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Die Schell-Schmiere

Wer meint, die Journaille könne sich nicht mehr tieferlegen …

Da gab es den Medienskandal um Kevin Spacey. Dann gab es den Medienskandal um Till Lindemann. Um Til Schweiger. Um einen Sternekoch. Um einen ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor. Um einen Reporter, der bei der WoZ und der «Republik» arbeitete.

Ach, und dann gibt es noch den Ukrainekrieg (gähn) und die Missbrauchsvorwürfe gegen die katholische Kirche (gähn). Eigentlich gäbe es die Inflation, die Altersvorsorge, die Krankenkassenprämien, die steigenden Lebensmittelpreise, den Energieschock, die Mieten. Die Heizkosten, die Masseneinwanderung, die Flüchtlingskrise. Aber alles etwas komplexere Themen, die ein Minimum an Kenntnissen voraussetzen. Also nix für die Journaille.

Die ist glücklich, wenn sich der selbstgemachte Läderach-Skandal nicht weiter auslutschen lässt, dass eine mässig begabte und bekannte Schauspielerin ihrer erlahmenden Karriere und dem schleppen Buchverkauf Schub geben möchte. Was eignet sich dafür besser als Mann, berühmt, tot. Was eignet sich dafür besser als Mutter, berühmt, tot. Also macht die Nichte von Maximilian Schell zunächst dunkle Andeutungen, um dann zu bestätigen, was jeder herauslesen konnte: ja, es war Schauspieler Schell, der mich missbrauchte.

Also findet sich sofort auch noch die Tochter, die das auch erlebt haben will. Tote können sich nicht mehr wehren, das ist sehr praktisch. Die Taten sind längst verjährt, das ist auch praktisch. Verleumdung eines Toten, wer will dagegen klagen oder vorgehen?

Die Witwe des 2014 verstorbenen Schauspielers sagt wohl das Nötige und Gültige zu dieser Schmiere:

«Ich finde es nur immer sehr problematisch, mit solchen Anschuldigungen nach so vielen Jahren an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn der Beschuldigte bereits seit 10 Jahren verstorben ist, sich nicht mehr dazu äussern und wehren kann und gleichzeitig die Promotion für ein neues Buch gestartet wird. Es hätte sicher Momente zu seinen Lebzeiten gegeben, ihn damit zu konfrontieren.»

Man kann es auch weniger höflich formulieren: das ist schlichtweg widerwärtig, unappetitlich, schamlos und entwürdigend für alle Beteiligten. Es ist diese ausgeleierte Nummer: Jahrzehntelang war es dem angeblichen Opfer nicht möglich, über die schrecklichen Vorfälle zu sprechen, geschweige denn, Strafanzeige zu stellen. Aber als Werbung für ein Buch ist der richtige Moment gekommen. Gesteigert wird diese Schmiere nur noch durch einem Skandal, Klickzahlen und Aufmerksamkeit alle Prinzipien opfernde Medien.

Als Begründung für das sehr späte Coming-Out wird immer die gleiche Ausrede missbraucht: das angebliche Opfer habe vorher nicht gekonnt, aber jetzt wolle es allen anderen Opfern Mut machen.

Wenn selbst die ehrwürdige NZZ einer mediengeilen Prostituierten ihre Spalten opfert und deren Lebensgefährten unwidersprochen von einem «Schicksalsschlag» schwafeln lässt, der in Wirklichkeit aus der Veröffentlichung eines verleumderischen Buchs mit unwahren und unappetitlichen Anschuldigungen bestand, dann muss sich ZACKBUM fragen, ob man fürderhin nicht ausschliesslich angelsächsische Medien lesen sollte. Denn selbst in der Schmiere ist ein «Daily Mirror» allem überlegen, was auf Deutsch erscheint. Und oberhalb davon gibt es mindestens ein Dutzend Qualitätsblätter, die diesen Namen auch verdienen.

Versager 3

Ein Männerberater darf im Tagi Unsinn verzapfen.

Bei einem Interview hat der Redaktor – neben dem Stellen von möglichst intelligenten Fragen – zwei Aufgaben. Er muss den Interviewten vor sich selbst beschützen. Und den Leser vor ihm.

Edgar Schuler hat hier tapfer gekämpft. Er interviewt den «Psychologen und Männerberater» Markus Theunert. Der freut sich natürlich über so viel Gratiswerbung. Und verzapft jede Menge Unsinn.

Gleich am Anfang galoppiert Theunert los: «Übergriffiges, grenzverletzendes, gewalttätiges Verhalten von Männern wird angeprangert, auch wenn es Männer mit Macht sind. Nicht der Missbrauch ist neu, sondern das öffentliche Anprangern

Schuler wendet ein, dass sich viele dieser Vorwürfe als falsch erwiesen und Karrieren zerstört wurden, zum Beispiel beim Schauspieler Kevin Spacey und beim Sänger Till Lindemann. Papperlapapp, meint Theunert: «Die Anschuldigungen erwiesen sich ja nicht als falsch, sondern in den beiden konkret untersuchten Fällen als strafrechtlich nicht genügend. Bei beiden Männern gibt es von zahlreichen Menschen ähnliche Anschuldigungen. Es ist für mich schwer vorstellbar, dass da einfach nichts dran sei.»

Will sich wirklich jemand von so einem Psychologen helfen lassen, der selbstherrlich meint, Scharfrichter sein zu dürfen und selber Schuld von Unschuld unterscheiden kann?

Auch auf die Frage, was Theunert den Männern sage, die sich nicht mehr trauen, alleine mit einer Frau im Lift zu fahren, hat der Psychologe eine knallharte Antwort: «Ich halte diese Männer für ein Phantom. Für eine Kunstfigur zwecks Schüren von Verunsicherung. Oder sind Sie schon einmal einem begegnet

Als Schuler das bestätigt, fällt der Psychologe in ein psychologisches Koma: «Echt? (zögert) Das macht mich grad etwas betroffen. Diese Angst ist mir fremd

Aber nun zum Werbespot für Theunerts neues Buch. Das hat natürlich eine Mission: «Was ich will: Männer ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden, ohne sich von Männlichkeitsimperativen so arg beschneiden zu lassen. Das ist eine grosse Aufgabe! Wir haben da eine historische Chance.»

Er spricht da, ganz der Küchenpsychologe, natürlich aus eigenen Erfahrungen: «Wie alle Männer, die in einer patriarchalen Gesellschaft wie unserer aufgewachsen sind, habe ich toxische Männlichkeitsnormen verinnerlicht.» Deshalb habe er gedacht, er werde männlicher, wenn er mit möglichst vielen Frauen schlafe.

