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Bruce war hier

Ein Konzert in Zürich, vier Blickwinkel.

Alle sind sich einig: Bruce Springsteen ist einer der Grössten. Er ist 73 und immer noch «going strong». Er arbeitet sich durch einen Konzertabend, drei Stunden sind das Minimum. Nun schwanken die Konzertkritiker zwischen Bewunderung und Gemäkel. Aber auf ganz verschiedenen Niveaus.

Den oberen Kammerton setzt, who else, die NZZ. Schon im Titel ist eigentlich alles drin: «Bruce Springsteen ist der «Last Man Standing» des Rock’n’Roll». Mit sicherer Hand wählt Adrian Schräder die Höhepunkte des Abends, «Nightshift». Genauso gut fasst er das Wesen des Sängers zusammen: «Und mit der stoischen Kraft seines Daseins stemmt er sich dagegen, von irgendetwas vereinnahmt, beherrscht oder übervorteilt zu werden

Wie alle anderen bemängelt Schräder die Tonqualität am Anfang des Sets, ist dann voller Bewunderung für die Präzision des Auftritts: «Etwa seine E-Street Band, die ihn vom ersten Ton an mit geradezu überwältigender Wucht – manchmal gehen mit ihr fast die Pferdchen durch – begleitet und ihm an diesem wunderschönen Sommerabend in Sachen Spielfreude in nichts nachsteht.» Dann spürt man, wie der Rezensent – und sicher nicht nur er – beim Zugabeblock richtig mitgerissen wurde: «Mit «Born In The USA», «Born To Run», «Bobby Jean», «Glory Days» und «Dancing In The Dark» bündelt «The Boss» fünf seiner grössten Hits zu einen Powerpaket. Und so klingt, neben diesen Supernummern, die jedem Autoradio, jeder Strasse gut anstehen, letztlich die Geschichte nach, die der so in der Musik eingemittete Star des Abends vor dem Song «Last Man Standing» erzählte.»

Ziemlich trocken kommt dagegen die Beschreibung von Erika Unternährer in «20 Minuten» daher. «Während mehr als drei Stunden gab die Rockband Springsteens Tophits zum Besten.» Au weia. Statt in die Musik einzudringen, gibt’s Oberflächliches: «Der fitte Springsteen (73) ist seinem Stil treu geblieben: Er trug ein figurbetontes schwarzes Jeanshemd, um den Hals eine Silberkette mit Anhänger und die schwarzen Turnschuhe mit leuchtend weisser Sohle verliehen ihm noch mehr Jugendlichkeit.» Oh je. «Diese Songs spielte die Band, So interagierte Springsteen mit dem Publikum, Diese Zugaben spielte Springsteen». An der Journalistin ist eine Buchhalterin verlorengegangen. Schade auch, da wäre sie sicher gut.

Etwas mehr Pep kriegt Carl-Philipp Franke für CH Media hin. Er kommt so schnörkellos wie der Boss gleich zur Sache: «Im ausverkauften Letzigrund Stadion hat er gezeigt, wie eine Rock’n’Roll-Show geht.» Denn: «Die Maschine läuft, das Publikum brennt.» Dann lässt Franke eine kondensierte Beobachtung auf die nächste folgen: «Springsteen ist der Master of Ceremony, Dreh- und Angelpunkt der Show. Dabei macht er kaum Ansagen. Ohne grosse Worte ist er der grosse Kommunikator.» Und: «Springsteen variiert die Dynamik, lässt den Song zusammenfallen, die Band leise brummen, bevor sie wieder explodiert. One, two, three…und weiter gehts. Ohne Unterbruch, die Spannung bleibt.»

Man ist sogar geneigt, seiner Schlusspointe zuzustimmen: «Auf dem Bühnendach des Letzigrund Stadions flattern derweil einträchtig die amerikanische und die Schweizer Flagge nebeneinander. Das gute Amerika war hier.»

Für Tamedia liefert Jean-Martin Büttner das ab, was man von diesem Medienhaus erwarten konnte. Eine Mischung aus Abschweifung, Gemecker und kleinen Ausbrüchen von Bewunderung. Schon im Lead ist das versammelt: «Maximaler Ausdruck, minimale Variation und lange ein schlechter Sound: Bruce Springsteen und seine E Street Band gaben am Dienstag im Zürcher Letzigrund ein kraftvolles, wenn auch gleichförmiges Konzert.»

