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Der hinterhältige Bucheli

Die Meinungskrieger sind am Werk.

Roman Bucheli ist eigentlich für deutschsprachige Literatur «sowie für das Kinder- und Jugendbuch» zuständig. Also eine idyllische Tätigkeit für den studierten Germanisten und Philosophen.

Das hindert ihn aber nicht daran, sich in die garstigen Niederungen der Konfliktberichterstattung zu begeben. Obwohl sein Vordenker Peter Rásonyi bereits genügend vorgelegt hat, ist Bucheli wohl der Meinung, dass doppelt polemisiert wohl besser halte. Also legt er unter dem Titel «Das hinterhältige Aber» ein intellektuelles Schmierenstück vor, das überhaupt nichts Kindliches und auch nichts Kindisches hat. Ausser vielleicht beim Argumentationsniveau.

Zunächst zitiert er einige Prominente, die sich kritisch über die Reaktion Israels auf den barbarischen Angriff der Hamas geäussert haben. Jedesmal fragt er in Anklägermodus: «Wo waren die am 7. Oktober?» Eine hübsche rhetorische Pirouette, die unterstellt, dass alle, die Israel kritisieren, den Terrorschlag der Hamas ausblenden würden. Was sie natürlich nicht tun. Aber Unterstellungsjournalismus statt inhaltliche Auseinandersetzung ist en vogue, leider auch in der NZZ.

Das ist nur die Einleitung, um richtig Gas zu geben. Er nimmt sich den Satz vom luftleeren Raum des UN-Generalsekretärs nochmals zur Brust, obwohl in normalen Zeiten die Qualitätskontrolle sagen würde: hatten wir alles schon, wozu die Wiederholung?

Nun, damit auch Bucheli noch seinen Senf dazu geben kann: «Was hatte er also damit sagen wollen? Dass die Hamas Grund zum Morden hatte? Weil sie die Luft atmeten, in der die Israeli den Hass gesät haben sollen? Wer so denkt, vergisst oder verschweigt, was in der Charta der Hamas steht.»

Aber das alles ist nur eine längliche, aufgepumpte Einleitung zu dieser Infamie:

«Man merkt schon, wohin die Leute zielen, wenn sie solche verbalen Pirouetten drehen. Das Massaker der Hamas wird verharmlost oder gleich ungeschehen gemacht, indem es aus dem Gedächtnis gelöscht wird. Es erforderte keine besondere prophetische Gabe, um schon am Morgen nach dem 7. Oktober voraussagen zu können, dass Israel für das Massaker würde büssen müssen. Es würde dafür bestraft werden, das Opfer einer schändlichen Bluttat geworden zu sein.»

Wer will das Massaker der Hamas ungeschehen machen? Wer will die Israelis dafür bestrafen, Opfer geworden zu sein? Die US-Schauspielerin Tilda Swinton, mitsamt 2000 Künstlern Autorin eines Protestbriefs? Da ist Bucheli jede Unredlichkeit recht, denn er zitiert sehr ausgewählt aus diesem Protestschreiben und unterschlägt zum Beispiel, dass im Brief «jede Gewalttat gegen Zivilisten und jede Verletzung des Völkerrechts, wer auch immer sie begeht» verurteilt wird. Das Schreiben zitiert auch den israelischen Verteidigungsminister Yoav Galant, der die Palästinenser als «menschliche Tiere» abqualifiziert.

Wenn man diesen eines Verteidigungsminister eines zivilisierten Staates unwürdigen Satz kritisiert, muss man dann zuerst auf die Charta der Hamas hinweisen, die die Vernichtung Israels als Ziel formuliert? Muss man zuerst seinen Abscheu über die Bluttaten der Hamas äussern? Und muss man das alles in Worten und in einer Art tun, die Bucheli akzeptieren kann? Wo sind wir hier eigentlich?

Ist das ein Niveau der Schmiere, das der NZZ angemessen ist? Eigentlich nicht. Aber Bucheli ist sich sicher: «Die vereinigten Antisemiten der Welt würden grossen Zulauf erhalten». Dann nimmt sich Bucheli sogar noch Daniel Binswanger von der «Republik» vor. Dessen dilettantischer Kommentar unter dem Titel «Wir sind alle Israelis» enthält für Bucheli noch nicht genug Parteinahme für Israel. Einfach deswegen, weil es auch Binswanger wagt, nach bedingungsloser Verurteilung der Hamas zu schreiben: «Aber auch die Netanyahu-Regierung hat ihren Anteil an der heutigen Tragödie.»

