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Lieblingsjob der Medien

Die Beispiele für Leserverarschung purzeln nur so herein.

Der Beitrag vom «Blick» zum Thema: kann man so oder so sehen. Kleine Hilfe für den verwirrten «Blick»-Leser: Das KOF ist meistens doof und muss seine Prognosen regelmässig korrigieren …

Man muss schon sagen, «20 Minuten» befasst sich mit den letzten Fragen der Menschheit, mit ungelösten Rätseln, die die Jahrtausende überdauerten, seit der Neandertaler das erste Mal dem Thema Körperhygiene nähertrat und sich die Hände abwischte, nachdem er ein Mammut verspeist hatte. Aber erst sehr viel später begann er damit, etwas gegen Achselschweiss zu unternehmen.

Das hier ist nun eine absolute Null-Meldung; richtig aus «watson». Natürlich gibt es Beschwerden gegen solche Sendungen, ist doch sonnenklar. Ganze vier seien beim Ombudsmann der SRG eingegangen. Soweit, so gähn. Was wird genau beanstandet, hat das Hand und Fuss? Sobald die interessanten Fragen beginnen, sagt «watson»: öh, das wissen wir doch auch nicht. Das ist echte Leserverarschung mit Anlauf.

Und nun als Absackerchen die Lieblingsbeschäftigung der Journalisten: mit sich selbst, über sich selbst, gegen die anderen.

Gleich ein Team und eine Einzelkämpferin befassten sich mit einem wirklich weltbewegenden Aspekt der Läderach-Affäre. Die liegt bereits in den letzten Zügen, noch ein wenig «ich auch», noch Zusammengekehrtes («wie viele solcher Schulen gibt es in der Schweiz?»), und tschüss.

Aber vorher noch:

So titelt CH Media in seinen unzähligen Kopfblättern. Und erzählt die Geschichte nach, die Roger Schawinski auf seinem «Radio 1» erzählte. Er habe den Chef des Zürcher Film Festivals (ZFF) Christian Jungen am Freitagabend angerufen und davon überzeugt, den Dok-Film anzuschauen. Das habe den sensiblen Mann so geschüttelt. dass er bis spätnachts nicht habe schlafen können, erzählte Schawinski weiter. Und schon am Samstag trennte sich das ZFF von seinem «Partner» Läderach.

CH Media gibt sich erstaunt: «Am Freitag hatte sich das ZFF noch selbstbewusst hinter seinen Sponsor gestellt. Gegenüber verschiedenen Medien wurde betont, man stehe «voll und ganz zur Partnerschaft mit Läderach».» Und dann das. Dabei hätte das ZFF doch wissen müssen, dass Läderach nicht ganz unumstritten sei.

Mit etwas spitzeren Fingern fasst Nina Fargahi (Ex-«Edito») das Thema an. Ihr Artikel für die vielen Kopfblätter von Tamedia beginnt mit einer Einleitung, die man jedem Journalistenschüler um die Ohren hauen würde: «Die Ereignisse überschlagen sich …» Was für eine Leserverarschung; hier überschlägt sich nichts, von Ereignissen ganz zu schweigen.

Überschlagen tut sich höchsten Fargahi: «Radiomacher Roger Schawinski will eine Rolle gespielt haben. Das sagt er zumindest in seiner letzten Sendung «Roger gegen Markus».» Darauf habe schon seit Streitpartner Markus Somm ironisch reagiert: «Dieser fasst spöttisch zusammen: «Roger Schawinski war also entscheidend für diesen Boykott.»»

Worauf sich die beiden verbal gebalgt hätten. Dann rapportiert Fargahi, dass Jungen doch tatsächlich die Aussagen von Schawinski bestätigt habe; er sei aber nicht für das Sponsoring zuständig. Das lässt die Recherchierjournalistin so stehen, weil das wieder Zweifel an der Bedeutung der Rolle von Schawinski lässt. Dabei ist es lachhaft, dass der Big Boss des Festivals solche Entscheide nicht anordnen kann.

Vielleicht ist man bei Tamedia immer noch nachtragend, weil man vor vielen Jahren das TV- und Radioimperium von Schawinski zu einem exorbitanten Preis übernahm – und anschliessend gewaltig abschreiben musste.

Halt einer der vielen Fehlentscheide des Hauses. Aber noch lange kein Grund, dass sich gleich die beiden Duopolisten im Deutschschweizer Zeitungsmarkt («Blick» kann man ja nicht wirklich ernst nehmen) darum kümmern, ob und wie und wie wichtig eine Intervention von Schawinski gewesen sei. Das interessiert ausser ihm selbst und die Journaille nun eigentlich niemand wirklich. Aber wenn Journalisten über Journalisten schreiben können, und erst noch leicht hämisch, dann ist die Versuchung übergross.

Und der zahlende Leser fühlt sich mal wieder verarscht.

La, La, Läderach

Wie schlägt sich Johannes Läderach im kleinen Orkan?

Klarer Fall für Krisenkommunikation. Es war ein Sturm mit Ansage. Spätestens, als die SRG Vater Läderach mit Vorwürfen konfrontierte, an der evangelikalen Privatschule «Domino Servite» habe es Gewalt gegen Zöglinge gegeben und gar einen Vergewaltigungsfall unter Schülern, wusste CEO Johannes Läderach, dass sich Gewitterwolken zusammenballten. Und konnte mit den Vorbereitungsarbeiten beginnen.

Vergangenen Donnerstag schlug dann der Blitz ein, die Doku wurde ausgestrahlt. Inzwischen zählt das SMD (Stand Montagmittag) bereits 274 Treffer für das Stichwort Läderach. Natürlich sind sehr viele Doubletten dabei, weil die Schweizer Medienszene überwiegend aus Kopfblättern von Tamedia und CH Media besteht, in denen jeweils die gleiche Einheitssauce auf die Leser geschüttet wird.

Am Donnerstag vermeldete SRF die Resultate einer zweieinhalbjährigen Recherche. Darunter diese Aussage eines M.: «Er sei dabei gewesen, als Jürg Läderach seine Mitschüler mit seinem Gurt gezüchtigt habe, erzählt M, der anfangs 2000 auf dem «Hof Oberkirch» zur Schule ging.»

Dagegen steht: «Jürg Läderach dementiert. In einer eidesstattlichen Erklärung lässt er notariell festhalten, dass er «niemals Schülerinnen oder Schüler geschlagen oder anderweitig misshandelt habe»

Das ist die Ausgangslage. Unbestritten ist wohl, dass es in der Schule zu Schlägen und körperlichen Bestrafungen kam; wieweit Sexuelles dabei eine Rolle spielte, ist unklar. Umstritten ist hingegen, ob Läderach Senior selbst auch geschlagen hat, wobei zumindest klare Indizien darauf hinweisen, dass er von körperlichen Züchtigungen wusste.

Nun ist die Firma Läderach nicht irgendwer, sondern Arbeitgeber von rund 1800 Angestellten, laut Aussage des aktuellen CEO und Sohnes des im Feuer stehenden Läderach. Zwei Produktionsstandorte, weltweit 140 Läden, ein Schoggi-Museum in Bilten, für 50 Franken kann man eine geführte Tour inkl. Degustation, Schokoladenbrunnen und selbstdekorierter Schokolade buchen. Umsatz rund 180 Millionen Franken im Jahr. Ein Zwerg im Vergleich zu Lindt & Sprüngli (rund 5 Milliarden Franken Umsatz), aber immerhin.

