geschrieben, wie es nur US-Professoren hinkriegen, ist hingegen «Calling Bullshit. The Art of Skepticism in a Data-Driven World». Der Evolutionsbiologe Carl T. Bergstrom und der Informationstechnologe Jevin D. West beginnen dort, wo der Begriff zum ersten Mal verwendet wurde: im Essay «On Bullshit» des Philosophen Harry Frankfurt. Von dort verfolgen sie das Problem bis ins Erscheinungsjahr 2020 weiter.

Schön didaktisch mit Beispielen illustriert versuchen sie, die vielen Erscheinungsformen von Bullshit in der Kommunikation aufzuspüren. Insbesondere, wenn er nicht als leicht durchschaubare Fake News Meinungen daherkommt, sondern im wissenschaftlichen Datenkleid.

Von «Spotting the Bullshit» bis zu «Refuting Bullshit» wollen sie dem Leser – typisch Amis – ein «how to» an die Hand geben. Das ist natürlich – wie meist – nicht unfehlbar, auch nach der Lektüre dieser 318 Seiten hat sich der Leser nicht in einen Bullshit-Detektor verwandelt, dem man kein X mehr für ein U vormachen kann.

318 Seiten, Fr. 19.90 (Taschenbuch).

Aber alleine illustrative Beispiele, wie mit Skalen in Grafiken manipuliert werden kann, lohnt die Lektüre. Ja, Englisch muss man leider können, denn, no bullshit, für eine deutsche Übersetzung hat’s noch nicht gereicht.

 

Vierte Empfehlung

Das ermöglicht den butterzarten Übergang zur letzten Empfehlung, auch wenn die sehr deutsch ist. «Wir Herrenmenschen» nennt Bartholomäus Grill seine «Reise in die deutsche Kolonialgeschichte». Oh je, noch einer, der uns die Verwendung von Begriffen wie Mohrenkopf verbieten will oder dafür plädiert, angeblich exkludierende und Mitmenschen mit afrikanischem Hintergrund verletztende Bezeichnungen und Bildwerke von Hausfassaden zu schlagen?

Eben nicht. Denn im Gegensatz zu all diesen «black lives matter»-Grölern, die damit zwar Betroffenheit markieren, aber eigentlich keine Ahnung haben, ausser dass sie mangels eigenem Leiden fremdes usurpieren wollen, weiss Grill, wovon er spricht.

Er berichtet seit 1993 aus Afrika, zunächst für die «Zeit», dann für den «Spiegel». Und wenn er «Reise» sagt, dann meint er das auch so. Er theoretisiert nicht zuerst, sondern er reiste. In die ehemaligen deutschen Kolonien. Die sich für eine solche Expedition besonders gut eignen, weil der deutsche Wunsch nach einem «Platz an der Sonne» nach dem Ersten Weltkrieg ein jähes Ende fand.

300 Seiten, Fr. 37.90 (gebunden).

Die Kolonialgeschichte ist die Geschichte von Verbrechen. Aber sie eignet sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht für ein Schwarzweissbild, wo Schwarz unbestreitbar gut, Weiss unabdingbar böse war.

«In der 1999 verabschiedeten Accra Declaration forderten prominente Afrikaner vom Westen 777 Billionen Wiedergutmachung für die verheerenden Folgen des Sklavenhandels und der kolonialen Plünderung. Die Tatsache, dass afrikanische Menschenjäger kräftig mitverdient haben, wird indes geleugnet. … Wer moralisch im Recht ist, nimmt es mit den historischen Fakten nicht so genau.»

Wer die Welt gerne so bunt, widersprüchlich, komplex und konkret beschrieben haben möchte, wie sie in Wirklichkeit ist, sollte das 2019 erschienene Buch lesen. Wer den Kopf neigen und Schuld empfinden will, sollte es lassen.

Neues aus dem Brutkasten der Demagogie

Wir hätten die «Medienwoche» schon fast abgeschrieben: Kinderkrams-Postille. Wir denken um.

Denn gerade blubberte Marko Kovic, aber gewaltig. Auf 18’500 Anschlägen rechnet er mit dem sich gerade formierenden «intellectual dark web» (IDW) auf Deutsch ab. Also mit der dunklen, rechten Seite des Denkens, also des Falschdenkens.

Dunkler jüdischer Geist: Henryk Broder.