Daraus schliesst Bucheli: «Also doch, die Israeli sind mitschuldig, eigentlich sind sie selber schuld.» Binswanger schreibt viel Unsinn in seinem Kommentar, aber ihm das zu unterschieben, ist infam und unredlich. Die Beschreibung von Ursachen mit Schuldzuteilung verwechseln, das unterläuft Bucheli nicht aus Dummheit. Das ist unredliche Absicht.

Aber immerhin, zum Schluss schreibt Bucheli etwas, das er sich selbst hinter die Ohren schreiben sollte: «Es steckt heute viel Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit in der Debatte um Israel.»

Was auch Bucheli, der vielleicht besser Kinderbücher rezensieren sollte, völlig auslässt: was wäre denn ein möglicher Lösungsvorschlag? Wie könnte man das Problem der Geiseln lösen? Wäre das nicht eine vornehme Aufgabe eines Intellektuellen, nachdem das Israel-Kritiker-Bashing in der NZZ schon flächendeckend stattfand? Sollte nicht aus der Analyse von Ursachen nach Lösungen gesucht werden? Ist es nicht kindisch, stattdessen wie der artige Streber in der Primarschule den Finger hochzustecken und «ich auch, ich auch» zu rufen?

Versuchen wir zu spiegeln, um den unfruchtbaren Unsinn dieses Gewäffels zu zeigen. Als die USA unter dem erfundenen Vorwand, der irakische Diktator Saddam Hussein stelle Massenvernichtungswaffen her und unterstütze den Terror der Al Qaida (was beides erstunken und erlogen war), in den Irak einmarschierten, gab es deutliche Kritik daran. Wurde der damals eigentlich auch immer vorgeworfen, sie müsse dann aber schon auch die Gräueltaten des Diktators erwähnen, bevor sie die USA kritisieren dürfe? Oder gar, wer die USA kritisiere, rechtfertige die Verbrechen des Diktators? Wolle sie ungeschehen, vergessen machen? Wer darauf hinwies, dass Hussein zuvor unterstützt von den und applaudiert durch die USA einen der wohl grausligsten Eroberungskriege gegen den Iran führte, in dem schätzungsweise 800’000 Menschen starben, wurde der gleich als Saddam-Verharmloser beschimpft?

Solche Versuche gab es, aber damals war noch eine offenere Debatte möglich als heute. Wie idiotisch und unproduktiv ist das denn, eine Kritik an Israel nur dann zulassen zu wollen, wenn ihr genügend Abscheu gegen die Gräueltaten der fundamentalistischen Wahnsinnigen der Hamas voranging? Kann man das nicht umdrehen, dass diese Zensoren à la Bucheli jegliche Kritik an Israel mundtot machen wollen? Oder sich anmassen zu sagen: Du darfst Israel vielleicht schon kritisieren, aber nur, wenn Du meine Bedingungen dafür erfüllst.

Es ist bedauerlich, dass sich auch die NZZ gelegentlich solche Taucher in die Morastgebiete des geistig Unverarbeiteten, Unredlichen, Unproduktiven leistet. Das ist weder erkenntnisfördernd, noch enthält es auch nur den Hauch eines Lösungsvorschlags, einer Analyse, einer intellektuellen Durchdringung. Das könnte sie besser.

 

Wumms: Peter Rásonyi

Der Mann mit dem verbalen Zweihänder.

Die NZZ hat eine der besten Auslandberichterstattungen im deutschen Sprachraum. Immer wieder gibt es dort Juwelen zu entdecken. Aktuell unter «Meinung & Debatte» einen Beitrag über die vergessene Vertreibung der Armenier aus Nagorni Karabach durch den Diktator in Baku. Titel: «Aserbaidschans Waffen stammen auch aus Israel». Der Artikel beleuchtet die milliardenschweren Waffenlieferungen Israels und seine Unterstützung einer üblen Diktatur mit Know-how, eine schmutzige Sache.

Der Leiter der Auslandredaktion Peter Rásonyi könnte das möglicherweise als ungeheuerliche Vorwürfe bezeichnen. Obwohl die Darstellung dieser üblen Zusammenarbeit auch aus israelischen Medien stammt. Denn Rásonyi mag den verbalen Zweihänder.

