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Rammstein!

Man erinnert sich? Grosses Geschrei, «#metoo». Nun nur noch Gewinsel.

Der «Blick» bellte zuerst blöd los, dann musste er schnell den Schwanz (Pardon) einziehen. Nach einem Artikel voller unbelegter Vermutungen, was der Rammstein-Sänger wohl mit Fans anstellen würde, die kreischend in der Row Zero stehen und es als höchstes Glück empfinden, anschliessend zur After-Party eingeladen zu werden, musste er den Artikel schnell löschen, und Ringier gab «nach Abmahnung gegenüber unserem Mandanten eine strafbewehrte Unterlassungserklärung ab», vermeldeten die Anwälte des Sängers triumphierend.

Allerdings können und konnten sie sich auch nicht um alles kümmern, in einer ersten Version bezeichnete die NZZ den Sänger doch tatsächlich als «Täter», ein unglaublicher Ausrutscher von Ueli Bernays: «Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Als dann Vernunft und Verstand wieder einsetzten, wurde abgesoftet zu: «Was ist Tat, was sind Fiktionen?» Besser wäre gewesen: was sind Imaginationen?

Dass sich auch noch Tom Kummer um Rammstein kümmerte, war dann zusätzlich unverdientes Pech. Aber bei dem Fake-Schreiber weiss man sowieso nicht, ob er wirklich bei einem Konzert war oder das nur fantasierte. Auch der «Spiegel», bereits mehrfach einschlägig aufgefallen, nicht zuletzt durch den unkritischen Abdruck der Rache einer frustrierten und gefeuerten «Magazin»-Redakteurin, musste zurückkrebsen und verheddert sich nun sogar noch in Vorwürfe wegen Urkundenfälschung und versuchtem Prozessbetrug.

Leider ungeschoren kam Tamedia mit seinem Amok-Redaktor Andreas Tobler davon. Der machte sich zur Witznummer, indem er einerseits die Unschuldsvermutung beschwor. Andererseits aber forderte: «Die Rammstein-Konzerte sollten abgesagt werden».

Till Lindemann, Luke Mockridge, Finn Canonica, Till Schweiger, Kevin Spacey. Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Nach Corona erreichte hier die Sittenverluderung der Medien einen neuen Tiefpunkt.

Blöd bloss für die Denunzianten, dass nicht alle aus Geldmangel aufgeben müssen wie Canonica, nicht alle ruiniert zurückbleiben wie Spacey. Lindemann lässt seine Anwälte von Schertz Bergmann weiter Fälle abarbeiten. Denn die Medien geben ja auch nicht auf.

So veröffentlicht der staatliche Sender NDR zusammen mit der «Süddeutschen Zeitung» seit Mitte Mai dieses Jahres einen vierteiligen Podcast «Rammstein – Row Zero». Gegen die ersten zwei Folgen hatten die Anwälte bereits zwei einstweilige Verfügungen erwirkt.

Nun sind zwei weitere ergangen. Den vermeintlich seriösen Veranstaltern des Podcasts wird untersagt zu behaupten, dass Lindemann an einer gewissen Kaya R. in bewusstlosem Zustand sexuelle Handlungen vorgenommen habe. «Das Landgericht stellt fest, dass es für diese Verdachtserweckungen jeweils an dem erforderlichen Mindestbestand an Beweistatsachen fehle.»

Was erschreckt, ist der Zeitpunkt der Ausstrahlung. Mehr als ein Jahr, nachdem dieser Skandal, der keiner war, zu einem Medienereignis aufgepumpt wurde, sollten die Medien doch eigentlich in der Lage sein, zwischen Dichtung und Wahrheit zu unterscheiden. Sich darüber im Klaren werden, dass Trittbrettfahrerinnen, Mädchen mit Geltungsbedürfnis auch hier versuchten, sich eine Scheibe medialer Aufmerksamkeit abzuschneiden.

Was – wie bei Corona – dringend Not täte, wäre eine kritische Aufarbeitung des eigenen Versagens, die schonungslose Analyse, wie es immer wieder zu solch hysterischer Hatz kommen konnte und kann. Aber darüber kein Wort.

Eigentlich sind (fast) alle Medien inzwischen auf dem mehr oder minder geordneten Rückzug – oder versuchen, Gras über diese peinliche Hatz wachsen zu lassen. Aber nicht so der NDR und die SZ. Denen ist’s offenbar egal, sich den Ruf weiter zu ruinieren. Mit unbelehrbarer Rechthaberei, nach der Devise: na warte.

Längst widerlegte Behauptungen nochmals aufstellen, im sicheren Wissen, dafür nochmal eine übergebraten zu bekommen, das ist nun wirklich erschreckend.

Schludriger «Spiegel»

Die Rammstein-Affäre wird zum «Spiegel»-Skandal.

Die Anwälte des Rammstein-Sängers Till Lindemann haben «Strafanzeige wegen Urkundenfälschung und versuchten Prozessbetrugs gegen die Verantwortlichen des Spiegel» eingereicht.

In einer Titelgeschichte hatte das Blatt behauptet, verschiedene Frauen hätten Anschuldigungen gegen den Sänger erhoben. Ein Journalist mit Vollklatsche in der Schweiz hatte sogar gefordert, dass wegen diesen wilden Behauptungen die Konzerte der Band abgesagt werden sollten. Wobei aber die Unschuldsvermutung gälte.

Auch das Hamburger Oberlandesgericht hat inzwischen die Verfügung der Vorinstanz bestätigt.

«Danach ist es dem Spiegel weiterhin untersagt, den Verdacht zu erwecken, Till Lindemann habe Frauen bei Konzerten der Gruppe Rammstein mithilfe von K.o.-Tropfen bzw. Drogen betäubt oder betäuben lassen, um ihm zu ermöglichen, sexuelle Handlungen an den Frauen vornehmen zu können».

So viel zum Ende dieser unappetitlichen Medienhatz, in der sich einmal mehr fast alle unter grober Missachtung der Unschuldsvermutung auf ein angebliches Sexmonster gestürzt hatten. Allerdings konnte der Sänger, ähnlich wie Kevin Spacey, genügend finanzielle Mittel aufbringen, um sich erfolgreich gegen diese Denunziationen zur Wehr zu setzen. Im Gegensatz zu Spacey ist Lindemann sogar nicht Bankrott gegangen.

Und lässt weiterprozessieren, wobei – auch hier gilt die Unschuldsvermutung – eine unglaubliche Schlamperei des angeblich so seriösen Nachrichtenmagazins zum Vorschein kommen könnte.

Das hatte nämlich im Verfahren zwei eidesstattliche Versicherungen von Frauen eingereicht. Sie sollen von einer «Zoe» und einer «Sophie W.» stammen. Dabei fiel den Anwälten von Lindemann auf, dass die Versicherung von Zoe auf einer Seite mit einem unvollständigen Satz endete, während auf der nächsten Seite nur die Unterschrift der Dame stand.

