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Die WeWo treppab ins Absurde

Wenn das Dagegen krampfhaft wird.

Es sind einzelne Sätze, die mehr entlarven als ganze Abhandlungen über geistige Befindlichkeiten. So schreibt ein Redaktor von «Tichys Einblick», wo man auch in seiner Gesinnungsblase gefangen ist, in der aktuellen «Weltwoche»:

«Berlusconi war damit der letzte demokratisch legitimierte Ministerpräsident.»

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Alle seine Nachfolger, inklusive Mario Draghi, waren also laut diesem Irrwisch von Autor Usurpatoren, durch einen Staatsstreich, durch krumme Touren an die Macht gekommen. Wie verbohrt muss man sein, wenn man die Absurdität einer solchen Behauptung nicht selber bemerkt? Wie betriebsblind muss man sein, wenn man die Unsinnigkeit dieser entlarvenden Bemerkung nicht beim Redigieren sieht – und sie entfernt?

Roger Köppel, im leichten Cäsarenwahn, schreibt eine Rede, die Bundespräsident Ignazio Cassis vor der UNO hätte halten sollen. Von der Perspektive des Rednerpults im Vollversammlungssaal lässt sich der Besitzer, Verleger, Herausgeber, Chefredaktor und SVP-Nationalrat hinwegtragen. Ginge es nach Köppel, hätte sich Cassis mit Sätzen wie diesem lächerlich gemacht: «Wenn alle Staaten auf dieser Welt neutral wären wie die Schweiz, gäbe es keine Kriege mehr.» Diese Sottise müsste eigentlich von Nena99 Luftballons») oder von NicoleEin bisschen Frieden») gesungen werden.

Dass Marco Gallina seinen Artikel mit dem Brüller betitelt «Italien ist der Fels im instabilen Europa», dass er prognostiziert, dass «eine realistische Möglichkeit besteht, dass diese Regierung eine ganze Legislaturperiode lang existiert», das kann nur bedeuten, dass Italien wohl einen Rettungsschirm benötigt und diese Regierung vielleicht nicht einmal die ersten 100 Tage überlebt. Denn so ist das meistens bei Behauptungen und Ankündigungen der WeWo.

Italien als Fels? Turmhohe Staatsschulden, turmhohe Target-2-Schulden, Graben zwischen Norden und Süden, Mafia, Korruption und magere Wirtschaftsleistung – was für ein bröckelnder Fels. Der nur nicht untergeht, was die Wahlsiegerin genau weiss, weil sie nochmals turmhohe Schulden auf die existierenden schaufeln wird. Nach der erpresserischen Devise, der sich auch Orbán verschrieben hat: Ihr könnt es euch gar nicht leisten, dass wir untergehen.

So viel zu einer realistischen Beschreibung Italiens und seiner neuen Regierung. In bester Tradition der WeWo. Man denke dabei nur an die sauber aus der Krise gekommene UBS, an liebedienerische Interviews mit dem Versagerrat Rohner von der CS, an Putin, den Missverstandenen.

Dann bezeichnet Autor Pierre Heumann den Friedensnobelpreisträger, Intriganten, Machtmenschen und mutmasslichen Kriegsverbrecher Henry Kissinger als «Zauberkünstler der Diplomatie». In Wirklichkeit ist er ein Zauberkünstler, der alle zahlreichen schwarzen und roten Flecke auf seiner Weste ignoriert. Der Putsch in Chile, die Verlängerung des Vietnamkriegs (sein vietnamesischer Kollege verweigerte aus Protest gegen ihn die Annahme seines Nobelpreises), der Journalist Christopher Hitchens halt mit aller Kraft – aber leider vergeblich – versucht, dass man Kissinger vor ein Tribunal stellt. Indem er ihm unzählige Untaten nachwies, die nicht nur den Politikwissenschaftler Alfred Grosser dazu brachten, Kissinger als Kriegsverbrecher zu bezeichnen.

Kissinger tat das einzig Clevere: er reagierte einfach nicht auf die zahlreichen Anschuldigungen, strengte keinen Ehrverletzungsprozess an. Sass es einfach aus.

Sodann fantasiert der Flugmeilenweltmeister, ewige Wahlbeobachter und früherer GSoA-Aktivist (man wollte ernsthaft die Schweizer Armee abschaffen) Andreas Gross davon, dass man einen neuen Krimkrieg vermeiden könne, indem man in «einem sorgfältig ausgestalteten Referendumszyklus» die Bürger der Krim selbst entscheiden lassen sollte, zu wem sie gehören wollen. Schon wieder eine Chance für Nena oder Nicole, in die Harfe zu greifen.

Dann darf der real existierende Verschwörungstheoretiker Oliver StoneJFK») seine Erlebnisse mit Wladimir Putin zum Besten geben. Allerdings ist der Text von Urs Gehriger, der bekanntlich schon mit Leuten gesprochen hat, mit denen er gar nicht gesprochen hat.

Schliesslich gibt Christoph Mörgeli den philosophischen Überflieger und lobhudelt «sechs Helden der Neutralität». Darunter zählt er Niklaus von Flüe, Huldrych Zwingli, Carl Spitteler – und Christoph Blocher. Amen.

«Wenn das Gehirn überhitzt». Dieser Titel ist vielversprechend, darunter steht aber kein Text über die WeWo-Redaktion, sondern über Migräne. Dann behauptet ein ansonsten verhaltensunauffälliger Republikaner in seinem Blog «Stockman’s Contra Corner»: «Eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges wäre jederzeit möglich gewesen. Stattdessen riskieren die USA die Weltkatastrophe.» Interessant, und wir Dummys dachten, dass Russland unter Bruch aller internationalen Verträge in die Ukraine einmarschiert sei und nun mit Atomschlägen droht.

Dann sind wir aber wieder beruhigt, wer wohl den Kontakt zur Realität weitgehend verloren hat, wenn wir von Stockmann solche Sätze lesen, zur schnellen Rückeroberung ukrainischer Gebiete durch Regierungstruppen: «Das betreffende Gebiet war nämlich grösstenteils von den nur leicht ausgebildeten freiwilligen Kämpfern der Republik Luhansk besetzt und verteidigt worden, nicht von den geschulten Profis der russischen Streitkräfte.» Geschulte Profis der russischen Streitkräfte? Der Mann will wohl, dass sich deren Gegner totlachen.

Damit wollen wir den Mantel des Schweigens über den Restinhalt breiten.