Aber dann hat er sich selbst entgiftet. Wie das? «Indem ich mich – auch emotional – der Einsicht gestellt habe: Das macht mich leer und letztlich einsam.»

Fehlt noch was? Aber ja, es ist Wahlkampf, da muss natürlich noch das gute, alte SVP-Bashing sein: «Ich finds eher interessant, weshalb die SVP so lange gewartet hat, bis sie auf den Anti-Gender-Zug der rechtspopulistischen Internationalen aufgesprungen ist. Das Muster ist global und leicht durchschaubar: Wer das Bewirtschaften von Ressentiments als politisches Geschäftsmodell hat, landet fast zwangsläufig beim Gender-Thema.»

Ganz im Gegensatz zu einem «Männerberater», der ein Geschäftsmodell daraus gemacht hat, Männer zu beraten, wie sie bessere Männer werden. Oder so.

Eigentlich ist im Song «Männer» von Herbert Grönemeyer mehr Erkenntnis drin als in all diesem Gequatsche.

 

Recht und Moral

Wenn Medien auf dem ungeordneten Rückzug sind.

Nehmen wir als exemplarisch den Kommentar von Michael Graber in den CH Medien: «Verfahren eingestellt: Das ist kein Grund zum Jubeln».

Die CH Medien, das muss gesagt sein, waren im Fall Till Lindemann zurückhaltender als die übrigen Medien der Schweiz. Bei Tamedia forderte ein Amok gleich die Absage von Konzerten von Rammstein in der Schweiz. Der NZZ rutschte heraus, dass Lindemann ein «Täter» sei. Und der «Blick» musste zu Kreuze kriechen, einen Artikel löschen und ein schleimiges Interview mit einem der Anwälte des Sängers ins Blatt heben. Kommt halt davon, wenn man sich mit jemandem anlegt, der mehr Geld hat als ein Journalist.

Wir fassen kurz zusammen: eine Frau legte mit unklaren Behauptungen Feuer an die Zündschnur, dann explodierte die übliche Beschuldigungsorgie. Entweder in den asozialen Medien oder aber in der Mainstreampresse, wo sich sogar Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» oder des «Spiegel» nicht entblödeten, angeblichen Opfern von Lindemann eine Plattform für anonyme, wildeste Beschuldigungen zu bieten.

Davon animiert, wurden Strafanzeigen eingereicht. Eine von der Brandstifterin, dann noch weitere von gar nicht selbst Betroffenen, die aber dennoch furchtbar betroffen waren. Nun ist’s vorbei, und Graber behauptet kühn: «Die Rammstein-Welt ist wieder in Ordnung. … Alles vom Tisch. Die grosse Show kann weitergehen.»

Ist das so? Nein, anschliessend legt er den Rückwärtsgang ein: «In der ganzen Affäre gibt es eigentlich nur Verlierer. Beginnen wir mit der Selbstkritik: Ja, die Medien haben teilweise übermarcht.» Lustig, dass die Medien immer zunächst an sich selbst denken, nicht an das eigentliche Opfer dieser Hetze.

Dann kommt eine ganz üble Nummer: «Die Einstellung eines Verfahrens ist kein Freispruch. Es heisst, dass nicht genügend Beweise gesammelt werden können, die ausreichen würden, um ein richtiges Verfahren einzuleiten

Das ist ein wenig richtig und kreuzfalsch. Richtig ist, dass es kein Freispruch ist. Weil es den gar nicht braucht. Denn dieser Fall verröchelte bereits an der ersten Hürde der Strafverfolgung: dass überhaupt eine Strafuntersuchung begonnen wird. Wäre das der Fall, käme es dann allenfalls zu einer Anklage, dann zu einem Prozess, und schliesslich zu einem Schuld- oder Freispruch. Und dann würde es nochmal eine Weile dauern, bis das nach dem Instanzenzug rechtsgültig würde. Und bis dahin, selten so gelacht, würde die Unschuldsvermutung gelten.

Aber die ist in solchen Fällen längst durch die Schuldbehauptung abgelöst worden. Meistens haarscharf an der Grenze des Einklagbaren formuliert. Und sollte sich die als purer Rufmord, als Verleumdung, als unqualifizierte Übernahme und Publikation von unbewiesenen Behauptungen herausstellen, dann wird im Nachhinein gerechtfertigt, dass sich die Balken biegen.

«Wir sprechen hier nur von justiziablem Missbrauch. Also wenn eine Frau gefügig gemacht worden ist. Das System hinter der sogenannten Row Zero, bei dem Frauen vorgängig selektiert worden sind und später teilweise auch Lindemann zugeführt wurden, war nicht Teil der Untersuchungen. Auch darüber gab es Medienberichte.»

Und wenn es darüber Medienberichte gibt, dann entspricht das natürlich der Wirklichkeit. Weil die Medien nur und ausschliesslich überprüfte Tatsachen rapportieren. Für wie blöde hält dieser Graber eigentlich seine Leser?

Schliesslich kommt er unweigerlich zum Argument der Argumente: «Nur weil etwas rechtlich in Ordnung ist, muss es das nicht unbedingt auch moralisch sein.»

Immerhin, in diesem Satz kristallisiert sich die ganze Problematik. Denn er ist nicht zu Ende gedacht. Grundsätzlich ist er richtig. Alles, was nicht strafbar ist, ist erlaubt. Aber das bedeutet tatsächlich nicht, dass es auch moralisch-ethischen Massstäben einer zivilisierten Gesellschaft entspricht.

Nur: wer legt die fest? Wer darf das richten? Wer darf moralische Urteile, moralische Verurteilungen abgeben? Die Medienschaffenden? Ausgerechnet die Gesinnungsjournalisten, die Gutmenschen, die sich über alles erhaben fühlenden Schreiber in ihren Verrichtungsboxen im Newsroom? Deren Kenntnisse von Moral und Ethik, von moralischen Grundsätzen und deren Herleitung, von Immanuel Kant oder anderen Philosophen, vom Unterschied zwischen Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik auf einer Nadelspitze Platz haben?

Ausgerechnet Journalisten, die eins übers andere Mal unter Beweis stellen, dass sie zu fast allem eine Meinung, aber von fast nichts eine Ahnung haben? Die dem Herdentrieb folgen, sich in jedes beliebige Framing ergeben, Narrative nachplappern, wenn die von Vorreitern vorgegeben werden?

