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Nts, nts, nts, bum

Wer nicht verurteilt, wird verurteilt.

Das Suworow-Denkmal im Kanton Uri erinnert an 1799 und wurde 1899 von einem russischen Fürsten errichtet. Seit einem Farbanschlag in Blau-Gelb ist es in Sippenhaft genommen. Wegputzen sollen die Sauerei übrigens die Russen selbst, denn denen gehört das Denkmal.

Russische Künstler, Komponisten, Schriftsteller aus längst vergangenen Zeiten, die zur Weltkultur gehören: weg damit. Selbst im kältesten Kalten Krieg, als sich die Sowjetunion und die USA atomar bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstanden und überall auf der Welt Stellvertreterkriege führten, las man Tolstoi, hörte man Tschaikowski, betrachtete man Malewitsch, analysierte man Reflexionen von Bucharin, bewunderte man das wohntemperierte Klavier von Richter, und staunte man über Gagarin.

Schlimmer als die christliche Kirche in ihren finstersten Zeiten, als sei die Eigenschaft russisch gleichbedeutend mit des Teufels, satanisch, verderblich, böse, unerträglich, wird nun tabula rasa gemacht.

Schlimmer als Inquisition und Islam

Schlimmer als der Islam, der das Zeugnis abfordert, dass Allah der einzige Gott sei und Mohamet sein Prophet, besteht die einzige Salvation für jeden Russen darin, sich mit Abscheu, deutlich und öffentlich vom Ukrainekrieg und seinem Regime zu distanzieren.

Halbheiten werden nicht geduldet. Behauptungen von im westlichen Ausland lebenden Russen, sie wollten ihre Verwandtschaft in der Heimat nicht gefährden, werden als faule Ausreden zurückgewiesen.

Der einzige Unterschied zu mittelalterlichen Bräuchen: der Putin-Leugner, der Nicht-Verurteiler landet nicht auf der Streckbank oder auf dem Scheiterhaufen. Da sind wir im 21. Jahrhundert immerhin etwas zivilisierter geworden. Die Vernichtung der sozialen Existenz reicht uns. Auch der Entzug der Einkommensgrundlagen. Ob Opernstar, Dirigent, Maler, Künstler: Bekanntheit, gar Prominenz war früher erstrebenswert, weil geschäftsfördernd. Inzwischen ist es zum Fluch geworden. Für Russen.

Und der Irrwitz feiert Urständ.

«Es ist eine Problematik, die bisher eher im Bereich der klassischen Musik zu finden war, wo ein Dirigent wie Waleri Gergijew oder eine Sängerin wie Anna Netrebko nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine nach ihrer Haltung zum Krieg und zu Wladimir Putin befragt wurden. Doch warum sollten in der Techno-Szene andere moralische Kriterien als in der Klassik gelten?»

«Moralische Kriterien»? Der «Spiegel» weiss wirklich nicht mehr, was er schreibt. Auf jeden Fall hat es jetzt auch die Russin Nina Kraviz erwischt. Die 34-jährige DJane ist eine grosse Nummer in der Techno-Szene, genauer Acid Techno, Minimal Techno und Deep House. Da produziert sie das für Nicht-Kenner ewiggleiche nts, nts, nts.

Damit begeistert sie die Fans – wenn man sie lässt. Denn auch sie stolperte über die inquisitorische Frage, wie sie es denn mit Putin und dem Ukrainekrieg halte. Seit sie es an der geforderten klaren Verurteilung mangeln liess, verliert sie Engagement auf Engagement, wird ausgeladen, ihre Plattenfirma distanziert sich. Keiner zu klein, Grossinquisitor zu sein. Ihre vergangenen und aktuellen Meldungen auf den Social Media werden seziert. Gewogen und für zu leicht befunden.

Verurteilung mit Inbrunst und aus voller Kehle

Ihre Verurteilungen des Krieges und des Regimes in Moskau erreichen leider nicht die geforderte Punktzahl, durchgefallen. Ihre Behauptung, ein unpolitischer Mensch zu sein: feige und untauglich. Auch bei ihr und an ihr muss ein Zeichen gesetzt werden. Denn die Verurteilung des verbrecherischen Putin-Kriegs hat in vorgeschriebener Lautstärke, mit vorgegebenen Worten, aber natürlich auch mit spürbarer innerer Beteiligung zu erfolgen.

Dem Sünder wurde von der heiligen Inquisition nicht einfach vergeben, wenn er ein paar laue und oberflächliche Worte des Bedauerns über seine Sünde verlor. Inbrunst ist gefordert, «ich mag den Teufel nicht», das ist ja nichts.

«Ich hasse ihn aus tiefster Seele, ich bereue abgrundtief, ihn nicht schon früher als solchen erkannt zu haben, ich leiste Abbitte, wandle in Sack und Asche, schultere das Kreuz, umwickle meine Taille mit einem Dornenkranz, kasteie mich und lobpreise den wahren Herrn, den freien Westen, den Helden Selenskij, alle heldenhaften Ukrainer, inklusive ukrainische Oligarchen.»

Das ist ja wohl das mindeste, was man heute von einem anständigen Russen verlangen darf.

 

Wumms: Peter Blunschi

Germanist, Sportredaktor und Weltenlenker. Beim Weltorgan «watson».

Gut, es ist leicht unfair. Aber Blunschi exemplifiziert auf engem Raum perfekt, was über die Meinungsstärke und Denkschwäche der Journalisten im «besinnlichen Sonntag» geschrieben ist.

Da müssen wir nun durch, auch wenn’s schmerzhaft peinlich wird. Denn «Putin schwächelt», schliesst  Schreibtischdiagnostiker Blunschi aus untrüglichen Anzeichen; bei der Siegesparade «wirkte der russische Präsident defensiv, um nicht zu sagen verzagt».

Wahrscheinlich ahnte er, dass Blunschi ihm auf «watson» den Rest geben wird. Also nicht er persönlich, dafür hat er sich die Politikerfloskel geklaut, der Westen und die Ukraine seien «gefordert, den Druck hochzuhalten». Wie, das erklärt Blunschi gleich:

  • Es ist wichtig, die Ukraine mit auch schweren Waffen zu beliefern, selbst wenn die Gefahr besteht, dass Russland sie ausschaltet und die Rüstungsindustrie davon profitiert.