Also ging es am Donnerstag los: «Happige Vorwürfe gegen Ex-Schoggi-König Jürg Läderach», titelte Tamedia flächendeckend. ««Kinder gezüchtigt»: schwere Vorwürfe gegen Chocolatier Jürg Läderach», echote der «Blick». Etwas gemässigter die SDA: «Vorerst keine Untersuchung von Christlicher Privatschule». Auch CH Media stimmt in den Chor ein: «Schwere Vorwürfe gegen Ex-Chocolatier Jürg Läderach: Auch er soll «Domino Servite»-Schüler gezüchtigt haben

Dann natürlich der Sektenexperte, Fragen nach der Auswirkung auf das Image, wie steht es mit der Partnerschaft mit dem Zurich Film Festival (ZFF). Eher ausgewogen neutral meldete sich die NZZ mit etwas Verspätung zu Wort: «Vorwürfe gegen Ex-Patron von Läderach».

Während das ZFF noch am Freitag tapfer zu Läderach stand, machte es am Samstag kehrtum und beendete die Zusammenarbeit mit der Schokoladenfirma.

Das war die Ausgangslage. Es war völlig klar, dass sich CEO Läderach zwischen zwei Optionen entscheiden musste, nachdem er in einer ersten Stellungnahme die Distanz zwischen Firma und Vater betont hatte und dass die dritte Generation Läderach «keinerlei Verbindungen zu der Kirche» mehr habe.

Entweder es dabei bewenden lassen, Kopf einziehen und abwarten, dass auch dieser Sturm – wie alle anderen auch – mal vorbeigehe. Oder offensiv werden und sich in der Sonntagspresse melden. Auch da ist die Auswahl sehr überschaubar. SonntagsBlick kam eher nicht in Frage, keine angemessene Plattform. NZZaS wäre natürlich eine Option gewesen, aber offensichtlich konnte man sich nicht über die Rahmenbedingungen einigen.

Also kam Rico Bandle von der SoZ zum Handkuss, das grosse Interview. Über die Entstehungsgeschichte, die Vereinbarungen und Absprachen ist natürlich nichts bekannt. Es war aber sicherlich nicht so, dass sich Bandle und Läderach bei einer Schokolade zusammensetzten, dann drückte er auf die Aufnahmetaste, und los ging’s. Dafür stand für Läderach zu viel auf dem Spiel.

Also wurden sicherlich die Themengebiete abgesteckt, die Grenzen der Veränderung bei der Autorisierung auch. Ob das Interview mündlich oder gleich schriftlich geführt wurde, weiss man auch nicht. Auf jeden Fall sind entscheidende Antworten von einer eleganten Glätte, die es fast ausgeschlossen erscheinen lassen, dass ein gestresster Läderach sie so druckfertig äusserte.

Am Samstag hatte noch Tamedia nachgelegt: «Läderach und der Reputationsschaden». Ein vermeintlich schlauer «Marketingexperte» gab Flachheiten zum Besten: «Es ist nun wichtig, dass Läderach proaktiv das Vertrauen bei den Kunden und Geschäftspartnern raschmöglichst wiederherstellt.» Wie er das anstellen soll – vielleicht mit Gratis-Schoggi für alle? – verrät das Marketing-Genie aber nicht.

Aus dem fernen Peru meldet sich Pensionär Alex Baur markig in der «Weltwoche» zu Wort: «SRF betreibt mit dem Läderach-«Dok» Kloaken-Journalismus übelster Machart.». Da ist ihm beim Schreiben etwas die Klobürste in den Weg gekommen.

Dann also Läderach im Interview. Der beste Satz: «Ich plädiere dafür, dass man das Unternehmen nach den Menschen beurteilt, die jetzt die Verantwortung tragen. Und vor allem nach den 1800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern – sie machen den grossen Teil der Arbeit, sie sind der Grund für unseren Erfolg.»

Im Niveau etwas liefergelegt machte sich dann auch Reza Rafi, der Mikrofonhalter vom SoBli, so seine Gedanken. Er verwies auf den Fall der Pastamarke Barilla, deren Patron gesagt hatte, dass er niemals mit einem homosexuellen Paar einen Werbespot drehen werde. Er unterschätzte etwas den Aufschrei und musste zu Kreuze kriechen und viel Geld für Schadensbegrenzung ausgeben. Und einen Spot mit einem lesbischen Paar drehen.

Was hat das mit den aktuellen Problemen von Läderach zu tun? Genau nix. Macht nix.

Am Montag war das Thema immer noch so heiss, dass es über 50 Treffer für Läderach im SMD gibt. Es wird allerdings weitgehend an alter Schokolade gelutscht. Das ZFF stellt die Zusammenarbeit ein, der Läderach-Sohn büsse für angebliche Taten des Vaters, «Inside Paradeplatz» will wissen, dass er weiter «mit umstrittenem Vater» geschäfte.

Baur legt in der WeWo noch einen drauf: «Die von SRF befeuerte Cancel-Orgie tritt so ziemlich alles mit Füssen, was uns seit der Aufklärung heilig sein sollte. Sie setzt auf Sippenhaft, hetzt gegen religiöse Minderheiten und verstösst gegen die Unschuldsvermutung. Mehr Verlogenheit, mehr Doppelmoral ist kaum noch möglich.»

Gegen den Strom schwimmen muss nicht immer zielführend sein.

Der «Blick» zieht einen weiteren «Reputationsexperten» aus dem Hut: «Die Marke ist stark beschädigt.» Vielleicht, weil sie nicht «proaktiv» vorgeht. Woher er das wissen will, wie er das misst: das bleibt Amtsgeheimnis.

Geradezu brüllend komisch ist die Schlusspointe im «Blick»: «Bleibt die Frage, ob allein der zu erwartende Umsatzrückgang in der Schweiz reicht, damit sich die Firma klar und deutlich von den Ansichten und dem Verhalten der Familie distanziert.»

Abgesehen davon, dass sich der aktuelle CEO bereits überdeutlich von den Ansichten seines Vaters distanziert hat: die Firma gehört der Familie, bzw. CEO Johannes Läderach  …

Ob Schokoladessen schlau macht, Christian Kolbe?

Ach, und das Schicksal von Hunderttausenden von Kindern, die in den Kakaofarmen in Westafrika schuften müssen, denen Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die misshandelt werden, auch missbraucht – in all den rund 300 aufgeregten Artikeln zum Thema kein Wort dazu. Das ist echt erbärmlich.

 

 

 

Recht und Moral

Wenn Medien auf dem ungeordneten Rückzug sind.

Nehmen wir als exemplarisch den Kommentar von Michael Graber in den CH Medien: «Verfahren eingestellt: Das ist kein Grund zum Jubeln».

Die CH Medien, das muss gesagt sein, waren im Fall Till Lindemann zurückhaltender als die übrigen Medien der Schweiz. Bei Tamedia forderte ein Amok gleich die Absage von Konzerten von Rammstein in der Schweiz. Der NZZ rutschte heraus, dass Lindemann ein «Täter» sei. Und der «Blick» musste zu Kreuze kriechen, einen Artikel löschen und ein schleimiges Interview mit einem der Anwälte des Sängers ins Blatt heben. Kommt halt davon, wenn man sich mit jemandem anlegt, der mehr Geld hat als ein Journalist.

Wir fassen kurz zusammen: eine Frau legte mit unklaren Behauptungen Feuer an die Zündschnur, dann explodierte die übliche Beschuldigungsorgie. Entweder in den asozialen Medien oder aber in der Mainstreampresse, wo sich sogar Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» oder des «Spiegel» nicht entblödeten, angeblichen Opfern von Lindemann eine Plattform für anonyme, wildeste Beschuldigungen zu bieten.

Davon animiert, wurden Strafanzeigen eingereicht. Eine von der Brandstifterin, dann noch weitere von gar nicht selbst Betroffenen, die aber dennoch furchtbar betroffen waren. Nun ist’s vorbei, und Graber behauptet kühn: «Die Rammstein-Welt ist wieder in Ordnung. … Alles vom Tisch. Die grosse Show kann weitergehen.»