 

Bombenstorys

Da macht man mal eine Woche Pause im Aburteilen der Sonntagspresse …

Schon regnet es Bombenstorys:

Eine genauso riesige wie hässliche Illustration auf der Front plus Editorial plus 5 Seiten widmet die NZZaS der Frage, ob Putin tatsächlich Atomwaffen einsetzen könnte, und wenn ja, warum nicht, und wenn nein, wieso doch, und überhaupt, und die Schweiz. Im Editorial schafft es Inland-Chefin Anja Burri tatsächlich, zunächst das Überangebot an Bombenstorys zu begründen, um dann versöhnlich die weinenden und Händchen haltenden Tennisstars Federer und Nadal anzuhimmeln: «Sie gehören nicht nur für ihr Tennis gefeiert, sondern auch dafür, wie sie allen zeigen, was männliche Stärke heisst.»

Ja was heisst sie denn, wenn wir der etwas merkwürdigen Formulierung der Autorin (Frauensprache?) folgen können. Öffentlich weinen und Händchen halten? Echt? Also diese Geste (aber bitte ohne weinen) ist höchstens bei solchen Gelegenheiten angebracht:

Verdun, Mitterrand, Kohl. Das war stark.

Ganz anders gewichtet die SoZ:

Federer, milder Winter, Macarons und sexuelle Revolution.

Nochmal anders geht’s der «SonntagsBlick» an:

Vielleicht ein Wort zum Faktischen. Putin hat angeordnet, 300’000 Reservisten einzuberufen. In Russland leben rund 68 Millionen Männer. Davon sind 43,5 Millionen im Alter von 15 bis 65, also potenziell mobilisierbar. Also werden zurzeit 0.69 Prozent aller waffenfähiger Männer mobilisiert. Etwas mehr als einer von 200. Für jeden, den’s trifft, eine Tragödie. Aber «Putin holt sich Russlands Söhne»? Nicht mal im Streubereich der Wahrheit.

Genauso wenig wie das Editorial: «Warum läuft Russlands Krieg gegen die Ukraine unter dem Buchstaben Z? … Z steht für da Ende des Schreckensregimes von Waldimir Putin. Zumindest ist der Verbrecher im Kreml am Ende seines Alphabets angelangt …» Oh je, Gieri Cavelty.

Man kann versuchen, ein schiefes Bild zu retten. Aber dafür grosszügig darüber hinwegsehen, dass das kyrillische Alphabet kein Z kennt?

Der nächste journalistische Tiefpunkt wird mit dem Interview mit dem EU-Botschafter Petrus Mavromichalis erreicht. Der darf unwidersprochen jede Menge Unsinn verzapfen: «Wir unterstützen sie mit Geld, Material und humanitärer Hilfe. Und zwar so lange, bis die Ukraine diesen Krieg gewinnt.» Mit der Hilfe der EU zum Endsieg über Russland? Was für ein Traumtänzer.

Schmallippig wird er aber, wenn er nach der Unterstützung von Deserteuren aus Russland gefragt wird. «Wir schützen Dissidenten aus allen Ländern. Aber wir müssen sorgfältig prüfen, ob Schutzbedürftige oder zweifelhafte Personen kommen.» Auf Deutsch: Die EU konnte sich noch nicht darauf einigen, wie sie Asylsuchenden aus Russland begegnen will. Während der Diplomat dann meint, dass die EU überhaupt nicht mit der aktuellen russischen Führung verhandeln könne, behauptet er nassforsch, dass die Schweiz schon noch mehr tun könnte: «Leider hat es der Bundesrat kürzlich abgelehnt, dass ausländische Staaten Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine liefern können. Das ist eine verpasste Gelegenheit, etwas Gutes zu tun.»

Das kann man so sehen. Allerdings nur, wenn man keine Ahnung von der Schweizer Gesetzgebung bezüglich Waffenexporte in Kriegsgebiete hat. Sehr vage wird der Botschafter dann, was die Beziehungen der Schweiz zur EU betrifft: «Es gibt, wie gesagt, weiter Unklarheiten.» Auch mit dieser Antwort lässt ihn das Interview-Duo Danny Schlumpf und Gieri Cavelty davonkommen.

Daher darf der Botschafter auch zum Abschluss noch richtige Flachheiten absondern: «Die Schweiz und die EU sind Freunde und werden es immer bleiben. Freundschaft ist aber nicht dasselbe wie die Teilnahme am Binnenmarkt der anderen Seite.» Das ist wohl wahr, aber die Gültigkeit eigener Gesetze im anderen Land zur Voraussetzung für dessen Teilnahme am Binnenmarkt zu machen, auf diese Idee kommt weltweit ausser der EU niemand. Hätte man nachfragen können, aber dann wär’s kein Weichspüler-Wohlfühl-Interview geworden.

Zurück zum Organ der besseren Stände und wohlgeborenen Kreise. Die NZZaS wartet mit einer journalistischen Merkwürdigkeit der Sonderklasse auf:

Der Wirtschaftsbund beginnt mit einem Knaller. An der skandalgeplagten HSG hat offenbar ein Professor Mühe, zwischen seiner professoralen Tätigkeit und seiner Funktion als Mitbesitzer einer GmbH zu unterscheiden, die genau die gleichen Themengebiete beackert. Zudem ist seine Frau sowohl an der HSG als «Office-Managerin» wie auch in der GmbH als «Vorsitzende der GL und Miteigentümerin» tätig. Ein neues, saftiges Stück aus dem Fundus dieser Merkwürdig-Uni. Nur: obwohl das Tätigkeitsgebiet des HSG-Instituts ziemlich genau beschrieben wird, handelt es sich um «Herbert Künzle». Der heisse «in Wirklichkeit anders, es gilt die Unschuldsvermutung». Natürlich auch für seine Frau, «nennen wir sie Zita Bergmann».

Ds ist nun Borderline-Journalismus in seiner reinsten Form. Jeder Insider weiss sofort, wer gemeint ist. Aber die NZZaS versteckt sich hinter Pseudonymen. Wunderlich, sehr wunderlich.

Wir haben schon so ausführlich und so notwendig auf dem «NZZaS Magazin» herumgeprügelt, dass es die ausgleichende Gerechtigkeit verlangt, einen Artikel ausdrücklich zu loben:

Ds ist eine singuläre Leistung. Der Autor Daniel Etter ist zwar kein NZZ-Redaktor, aber es gereicht dem Magazin zur Ehre, diese Reportage veröffentlicht zu haben. Dafür verzichten wir auch auf eine kritische Würdigung des Rests des Inhalts …

 

Loser labert

Wir müssen uns schon wieder mit dieser Schande des Journalismus befassen.

Konzernjournalist und Mietschreiber Philipp Loser hat zwei Themen. Artikel im Interesse seines Arbeitgebers schreiben – oder gegen die SVP poltern. Beides ist so unappetitlich wie vorhersehbar.

