Armes Rammstein

Alles nur geträumt? Tom Kummer will in Bern gewesen sein.

Früher hatten seine Storys bei der «Weltwoche» wenigstens einen Warnhinweis als Packungsbeilage: «Basierend auf wahren Begebenheiten». Oder auf Deutsch: kann so gewesen sein, muss aber nicht.

Wenn man bei einer Reportage nicht weiss, was erlebt und was erfunden, erschwindelt, halluziniert, gedichtet ist, wieso soll man sie dann noch lesen? Also stellte ZACKBUM die Lektüre von Kummertexten als Zeitverschwendung ein. Schlimm genug, dass die «Weltwoche» ihren kostbaren Platz darauf verschwendet.

Nun will Kummer beim Konzert von Rammstein in Bern gewesen sein und schreibt darüber. Das hat – was immer man vom Sänger und von der Musik und den Texten halten mag – die Band nicht verdient. Schon im Lead türmt Kummer Geschwurbel aufeinander: «Überwältigungskunst, deutsche Seele, Richard Wagner, «Blade Runner», Friedrich Nietzsche».

Hier beschleicht einen zum ersten Mal der Verdacht: ist Kummer eine KI? Oder hat er einen Chatbot diesen Text schreiben lassen?

Denn genauso schwülstig geht’s weiter: «Deutsches Bombergeschwader, Heimatkrieg, Bern brennt!» Interessant, dass solche Beschallung ermüdend langweilig sein kann, obwohl der Autor atemloses Stakkato imitieren will. «Hier ist jetzt alles möglich. Auch der Untergang», fabuliert Kummer. Jeglicher Reporterstolz ist bereits untergegangen.

Sieht er aber anders: «ich denke bereits ein wenig wie vielleicht der deutscheste aller Komponisten, Richard Wagner». Denken wie Wagner? Auf eine solche Sottise muss man erst mal kommen. Einzig gesicherte Tatsache ist: so hat Wagner nie gedacht.

«Filmästhetik von Leni Riefenstahl … ewige Strahlkraft der Nazi-Ästhetik, die im Pop nie verschwunden sei … Schlachtenszenen aus «Herr der Ringe»… Bomben fallen! Das Feuer breitet sich jetzt aus … jene vorderste Front, wo in einem wahren Krieg der Fleischwolf beginnt.»

Was wohl Kummer vom wahren Krieg weiss? Wohl so viel wie von Wahrhaftigkeit. Dafür schwurbelt Kummer hemmungslos alles durcheinander: «Es ist jene magische Stelle, von wo aus Helmut Rahn im alten Wankdorf beim WM-Finale 1954 mit dem linken Fuss das Tor schiesst, das heute noch ein Zeichen des Aufbruchs nach dem verlorenen Weltkrieg und den Entbehrungen der Nachkriegszeit gilt.»

Während Kummer wie Wagner denkt und wie ein Irrwisch schreibt, muss nun auch noch Nietzsche dran glauben. Der ist im Banalduktus nie weit: «Er hätte seine wahre Freude an Rammstein gehabt.» Weiss Kummer, der nun wohl auch wie Nietzsche denkt. Aber eigentlich ist er ja an einem Konzert. Oder auch nicht. Weiss man’s? «Es regnet gerade K.-o.-Tropfen – so jedenfalls sieht’s aus, als der Anführer eine Wasserflasche ins Publikum wirft und einige Mädchen auf die Knie fallen, um die Flasche kriechend aufzuspüren.» Check, sagt man da in Kummers Wahlheimat, auch dieser Punkt ist abgehakt.

Aber es ist mal wieder Zeit, beliebig Namen regnen zu lassen. «Goethe, Brecht und KraftwerkTheodor Fontane und die Gebrüder GrimmWilhelm Busch.» Ob da die KI wieder mal mit den Namen deutscher Autoren gewürfelt hat? Wieso ist ihr dann nicht «Dichtung und Wahrheit» eingefallen? Ist doch von Goethe. Hätte Nietzsche auch gefallen. Wagner wollte es vertonen. Busch zeichnen. Alles wahr.

Aber nun schlüpft Kummer aus dem Kopf von Wagner, Nietzsche und wem auch immer. Dafür in den Kopf von Konzertbesuchern: «Es sind auch ältere Menschen darunter, die aussehen, als hätten sie sehr viel Zeit mit Videospielen verbracht, wo sie in Rollen von folternden und tötenden Figuren geschlüpft sind.»

Nun ist Kummer auf Betriebstemperatur: «Die Wankdorf-Frauen, die mich einkreisen, fordern jetzt den totalen Krieg.» Obwohl er an einem Rammstein-Konzert ist, hat er nicht kapiert, wo der Unterschied zwischen künstlerischer Provokation und kunstloser Geschmacklosigkeit liegt.

Aber he, Kummer ist nicht einfach ein normaler Besucher: «Schliesslich gibt’s auch im Wankdorf einen Backstage-Bereich, konnte mich selbst davon überzeugen.» Natürlich gibt’s den, nur: wenn Kummer das behauptet, ist man geneigt, an seiner Existenz zu zweifeln.

Aber leider ist er immer noch nicht fertig, er muss ja noch zur Apotheose kommen, zum Erhabenen, wie das Nietzsche im wagnerischen Sinne mit den Worten Fontanes und in den Zeichnungen von Busch sagen würde. Oder so: «Die deutschen Bomber sind nach Bern gekommen, um uns mit Stechschritt und Poesie, Brachialität und Innerlichkeit, Feuer und Detonationskringel zu unterhalten.»

Das mag ja sein. Aber sie haben vergessen, Kummer Stadionverbot zu erteilen. Oder sie haben es gemacht und er war gar nicht dort. Oder er hat’s Konzert verpasst. Man weiss es nicht. Aber man weiss, dass dieser Text unerträgliches Hypern ist, ein abschreckendes Beispiel dafür, was herauskommt, wenn ein Nichtkönner versucht, New Journalism und Gonzo zu kreuzen. Und Gonzo konnte höchstens Hunter S. Thompson, aber auch der nicht immer.

 

3 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Ich hab’s gelesen, weil’s auf zackbum steht.
    Und weil ich den Elefanten mit blauem Reiter schön find. Ist das (von) Rahmstein?

    Aber eigentlich würde mich am meisten interessieren, was es über unsere Zeit aussagt, dass (auch in der Schweiz) das Stadion gerammsteint voll ist?
    Genau so wie etliche andere Stadien mit etlichen anderen Ersatzwelten.

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