  • Es ist wichtig, dass westliche Geheimdienste die ukrainische Armee über russische Truppenbewegungen informieren, wie zuletzt bei der Zerstörung von Pontonbrücken.

  • Es ist wichtig, an den Sanktionen festzuhalten und sie weiter zu verschärfen, mit einem Embargo auf russische Energiequellen (Gas, Kohle, Öl, Uran).

  • Es ist wichtig, dass westliche Politiker in die Ukraine reisen, ihre Solidarität mit dem geplagten Volk ausdrücken und die Aufklärung von Kriegsverbrechen einfordern.

  • Es ist wichtig, dass die Medien weiterhin über den Krieg berichten, auch wenn die Aufmerksamkeit des Publikums mit zunehmender Dauer nachlassen dürfte.

  • Es ist wichtig, dass Finnland und Schweden den Nato-Beitritt durchziehen. Und andere Neutrale, vor allem die Schweiz, mit der Ukraine solidarisch bleiben.

Leider machten da nicht alle mit, bedauert Blunschi, eigentlich kaum jemand ausserhalb der NATO. Dann benützt Blunschi endlich die Phrase, die uns bislang erspart blieb: «Das aber ist kein Grund für den Defätismus, der im «offenen Brief» von Alice Schwarzer und anderen Pseudo-Intellektuellen  zum Ausdruck kommt.»

Defätismus, das war neben Patriotismus, Vaterland und Gehorsam eine der Lieblingsvokabeln der Kriegsgurgeln in den Weltkriegen. Aber Blunschi setzt noch einen daruf mit den «Pseudo-Intellektuellen». Was für ein Kläffer, der Schwarzer, Alexander Kluge oder auch Jürgen Habermas so tituliert, weil ihm deren Meinung nicht passt.

Welch ein Mängelexemplar von Journalist, dessen Vorstellung der eigenen Bedeutung und intellektuellen Kapazität umgekehrt proportional zur Wirklichkeit ist.

Alles ist entweder gut oder böse!

Teil 2: Von guten und bösen Kriegsverbrechern

Von Felix Abt

Hier geht es zu Teil 1

Präsident Biden bezeichnete Putin als einen bösen Kriegsverbrecher. Westliche Politiker aller Couleurs und die Medien, die sich auch im Krieg befinden, sind mit ihm natürlich einverstanden. Die U.S. Regierung möchte den Kriminellen am liebsten vor ein Kriegverbrechertribunal stellen. Putin hat wirklich Pech: er hat einen schlechten, russischen anstatt einen guten, amerikanischen Pass, der ihn vor allem Übel schützen würde.

Wenn gute amerikanische Soldaten unschuldige Familien in die Luft sprengen, Spitäler bombardieren oder ein neues My Lai Massaker verursachen, werden sie nie vor ein Gericht wegen Kriegsverbrechen gestellt. Nur Amerikas böse Feinde, wie z.B. Putin, sollen für Verbrechen bestraft werden.

Ein im Westen gefeierter Held (“Winston Churchill unserer Zeit”), der gerade gegen einen Invasoren kämpft, nimmt die Solidaritätsbekundung des früheren amerikanischen Präsidenten George W. Bush, einem berüchtigen Invasoren, gerne entgegen. Im Unterschied zu Putin ist Bush, der Millionen unschuldige Menschen auf dem Gewissen hat, ein guter Kriegsverbrecher.  (Twitter screen shot Felix Abt)

Gute und böse Oligarchen

Alle wissen es: russische Oligarchen sind böse, so böse, dass ihretwegen in westlichen Ländern der Rechtsstaat über den Haufen geworfen werden musste: Die ehemals hehren Prinzipien der Eigentumsgarantie, Unschuldsvermutung und Beweisführung vor Gericht gegen Angeschuldigte gelten nicht für russische Oligarchen. Der einzige sichere Beweis für ihre Verbrechen, den westliche Behörden gegen sie haben, ist die Tatsache, dass sie den gleichen Pass haben oder hatten wie der kriegsführende russische Präsident. Vielleicht gibt es auch noch Bildmaterial, das sie auf einem Foto mit Wladimir dem Schrecklichen zeigt. Das genügt, um ihre Yachten, Flugzeuge, Villen und Geld zu beschlagnahmen. “Beschlagnahmen” ist ausserdem eine gut gelungene Umschreibung von “stehlen”.

Das Recht wurde ersetzt durch eine einfache Verlautbarung des amerikanischen Führers. In seiner viel beklatschten Rede zur Lage der Nation vor dem US-Kongress am 1. März 2022 wandte sich Präsident Biden direkt an die russischen Oligarchen: «Wir werden uns mit unseren europäischen Verbündeten zusammentun, um Ihre Yachten, Ihre Luxuswohnungen und Ihre Privatjets zu finden und zu beschlagnahmen. Wir holen uns Ihre unrechtmäßigen Gewinne.»

Glücklicherweise gibt es neben den bösen russischen Oligarchen auch noch die guten, die vom Rechtsstaat beschützt werden. Dazu gehoeren beispielsweise die ukrainischen Oligarchen, welche politisch mächtiger in ihrem Land sind als die russischen in Russland. Mit massiver Hilfe des umstrittensten Oligarchen der Ukraine schaffte es beispielsweise Volodomyr Selensky, Präsident seines Landes zu werden.

Alle Oligarchen begannen fast bei Null und wurden reich durch Verbindungen zur hochkorrupten, aber demokratisch gewählten Regierung der Ukraine während des Übergangs von der staatlichen zur marktbasierten Wirtschaft. Das war in Russland nicht viel anders: Als unter dem russischen Präsident Boris Jelzin staatliche Ressourcen im grossen Stil an Private verscherbelt wurden, standen seine Kumpane in der ersten Reihe, und haben sich in Windeseile zu Neureichen und Oligarchen gemausert.