Leider wird ihm auch nach dem abrupten Abgang des «Magazin»-Chefredaktors Finn Canonica (wieso schreibt keiner bei Tamedia über die Gründe?) weiterhin eine Kolumne zur Verfügung gestellt. Dort lässt er sich «über rechte Putin-Versteher» aus. Schon alleine die Verwendung dieses Begriffs legt das Niveau auf Höhe Bordsteinkante. Wer etwas oder jemanden verstehen will, ist per Definition ein intelligenterer Mensch als derjenige, der nichts verstehen will.

Loser versteht nichts. Aber er raunt: «Verdeckte Kriegsführung, Destabilisierung der Gesellschaft, Propagandaschlachten, Manipulation, Sabotage.» Wäre Loser gebildeter, würde er sich sicher ans «Zivilverteidigungsbuch» erinnern. Dort tritt ein Adolf Wühler auf, der sich genau solchen Tätigkeiten widmet. Auch im Solde des Ostens, allerdings damals noch der kommunistischen UdSSR. Wovor rechte Kreise Angst hatten und warnten.

Heutzutage ist alles anders: «Dazu kommen: verquere Fake News, die von russischen Diplomaten auf sozialen Medien verbreitet werden. Ein russischer Verein, der den Krieg ausgerechnet im Umfeld des Eidgenössischen Schwingfestes propagierte und dafür jetzt die Lehrerlaubnis an Basler Schulen verloren hat. Russische Propaganda. Für all das braucht es Kräfte im Innern, die ein ungut wohlwollendes Verhältnis zu Russland und seinem Herrscher haben.»

Der intelligente Leser muss nicht zweimal raten, welche Kräfte Loser wohl meint: «Die Schweizer Russland-Versteher stehen weit rechts der Mitte und sind meist bei der SVP. Ihr Forum ist die «Weltwoche», wo Verleger und SVP-Nationalrat Roger Köppel den grössten Putin-Versteher von allen gibt.»

Diese Kräfte hätten, diagnostiziert Irrwisch Loser, «jede Orientierung verloren». Aber letztlich ist es wie zu Zeiten von Adolf Wühler: «Was für eine Gesellschaft zersetzend ist, kommt selten von aussen. Sondern von innen.» Wäre Loser gebildet, wüsste er, wer zuletzt von einer Zersetzung der Gesellschaft, von Schädlingen und Parasiten am gesunden Volkskörper gesprochen hat.

Laut Loser zersetzen also die SVP und Köppel die Schweizer Gesellschaft. Dass ein angeblicher Qualitätskonzern solches Gerüpel, die Verwendung dieses Vokabulars zulässt, ist ein weiteres Armutszeugnis.

Bombenstimmung

Auch Kriege werden global. Kiew ist auf dem Landweg rund 2100 km von Bern entfernt.

Am 26. April 1986 begann die Atomkatastrophe im Reaktorblock 4 des Atomkraftwerks Tschernobyl. Das ukrainische AKW liegt auch rund 2100 km von Bern entfernt. Für diese Distanz braucht Radioaktivität kaum 24 Stunden.

Tschernobyl war der bislang schwerste Reaktorunfall der Geschichte. Er ereignete sich wegen menschlichen Fehlern, des Verstosses gegen Sicherheitsvorschriften und wegen einer gefahrenanfälligen Technologie.

Saporischschja ist das grösste AKW Europas. Es ist knapp 2600 km Landweg von Bern entfernt. Russland und die Ukraine beschuldigen sich gegenseitig, es gelegentlich unter Artilleriefeuer zu nehmen. Hier kann sich Tschernobyl jederzeit wiederholen; die Auswirkungen wären wohl noch verheerender.

Zum bislang einzigen militärischen Einsatz von Atomwaffen kam es 1945. Die USA zündeten über Hiroshima und Nagasaki in Japan zwei Atombomben. Rund 200’000 Menschen starben sofort; die Nachwirkungen der radioaktiven Verstrahlung halten bis heute an.

Der russische Präsident Putin hat während seiner Rede zur Ankündigung einer Teilmobilmachung nochmals klargestellt, dass sich Russland «mit allen Mitteln» gegen einen Angriff auf sein Territorium verteidigen würde, und «das ist kein Bluff». Damit meint er, dass er bereit ist, in diesem Fall auch Atomwaffen einzusetzen.

In den sogenannten autonomen Teilrepubliken im Osten der Ukraine werden «Referenden» durchgeführt, die darüber entscheiden, ob sich diese Gebiete Russland anschliessen und analog der Krim dann als russisches Territorium gälten.

Sollte die Ukraine versuchen, diesen Teil ihres Staatsgebiets zurückzuerobern, wäre das dann aus der Sicht des Kremlherrschers ein Angriff auf russisches Territorium. Nachdem sich die russische Armee bislang während dieser «militärischen Spezialoperation» als weitgehend unfähig erwiesen hat, es ukrainischen Streitkräften in wenigen Tagen gelungen ist, Gebiete zurückzuerobern, für deren Besetzung Russland Monate brauchte, ist mit dem Schlimmsten zu rechnen.

Das ist nun kein Grund, auf alte Gewohnheiten wie den Verzehr von Rösti oder Fondue zu verzichten. Der Bissen muss einem auch nicht im Hals steckenbleiben, wenn man diese Lageanalyse liest.

Aber das Unvorstellbare hat immer den Nachteil, dass es unvorstellbar ist. Bis es eintritt. Heisst das nun, dass der wehrhafte Schweizer seinen Luftschutzkeller wieder in Betrieb nehmen sollte, überprüfen, ob die Türe noch luftdicht schliesst, der Notvorrat bereitsteht und genügend Jodtabletten in Griffweite sind?

Eher nicht. Denn bei aller Wehrhaftigkeit im Rahmen der bewaffneten Neutralität der Schweiz gibt es in einer globalisierten Welt mit globalisierten Kriegen kein Entkommen, wenn eine Atommacht darin verwickelt ist.

US-Militärs spielten mindestens zweimal ernsthaft mit dem Gedanken, Atomwaffen einzusetzen. Während des Korea- und während des Vietnamkriegs. Und dass die Welt den Kalten Krieg überlebte, als sich zwei Atommächte hochgerüstet gegenüberstanden, grenzt an ein Wunder.

Damals rettete die Welt wohl nur ein Prinzip, das die schöne Abkürzung MAD trägt. MAD wie verrückt, MAD wie mutual assured destruction. Die gegenseitig garantierte Vernichtung bedeutete nichts anderes als: wer zuerst auf den roten Knopf eines Atomschlags drückt, stirbt als Zweiter. Also wurde immerhin kein Krieg begonnen, in dem es keinen Gewinner geben konnte.

