Wildes Rätselraten

Fehler sind menschlich. Die Medien sind unmenschlich.

Eigentlich fehlte nur, dass sich Präsident Putin und Wagner-Chef Prigoschin zusammen in der Sauna gezeigt hätten, sich mit Birkenquasten auspeitschend.

Statt verbaler Abrüstung herrscht nun aber Entrüstung in den Gazetten. Unverschämt von diesen Russen, dass sie zeigten, dass aller Alarmismus ein banaler Fehlalarm war. Militärputsch, Putin wankt, ist schon aus Moskau geflohen, sein Regime ist zum Untergang verurteilt, die Lage eskaliert, stürzt er heute oder erst morgen?

Alles Quatsch. Vielleicht war es doch nur ein geschickter PR-Stunt, vermuten nun schon intelligentere Fernanalysten. Schliesslich musste eine Lösung dafür gefunden werden, dass Prigoschin dazu aufgefordert worden war, seine Söldnertruppe bis Ende Juni dem Oberkommando der russischen Armee zu unterstellen.

Dass er das nicht tun würde, war von Vornherein klar. Dass das der Kreml nicht würde akzeptieren können, ebenfalls. Also was tun, wie schon Lenin fragte. Lösung: einen kleinen Schein- und Schaukampf aufführen. Wie bei den Primaten bewährt. Beide Tiere schlagen sich auf die Brust, stossen drohende Schreie aus und plustern sich überhaupt kräftig auf. Immer in der Hoffnung, damit einen wirklichen Kampf mit Verletzungsgefahr vermeiden zu können.

Genau das ist Putin und Prigoschin gelungen. Wichtig bei diesem Gehampel ist auch, dass keiner der beiden Beteiligten das Gesicht verliert. So kunstvoll der Kriegstanz war, so koordiniert muss der beiderseitige Rückzug vonstatten gehen. Damit es ja nicht so aussieht, als ob einer der beiden kneife.

Genau das ist in Russland passiert. In der Schweiz hat sich wieder einmal die gesamte Leitmedienpresse bis auf die Knochen blamiert. Statt nun aber auch den geordneten Rückzug anzutreten, wird nachgetreten. Denn eingestehen, dass sich mal wieder alle Kreml-Astrologen, alle sogenannten Koryphäen, Kenner, Militärsandkastenstrategen getäuscht haben, dass sie von schlagzeilentrunkenen Journalisten zu Aussagen verleitet wurden, für die sie sich in Grund und Boden schämen sollten – niemals. Nicht mal unter Folter. Nicht mal angesichts der Tatsachen.

Nachdem nun vorläufig der Militärputsch, der Bürgerkrieg, der Sturz, das Ende abgesagt sind, wird fleissig weitergestrickt an realitätsfernen Wunschtheorien. Der Kreml-Herrscher sei abgetakelt, weiss ein fehlanalysierender «Militärstratege», es gäbe nun stalinistische Säuberungen. Nachdem schon alle anderen Mietmeinungen aus München bei Tamedia ihren Unsinn veröffentlichen durften, klappert dort nun noch SZ-Autor Frank Nienhuysen nach.

Bedauerlicherweise ist die Kriegsberichterstattung aus Russland abgesagt worden, mangels Krieg. Aber man darf doch noch Frage stellen:

Eigentlich stand er ja schon vor dem Aus, dem Rücktritt, wäre er von Putin gefeuert worden, oder hätte seinerseits Putin absägen wollen. Aber der Kreml ist – ebenso wie das Verteidigungsministerium – ein gegendarstellungsfreier Raum. Das nützt Nienhuysen recht gnadenlos aus. Zunächst muss er einräumen: «Sergei Schoigu, Russlands Verteidigungsminister, ist also noch da.»

Dann spinnt Intim-Kenner Nienhuysen sein Garn weiter: «Selten ist ein russischer Verteidigungsminister derart in Bedrängnis geraten … Wie angeschlagen ist Sergei Schoigu … Schoigus Ruf geriet in Gefahr … Den Machtkampf hat Prigoschin verloren, und Schoigu hat ihn gewonnen. Doch der hat genug weitere Probleme … Er forderte auch die russische Rüstungsindustrie auf, mehr Panzer herzustellen, Indizien für Schwierigkeiten an den Fronten

Kann so sein, muss nicht so sein. Wichtiger ist aber: Nienhuysen hat offensichtlich keine Ahnung. Ein Eingeständnis dieser Tatsache wäre grandios, würde aber nicht ganze Spalten von SZ und damit auch von Tamedia füllen. Wo bleibt Münger, ist man versucht zu fragen.

Aber einen Lacher überliefert der Ferndiagnostiker: «Würde man alle Zahlen des Ministeriumssprechers Igor Konaschenkow addieren, so Prigoschin, «dann hätten wir schon fünfmal die Erde zerstört».» Das ist immerhin mal komisch, aber nicht von Nienhuysen.