Wie lachhaft. Überhaupt nicht lustig ist dann die Schlussfolgerung von Graber am Ende seines Kommentars:

«Am Ende gehen alle verwundet aus der Schlacht. … Die mutmasslichen/angeblichen (je nach Schwarz-oder Weiss-Schattierung ankreuzen) Opfer von Lindemann, die nun endgültig zur Internet-Hetzjagd freigegeben sind. Und, fast am wichtigsten: Alle Opfer von sexuellem Missbrauch ganz generell.»

Nun, wer eine Internet-Hetzjagd eröffnete oder fleissig an ihr teilnahm, muss sich dann nicht beklagen, wenn ihm das Gleiche passiert. Und die Opfer generell? Richtig, darin besteht diese bodenlose Schweinerei von Möchtegern-Opfern, die sich damit ihre vergänglichen 15 Minuten Ruhm abholen wollen, indem sie sich entweder selber als Opfer präsentieren oder Opfergeschichten weitergeben wie diese unsägliche deutsche Bloggerin, der ihre rufschädigenden Verleumdungen verboten werden mussten. So wie sie diversen Presseorganen verboten werden mussten.

Viel wichtiger als das ist die Tatsache, dass nur jemand, der über so viel Geld (und eine treue Fanbasis) wie Lindemann verfügt, einen solchen Sturm stehend überleben kann. Der Schweizer Ex-Chefredaktor, dem genauso übel mitgespielt wurde, hat schlichtweg das Geld nicht, um gegen den «Spiegel» weiter vorzugehen, der eine ganze Latte von nachweislich falschen Behauptungen veröffentlichte. Der «Spiegel» kräht nun Triumph, dabei hat die Schmiere über Anstand und Moral gesiegt.

Opfer sind die zu Unrecht Angeschuldigten, auf lange Zeit an Ruf und Ehre beschädigt, oftmals wirtschaftlich ruiniert, sozial geächtet, stigmatisiert und mit einem Makel behaftet.

Während sich die daran Schuldigen mit ein paar launigen Sprüchen («Ja, die Medien haben teilweise übermarcht») aus der Affäre ziehen können. Was fehlt, ist die völlig richtige Forderung des deutschen Juristen und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach von allen Zinnen zu rufen und alles dafür zu tun, dass sie umgesetzt wird. Drakonische Strafen für alle Medienorgane, die falsche Anschuldigungen im Bereich «sexuelle Übergriffe» kolportierten.

Nein, das unterbindet nicht jegliche Verdachtsberichterstattung. Aber es zieht diejenigen zur Verantwortung, die bislang Existenzen vernichten können, dann mit den Schultern zucken und zur nächsten Hetzjagd weiterziehen.

Übernimmt Tobler Verantwortung?

Die Frage stellen, heisst sie beantworten.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat Ermittlungsverfahren gegen den Rammstein-Sänger Till Lindemann eingestellt. Zuvor hatte auch die Staatsanwaltschaft in Litauen eingestellt. In beiden Fällen gab es nicht einmal einen genügenden Anfangsverdacht, keinen Tatverdacht. Das bedeutet, dass keinerlei Strafverfahren mehr gegen ihn laufen.

In Vilnius hatte Shelley Lynn Anzeige erstattet. In Berlin Privatpersonen, angestachelt durch die Behauptungen von Lynn und einer Bloggerin namens Kayla Shyx. Sexueller Missbrauch, K.o.-Tropfen, Drogen, Alkohol, Row Zero, Übergriffe. So ging das Narrativ, mit dem diese beiden Frauen ihre 15 Minuten Ruhm abholten. Anschliessend surften viele weitere Frauen auf dieser Empörungswelle, kräftig unterstützt von Betroffenheitsjournalisten, die ihre anonymen Behauptungen fleissig kolportierten. Das ehemalige Nachrichtenmagazin «Spiegel» widmete dem Thema sogar eine Titelgeschichte.

Hirnstarre, Schnappatmung und moralische Werturteile am Laufmeter. Selbst die sonst zurechnungsfähige NZZ machte Lindemann kurzfristig zum «Täter», bis die Vernunft wieder einsetzte und dieser vorverurteilende Titel wieder verschwand.

Das Problem bei dieser Art von Erregungsbewirtschaftung ist, dass jeder Nachjapser noch lauter und schriller belfern muss, um sich noch Gehör zu verschaffen. Den Vogel schoss hier der Gesinnungsjournalist Andreas Tobler von Tamedia ab. Der holzte: «Die Rammstein-Konzerte sollten abgesagt werden». Seine Begründung: «Nein, eine Absage der Rammstein-Konzerte in Bern hätte nichts mit Cancel-Culture zu tun. Aber nun braucht es eine Pause, um die schwersten Vorwürfe noch vertieft abklären zu können.»

In einer völlig wirren Achterbahnfahrt behauptete Tobler einerseits: «Selbstverständlich gilt für Till Lindemann die Unschuldsvermutung, solange kein Verfahren eingeleitet und er nicht rechtskräftig verurteilt ist.» Andererseits solle man dennoch dem Sänger Berufsverbot erteilen, den Veranstalter der Konzerte in den Ruin treiben und Zehntausende von Zuschauern um das Konzerterlebnis prellen.

Ob man solche «Kunst, die gar keine Kunst mehr ist … noch irritationsfrei konsumieren» könne, fragte sich Tobler mit ungewohnter Sensibilität. Denn wenn es die Kunst gebietet, «Tötet Roger Köppel! Köppel Roger tötet!» zu texten, sah darin Tobler eine «Künstleraktion».

Niemals wäre es Tobler in den Sinn gekommen, das Verbot der Aufführung des dazugehörigen Stücks im Zürcher Neumarkt zu fordern. Keinen Ton hörte man von ihm, als man seiner Logik folgend doch die weitere Herausgabe des «Magazins» unbedingt hätte unterbrechen müssen, bis die Vorwürfe gegen den ehemaligen Chefredaktor geklärt wären.

Und wie steht es mit dem Weitererscheinen von «Republik» und WoZ? Wären da nicht auch zuerst «Vorwürfe vertieft abzuklären»?

Wer auf grossen Plattformen seine Meinung äussert, muss behaftbar dafür sein. Wer inquisitorisch Verbote fordert, muss dafür die Verantwortung übernehmen. Sonst kann man den Meinungsträger nicht mehr ernst nehmen.