Nun ist die Lage in der Ukraine anders. Die ehemalige Sowjetrepublik hat ihre Atomwaffen nach dem Zusammenbruch der UdSSR an Russland zurückgegeben. Gegen die Zusicherung, dass seine territoriale Integrität nicht in Frage gestellt wird. Oder einfacher: dass es nicht von Russland überfallen wird – unter welchem Vorwand auch immer.

Nun hat in diesem asymmetrischen Krieg die eine Seite das grösste Atomwaffenarsenal der Welt – die andere direkte Kriegspartei dagegen hat nur konventionelle Waffen. Die Ukraine steht auch nicht, mangels Mitgliedschaft, unter dem atomaren Abschreckungsschirm der Nato. Und es ist kaum vorstellbar bis ausgeschlossen, dass Atommächte wie die USA, England oder Frankreich die Ukraine mit Atomwaffen ausrüsten werden.

Eine potenziell fatale Situation. Soll man wünschen, dass es Russland gelingt, mit konventionellen Waffen die eroberten Gebiete gegen ukrainische Gegenoffensiven zu verteidigen? Soll man hoffen, dass es auch im Kreml noch genügend vernünftige Menschen gibt, die den Einsatz von taktischen Atomwaffen verhindern würden?

Mit der Teilmobilmachung ist der Ukrainekrieg in der russischen Gesellschaft angekommen. Soll man hoffen, dass die Reaktion Putin aus dem Amt fegen könnte? Oder soll man befürchten, dass ein in die Ecke gedrängter Autokrat lieber mit einem grossen Knall untergehen will statt mit Gewinsel?

Letztlich tröstet der Gedanke auch nicht, dass es völlig egal ist, was Schweizer in der Schweiz in Bezug auf die Ukraine hoffen, denken, wünschen. Die Entscheidungen werden in Moskau, Kiew, Washington und Brüssel gefällt. Nicht in Bern und auch nicht in Zürich. Also bleibt eigentlich nur, das Geschnetzelte und das Leben so intensiv wie möglich zu geniessen. Solange noch das Lämpchen glüht.

 

Die Teilmobilmachung

Netterweise hat Putin gewartet, bis die Queen unter der Erde war.

Sehr selten in Friedenszeiten: Obwohl es sich beim Ukrainekrieg offiziell weiterhin um eine militärische Spezialoperation handelt, ordnete Russlands Präsident Putin eine Teilmobilmachung an. Eigentlich bräuchte er dafür zuerst die Zustimmung des Parlaments (die er natürlich kriegen würde). Aber wo kein Krieg ist, muss auch nicht zugestimmt werden.

300’000 russische Reservisten sollen nun aktiviert werden, um die gelichteten Reihen der Roten Armee in der Ukraine aufzufüllen. Natürlich sollen auch weitere Geländeverluste vermieden werden, möglicherweise will Russland zur Gegenoffensive ansetzen. Damit beginnt eine neue, noch blutigere Phase des Kriegs.

Gleichzeitig ist es eine eindeutige Eskalation, zumal Putin nicht müde wird zu beteuern, dass sich Russland im Ernstfall «mit allen Mitteln» verteidigen werde, und das sei «kein Bluff». Mit anderen Worten: Die Welt ist einem Atomkrieg wieder ein Stückchen nähergerückt. Vor allem auch durch Putins Plan, mittels «Referenden» Teile der Ukraine Russland zuzuschlagen. Und Angriffe darauf wie einen Angriff auf russisches Kerngebiet zu betrachten – und notfalls mit Atomwaffen zu beantworten.

Während Russland gleichzeitig zum ersten Mal eine gewisse Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, lehnt die Ukraine Friedensgespräche zurzeit prinzipiell ab. Zu gross ist offensichtlich der Triumphalismus nach den überraschend grossen und schnellen Terraingewinnen durch die Gegenoffensive.

Mit dieser Teilmobilisierung setzt Putin die Verzwergung Russlands konsequent fort. Die wirtschaftlichen Beziehungen zu Europa und den USA sind dermassen zerrüttet, dass es lange Jahre dauern wird, sie wieder zu normalisieren. Zudem hat sich Russland als unsicherer Kartonist erwiesen; gerade auf internationalem Gebiet müssen Verträge und Vereinbarungen eigentlich konsequent eingehalten werden. Tut das ein Handelspartner nicht, dann dauert es sehr lange, bis man wieder in ihn Vertrauen fasst.

Da Russland trotz allen gegenteiligen Anstrengungen weiterhin im Wesentlichen ein Zweit-Welt-Land mit Rohstoffen und Atomwaffen ist, hängt seine Industrie bedeutend von westlichem High-Tech ab. In modernen Gerätschaften kann schon ein fehlender Chip Riesenapparate lahmlegen. Deshalb schmerzen die westlichen Sanktionen zunehmend.

Dass Russland unter Bruch internationaler Verträge, inklusive die zugesicherte und beschworene Akzeptanz der territorialen Unverletzlichkeit der Ukraine, in sein Nachbarland eingefallen ist, macht die russische Regierung als verlässlicher Gesprächspartner ebenfalls unglaubwürdig. Das erschwert auch den möglichen Abschluss eines Friedensvertrags. Wie soll man da russischen Zusicherungen glauben, wenn die in der Vergangenheit schonmal gebrochen wurden?

Nun kommt auch noch ein militärisches Desaster dazu. Offensichtlich hat die russische Armee der vom Westen hochgerüsteten Ukraine nur wenig an Mensch und Material entgegenzusetzen. Das gibt natürlich all den Staaten zu denken, die sich von Russland militärisch beschützt wähnen. Ausserdem ist dieses Versagen Gift für russische Waffenexporte in alle Welt. Wenn die eigene Armee mit dieser Ausrüstung krachende Niederlagen einfährt, wozu soll es dann dienen, sich russische Waffen zu kaufen?

Schliesslich trägt diese Teilmobilmachung für diese «Spezialoperation», die angeblich nur ein paar Tage dauern sollte, den Krieg mitten in die russische Gesellschaft.

Auf der anderen Seite sind die Folgen für die europäische Wirtschaft noch nicht abzusehen. Es ist klar, dass es zu einem Wohlstandsverlust kommen wird. Wie dramatisch der ausfallen wird? Das kommt wohl darauf an, in welchem Bereich des Mittelstands der Betroffene lebt. Am unteren Rand wird es sicherlich bitter werden. Wenn zum Beispiel eine Verdreifachen der Stromrechnung in ernste Probleme stürzt, wer bei einer Verdoppelung der Heizkosten anfängt, im Wintermantel in der Stube zu sitzen, der wird’s schwer haben.