Darauf hingewiesen, räumte der «Spiegel» ein, dass die ursprünglich eingereichten Eidesstattlichen gar nicht von diesen beiden Frauen stammten und reichte zwei neue ein. Ein Versehen des eigenen Prozessbevollmächtigten, behauptet das Blatt.

Das ist nun nicht gerade ein Kavaliersdelikt, daher die Strafanzeige.

Dieser Fall wirft ein Schlaglicht darauf, auf welch dünnem Eis sich der «Spiegel» bewegt, wenn es darum geht, sich der «#metoo»-Bewegung anzudienen. Nicht einmal die behaupteten eidesstattlichen Versicherungen zwecks Beleg der Vorwürfe sind gerichtsfest.

Ähnlich spielte es sich auch beim Roshani-Skandal ab. Der «Spiegel» gab der Redaktorin, die gefeuert worden war, weil sie ihren Chef wegmobben wollte, ungefiltert die Gelegenheit, rachsüchtig über diesen Chef herzuziehen – mit offensichtlich unwahren oder unbewiesenen Behauptungen. Leider ging dann dem Betroffenen das Geld aus, er musste seine Klage gegen das Nachrichtenmagazin abbrechen.

Gerade ein Organ wie der «Spiegel» lebte und lebt davon, dass seine Aufdeckung von Skandalen belegt werden kann. Das ist ihm in der Vergangenheit mehrfach und grandios gelungen, man denke an den Neue-Heimat-Skandal oder die Parteispendenaffäre. Aber in den letzten Jahren macht das Blatt mehr mit internen Affären von sich reden; der Posten des Chefredaktors ist zum Schleudersitz geworden, und der GAU mit Claas Relotius bewies, wie sehr Gesinnung, voreingenommene Meinung und die fatale Tendenz, vor der Recherche oder Reportage bereits das Ergebnis zu definieren, Einzug gehalten haben.

Auch wenn das von der letzten verbliebenen Edelfeder Ullrich Fichtner wortgewaltig schöngeschrieben wurde, obwohl ihn Relotius die angestrebte Stelle des Chefredaktors kostete, sind das alles Symptome eines bedauerlichen Niedergangs.

Von der einstigen Grösse ist penetrante Arroganz übriggeblieben, tiefe Verunsicherung wird durch markige Worte überspielt, die Berichterstattung über die Präsidentschaftswahlen in den USA ist ein anhaltendes Desaster.

Der Kampf gegen die AfD nimmt krankhafte Züge an, immer mehr Leser geben resigniert auf. Bedauerlich ist der Niedergang deswegen, weil es gerade heute ein journalistisches Kraftwerk bräuchte, wie es der «Spiegel» einmal war. Allerdings fing der Niedergang schon an, als der Gründer, Herausgeber und langjährige Chefredaktor Rudolf Augstein auf die dem Zeitgeist geschuldete Idee kam, den Mitarbeitern die Mehrheit am Unternehmen zu schenken.

Das bereute er später bitterlich, aber es war nicht mehr rückgängig zu machen. Seither sind Primadonnenkämpfe, Intrigen und persönliche Befindlichkeiten oftmals wichtiger als unternehmerische Entscheidungen. Ein Trauerspiel, das vielleicht einmal zum Trauerfall wird.

Das kommt davon, wenn das unmögliche «sagen, was ist» durch das idiotische «sagen, wie es sein sollte» abgelöst wird.

Bock als Gärtner

Ueli Bernays tritt in der NZZ gegen Rammstein & Co. nach.

Aufhänger für ihn ist das Buch von Daniel Drepper, Lena Kampf: «Row Zero. Gewalt und Machtmissbrauch in der Musikindustrie». Wer sich in solch vermintes Gebiet begibt, sollte wenigstens ordentlich identifiziert werden. So ist Drepper Mitgründer des sogenannten Recherchezentrums «correctiv», das unlängst mit einem teilweise auf Fälschungen beruhenden Bericht über ein sogenanntes Geheimtreffen in die Schlagzeilen geriet. Diverse wilde Behauptungen mussten zurückgenommen werden, ein mehr als peinliches Schauspiel.

Lena Kampf arbeitet im Ressort Investigative Recherche bei der «Süddeutschen Zeitung». Auch die hat sich in letzter Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert, siehe Fall Aiwanger oder die Bespitzelung der eigenen Redaktion durch die Chefredaktion.

NZZ-Autor Bernays fiel beim Fall Rammstein durch eine grobe Entgleisung auf: «Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden», so titelte der Vorverurteiler, bis dann Vernunft einkehrte und so abgeschwächt wurde:

Allerdings war sich die NZZ zu fein, diese Korrektur für den Leser kenntlich zu machen. Die unanständige Behauptung im Text blieb allerdings stehen: «Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.» Was Bernays da alles wusste. Als dann sämtliche Anschuldigungen gegen den Rammstein-Sänger im Sand verliefen, schwieg er verkniffen, schwieg sozusagen des Sängers Unhöflichkeit.

Aber nicht nur, wenn es um woke Denunziationen geht, ist Bernays vorne dabei. Auch Musiker mit einer ihm quer rüberkommenden politischen Meinung kriegen ihr Fett ab: «Achtung, Roger Waters ist wieder unterwegs. … breitbeinig und zielbewusst in alle möglichen Fettnäpfe … Plattform für diesen Wüterich … sein aufgeblasener Idealismus und seine Besserwisserei lassen ihn oft als Ritter von hässlicher Gestalt erscheinen.»

Also schlechte Voraussetzungen, um eine sachliche Buchrezension zu erwarten. Das ist sie natürlich auch nicht:

«In einem Buch kratzt ein deutsches Autorenduo an alten Rocker-Mythen». Das Groupie-Wesen, ja ja. Wie soll man volljährige weibliche Fans, die sich freiwillig ihren Popidolen andienen, nur vor sich selbst beschützen? Indem man von einer Zeitenwende schwafelt:

«Lange haben die Fans den selbstgerechten Sexkult ihrer Pop- Götter gefeiert oder zumindest akzeptiert. In den letzten Jahren aber haben sich die Sensibilitäten verändert. Seit man Michael Jackson den Missbrauch von Minderjährigen postum nachgewiesen hat, ist ein Star nach dem anderen ins Fadenkreuz eines kritischen, zumeist feministischen Blicks geraten

Da bewegt sich Bernays zunächst höchstens im Streubereich der Wahrheit, um es höflich zu formulieren. Ein Kläger wirft dem King of Pop posthum vor, ihn als Kind sexuell missbraucht zu haben. Und die Merkwürdig-Justiz der USA hat diese Klage – 15 Jahre nach dem Tod Jacksons – nun zugelassen, dann halt gegen dessen Produktionsfirma und Nachlassverwalter.