Der damalige russische Präsident war ein guter Präsident, weil er Tür und Tor auch für die Konzerne amerikanischer Oligarchen öffnete; amerikanische und russische Oligarchen wurden ausserdem gute Geschäftspartner in Russland. Wladimir Putin, der Nachfolger von Präsident Jelzin, erfrechte sich aber, den Spielraum russischer und amerikanischer Oligarchen einzuschränken. Deshalb betrachtete ihn Washington als Bösen, und begann auf die Schwächung Russlands und einen Regimewechsel in Moskau hinzuarbeiten. Ironischerweise wurden dabei vom Westen sogar die früheren Spiessgesellen des guten Präsidenten Jelzins zu “Putins Oligarchen” umfunktioniert. Dieses Manöver diente Russlands Feinden, die sich im Wirtschaftskrieg gegen Russland befinden, als Rechtfertigung, russischen Oligarchen im neuen Wilden Westen das Eigentum und die Aufenthaltsbewilligungen wegzunehmen, die Bewegungsfreiheit einzuschränken und die Möglichkeit, legale Geschaefte zu tätigen, zu vereiteln.

Das US-Pentagon (Verteidigungsministerium) ist die grösste und mächtigste Organisation der Welt, sowohl jetzt als auch in der Geschichte. Es ist auch der grösste Arbeitgeber der Welt mit 3,2 Millionen Männern und Frauen auf seinen Gehaltslisten; und da diese immer noch nicht ausreichen, heuert es zusätzlich eine grosse Anzahl von Söldnern, “private Auftragnehmer” genannt, für seine Kriege an. Darüber hinaus macht Amerikas massive private Kriegsindustrie 20 % aller Arbeitsplätze in der verarbeitenden Industrie (Halliburton, Lockheed Martin, Carlyle Group und viele mehr) der USA aus und sorgt für eine Vielzahl weiterer Arbeitsplätze in sich auch im Besitz von amerikanischen Oligarchen befindenden, hochkarätigen Technologieunternehmen wie Amazon, Facebook, Google, Microsoft und Palantir, die vom US-Militär Aufträge in Milliardenhöhe erhalten. Amerikanische Oligarchen, die an amerikanischen Kriegen kräftig verdienen und Blut an ihren Händen haben, sind aber gute Oligarchen, weil sie die Kriege von Amerika, dem Land Gottes (“God’s own country”) unterstützen und davon profitieren.

Das amerikanische “Center for Responsive Politics” berichtet, dass «in den vergangenen zwei Jahrzehnten das umfangreiche Netzwerk von Lobbyisten und Spendern der Rüstungsindustrie 285 Millionen Dollar an Wahlkampfspenden und 2,5 Milliarden Dollar an Lobbying-Ausgaben zur Beeinflussung der Verteidigungspolitik eingesetzt hat».

Ein seltener und schockierender Moment der Ehrlichkeit von Senator Joe Biden, der hier zugibt, dass «das System korrupt ist»: «Ich denke nicht, dass Sie annehmen sollten, dass ich nicht korrupt bin. Man braucht eine Menge Geld, um in ein Amt zu kommen. Und die Leute mit diesem Geld wollen immer etwas.»

 Anders als die mächtige Kriegsindustrie haben die unzähligen Obdachlosen keine Lobby in Washington. Es ist deshalb nicht überraschend, dass während die USA vor kurzem weitere 3,3 Mrd. USD für tödliche Hilfe (“lethal help”) an die Ukraine überwiesen haben, unzählige Amerikaner, darunter vielerorts ein Viertel der Schüler, gezwungen sind, wie, entschuldigen Sie den Ausdruck, Strassenköter irgendwie zu überleben, anstatt als würdige Bürger in den USA – der reichsten Nation der Welt – sich des Lebens erfreuen zu dürfen.

(Twitter screen shot Felix Abt)

Eine politikwissenschaftliche Studie der renommierten amerikanischen Princeton-Universität aus dem Jahr 2014 hat gezeigt, dass das Handeln der Regierung fast immer den Wünschen der wohlhabenden und mächtigen US-Eliten entspricht. «Unser zentrales Ergebnis war folgendes: Wirtschaftseliten und Interessengruppen können die Politik der US-Regierung beeinflussen – aber Amerikaner, denen es weniger gut geht, haben im Wesentlichen keinen Einfluss auf das, was ihre Regierung tut», schreiben die Koautoren Martin Gilens und Benjamin Page. Soviel zur vorbildlichen Demokratie Amerikas.

Jeff Bezos ist einer der reichsten Oligarchen Amerikas und der Welt. Er baute sein Amazon-Imperium auf seiner Fähigkeit auf, Produkte online zu verkaufen ohne Umsatzsteuern zu bezahlen, im Unterschied zu seinen Konkurrenten, die Läden betrieben. Er bezahlte auch niedrige Löhne, und fast keine Steuern, im Unterschied zu seinen Angestellten sowie vieler, von ihm aus dem Wettbewerb gedrängten Ladenbesitzer.

Bezos profitiert auch massiv vom gigantischen militärisch-industriellen Komplex, von dem er Milliardenaufträge erhält. Ausserdem unterstützt er die Spionageorganisationen: Kürzlich erhielt er einen Auftrag von 10 Milliarden US$, um ein grosses Cloud-Projekt zu realisieren. Sein Auftraggeber ist NSA, die amerikanische Regierungsorganisation, welche nicht nur französische Präsidenten und deutsche Bundeskanzler, sondern auch Sie und mich, aushorcht. NSA braucht riesige Cloud-Speicherkapazitäten, um die Weltbevölkerung im Auftrag der amerikanischen Regierung wirksam überwachen zu können, und diese werden nun vom guten Oligarchen Bezos für sie entwickelt.

Besuch von Amazon-Chef Jeff Bezos bei Verteidigungsminister Ash Carter, einem Grosskunden, im Pentagon am 5. Mai 2016. (Bild: Department of Defense/Senior Master Sgt. Adrian Cadiz)

Natürlich gibt es kaum einen amerikanischen Oligarchen, der nicht von der U.S. Regierung profitierte. So hat beispielsweise Elon Musk Milliarden an Subventionen und Verträgen für seine Automobil- und Raumfahrtprojekte erhalten. Oder Bill Gates hatte einen Regierungsvertrag und einige aggressive Patentstrategien in seinen eigenen oligarchischen Status umgemünzt.

Twitter warnt systematisch vor Twitter-Konten, welche für das böse Russland, das böse China und andere echte oder vermeintliche Feinde Amerikas Propaganda verbreiten und löscht auch viele. Westliche Propaganda wird selbstverstaendlich geduldet. Twitter, selbst im Besitz eines Oligarchen, weist auch nie auf die Natur der wichtigsten und am meisten meinungsbildenden amerikanischen Twitterer hin. (Tweet von einem Twitter-Kritiker auf Twitter. Screenshot von Felix Abt)

Die antirussische CancelCulture des Westens verbietet nicht nur berühmte russische Schriftsteller, Musiker und andere Künstler, die lange vor der Geburt Putins gelebt hatten, sondern auch zwei Jahrhunderte alte russische Bäume!

