Rammelstein?

Was wahr ist, klar ist – oder nicht.

Die «Süddeutsche Zeitung» nimmt den inzwischen bekannten Sound auf: «Es geht um die Verführung weiblicher Fans durch die Nähe zu einer sehr prominenten Person, um möglichen Machtmissbrauch und mutmaßliche sexuelle Übergriffe.»

Wie immer ist es eine Gemengelage. Der Herausgeber des Gedichtbands von Till Lindemann, dem Sänger von «Rammstein», ist einer der Feuilletonchefs der SZ. Der herausgebende Verlag hat sich inzwischen mit Abscheu von seinem Autor abgewandt.

Auslöser scheint ein irischer Fan zu sein, der den Verdacht äusserte, bei einer Party vor der Show sei ihr mit einer Droge versetzter Alkohol gegeben worden. Diese Shelby besteht ausdrücklich darauf, dass sie nicht angefasst oder vergewaltigt worden sei. Allerdings habe der Sänger Sex mit ihr gewollt, was sie jedoch abgelehnt habe. Danach Filmriss, sie sei mit blauen Flecken, sonst aber unbeschädigt aufgewacht. Ein Drogentest am nächsten Morgen war negativ.

Die Band dementiert und schweigt ansonsten. Im Anschluss «rollte die Welle schon», wie die SZ schreibt. Sie und der NDR hätten mit «zahlreichen Frauen gesprochen». Und: «Sie erheben teils schwere Vorwürfe gegen Lindemann. Alle Namen sind der Redaktion bekannt, einige der Frauen versichern ihre Angaben an Eides statt. Alle mutmaßlich Betroffenen bleiben in diesem Text zu ihrem Schutz anonym, die verwendeten Namen sind nicht ihre echten.»

Die Erzählungen gehen so, dass es ein eigentliches Casting für die «Row Zero» gebe, den Bereich unmittelbar vor der Bühne, in den man nur per Einladung kommt. Dafür werden Frauen angefragt, denen auch ein anschließender Besuch Backstage zugesichert werde. Dort passiere nur das, was die Groupies auch wollten. Eine erzählt in der SZ:

«Ich will nicht sagen, dass das eine Vergewaltigung war, weil ich ja zugestimmt habe, aber ich war jetzt auch nicht offensichtlich glücklich darüber, was da passiert.»

Nach weiteren solchen Storys wechselt die SZ die Ebene: «Die Frage ist, ob alle Frauen, die bei Lindemann landen, dort noch mit so klarem Bewusstsein ankommen, um jederzeit selbst die Kontrolle zurückgewinnen oder sich später richtig erinnern zu können. Oder ob der ganze Vorgang nicht von vorneherein so asymmetrisch, so manipulativ angelegt ist, dass man von Freiwilligkeit nicht mehr sprechen kann und dass sich im Nachhinein leicht Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frauen säen lassen

25’000 Anschläge ist die Story lang; es liegen bislang keinerlei Strafanzeigen vor; keine der im Text erscheinenden Frauen hat die Absicht geäussert, gegen Lindemann oder die Band rechtlich vorgehe zu wollen. Diese Spekulation soll nur dazu dienen, die Story zu rechtfertigen, zu mehr taugt sie nicht.

Ganze sechs Autoren hat die SZ für diesen Aufreger abgestellt. Sie ist sozusagen die Antwort aus München auf die Till-Schweiger-Story aus Hamburg.

Rammsteins USP, die Masche, wenn man so will, ist martialisches Pathos, unterlegt mit Provokationen jeder Art, grenzwertigen Texten und Musikvideos. Kann man mögen oder lassen.

Natürlich ist hier alles drin, was eine Story heiss macht. Deutschlands erfolgreichste Band, ihr grenzgängerischer Sänger, Groupies, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe. Während der «Spiegel» im Fall Roshani zumindest mit Fotos eine Ähnlichkeit der Vorfälle mit dem Verhalten der verurteilten Straftäters Harvey Weinstein in den USA herstellen wollte, beschreibt die SZ die Rolle einer gewissen Alena Makeeva als eine Art Casting-Direktorin, die die Girls vor den Konzerten für die «Row Zero» kontaktiert, auswählt und ihnen Tips gibt, wie sie sich anzuziehen haben und was sie erwarten könnte. Also vielleicht so eine Art Ghislaine Maxwell, die dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein Mädchen zuführte.

Natürlich rauscht diese Story durch die Medien, alle wollen sich ein Scheibchen davon abschneiden, in der Schweiz am lautesten natürlich der «Blick»:

Natürlich wiederkäut auch Tamedia «Die Groupies von «Row Zero», der «Spiegel «Bad Guys und Groupies», nau.ch, usw. Nur: CH Media übt sich (bislang) in Zurückhaltung.

Nun hat auch noch die NZZ eingegriffen, und wenn man den Text der Gesellschaftsredaktorin Esthy Baumann-Rüdiger liest, meint man, die Beschreibung einer anderen Realität zu bekommen. Die Autorin hat «mit mehreren Frauen geredet, die bei Rammstein hinter die Bühne geblickt, mit Rammstein-Sänger Till Lindemann geredet, gefeiert und ihn angeblich geküsst haben».