Hier träten Exponenten auf, die zwei Dinge einen. Sie  wollten «über den Dingen stehen und all die Probleme ansprechen, die im «Mainstream»-Diskurs vermeintlich zu kurz kommen». Als ob das nicht schon schlimm genug wäre; die Mitglieder dieser «Gegenöffentlichkeit» sind voll bescheuert:

«Die wissenschaftliche Sicht auf die Gefahren von Covid-19 und auf die Wirksamkeit von Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie lehnen sie ab. Stattdessen proklamieren sie, die wahre Wahrheit zu kennen

Da irren sie aber gewaltig, denn natürlich kennt die nur Kovic himself, logo. Aber wer oder was gehört denn zu diesem deutschen IDW? Hier wird’s enttarnt: «Personen wie Milosz Matuschek, Gunnar Kaiser, Roger Köppel, Milena Preradovic, Tamara Wernli, Daniel Stricker, Henryk Broder und Plattformen wie «Die Achse des Guten», der «Nebelspalter», «Die Weltwoche», der «Schweizer Monat» bilden prominente Knotenpunkte im deutschsprachigen IDW.»

Furchtlos steigt Kovic ins Grauen hinab.

«Quasi-journalistische Meinungspublikationen bis hin zur NZZ»

Da werde eine «Echokammer der Gleichdenkenden» bespasst, echot Kovic den gleichen Vorwurf, der zwischen allen Gesinnungsgruppen hin und her geworfen wird. Zudem beklagten sich diese Exponenten des deutschsprachigen IDW darüber, dass im Rahmen einer Cancel Culture sie nicht oder nur ungenügend zu Worte kämen. Völliger Quatsch, meint Kovic, die bespielen doch die gleichen Plattformen wie er, beziehungsweise haben ihre eigenen Spielplätze: «Von «alternativen» Kanälen wie YouTube und Podcasts über quasi-journalistische Meinungspublikationen wie die «Weltwoche» oder den «Schweizer Monat» bis hin zur Neuen Zürcher Zeitung.»

Senden aus der eigenen Echokammer.

Quasi journalistische Meinungspublikation NZZ? Spätestens hier muss man sich um die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung durch Kovic ernsthaft Sorgen machen. Denn er geht den Weg nach Absurdistan unbeirrt weiter. Vor allem im Zusammenhang mit der Corona-Debatte sei bei diesen Irrläufern (meint der Irrläufer) ein weiteres Problem zu beobachten: «Eine nüchterne, ergebnisoffene und breite Auseinandersetzung mit der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz» fehle «immer». Denn «einzelne «Expertenmeinungen» wie jene der prominenten wissenschaftlichen Corona-Querdenker Beda Stadler, Wolfgang Wodarg oder Suchard Bhakdi» zählten mehr «als umfassende, systematische wissenschaftliche Übersichtsarbeiten». Die diesen «Querdenkern» natürlich allesamt unbekannt sind, sonst würden sie ja nicht quer denken, die Armen.

Kovic hingegen hat den unbestechlichen Röntgenblick:

«Unter der gekünstelten Rationalitäts-Patina verbirgt sich nämlich nicht nur eine eigentliche, oft mit Sarkasmus und Häme zelebrierte Irrationalität, sondern auch eine konservativ-reaktionäre Weltsicht.»

Könnte auch aus dem «Nebelspalter» stammen:
Kovic auf seiner Webseite (Screenshot).

Das wäre ja nun soweit eine lässliche Sünde, über die sich Kovic in seiner Echokammer zwar gewaltig aufregen darf, aber noch nicht richtig gesellschaftsgefährdend. Oder eben doch:

«Die selbsterklärten Retter:innen des rationalen Diskurses sind in Tat und Wahrheit dessen Totengräber:innen.»

Zunächst ist Kovic ein Totengräber des korrekten Gebrauchs der deutschen Sprache. Dann ist er Totengräber logischer Grundprinzipien und Regeln eines sinnvollen Diskurses: These, dann Begründung oder Herleitung. Behauptung, begründungslos oder mit absurder Unterfütterung, das ist reine Demagogie.

Kovic weiss, wer zur dunklen Seite der Macht wechselt.

Sinnlos, zwecklos, hirnlos, intellektuell anspruchslos, aber in «Republik»-Länge. Kovic will diese Stimmen einer Gruppe zuordnen, diese Gruppe in eine gemeinsame Geisteshaltung pressen, die lächerlich machen und denunzieren. In «quasi-journalistischen» Organen äusserten die unwissenschaftlichen Stuss und beschwerten sich öffentlich darüber, dass man sie öffentlich nicht genügend wahrnehme. Ein Trottelhaufen, mit anderen Worten. Lächerlich, aber gefährlich.