Die offiziellen Inflationszahlen widerspiegeln nur sehr ungenügend die sogenannte gefühlte Inflation, also was in der Lebenswirklichkeit des Konsumenten ankommt. Dort liegt die Inflationsrate bereits locker im zweistelligen Bereich. Auch das wird kein schnell vorübergehender Zustand sein. Und wie lange der Staat noch in der Lage ist, die Folgen der Sanktionspolitik mit Geld zuzuschütten, steht ebenfalls in den Sternen.

Also rundum unfrohe Aussichten …

Flatliner

Das bedeutet: nicht messbare Hirnaktivität. Schlimm für einen «Kognitionspsychologen».

Professor Christian Stöcker ist «Spiegel»-Kolumnist. Die Studenten der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wo er leert, sind zu bedauern. Denn von Lehren kann keine Rede sein.

In seiner jüngsten Kolumne beklagt er: «So schafften es Putins Lügen bis in den Bundestag». Denn: «Russland investiert Hunderte Millionen Dollar, um Politik zu beeinflussen – auch in Europa, auch in Deutschland

Mit Kognition bezeichnet man die Aufnahme, Verarbeitung und Speicherung von Informationen. Von wo hat der Professor denn seine Informationen aufgenommen? Aus unabhängiger und vertrauenswürdiger Quelle: «Mindestens 300 Millionen US-Dollar hat Russland seit 2014 in anderen Ländern »investiert«, Hunderte weitere Millionen seien geplant, meldete unter anderem die «New York Times»unter Berufung auf US-Geheimdiensterkenntnisse.»

Würde einer seiner Studenten das als Basis für eine Seminararbeit nehmen, der Professor würde ihn hoffentlich aus dem Hörsaal jagen. Eine Sekundärquelle, die sich auf angebliche, anonyme «Geheimdiensterkenntnisse» bezieht. Das ist schon mal ziemlich flatlining. Oder an Lächerlichkeit schwer zu überbieten.

Dann macht Stöcker auf unbeeindruckt: «Mich persönlich hat diese Meldung kein bisschen überrascht, im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass die 300 Millionen nur ein kleiner Teil des Geldes sind, das Wladimir Putins Regime seit vielen Jahren und an vielen Stellen investiert, um westliche Demokratien und andere Länder zu destabilisieren.»

Es gibt interessante kognitive Studien, wieso der Mensch Informationen viel lieber und unkritischer aufnimmt, die seiner vorgefassten Meinung entsprechen – als ihr widersprechende. Auch wenn die ihm genehmen Informationen offenkundig falsch, unbelegt, dünn oder absurd sind. So ist der Mensch halt, so ist auch ein «Kognitionspsychologe».

Nun kann man natürlich mit Sicherheit davon ausgehen, dass Russland Geld einsetzt zur Landschaftspflege, wie das in Deutschland hiess, als der Flick-Konzern das halbe politische Personal auf seiner Payroll hatte. Sich mit Geld positive Nachrichten zu erkaufen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, Gerüchte, Verschwörungstheorien und Lügen in die Welt zu setzen, das gegnerische Lager zu verwirren, das gehört zur Staatspolitik, seit es Grossmächte gibt.

Die CIA ist darin der unbestrittene Meister, was – im Gegensatz zu diesen «Geheimdiensterkenntnissen» schon x mal dokumentiert und aufgearbeitet wurde, Hier ist ein schöner Überblick. Es hat doch gewisse Vorteile, dass es im Westen eine einigermassen freie Presse gibt, bei allen Einschränkungen.

Beschränkt ist hingegen, wer sein Augenmerk so voreingenommen und mit Tunnelblick auf die subversiven Tätigkeiten Russlands richtet. Und dabei nicht einmal die Massenvernichtungswaffen-Lüge erwähnt, der wohl grösste Propaganda-Stunt der letzten Jahrzehnte. Eine brandschwarze Lüge, die die USA verbreiteten, um ihren völkerrechtswidrigen Einmarsch in den Irak zu rechtfertigen.

Aber zurück zu Russland. Und der kognitiven Dissonanz bei Stöcker: «Die US-Regierung vermutete schon 2015, dass Putin außerdem Jobbik in Ungarn und die Lega Nord in Italien finanziell unterstützte, aber auch Italiens Fünf-Sterne-Bewegung, Griechenlands Syriza und, das wurde damals aber als Vermutung der USA formuliert, eventuell auch die Linke in Deutschland.»

Also die US-Regierung vermutet, was im Fall der Linken in Deutschland nochmal als Vermutung formuliert wird, also sozusagen eine doppelte Mutmassung. Damit will sich Stöcker vor potenziellem Ärger bewahren, denn solche Behauptungen sind einwandfrei rufschädigend für eine legale politische Partei. Die Bezeichnung Dummschwätzer könnte man auch übel nehmen, aber die hat er sich hier redlich verdient.

Nun macht Stöcker das, was auch der «Republik» in der Schweiz lieb ist: namentliche denunzieren: «Jürgen Elsässer, früher Links- nun schon lange Rechtsextremist und Chefredakteur des »gesichert extremistischen« Magazins »Compact«; Leute, die mit Verschwörungscontent Geld verdienen wie Ken Jebsen und Heiko Schrang. Und auch Eva Hermann wird erwähnt

Solche Rüpeleien sind immer dann besonders toll, wenn man den Angerempelten keine Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Nachdem er so einige ihm missliebige Gestalten verleumdet hat, widmet er sich einem russischen Propaganda-Thema: «Russland hat in den vergangenen Jahren diversen seiner Nachbarstaaten US-finanzierte Biowaffenlabore angedichtet, zum Beispiel Kasachstan, Georgien, Aserbaidschan und eben der Ukraine

Es ist richtig, dass die Existenz dieser «Biowaffenlabore» ungefähr so schlüssig nachgewiesen ist wie der Besitz von biologischen Massenvernichtungswaffen von weiland Saddam Hussein. Nun kämpft sich Stöcker aber einen Schritt weiter: «Anfang März behauptet dann auch »Fox News«-Propagandist Tucker Carlson in seiner Show, in der Ukraine gebe es geheime US-Biowaffenlabore. Carlson bezeichnet das Dementi des eigenen Außenministeriums als »Lüge«

Nun kommt Stöcker zum Höhepunkt, der Passage, in der sein Kolumnen-Titel gestützt wird: «Am 25. März 2022 hat es die alte Geschichte dann im neuen Gewand auch in den Bundestag geschafft: Am Pult des deutschen Parlaments steht an diesem Tag Steffen Kotré von der AfD und sagt: »Wir müssen auch über die Biowaffenlabore in der Ukraine reden, die gegen Russland gerichtet sind.«»