Das tut der Ukraine-Kriegsberichterstattung nicht gut, in der die NZZ bereits unzählige Male den nahe bevorstehenden Sieg der Ukraine verkündet. Aber richtig mopsig wird der Auslandchef, wenn es um Israel geht.

Da verurteilt der UNO-Generalsekretär den «schrecklichen und einzigartigen Terrorangriff» der Hamas-Mörderbande, er sei «durch nichts zu rechtfertigen». Dann sagt António Guterres richtig, «dass die Angriffe der Hamas nicht in einem luftleeren Raum geschehen sind. Das palästinensische Volk ist 56 Jahre lang einer erstickenden Besatzung unterworfen worden». Damit bezieht sich Guterres unter anderem auf die klar völkerrechtswidrige Siedlungspolitik Israels in besetzten Gebieten.

Dazu donnert Rásonyi: «Die Vorwürfe von Uno-Generalsekretär Guterres sind ungeheuerlich und menschenverachtend, weil er den Terror eben doch rechtfertigt und die Verantwortung dafür in absurder Weise umkehrt.» Die Bemerkung zum «luftleeren Raum» könne «genau so verstanden werden: Israel habe den Terrorakt letztlich selbst verschuldet, weil es die Palästinenser zuvor so schlecht behandelt habe».

Auch die Bemerkung, dass es regnet, kann missverstanden werden. Aber dem Generalsekretär zu unterstellen, er hätte andeuten wollen, dass Israel den Terrorakt selbst verschuldet habe, ist schon ungeheuerlich. Er selbst weist das als «schockierend» zurück.

Anschliessend setzt Rásonyi einige Fragezeichen hinter die israelische Blockade des Gazastreifens. Aber wenn man seine Methode gegen ihn verwenden will, nützt dem Auslandchef das nichts, so wenig wie es in seinen Augen Guterres genützt hat, dass der die Gräueltaten der Hamas ohne Wenn und Aber verurteilte.

Dass der israelische UNO-Botschafter gleich den Rücktritt von Gutteres forderte, ist als Bestandteil des Propagandakampfs verständlich. Wie aber ein leitender Redaktor eines Blatts dermassen verbal ausrasten kann, das sich doch die ruhige und gelassene Analyse auf die Fahnen geschrieben hat, ist befremdlich. Solches Gejapse sollte die NZZ doch anderen Organen überlassen, um als Stimme der Vernunft weiter wahrgenommen zu werden.

Wildes Rätselraten

Fehler sind menschlich. Die Medien sind unmenschlich.

Eigentlich fehlte nur, dass sich Präsident Putin und Wagner-Chef Prigoschin zusammen in der Sauna gezeigt hätten, sich mit Birkenquasten auspeitschend.

Statt verbaler Abrüstung herrscht nun aber Entrüstung in den Gazetten. Unverschämt von diesen Russen, dass sie zeigten, dass aller Alarmismus ein banaler Fehlalarm war. Militärputsch, Putin wankt, ist schon aus Moskau geflohen, sein Regime ist zum Untergang verurteilt, die Lage eskaliert, stürzt er heute oder erst morgen?

Alles Quatsch. Vielleicht war es doch nur ein geschickter PR-Stunt, vermuten nun schon intelligentere Fernanalysten. Schliesslich musste eine Lösung dafür gefunden werden, dass Prigoschin dazu aufgefordert worden war, seine Söldnertruppe bis Ende Juni dem Oberkommando der russischen Armee zu unterstellen.

Dass er das nicht tun würde, war von Vornherein klar. Dass das der Kreml nicht würde akzeptieren können, ebenfalls. Also was tun, wie schon Lenin fragte. Lösung: einen kleinen Schein- und Schaukampf aufführen. Wie bei den Primaten bewährt. Beide Tiere schlagen sich auf die Brust, stossen drohende Schreie aus und plustern sich überhaupt kräftig auf. Immer in der Hoffnung, damit einen wirklichen Kampf mit Verletzungsgefahr vermeiden zu können.

Genau das ist Putin und Prigoschin gelungen. Wichtig bei diesem Gehampel ist auch, dass keiner der beiden Beteiligten das Gesicht verliert. So kunstvoll der Kriegstanz war, so koordiniert muss der beiderseitige Rückzug vonstatten gehen. Damit es ja nicht so aussieht, als ob einer der beiden kneife.