Vielleicht sollte man erwähnen, dasss der gleiche Kläger noch 2005 für Jackson vor Gericht aussagte. Das nahm er später zurück und scheiterte bereits 2021 als angebliches Missbrauchsopfer vor Gericht. Nun also ein neuer Anlauf, bei dem es, mangels Täter, nur um Geld geht. Aber solche Differenzierungen sind für Bernays natürlich zu kompliziert und würden seinen Thesen- und Gesinnungsjournalismus unangenehm stören.

Oder einfach: Jackson wurde weder zu Lebzeiten noch posthum Missbrauch «nachgewiesen». Ausser, man nimmt Behauptungen als «Nachweis», was eigentlich mit dem Niveau der NZZ nicht kompatibel sein sollte.

Dann leiert Bernays die Liste von Popstars runter, denen sexueller Missbrauch vorgeworfen wurde. Meistens aus finanziellen Absichten oder aber, damit sich das angebliche Opfer eine Scheibe vom Ruhm des angeblichen Täters abschneiden konnte. Selbst der Prozess gegen Harvey Weinstein muss inzwischen neu aufgerollt werden. So bleibt der Fall des verurteilten Sexualstraftäters R. Kelly ziemlich einsam stehen.

Nachdem Bernays immerhin darauf hingewiesen hat, dass es durchaus auch zu wilder Lynchjustiz in den sozialen Medien kommen kann, urteilt er am Schluss dennoch streng: «Sexhungrige Altstars sollten ihre Triebe nicht mehr auf Kosten überforderter Fans befriedigen können.»

Laut Bernays sollten also angeblich sexhungrige Altstars darauf verzichten, der Versuchung nachzugeben, wenn hysterische Fans sich für die Row Zero rekrutieren lassen, sich wunschgemäss einkleiden und ausser Rand und Band geraten, wenn sie zur Afterparty eingeladen werden, bei denen es allen Beteiligten klar ist, dass nicht in erster Linie Mikado gespielt und mit abgespreiztem kleinem Finger Tee getrunken wird?

Statt solche unsinnige Forderungen aufzustellen, hätte sich Bernays vielleicht mal eingehender mit seinem eigenen Fehlverhalten und den Vorverurteilungen vieler Kollegen (herausragend Andreas Tobler von Tamedia, der nassforsch forderte, «es gilt die Unschuldsvermutung», dass alle Rammstein-Konzerte in der Schweiz abgesagt werden müssten) beschäftigen.

Mit der Frage, wie es sein kann, dass beim Vorwurf «sexuelle Belästigung vor 20 Jahren» der Beschuldigte seine Unschuld beweisen muss, von Social Media und von Schmiermedien vorverurteilt wird, und wenn er dann wie Kevin Spacey siegreich aus allen Prozessen hervorgeht, ruiniert und um seine Karriere beraubt dasteht.

Mit der Frage, ob sich Unken wie Bernays und Tobler nicht haftbar oder schadenersatzpflichtig machen, wenn sie kolportieren, denunzieren und vorverurteilen.

Das Ausnahmegenie Georg Büchner

Er hätte eine bessere Würdigung verdient.

Ueli Bernays hat schon einiges auf dem Kerbholz. Man liess ihm den unverschämten Titel «Der Künstler als Täter» in der NZZ durchgehen, als Anschuldigungen gegen den Rammstein-Sänger erhoben wurden. Unschuldsvermutung, die hier auch besonders Sinn gemacht hätte, weil sich später alle Denunziationen in Luft auflösten? Nicht mit Bernays. Eine nachträgliche Entschuldigung, Erklärung auf Anfrage? Nicht mit Bernays.

Fast genauso schlimm, wenn sich der Träger eines berühmten Namens an Bertolt Brechts «Leben des Galilei» vergreift. Und dabei seinen Kunstbegriff enthüllt, der an Banalität schwer zu überbieten ist: «Kunst bleibt Kunst, solange sie sich auf Andeutung beschränkt und sich gegen die Banalität des Realen abgrenzt.»

Vielleicht muss man Bernays Stück über Georg Büchner genau so lesen. Er eröffnet damit eine NZZ-Feuilletonreihe über Exil-Geschichten von Künstlern, die in die Schweiz geflohen sind. Eigentlich eine gute Idee, auch wenn man die Absicht – Ukraine-Flüchtlinge – spürt und leicht verstimmt ist. Aber das ist von Goethe, und der suchte in der Schweiz kein Asyl, weil er als Fürstenknecht, Pardon, Fürstendichter keine Verfolgung zu befürchten hatte.

Hier aber Büchner, das wohl grösste Genie der deutschen Literatur, des Theaters, der politischen Kampfschrift. Es ist eine unfassbare Tragödie, dass der Mensch bereits mit 23 Jahren in Zürich starb. Man kann mit Fug und Recht vermuten, dass er die wohl grösste Kathedrale deutscher Literatur hinterlassen hätte, wäre ihm nur etwas mehr Zeit auf Erden vergönnt gewesen.

Aber auch so hat Büchner eigentlich alle Felder bespielt. «Dantons Tod», eine aus ihrer Zeit bis heute hineinragende Abrechnung mit einer fanatisch werdenden Revolution. Erst von Hilary Mantels «Brüder» wieder erreicht, aber die brauchte über 1000 Seiten dafür. «Lenz», eine kongeniale Kurzgeschichte über den deutschen Dichter, der sich in den Wahnsinn flüchtete. «Woyzeck», ein dermassen abgründiges Fragment, dass man schon die Sprachgewalt von Heiner Müller braucht, um ihm einigermassen gerecht zu werden: «Ein vielmal vom Theater geschundener Text, der einem Dreiundzwanzigjährigen passiert ist, dem die Parzen bei der Geburt die Augenlider weggeschnitten haben, vom Fieber zersprengt bis in die Orthografie, eine Struktur, wie sie beim Bleigießen entstehen mag, wenn die Hand mit dem Löffel vor dem Blick in die Zukunft zittert, blockiert als schlafloser Engel den Eingang zum Paradies, in dem die Unschuld des Stückeschreibers zu Hause war.»

Aber Büchner konnte auch die vermeintlich leichte Muse, wie er mit dem bitterbösen Lustspiel «Leonce und Lena» bewies. Und dann sein «Hessischer Landbote», ein Vorläufer des Kommunistischen Manifests von Marx und Engels, mit dem ikonischen Einleitungssatz «Krieg den Palästen, Friede den Hütten». Das war Agitation pur, Aufforderung zum Aufruhr, in einer volksgerechten Sprache und mit einer geradezu biblischen Wucht. Verdienstvoll von Hans Magnus Enzensberger 1974 um Texte, Briefe, Prozessakten und einen klugen Kommentar erweitert, nochmals herausgegeben.

So gäbe es so vieles über die riesigen Grundsteine einer unvollendeten Kathedrale zu sagen, bei denen jeder einzelne Text das meiste, wenn nicht alles verzwergen lässt, was heutzutage als angebliche Literatur daherkommen will. Eigentlich müsste man Literatendarstellern wie Bärfuss oder Kim raten, mal einen Blick in das schmale Werk von Büchner zu werfen – um dann endlich zu verstummen.