Was und wer gut ist und was und wer schlecht ist, wurde schon lange bestimmt: in Washington!

Interessanterweise, der Autor dieses sieben Jahre vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine erschienenen Buches, hat die kriegerische Entwicklung fast prophetisch vorausgesehen. Anstatt die NATO nach der Auflösung ihres sowjetischen Gegenstücks aufzulösen, wollten der frühere U.S. Sicherheitsberater Brzezinski und andere sehr einflussreiche US-Falken die NATO nutzen, um die weltweite Vorherrschaft der USA auszuweiten und die Waffenkäufe und -verkäufe nicht nur aufrechtzuhalten, sondern zu beschleunigen. So verkündete Brzezinki, dass «eine erweiterte NATO sowohl den kurzfristigen als auch den längerfristigen Zielen der US-Politik gut dienen wird.» Bezeichnenderweise “bestimmte” er die Ukraine als das zentrale Land, um Russland zu besiegen. Es scheint, dass genau dieser Plan jetzt tatkräftig umgesetzt wird.

Als Komiker zu der Zeit, als Obama Präsident der USA war, hallte Volodimyr Selensky diese bittere Wahrheit wider: «Heute hat unser Präsident – der wichtigste, Barak Obama – versprochen, dass wir der NATO als amerikanischer Handlanger beitreten werden. Bitte schickt Exemplare von ‹Mein Kampf›, es ist hier ausverkauft.» Die Ironie der Geschichte ist, dass ausgerechnet er als heutiger Präsident der Ukraine die Rolle als Handlanger Amerikas zu spielen hat.

Handelt es sich hier um einen bösen Papst mit politisch sehr unkorrekten Überzeugungen, der zur legitimen Zielscheibe eines Attentates oder Umsturzversuches des CIA werden könnte?

Jahrzehnte vor dem Ukraine-Krieg haben führende amerikanische Politiker vor der NATO-Osterweiterung und der deshalb von Russland zu erwartenden heftigen Reaktion gewarnt. Dazu gehörte Robert McNamara, welcher als Verteidigungsminister während des Vietnamkrieges den traurigen Rekord erzielte, Vietnam zum am meist bombardierten Land der Menschheitsgeschichte zu machen. Mindestens drei Millionen Vietnamesen und 58,000 Amerikaner verloren dabei ihr Leben. Geteilter Ansicht war auch Henry Kissinger, der etwa das Pol Pot Regime in Kambodscha, eines der blutrünstigsten der Menschheitsgeschichte, unterstützte. Sie besudelten ihre Hände mit Blut für Ruhm und Ehre des amerikanischen Imperiums und sind sicher unverdächtige amerikanische Patrioten, die nicht als Verräter verdächtigt werden können, weil sie die NATO-Osterweiterung ablehnten.

(Twitter screen shot von Felix Abt)

Der heutige U.S. Präsident Joe Biden hat den russischen Einmarsch in der Ukraine als “unprovoziert” scharf verurteilt und deshalb massive Vergeltung angekündigt und losgetreten. Dabei  gehörte er zur gleichen Gruppe amerikanischer Politiker, welche vor der desaströsen amerikanischen Russland- und NATO-Erweiterungspolitik gewarnt hatten.

Bereits 1997 sagte Senator Joe Biden, ranghöchstes Mitglied des Ausschusses des Senats für Auslandsbeziehungen, voraus, dass eine Ausweitung der NATO bis zu den baltischen Staaten eine «energische und feindselige» russische Antwort provozieren würde. Anstatt diese Reaktion mit einer kostengünstigen und schmerzlosen Sicherheitsgarantie für Russland zu verhindern, hat er sie proaktiv herausgefordert!

Was soll ich da noch hinzufuegen, wenn der kriegstreiberische demokratische Joe Biden selbst von seinen republikanischen Rivalen als “der beste Mann, den Gott je geschaffen hat”, gerühmt wird?

 

 

 

 

War da was?

Dank der Roten Armee gibt es ein freies Europa und die Schweiz. Na und?

Der Hitler-Stalin-Pakt konnte den Beginn des Zweiten Welthriegs nur hinauszögern. Stalin verrechnete sich allerdings, was Hitlers Entschlossenheit betraf, einen Zweitfrontenkrieg zu riskieren und am 22. Juni 1941 mit dem «Unternehmen Barbarossa» den Versuch zu unternehmen, den Bolschewismus zu zerstören.

Obwohl der seine Partei NSDAP genannt hatte, war Hitler ein strammer Antikommunist und sah in dieser Ideologie – neben den Juden – den grössten Feind seiner Allmachtsgelüste. Der Krieg gegen die UdSSR war, entgegen aller anderslautenden Geschichtsumschreibungen, von Anfang an als Vernichtungsfeldzug geplant. Für die Bevölkerung in den eroberten Gebieten waren keinerlei Vorkehrungen fürs längerfristige Überleben getroffen worden.

Sie sollte durch Zwangsarbeit vernichtet werden, um Platz für den deutschen Herrenmenschen zu schaffen. In diese Verbrechen ist auch die deutsche Wehrmacht zutiefst verwickelt, was alle Behauptungen Lügen straft, dass das deutsche Heer halt Befehlen gehorcht und im Übrigen von der Judenvernichtung nichts mitbekommen habe.

Stalin schlug alle Warnungen seiner Spione in den Wind, die sogar, wie Richard Sorge aus Tokio, den genauen Zeitpunkt des Überfalls gemeldet hatten. Das sei gegnerische Propaganda zur Verwirrung von Dummköpfen, befand Stalin.

Das führte zu Beginn des Überfalls zu ungeheuerlichen Verlusten bei der Roten Armee, von der Zivilbevölkerung ganz zu schweigen. In einigen Teilen der UdSSR begrüssten Teile der Bevölkerung zudem die Nazis als Befreier von Stalins Joch, und Antisemitismus samt Pogromen war dort zuvor auch nicht unbekannt.