Ist das so? Nein, anschliessend legt er den Rückwärtsgang ein: «In der ganzen Affäre gibt es eigentlich nur Verlierer. Beginnen wir mit der Selbstkritik: Ja, die Medien haben teilweise übermarcht.» Lustig, dass die Medien immer zunächst an sich selbst denken, nicht an das eigentliche Opfer dieser Hetze.

Dann kommt eine ganz üble Nummer: «Die Einstellung eines Verfahrens ist kein Freispruch. Es heisst, dass nicht genügend Beweise gesammelt werden können, die ausreichen würden, um ein richtiges Verfahren einzuleiten

Das ist ein wenig richtig und kreuzfalsch. Richtig ist, dass es kein Freispruch ist. Weil es den gar nicht braucht. Denn dieser Fall verröchelte bereits an der ersten Hürde der Strafverfolgung: dass überhaupt eine Strafuntersuchung begonnen wird. Wäre das der Fall, käme es dann allenfalls zu einer Anklage, dann zu einem Prozess, und schliesslich zu einem Schuld- oder Freispruch. Und dann würde es nochmal eine Weile dauern, bis das nach dem Instanzenzug rechtsgültig würde. Und bis dahin, selten so gelacht, würde die Unschuldsvermutung gelten.

Aber die ist in solchen Fällen längst durch die Schuldbehauptung abgelöst worden. Meistens haarscharf an der Grenze des Einklagbaren formuliert. Und sollte sich die als purer Rufmord, als Verleumdung, als unqualifizierte Übernahme und Publikation von unbewiesenen Behauptungen herausstellen, dann wird im Nachhinein gerechtfertigt, dass sich die Balken biegen.

«Wir sprechen hier nur von justiziablem Missbrauch. Also wenn eine Frau gefügig gemacht worden ist. Das System hinter der sogenannten Row Zero, bei dem Frauen vorgängig selektiert worden sind und später teilweise auch Lindemann zugeführt wurden, war nicht Teil der Untersuchungen. Auch darüber gab es Medienberichte.»

Und wenn es darüber Medienberichte gibt, dann entspricht das natürlich der Wirklichkeit. Weil die Medien nur und ausschliesslich überprüfte Tatsachen rapportieren. Für wie blöde hält dieser Graber eigentlich seine Leser?

Schliesslich kommt er unweigerlich zum Argument der Argumente: «Nur weil etwas rechtlich in Ordnung ist, muss es das nicht unbedingt auch moralisch sein.»

Immerhin, in diesem Satz kristallisiert sich die ganze Problematik. Denn er ist nicht zu Ende gedacht. Grundsätzlich ist er richtig. Alles, was nicht strafbar ist, ist erlaubt. Aber das bedeutet tatsächlich nicht, dass es auch moralisch-ethischen Massstäben einer zivilisierten Gesellschaft entspricht.

Nur: wer legt die fest? Wer darf das richten? Wer darf moralische Urteile, moralische Verurteilungen abgeben? Die Medienschaffenden? Ausgerechnet die Gesinnungsjournalisten, die Gutmenschen, die sich über alles erhaben fühlenden Schreiber in ihren Verrichtungsboxen im Newsroom? Deren Kenntnisse von Moral und Ethik, von moralischen Grundsätzen und deren Herleitung, von Immanuel Kant oder anderen Philosophen, vom Unterschied zwischen Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik auf einer Nadelspitze Platz haben?

Ausgerechnet Journalisten, die eins übers andere Mal unter Beweis stellen, dass sie zu fast allem eine Meinung, aber von fast nichts eine Ahnung haben? Die dem Herdentrieb folgen, sich in jedes beliebige Framing ergeben, Narrative nachplappern, wenn die von Vorreitern vorgegeben werden?

Wie lachhaft. Überhaupt nicht lustig ist dann die Schlussfolgerung von Graber am Ende seines Kommentars:

«Am Ende gehen alle verwundet aus der Schlacht. … Die mutmasslichen/angeblichen (je nach Schwarz-oder Weiss-Schattierung ankreuzen) Opfer von Lindemann, die nun endgültig zur Internet-Hetzjagd freigegeben sind. Und, fast am wichtigsten: Alle Opfer von sexuellem Missbrauch ganz generell.»

Nun, wer eine Internet-Hetzjagd eröffnete oder fleissig an ihr teilnahm, muss sich dann nicht beklagen, wenn ihm das Gleiche passiert. Und die Opfer generell? Richtig, darin besteht diese bodenlose Schweinerei von Möchtegern-Opfern, die sich damit ihre vergänglichen 15 Minuten Ruhm abholen wollen, indem sie sich entweder selber als Opfer präsentieren oder Opfergeschichten weitergeben wie diese unsägliche deutsche Bloggerin, der ihre rufschädigenden Verleumdungen verboten werden mussten. So wie sie diversen Presseorganen verboten werden mussten.

Viel wichtiger als das ist die Tatsache, dass nur jemand, der über so viel Geld (und eine treue Fanbasis) wie Lindemann verfügt, einen solchen Sturm stehend überleben kann. Der Schweizer Ex-Chefredaktor, dem genauso übel mitgespielt wurde, hat schlichtweg das Geld nicht, um gegen den «Spiegel» weiter vorzugehen, der eine ganze Latte von nachweislich falschen Behauptungen veröffentlichte. Der «Spiegel» kräht nun Triumph, dabei hat die Schmiere über Anstand und Moral gesiegt.

Opfer sind die zu Unrecht Angeschuldigten, auf lange Zeit an Ruf und Ehre beschädigt, oftmals wirtschaftlich ruiniert, sozial geächtet, stigmatisiert und mit einem Makel behaftet.

Während sich die daran Schuldigen mit ein paar launigen Sprüchen («Ja, die Medien haben teilweise übermarcht») aus der Affäre ziehen können. Was fehlt, ist die völlig richtige Forderung des deutschen Juristen und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach von allen Zinnen zu rufen und alles dafür zu tun, dass sie umgesetzt wird. Drakonische Strafen für alle Medienorgane, die falsche Anschuldigungen im Bereich «sexuelle Übergriffe» kolportierten.

Nein, das unterbindet nicht jegliche Verdachtsberichterstattung. Aber es zieht diejenigen zur Verantwortung, die bislang Existenzen vernichten können, dann mit den Schultern zucken und zur nächsten Hetzjagd weiterziehen.

Heiss! Endlich!

Bislang war es nur bei SRF Meteo richtig heiss. Nun aber auch in der Schweiz.

Es war zum Mäusemelken. Eines der Lieblingsthemen der Weltverbesserer fand nur im südlichen Ausland statt. Die Hitze, der Klimawandel, die Erderwärmung, das Ende der Welt.

Die Schweiz dagegen war mal wieder die Insel der Seligen. Regen, Kälte, ein richtiges Scheisswetter. Da machte alles Unken keinen richtigen Spass mehr. Nachdem der Redaktor seinen Dienst an der Klimarettung vollbracht hatte, spannte er den Regenschirm auf und verzog sich ins Innere seiner Stammkneipe, um mit dem einen oder anderen Bierchen seien Frust runterzuspülen.

Selbst die Klimakleber kapitulierten vor dem Huddelwetter und stellten ihre Aktionen teilweise ein. Oder vielleicht waren sie auch, dem Beispiel ihres Sprechers folgend, in fernen Landen in den Ferien. Oder auf Kreuzfahrt.

Aber die Durststrecke ist zu Ende, Tamedia macht gleich ein Fass, bzw. eine Rubrik auf:

Es ist eine vergängliche Rubrik, denn in zehn Tagen ist der August schon Vergangenheit. Aber davon will man sich doch nicht die Panik verderben lassen.