Kotré ist nun tatsächlich nicht das hellste Licht auf der Torte der AfD. Aber dass ein Abgeordneter im Bundestag Unsinn verzapft ist nun ein Phänomen, das sich nicht unbedingt auf die AfD beschränkt. Aber Stöcker schwant dahinter ganz Übles:

«Wir haben es – und zwar mit absoluter Sicherheit nicht nur bei der »Biolabs«-Verschwörungserzählung – mit einer konzertierten, gründlich geplanten und koordinierten Aktion zu tun. Unterstützt zum Teil durch freiwillige Hilfe aus der Szene der Verschwörungsfans und derer, die mit Verschwörungscontent Geld verdienen

Da ist wieder die Sprache des Kalten Kriegs, wo Kalte Krieger im Westen ständig Angst davor hatten, dass die Roten, die Moskau-Hörigen unsere freie Meinungsäusserung dazu missbrauchen, mit koordinierten Aktionen den Westen zu destabilisieren. In der Schweiz erreichte die Hysterie mit der Fichierung von Zehntausenden von Staatsbürgern ihren Höhepunkt. Angesichts dieser Paranoia des «Koginitionspsychologen» ist zu befürchten, dass er auch Akten über Kollegen und Studenten angelegt hat, die er als Teilnehmer an dieser «koordinierten Aktion» vermutet. «Freiwillig» als nützlicher Idiot oder eiskalt planend.

Aber es gibt einen Hoffnungsschimmer:

«Hoffentlich ist die eingangs zitierte Veröffentlichung des US-Außenministeriums der Einstieg in eine international konzertierte Aktion, die Putins Propagandisten in der Öffentlichkeit, den sozialen Medien und der Politik endlich auf den Präsentierteller stellt. »Die Vereinigten Staaten werden offizielle Kanäle nutzen, um die betroffenen Länder mit als geheim eingestuften Informationen über russische Operationen zu informieren, die auf ihre politische Sphäre zielen«, heißt es in dem eingangs zitierten Dokument. Es wird höchste Zeit. Wir haben Putins Propagandisten viel zu lange gewähren lassen.»

Es ist ein alter Scherz, aber hier leider wieder angebracht. Die meisten beratenden Psychologen brauchen selbst psychologische Beratung. Wenn jemand dann ausgerechnet auf dem Feld der Kognition forscht und lehrt, dabei einen solchen dissonanten Diskurs führt, wird’s aschgrau. Dass der «Spiegel» diesen Stuss veröffentlicht, verwundert hingegen nicht.

Schuss nach hinten

Wir wollten uns an der «Weltwoche» laben. Aber …

Manchmal sagt ein Titelbild mehr als tausend Worte:

Ein auch schon von ZACKBUM verwendetes Symbolbild; da fehlt nur noch die Hand des WeWo-Redaktors, der den Revolver abfeuert. Aber der Reihe nach. Zunächst: Die WeWo behauptet, das sei eine «Illustration von Wieslaw Smetek für die Weltwoche». Vielleicht müsste sie mal ein ernstes Wörtchen in Sachen copy/paste mit ihm reden, denn dieses Symbolbild geistert in x Varianten durchs Internet:

Zuerst, wir sind unparteiisch, streng, aber gerecht, müssen wir Roger Köppel loben. Er schreibt nicht über Religion in seinem Editorial. Sondern über Churchill, die Geschichte und überhaupt. Ach, und als SVP-Nationalrat gegen den FDP-Parteichef Thierry Burkart. Wobei Köppels politisches Amt natürlich überhaupt nichts mit seiner Position als Journalist zu tun hat.

Aber es sei ihm diesmal alles verziehen, denn dieses Bonmot von Henry Kissinger, dem alten Kriegsverbrecher und Friedensnobelpreisträger, kannten wir nicht:

«Um sich einer Sache absolut sicher zu sein, muss man entweder alles darüber wissen oder nichts.»

Wenn sich das die WeWo doch nur auch öfter zu Herzen nähme.

Allerdings hat Köppel ja ein neues Steckenpferd, und das müssen nun seine Untergebenen zu Schanden reiten. Also echot Beat Gygi in der Titelgeschichte brav: «Besonders in der Gasversorgung wird klar, dass die Russland-Sanktionen das Dümmste sind, was Europa machen konnte.» Die steile These: Russland merke gar nicht viel von den Sanktionen, dagegen habe sich «Europa nicht nur eine selbstverschuldete Energiekrise eingebrockt. Man unternimmt nun alles, um bei deren Bewältigung die Marktkräfte auszuschalten …»

Das ist in etwa so blühender Unsinn, wie Putin als den «Missverstandenen» aufs Cover zu heben, als er gerade in die Ukraine einmarschieren lässt, oder der UBS zu ihrer Krisenbewältigung zu gratulieren, als sie gerade wieder angekrochen kam und um Staatshilfe betteln musste. Nun geht’s also um die steile These, dass die Sanktionen dumm seien. Kontraproduktiv. Ein Schuss ins eigene Knie. Falsch, Unsinnig.

Es herrscht (noch) Meinungsfreiheit in der Schweiz, daher sei diese Meinung unbenommen. Nur ist ist fragwürdig, weil zu ihrer Stützung die Auswirkungen in Europa dunkelschwarz, in Russland blendend weiss gemalt werden. Sicherlich hühnert das politische Personal in der EU (und in der Schweiz) aufgeregt gackernd herum. Aber die versammelte Wirtschaftskraft wird diese Krise mehr oder minder problemlos stemmen. Russland hingegen siecht merklich, zunehmend dahin. Denn es ist heutzutage halt so, dass nur ein winziger Chip fehlen muss, und eine Riesenmaschine, ein Kampfflieger, die ganze Aeroflot, Produktionsstrassen und Massenprodukte fallen flach.

Die Zerstörung der Beziehungen zwischen Russland und Europa wird mittelfristig der Atommacht mit angeschlossener Rohstoffproduktion viel mehr schaden als dem energiehungrigen Westen. Russland könne «Lieferbeziehungen in den Osten, etwa nach China aufbauen», fantasiert Gygi. Vielleicht sollte er sich einmal schlau machen, wie lange der Aufbau der dafür nötigen Infrastruktur dauert. Ausserdem: für Russland wäre es viel besser, über Wirtschaftsbeziehungen mit dem liberalen und marktwirtschaftlichen Westen verbandelt zu sein – als in Abhängigkeit vom rabiat-egoistischen chinesischen Regime zu geraten.

Auch der Schlusssatz des Auftragsartikels zeugt nicht gerade von tiefer Durchdringung der Materie; der Staat nehme dem Stromriesen Axpo «mit Milliarden  Strompreisrisiken ab». Na und, kann man da nur sagen, das Geld wird wie bei UBS wieder zurückkommen.