Genau das ist in Russland passiert. In der Schweiz hat sich wieder einmal die gesamte Leitmedienpresse bis auf die Knochen blamiert. Statt nun aber auch den geordneten Rückzug anzutreten, wird nachgetreten. Denn eingestehen, dass sich mal wieder alle Kreml-Astrologen, alle sogenannten Koryphäen, Kenner, Militärsandkastenstrategen getäuscht haben, dass sie von schlagzeilentrunkenen Journalisten zu Aussagen verleitet wurden, für die sie sich in Grund und Boden schämen sollten – niemals. Nicht mal unter Folter. Nicht mal angesichts der Tatsachen.

Nachdem nun vorläufig der Militärputsch, der Bürgerkrieg, der Sturz, das Ende abgesagt sind, wird fleissig weitergestrickt an realitätsfernen Wunschtheorien. Der Kreml-Herrscher sei abgetakelt, weiss ein fehlanalysierender «Militärstratege», es gäbe nun stalinistische Säuberungen. Nachdem schon alle anderen Mietmeinungen aus München bei Tamedia ihren Unsinn veröffentlichen durften, klappert dort nun noch SZ-Autor Frank Nienhuysen nach.

Bedauerlicherweise ist die Kriegsberichterstattung aus Russland abgesagt worden, mangels Krieg. Aber man darf doch noch Frage stellen:

Eigentlich stand er ja schon vor dem Aus, dem Rücktritt, wäre er von Putin gefeuert worden, oder hätte seinerseits Putin absägen wollen. Aber der Kreml ist – ebenso wie das Verteidigungsministerium – ein gegendarstellungsfreier Raum. Das nützt Nienhuysen recht gnadenlos aus. Zunächst muss er einräumen: «Sergei Schoigu, Russlands Verteidigungsminister, ist also noch da.»

Dann spinnt Intim-Kenner Nienhuysen sein Garn weiter: «Selten ist ein russischer Verteidigungsminister derart in Bedrängnis geraten … Wie angeschlagen ist Sergei Schoigu … Schoigus Ruf geriet in Gefahr … Den Machtkampf hat Prigoschin verloren, und Schoigu hat ihn gewonnen. Doch der hat genug weitere Probleme … Er forderte auch die russische Rüstungsindustrie auf, mehr Panzer herzustellen, Indizien für Schwierigkeiten an den Fronten

Kann so sein, muss nicht so sein. Wichtiger ist aber: Nienhuysen hat offensichtlich keine Ahnung. Ein Eingeständnis dieser Tatsache wäre grandios, würde aber nicht ganze Spalten von SZ und damit auch von Tamedia füllen. Wo bleibt Münger, ist man versucht zu fragen.

Aber einen Lacher überliefert der Ferndiagnostiker: «Würde man alle Zahlen des Ministeriumssprechers Igor Konaschenkow addieren, so Prigoschin, «dann hätten wir schon fünfmal die Erde zerstört».» Das ist immerhin mal komisch, aber nicht von Nienhuysen.

Auch der «Blick» melkt aus dem Thema raus, was das trockene Euter nicht hergibt:

Lustig ist, dass die Medien gerne von «Wirrwarr» sprechen, wenn sie selbst verwirrt sind. Eher peinlich ist’s, dass nun selbst «Militärexperten» wirklich nichts Originelles mehr zu verzapfen haben:

Irgendwie erinnert das an die Anfangszeiten der Pandemie. Damals drängelten sich auch Experten in die Öffentlichkeit, indem sie immer absurdere Prognosen über die zu erwartenden Anzahl Tote machten. Und als das nicht eintraf, kühn behaupteten, dass das eben das Resultat ihrer eindringlichen Warnungen sei.

Gewagter Seitensprung: dem Trubel um den Sänger von Rammstein scheint es ähnlich zu gehen wie dem «Putschversuch», der keiner war:

«Wollen entlasten», wunderbare Formulierung. Nachdem auch der «Blick» (wie alle anderen) gross vermeldet hatte, dass die Staatsanwaltschaft in Vilnius und die in Berlin «Ermittlungen» aufgenommen habe, wird nun so nebenbei berichtet: diejenige von Vilnius hat das Verfahren eingestellt, kein ausreichender Anfangsverdacht. Und Berlin? Da zitiert der Nicht-mehr-Boulevard-«Blick» Lindemanns Anwälte kleinlaut: «Man habe auch Einsicht in die Akten des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlins bekommen. Diese bestätigte, dass das Ermittlungsverfahren «nicht auf Strafanzeigen vermeintlicher Opfer» zurückgehe, sondern Anzeige von unbeteiligten Dritten, «die ihre Anzeigen ausschliesslich auf Medienberichte und Vorwürfe in den sozialen Netzwerken stützen», erstattet worden sei.»