Widerstand unter ungeheuerlichen Verlusten

Erst vor Moskau, vor Leningrad und vor allem vor Stalingrad gelang es den Sowjets, unter unvorstellbaren Verlusten den deutschen Vormarsch zu stoppen. Was sie bei der Rückeroberung der von deutschen besetzten Gebiete sahen, erklärt das Verhalten sowjetischer Soldaten, als es ihnen gelang die Grenzen des Deutschen Reichs zu überschreiten.

Glücklicherweise war der Gröfaz, der grösste Feldherr* aller Zeiten, ein unfähiger Heerführer. Der Überfall hatte viel zu spät begonnen, bald schon versanken die deutschen Truppen im Herbstschlamm, anschliessend litten sie unter dem strengen russischen Winter, auf den sie nicht vorbereitet waren, da der Gröfaz gehofft hatte, mit der Sowjetunion ähnlich schnell wie mit Frankreich fertigzuwerden.

Es gibt die Generation 90 Prozent in der UdSSR, nur zehn Prozent überlebten als Soldaten den deutschen Überfall. Insgesamt hatte die Sowjetunion rund 10 Millionen Tote in der Armee und 15 Millionen unter der Zivilbevölkerung erlitten. Bis heute gibt es keine russische Familie, die nicht den Verlust eines engen Verwandten durch die Nazis zu beklagen hätte.

Die Feiern zum «Grossen Vaterländischen Krieg», wie ihn Stalin propagandistisch geschickt nannte, sind ein Erinnern an die letzte und unbestreitbare Grosstat der UdSSR. Obwohl sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Einflussphäre auf ganz Osteuropa ausdehnte, zur Atommacht wurde, als erste mit der Eroberung des Weltraums begann, fing gleichzeitig ihr unaufhaltsamer Niedergang an.

Der Sieger wird zum Verlierer

Nicht nur die gewaltigen Zerstörungen durch das Wüten der deutschen Barbaren, auch eine untaugliche Wirtschaftspolitik und die kostspielige militärische Aufrüstung leiteten den Zusammenbruch ein; Anfang der 90er-Jahre löste sich die UdSSR auf. Immerhin ohne durch einen Atomkrieg die Welt mit in den Abgrund zu reissen.

Auch wenn heute das Ereignis von Putin propagandistisch benützt wird. der Grund für die Feier sollte jedem Respekt und Hochachtung abnötigen.

Jedem? Die NZZ berichtet in ihrer Printausgabe kein Wort davon. Eine Gedenkfeier auf dem Friedhof Hörnli in Riehen kann nur unter starkem Polizeischutz stattfinden. Der «Tages-Anzeiger» konzentriert sich weiterhin auf die Ukraine. Der «Blick» referiert lediglich Putins Aussagen zum Ukrainekrieg. CH Media titelt: «Putins perverse Parade» – wenn die Alliteration über den Verstand siegt. «watson» wiederum interviewt einen unparteiischen ukrainischen Propaganda-Experten.

Alles in allem: kläglich, schändlich, respektlos und geschichtsvergessen. Also nichts Neues.

*Nach Leserhinweis korrigiert.

Münger hat kein Reputationsproblem

Aber er befürchtet eines für die Schweiz. Mal wieder.

Der Auslandchef von Tamedia fürchtet keinen Atomkrieg. Da steht er drüber. Aber er befürchtet sofort einen «Reputationsschaden», wenn irgend eine Dunkelkammer im Dunstkreis des US-Parlaments mal wieder über die Schweiz schimpft.

Die «U.S. Helsinki Commission» behauptet,  die Schweiz sei «bekannt als Zielland für Kriegsverbrecher und Kleptokraten». Noch härter ist der Vorwurf, sie sei «eine führende Förderin des russischen Diktators Wladimir Putin und seiner Kumpane»», referiert Münger, um entrüstet fortzufahren:  «Das ist ein Schlag ins Gesicht der Schweizer Regierung, die die westlichen Sanktionen, trotz innenpolitischen Widerstands, übernommen hat.»

Daher kriegt Münger gleich einen kleinen Mutanfall:

«Die Diffamierung der Schweiz als «Förderin Putins» ist unangebracht.»

Nimm das, Biden-Administration.

Hätte es Christof Münger dabei belassen, hätte er endlich mal einen einigermassen vernünftigen Kommentar geschrieben. Aber eben, geht nicht: «Denn ein Teil der Kritik ist berechtigt, und das wegen einer Gesetzeslücke: So sehen sich Anwälte und Anwältinnen in der Schweiz angeblich nicht dazu verpflichtet, Meldung zu erstatten, wenn ihr Klient die Sanktionen verletzt. Sie unterstehen zudem nicht dem Geldwäschereigesetz, wenn sie nur als Berater agieren.»

«Sehen sich angeblich nicht»? Hier zeigt Münger ein recht lockeres Verhältnis zu in der Schweiz geltenden Gesetzen. Ob die einem passen oder nicht: bevor sie nicht geändert werden, gelten sie. Punkt.

Dann holt Hobbyhistoriker Münger aus und erinnert an den Skandal um die sogenannten «nachrichtenlosen Vermögen». Worin der allerdings tatsächlich bestand, das hat er bereits vergessen. Unvermeidlich auch der Hinweis auf den «Imageschaden, als sich die Schweizer Grossbanken während der Finanzkrise 2008/09 ans Bankgeheimnis klammerten».

«Klammerten»? Sie wehrten sich dagegen, dass die USA mit dem Recht des Stärkeren imperialistisch ihre Gesetze in der Schweiz durchsetzten. Unter bedauerlicher Mithilfe des Bundesrats. Obwohl Schweizer Banken in der Schweiz gegen keinerlei Gesetze verstossen hatten, wurden sie zur Zahlung von Milliardenbussen und zur Auslieferung von Kundendaten gezwungen.

Nicht auf rechtsstaatlichem Weg, sondern einfach mit der Drohung: Ihr könnt’ schon dagegen vor Gericht gehen – nur seid ihr dann am nächsten Tag tot, wenn wir Euch den Handel mit US-Dollar verbieten.

Auch vom Bankgeheimnis kann man halten, was man will. Aber ein Imageschaden entstand damals in erster Linie dadurch, dass die USA ihre Position als grösste Geldwaschmaschine und grösster Hort von kriminellen Geldern und Schwarzgeld weiter ausbauen wollten und sich dabei eines lästigen Konkurrenten entledigten.