Das möchte man auch Barneys anraten, der auch den emblematischen Kampfruf zitiert, um dann schlapp fortzufahren: «Dann ziehen die Autoren wortreich über die deutsche Aristokratie her.» Das ist dem Pamphlet etwa so angemessen, wie wenn einer in der Hölle sagen würde: etwas warm hier.

Statt zu versuchen, diese Berge wenigstens von unten ehrfürchtig zu bestaunen, verliert sich Bernays in Nebensächlichkeiten: «Der Rebell ist unterdessen zum skeptischen Realisten gereift. Die Angst vor Verfolgung hat seine Lust auf politische Agitation gedämpft.» Kein Wunder, wenn ein Mitbeteiligter am «Hessischen Landboten» in den Kerker geworfen wird, dort jahrelang gequält, um schliesslich unter ungeklärten Umständen zu sterben.

Lange Absätze verschwendet Bernays auch auf Loblieder auf das damals in Zürich regierende liberale Bürgertum, in dessen Tradition sich die NZZ selbstverständlich sieht. Es ist leider nicht überliefert, was die NZZ damals zu Büchner und seinem Landboten gesagt hätte; das erste Mal findet er 1875 Erwähnung, als die alte Tante berichtet, dass deutsche Studenten Georg Büchner «unter der deutschen Linde auf dem Zürichberg einen Denkstein zu errichten» beabsichtigen.

Aber immerhin, viel, viel später würdigt die NZZ den «Hessischen Landboten», so schreibt sie im Oktober 1913: «Trotzdem liess sich Büchner durch gewisse Tendenzen fesseln und in das Treiben mit einer Leidenschaft hineinziehen, die ihm nach Eduard Engels Prophezeiung bei längerem Leben die Rolle eines Vollführers von 1848 und damit das Ende eines Robert Blum, vor den Gewehrläufen der Soldaten eines Kriegsgerichtes, hätte eintragen müssen.»

Immerhin. Dagegen ist die gesamte «Würdigung» durch Bernays ein Schluck Wasser, rund 110 Jahre später. Aber vielleicht verhält es sich bei Büchners Kampfschriften wie mit Eugène Delacroix Monumentalgemälde «Die Freiheit führt das Volk an» von 1830. Bevor es zum kitschigen Zitat verkam, wurde es über 30 Jahre lang im Depot verstaut, so sehr fürchtete man seine revolutionäre Sprengkraft.

Und auch heute noch, richtig inszeniert oder gelesen, atmen Büchners Werke den revolutionären Geist des Aufruhrs und des Umsturzes, denunzieren sie die herrschenden Verhältnisse und die an ihnen schuldigen Herrschenden, rufen zu Unrast, Aufruhr und Umsturz auf.

Ausser, sie werden von einem Schmock wie Bernays nochmals zu Grabe getragen.

Zauberhaft

Nun also auch David Copperfield.

Die «#metoo»-Bewegung ist schon längst entzaubert. Als oftmals missbrauchter Knüppel, um sich an Prominenten abzuarbeiten. Entweder, um etwas vom Schein deren Prominenz auf sich selbst abzulenken – oder aus rein finanziellen Erwägungen.

Als letztes grosses Opfer blieb der grosse Schauspieler Kevin Spacey zurück. Von allen Vorwürfen freigesprochen, aber ruiniert und für Jahre ohne seinem Talent entsprechende Rollen. Shit happens, sagen da die harten Vertreter von #metoo» (wenn sie überhaupt etwas sagen). Denn Typen wie Andreas Tobler sind schnell bereit, das Canceln von allen Konzerten von Rammstein in der Schweiz zu fordern. Aber wenn sich dann seine Unschuld herausstellt, schweigt er feige.

Nun hat es also noch den Zauberer David Copperfield erwischt. Es ist sozusagen das übliche Vorgehen. 16 Frauen beschuldigen ihn öffentlich, ihnen gegenüber sexuell übergriffig geworden zu sein. Die Vorfälle sollen sich von den späten Achtzigerjahren bis 2014 ereignet haben. Also der jüngste liegt 10 Jahr zurück; allesamt jenseits der Verjährungsfristen. Angezeigt wurde kein einziger dieser angeblichen Übergriffe.

Eines der möglichen Opfer behauptet unter Namensnennung, sie sei 1988 als damals 17-Jährige von Copperfield unter Drogen gesetzt und während einer Ohnmacht missbraucht worden. Schon 2007 hatte ihn eine frühere Schönheitskönigin bezichtigt, sie sexuell missbraucht zu haben. Da das in den Einzugsbereich des FBI fiel, untersuchte die Behörde zwei Jahre lang, ohne Ergebnis. Dieselbe Frau wurde dann später wegen der gleichen falschen Anschuldigung gegen ein anderes Opfer zu einer Geldstrafe verurteilt.

Schon 2018 hatte Copperfield geradezu seherisch vor der Verwendung falscher Anschuldigungen gewarnt, weil sie den tatsächlichen Opfern schadeten.

Das alles bedeutet nicht, dass all diese behaupteten Übergriffe erfunden oder imaginiert seien. Es ist nicht auszuschliessen, dass Copperfield ein Sexmonster mit einer Vorliebe für blutjunge Frauen ist. Die er mit dem Versprechen, ihnen bei ihrer Karriere behilflich zu sein, mehr oder minder willig machte, seinen Avancen nachzugeben. Oder die er unter Drogen setzte, damit sie ihm wehrlos ausgeliefert waren.

Nur: auch Copperfield beteuert und lässt durch seine Anwälte ausrichten, dass er sich niemals «unangemessen» verhalten habe, schon gar nicht gegenüber Minderjährigen. Er weist auch darauf hin, dass das nicht das erste Mal sei, dass er mit solchen (niemals zu einer Verurteilung führenden) Vorwürfen konfrontiert werde.

Schuld oder Unschuld ist hier nicht beweisbar. Nur hat die Anschuldigung «sexueller Übergriff» die fatale Folge, dass der Angeschuldigte eigentlich seine Unschuld beweisen muss. Reines Leugnen, Unschuldsvermutung, im Zweifel für den Angeklagten, der Nachweis muss über jeden vernünftigen Zweifel hinaus erfolgen, all diese Prinzipien des Rechts sind hier ausser Kraft gesetzt.

Stattdessen wird gemeint und vermutet. Die einen meinen, dass Copperfield doch sicher Zaubertricks angewendet habe, um Groupies ins Bett zu kriegen. Andere meinen, dass man es dem doch schon ansehe. Wieder andere meinen, dass er ein weiteres Opfer der sich wirklich wiederholenden gleichen Masche ist. Viele Jahre später melden sich Frauen nicht etwa bei den Strafbehörden, sondern bei den Medien, in diesem Fall dem «Guardian».