Der Artikel endet mit dem üblichen Lachschlager: «Für Till Lindemann und die restlichen Mitglieder von Rammstein gilt die Unschuldsvermutung.»

Für CH Media ist die Riesenstory aus Russland inzwischen zum «Ukraine-Newsblog» geschrumpft. So nennen Redaktionen neuerdings Gefässe, in die sie ungefiltert alles abfüllen, was sie aus dem Internet kopieren. Besonders lustig:

An Board, on board, boarding, boring.

Kriegerisch gestimmt ist hingegen weiterhin der Ausland-Chef der Falken-NZZ:

Der versucht’s inzwischen mit Krankbeten. Beziehungsweise damit, dass eine ständige Wiederholung Unsinn in Sinn verwandelt: «Der Ruf Präsident Putins als der unantastbare starke Mann im Kreml ist ramponiert.» Ob das daran liegt, dass ein angetäuschter Marsch auf Moskau schnell und unblutig beendet wurde? Peter Rásonyi kurbelt an seiner Gebetsmühle: «... hinterlässt einen gedemütigten Diktator im Kreml …»

Aber er hat auch Neues auf Lager. Schon wieder gebe es Stimmen, die fordern, einen geschwächten Putin nicht in die Enge zu treiben, da könne er irrational werden. Ganz falsch, donnert kriegerisch Rásonyi: «Westliche Zurückhaltung, die von der Angst vor einer unkalkulierbaren Aggressivität Putins geprägt ist, war damals schon falsch. … Heute wäre solche Nachsicht erst recht falsch.»

Was empfiehlt denn der kalte Sandkastenkrieger? Martialisches: «Deshalb muss die Devise des Westens sein: die Schwäche Russlands schonungslos ausnützen, die Verteidigung der Ukraine ohne Abstriche fortführen.»

Es wird die Ukrainer sicher freuen zu hören, dass sie von der Falkenstrasse aus schonungslos in die Schlacht getrieben werden, ohne Abstriche. Was ist nur aus der einstmals besonnenen NZZ geworden? Christoph Mühlemann rotiert im Grab; ob Eric Gujer mit seinem Nachfolger in diesem Amt wirklich glücklich ist?

 

Wehe der Realität,

wenn sie der Journaille widerspricht.

Ein Putsch, der Marsch auf Moskau, der Zusammenbruch, das Ende. So galoppierten die Schweizer Journalisten los, reitend auf «Koryphäen», «Spezialisten», «Russland-Kennern» oder einfach jedem, der gerade noch kurz Zeit für ein Telefoninterview fand. Und wusste, dass er ein paar martialische Sachen sagen muss, damit es auch ein schönes Titelquote gibt.

Nachdem das alles publiziert und sogar gedruckt war, sagten aber Prigoschin und Putin «April, April». Statt Haue gibt es Eierkuchen. Marsch ist abgeblasen, die Wagner-Truppe ist aus Rostow abgezogen, es fehlte nur, dass sie noch die Strassen sauber gekehrt hätten und für das getankte Benzin bezahlt.

Der weissrussische Diktator Lukashenko soll der Truppe Exil und Asyl bieten, Prigoschin sagte zum Abschied leise «do svidaniya», und Putin sagte «alles vergeben, alles vergessen, Schwamm drüber». Das ist natürlich blöd, wenn die Journaille so richtig einen Lauf hat und bereits fantasierte, dass Prigoschin am Samstagabend in Moskau einmarschieren könnte.

Abbremsen, absteigen, absatteln, abrüsten? Aber nein, so geht das natürlich auch nicht. Daher:

Komisch, eigentlich war er doch schon am Ende, so wie die «Putin-Versteher», und jetzt wankt er bloss? Auch der Tagi, also Tamedia, vielleicht sogar der «Tage-Anzeiger», ist nachtragend, dass die Wirklichkeit nicht so will, wie sie sollte:

Stefan Kornelius, der Brachial-Rhetoriker von der «Süddeutschen Zeitung», hat mal wieder einen Gastauftritt beim Tagi, also bei Tamedia, na, lassen wir das. Dabei ist ihm sein dummes Geschwätz von gestern ziemlich egal: «Ein Regime mit totalitären Zügen ist hingegen in Moskau an der Macht. Bedauerlicherweise ist seine Beseitigung nicht absehbar.»