Allerdings scheinen hier ein paar subversive Klimaleugner am Gerät zu sein. «Wie Sie trotz Affenhitze gut schlafen können», ein Ratgeber. Statt anklagend und aufrüttelnd dazu aufzufordern, schwitzend und schlaflos zu protestieren und zu demonstrieren. Und dann das: «Vom Jammeri zur Instant-Südländerin – das sind die Schweizer Hitzetypen». Ausgerechnet Philipp Zweifel und die offenbar lebend von ihrer klimaschädlichen Kreuzfahrt zurückgekehrte Aleksandra Hiltmann versuchen sich an einer lustigen Typologie.

Wobei man sich allerdings fragt, ob Hiltmann geklont ist oder in Wirklichkeit ein Chatbot. Denn hier ist sie «Redaktorin für das Ressort Social Media». Gestern war sie noch «Gesellschaftsredaktorin» des «Blick». Und morgen? Vielleicht tritt sie noch einen Drittjob bei der NZZ an, wer weiss.

Nicht von Hiltmann ist dieser Warnartikel im «Blick», ebenfalls mit hohem Nutzwert. Denn wo gekreischt werden kann, ist das Organ immer dabei:

Doppelt gemoppelt hält besser, sagt sich das Lieblingsblatt für anspruchsvoller Leser «watson»:

Richtig abstrakt wissenschaftlich wird es hingegen bei «20 Minuten», man macht sich Sorgen, ob der Blattmacher unter Hitzschlag leidet:

Achtung, der schwarze Pfeil deutet irgendwie auf die Nullgradgrenze. Oder so.

Natürlich darf auch surf.ch, Pardon, srf.ch,  im Umzug nicht fehlen:

Hin und hergerissen hingegen ist die NZZ. Auch sie ist der Hitze erlegen und macht die Rubrik «Alles zur Hitze» auf. Dort schwankt sie zwischen ordnungspolitischen Zwischenrufen und Sauglattismus:

Und CH Media? Auch die heizen dem Leser etwas ein, allerdings sehr lokal:

Aber das alles sind doch eher untaugliche Versuche, das Thema Rekordhitze wachzuküssen. Was hier fehlt, völlig klar, ist ein Eingreifen von Tamedia.

ZACKBUM hilft schon mal mit dem Wording zum Anpreisen (das ist viel billiger als Wirz): «Informationsvorsprung für Leader … neue und exklusive Artikel … relevante Infos … kompetente, relevante, hochwertige journalistische Inhalte … viel Nutzwert …»

Richtig geraten, was hier fehlt ist der «WetterMonitor» für läppische 200 Franken im Monat. Muss man denn alle guten Ideen selber haben?

Ganz schön geheuchelt

Runzeln die USA die Stirn, zucken Schweizer Medien zusammen.

Das Framing ist gesetzt. Allenthalben kann man in den Gazetten – von der NZZ über CH Media, Tamedia bis «Blick» – lesen, dass die USA (und auch die EU) ziemlich angepisst seien, dass die Schweiz angeblich die Sanktionen nicht richtig umsetze. Nicht energisch genug nach Oligarchengeldern suche.

Meckerbrief, geschrieben von den USA, unterzeichnet von Frankreich, Italien, Grossbritannien und Japan. Öffentliche Schimpftirade des US-Botschafters in der Schweiz, die eigentlich seine sofortige Ausweisung wegen Einmischung in innere Angelegenheiten hätte nach sich ziehen müssen. Dann diese «Helsinki-Kommission», ein selbsternannter und selbstherrlicher Club von Hinterwäldler-Parlamentarieren, die sicher nicht Sweden und Switzerland voneinander unterscheiden können.

Also warnen und mahnen die Medien. Dürfe man ja nicht auf die leichte Schulter nehmen, das sei auch schon bei den nachrichtenlosen Vermögen und dem Bankgeheimnis in die Hose gegangen. Und überhaupt, wieso sind eigentlich erst 7,5 Milliarden von vermuteten 200 Milliarden «Russengeldern» in der Schweiz beschlagnahmt? Da geht doch noch was.

Dass die Schweiz unter Ritzung der Neutralität brav alle EU-Sanktionen ungeprüft übernimmt (und viel konsequenter umsetzt als mancher EU-Staat), was soll’s. Dass die Schweiz ein Rechtsstaat ist und sich vor allem bei Übergriffen aufs Eigentum ganz vorsichtig bewegen muss, na und.

Was all die Schaumschläger in den Medien, die mal wieder der US-Propaganda auf den Leim kriechen, völlig übersehen: Wirtschaftspolitik ist Machtpolitik. Machtpolitik ist die Verteidigung der eigenen Interessen.

Vom sogenannten Steuerstreit, geführt im Namen des Kampfes gegen reiche, steuerhinterziehende Schweinebacken, hat nur ein Staat richtig profitiert: die USA. Sie sind das Steuerhinterzieherparadies der Welt, sie betreiben die grössten Waschmaschinen für schmutziges Drogengeld, für kriminelle Profite aller Art. Sie haben der Welt ihre Datenkrake FATCA aufgezwungen, mit dem «Big Stick» Dollar, sie selbst pfeifen auf den Automatischen Informationsaustausch der übrigen Staaten.

Und sie haben Milliardenbussen von den ungeschickt agierenden Schweizer Banken kassiert, die vom Bundesrat im Stich gelassen wurden, der die Rechtssouveränität der Schweiz nicht gegen diesen imperialistischen Angriff verteidigte. Am Schluss galten US-Gesetze in der Schweiz, sitzen bis zum unseligen Ende eine Horde von US-Anwälten in der Credit Suisse (auf deren Kosten, selbstverständlich), die die Einhaltung von US-Gesetzen in der Schweiz kontrollieren.

Und nun die Sanktionen. Wie dumm muss man sein, um die wirtschaftsimperialistischen Absichten der USA nicht zu durchschauen? Dabei ist es noch viel schlimmer. Wie die «Handelszeitung» in einem wohldokumentierten Artikel aufzeigt, halten sich die USA und die EU nicht mal an die eigenen Sanktionen – wenn es die Eigeninteressen gebieten.

Sechs Beispiele zählt Stefan Barmettler auf, eines schlimmer als das andere. «Wie die USA und die EU Sanktionen untergraben» ist frei im Internet einsehbar – und sollte Pflichtlektüre für all die Sanktions-Besoffenen werden, die die Schweiz unablässig zu strengeren Übergriffen auf fremdes Eigentum auffordern.

Aber: Tesla braucht Aluminium? Na, das verschwindet der russische Hersteller Rusal doch von der Sanktionsliste. Auf die er sowieso aus dubiosen Gründen (das OFAC sanktionierte wegen «malign activities», «bösartigem Verhalten») gekommen war.

General Electric will weiter in Russland Extraprofite einfahren? Ausnahmebewilligung vom OFAC. Grossbritannien sanktioniert reiche Russen unerbittlich, ausser die, die eine «Sonderlizenz» erhalten. Belgien will weiter mit russischen Rohdiamanten handeln, Italien lässt einen Oligarchensohn springen, Griechenland schützt seine Tankerflotte, die flott weiter russisches Erdöl transportiert.

Sicher, wieso wir, die doch auch, das ist nur ein beschränkt gültiges Argument. Was aber all die Sanktions-Winsler kapieren sollten: hier geht es nicht um die Verteidigung westlicher Werte, der Demokratie und abendländischer Zivilisation gegen wilde Horden aus dem Osten.

Hier geht es um Weltpolitik, Machtpolitik, Militärpolitik, Wirtschaftspolitik, Eigeninteressen. Und scheiss auf Moral. Selber schuld, wer dran glaubt. Selber Trottel, wer billigster Propaganda auf den Leim kriecht.