Tobler kann man nicht mehr ernst nehmen. Tobler ist weder behaftbar für sein Geseier, noch ist er bereit, Verantwortung dafür zu übernehmen. Er haut einfach was raus und hofft (nicht zu Unrecht), dass sich doch heute niemand mehr an sein dummes Gequatsche von gestern erinnert.

Da täuscht er sich aber bei ZACKBUM. Wer solchen Unsinn verzapft, wer die Unschuldsvermutung mit Füssen tritt, wer künstlerische und wirtschaftliche Existenzen rücksichtslos vernichten möchte, ist eigentlich für ein sogenanntes Qualitätsmedium nicht mehr tragbar.

Er sollte gecancelt werden. Er sollte gefeuert werden. Denn Einsicht oder gar Besserung ist von ihm nicht zu erwarten. Eine Entschuldigung in Richtung der von ihm Vorverurteilten noch viel weniger. Ein Fall für eine Chefredaktorin, der angeblich Qualität das Allerwichtigste ist. Es wäre eine deutliche Qualitätsverbesserung, wenn Tobler nicht mehr für Tamedia schreiben würde …

Zufälle gibt’s,

die gibt’s gar nicht.

Beim «Blick» löst normalerweise in eher hoher Kadenz eine mässige Story die nächste ab. Der wertvolle Platz auf der Homepage wird natürlich nach Verweildauer der Konsumenten geregelt. In Echtzeit. Was nicht interessiert, wandert nach unten oder verschwindet.

Meistens innert Stunden. Da ist’s dann schon erstaunlich, dass ein am Sonntag veröffentlichtes Interview am Donnerstag noch zuoberst in der Rubrik «People» steht. Das muss ja dann mindestens ein Exklusiv-Gespräch mit Madonna im Spital sein. Oder die Homestory: Selinskyj ganz privat.

Nicht wirklich:

Es handelt sich um ein liebedienerisches Interview mit dem deutschen Anwalt des Rammstein-Sängers Till Lindemann, der nicht zuletzt vom «Blick» vorverurteilt wurde. Nun begab es sich, dass das Nicht-mehr-Boulevard-Organ einen dieser Schmierenartikel löschen musste und auch eine «strafbewehrte Unterlassungserklärung» abgeben. Also versprechen, das nie mehr zu tun.

Zudem gab der Flop-King Reza Rafi im SoBli Anwalt Schertz Gelegenheit, mit «den Medien abzurechnen». Und zwar vom Gröberen: «Ich finde diese Entwicklung, diese Form von Verdachtsberichterstattung, verheerend.» Rafi tat dabei das ganze Gespräch hindurch so, als ginge diese Abrechnung sein Blatt überhaupt nichts an.

Nun fragte man sich, wie um Himmels willen der «Blick» auf die Idee kommt, sich eins in die Fresse hauen zu lassen und dazu noch ein freundliches Gesicht zu machen.

Inzwischen ist sonnenklar – und hier handelt es sich um Verdachtsberichterstattung unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung –, dass es sich bei dem Interview um einen Teil eines Deals handeln dürfte, mit dem der «Blick» schmerzliche Kostenfolgen seiner Berichterstattung vermeiden konnte.

Dass finanziell schmalbrüstige Organe wie ZACKBUM oder «Inside Paradeplatz» gelegentlich in die Knie gehen, wenn sie juristisch mit einem finanziellem GAU bedroht werden, ist verständlich. Das nennt man einen Vergleich, der horrende Gerichts- und Anwaltskosten abwendet.

Dass aber ein trotz Auflagenschwund immer noch potentes Organ wie der «Blick» ebenfalls in die Knie geht, dass sich der frischgebackene Chefredaktor Rafi dafür hergibt, das ist hingegen bedenklich.

Aber es gilt natürlich die Unschuldsvermutung, versteht sich.

«Blick» schielt

Der Serbel-SoBli treibt die Heuchelei auf die Spitze.

Journalismus, vor allem in seiner niedrigsten Ausprägung, zeichnet sich durch eine gute Portion Unverfrorenheit, Chuzpe, das ansatzlose Wechseln von Positionen, grossmäulige Behauptungen und kleingedruckte Korrekturen aus. Zudem fehlt ihm jede Form der Selbstkritik.

Eigentlich wollte ZACKBUM über den Konzernbüttel Reza Rafi kein Wort mehr verlieren, alleine schon aus hygienischen Gründen. Aber dieser Provokation zu widerstehen, wäre übermenschlich:

«Rammstein-Anwalt Christian Schertz rechnet mit den Medien ab», überschreibt Rafi sein Interview. Daraus ergibt sich die besorgte Frage, ob der frischgebackene und von einem Flop zum nächsten eilende SoBli-Chefredaktor an galoppierendem Gedächtnisverlust leidet.

Launig beginnt Rafi seinen Text: «Christian Schertz: Ein Name, der in vielen Redaktionen Bibbern auslöst.» Allerdings. zum Beispiel auf der «Blick»-Redaktion. Dann lässt Rafi den Anwalt doch tatsächlich solche Sachen sagen:

«Wir haben immer wieder Fälle, in denen eine Person einseitig und ohne Belege Vorwürfe erhebt und die Medien das übernehmen. Dann kommt jeweils der Alibi-Satz: Es gilt die Unschuldsvermutung. Ich finde diese Entwicklung, diese Form von Verdachtsberichterstattung, verheerend.»

Genau solche Vorwürfe hat auch der «Blick» kolportiert und ausgeweitet. Auch der SoBli hat an dieser Schmutzkampagne mitgewirkt und ein paar Paparazzi-Fotos vor dem Hotel, in dem die Combo in Bern abstieg, zum «Wahnsinn von Bern» hochgepumpt.

Rafi spricht hier mit dem Anwalt, der gerade den «Blick» dazu gezwungen hatte, einen seiner Schmierenartikel über den Sänger der Band Rammstein zu löschen und eine «umfangreiche, strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben».

Ein Auszug, was da alles von «Blick» und «SonntagsBlick» geschmiert wurde:

«Rammstein: Betroffene berichtet von Row-Zero-Erfahrungen», «Rammstein: Rechtsanwältin zerlegt Statement um Till Lindemann», «Rammstein und die toxische Groupie-Kultur», «Drummer Joe Letz soll die Skandal-Partys organisiert haben», «Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Till Lindemann nach Missbrauchsvorwürfen», «Frauenverachtung, Nazi-Ästhetik und Gewalt als Erfolgsrezept», «Nora Tschirner hilft mutmasslichen Opfern», «Das System Row Zero: Wie Alena M. Groupies für Till Lindemann rekrutiert», «Trennt sich die Band nach Vorwürfen gegen Till Lindemann?»

