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Der Fall Prigoschin

Ein genauerer Blick auf seine Feinde und mögliche Mordmotive. Und nein, der Täter ist nicht der, den Sie vielleicht vermuten!

Von Felix Abt

Joe Biden reagierte auf die Nachricht von Prigoschins Tod mit der Aussage: «Es gibt nicht viel, was in Russland passiert, hinter dem Putin nicht steckt«, und insinuierte damit, dass der russische Präsident der Anstifter für die Ermordung des Chefs der russischen privaten Söldnerarmee PMC Wagner war. Ein amerikanischer Präsident kennt sich sicher aus in aussergerichtlichen Exekutionen, da dies zu seinem eigenen Aufgabenbereich gehört. Die letzte Tötung, von der wir wissen, dass dieser Oberbefehlshaber dafür verantwortlich ist, war die Ermordung einer unschuldigen zehnköpfigen Familie in Kabul durch einen US-Drohnenangriff.

Das Urteil vieler im Westen wurde sofort nach Bekanntwerden der Nachricht gefällt, reflexartig, ohne Klärungen und Untersuchungen abzuwarten und ohne über mögliche Täter und Motive nachzudenken.

Der Spiegel ist durchaus repräsentativ für die Leitmedien im deutschsprachigen Raum. Und wenn er nicht gerade Lügen à la Relotius verbreitet, dann zumindest dümmliche antichinesische oder antirussische Propaganda, einschliesslich einer Verschwörungstheorie, in der zwangsläufig der pöhze Putin die Hauptrolle spielt.

Warum sollte man sich also nur auf eine Partei, die Russen und Putin, konzentrieren, wenn Prigoschin viele Feinde hatte? Dass Prigoschins gescheiterte Meuterei zu einer tiefen Kluft mit Putin und dem russischen Staat führte, ist unbestritten.

Eine Chance für Prigoschins Feinde

Aber gerade diese Tatsache könnte viele seiner Feinde zu der Überzeugung gebracht haben, dass Prigoschin sehr verwundbar war, weil er nicht mehr unter dem Schutz des russischen Staates stand und die russischen Behörden möglicherweise keine Massnahmen ergriffen, um seinen Tod zu rächen. Wäre das nicht ein Anreiz, eine willkommene Gelegenheit, auf die seine Feinde schon lange gewartet hatten, um Prigoschin loszuwerden?

Die Affäre wird vielleicht nie ganz aufgeklärt werden, vor allem bei jemandem wie Prigoschin, der einen Grossteil seines Lebens im Verborgenen verbracht hat, und wir werden vielleicht nie ein vollständiges Bild von den Geschehnissen bekommen, und die Hintermänner sind vielleicht nicht zu fassen.

Dennoch sollten wir tun, was westliche Politiker und ihre Medienpartner nicht tun:

Ein Blick auf die möglichen Mörder und ihre Motive

Bevor wir mögliche Verdächtige überprüfen, sollten wir die Möglichkeit eines Unfalls in Betracht ziehen, der nicht völlig ausgeschlossen werden kann: Das Embraer-Flugzeug von Prigoschin war alt und wurde vom Embraer-Flugzeughersteller aufgrund westlicher Sanktionen schlecht gewartet und gepflegt. Prigoschin und seine Befehlshaber waren sicherlich leichtsinnig, als sie dieses Flugzeug gemeinsam flogen. RT berichtete, dass Prigoschins Pilot nach einer Impfung an einer Herzmuskelentzündung litt und erwähnte die Möglichkeit, dass ein Herzinfarkt den Absturz verursacht haben könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen ihm den Tod wünschten, ist es wahrscheinlicher, dass sein Tod durch einen Mord als durch einen Unfall verursacht wurde.

Es gibt keine Hinweise darauf, dass der Absturz durch eine Luft-Luft- oder eine Boden-Luft-Rakete verursacht wurde. Die Explosion wurde wahrscheinlich durch eine Bombe an Bord verursacht.