Und sonst? Mörgeli wandert in den Fussspuren von ZACKBUM und faltet den Konzernjournalisten Philipp Loser zusammen. Wolfgang Koydl jubiliert, dass die Demonstration in Prag ein «Vorbote für einen heissen Herbst in Europa» sei. Alles so schrecklich erwartbar.

Dann reitet ein weiteres Steckenpferd Köppels durchs Blatt. Niemand sonst will noch etwas vom Münchhausen-Imitator Tom Kummer veröffentlichen – oder lesen. Auch die WeWo beendete schon mal die Zusammenarbeit. Aber Köppel muss eine verborgene Ader als Sozialarbeiter haben. Vielleicht ist er eben doch ein Gutmensch, der versteht und verzeiht, Gefallenen die Hand reicht, seinen Mantel teilt wie weiland St. Martin auf der alten Hunderternote. Auf jeden Fall darf Kummer wieder mal «basierend auf wahren Begebenheiten» irgendwas über irgendwen schreiben. ZACKBUM ist nicht weiter als bis zur Autorenzeile gekommen. Und zweifelt seither, ob es Irène Kälin wirklich gibt. Ob sie sich mit Kummer getroffen hat. Und ob es ihn wirklich gibt. Drei wertvolle WeWo-Seiten verschwendet, wie schade.

Dann ist natürlich die SP und die ehemalige CVP für das «Schlamassel in der Stromversorgung verantwortlich». Schweden wird zum «gefährlichsten Land des Kontinents», wegen «Bandenmorden». Das wird aber diverse südöstliche Staaten Europas ungemein freuen, dass sie angeblich von Schweden überholt wurden.

Dann interviewt Pierre Heumann ausgerechnet John Bolton über das Vermächtnis von Gorbatschow. Bolton ist der Flachdenker, der zuerst allen politischen Schwachsinns Trumps durch alle Böden verteidigte, dann dennoch von ihm gefeuert wurde und auf dem Absatz kehrt machte und seinen ehemaligen Herrn und Meister in allen Tonlagen beschimpfte. Das hat Gorbi nun wirklich nicht verdient.

Überraschend wird Liz Truss zur «richtigen Frau zur richtigen Zeit» ernannt. Bei der Trefferquote der WeWo bei solchen Prognosen dürfte sie eine eher kurze Karriere vor sich haben.

Und schon kann man wieder im Feuilleton durchatmen, um «Leben heute» zu überblättern. Also Hand aufs Herz, im Reich der blinden Kolumnisten der Mainstream-Medien sind die Einäugigen Könige. Aber im Ernst, Huisseling, Reichlin, Burchill, Schnapp als Gourmet-Autotester und schliesslich Häfliger als «wer war wo und wollte warum gesehen werden»-Kolporteur, von David Schärer oder Dania Schiftan (diesmal über Analsex, den angeblich eine Frau will, während es ihn «davor graust»), plus das schon vor 30 Jahren angestaubte «indiskrete Interview»: da entwicklen sich ganze neun Seiten der WeWo doch zu verwehten Wanderdünen, in denen abgehalfterte, leergeschriebene und ausgebrannte Nulpen nicht mal anständig eine Locke auf einer Glatze drehen können.

Auch schade.

 

 

Via Matteo Civitali 104

Was das ist? Die Adresse einer Peinlichkeit.

Die Welt ist kompliziert, widersprüchlich und unübersichtlich. Das geht im heutigen Sparjournalismus natürlich nicht. Denn das würde ja eine differenzierte, kompetente, intelligente Berichterstattung erfordern. Von Journalisten, die genügend Grips und Zeit haben, um ihre Konsumenten mit Analyse, Einordnung, Gewichtung zu versehen. Was eigentlich eine geldwerte Leistung wäre.

Geld kassieren wollen die Journalisten schon. Also genauer gesagt in der Schweiz die Medienclans, denen sie gehören. Mit der kleinen Ausnahme NZZ, dem einsamen Leuchtturm. In der Dunkelheit, im Schattenwurf von Walder-Ringier, Coninx-Supino und Wanner-Wanner.

Einfach gestrickte Journalisten brauchen einfache Weltbilder. Schön, wenn es ihnen die Welt vermeintlich so einfach macht. In der Ukraine ist die Sache glasklar. Es gibt einen Schurken, einen Bösen, einen Kriminellen. Verrückten. Von Wahn und Grossmannssucht befallenen Autokraten. Einen wahren Teufel, einen typisch russischen Barbaren, an dem die Segnungen der westeuropäischen Zivilisation spurlos vorbeigegangen sind. Mit einem Wort: Putin.

Das Bild ist auch nicht ganz falsch, denn der Herrscher im Kreml ist unter Bruch aller Zusicherungen und Verträge völkerrechtswidrig in die Ukraine eingefallen. Und hat bislang alle grossmäulig angekündigten Kriegsziele verfehlt. Keine «Befreiung» der Ukraine von angeblich faschistischer Herrschaft, keine Entnazifizierung. Stattdessen verlustreiche Stellungskriege, Elend, Zerstörung und für lange Zeit irreparabler Schaden in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen.

Auf der anderen Seite braucht jedes Stück einen Helden, wenn es einfach gestrickt ist. Daher sieht man im Westen gerne darüber hinweg, dass auch der ukrainische Präsident korrupt ist, nur mit Hilfe eines ukrainischen Oligarchen an die Macht kam, der damit ein klitzekleines Problem mit verschwundenen Milliarden aus der Welt schaffte.

Dass die gleichen Medien, die sich nun in Lobhudeleien des tapferen Helden und Kämpfers Selenskij überschlagen, noch vor nicht allzu langer Zeit anhand der gestohlenen Unterlagen der Pandora Papers über seine mehr als dubiosen Finanzkonstrukte berichteten, was soll’s. Zwar richtiges, aber aus heutiger Sicht dummes Geschwätz von gestern.

Nun wird es allerdings noch eine Runde peinlicher. Denn der saubere, aufrechte, strahlende Held besitzt auch eine schnuckelige Villa in Italien. Schätzwert: rund 4 Millionen Franken. Gute Lage in Forte de Marmi (Toskana). Via Matteo Civitali 104, 600 Meter bis zum Meer, auch Roman Abramowitsch (und andere russische Milliardäre) weiss die Lage zu schätzen.

Diese Villa, verständlich, wird vermietet. So will die italienische Zeitung «Il Tirreno» wissen, dass sie im Monat August für schlappe 50’000 Euro Mieter gefunden hat:

Dabei soll es sich allerdings, oh Schreck, o Graus, um Russen handeln. Auch der «Blick» kolportiert diese Meldung:

So neben den üblichen Kriegsmeldungen. Dabei macht der «Blick» die Nationalität der Mieterschaft zum grossen Thema. Um über das eigentliche Thema hinwegzugleiten: wie kann sich ein ukrainischer Präsident (offizielles Monatseinkommen 847 Franken) eine Millionenvilla in der Toskana leisten? Eine Wohnung in London? Diverse Offshore-Konstruktionen auf Zypern, Belize und den Jungfrau-Inseln?