Der titelt recht merkwürdig: «Enthüllt: Magier David Copperfield wird des sexuellen Fehlverhaltens von mehreren Frauen beschuldigt». Das hätte eine «US-Investigation» des «Guardian» ergeben. Was für eine Untersuchung? Offensichtlich haben sich diese Frauen bei der Zeitung gemeldet, während Copperfields Anwälte die Anschuldigungen als «nicht nur komplett falsch, sondern auch völlig unplausibel» zurückweisen.

Nun ist es normalerweise eher schwierig, ein Ereignis, das wohl unter vier Augen vor vielen Jahren stattgefunden haben soll, zu beweisen. Es ist fast noch schwieriger, zu beweisen, dass es nicht stattgefunden hat.

Sicher ist einzig: damit ist auch der Ruf von Copperfield schwer beschädigt. Sollten sich auch diese Anschuldigungen (womit nicht gesagt sein soll, dass es keine widerlichen sexuellen Übergriffe unter Ausnützung von Jugend oder Machtgefälle gebe) in Luft auflösen, bleibt sicherlich mehr als ein schlechter Geruch zurück.

So wie Spacey, wie beim Sänger von Rammstein, wie bei anderen deutschen Prominenten. All denen klebt bis an ihr Lebensende an: war da nicht mal was? Aber sicher, wenn man reich und berühmt ist, dann kommt man aus allem heraus. Wobei sich bei solchen Anschuldigungen gerade zeigt, dass auch das Gegenteil der Fall ist.

Was hier besonders befremdet: die überdeutliche Parallelität zum Fall Rammstein. Ein mutmassliches Opfer meldet sich und steht mit Namen und Gesicht zu seiner Anschuldigung, die allerdings im Jahr 1988 stattgefunden haben soll. Dann melden sich weitere mutmassliche Opfer, fast alle anonym. Und alle diese 16 Frauen konnten bis heute niemals über das ihnen angetane Unrecht sprechen? Keine einzige kam auf die Idee, direkt nach dem Vorfall Anzeige zu erstatten? Aber jetzt bricht es gleichzeitig aus ihnen heraus?

Ein Hauch von Vernunft

Ein Gericht entschärft die Killerwaffe «sexuelle Belästigung».

Zunächst die Packungsbeilage: natürlich gibt es sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz, ungehörige Bemerkungen, sogar Übergriffe, besonders widerlich, wenn dabei Abhängigkeitsverhältnisse und Hierarchien ausgenützt werden.

Auf der anderen Seite ist der Vorwurf einer verbalen sexuellen Belästigung zur Killerwaffe denaturiert, die Karrieren schlagartig beenden kann, oder Arbeitsverhältnisse. Besonders widerwärtig ist dieser Vorwurf, wenn er anonym erhoben wird, der Vorfall Jahre zurückliegt, die Tat mündlich erfolgt sein soll und niemals angezeigt wurde.

Besonderes Ziel solcher Vorwürfe sind Prominente, weil damit die Beschuldigerinnen (es gibt sehr wenig Männer unter ihnen) sich selbst ein Scheibchen Ruhm oder Geld abschneiden wollen. Mit wenigen Ausnahmen sind all diese Vorwürfe in sich zusammengefallen, besonders widerwärtig im Fall des Rammstein-Sängers, der immerhin Geld und Standing hatte, sich dagegen zur Wehr zu setzen. Ein amoklaufender Schweizer Journalist des Qualitätskonzerns Tamedia forderte sogar die Absetzung aller Konzerte Rammsteins in der Schweiz, obwohl selbstverständlich die Unschuldsvermutung gelte.

Ein Oberchefredaktor des Ringier-Verlags wurde aufgrund niemals konkretisierter Vorwürfe freigestellt und entsorgt. Die Ergebnisse einer angekündigten Untersuchung wurden unter Verschluss gehalten. Einem Ex-Chefredaktor wurden aus heiterem Himmel auf der Riesenplattform «Der Spiegel» üble Vorwürfe gemacht. Dass sie von einer nach Mobbing gefeuerten Mitarbeiterin stammten, die frustriert war, weil sie eigentlich seinen Posten bekommen wollte, was soll’s. Herausragend war hier die Feigheit aller «Magazin»-Mitarbeiter. Die laufen sonst mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger herum, waren aber hier nichts Manns genug, die Behauptungen, dass die Ex-Redakteurin auch coram publico vor der Redaktion übel angegangen worden sei, zu bestätigen – oder zu dementieren.

Schliesslich gibt es den Fall eines linken Starreporters, der zuerst freigestellt, dann fristlos gefeuert wurde. Aufgrund von anonymen, teils Jahre zurückliegenden Anschuldigungen, die ebenfalls niemals zuvor zur Anzeige gebracht worden waren. Und wir erinnern uns an die haltlosen Behauptungen von 78 erregten Tamedia-Redaktorinnen, von denen sich keine an die interne Ombudsstelle gewandt hatte, deren Vorwürfe allesamt so abstrakt formuliert waren, dass sich kein einziger überprüfen, geschweige denn erhärten liess.

All das muss man im Hinterkopf haben, wenn man ein Urteil des Zürcher Obergerichts begrüsst, über das Tamedia berichtet: «Ein Ex-Bankdirektor bekommt Geld von seiner ehemaligen Arbeitgeberin, weil diese ihm das rechtliche Gehör versagte. Er bekommt dafür rund 70’000 Franken.»

Auch er war Opfer der Anschuldigung sexueller Belästigungen geworden. Die Vorgeschichte: «Eine Angestellte hatte den Direktor im August 2018 bei der internen Ombudsfrau für Verhalten und Ethik gemeldet. Die Bank untersuchte den Fall. Sie kam dabei zum Schluss, dass die von der Angestellten sowie von weiteren Mitarbeitenden beschriebenen unangemessenen Verhaltensweisen mit grosser Wahrscheinlichkeit stattgefunden hatten

Immerhin suchte hier niemand den Weg an die Öffentlichkeit. Die Bank entliess daraufhin den Mitarbeiter mittels ordentlicher Kündigung, der wehrte sich dagegen und verlangte eine Entschädigung. Das Zürcher Obergericht gab ihm nun recht. Er sei damals mit den Vorwürfen überrumpelt worden, die Bank «informierte ihn dabei weder über die Namen der angeblich belästigten Personen noch über Ort, Zeitpunkt und genaue Art und Weise der ihm vorgeworfenen Handlungen».

Und nun kommt der entscheidende Punkt:

«Die Bank hatte geltend gemacht, damit – wie in den Merkblättern festgehalten – die Anonymität der meldenden Personen zu schützen. Sichere die Bank ihren Mitarbeitenden Vertraulichkeit zu, könne dies aber nicht zulasten der Verteidigungsmöglichkeiten des Angeschuldigten gehen, hält das Obergericht nun fest.»