Prigoschin hatte ein aussergewöhnliches Leben mit vielen Aktivitäten, die oft umstritten und gewalttätig waren und ihm viele Feinde einbrachten, die als Täter betrachtet werden könnten:

Es könnte das Ergebnis eines internen Machtkampfes innerhalb der PMC Wagner gewesen sein. Harte, rücksichtslose Männer, die aus allen möglichen Gründen extrem wütend auf Prigoschin waren und sich auch durch die Organisation der Meuterei angegriffen fühlten, könnten Rache genommen haben. Sie kannten seine Reisepläne und könnten sein Sicherheitspersonal infiltriert und eine Bombe platziert haben.

Freunde und Familien von gefallenen Wagner-Soldaten hätten sich für die Zehntausenden von Männern rächen können, die, wie Prigoschin zugab, in die Schlacht geworfen wurden und dort starben. Selbst das russische Verteidigungsministerium (und Putin) waren entsetzt über die Art und Weise, wie er es tat (weshalb die russische Regierung im Februar 2023 die Rekrutierungsverfahren änderte und Prigoschin nicht mehr erlaubte, Gefangene zu rekrutieren, und die Rekrutenausbildung verlängern musste). Viele dieser Personen haben einen kriminellen, gewalttätigen Hintergrund und sind möglicherweise wütend darüber, dass er den Tod ihrer Angehörigen und Freunde verursacht hat. Kriminelle Netzwerke könnten sich an Wagners gewandt haben, um eine Bombe im Flugzeug anbringen zu lassen.

Andere Menschen in Russland: Einige Oligarchen sympathisierten mit Prigoschin und seiner Meuterei. Nachdem die Meuterei gescheitert war, wollten sie ihn möglicherweise zu ihrer eigenen Sicherheit loswerden, um nicht entdeckt zu werden. Möglicherweise haben sie Wagners korrumpiert und ihn ermorden lassen.

Unmittelbar vor dem Absturz seines Flugzeugs in der Nähe von Moskau war Prigoschin in Afrika. Dort traf er mit Regierungsvertretern aus der Zentralafrikanischen Republik zusammen, denen er Sicherheitsunterstützung zusicherte.

Er traf auch sudanesische Milizenführer, die gegen die sudanesische Regierung kämpfen, und beriet sich mit Regierungsvertretern aus Mali. In seinem letzten Video, das er während seines Aufenthalts in Afrika aufnahm, erklärte er, dass er den Afrikanern helfen wolle, das Joch des Westens abzuschütteln.

Die stellvertretende US-Außenministerin Victoria Nuland warnte die afrikanischen Regierungen vor einer Zusammenarbeit mit Wagner. Die Vereinigten Staaten sprachen sich auch gegen die Anwesenheit Wagners in Belarus aus. Prigoschin wollte den Einfluss Russlands in Afrika ausweiten und überschritt damit eine von den Vereinigten Staaten gesetzte rote Linie. Die USA hatten also auch ein Motiv, ihn loszuwerden, und mit der grössten und ausgefeiltesten Geheimdienstorganisation der Welt wären sie auch in der Lage, eine solche Aktion zu organisieren, wie sie es in der Vergangenheit getan haben.

Frankreich sieht seinen Einfluss in Westafrika schwinden und ist umso besorgter über den Einfluss Wagners und hatte daher ein Motiv, Prigoschin ebenfalls zu töten, auch wenn es im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten möglicherweise nicht über die Möglichkeiten für eine solche Operation innerhalb Russlands verfügt.

Prigoschin mag in Afrika einige mächtige Freunde gehabt haben, aber er hatte auch einige ernsthafte Feinde, da er mit allen möglichen zwielichtigen Gestalten zu tun hatte, darunter auch mit Leuten aus dem Blutdiamantengeschäft, die ihn möglicherweise aus eigenen Gründen loswerden wollten.

Präsident Selensky bestritt, irgendetwas mit dem Tod Prigoschins zu tun zu haben. Aber sein Wort könnte genauso viel wert sein wie seine Behauptung, Russland habe Polen mit einer Rakete angegriffen, die polnische Bürger getötet hat, obwohl es sich um eine ukrainische Rakete handelte. Auf der ukrainischen «Myrotvorets«-Attentatsliste war Prigoschin ein prominentes Ziel. Andriy Yermak, Leiter des Büros von Präsident Selenky, und Mykhailo Podolyak, Berater von Selensky, haben in der Vergangenheit erklärt, dass sie Prigoschin in die Hölle schicken wollen. Die Ukraine hat auf eigene Faust eine Reihe von Russen auf russischem Boden ermordet. Diese Operationen waren ziemlich raffiniert. Sie hätten das Motiv und die Fähigkeit, Prigoschin innerhalb Russlands zu töten.