Canonica streckt die Waffen

Moderner Schmierenjournalismus siegt.

Ihr freiwilliger Beitrag für ZACKBUM

Die Methode ist bis zum Erbrechen bekannt. Eine Frau greift tief in die Vergangenheit und stellt eine Reihe von unbewiesenen, unbelegten, rufschädigenden Behauptungen über – wenn überhaupt – längst verjährte angebliche Übergriffe auf.

Sie sei verbal sexuell belästigt, erniedrigt, beleidigt, gemobbt worden. Diese angeblich unerträglichen Zustände habe sie zwar viele Jahre ausgehalten, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber nun reiche es; so wie die Opfer von Weinstein ihre Stimme fanden, habe sie nun auch den Mut gefunden, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dann findet die Frau ein «#metoo»-besoffenes Organ, das diese Anschuldigungen abdruckt und damit eine öffentliche Hinrichtung des wahren Opfers, nämlich des Angeschuldigten, veranstaltet. Dass diese Behauptungen mehrfach untersucht und ins Reich der Fantasie verwiesen wurden, dass ausser dümmlichen Hakenkreuz-Kritzeleien als Kritik an germanischen Ausdrücken nichts belegbar ist, dass angebliche Augen- und Ohrenzeugen feige schweigen oder in den Untersuchungen die Behauptungen nicht bestätigt haben, was soll’s.

Dass sich diverse Behauptungen einfach widerlegen lassen – so hat eine angebliche beleidigende Äusserung des Chefredaktors an einer Weihnachtsfeier gar nicht stattfinden können, weil die Weihnachtsfeier nicht stattfand –, was soll’s.

Dass sich herausstellt, dass die Denunziantin sich – vergeblich – auf die Stelle ihres Vorgesetzten beworben hatte, obwohl der keinerlei Absichten hatte, sie zu verlassen, was soll’s. Dass es sich offensichtlich um die Rache einer beruflich verschmähten Frau handelt, die nicht gemobbt wurde, sondern ihren Chef wegmobben wollte, was soll’s. Das schaffte sie zwar, Tamedia trennte sich von ihm. Aber statt Triumph – endlich selber Chef werden – kam die Tragödie, auch sie wurde gefeuert.

Was bleibt? Der Ruf des Mannes ist unrettbar ruiniert, auf Jahre hinweg, wohl lebenslänglich findet er keinen Job mehr im Journalismus. Das gilt natürlich auch für die Denunziantin. Zurück bleiben – unter Mithilfe des einschlägig bekannten «Spiegel» – zwei beschädigte Menschen.

Dass die übrige Medienmeute wie meist mithetzte, losraste, belegfrei mit angeblichen weiteren «Zeugen» operierte, die natürlich anonym bleiben mussten und höchstwahrscheinlich erfunden sind, was soll’s. Dass sich neben dem «Spiegel» auch die «Zeit» von der Denunziantin via eine einschlägig bekannte, schlechte Journalistin für den Rachefeldzug einspannen liess, was soll’s.

Der Betroffene versuchte, mit einer Klage zu retten, was nicht mehr zu retten ist. Auch Tamedia setzt sich juristisch zur Wehr, der Big Boss ist etwas angefasst, dass er in die Nähe von Harvey Weinstein, einem verurteilten Sexualstraftäter, gerückt wurde. Das Schicksal seines ehemaligen Chefredaktors ist ihm hingegen, pfeif auf die Fürsorgepflicht, schlichtweg egal.

Der lässt nun via Anwalt ausrichten, dass er seine Klage gegen den «Spiegel» zurückzieht. Die Belastung sei «sowohl finanziell wie psychisch» zu gross geworden. Das vermeldet «Inside Paradeplatz», der Finanzblog, der auch im Medienbereich die Konkurrenz abtrocknet. So kann das Schmierenblatt aus Hamburg triumphieren. Auch ein weiterer übler Denunziant, der immerhin den Journalismus verlassen hat, kann aufatmen.

Hat jemand gesiegt? Alle haben verloren.

Zunächst die Anklägerin; zu offensichtlich ist ihr Motiv, so unglaubwürdig ihre Erzählung, zu erfunden, konstruiert, zumindest nicht belegbar sind fast alle ihrer Vorwürfe.

Dann der Beschuldigte. Er konnte sich zwar erklären und fand einen Journalisten, dessen Reflexe noch funktionieren und der sich nicht von Narrativen leiten liess, sondern das tat, was ein Journalist tun muss: recherchieren, konfrontieren, analysieren. Aber er – und seine Familie – sind beschädigt, Opfer einer Kampagne geworden, öffentlich hingerichtet, gevierteilt und geteert und gefedert.

Dann das einmalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, das sich in letzter Zeit nicht entblödet, eine angebliche Enthüllungsgeschichte nach der anderen im besten #metoo-Framing zu veröffentlichen. Storys, die unter Augstein, unter Aust niemals erschienen wären. Aber die Würstchen, die sich seither in der Chefredaktion die Klinke in die Hand geben, haben jeden Massstab, jedes Niveau, jede Klasse verloren.

Schliesslich die übrigen Medien, hier zuvorderst CH Media und die «Zeit», die mit unbewiesenen Behauptungen, üblen Vermutungen, anonymen und erfundenen Zeugen («es war alles noch viel schlimmer») sich an der Hetze beteiligten und sogar einen Nasenstüber einfingen. CH Media musste einen Schmierenartikel löschen und sich öffentlich entschuldigen.

Entschuldigt sich jemand beim Betroffenen? Wird wenigstens dieser Fall zum Anlass genommen, über Vorverurteilungen, über den Verlust aller journalistischen Massstäbe, über das Kolportieren unbewiesener Behauptungen, über die Rolle angeblicher anonymer Zeugen nachzudenken?

Niemals. Schlamm drüber, die nächsten Säue sind schon längst durchs Dorf getrieben, Til Schweiger, Rammstein, ein Koch, der Sänger einer Brachialband, keiner ist heutzutage vor dieser Meute sicher.

Welch ein beschämender Anblick. Die Medien verwandeln sich in eine Horde von kläffenden, japsenden, geifernden Kötern, die einem Popanz nachrennen, jagen, zur Strecke bringen, sich verbeissen. Um dann plötzlich von der Beute abzulassen, um einer neuen Schimäre nachzujagen. Auf ein Neues. Auf ein Neues, bis Ruf, Ansehen, Renommee, Image genauso ramponiert, ruiniert sind wie die der Opfer dieser Hetzjagden.

Lang lebe die Unschuldsvermutung. Was für ein schaler Witz.

Kriegsberichterstattung, reloaded

Kann man absurd steigern? Die Medien probieren’s.

Neues vom Sändele im militärischen Sandkasten. Das Kriegsglück schwankt, die Meldungen sind widersprüchlich, aber energisch vorgetragen.

In der militärischen Kommandozentrale des «Blick», aka Samuel Schumacher, «Ausland-Reporter» mit Einsatzgebiet Newsroom, herrscht Konsternation:

Statt Triumphmeldungen von den tapferen Ukrainern muss Schumacher Trauriges vermelden: «Das Fiese am russischen Killer-Kopter: Er kann seine Raketen aus bis zu zehn Kilometern Entfernung abfeuern und sie mit seinem integrierten Laserstrahl auf jedes erdenkliche Ziel in seinem Blickfeld lenken – bei Tag und bei Nacht. Damit liegt der Alligator ausserhalb der Reichweite der allermeisten ukrainischen Flugabwehrgeräte an der Front. Ein verzweifelter ukrainischer Soldat sagte gegenüber der «Bild»: «Wir haben nichts, um die russischen Helikopter in acht Kilometern Entfernung zu bekämpfen

Ist ja wirklich fies von den Russen, eine neue Wunderwaffe einzusetzen, mit der niemand gerechnet hat. Wobei: «Seit 2008 wird der 310-Stundenkilometer schnelle Killer-Heli in Russland seriell hergestellt.» Also eher ein Oldie auf dem Schlachtfeld.