Daraus folgt: «Dem Bankdirektor sei «aufgrund der mangelhaften Spezifizierung der Vorwürfe die Möglichkeit genommen worden, allfällige entlastende Tatsachen vorzubringen». Ihm sei das rechtliche Gehör nicht gewährt worden. Die Kündigung sei damit missbräuchlich erfolgt.»

Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Eigentlich müsste ihm noch ein zweiter folgen. Wer – geschützt durch Anonymität – ehr- oder persönlichkeitsverletzende Behauptungen öffentlich oder innerhalb eines Unternehmens äussert, müsste dafür zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie sich als unwahr oder nicht beweisbar herausstellen.

Da wird nun ein Geheul von Kampffeministinnen ertönen, dass damit die Gegenwehr gegen sexuelle Übergriffe jeglicher Art erschwert werde. Andererseits kann es doch nicht sein, dass jeder, der dabei erwischt wird, wie er Ehrverletzendes über jemand anderen sagt, dafür sanktioniert wird. Nur bei der Killerwaffe «verbale sexuelle Belästigung» soll das dann nicht gelten?

Hier herrscht nach wie vor auch eine Beisshemmung seitens der Unternehmen. Eigentlich hätte Tamedia die Unterzeichnerinnen des Schmähbriefs schadenersatzpflichtig machen müssen. Schliesslich fügten sie dem Konzern mit haltlosen Behauptungen einen messbaren Reputationsschaden zu. Aber so sehr Pietro Supino sonst aufs Geld achtet, hier traut er sich nicht.

Und die Hetzer in den Medien?

Wegducken und so tun, als war da nix. Denn es ist ein Medienskandal.

Shelby Lynn hat ihre 15 Minuten Ruhm bekommen. Das schaffte sie mit einem Video, in dem sie ein paar blaue Flecken zeigte. Und erklärte, dass sie sich an deren Entstehen nicht erinnern könne, aber an einer After-Show-Party von Rammstein teilgenommen habe. Sie insinuierte zudem, dass man sie möglicherweise unter Drogen gesetzt habe. Dummerweise ergaben aber alle Drogentests im Nachhinein nichts.

Schliesslich reichte sie noch bei der Staatsanwaltschaft Vilnius eine Strafanzeige ein. Wie in solchen Fällen üblich, meldeten sich einige weitere Frauen, die unter dem Schutz der Anonymität Reportern weitere Geschichten von unerwünschter Anmache erzählten.

Besonders hervor tat sich die Youtuberin «Kayla Shyx», die aufgeregt wilde Storys verbreitete, die ihr angeblich zugetragen wurden oder die sie selbst erlebt haben wollte. Damit erhöhte sie ihre Einschaltquote gigantisch. Ihr wurde dann aber schnell der Stecker gezogen.

Das war die übliche verantwortungslose Keiferei auf den asozialen Medien. Das wurde ergänzt durch die inzwischen ebenfalls übliche verantwortungslose Hetzerei auch in seriösen Medien. Die NZZ sprach sogar von einem «Täter», löschte den Begriff dann aber schleunigst. «Blick» war nicht schnell genug und musste einen ganzen Artikel löschen, zu Kreuze kriechen und sogar ein liebedienerisches Interview mit dem Anwalt des Rammstein-Sängers veröffentlichen, wofür sich Mikrophonständer Reza Rafi hergab.

Das ehemalige Nachrichtenmagazin «Spiegel» widmete der Hysterie sogar eine Titelgeschichte. Sie kochte dann nochmal hoch, als vermeldet werden konnte, dass bei der Staatsanwaltschaft Berlin mehrere Anzeigen eingegangen seien. Endlich, denn alle anonymen und die wenigen angeblichen Opfer, die mit Namen hinstanden, hatten es allesamt unterlassen, zur Polizei zu gehen.

Es endete, wie es auch nicht allzu selten endet: keine Staatsanwaltschaft sah einen Anfangsverdacht, um Ermittlungen aufzunehmen.

Nun dreht Sänger Till Lindemann offenbar den Spiess um. Die Staatsanwaltschaft in Vilnius, weiss die deutsche «Bild», ermittelt gegen diese Shelley Lynn wegen des Verdachts auf Verleumdung.

Das wird wohl auch mit einer Einstellung enden. Denn die Dame hatte wohlweislich darauf verzichtet, Lindemann irgendwelcher Straftaten zu bezichtigen. Da sie behauptet, eigentlich pleite zu sein, ist zu hoffen, dass es keine zivilrechtlichen Ansprüche gegen sie geben wird.

Das gilt aber leider auch für alle Hetzer in den Medien, die sich wieder mal mit Vorverurteilungen überschlagen haben. Ein Amok im «Tages-Anzeiger» forderte sogar, dass die Berner Konzerte abgesagt werden müssten.

Es ist unerträglich, welchen Reputations- und Rufschaden verantwortungslose Journalisten verschulden können – haftungsfrei, uneinsichtig und unbelehrbar. Sogar heute noch schwurbeln Feinde des Rechtsstaats wie Marc Brupbacher herum: «Viele feiern Lindemann nun als unschuldig. Dabei hat keine einzige Frau Anklage erhoben. Warum nicht? Weil sie wissen, was sie erwartet hätte.»

Das ist zwar ziemlich wirr, soll aber wohl heissen, dass er in Wirklichkeit gar nicht so unschuldig sei, aber geschützt durch Macht und Geld. Das entscheiden inzwischen selbsternannte Scharfrichter in den Medien und scheuen auch so früh wie möglich nicht vor einer Namensnennung zurück. Denn erst das gibt ihrer schlaffen Story den gewünschten Pep.

Ganz anders sieht das aber aus, wenn es einen der Ihren erwischt. Obwohl ja inzwischen wohl jeder weiss, um wen es sich handelt, verschweigt die Journaille eisern den Namen eines Freigestellten, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden.

Das ist zwar im Prinzip richtig, denn auch hier gilt – selten so gelacht – die Unschuldsvermutung. Was aber nicht gilt, ist die Vermutung, dass die Medienschaffenden wenigstens öffentlich bereuen könnten, wie sie sich wieder einmal vergaloppiert haben, auf effekthascherische Erzählungen anonymer Trittbrettfahrerinnen hereinfielen, das dem Leser als brandheisse, tiefenrecherchierte News verkauften.

In einem anderen Fall wurde der Name sowohl des Beschuldigten wie auch der Beschuldigerin von ihr selbst in die Öffentlichkeit gebracht. Dumm nur, dass sich fast alle Anschuldigungen nicht erhärten liessen. Dumm nur, dass Augen- und Ohrenzeugen ein Schweigeglübde abgelegt hatten, darunter der Chefredaktor der Gutmenschenpostille «Republik». Dumm nur, dass unfähige Journalistinnen immer wieder anonyme Zeugenaussagen heraustrompeten, dass alles noch viel schlimmer gewesen sein sollte.