Auch der «Blick» melkt aus dem Thema raus, was das trockene Euter nicht hergibt:

Lustig ist, dass die Medien gerne von «Wirrwarr» sprechen, wenn sie selbst verwirrt sind. Eher peinlich ist’s, dass nun selbst «Militärexperten» wirklich nichts Originelles mehr zu verzapfen haben:

Irgendwie erinnert das an die Anfangszeiten der Pandemie. Damals drängelten sich auch Experten in die Öffentlichkeit, indem sie immer absurdere Prognosen über die zu erwartenden Anzahl Tote machten. Und als das nicht eintraf, kühn behaupteten, dass das eben das Resultat ihrer eindringlichen Warnungen sei.

Gewagter Seitensprung: dem Trubel um den Sänger von Rammstein scheint es ähnlich zu gehen wie dem «Putschversuch», der keiner war:

«Wollen entlasten», wunderbare Formulierung. Nachdem auch der «Blick» (wie alle anderen) gross vermeldet hatte, dass die Staatsanwaltschaft in Vilnius und die in Berlin «Ermittlungen» aufgenommen habe, wird nun so nebenbei berichtet: diejenige von Vilnius hat das Verfahren eingestellt, kein ausreichender Anfangsverdacht. Und Berlin? Da zitiert der Nicht-mehr-Boulevard-«Blick» Lindemanns Anwälte kleinlaut: «Man habe auch Einsicht in die Akten des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlins bekommen. Diese bestätigte, dass das Ermittlungsverfahren «nicht auf Strafanzeigen vermeintlicher Opfer» zurückgehe, sondern Anzeige von unbeteiligten Dritten, «die ihre Anzeigen ausschliesslich auf Medienberichte und Vorwürfe in den sozialen Netzwerken stützen», erstattet worden sei.»

Der Artikel endet mit dem üblichen Lachschlager: «Für Till Lindemann und die restlichen Mitglieder von Rammstein gilt die Unschuldsvermutung.»

Für CH Media ist die Riesenstory aus Russland inzwischen zum «Ukraine-Newsblog» geschrumpft. So nennen Redaktionen neuerdings Gefässe, in die sie ungefiltert alles abfüllen, was sie aus dem Internet kopieren. Besonders lustig:

An Board, on board, boarding, boring.

Kriegerisch gestimmt ist hingegen weiterhin der Ausland-Chef der Falken-NZZ:

Der versucht’s inzwischen mit Krankbeten. Beziehungsweise damit, dass eine ständige Wiederholung Unsinn in Sinn verwandelt: «Der Ruf Präsident Putins als der unantastbare starke Mann im Kreml ist ramponiert.» Ob das daran liegt, dass ein angetäuschter Marsch auf Moskau schnell und unblutig beendet wurde? Peter Rásonyi kurbelt an seiner Gebetsmühle: «... hinterlässt einen gedemütigten Diktator im Kreml …»

Aber er hat auch Neues auf Lager. Schon wieder gebe es Stimmen, die fordern, einen geschwächten Putin nicht in die Enge zu treiben, da könne er irrational werden. Ganz falsch, donnert kriegerisch Rásonyi: «Westliche Zurückhaltung, die von der Angst vor einer unkalkulierbaren Aggressivität Putins geprägt ist, war damals schon falsch. … Heute wäre solche Nachsicht erst recht falsch.»

Was empfiehlt denn der kalte Sandkastenkrieger? Martialisches: «Deshalb muss die Devise des Westens sein: die Schwäche Russlands schonungslos ausnützen, die Verteidigung der Ukraine ohne Abstriche fortführen.»

Es wird die Ukrainer sicher freuen zu hören, dass sie von der Falkenstrasse aus schonungslos in die Schlacht getrieben werden, ohne Abstriche. Was ist nur aus der einstmals besonnenen NZZ geworden? Christoph Mühlemann rotiert im Grab; ob Eric Gujer mit seinem Nachfolger in diesem Amt wirklich glücklich ist?

 

2 Kommentare
  1. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Immer noch Ströme von Blut und Berge von Leichen.Und zu viele Schweizer im Kriegsrausch.
    Ob sich das Ukruinische Regime behaupten kann, entscheidet doch letztlich
    das Schicksal. Und sicher nicht die deutschen «Sicherheitsexperten» an der ETH.

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  2. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    «Berichterstattung» 2023.
    Biden gibt nichts her und wird geschont. Wie hiess doch noch mal seine gehypte Vize?
    Trump ist immer eine Schlagzeile wert. Und die werden trotz Steigerungsversuch nach ein paar Tagen klammheimlich eingestellt.
    «Putins Koch» darf monatelang gegen seinen Auftraggeber lästern. So wird das jedenfalls in den hiesigen Medien kolportiert.
    Salopp zusammengefasst: alles Quatsch.

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