Wumms: Birgit Schmid

Welch eine Wohltat, ein Labsal: ein niveauvoller Kommentar zu Rammstein.

Dumpfes Schweigen umweht den mit Abstand schlausten Kommentar zum medialen Skandal um den Rammstein-Sänger Till Lindemann. Vielleicht hat Birgit Schmid den falschen Titel gewählt («Der Wüstling»). Aber diese knapp 12’000 Anschläge wiegen jeder für sich alles auf, was in diesem Zusammenhang bislang gequatscht, gelabert, gejammert, vorverurteilt und geheuchelt wurde.

Wie armselig wirken da die Kommentatorenzwerge von «Tages-Anzeiger» über «Süddeutsche Zeitung» bis hin zu «Spiegel» und sogar FAZ.

Eine bemerkenswerte Überlegung wird bei Schmid auf die andere gestapelt: «Man soll das Werk vom Leben ihres Erschaffers losgelöst betrachten. Heute passiert das Gegenteil. Künstler werden gecancelt, bloss weil da in der Vergangenheit vielleicht einmal etwas war, was sich nicht beweisen lässt; weil einem eine politische Haltung nicht passt oder ein Werk als anstössig empfunden wird.»

Schmid geht als Erste (!) der Person Lindemanns nach, seinem Werdegang, seinen Beeinflussungen. Um solche Sätze über den Bildungshintergrund Lindemanns zu schreiben, muss man selbst gebildet sein: «Der Sänger liess sich dabei von E. T. A. Hofmanns «Der Sandmann» inspirieren. Mit seinem Hang zum Unheimlichen, das er gerne auch parodiert, beerbt er die deutschen Romantiker. Theodor Fontane, Joseph von Eichendorff, aber auch Goethe und Schiller oder Bertolt Brecht. Im «Fänger im Roggen» erkannte sich Lindemann als Jugendlicher wieder, in der Figur des herumstreunenden Teenagers Holden Caulfield.»

Statt nur die tabubrechenden, pornografischen Liedzeilen zu zitieren, die Lindemann um die Ohren geschlagen werden, erwähnt Schmid auch den leisen Lyriker:

«Ich werde in die Tannen geh’n,/ Dahin, wo ich sie zuletzt geseh’n/ Doch der Abend wirft ein Tuch aufs Land/ Und auf die Wege hinterm Waldesrand.»

Schmid verurteilt nicht, sie urteilt. Sie begibt sich auf Spurensuche, erkundet die Spalten und Abgründe zwischen der Kunstfigur auf der Bühne und dem Menschen. Wer selber primitiv und blöd ist, zudem nur ein sehr leicht geschnürten Bildungsrucksack hat – wie die meisten Kommentatoren von Tamedia ab- und aufwärts – sieht nur das Plakativ-Primitive bei Lindemann.

Lindemann als protofaschistisch, gar als Nazi abzustempeln, das heisst, seine Texte so missverstehen wie weiland Trottel Ronald Reagan, der Bruce Springsteens «Born in the USA» für ein Amerika verherrlichendes Lied hielt.

Wer hingegen fast die Flughöhe von Walter Benjamin (Kindersoldaten, googeln, oder besser: vergesst es) hat, kommt zu diesem Schluss:

«Die einen empfehlen Till Lindemann eine Therapie, damit er sich von seiner Triebhaftigkeit kuriere. Noch lieber sähen sie ihn vor Gericht. Die anderen hören hinter seinem Toben und der Grobheit Verzweiflung heraus und Einsamkeit. «Doch wenn die Wolken schlafen gehen,/ Kann man uns am Himmel sehen», heisst es im Lied «Engel». «Wir haben Angst und sind allein./ Gott weiss, ich will kein Engel sein.»»

Ein Labsal von Kommentar in der wüsten Wüste der herrschenden Gedankenlosigkeit. Wo kleine Lichter grosse Schatten werfen, in der Abenddämmerung der Kulturlosigkeit.

 

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