Eine kleine Auswahl aus 58 Artikeln in den letzten 30 Tagen. Und immer galt und gilt natürlich die Unschuldsvermutung.

Man muss schon über ein sonniges Gemüt verfügen, dass man als Mitverantwortlicher für diese Verdachtsberichterstattung, für dieses Kolportieren unbelegter Anschuldigungen, für das Herauströten von «Staatsanwaltschaft ermittelt» und dem Unterlassen der Mitteilung, dass die Ermittlungen mangels Anfangsverdacht eingestellt wurden, dass man dann einfach den Anwalt von Rammstein interviewt, dem die Stichworte für seine Medienkritik liefert – und so tut, als ginge einen selbst das überhaupt nichts an.

Schertz muss sich hingegen gesagt haben: putzige Kerlchen, diese Schweizer Journalisten. Eigenes Unrechtsbewusstsein null, beeindruckend.

Damit beenden wir nun wirklich und endlich das Thema Reza Rafi. Ausser, dass wir ein neues Mass definieren. Ein Hundertstel-Rafi ist eine Unverfrorenheit sondergleichen. Ein halber Rafi ist schon kaum mehr in Worte zu fassen. Und ein ganzer Rafi, nun ja, das sprengt jede Skala und jedes menschliche Fassungsvermögen.

Auf der anderen Seite, so gerecht ist ZACKBUM, entlassen wir einen Herrn für ein Mal aus der Quarantäne. Um ihn  zu loben. Doch, das ist kein Fake:

Und nein, das ist auch kein vergiftetes Lob des Hausgespensts von Ringier. Statt gegen den «Führer von Herrliberg» zu wüten, säuselt er über die SVP: Sie «muss dabei nicht sympathisch sein. Man muss ihr auch nicht zustimmen. Und ihre Schreihälse, die nach rechts aussen keine Berührungsängste kennen, sind dadurch nicht entschuldigt. Doch nützlich ist sie, diese Partei eines grossen und offensichtlich zunehmenden Volksteils

Meyer geht sogar noch weiter: «Die Wählerinnen und Wähler der SVP wählen falsch, sind also verantwortungslos, nämlich brandgefährliche Zündler. Der Bannfluch über die rechten Populisten läuft auf Wählerbeschimpfung hinaus, und zwar nicht nur in der Schweiz, sondern im ganzen nachbarlichen Europa, von Melonis Italien über Le Pens Frankreich bis zu Weidels Deutschland. Was aber, wenn etwas dran wäre am unbeirrbaren Beharren der rechten Rechten

Oh Zeichen und Wunder. Gott liess Hirn vom Himmel regnen. Und der eine hatte einen Eimer dabei, der andere nicht mal ein Löffelchen.

«Blick» plustert weiter

Von einem journalistischem Höhepunkt zum nächsten.

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Es gibt neu «Blick+» Das Plus steht nicht für eine Blutgruppe, sondern soll laut «Blick»-Oberchefin Ladina Heimgartner ein «Qualitätsstempel» sein. Die Idee: «Wer sich kurz informieren will, kann das weiterhin genauso tun wie bisher auf Blick.ch. Wer aber in ein Thema eintauchen möchte, kauft ein Abo

Dann tun wir das doch. Im Artikel mit Qualitätsstempel vermeldet «Blick» erschreckt: «Hier brennt ein Kinderwagen auf der Bühne.» In der Tat, das haben auch rund 40’000 Zuschauer so gesehen; ob die nun ein Abo lösen wollen?

Aber nun taucht «Blick» richtig ins Thema ein:

Das ist natürlich eine brennende Frage; schliesslich herrschte in Bern angeblich «zwei Tage Ausnahmezustand», weil Rammstein «rund um den Skandal-Sänger Till Lindemann» auftrat. Den hatte schon der «SonntagsBlick» beim Verlassen des Hotels «Schweizerhof» beim skandalösen Beissen in einen Apfel fotografisch überrascht. Allerdings weist das Kürzel «ZVG» – für «zur Verfügung gestellt» darauf hin, dass es nicht mal das Qualitätsorgan selbst war, dem dieser weltexklusive Wahnsinnsschuss gelang.

So verhält es sich auch beim «Beweisfoto» in Sachen von Rohr:

Hier marschiere der Alt-Rocker (hinten) «ins Berner Hotel Schweizerhof – wo auch Rammstein-Sänger Till Lindemann nächtigte». Da bleiben natürlich alle Fragen offen. Wollte von Rohr einfach einen neuen Haarschnitt? Oder eine Rasur? Oder wollte er einen «Afternoon Tea» für schlappe 45 Franken? «Heissgetränke à discrétion, 3-stöckige Etagere mit Sandwiches, süßen und salzigen Leckereien, Brotkorb mit Scones, Champagner (Blanc de Banc & Rosé, gegen Aufpreis zubuchbar)». Blanc de Banc in Original-Rechtschreibung des Luxushotels. Oder wollte er sich vielleicht – etwa gemeinsam mit dem «Skandalsänger» – eine «Entspannung in Gold» im Spa gönnen? «Diese Massage mit hochreinen 24-karätigen Goldflocken und 100% natürlichem Öl führt zu einer optimalen Balance von Körper und Geist». Schlappe 200 Franken für 75 Minuten, das könnte Lindemann doch brauchen.

Aber, schade auch, «Blick+» bleibt im Minus, was die Beantwortung der Frage betrifft. Alles nur zugetragen, alles nur aus zweiter Hand:

«Von Rohr wurde, gemäss Blick-Informant, von einem Mitarbeiter des Skandal-Sängers vor dem Eingang des Hotels empfangen. «Sie umarmten sich», sagt die Quelle und beschreibt weiter: «Es sah aus, als seien die beiden beste Freunde, die sich sehr darüber freuen, einander wiederzusehen. Danach führte der Mann, der auch Till Lindemann stets begleitete, Chris von Rohr in den Schweizerhof.»»

Aber halt, von Rohr gehört doch zum Inventar bei Ringier, dem muss doch ein Quote zu entlocken sein. In der Tat: «Chris von Rohr bestreitet gegenüber Blick nicht, Till Lindemann getroffen zu haben, behauptet allerdings: «Ich plane eine Recherche-Geschichte über den Fall Rammstein, dazu habe ich im Umfeld von Lindemann recherchiert.»»