Die Untersuchung gegen diese Lynn wird wohl eingestellt werden. Auch die ist durch die Art, mit der sie sich ihre 15 Minuten Ruhm abholte, stigmatisiert.

Was aber unerträglich wird, ist die Haftungsfreiheit all der Journalisten, die losgebelfert haben, heulend wie Jagdhunde Fährten erschnupperten und verbellten. Um dann kurz zu vermelden, dass da wohl doch nix dran war. Aber je nun, Musik und Groupies, Männerdominanz, Abhängigkeiten, man wisse es ja.

Dann ein paar verlogene Krokodilstränen verdrückt («sind wir vielleicht ein wenig zu weit gegangen? Antwort: nö»), und das war’s. Keine Entschuldigung, kein Gelöbnis der Besserung, keine neu eigenbauten Sicherungen.

Wetten, dass der nächste Fall Lindemann schon um die Ecke lauert, wenn die Missbräuche der katholischen Kirche abgefrühstückt sind?

 

Menschenverachtend

Die Gutmenschen sind Bösmenschen.

«Kevin Spacey im freien Fall. Seit Jahren hat der Schauspieler junge Männer belästigt und genötigt.» Tamedia, November 2017.

«In London laufen polizeiliche Ermittlungen gegen Spacey, der sich einer Sprecherin zufolge in therapeutische Behandlung begeben hat.» Tamedia, Dezember 2017.

«Soeben hat Scotland Yard Ermittlungen gegen Kevin Spacey aufgenommen, der als künstlerischer Leiter des «Old Vic» einen anderen Mann sexuell angegriffen haben sollTamedia, November 2017.

«CNN hatte von acht aktuellen oder früheren Mitarbeitern am Set von «House of Cards» berichtet, die Spacey mit Blick auf sexuelle Annäherungen ein «räuberisches» Verhalten vorwerfen. Sie beschuldigten ihn unter anderem, ein giftiges Arbeitsklima erzeugt zu haben.» Tamedia, November 2017.

«Kevin Spacey hat sich für einen sexuellen Übergriff auf einen 14-Jährigen entschuldigt – und zur Ablenkung sein Coming-out bekannt gegeben.» Tamedia, Oktober 2017.

Vorsicht vor Beschädigungen, Respekt vor der Unschuldsvermutung? Klarer Hinweis darauf, dass es sich um unbewiesene, teilweise Jahrzehnte zurückliegende Anschuldigungen handelt, deren Motivation nicht zuletzt Ruhm- und Geldgier ist?

Ach was. Nun Freispruch auf ganzer Linie in London. Sämtliche Anschuldigungen in den USA hatten sich schon zuvor in Luft aufgelöst. Nein, nicht in Luft. Spacey, einer der begabtesten Schauspieler unserer Zeit, der in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden hatte, wurde geächtet, von Hollywood ausgespuckt, aus fertigen Filmen geschnitten, in der Erfolgsserie gefeuert. Er hat sieben Jahre seines Lebens verloren – und all sein Geld, das für Anwälte draufging.

Hört man da bei Tamedia und bei allen anderen Blätter, die die damalige Hetze befeuerten und willig mitmachten, mit dem moralischen Zeigefinger wackelten, Behauptungen als Tatsachen darstellten, hört man da ein leises Wort des Bedauerns, der Entschuldigung gar?

Schlimmer noch, hat man gelernt? Wie der Fall Rammstein beweist: null und nichts wurde gelernt. Dem «Blick» wurde eine Verfügung um die Ohren gehauen, einen Schmierenartikel zu löschen. Selbst die NZZ vergriff sich und schrieb nassforsch vom Sänger als «Täter». Das wurde dann immerhin schnell korrigiert, aber der Fleck bleibt.

Inzwischen gehen Lindemanns Anwälte weiterhin konsequent gegen Kolporteure, Schmierer und Hetzer vor. Dem «Spiegel» – inzwischen einschlägig für solche Unterleibsstorys bekannt – wurden diverse Aussagen verboten. Einer Videobloggerin, die auch die Welle reiten wollte, um bekannter zu werden, wurden diverse kolportierte Aussagen untersagt.

Aber gibt es Anzeichen von Lernfähigkeit? Bei den grossen Medienkonzernen in der Schweiz null. Noch viel weniger bei «Republik», WoZ und Konsorten. Mit einer lobenswerten Ausnahme – wie meist. richtig, natürlich die NZZ.

Claudia Schwartz nimmt sich die Berichterstattung nach dem Freispruch Spaceys vor. Und urteilt so scharf wie richtig:

«Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. «Kein üblicher Verdächtiger» titelte das deutsche Magazin «Stern» wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?»

Schwartz geht noch weiter und sieht Anlass, «sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. «Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde», sagte Spacey zum Auftakt des Strafprozesses.»

Dann kommt sie zur einzig richtigen Schlussfolgerung: «Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen

So gut auch eine Stimme der Vernunft tut: sie geht unter im wilden Gekreisch und Gehetze auf den sozialen Plattformen, wo die Mainstream-Medien aus billigen Gründen mitschwimmen, wo jeder Kurzdenker und Kleinredaktor sich zum moralischen Grossinquisitor aufschwingen kann, vor Entrüstung beben, vorverurteilen – um dann feige zu schweigen.

Das ist verantwortungslos, erbärmlich und ein weiterer der vielen Sargnägel für diese Art von Medien, die keinerlei Mehrwert mehr enthalten. Ausser, Erregungsbewirtschaftung und wohlfeile Vorverurteilungen, das Errichten von Schandmalen, an denen sich das Publikum gütlich tun kann, sei ein Mehrwert.

 

Zufälle gibt’s,

die gibt’s gar nicht.

Beim «Blick» löst normalerweise in eher hoher Kadenz eine mässige Story die nächste ab. Der wertvolle Platz auf der Homepage wird natürlich nach Verweildauer der Konsumenten geregelt. In Echtzeit. Was nicht interessiert, wandert nach unten oder verschwindet.

Meistens innert Stunden. Da ist’s dann schon erstaunlich, dass ein am Sonntag veröffentlichtes Interview am Donnerstag noch zuoberst in der Rubrik «People» steht. Das muss ja dann mindestens ein Exklusiv-Gespräch mit Madonna im Spital sein. Oder die Homestory: Selinskyj ganz privat.

Nicht wirklich:

Es handelt sich um ein liebedienerisches Interview mit dem deutschen Anwalt des Rammstein-Sängers Till Lindemann, der nicht zuletzt vom «Blick» vorverurteilt wurde. Nun begab es sich, dass das Nicht-mehr-Boulevard-Organ einen dieser Schmierenartikel löschen musste und auch eine «strafbewehrte Unterlassungserklärung» abgeben. Also versprechen, das nie mehr zu tun.