Nur haben hier die Groupies ganz andere Geschichten zu erzählen: «Lindemann sei ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, sagt Mona. Als er sich zum Gespräch auf einen Sessel begeben habe, sei er direkt von zwei Frauen auf den Lehnen umrankt worden. «Er hielt seine Hände auf den Knien, wie ein Schuljunge. Auf mich wirkte es, als sei ihm all die Aufmerksamkeit zu viel», erzählt Mona. Als er dann mit ihr gesprochen habe, sei es ihr vorgekommen, als geniesse er es, mit jemandem zu sprechen, der ihn nicht anhimmelt.»

Oder: «Man führte oberflächliche Gruppen-Gespräche und genoss ein paar Drinks», erzählt Diana. Kurz vor Konzertbeginn sei Alena erneut auf sie zugekommen, erzählt Diana. Till wolle sie alleine treffen, während der Konzertpause. Warum der Sänger sie ausgewählt hat, weiss Diana nicht. … Während des Gesprächs soll es zu einem Kuss gekommen sein. «Dann bin ich für manche nun eben ein Groupie. Das ist mir egal.» Diana betont: «Der Kuss ging klar von mir aus. Till hätte nichts versucht.»

Auch die analytische Metaebene sieht in der NZZ ganz anders als in der SZ aus: «Doch in der «Row Zero» treffen zwei Welten aufeinander. Die alte, sexistisch geprägte Musikindustrie und junge, während #MeToo erwachsen gewordene Frauen. Groupies? Ja. Aber selbstbestimmt. So beschreiben es viele von ihnen zumindest selbst.»

All diese aufgepumpten Storys um Prominente (oder im Fall des Ex-«Magazin»-Chefredaktors weniger Prominente) haben einen ähnlichen Sound. Machtgefälle werden von triebstarken Männern ausgenützt, von ihnen abhängige Frauen können sich nicht wehren, gehen oft erst viele Jahre nach solchen Vorfällen an die Öffentlichkeit. Oder haben das Problem, dass Vorgänge unter vier Augen schwer objektivierter sind.

Aber durch die Darstellung – wie mehrfach im «Spiegel», wie nun auch in der «Süddeutschen» – wird der Eindruck insinuiert, dass hier die Männer die Täter, die Frauen die Opfer sind. Auch wenn die SZ für diese These tief lufthohen muss, weil sie nicht einmal Aussagen von strafrechtlich relevanten sexuellen Belästigungen oder gar Vergewaltigungen anführen kann.

Gerade bei Groupies ist es tatsächlich so, dass junge Mädchen, die auf das Angebot eingehen, ihre Idole Backstage bei einer Party erleben zu dürfen, nur schwerlich behaupten können, dass es sie völlig überrascht hätte, dort angemacht oder gar angefasst zu werden. Natürlich wird ein solcher Satz von Kampffeministinnen in der Luft zerrissen, das sei so, wie wenn man unterstelle, durch das Tragen eines kurzen Rocks habe eine Frau ihre Vergewaltigung provoziert. Ist es aber nicht.

Till Schweiger und der zwischenzeitlich vom «Spiegel» unter Feuer genommene Drei-Sterne-Koch können aufatmen. Sie haben Pause. Im Feuer steht zurzeit Rammstein. Aber die spielen selbst oft genug mit dem Feuer und sollten das aushalten.

 

 

 

 

5 Kommentare
  1. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Gibt’s noch weitere Promis namens «Till». Wie wär’s mit dem Eulenspiegel?
    Diese Stories sind so was von voraussehbar: viel Konjunktiv, die ewig gleichen Opfer, irgendwelche «Insider», die «auspacken». So geht
    «Qualitätsjournalismus» im 2023.

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  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Und heute, der SZ Artikel in voller Länge in der SoZ, mit der üblichen, peinlichen Titelkosmetik. SZ: «Am Ende der Show», SoZ: «Werden bei Konzerten Fans für Sex gecastet?». Der SZ Titel passt zum Medienhaus Tages-Anzeiger. Die Show beim Tages-Anzeiger ist zu Ende, nichts mehr von Eigenständigkeit, Anstand und journalistischem Anspruch. Auf einer Doppelseite wird die deutsche Inquisition copy-paste übernommen, auch online verfügbar.

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  3. Vergissmeinnicht
    Vergissmeinnicht sagte:

    Guten Tag Herr Bernays

    Ich kann es Ihnen gar nicht beschreiben, wie mich Journalisten anwidern, die ohne jeglichen Beweis geschweige Urteil, einen unbescholtenen Mann medial vorverurteilen!

    Genau wegen solchen unseriösen Berichten, ist leider auch die NZZ nicht mehr abonniert von mir.

    Schämen Sie sich in Grund und Boden!

    Freundliche Grüsse

    Petra Hartmann

    Expertin präventiven Opferschutz

    http://www.vergiss-meinnicht.org

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