Schon am 21. Juni musste Chiara Schlenz, «Ausland-Redaktorin» mit Einsatzgebiete Bildschirm, Unerwartetes von der Front vermelden:

Da sind die fernen «Kriegsbeobachter» mal wieder «überrascht», diese schwankenden Gestalten. Sie können ja auch nur abschreiben, was geschrieben steht: «Berichte über eine heftige russische Gegenoffensive zur Gegenoffensive häufen sich in den letzten Tagen.» Und versuchen, das Beste draus zu machen: «Diese aufwendigen Verteidigungsanlagen zeugen aber nicht nur von guter russischer Vorbereitung – sondern auch von russischer Angst.»

Wechseln wir zu Organen, die wenigstens behaupten, Journalismus in langen Hosen zu betreiben. In der neu benannten Rubrik «Russlands Krieg» zeigt Tamedia Tierliebe («Tiere suchen nach der Flut von Cherson ein neues Zuhause», was man als Tierporno bezeichnen könnte). Dann erholen sich «Ukrainierinnen, die von Russen missbraucht worden sind, im Zistertienserinnenkloster in Freiburg». Putin gebe «sich ganz volksnah», und im «Ticker» wird auch nur Pipifax vermeldet. Alles ruhig an der Front, wenn man Tamedia glauben will.

Auch CH Media berichtet weitab vom Kampfgeschehen: «Rache ist süss – Putin liquidiert das Wirtschaftsimperium des Söldner-Chefs». Auch der «Ukraine-Newsblog» muss News zusammenkratzen: «Selenski will Ukraine für Basis für Rakentschutzschirm in Europa machen» und «Bedrohter Getreidedeal: EU -Staaten erwägen Zugeständnis an Europa». «Will» und «erwägen», die beiden Allheilverben für: alles reine Spekulation. Eine knallharte Reportage hingegen ist das hier: «Die besten Skiakrobaten der Ukraine trainieren in der Schweiz – was macht der Krieg mit ihnen

Ach, und: «Rätselhafter Angriff in der Wüste – der Druck auf die Wagner-Söldner ausserhalb von Russland steigt». Das haben wir noch vergessen: «Druck steigt», die Allerweltsformel für «nichts Genaues weiss man nicht».

Nun ein militärstrategischer Zwischenruf der Kriegsmaschine «watson»:

Das trifft sich gut; da Putin bekanntlich auch wahnsinnig ist, müssten sich die beiden ausgezeichnet verstehen.

«20 Minuten» hat die geheimen Operationskarten des ukrainischen und des russischen Generalstabs durchgeblättert und versucht es mit einer grafischen Darstellung der Lage:

Korrekt ist sicherlich Transnistrien eingezeichnet, der Rest ist allerdings gegendarstellungsfreier Vermutungsraum.

Weit in die Vergangenheit blickt hingegen die NZZ, um weit in die Zukunft zu schauen:

Tatsächlich korreliert der Rückzug aus Afghanistan mit der Auflösung der UdSSR, wieweit er auch kausal daran beteiligt sein soll, weiss nur Ulrich Schmid, der Russland-Experte auf allen Kanälen. Noch wilder ist sein Blick in die Zukunft: «Was geschieht mit dem Vielvölkerstaat Russland nach einer Niederlage in der Ukraine?» Wenn man das auch historisch sehen will: nichts. Abgesehen davon, dass es zu einer Niederlage noch weit, sehr weit hin ist. Und zur Voraussetzung hätte, dass auch Russland, wie die USA in Vietnam oder Korea, gegen den Ratschlag der Militärs auf den Einsatz von Atomwaffen verzichten würde.

Aber die NZZ sorgt sich auch um die Heimatfront: «Die Schweiz wird als Spionage-Drehscheibe für Russland wichtiger – müssen die Behörden härter durchgreifen?» Die Frage stellen, heisst natürlich für die NZZ, sie auch beantworten.

Wer sich die Mühe machen würde, die Kriegsberichterstattung im Ersten oder Zweiten Weltkrieg durchzublättern, würde wenig überrascht zur Kenntnis nehmen: dass die Wahrheit im Krieg zuerst stirbt, ist eine ewig gültige Wahrheit.

Wildes Rätselraten

Fehler sind menschlich. Die Medien sind unmenschlich.

Eigentlich fehlte nur, dass sich Präsident Putin und Wagner-Chef Prigoschin zusammen in der Sauna gezeigt hätten, sich mit Birkenquasten auspeitschend.

Statt verbaler Abrüstung herrscht nun aber Entrüstung in den Gazetten. Unverschämt von diesen Russen, dass sie zeigten, dass aller Alarmismus ein banaler Fehlalarm war. Militärputsch, Putin wankt, ist schon aus Moskau geflohen, sein Regime ist zum Untergang verurteilt, die Lage eskaliert, stürzt er heute oder erst morgen?

Alles Quatsch. Vielleicht war es doch nur ein geschickter PR-Stunt, vermuten nun schon intelligentere Fernanalysten. Schliesslich musste eine Lösung dafür gefunden werden, dass Prigoschin dazu aufgefordert worden war, seine Söldnertruppe bis Ende Juni dem Oberkommando der russischen Armee zu unterstellen.

Dass er das nicht tun würde, war von Vornherein klar. Dass das der Kreml nicht würde akzeptieren können, ebenfalls. Also was tun, wie schon Lenin fragte. Lösung: einen kleinen Schein- und Schaukampf aufführen. Wie bei den Primaten bewährt. Beide Tiere schlagen sich auf die Brust, stossen drohende Schreie aus und plustern sich überhaupt kräftig auf. Immer in der Hoffnung, damit einen wirklichen Kampf mit Verletzungsgefahr vermeiden zu können.

Genau das ist Putin und Prigoschin gelungen. Wichtig bei diesem Gehampel ist auch, dass keiner der beiden Beteiligten das Gesicht verliert. So kunstvoll der Kriegstanz war, so koordiniert muss der beiderseitige Rückzug vonstatten gehen. Damit es ja nicht so aussieht, als ob einer der beiden kneife.

Genau das ist in Russland passiert. In der Schweiz hat sich wieder einmal die gesamte Leitmedienpresse bis auf die Knochen blamiert. Statt nun aber auch den geordneten Rückzug anzutreten, wird nachgetreten. Denn eingestehen, dass sich mal wieder alle Kreml-Astrologen, alle sogenannten Koryphäen, Kenner, Militärsandkastenstrategen getäuscht haben, dass sie von schlagzeilentrunkenen Journalisten zu Aussagen verleitet wurden, für die sie sich in Grund und Boden schämen sollten – niemals. Nicht mal unter Folter. Nicht mal angesichts der Tatsachen.

Nachdem nun vorläufig der Militärputsch, der Bürgerkrieg, der Sturz, das Ende abgesagt sind, wird fleissig weitergestrickt an realitätsfernen Wunschtheorien. Der Kreml-Herrscher sei abgetakelt, weiss ein fehlanalysierender «Militärstratege», es gäbe nun stalinistische Säuberungen. Nachdem schon alle anderen Mietmeinungen aus München bei Tamedia ihren Unsinn veröffentlichen durften, klappert dort nun noch SZ-Autor Frank Nienhuysen nach.