Nach all diesen Irrungen und Wirrungen kommt Münger zu einer Handlungsempfehlung: «Jedenfalls ist die Schweizer Regierung gut beraten, die Kritik ernst zu nehmen. Denn das Reputationsrisiko ist real.»

Die Schweizer Regierung ist besser beraten, diesen Kommentar einfach zu ignorieren. Was sie glücklicherweise auch tut.

Denn die Schweiz hat überhaupt kein Reputationsproblem. Münger allerdings auch nicht

 

 

 

 

 

 

Kriegsgurgeln

Aus mit russischem Gas wohlbeheizten Redaktionsstuben lässt sich locker fäusteln.

Gebt Putin Saures, rüstet die Ukraine auf, stoppt den Krieg. Verantwortungsloses Geschwätz. Keiner zu klein, Kriegsstratege zu sein. Sei das der Besitzer von CH Media, der klare Kante gegenüber Putin fordert. Flugverbotszone über der Ukraine, Einsatz von NATO-Truppen: wieso nicht. Sei das der Auslandchef von Tamedia, der doch mit absurder Logik behauptet: «Waffenlieferungen an die Ukraine führen nicht einfach so zum Atomkrieg, sondern nur dann, wenn sich der Kreml zum Tabubruch entscheidet und eine Nuklearwaffe einsetzt.»

Es gibt nur einen Atomkrieg, wenn einer Atomwaffen einsetzt. Darauf muss man mal kommen. Auch der Chefredaktor des «Tagblatt», der nun nicht übermässig zu tun hat, versuchte sich an einer Neuinterpretation der Schweizer Neutralität, im Stile von Radio Eriwan. Waffenlieferungen an Kriegsparteien? Im Prinzip nein, aber …

Der deutsche Bundeskanzler und der Schweizer Bundespräsident werden dafür gescholten, dass sie nicht mit markigen Worten Putin verurteilen, Kriegsrhetorik verwenden, Waffenlieferungen jeder Art an die Ukraine befürworten.

Dass Kanzler Scholz erwidert, dass er es als seine wichtigste Aufgabe ansehe, alles zu tun, um einen atomaren Weltkrieg zu vermeiden, wird ihm als zögerliche Schwäche um die Ohren gehauen.

Frieden schaffen mit ganz viel Waffen

Selbst die Linken und die Grünen verabschieden sich vom alten Slogan «Frieden schaffen ohne Waffen», der eine ganze Generation von Ostermarschierern und Pazifisten als Leitmotiv diente. Nun also «Frieden schaffen mit Waffen». Nun also die üblichen besonderen Umstände, die besondere Massnahmen erforderten. Natürlich sei es im Prinzip übel, Waffen an eine Kriegspartei zu liefern. Aber angesichts dieser Umstände …

Der weltberühmte Linguist und politische Aktivist Noam Chomsky dagegen, man kann es nicht oft genug wiederholen, bringt die Lage auf den Punkt: Es gibt nur zwei Arten, einen Krieg zu beenden. Entweder durch die völlige Vernichtung einer der beiden Beteiligten – oder durch Verhandlungen.

Dass Russland völlig vernichtet würde, ist äusserst unwahrscheinlich. Dass die Ukraine, die neben unendlichem menschlichem Leid bereits Schäden in der geschätzten Höhe von über 600 Milliarden US$ zu beklagen hat, vernichtet werden könnte, das ist auch unwahrscheinlich, aber möglich.

Also bliebe nur noch die Verhandlungslösung. Aber Kriegsgurgeln erwidern, dass Putin ja gar nicht verhandeln wolle, dieser Kriminelle und Wahnsinnige sei nur mit Waffengewalt zur Raison zu bringen.

Dabei ist allerdings zu hoffen, dass er nicht wahnsinnig ist. Denn der Präsident Russlands verfügt über das grösste Atomwaffenarsenal der Welt. Ob sich das Glück wiederholen würde, dass die Atommacht UdSSR zusammenbrach, ohne die Welt mit in einen Abgrund zu reissen, wenn Russland vor einer existenziellen Krise stünde? Man weiss es nicht, man will es auch gar nicht wissen.

Kriegsgurgeln habe keine Perspektive

Wer so argumentiert, wird reflexartig als Putin-Versteher abgekanzelt, ob man denn die Aggression Putins einfach hinnehmen wolle, dem könne doch nur mit Gewalt begegnet werden, wer Verhandlungen anbietet, zeige Schwäche, mache ihm Appetit auf mehr, provoziere, dass Russland vielleicht sogar NATO-Staaten angreifen werde.

All dieser Unsinn soll verdecken, dass die Kriegsgurgeln, die Befürworter einer möglichst massiven militärischen Auseinandersetzung, keinerlei Perspektive anbieten können, wie es ihrer Meinung nach zu einem Frieden in der Ukraine kommen könnte. Dass Russland militärisch besiegt wird, sich geschlagen zurückzieht und vorher noch besenrein die angerichteten Zerstörungen aufräumt: Unfug. Dass Russland militärisch ausblutet, in eine Wirtschaftskrise stürzt und deshalb die Kriegskosten nicht mehr länger stemmen kann: Unfug.

Also gebietet die Logik die Schlussfolgerung: wer die massive Aufrüstung der Ukraine befürwortet, verlängert Krieg, Zerstörung und Leiden – ohne erkennbaren Sinn oder erstrebenswertes Ziel.

Es gibt noch eine zweite Grundregel bei kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen eine Atommacht beteiligt ist. Ihr muss ein gesichtswahrendes Ergebnis ermöglicht werden. Müsste Putin als geschlagener Verlierer vom Schlachtfeld heimkehren, würde er das politisch – und wahrscheinlich auch physisch – nicht überleben. Also wäre er zu irrationalem Handeln angetrieben, könnte wild um sich schlagen. Und ob die Kommandokette in Russland seinen allfälligen Befehl, Atomwaffen einzusetzen, verweigern würde? Wollen wir das austesten?

Stoppt Putin, beendet den Krieg, ermöglicht der Ukraine den Sieg: das sind alles wohlfeile Wohlfühlforderungen, bar jeder Realität und jedes Verstands. Wer sich nicht der Gefahr aussetzen möchte, die kürzere oder längere Zeitspanne, die er auf Erden noch vor sich hat, in einer radioaktiv verseuchten «Mad Max»-Welt zu verbringen, muss diesen Kriegsgurgeln, diesen Schreibtischkriegern, diesen verantwortungslosen Sandkastengenerälen entgegentreten. Und sei es auch nur mit Worten.