Aber, oh je: «Die Fragen, wie er zu Lindemann und den Vorwürfen stehe, dieser habe Frauen mit K.o.-Tropfen für sexuelle Handlungen gefügig gemacht, will Chris von Rohr nicht beantworten.»

Blöd aber auch. Die wahre Skandalstory versemmelt der «Blick+» allerdings jämmerlich:

Vorne läuft Rammstein-Gitarrist Paul Landers. Er schaut offensichtlich demonstrativ in die falsche Richtung. Denn: wer steht denn da hinten an die Wand gelehnt? Ist das ein Groupie mit Handy in der Hand, das auf den Einsatz wartet? Eine nichtöffentliche Person, deren Gesicht eigentlich verpixelt gehört? Das wären doch Recherchen, die einem «Blick+» gut anstünden.

Aber eben, auch hier heisst es «***NO CREDIT***» beim Foto, auch das wurde dem Qualitätsorgan zugespielt.

Schauen wir uns mal die +-Ausbeute am Montag an. Da wäre mal diese versemmelte Story. Dann ein Interview mit dem «EasyJet-Europachef». Hoffentlich hat «Blick+» für diesen Werbespot Geld kassiert: «Haben Sie auch mehr Flüge im Angebot? – Was sind die beliebtesten Ziele der Schweizer? – Sie lancieren ein eigenes Reiseportal. Was muss man dazu wissen?»

Heisst + also, dass hier das verbraten wird, was früher Publireportage hiess? Und sonst? Nun, bereits der dritte «Blick+»-Artikel ist nicht mehr ganz taufrisch, er stammt vom 18. Juni. Wenn «Blick+» diese Schlagzahl beibehält, wird es dann etwas eng mit den versprochenen «200 exklusiven Storys pro Monat». Denn das wären im Schnitt zwischen 6 und 7. Pro Tag.

Was «Blick+» nicht beantwortet: kriegt man sein Geld zurück, wenn nicht plus, sondern minus geliefert wird? Da erwarten wir einen «Ratgeber-Artikel», der «diese brennendste Frage» beantwortet. Angeblich «präzise, verlässlich, lebensnah».

Aber immerhin: für Spass, Tollerei und Gelächter ist schon mal gesorgt.

Ob «Blick+» allerdings auch mal so viele begeisterte zahlende Gäste haben wird?

(Screenshot «Blick+»)

Jetzt fahren schon Anwälte Trittbrett

Und finden Dumme, die drüber schreiben.

Dr. Stefanie Schork ist «Fachanwältin für Strafrecht». Im juristischen Fachblatt Linkedin hat sie sich zu Wort gemeldet:

«Wenn es nicht so bitter wäre, würde man über die Presseerklärung der Kollegen für #Rammstein fast lachen müssen. Sie wissen es natürlich besser. Eine Strategie zur Rechtewahrnehmung für #Lindemann kann dahinter nicht stehen. Die wird es auch nicht mehr geben, so wie die Dinge liegen. Dem Mann ist presserechtlich nicht mehr zu helfen.»

Starke Worte, damit kommt man in die Medien, wenn es ein aufmerksamer Journalist liest. Schork behauptet munter: «Die öffentlich gewordenen Schilderungen sind so deutlich geeignet, einen hinreichenden Mindestbestand an Tatsachen zu begründen, dass sich niemand daran gehindert sehen muss, über die Vorwürfe zu berichten.»

Schork erreichte schon eine gewisse mediale Berühmtheit als Vertreterin des Mannes, der das sogenannte Ibiza-Video erstellt und verbreitet haben soll. Damit wurde der damalige österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache zum Rücktritt gezwungen, der sich angetrunken um Kopf und Kragen geredet hatte.

Schorks Kanzlei vermeldet unter Aktuelles: «Das LG Berlin hat gegen zwei Presseverlage einstweilige Verfügungen wegen der Verbreitung von anonymen Anschuldigungen zum Nachteil der Band sowie ihres Sängers Monchi erlassen.» Hier handelt es sich um «Feine Sahne Fischfilet», eine radikale Punkband mit Hang zur Gewaltverherrlichung. Ihrem Sänger waren anonym sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden. Da geht das natürlich nicht.

Aber bei Rammstein dann doch, so ist halt die juristische Logik. Kann man so oder so sehen. Der Schweizer «Blick» hat diese Meldung über die Behauptungen von Schork im «Focus» gesehen. Das schreiben dann die beiden Mitarbeiter fmü/bang brühwarm ab, natürlich ohne Quellenangabe.

Aber mit «Blick»-typischer Zuspitzung: «Rechtsanwältin zerlegt Rammstein-Statement». Immerhin einer der bekanntesten Medienanwälte Deutschland hatte hier alle Anschuldigungen als «ausnahmslos unwahr» zurückgewiesen und rechtliche Schritte gegen alle angekündigt, die solche Behauptungen aufstellen oder verbreiten.

Da möchte «Blick» auch gerne dabei sein, und Rechtsanwältin Schork hat offenbar Entzugserscheinungen bezüglich medialer Aufmerksamkeit. Alles ein Beitrag zum modernen Pressesumpf, in dem täglich das Niveau niedriger gelegt wird.

Auch der «Spiegel» mischt kräftig mit. Früher war eine Titelgeschichte noch ein Ereignis und eine Auszeichnung. Aber heute:

In der «Hausmitteilung» vermeldet der «Spiegel» sensibel: «Viele der weiblichen Fans, mit denen sie gesprochen hat, hätten sich inzwischen von der Band abgewandt: »Einige bekommen jetzt schon von der Musik Panikattacken.«»

Dann verschwendet das ehemalige Nachrichtenmagazin acht bunt bebilderte Seiten auf diese Story, die sich sicherlich in  der «Bunten» gut machen würde. Ganze 13 «Spiegel»-Mannen und -Frauen haben sich ins Zeug gelegt, auf knapp 40’000 Anschlägen wiederzukäuen, was schon länger kursiert. Auch hier arbeitet das Blatt mit Andeutungen und Vergleichen, die ihm schon beim Roshani-Skandal kräftig Ärger einbrockten:

Indem der verurteilte Sexualstraftäter Harvey Weinstein und der Schock-Rocker Manson, gegen den ein Verfahren läuft, in den Text gestreut werden, insinuiert der «Spiegel», dass es sich bei Till Lindemann doch wohl um einen vergleichbaren Fall handelt könnte – obwohl bislang keine einzige Klage eingereicht, keine Strafanzeige gestellt wurde.