 

Gemach, lieber Herr Kovic, das eignete sich vielleicht als Selbstdiagnose. Nur: gefährlich, das sind Sie wirklich nicht.

 

 

 

Lesen kann zu neuen Erkenntnissen führen

Kommt nur drauf an, was. Wir probieren’s wieder mal mit Buchtipps zur aktuellen Lage.

Drogen, Kampf gegen Drogen, Drogenkartelle, die in Lateinamerika, auch in Asien, in Afrika ganze Landstriche, ganze Länder beherrschen. Wer die volle Härte der mexikanischen Drogengangster lesend erfahren will, dem sei die Trilogie von Don Winslow empfohlen. «Tage der Toten», «Das Kartell» und «Jahre des Jägers». Ein Monumentalwerk, an dem Winslow von 2005 bis 2019 gearbeitet hat. So nah an der Realität, wie Bücher nur sein können. So nah, dass es verwundert, dass Winslow noch lebt.

Aber das Schrecklichere lauert immer hinter dem Schrecken – und kann sich gut verstecken. Denn die schlimmste Droge zurzeit heisst «Fentanyl». Noch nie gehört? Schwerer Fehler. Dann sollten Sie unbedingt Ben Westhoffs gleichnamige Reportage darüber lesen. «Neue Drogenkartelle und die tödliche Welle der Opioid-Krise». 264 Seiten, die Ihnen auch das Fürchten lehren werden.

Denn  Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, gehört also zur Familie der Morphine, und wird als Anästhetikum oder Schmerzmittel eingesetzt. Dabei ist es ungefähr 100 mal wirkungsvoller als reines Morphin. Schon die Berührung damit kann tödlich sein; Drogenhunde fallen schon mal tot um, wenn sie es erschnüffeln.

Diese ungeheuerliche Wirkpotenz macht Fentanyl so gefährlich. Schon Dosen im Mikrogrammbereich reichen für den Exitus; wenn es im Drogenhandel gestreckt, aber nur schon ungleichmässig verteilt wird, überlebt der eine, der es schnupft, der andere nicht.

Die Quellen des Fentanyl liegen nicht in Drogenfarmen, sondern in Labors. Und da sich China inzwischen auch auf dem Gebiet der Herstellung von Pharmaka zur Weltmacht Nummer eins aufgeschwungen hat, führen die Spuren der Herstellung und Verteilung über die ganze Welt.

Ben Westhoff, Investigativ-Journalist, ist diesen Spuren nachgegangen. Er schreibt für Rolling Stone, Guardian und auch das Wall Street Journal, über Drogen, Kultur und Armut. Herausgekommen ist das Ergebnis einer insgesamt Jahre umfassenden Recherche, die in den USA wie eine Bombe einschlug, als sie 2019 dort in Buchform veröffentlicht wurde. Auf Deutsch hat sich lediglich der kleine Hirzel-Verlag in Stuttgart darum verdient gemacht, kürzlich die deutsche Übersetzung vorzulegen.

Obwohl Fentanyl die «tödlichste Droge in Amerika» sei, sagt die US-Gesundheitsbehörde. Schlimmer als Crack, Crystal Meth, schlimmer als Heroin und alle anderen verschreibungspflichtigen Schmerzmittel aus der Familie der Opioide. Also lesen, damit man nicht mal wieder sagen kann, man habe von nichts gewusst. Denn das Buch ist bester US-Journalismus: souverän recherchiert, umfassend, und gleichzeitig spannend wie ein Krimi geschrieben. Allerdings ein wahrer Krimi.

Wie halten wir’s mit Gewalt?

Gaza, Israel, Gewalt. Afghanistan: Gewalt. Sprachgewalt, rassistische Gewalt, männliche Gewalt, es gibt kaum einen Begriff, der so inflationär verwendet wird. Nur: was ist Gewalt eigentlich genau? Ist sie nur physisch, gibt es auch strukturelle Gewalt, kann sich Gewalt verkleiden, bleibt aber dennoch Gewalt?

Dietrich Schotte will Klarheit in dieses zu Brei geschlagene Wort bringen; mit seiner «Philosophischen Untersuchung zu einem umstrittenen Begriff». Forschungsergebnisse, Definitionen, welche Kriterien taugen für die Begriffsbestimmung, welche nicht.

Schotte unterrichtet in Leipzig Grundschuldidaktik in Fach Deutsch. Wer dieses kluge methodische, belesene Werk zur Kenntnis nimmt, muss seine Schüler beneiden. Seine Definiton von Gewalt: «absichtliche, schwere Verletzungen von Lebewesen gegen ihren Willen». Von Einzeltätern oder im Rahmen von Institutionen, in «Räumen der Gewalt».