Dully Münger

Der dumpfe Auslandchef von Tamedia teilt gegen einen Bully aus.

Im Chor der mutigen Maulhelden fehlte noch ein Chef, dessen Aufgabe darin besteht, aus deutschen Texten die ß herauszuoperieren und durch ss zu ersetzen.

Aber das hindert ihn nicht daran, eine eigene Meinung zu haben. Also die von (fast) allen Journalisten: «Gegen einen Bully wie Putin hilft nur Standhaftigkeit». Das nennt er «Einordnung zum Krieg».

Dabei offenbart Münger ein Jugendtrauma: «Es ist wie auf dem Pausenplatz, wenn ein Tyrann seine Mitschülerinnen und Mitschüler schikaniert, einschüchtert, bedroht und verprügelt. Solche Charaktere nennt man auf Neudeutsch Bully. Wladimir Putin ist ein Bully.»

Nun möchte er nachholen, was er sich vielleicht damals auf dem Pausenplatz nicht traute: «Man muss widersprechen, aufstehen und sich wehren.» Das sei nämlich, Mutti Merkel lässt grüssen, «alternativlos». Nun war’s deren Politik offenbar auch nicht, aber was kümmert das einen Münger.

Wo’s einen bösen Bully hat, braucht’s auch einen guten Helden: «Der ukrainische Präsident ist die Inspiration für den Widerstand. So wie Winston Churchill im Mai 1940.» Im Unterschied zu Churchill hat Selenskij zwar – wie man seit den Pandora-Papers weiss – ein paar nette Geldverstecke im Ausland, und dass ihm sein Wahlsieg von einem ukrainischen Oligarchen gekauft wurde, ist auch offenkundig.

Kolomoiskij, «PrivatBank», schwiemelige Geschäfte. Der ukrainische Oligarch musste sich ins Ausland zurückziehen und kehrte nach dem Wahlsieg von Selenskij wieder triumphal zurück.

Aber solche Details passen natürlich nicht zu Müngers Heldenepos. Der plädiert für eine möglichst starke militärische Unterstützung der Ukraine. Möglicher Atomkrieg? Pah, sagt der mutige Münger, «diese Gefahr besteht jedoch immer, wenn eine Nuklearmacht Krieg führt. So zum Beispiel auch im Vietnamkrieg, als die Sowjetunion und China die kommunistischen Kräfte im Kampf gegen die US-Truppen unterstützten».

Der sympathische American Bully.

Er bringt da etwas durcheinander, denn diese Gefahr bestand im Koreakrieg. Aber ist ja beides irgendwie Asien und weit weg. Wie gross ist denn dann die Gefahr in der Ukraine? Kein Problem, meint Atomstratege Münger,

«Waffenlieferungen an die Ukraine führen nicht einfach so zum Atomkrieg, sondern nur dann, wenn sich der Kreml zum Tabubruch entscheidet und eine Nuklearwaffe einsetzt.»

Da sind wir aber beruhigt. Münger will sich gerne in die «Marschrichtung» einreihen, die der US-Verteidigungsminister vorgebe: «Wir wollen Russland derart schwächen, dass es zu Dingen wie der Invasion in der Ukraine nicht mehr fähig ist.» Das ist nun an Fahrlässigkeit nicht zu überbieten. Sollte Russland tatsächlich so geschwächt werden, dass es, wie Obama schon höhnte, nur mehr eine lokale Grossmacht wäre, welche Reaktion eines Putin kann man sich vorstellen? Wie viele Müngers braucht es zur Antwort?

Am Schluss widmet er sich dann noch dem Naheliegenden, was könnte denn die Schweiz tun? «Traditionell bietet die Schweiz ihre Guten Dienste als Vermittlerin an. Aber offenbar ist nicht die Saison dafür: Zu einseitig sind Schuld, Verbrechen und Verantwortung verteilt in diesem Krieg.»

Gute Dienste sind also saisonabhängig; bei trübem Regenwetter finden sie nicht statt, nur dann, wenn Schuld und Verantwortung nicht einseitig verteilt sind. Wobei, Afghanistan, Iran, gerade auch Vietnam, fanden da nicht Verhandlungen in der Schweiz statt? Die im Fall der Ukraine in der Türkei stattfinden, weil die Schweiz ihre Neutralität geritzt hat?

Aber auch solche Kleinigkeiten müssen übersehen werden, wenn es darum geht, einem «Bully» gegenüberzutreten. Wie bedauerlich, dass das Münger in seiner Jugend nicht gelang. Dann wäre uns dieser Kommentar erspart geblieben.

 

 

 

 

 

Die Null-Meldung

Vorhersehbar, dass «watson» schnell an die Reihe kommt.

Russische Staatsmedien haben einen Schnipsel aus diesem Treffen zwischen Präsident Putin und dem russischen Verteidigungsminister veröffentlicht. Über den wurde schon fleissig spekuliert, dass er verschwunden sei. Abgesetzt. In Ungnade gefallen. War nix. Aber auf ein Neues:

Nun ist es ein «bizarres», ja «skurriles» Treffen. Indizien? Putin klammere sich an den Beistelltisch. er lasse hier Nähe zu, wo er doch sonst an überlangen Konferenztischen für Distanz sorgt. Aber noch wichtiger: ist Putin krank? Also nicht nur im Kopf? Wieso klammert er sich an den Tisch? Leider gibt eine «Expertin für Körpersprache» Entwarnung: «Er sitzt da, wie wir ihn seit Jahren kennen. Zurückgelehnt, nicht wahnsinnig, sich selber präsentierend.»

Also alles in allem eine Null-Meldung. Überflüssig. Inhaltsleer. Dem Prinzip jeder Null-Meldung folgend: Man stellt eine bange Frage, beantwortet sie negativ – und spült nicht etwa den ganzen Artikel.

Die Null-Meldung

Neue Kategorie, neuer Spass. Alte Methode.