Bedauerlicherweise ist die Kriegsberichterstattung aus Russland abgesagt worden, mangels Krieg. Aber man darf doch noch Frage stellen:

Eigentlich stand er ja schon vor dem Aus, dem Rücktritt, wäre er von Putin gefeuert worden, oder hätte seinerseits Putin absägen wollen. Aber der Kreml ist – ebenso wie das Verteidigungsministerium – ein gegendarstellungsfreier Raum. Das nützt Nienhuysen recht gnadenlos aus. Zunächst muss er einräumen: «Sergei Schoigu, Russlands Verteidigungsminister, ist also noch da.»

Dann spinnt Intim-Kenner Nienhuysen sein Garn weiter: «Selten ist ein russischer Verteidigungsminister derart in Bedrängnis geraten … Wie angeschlagen ist Sergei Schoigu … Schoigus Ruf geriet in Gefahr … Den Machtkampf hat Prigoschin verloren, und Schoigu hat ihn gewonnen. Doch der hat genug weitere Probleme … Er forderte auch die russische Rüstungsindustrie auf, mehr Panzer herzustellen, Indizien für Schwierigkeiten an den Fronten

Kann so sein, muss nicht so sein. Wichtiger ist aber: Nienhuysen hat offensichtlich keine Ahnung. Ein Eingeständnis dieser Tatsache wäre grandios, würde aber nicht ganze Spalten von SZ und damit auch von Tamedia füllen. Wo bleibt Münger, ist man versucht zu fragen.

Aber einen Lacher überliefert der Ferndiagnostiker: «Würde man alle Zahlen des Ministeriumssprechers Igor Konaschenkow addieren, so Prigoschin, «dann hätten wir schon fünfmal die Erde zerstört».» Das ist immerhin mal komisch, aber nicht von Nienhuysen.

Auch der «Blick» melkt aus dem Thema raus, was das trockene Euter nicht hergibt:

Lustig ist, dass die Medien gerne von «Wirrwarr» sprechen, wenn sie selbst verwirrt sind. Eher peinlich ist’s, dass nun selbst «Militärexperten» wirklich nichts Originelles mehr zu verzapfen haben:

Irgendwie erinnert das an die Anfangszeiten der Pandemie. Damals drängelten sich auch Experten in die Öffentlichkeit, indem sie immer absurdere Prognosen über die zu erwartenden Anzahl Tote machten. Und als das nicht eintraf, kühn behaupteten, dass das eben das Resultat ihrer eindringlichen Warnungen sei.

Gewagter Seitensprung: dem Trubel um den Sänger von Rammstein scheint es ähnlich zu gehen wie dem «Putschversuch», der keiner war:

«Wollen entlasten», wunderbare Formulierung. Nachdem auch der «Blick» (wie alle anderen) gross vermeldet hatte, dass die Staatsanwaltschaft in Vilnius und die in Berlin «Ermittlungen» aufgenommen habe, wird nun so nebenbei berichtet: diejenige von Vilnius hat das Verfahren eingestellt, kein ausreichender Anfangsverdacht. Und Berlin? Da zitiert der Nicht-mehr-Boulevard-«Blick» Lindemanns Anwälte kleinlaut: «Man habe auch Einsicht in die Akten des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlins bekommen. Diese bestätigte, dass das Ermittlungsverfahren «nicht auf Strafanzeigen vermeintlicher Opfer» zurückgehe, sondern Anzeige von unbeteiligten Dritten, «die ihre Anzeigen ausschliesslich auf Medienberichte und Vorwürfe in den sozialen Netzwerken stützen», erstattet worden sei.»

Der Artikel endet mit dem üblichen Lachschlager: «Für Till Lindemann und die restlichen Mitglieder von Rammstein gilt die Unschuldsvermutung.»

Für CH Media ist die Riesenstory aus Russland inzwischen zum «Ukraine-Newsblog» geschrumpft. So nennen Redaktionen neuerdings Gefässe, in die sie ungefiltert alles abfüllen, was sie aus dem Internet kopieren. Besonders lustig:

An Board, on board, boarding, boring.

Kriegerisch gestimmt ist hingegen weiterhin der Ausland-Chef der Falken-NZZ:

Der versucht’s inzwischen mit Krankbeten. Beziehungsweise damit, dass eine ständige Wiederholung Unsinn in Sinn verwandelt: «Der Ruf Präsident Putins als der unantastbare starke Mann im Kreml ist ramponiert.» Ob das daran liegt, dass ein angetäuschter Marsch auf Moskau schnell und unblutig beendet wurde? Peter Rásonyi kurbelt an seiner Gebetsmühle: «... hinterlässt einen gedemütigten Diktator im Kreml …»

Aber er hat auch Neues auf Lager. Schon wieder gebe es Stimmen, die fordern, einen geschwächten Putin nicht in die Enge zu treiben, da könne er irrational werden. Ganz falsch, donnert kriegerisch Rásonyi: «Westliche Zurückhaltung, die von der Angst vor einer unkalkulierbaren Aggressivität Putins geprägt ist, war damals schon falsch. … Heute wäre solche Nachsicht erst recht falsch.»

Was empfiehlt denn der kalte Sandkastenkrieger? Martialisches: «Deshalb muss die Devise des Westens sein: die Schwäche Russlands schonungslos ausnützen, die Verteidigung der Ukraine ohne Abstriche fortführen.»

Es wird die Ukrainer sicher freuen zu hören, dass sie von der Falkenstrasse aus schonungslos in die Schlacht getrieben werden, ohne Abstriche. Was ist nur aus der einstmals besonnenen NZZ geworden? Christoph Mühlemann rotiert im Grab; ob Eric Gujer mit seinem Nachfolger in diesem Amt wirklich glücklich ist?

 

Das Ende einer Institution

Geht doch. Ein wunderbares Stück in CH Media.

ZACKBUM lobt gerne. Wir kommen nur so selten dazu. Daher ein grosses Bravo für Sabine Kuster. Ihr Artikel über das baldige Ende der Schweizer Traditionsmarke Stewi beweist, wie man aus einer trockenen Wirtschaftsmeldung ein kleines Bijou machen kann, ein funkelndes Stück beste Unterhaltung.

Vom Einstieg «Die Löcher im Boden sind überall, fast in jedem Schweizer Garten versteckt sich eins», über die Reflexion der Ursachen («Der Kult-Status von Stewi hat nicht gereicht, um die Firma über Wasser zu halten») bis zu haargenauen Beobachtungen: «Aber weder das Natel noch die Zyliss stehen so sehr für Schweizer Ordnung und Anständigkeit wie der Stewi: Natürlich machte es Sinn, die grossen Bettlaken an den hohen und langen äusseren Schnüren aufzuhängen und die Unterwäsche an den kurzen, innen liegenden. Andersrum wird es bis heute in einem anständigen Schweizer Haushalt in Blicknähe zum Nachbargarten kaum je gemacht

Dazu fein-ironische Bemerkungen, die lustig sind, sich aber nicht über jemanden lustig machen: «Ausserdem hat jeder Haushalt oft ein striktes Aufhänge-Regime: Im Viererhaushalt beispielsweise erhält jede Person ihre Seite, sodass die Wäsche effizient nach Person – sprich Kleiderschrank – abgehängt werden kann. Wer dies nicht beherrscht, dem wird das Kellertreppenfegen oder Kompostkübelleeren zugeteilt

Auch die Geschlechterfrage bleibt nicht aussen vor: «Oder wie viele Männer hängen heutzutage die Wäsche auf? Prozentual vermutlich doch mehr, als es aktuell Bundesrätinnen gibt.»

Schliesslich kennt Kuster auch die kleine Kunst der Schlusspointe, die auf den Anfang verweisen soll und noch einen kleinen Knaller bereithält:

«Wobei die Stewi-Löcher, die bleiben. Und natürlich das Wort. Schon 2017 sagte Stephan Ebnöther in einem Interview, die Jüngeren seien erstaunt, dass es eine Firma gebe, die so heisse wie der Stewi.
Was haben wir vergessen? Der Stewi taugt nicht als Karussell. Wir haben es vor Jahrzehnten schon ausprobiert.»