Sein Frust, dass sich die Dinge nicht so entwickelten, wie er hoffte, tropft aus jeder Zeile: «Eine Mörderbrigade hat den russischen Diktator gedemütigt und den jämmerlichen Zustand des Militärs entlarvt.»

Vielmehr haben Prigoschin und Putin gezeigt, wie man sich elegant aus einer Konfrontation windet, die für beide nicht ohne Beschädigungen hätte abgehen können. Wobei die Annahme absurd wäre, dass es der Wagner-Truppe hätte gelingen können, Moskau zu erobern oder Putin zu stürzen. Aber wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist …

Bei «20 Minuten» erlebt der «Russland-Experte Alexander Dubowy» («Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch») seine Auferstehung, nachdem er bei den Kollegen von CH Media krachend daneben lag. Je nun, es muss halt ein Experte her. Also tönt «20 Minuten»: «Alexander Dubowy ordnet ein», dabei hat der offensichtlich keine Ahnung.

Das übertüncht er mit markigen Sprüchen: «Die Stimmung ist am Kochen. Putins Legitimität bröckelt … Der Versuch, Strassen und Brücken nach Moskau zu zerstören oder mit Lastwagen zu blockieren, war verzweifelt … Es ist gut möglich, dass wir am Samstag den Anfang des Endes von Putins Russland erlebt haben.» Und so weiter.

Es ist nicht gut möglich, sondern schriftlich belegt, dass sich Dubowny auf dem ungeordneten Rückzug von seinen früheren Behauptungen befindet. Aber er gibt nochmal richtig Gas: «Ich denke, dass es Russland in der Form und Grösse, wie wir es heute kennen, bis 2030 nicht mehr geben wird.» Da kann er sich in der sicheren Hoffnung wiegen, dass sich in sieben Jahren keiner mehr an sein Geschwätz erinnern wird.

Einigermassen nüchtern bleibt dagegen «blue news»:

Ziemlich breitbeinig kommt dagegen CH Media daher:

«Alles zum Aufstand der Wagner-Söldner»? Aber immerhin, hier versucht sich Kurt Pelda an einer «Analyse», und der hat immerhin eine Ahnung, wie es vor Ort in der Ukraine zugeht. Ob er tatsächlich zu einer Analyse der russischen Situation fähig ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall steuert er eine hübsche Anekdote bei. Was wohl die russischen Soldaten in der Ukraine von einem Oberbefehlshaber hielten, wenn ihnen bewusst würde, «dass sie von einem schwächelnden Mann kommandiert werden, der heute so ängstlich ist, dass eine Gruppe russischer Kriegsjournalisten, die er kürzlich zu sich zum Gespräch einlud, zuerst eine tagelange Isolation über sich ergehen lassen mussten

Sehr cool nimmt es hingegen weiterhin die NZZ und behält das Wesentliche im Auge: «Das Ende des Prigoschin-Aufstands wirkt sich positiv auf Asiens Börsen aus». Allerdings geht’s dann im Orchester doch auch mit schrillen Tönen weiter: «Aufstieg und Fall eines Kriegstreibers», «Die Angst vor dem Chaos», «Prigoschin fehlt bei der Rebellion der Rückhalt», aber doch auch «Ruhe in Russland nach Aufstand».

Der Ausland-Chef Peter Rásonyi versteigt sich allerdings wieder zu einem «Kommentar». Dessen Berichterstattung über den Ukrainekrieg hat sich der «Schweizer Monat» im Februar dieses Jahres zur Brust genommen. Grandioses Resultat: In der NZZ hat die Ukraine schon unzählige Male gesiegt, immer wieder und immer öfter.

Hat Rásonyi daraus etwas gelernt? Zumindest fängt er seinen Kommentar verhalten an, mit einem Stossseufzer: «Jene Tage, an denen Putins Präsidentschaft und sein fürchterlicher Krieg Geschichte sein werden, können keinen Moment zu früh kommen.» Aber wann kommen sie denn? «Es ist allerdings noch nicht so weit. Die Lage in Russland ist weiterhin unübersichtlich.»

Sichtbar in der Unübersichtlichkeit ist aber: «Putin hat das Schlimmste noch einmal abgewendet. Gleichwohl steht er nach den dramatischen Ereignissen vom Wochenende als der grosse Verlierer da.» Warum denn? «Wer am Morgen noch harte Bestrafung für einen Verräter ankündigt und am Abend dieselbe Strafe zurücknimmt und den Täter laufenlässt, wirkt verzweifelt, ängstlich und schwach.»