Gleichzeitig spricht sich Schotte gegen die «begriffliche Entgrenzung» aus, also das Wort Gewalt so beliebig zu verwenden wie heutzutage auch Faschist oder Rassist oder Nationalist. Obwohl sich Schotte um einen möglichst einfachen Plauderton bemüht, stellt das Thema selbst gelegentlich durchaus gewisse Anforderungen auch an den Leser.

Aber richtig schwierig wie bei Kant oder Luhmann oder Habermas wird’s hier nie. 263 Seiten, deren Lektüre den Leser bereichert und viel sattelfester im Umgang mit diesem so oft missbrauchten oder instrumentalisierten Wort zurücklässt. Wie das Buch von Westhoff ist Schottes Untersuchung «Was ist Gewalt?» eher geräuschlos bei Klostermann in Frankfurt erschienen, in der Roten Reihe des Verlags. Das war 2020, als alle nur und ausschliesslich ins Mikroskop starrten und lernten, was COVID eigentlich ist.

Aber das wissen wir zumindest inzwischen, wie man den Begriff Gewalt sinnvoll und nicht als Totschlagargument verwendet, das kann man nun wirklich endlich bei Schotte nachlesen.

Wie halten wir’s mit dem Autoritären?

Mit einem weiteren Gummibegriff befasst sich Anne Applebaum: «Die Verlockung des Autoritären». Die US-amerikanische Historikerin mit starken Wurzeln in Polen (ihr Mann ist der ehemalige polnische Aussenminister) geht der Frage nach, wieso nicht nur die Altlinke, sondern auch die neue Rechte so viel Lust auf autoritäre Strukturen hat. Auf einen gewissen Führerkult. Wobei zum Beispiel Donald Trump sicherlich nicht denunzierend mit Adolf Nazi direkt verglichen werden kann. Aber wie viele weitere autoritäre Galionsfiguren eint die beiden, dass sie ja im Wesenskern geradezu lachhafte Kretins sind. Der salbadernde und brüllende Hitler, der jeder Differenzierung abholde Trump, der niemals einsehen wird, dass die Welt nicht nur aus Siegern oder Verlierern besteht, und dass er nur meint, ein Sieger zu sein.

Applebaum definiert den Anhänger des Autoritären als Anti-Demokraten, sie fragt sich, wieso dieser Wunsch nach autoritären Strukturen, der Europa im letzten Jahrhundert zweimal in den Abgrund geführt hat, immer wieder aufs Neue Anhänger findet. Quer durch Gesellschaftsschichten, ideologischen Ausrichtungen, unabhängig vom verniedlichenden Vokabular, das dabei verwendet wird.

Sie denkt auch über die willigen Helfershelfer in den Medien und in all den Beraterscharen nach. Vielleicht fehlt Applebaum etwas der ganz grosse philosophisch-historische Rucksack, um hier ein neues Standardwerk zu diesem Thema vorzulegen. Es sind andererseits auch nur 208 Seiten, die sie in einer gefälligen Mischung aus eigenem Erleben und Überlegungen füllt.

Besonders erwähnenswert ist, dass sich hier jemand zwischen alle Stühle setzt, keinesfalls den Fehler macht, innerhalb einer Gesinnungsblase nach Luft zu schnappen. Applebaum, obwohl sie natürlich eine Position hat – wie jeder denkende Mensch –, ist dennoch bereit, sich auf die Wirklichkeit, die Wirklichkeiten einzulassen. Also ein sehr gutes Gegenbeispiel zu all den leider immer mehr Platz beanspruchenden Lagerdenkern, die meinen, es sei Erkenntnisgewinn erzielt worden, wenn man mit den ewig gleichen Totschlagargumenten die ewig gleichen Gegenargumente niederzumachen versucht.

Was für ein stinklangweiliger Pipifax das ist, wenn in der «Republik», auch im «Nebelspalter», in der «Weltwoche», der WoZ, aber auch in der NZZ oder im Tagi wieder und wieder die Befriedigung der Vorurteile der eigenen Klientel viel wichtiger ist als der Versuch, zur fortschreitenden Erkenntnis etwas beizutragen.

Um dieses Elend wirklich zu erfassen, alleine dafür lohnt sich bereits die Lektüre dieses etwas lang geratenen Essays von Applebaum. Erschienen im Siedler-Verlag und immerhin dasjenige der drei hier vorgestellten Bücher, das am meisten Resonanz erfahren durfte.