So etwas beglückt und zeigt, wie man mit nur drei Dingen grossartigen Journalismus herstellen kann. Ein Auge für ein gutes Thema. Schreibkraft. Und das Ziel, den Leser zu unterhalten, nicht zu belehren oder mit der eigenen Meinung zu belästigen.

Kann es denn ohne Kritik abgehen? Der Leser ahnt es. Der «Blick» vergibt das Thema mit einer News-Meldung und einem SDA-Ticker. Tamedia berichtet knochentrocken. Das «Zofinger Tagblatt» versucht’s mit einem etwas gewagten Titel: «Der «Wäschespinne» geht es an den Kragen». Und die NZZ? Schweigt vornehm und sagt sich: wann es berichtenswert ist, dass Stewi den Schirm zumacht, das bestimmen immer noch wir.

Bruce war hier

Ein Konzert in Zürich, vier Blickwinkel.

Alle sind sich einig: Bruce Springsteen ist einer der Grössten. Er ist 73 und immer noch «going strong». Er arbeitet sich durch einen Konzertabend, drei Stunden sind das Minimum. Nun schwanken die Konzertkritiker zwischen Bewunderung und Gemäkel. Aber auf ganz verschiedenen Niveaus.

Den oberen Kammerton setzt, who else, die NZZ. Schon im Titel ist eigentlich alles drin: «Bruce Springsteen ist der «Last Man Standing» des Rock’n’Roll». Mit sicherer Hand wählt Adrian Schräder die Höhepunkte des Abends, «Nightshift». Genauso gut fasst er das Wesen des Sängers zusammen: «Und mit der stoischen Kraft seines Daseins stemmt er sich dagegen, von irgendetwas vereinnahmt, beherrscht oder übervorteilt zu werden

Wie alle anderen bemängelt Schräder die Tonqualität am Anfang des Sets, ist dann voller Bewunderung für die Präzision des Auftritts: «Etwa seine E-Street Band, die ihn vom ersten Ton an mit geradezu überwältigender Wucht – manchmal gehen mit ihr fast die Pferdchen durch – begleitet und ihm an diesem wunderschönen Sommerabend in Sachen Spielfreude in nichts nachsteht.» Dann spürt man, wie der Rezensent – und sicher nicht nur er – beim Zugabeblock richtig mitgerissen wurde: «Mit «Born In The USA», «Born To Run», «Bobby Jean», «Glory Days» und «Dancing In The Dark» bündelt «The Boss» fünf seiner grössten Hits zu einen Powerpaket. Und so klingt, neben diesen Supernummern, die jedem Autoradio, jeder Strasse gut anstehen, letztlich die Geschichte nach, die der so in der Musik eingemittete Star des Abends vor dem Song «Last Man Standing» erzählte.»

Ziemlich trocken kommt dagegen die Beschreibung von Erika Unternährer in «20 Minuten» daher. «Während mehr als drei Stunden gab die Rockband Springsteens Tophits zum Besten.» Au weia. Statt in die Musik einzudringen, gibt’s Oberflächliches: «Der fitte Springsteen (73) ist seinem Stil treu geblieben: Er trug ein figurbetontes schwarzes Jeanshemd, um den Hals eine Silberkette mit Anhänger und die schwarzen Turnschuhe mit leuchtend weisser Sohle verliehen ihm noch mehr Jugendlichkeit.» Oh je. «Diese Songs spielte die Band, So interagierte Springsteen mit dem Publikum, Diese Zugaben spielte Springsteen». An der Journalistin ist eine Buchhalterin verlorengegangen. Schade auch, da wäre sie sicher gut.

Etwas mehr Pep kriegt Carl-Philipp Franke für CH Media hin. Er kommt so schnörkellos wie der Boss gleich zur Sache: «Im ausverkauften Letzigrund Stadion hat er gezeigt, wie eine Rock’n’Roll-Show geht.» Denn: «Die Maschine läuft, das Publikum brennt.» Dann lässt Franke eine kondensierte Beobachtung auf die nächste folgen: «Springsteen ist der Master of Ceremony, Dreh- und Angelpunkt der Show. Dabei macht er kaum Ansagen. Ohne grosse Worte ist er der grosse Kommunikator.» Und: «Springsteen variiert die Dynamik, lässt den Song zusammenfallen, die Band leise brummen, bevor sie wieder explodiert. One, two, three…und weiter gehts. Ohne Unterbruch, die Spannung bleibt.»

Man ist sogar geneigt, seiner Schlusspointe zuzustimmen: «Auf dem Bühnendach des Letzigrund Stadions flattern derweil einträchtig die amerikanische und die Schweizer Flagge nebeneinander. Das gute Amerika war hier.»

Für Tamedia liefert Jean-Martin Büttner das ab, was man von diesem Medienhaus erwarten konnte. Eine Mischung aus Abschweifung, Gemecker und kleinen Ausbrüchen von Bewunderung. Schon im Lead ist das versammelt: «Maximaler Ausdruck, minimale Variation und lange ein schlechter Sound: Bruce Springsteen und seine E Street Band gaben am Dienstag im Zürcher Letzigrund ein kraftvolles, wenn auch gleichförmiges Konzert.»

Dann gibt es als Einstieg einen Ausflug nach Amsterdam, zu einem Sturz, der mit dem Sturz Bidens verglichen wird. Dann fällt Büttner auf, dass er eigentlich über das Konzert in der Schweiz berichten sollte: «Im Zürcher Letzigrund fällt Bruce Springsteen nicht hin, sondern löst mit seiner Präsenz und dem Engagement seiner Musikerinnen und Musiker ein, was er von Beginn an verspricht: «No Surrender», gib nicht auf.» Das nennt man mit quietschenden Reifen die Kurve kratzen.

Darauf folgt eine halbe Hinrichtung des Artisten: «Bruce Springsteen muss mit Intensität und Ausdauer kompensieren, was ihm an stilistischer Vielfalt abgeht.» Eigentlich eine Frechheit, bei dem Oeuvre. Sein letztes originelles Album verortet Büttner dann 1995, was auch ziemlich bescheuert ist.

Schliesslich erzählt Büttner, immer wieder abschweifend, die Geschichte von «Born in the USA» falsch. Damit habe er sich «die Unterstützung von Ronald Reagan» gesichert, gegen dessen «Vereinnahmung sich der Musiker auf auffallend zahme Weise wehrte». Blühender Unsinn, Springsteen machte es einen Heidenspass, dass Reagan (und viele dumpfe Republikaner mit ihm) «Born in the USA» als Loblied auf Amerika missverstanden. Dabei ist es eine zutiefst melancholische Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, gekleidet in ein pumpendes, vor Kraft fast nicht gehen könnendes musikalisches Powerpaket.

Kein Wunder, dass dann auch Büttners Resümee sehr durchwachsen ausfällt: «Was das Konzert bei allen Längen und Wiederholungen, trotz der Gleichförmigkeit der Arrangements und Akkordfolgen, ungeachtet der fast durchgängig gleich klingenden Begleitung vitalisiert, ist Bruce Springsteens überbordende Begeisterung.»

Die scheint er nun zumindest bei Büttner, im Gegensatz zu den übrigen 48’000 Zuhörern, nicht ausgelöst zu haben.

Ach, da fehlt doch ein Organ, das gerade die Bezahlschranke hochgefahren hat, um «noch mehr» tolle Artikel auf seine Leser regnen zu lassen. Aber zumindest am Tag danach ist dem «Blick» das Konzert keine Zeile wert. Vielleicht sind da alle Kräfte durch Rammstein gebunden.