Ach so, aus seiner früheren Tätigkeit als TV-Komiker. Das scheint in der Ukraine eine wahre Goldgrube zu sein. Sicher, das ist alles ein Klacks im Vergleich zu den Reichtümern, die Putin nachgesagt werden. Aber der verdient ja auch offiziell immerhin 114’000 Franken im Jahr. Zehnmal mehr als Selenskij.

Eine Villa in der Toskana und ein Millionenvermögen machen den ukrainischen Präsidenten nun nicht zum Schurken. Aber doch zum weniger strahlenden Helden, als der Simpel-Journalismus ihn anschmachtet.

Wumms: Stefan Schmid

Früher hatte das «Tagblatt» noch Niveau. Heute hat es Stefan Schmid.

Als das St. Galler «Tagblatt» noch der NZZ gehörte, legte man Wert auf ein gewisses Niveau. Seit es zu CH Media gehört, amtiert zwar immer noch der gleiche Chefredaktor. Aber der ist längst zum Mann am Fenster runtergestuft; die Inhalte (ausser Lokales) kommen von der Zentralredaktion in Aarau. Das Einzige, was zur Frustbekämpfung bleibt, ist der Kommentar.

Bundesrat Ueli Maurer ist einer der Lieblingsfeinde von Schmid, und der hat sich doch tatsächlich zur SVP Ausserrhoden begeben, also ins Terrain von Schmid. Das muss der natürlich verbellen und verbeissen. Gnädig kanzelt Schmid den Bundesrat ab, denn dessen «Lageanalyse, die in den Grundzügen zwar nicht falsch» sei, «in der Substanz aber keineswegs in Einklang mit der Aussenpolitik des Bundesrats ist». Logische Folgerung: dann ist die Aussenpolitik des Bundesrats in den Grundlagen und in der Substanz falsch. Aber Schmid und Logik, wahrscheinlich bei Geburt getrennt.

Ginge es nach Schmid, «Maurer wäre seinen Posten im Kabinett wohl längst los». Leider geht es aber nirgendwo mehr nach Schmid, obwohl der doch die ganze Welt ordnen könnte. Maurer sehe im Ukrainekrieg nur einen «Stellvertreterkrieg», wo es doch in Wirklichkeit «ein gefährlicher Angriff auf eine europäische Ordnung» sei, «der im Kern auch einen Kleinstaat wie die Schweiz bedroht».

Wie steht es denn um die guten Dienste des Kleinstaats, nach Schmid? «Es scheint, vorsichtig formuliert, naiv, dem skrupellosen Zyniker Putin ein Schutzmachtmandat in der Ukraine anzubieten. Das gab diesem bloss die Gelegenheit, der Schweiz genüsslich einen vermeintlichen Neutralitätsbruch wegen der Übernahme der EU-Sanktionen vorzuhalten.»

Frechheit aber auch von Putin, die folgsame Übernahme ohne Prüfung von EU-Sanktionen ist doch kein Neutralitätsbruch. Überhaupt: «Schutzmachtmandate, also die Vertretung konsularischer Interessen anderer Staaten, sind wie andere gute Dienste schön und nett.» Aber eigentlich «von untergeordneter Bedeutung», urteilt Weltenkenner Schmid wegwerfend.

Vergesst Russland, rät er, denn: «Die Schweiz muss sich stattdessen im Grundsatz neu positionieren. Der Elefant im Raum ist der Umgang mit China.» Diesen Elefanten meint nur Schmid zu sehen, daher hat er noch weitere Ratschläge parat: «Neutralität gegenüber autokratischen Herrschern ist weder in unserem Interesse, noch liegt sie realpolitisch drin.»  Hurra, wir haben eine Neudefinition der Schweizer Neutralität. Erfunden von Schmid.

Zum Schluss hat er einen geschmackvollen Vorschlag auf Lager: «Ja, wir werden auch den Chinesen den Finger zeigen müssen.»

Wie gut, dass niemand auf Schmid hört und der so unbedeutend ist, dass man ihm nicht mal den Stinkfinger zeigen mag.

Blöd-«Blick», reloaded

Aus der Verrichtungsbox im Newsroom.

Wir brauchen neue Storys über Putin, sagt der Tagesleiter im Newsroom, und die Kindersoldaten, mit nichts mehr bewaffnet als einem Computer mitsamt Internetanschluss, machen sich auf die Suche. Sie picken und scharren und rufen schliesslich kikeriki.

Genaueres regelt dann die Bildlegende im Artikel:

Der Beweis: schlaff herunterhängender Arm. Und überhaupt, wer sich mit der linken Hand am rechten Ohr kratzt, hat ein Problem.

Aber damit nicht genug der verblüffenden Neuigkeiten von und über Putin. Trotz schlaffem Arm sorgt sich der Kremlherrscher nämlich auch um seine Zukunft:

Normalerweise gehören Fluchtpläne von Diktatoren und Autokraten zum Geheimsten, was es so gibt auf der Welt. Hier aber hat «Blick» eine verlässliche Quelle aus erster Hand: das schreibe «auf Telegramm ein Russe, angeblich Kreml-Insider und ehemaliger Geheimdienst-Offizier».

Dieser angebliche Insider weiss um die Vorbereitungen Putins, sollte die Invasion der Ukraine scheitern und die Stimmung in Russland gegen ihn umschlagen: «In diesem Falle würde Putins Flugzeug bereitstehen. Er würde mit seiner Familie und seiner Gefolgschaft nach Syrien flüchten und dort im Exil leben wollen, behauptet der Telegramm-Kanal von «General SVR»

Ein Fluchtplan ist allerdings nur so gut wie sein Flugplan. Und da sieht dann der «Blick» ein klitzekleines Problem: «Der Flug von Russland nach Syrien würde jedoch durch den Luftraum der Türkei führen, ein Nato-Mitgliedsstaat. Würde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) dem Putin-Flieger die Erlaubnis verweigern, würde dies die schnellste und möglicherweise einzige Fluchtroute Putins zunichtemachen.»

Das wäre dann echt blöd für Putin, wenn er flüchten will, aber nicht fliegen kann. Aber es gibt noch einen Plan B: den Iran. Sollte das mit Syrien nicht klappen, dann halt bei den Mullahs und Ayatollen in Teheran.

Frage: will uns damit der «Blick» auf seinen schlaffen Arm nehmen?