Auch sonst arbeitet der «Spiegel» mit viel Konjunktiven, Andeutungen, zitiert ja bloss. Um zum drakonischen Urteil zu gelangen:

«Die Rockmusik hat jetzt also ihren #MeToo-Skandal.»

Um dann richtig hinterfotzig zu werden: «Und genau wie im Fall Weinstein geht es um mehr als nur um einen einzigen mächtigen Mann.»

Was hat denn das Riesenteam vom «Spiegel» ausgegraben? «Der SPIEGEL hat mit rund zwei Dutzend Personen gesprochen, einige aus dem engeren Arbeitsumfeld von Rammstein. Darunter sind viele Frauen, die von ihren eigenen Erfahrungen mit der Band und vor allem mit Till Lindemann berichten. Manche davon haben ihre Geschichte bereits anderen deutschen Medien erzählt.»

Dann geht der übliche Sound los: «Da ist zum Beispiel Zoe, ihr Name lautet eigentlich anders. … Oder es gibt Anna, eine junge Frau aus Wien, ebenfalls ein großer Rammstein-Fan (ihr echter Name ist der Redaktion bekannt)

Oder solche Stückchen: «Makeeva (bei Rammstein für die Row Zero zuständig, Red.) sei bei Manson für die Rekrutierung junger Frauen zuständig gewesen. Auch gegen Manson haben einige Frauen Anschuldigungen erhoben, sie reichen von psychischer Gewalt und Freiheitsberaubung bis zu Vergewaltigung und Folter. Manson bestreitet die Vorwürfe und hat kürzlich einen Prozess gewonnen.»

Und was liegt eigentlich an Verwertbarem auf dem Tisch, gab es Vergewaltigungen, strafbare Übergriffe? Da gibt es nur Gedöns: «Wird Till Lindemann angeklagt werden? Einige der Vorwürfe wiegen schwer. Mittlerweile beschäftigt sich die Polizei in Litauen mit Shelby Lynns Schilderungen.»

Was der «Spiegel» nicht schreibt: laut «Bild» sind die Ermittlungen eingestellt worden. Es wird interessant sein, welche Auslegung die «Verdachtsberichterstattung» bei den sicherlich folgenden Auseinandersetzungen vor Gericht erfahren wird.

Dass Lindemann zweifellos mit seinem brachialen Pathos und martialischen Texten sowie Auftritten und einer sexuellen Obsession nicht gerade ein Sympathieträger ist, ist das eine. Ob er sich sexuelle Übergriffe zuschulden kommen liess, wäre das andere. Das noch Zu-Beweisende – Behauptungen reichen nicht.

Kleiner Tipp: Wer wie der NZZ-Redaktor Ueli Bernays titelt «Der Künstler als Täter», hat ganz schlechte Karten bei einem allfälligen Prozess …

 

 

 

 

Wumms: Birgit Schmid

Welch eine Wohltat, ein Labsal: ein niveauvoller Kommentar zu Rammstein.

Dumpfes Schweigen umweht den mit Abstand schlausten Kommentar zum medialen Skandal um den Rammstein-Sänger Till Lindemann. Vielleicht hat Birgit Schmid den falschen Titel gewählt («Der Wüstling»). Aber diese knapp 12’000 Anschläge wiegen jeder für sich alles auf, was in diesem Zusammenhang bislang gequatscht, gelabert, gejammert, vorverurteilt und geheuchelt wurde.

Wie armselig wirken da die Kommentatorenzwerge von «Tages-Anzeiger» über «Süddeutsche Zeitung» bis hin zu «Spiegel» und sogar FAZ.

Eine bemerkenswerte Überlegung wird bei Schmid auf die andere gestapelt: «Man soll das Werk vom Leben ihres Erschaffers losgelöst betrachten. Heute passiert das Gegenteil. Künstler werden gecancelt, bloss weil da in der Vergangenheit vielleicht einmal etwas war, was sich nicht beweisen lässt; weil einem eine politische Haltung nicht passt oder ein Werk als anstössig empfunden wird.»

Schmid geht als Erste (!) der Person Lindemanns nach, seinem Werdegang, seinen Beeinflussungen. Um solche Sätze über den Bildungshintergrund Lindemanns zu schreiben, muss man selbst gebildet sein: «Der Sänger liess sich dabei von E. T. A. Hofmanns «Der Sandmann» inspirieren. Mit seinem Hang zum Unheimlichen, das er gerne auch parodiert, beerbt er die deutschen Romantiker. Theodor Fontane, Joseph von Eichendorff, aber auch Goethe und Schiller oder Bertolt Brecht. Im «Fänger im Roggen» erkannte sich Lindemann als Jugendlicher wieder, in der Figur des herumstreunenden Teenagers Holden Caulfield.»

Statt nur die tabubrechenden, pornografischen Liedzeilen zu zitieren, die Lindemann um die Ohren geschlagen werden, erwähnt Schmid auch den leisen Lyriker:

«Ich werde in die Tannen geh’n,/ Dahin, wo ich sie zuletzt geseh’n/ Doch der Abend wirft ein Tuch aufs Land/ Und auf die Wege hinterm Waldesrand.»

Schmid verurteilt nicht, sie urteilt. Sie begibt sich auf Spurensuche, erkundet die Spalten und Abgründe zwischen der Kunstfigur auf der Bühne und dem Menschen. Wer selber primitiv und blöd ist, zudem nur ein sehr leicht geschnürten Bildungsrucksack hat – wie die meisten Kommentatoren von Tamedia ab- und aufwärts – sieht nur das Plakativ-Primitive bei Lindemann.

Lindemann als protofaschistisch, gar als Nazi abzustempeln, das heisst, seine Texte so missverstehen wie weiland Trottel Ronald Reagan, der Bruce Springsteens «Born in the USA» für ein Amerika verherrlichendes Lied hielt.

Wer hingegen fast die Flughöhe von Walter Benjamin (Kindersoldaten, googeln, oder besser: vergesst es) hat, kommt zu diesem Schluss:

«Die einen empfehlen Till Lindemann eine Therapie, damit er sich von seiner Triebhaftigkeit kuriere. Noch lieber sähen sie ihn vor Gericht. Die anderen hören hinter seinem Toben und der Grobheit Verzweiflung heraus und Einsamkeit. «Doch wenn die Wolken schlafen gehen,/ Kann man uns am Himmel sehen», heisst es im Lied «Engel». «Wir haben Angst und sind allein./ Gott weiss, ich will kein Engel sein.»»