Man nennt es Rehash. Man nennt es Spaltenfüller. Früher nannte man es einen Spekulatius. Das Rezept ist einfach. Nimm einen berühmten Namen, nimm ein Geheimnis, zitiere fleissig Quellen, einmal umrühren, und fertig ist die Null-Meldung:

Das rauschte schon durch die Medien, nun hatte auch noch «20 Minuten» das Bedürfnis, diese Ente quaken zu lassen. Denn nur im Titel wagt man den Indikativ. Alle «Indizien», «Beweise» und Behauptungen sind aus zweiter Hand, Gerüchte, Werweiserei, heisse Luft.

Typischer Satz: laut dem und dem soll die und die dort und dort gelebt haben. Früher mal. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Oder so.

 

 

Taliban in der Schweiz?

Dort Tugendministerium, hier publizistische Moralwächter.

Vor der Machtübernahme der fundamentalistischen Wahnsinnigen in Afghanistan gab es dort ein Frauenministerium. Da Frauen bekanntlich Wesen zweiter Klasse sind, braucht’s das natürlich nicht mehr.

Für alle, die damals auf die verbalen Barrikaden gingen, als Afghanistan gerade in der Erregungswelle oben schwamm: es ist alles so eingetreten, wie es damals befürchtet wurde. Nur: interessiert kein Schwein mehr.

Statt des Frauenministeriums gibt es nun ein Ministerium «zur Verbreitung von Tugend und Verhinderung von Laster». Das gab’s schon bei der ersten Schreckensherrschaft der Taliban in den 90er-Jahren; Auspeitschungen gehörten zu den beliebtesten Methoden, das Laster zu bekämpfen und die Tugend zu befördern.

Inzwischen haben die Taliban sogar die Talkshow entdeckt und lassen auch dort ihre Bärte wehen. Was hat das eigentlich mit der Schweiz zu tun?

Die türkischen Streitkräfte haben in den vergangenen Tagen mit Luftangriffen und mit Bodentruppen Angriffe auf Ziele im Nordirak durchgeführt. Sie gelten Aktivisten der kurdischen Arbeiterpartei PKK.

Das vermeldet «Infosperber», eines der wenigen Organe, das auf dieses Kriegsverbrechen aufmerksam macht. Weiter: Beobachter werfen den türkischen Besatzungskräften in Nordsyrien schwerste Verbrechen vor, darunter willkürliche Enteignungen und die Vertreibung kurdischer Bevölkerungsteile, die illegale Inhaftierung von Oppositionellen und verbreitete Folter.

Was hat das eigentlich mit der Schweiz zu tun?

Viel und nichts. In der Schweiz gibt es kein Tugendministerium. Aber es gibt die Tugendwächter in den Medien. Denen steht zwar nicht die Möglichkeit einer öffentlichen Auspeitschung zur Verfügung, was manche der medialen Taliban bedauern mögen. Aber die verbale Steinigung gehört zu ihrem Repertoire. Wer auch nur im Ansatz sich darum bemüht, die Motive Russlands zu verstehen (was keineswegs heisst, sie zu billigen), ist ein «Putin-Versteher», und das ist keinesfalls als Lob gemeint.

Es hat etwas Beängstigendes, dass der Versuch, etwas zu verstehen, verurteilt wird. Dass es nach dieser absurden Logik viel besser wäre, Putin nicht zu verstehen. Sozusagen die Anti-Aufklärung auf dem Vormarsch. Unwissenheit ist besser als Erkenntnis. Zustände wie in Afghanistan.

Die türkischen Schweinereien haben nichts mit der Schweiz zu tun, weil sie niemand wirklich zur Kenntnis nimmt. Alle Augen sind auf die Ukraine gerichtet, da hat es keine freien Valenzen, sich mit anderen Kriegsverbrechen zu beschäftigen. Das NATO-Mitglied Türkei führt einen Angriffskrieg in einem anderen Land, haust in Syrien wie die Barbaren? Ach was, und was ist gerade in der Ukraine los?

Da passt ins Bild, dass der schmutzige Krieg, den Saudi-Arabien seit Jahren im Jemen führt, unter Verwendung von ausschliesslich westlichen Waffen, notabene, nicht mal mehr eine Fussnote in der Berichterstattung wert ist. Selbst die bestialische Ermordung eines Oppositionellen in einer saudischen Botschaft, ach, Schwamm drüber.

Auch diktatorisch regierte Unrechtstaaten wie Katar werden plötzlich, dank Gas, umschwänzelt, gerne möchte man etwas vom Rohstoff in die eigenen Tanks leiten, da störte Moral oder der Hinweis auf brutale Verstösse gegen die Menschenrechte nur.

Tugendwächter aller Orten

Nun kann man sicherlich nicht immer gleichzeitig alle Schweinereien anprangern, die tagein, tagaus auf der Welt passieren. Die einseitige Konzentration auf die Ukraine – während selbst Untaten eines NATO-Mitglieds kaum mehr als ein Schulterzucken auslösen –, das macht aber diese moralische Verurteilung so unglaubwürdig, dass in Regionen, die von anderen Schweinereien gebeutelt werden, die EU, die USA oder auch die Schweiz nicht ganz für voll genommen werden mit ihrer vehementen Verurteilung aller Untaten in der Ukraine.

Ist es statthaft, das Verhalten von fundamentalistischen Wahnsinnigen mit demjenigen von publizistischen Tugendwächtern in der Schweiz zu vergleichen? Es ist statthaft, weil im Wesenskern verblüffende Ähnlichkeiten existieren.

Beide sind davon überzeugt, das Gute vom Schlechten unterscheiden zu können. Beide sind überzeugt, dass sie mit unfehlbarer Sicherheit das Gute definieren können. Beide sind überzeugt, dass das in ihren Augen Schlechte schädlich ist, deshalb bekämpft werden muss. Beide sind überzeugt, dass Menschen nicht einfach falsche oder schlechte Ansichten äussern, sondern dass dahinter eine verabscheuungswürdige, zu verurteilende Haltung steckt. Beide sind überzeugt, dass ein Tolerieren solcher Haltungen der ganzen Gesellschaft Schaden zufügt.

Schliesslich sind beide überzeugt, dass sie im Dienst des Guten und im Kampf gegen das Böse stehen. Und da ist dann eigentlich alles erlaubt. Peitschenhiebe, soziale Ächtung, verbale Prügel, Denunziation und alles Üble, was eigentlich bekämpft werden soll.