Was den Ausland-Chef zur Schlussfolgerung bringt: «Schwache Diktatoren leben gefährlich.» Starke übrigens auch.

Kommentatoren hingegen nicht. Sie können ungehemmt Unsinn verzapfen. Stellt sich das als Quatsch heraus, verzapfen sie halt anderen Unsinn. Sollte das wiederum, siehe oben. Aber mit Glaubwürdigkeit, Vermittlung, Kompetenz, Einordnung, Erklärung oder Hilfestellung hat das wenig zu tun. Mit einer Dienstleistung, die geldwert sein soll, noch weniger. Denn für Meinungen am Stammtisch, ohne vertiefte Kenntnis oder Analysefähigkeit, zahlt man schliesslich auch nichts. Kann aber immerhin noch ein Bier dabei bestellen. Oder jederzeit aufstehen und gehen. Was auch immer mehr Abonnenten tun.

 

 

Countdown zum Krieg

ZACKBUM zählt mit. Ab wann wird zurückgeschossen?

Nicht mal der böse Putin ist so böse, dass er am Valentinstag einen Krieg anfängt.

Nun muss man wissen, dass der Countdown 1929 vom Regisseur Fritz Lang erfunden wurde, um im Stummfilm spannend klarzumachen, wann eine Rakete abhebt.

Das gleiche Prinzip gilt natürlich noch heute. Nur ist der Film nicht mehr stumm, sondern wir hören eine wilde Kakophonie von Countdowns.

Wie meist unzuverlässig hat sich Tamedia aus dem Fenster gelehnt – und verloren. Unter Berufung auf «informierte Kreise» zu Bern (als ob es das dort gäbe) hat der Qualtitätsmedienkonzern den Kriegsbeginn auf den 15. Februar festgelegt. «Wenn nicht», natürlich mit Abbinder.

Da gilt seither «wenn nicht». Andere Schätzungen gingen von Mittwoch, aus. Oder Donnerstag. Oder wie wäre es mit Freitag? Dann erhebt sich die Frage, ob am Wochenende eigentlich auch Kriegsbeginn sein darf. Oder ist dann auch für Militärs Feierabend? Sonntag gar?

USA intelligenter als europäische Unken

Nein, die USA sind da wie immer cleverer als die Europäer. Sie sprechen von «unmittelbar bevorstehender Kriegsgefahr». Zügeln ihre Botschaft aus Kiew weg und fordern US-Bürger auf, das Land zu verlassen. Damit rühren sie kräftig die Kriegstrommel, verbrennen sich aber nicht die Finger mit einem fixen Datum.

Das Ganze hat auch einen Aspekt von «drôle de guerre» (googeln). Die Ukraine hatte den Mittwoch kurzerhand zum neuen Nationalfeiertag ernannt. Nach der Devise: Wir werden doch nicht an einem Feiertag überfallen. Wobei, Yom Kippur, man erinnert sich: am höchsten Feiertag, am 6. Oktober 1973, überfiel eine Koalition arabischer Staaten Israel.

Auf der anderen Seite vermeldet das «Bündner Tagblatt»: «Die Schweiz bleibt relativ entspannt.» Das bedeutet, die Botschaft bleibt, wo sie ist, Swiss fliegt. Eher kriegerisch gestimmt ist hingegen Peter Rásonyi, der Auslandchef der NZZ: «Verhandlungsdiplomatie ist gut, aber jetzt ist es allerhöchste Zeit, dass der Westen Putin die vollen Kosten eines Angriffs auf die Ukraine aufzeigt».

Während der deutsche Bundeskanzler Scholz noch im Flieger nach Moskau sass, wurde er mit guten Ratschlägen aus der NZZ überschüttet. Ratschläge? Ach was, Befehle.

«Scholz sollte deshalb noch mehr tun. Er sollte die Gelegenheit nutzen … er sollte klarmachen … scharfe Konsequenzen mit aller Klarheit aufzuzeigen …»

Denn, Rásonyi fürchtet das Schlimmste, hinter leisem Optimismus: «Es gibt noch immer Grund zur Hoffnung, dass Putin sein gewaltiges Waffenarsenal nicht dazu einsetzen wird, das Nachbarland durch einen Bomben- und Raketenhagel zu zerstören und Hunderttausende von ukrainischen «Brüdern und Schwestern» zu töten.»