Dann gibt es als Einstieg einen Ausflug nach Amsterdam, zu einem Sturz, der mit dem Sturz Bidens verglichen wird. Dann fällt Büttner auf, dass er eigentlich über das Konzert in der Schweiz berichten sollte: «Im Zürcher Letzigrund fällt Bruce Springsteen nicht hin, sondern löst mit seiner Präsenz und dem Engagement seiner Musikerinnen und Musiker ein, was er von Beginn an verspricht: «No Surrender», gib nicht auf.» Das nennt man mit quietschenden Reifen die Kurve kratzen.

Darauf folgt eine halbe Hinrichtung des Artisten: «Bruce Springsteen muss mit Intensität und Ausdauer kompensieren, was ihm an stilistischer Vielfalt abgeht.» Eigentlich eine Frechheit, bei dem Oeuvre. Sein letztes originelles Album verortet Büttner dann 1995, was auch ziemlich bescheuert ist.

Schliesslich erzählt Büttner, immer wieder abschweifend, die Geschichte von «Born in the USA» falsch. Damit habe er sich «die Unterstützung von Ronald Reagan» gesichert, gegen dessen «Vereinnahmung sich der Musiker auf auffallend zahme Weise wehrte». Blühender Unsinn, Springsteen machte es einen Heidenspass, dass Reagan (und viele dumpfe Republikaner mit ihm) «Born in the USA» als Loblied auf Amerika missverstanden. Dabei ist es eine zutiefst melancholische Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, gekleidet in ein pumpendes, vor Kraft fast nicht gehen könnendes musikalisches Powerpaket.

Kein Wunder, dass dann auch Büttners Resümee sehr durchwachsen ausfällt: «Was das Konzert bei allen Längen und Wiederholungen, trotz der Gleichförmigkeit der Arrangements und Akkordfolgen, ungeachtet der fast durchgängig gleich klingenden Begleitung vitalisiert, ist Bruce Springsteens überbordende Begeisterung.»

Die scheint er nun zumindest bei Büttner, im Gegensatz zu den übrigen 48’000 Zuhörern, nicht ausgelöst zu haben.

Ach, da fehlt doch ein Organ, das gerade die Bezahlschranke hochgefahren hat, um «noch mehr» tolle Artikel auf seine Leser regnen zu lassen. Aber zumindest am Tag danach ist dem «Blick» das Konzert keine Zeile wert. Vielleicht sind da alle Kräfte durch Rammstein gebunden.

 

Wumms: Birgit Schmid

Welch eine Wohltat, ein Labsal: ein niveauvoller Kommentar zu Rammstein.

Dumpfes Schweigen umweht den mit Abstand schlausten Kommentar zum medialen Skandal um den Rammstein-Sänger Till Lindemann. Vielleicht hat Birgit Schmid den falschen Titel gewählt («Der Wüstling»). Aber diese knapp 12’000 Anschläge wiegen jeder für sich alles auf, was in diesem Zusammenhang bislang gequatscht, gelabert, gejammert, vorverurteilt und geheuchelt wurde.

Wie armselig wirken da die Kommentatorenzwerge von «Tages-Anzeiger» über «Süddeutsche Zeitung» bis hin zu «Spiegel» und sogar FAZ.

Eine bemerkenswerte Überlegung wird bei Schmid auf die andere gestapelt: «Man soll das Werk vom Leben ihres Erschaffers losgelöst betrachten. Heute passiert das Gegenteil. Künstler werden gecancelt, bloss weil da in der Vergangenheit vielleicht einmal etwas war, was sich nicht beweisen lässt; weil einem eine politische Haltung nicht passt oder ein Werk als anstössig empfunden wird.»