Ein Labsal von Kommentar in der wüsten Wüste der herrschenden Gedankenlosigkeit. Wo kleine Lichter grosse Schatten werfen, in der Abenddämmerung der Kulturlosigkeit.

 

Darf der das?

Auch die NZZ ist enthemmt.

Man hätte vermuten dürfen, dass NZZ-Kommentator Ueli Bernays nach seinem skandalösen Titel «Der Künstler als Täter» ein Weilchen auf die Strafbank müsste. Nachdem bei der alten Tante der Verstand wieder einsetzte, wurde das immerhin in «Was ist Tat, was ist Fiktion» geändert. Ohne das allerdings dem Leser gegenüber transparent auszuweisen. Genauso wenig wie ein Plagiat in Bernays seinem Text. Das entspreche «selbstverständlich den üblichen redaktionellen Prozessen», machte sich das Weltblatt gegenüber ZACKBUM lächerlich.

Eine Wiederholung? Sicher, aber die NZZ, bzw. Bernays wiederholt sich doch auch …

Nachdem Bernays bedeutet wurde, dass eine Vorverurteilung trotz Unschuldsvermutung vielleicht nicht so toll sei, wechselt er nun das Pferd, das er zu Tode reiten möchte: «Justiziabel oder nicht – das moralische Empfinden sollte nach den Anschuldigungen gegen Till Lindemann nicht aussetzen.»

Aber dann kann er es doch nicht lassen: «Dass es dabei zu sexuellen Handlungen kam, legen die immer zahlreicheren Zeugnisse von Fans nahe, die sich in den Medien äussern. Immer wieder wird auch der Verdacht vorgebracht, einzelne Groupies seien mit Alkohol oder anderen Drogen gefügig gemacht worden.»

Zurück zu Bernays Wurzeln, der Künstler als –mutmasslicher, verdächtigter – Täter. Nun setzt Bernays zu einem logischen Salto mortale an:

«Es ist richtig, dass sich moderne Gesellschaften auf Gesetze verlassen, um sich von religiösen oder moralischen Zwängen zu befreien. Aber dabei sollte das moralische Empfinden nicht ganz ausgesetzt werden wie bei den zahlreichen Lindemann-Apologeten, die derzeit mit kühlem Zynismus über menschliche Abgründe hinwegsehen wollen.»

Hat man da Worte? Nein. Oder höchstens: Journalismus darf kein Deckmantel sein für Machtmissbrauch. Aber ob Bernays das versteht? Das versteht ja nicht einmal die NZZ …

Im Vollbesitz des allgemeingültigen moralischen Empfindens galoppiert Bernays aufs Neue los: «Zunächst wirken die systematische Groupie-Rekrutierung und das Machtgefälle stossend, das zwischen Rockstar und Groupies klafft

Weiter im Unterstellung- und Vermutungsjournalismus: «Hat aber auch jemand darauf geachtet, dass sie volljährig waren?» Weiss man’s? Weiss es Bernays? Gab es belästigte Minderjährige? Nichts Genaues weiss man nicht, aber man wird doch wohl noch denunziatorisch fragen dürfen.

Dann unterscheidet Bernays, immer noch im Vollbesitz seiner moralischen Kräfte, zwischen Kunst und Pornografie: «In der Kunst mag ja vieles als Rollenspiel durchgehen. In der Wirklichkeit der Pornografie kann sich der Darsteller aber nicht durch ein «lyrisches Ich» aus der Verantwortung ziehen.»

Dann wird’s ziemlich schwabbelig und schwurbelig: «Ähnlich der Volksmusik brauchen die Künstler so wenig Vorbildung wie ihr Publikum. Andrerseits hat sich aber ein hypertropher Starkult ausgeprägt, in dem sich Religiosität mit libidinösen Energien mischt.»

Hä?

Dann gibt Bernays ungefragt wohlfeil-absurde Ratschläge: «Wenn ein erwachsener Künstler auf einen jugendlichen Fan trifft, sollte er ähnlich wie ein Guru das Vertrauen des Schützlings nicht für seine Zwecke missbrauchen. Man sollte von Musikern eine professionelle Distanz den Fans gegenüber erwarten dürfen – gerade auch weil Stars der Versuchung wiederholt erlegen sind.»

Man sollte von einem NZZ-Journalisten auch dies und das erwarten dürfen …

Nun wäre Bernays eigentlich am Ende seiner moralischen Schaffenskraft, aber da ist noch Platz im Kommentar, den er auf 9118 Zeichen aufpumpt. Wie gelingt das? «Der Amerikaner Brian Warner alias Marilyn Manson sieht sich mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert; gegen ihn läuft ein gerichtliches Verfahren.»

Das unterscheidet nun Manson von Lindemann, gegen den zurzeit kein Verfahren läuft. Aber das ist für Bernays nur ein Treppchen, um zur nächsten Verleumdung zu schreiten: «Aufschlussreich ist auch der Fall des R’n’B-Stars R. Kelly, der unterdessen mehrfach dafür verurteilt worden ist, dass er minderjährige Fans sexuell missbraucht hat. Obwohl seine Vergehen in seiner Entourage ebenso bekannt waren wie im weiteren Musikbusiness, liess man ihn jahrelang gewähren; alle schauten weg

Nun kommt eine neuerliche Ungeheuerlichkeit: «So war es lange auch im Falle von Lindemann. Von den Mitmusikern über das Management bis hin zum Musiklabel – allen fehlte es einerseits an Zivilcourage und moralischer Intelligenz.»

Bezüglich Intelligenz sollte Bernays nun wirklich nicht mit Steinen werfen …

Tamedia-Boss Pietro Supino klagt gegen den «Spiegel», weil der ihn im Rahmen des Roshani-Skandals in die Nähe des verurteilten Sexualstraftäters Harvey Weinstein gerückt hat.

Hoffentlich klagt Lindemann gegen die NZZ, weil die das Gleiche tut. R. Kelly ist ein verurteilter Sexualstraftäter, den man jahrelang habe gewähren lassen.

«So war es lange auch im Fall Lindemann

ZACKBUM wiederholt sich: gibt es auch bei der NZZ keine Qualitätskontrolle mehr? Aber wir fragen nicht nach, die Antwort kennen wir schon, alles «übliche redaktionelle Prozesse». Meine Fresse.