Zudem gab der Flop-King Reza Rafi im SoBli Anwalt Schertz Gelegenheit, mit «den Medien abzurechnen». Und zwar vom Gröberen: «Ich finde diese Entwicklung, diese Form von Verdachtsberichterstattung, verheerend.» Rafi tat dabei das ganze Gespräch hindurch so, als ginge diese Abrechnung sein Blatt überhaupt nichts an.

Nun fragte man sich, wie um Himmels willen der «Blick» auf die Idee kommt, sich eins in die Fresse hauen zu lassen und dazu noch ein freundliches Gesicht zu machen.

Inzwischen ist sonnenklar – und hier handelt es sich um Verdachtsberichterstattung unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung –, dass es sich bei dem Interview um einen Teil eines Deals handeln dürfte, mit dem der «Blick» schmerzliche Kostenfolgen seiner Berichterstattung vermeiden konnte.

Dass finanziell schmalbrüstige Organe wie ZACKBUM oder «Inside Paradeplatz» gelegentlich in die Knie gehen, wenn sie juristisch mit einem finanziellem GAU bedroht werden, ist verständlich. Das nennt man einen Vergleich, der horrende Gerichts- und Anwaltskosten abwendet.

Dass aber ein trotz Auflagenschwund immer noch potentes Organ wie der «Blick» ebenfalls in die Knie geht, dass sich der frischgebackene Chefredaktor Rafi dafür hergibt, das ist hingegen bedenklich.

Aber es gilt natürlich die Unschuldsvermutung, versteht sich.

«Blick» schielt

Der Serbel-SoBli treibt die Heuchelei auf die Spitze.

Journalismus, vor allem in seiner niedrigsten Ausprägung, zeichnet sich durch eine gute Portion Unverfrorenheit, Chuzpe, das ansatzlose Wechseln von Positionen, grossmäulige Behauptungen und kleingedruckte Korrekturen aus. Zudem fehlt ihm jede Form der Selbstkritik.

Eigentlich wollte ZACKBUM über den Konzernbüttel Reza Rafi kein Wort mehr verlieren, alleine schon aus hygienischen Gründen. Aber dieser Provokation zu widerstehen, wäre übermenschlich:

«Rammstein-Anwalt Christian Schertz rechnet mit den Medien ab», überschreibt Rafi sein Interview. Daraus ergibt sich die besorgte Frage, ob der frischgebackene und von einem Flop zum nächsten eilende SoBli-Chefredaktor an galoppierendem Gedächtnisverlust leidet.

Launig beginnt Rafi seinen Text: «Christian Schertz: Ein Name, der in vielen Redaktionen Bibbern auslöst.» Allerdings. zum Beispiel auf der «Blick»-Redaktion. Dann lässt Rafi den Anwalt doch tatsächlich solche Sachen sagen:

«Wir haben immer wieder Fälle, in denen eine Person einseitig und ohne Belege Vorwürfe erhebt und die Medien das übernehmen. Dann kommt jeweils der Alibi-Satz: Es gilt die Unschuldsvermutung. Ich finde diese Entwicklung, diese Form von Verdachtsberichterstattung, verheerend.»

Genau solche Vorwürfe hat auch der «Blick» kolportiert und ausgeweitet. Auch der SoBli hat an dieser Schmutzkampagne mitgewirkt und ein paar Paparazzi-Fotos vor dem Hotel, in dem die Combo in Bern abstieg, zum «Wahnsinn von Bern» hochgepumpt.

Rafi spricht hier mit dem Anwalt, der gerade den «Blick» dazu gezwungen hatte, einen seiner Schmierenartikel über den Sänger der Band Rammstein zu löschen und eine «umfangreiche, strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben».

Ein Auszug, was da alles von «Blick» und «SonntagsBlick» geschmiert wurde:

«Rammstein: Betroffene berichtet von Row-Zero-Erfahrungen», «Rammstein: Rechtsanwältin zerlegt Statement um Till Lindemann», «Rammstein und die toxische Groupie-Kultur», «Drummer Joe Letz soll die Skandal-Partys organisiert haben», «Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Till Lindemann nach Missbrauchsvorwürfen», «Frauenverachtung, Nazi-Ästhetik und Gewalt als Erfolgsrezept», «Nora Tschirner hilft mutmasslichen Opfern», «Das System Row Zero: Wie Alena M. Groupies für Till Lindemann rekrutiert», «Trennt sich die Band nach Vorwürfen gegen Till Lindemann?»

Eine kleine Auswahl aus 58 Artikeln in den letzten 30 Tagen. Und immer galt und gilt natürlich die Unschuldsvermutung.

Man muss schon über ein sonniges Gemüt verfügen, dass man als Mitverantwortlicher für diese Verdachtsberichterstattung, für dieses Kolportieren unbelegter Anschuldigungen, für das Herauströten von «Staatsanwaltschaft ermittelt» und dem Unterlassen der Mitteilung, dass die Ermittlungen mangels Anfangsverdacht eingestellt wurden, dass man dann einfach den Anwalt von Rammstein interviewt, dem die Stichworte für seine Medienkritik liefert – und so tut, als ginge einen selbst das überhaupt nichts an.

Schertz muss sich hingegen gesagt haben: putzige Kerlchen, diese Schweizer Journalisten. Eigenes Unrechtsbewusstsein null, beeindruckend.

Damit beenden wir nun wirklich und endlich das Thema Reza Rafi. Ausser, dass wir ein neues Mass definieren. Ein Hundertstel-Rafi ist eine Unverfrorenheit sondergleichen. Ein halber Rafi ist schon kaum mehr in Worte zu fassen. Und ein ganzer Rafi, nun ja, das sprengt jede Skala und jedes menschliche Fassungsvermögen.

Auf der anderen Seite, so gerecht ist ZACKBUM, entlassen wir einen Herrn für ein Mal aus der Quarantäne. Um ihn  zu loben. Doch, das ist kein Fake:

Und nein, das ist auch kein vergiftetes Lob des Hausgespensts von Ringier. Statt gegen den «Führer von Herrliberg» zu wüten, säuselt er über die SVP: Sie «muss dabei nicht sympathisch sein. Man muss ihr auch nicht zustimmen. Und ihre Schreihälse, die nach rechts aussen keine Berührungsängste kennen, sind dadurch nicht entschuldigt. Doch nützlich ist sie, diese Partei eines grossen und offensichtlich zunehmenden Volksteils

Meyer geht sogar noch weiter: «Die Wählerinnen und Wähler der SVP wählen falsch, sind also verantwortungslos, nämlich brandgefährliche Zündler. Der Bannfluch über die rechten Populisten läuft auf Wählerbeschimpfung hinaus, und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern im ganzen nachbarlichen Europa, von Melonis Italien über Le Pens Frankreich bis zu Weidels Deutschland. Was aber, wenn etwas dran wäre am unbeirrbaren Beharren der rechten Rechten

Oh Zeichen und Wunder. Gott liess Hirn vom Himmel regnen. Und der eine hatte einen Eimer dabei, der andere nicht mal ein Löffelchen.