NZZ gibt deutschem Bundeskanzler den Tarif durch

Scholz Mission in Moskau sieht so aus: «Deshalb muss der Westen jetzt klarmachen: Auch ein begrenzter Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen. Dieser muss die maximal möglichen Gegenmassnahmen zur Folge haben, zu denen der Westen fähig ist. Jede Relativierung und jede Nachgiebigkeit würde einen autoritären Aggressor wie Putin nur zu noch mehr Provokationen und Zumutungen einladen und ihn zu einer noch grösseren Gefahr für die langfristigen Sicherheitsinteressen Westeuropas machen

Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich Rásonyi mit gerunzelter Stirn über den Sandkasten beugt und dort rote sowie blaue Pfeile und Bögen hin und her schiebt.

Nur der ukrainische Botschafter geht noch etwas weiter und fordert von Scholz ultimativ, der müsse Putin ein Ultimatum stellen. Ob Scholz das mit einer Besichtigung des Denkmals verbinden würde, wie weit die Nazi-Truppen beim Überfall auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg vor Moskau kamen?

Der NZZ-Falke verwechselt die Falkenstrasse mit dem NATO-Hauptquartier, hält sich nicht länger für einen Journalisten, sondern für einen Befehlshaber, dessen Ratschläge unbedingt zu befolgen sind.

Solches Gehampel hat, genau wie die Festlegung auf ein bestimmtes Datum des Kriegsausbruchs, etwas unfreiwillig Komisches, Aufgeblasenes. Das wirkt so, wie wenn der Autor vor eigener Wichtigkeit und Bedeutung kaum mehr geradeaus laufen kann. Seine Schultern gebeugt von der Last der Verantwortung, mit Buchstaben einen Krieg abwenden zu müssen.

Helm auf gilt für immer mehr Journalisten

«Helm auf», ist ein scherzhafter Journalistenspruch, um jemanden auf die Piste einer Reportage zu schicken. Das ist längst vorbei, heutzutage darf der Redaktor seine Verrichtungsbox nur noch ausnahmsweise verlassen. Aber bei Rásonyi kann man sich das lebhaft vorstellen, er schreibt mit Helm. Der ihm aber immer wieder über die Augen rutscht und den Blick verstellt.

Demnächst meldet er sich aus seinem Zivilschutzbunker. Notvorrat aufgefüllt, Filter ausgewechselt, Notstromaggregat revidiert, Zivilverteidigungsbüchlein griffbereit. Verkörperung einer militanten Tante. Obwohl das seit dem Ende des Kalten Kriegs gar nicht mehr so zur NZZ passt.

 

 

 

Wumms: Peter Rásonyi

Wie sehr darf man sich von seiner Herkunft leiten lassen?

In der Affäre Djokovic (erinnert sich noch jemand an das unglaubliche Geschrei?) durfte vor allem bei Tamedia über den Serben hergezogen werden, dass es eine Unart hatte. Besonders ausfällig wurde ein Schreiber mit kosovarischem Hintergrund; Enver Robelli teilte ganz übel (und unkontrolliert) aus.

Der Auslandchef der NZZ ist der Sohn ungarisch-deutscher Eltern und wurde 1966 in Zürich geboren. Es steht zu vermuten, dass eine Flucht nach dem ungarischen Aufstand von 1956 zur Familiengeschichte gehört.

Damit soll Peter Rásonyi nun nicht eine quasi genetisch bedingte Russlandfeindlichkeit unterstellt werden. Es ist aber dennoch auffällig, dass er bei osteuropäischen Themen ziemlich ranzig wird. Wenn er die EU dafür lobt, «schnell und entschlossen gegen Lukaschenko gehandelt» zu haben, vergisst er nicht, «dessen Schutzmacht Russland» zu erwähnen.

Obwohl zur ungarischen Vergangenheit – neben Faschismus – auch ein Aufstand gehört, ist Rásonyi anderswo strikt gegen solchen zivilen Ungehorsam. Die LKW-Blokaden in Kanada seien «unverhältnismässig», befindet er, nie um einen guten Ratschlag verlegen: «Die Regierung sollte härter dagegen einschreiten

Den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz begleitete Rásonyi mit einem ganzen Geschwader an Ratschlägen, Vorgaben und Handlungsanweisungen. Da wäre man bei der NZZ mit dem immer noch besten Netz an Auslandkorrespondenten um eine Spur mehr Differenziertheit dankbar.