Schmid geht als Erste (!) der Person Lindemanns nach, seinem Werdegang, seinen Beeinflussungen. Um solche Sätze über den Bildungshintergrund Lindemanns zu schreiben, muss man selbst gebildet sein: «Der Sänger liess sich dabei von E. T. A. Hofmanns «Der Sandmann» inspirieren. Mit seinem Hang zum Unheimlichen, das er gerne auch parodiert, beerbt er die deutschen Romantiker. Theodor Fontane, Joseph von Eichendorff, aber auch Goethe und Schiller oder Bertolt Brecht. Im «Fänger im Roggen» erkannte sich Lindemann als Jugendlicher wieder, in der Figur des herumstreunenden Teenagers Holden Caulfield.»

Statt nur die tabubrechenden, pornografischen Liedzeilen zu zitieren, die Lindemann um die Ohren geschlagen werden, erwähnt Schmid auch den leisen Lyriker:

«Ich werde in die Tannen geh’n,/ Dahin, wo ich sie zuletzt geseh’n/ Doch der Abend wirft ein Tuch aufs Land/ Und auf die Wege hinterm Waldesrand.»

Schmid verurteilt nicht, sie urteilt. Sie begibt sich auf Spurensuche, erkundet die Spalten und Abgründe zwischen der Kunstfigur auf der Bühne und dem Menschen. Wer selber primitiv und blöd ist, zudem nur ein sehr leicht geschnürten Bildungsrucksack hat – wie die meisten Kommentatoren von Tamedia ab- und aufwärts – sieht nur das Plakativ-Primitive bei Lindemann.

Lindemann als protofaschistisch, gar als Nazi abzustempeln, das heisst, seine Texte so missverstehen wie weiland Trottel Ronald Reagan, der Bruce Springsteens «Born in the USA» für ein Amerika verherrlichendes Lied hielt.

Wer hingegen fast die Flughöhe von Walter Benjamin (Kindersoldaten, googeln, oder besser: vergesst es) hat, kommt zu diesem Schluss:

«Die einen empfehlen Till Lindemann eine Therapie, damit er sich von seiner Triebhaftigkeit kuriere. Noch lieber sähen sie ihn vor Gericht. Die anderen hören hinter seinem Toben und der Grobheit Verzweiflung heraus und Einsamkeit. «Doch wenn die Wolken schlafen gehen,/ Kann man uns am Himmel sehen», heisst es im Lied «Engel». «Wir haben Angst und sind allein./ Gott weiss, ich will kein Engel sein.»»

Ein Labsal von Kommentar in der wüsten Wüste der herrschenden Gedankenlosigkeit. Wo kleine Lichter grosse Schatten werfen, in der Abenddämmerung der Kulturlosigkeit.

 

Schlauer Bruce, blöder Tagi

Auch The Boss hat seine Songrechte verkauft. Warum bloss?

Bob Dylan hat’s getan. Neil Young hat’s auch getan. David Bowie selig war sowieso der Erste. Alle trennen sich von ihren Songrechten – für ein Heidengeld.

Bei Dylan waren’s 300 Millionen Dollar, nun topt Bruce Springsteen den Betrag mit 500 Millionen. Clever; nur: warum diese Welle, warum tun die alten Rockgötter das?

Mit 72 still on the road: Bruce Springsteen.

Dafür findet Tamedia eine ganze Latte von Erklärungen. Tourneen als Verdientsmöglichkeiten fielen weg, Spotify und andere Streamingdienste mit kleiner Marge für den Künstler, das Material ist nun gnadenlos für Werbezwecke einsetzbar.

Alles richtig, nichts ganz falsch. Nur der entscheidende Punkt entgeht dem Qualitätsorgan für gehobene Berichterstattung: Steuerersparnis. All diese Künstler, längst Multimillionäre, liegen in der Schwergewichtssteuerklasse von 40 Prozent aufs Einkommen.

Hier wird’s erklärt. Kurzgefasst: da die Tantiemen nun an den Käufer gehen und von ihm versteuert werden müssen, spart Springsteen rund die Hälfte an Steuern. Kapitalgewinn statt Einkommen, der Verkauf über ein Jahr gestreut, 20 statt 40 Prozent, that’s the trick.

Kann doch nicht so schwer sein, hat ZACKBUM schliesslich auch abgeschrieben. Aber wir sind halt ein echtes Qualitätsorgan, das die richtigen Informationen abschreibt und nicht rumeiert.