Allein der Zeitpunkt und die Umstände sprechen gegen ein Motiv des Juristen Putin

Jeder Medienkonsument weiß, dass Putin ein ehemaliger KGB-Offizier war. Weniger bekannt ist, dass er in St. Petersburg Jura studiert und einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften hat. Diejenigen, die ihn näher kennen, wissen, dass er vorsichtig ist, vielleicht ein Teil des Juristen Putin, und berechnend. Selbst wenn er Prigoschin loswerden wollte, würden der Zeitpunkt und die Umstände gegen ein solches Vorgehen sprechen. Immerhin hat Putin grosse Anstrengungen unternommen, um einen reibungslosen BRICS-Gipfel mitzuorganisieren und den BRICS-Ländern zu versichern, dass Russland stabil ist. Prigoschins Flugzeug samt Piloten und Besatzung mitten auf dem BRICS-Gipfel öffentlich in die Luft zu jagen, macht keinen Sinn. Wäre Prigoschin zu einem späteren Zeitpunkt ums Leben gekommen, beispielsweise bei einem Hinterhalt von Terroristen in Afrika, die vom russischen FSB finanziert wurden, hätte niemand eine russische Beteiligung vermutet, und die Peinlichkeit für den Kreml wäre vermieden worden. Aber wenn die russischen Behörden Prigoschin aus dem Weg räumen wollten, wäre es naheliegend gewesen, ihn der Korruption zu bezichtigen, da dies zweifellos ein wesentlicher Bestandteil seines Geschäftsmodells war.

Sicherlich hatte auch die militärische Führung ein Hühnchen mit Prigoschin zu rupfen, der sie oft öffentlich beleidigt hatte. Aber ohne die Zustimmung des Präsidenten hätten sie wohl kaum eine solche Operation organisiert. Ausserdem gehörten Wagners militärische Befehlshaber wie Utkin, der mit Prigoschin im Flugzeug saß, Berichten zufolge immer noch dem russischen Militärgeheimdienst GRU an. Und wenn es sich um einen Enthauptungsschlag gegen PMC Wagner handelte, wäre er wahrscheinlich von einer ausländischen Macht durchgeführt worden, die von der Anwesenheit ihrer militärischen Führer an Bord des Flugzeugs wusste und sie ins Visier nahm.

Professor Albert Stahel, Experte für Verschwörungstheorien — seine eigenen!

Ausserdem stellte Prigoschin keine Bedrohung für Putin dar. Nach einer schrecklich gescheiterten Meuterei würde er keine weitere wagen. Nach seinem Tod beschrieb Putin Prigoschin als einen Geschäftsmann, der für sich selbst und für das Gemeinwohl gute Ergebnisse erzielte, wenn Putin ihn darum bat. Putin spielte darauf an, dass Prigoschin zwar sehr egoistisch, aber nicht staatsgefährdend war. Da Prigoschin seine Abmachung mit Putin einhielt und fortan als Teamplayer agierte, bestand keine Notwendigkeit, ihn aus dem Weg zu räumen. Putin hatte also kein zwingendes Motiv.

Wumms: Sanija Ameti

Und schon wieder verabschiedet sich ZACKBUM von einer Tieffliegerin.

Wir haben uns fürsorglich, belustigt, befremdet oder abgestossen mit der Bachelorette der Politik befasst. Sie hat eine lange Karriere von kräftigen Sprüngen in Fettnäpfchen hinter sich, die immer wieder für einen Lacher oder Aufreger gut waren.

Aber nun ist sie einmal zu viel gesprungen, jedenfalls für ZACKBUM. Sie durfte an einem Podium zu den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU im Europäischen Parlament sprechen. Das hätte die grünliberale Politikerin besser seinlassen.

In ihrem ewigen Bemühen, gähnlangweiligen Aussagen etwas Pep zu verleihen, rastete sie hier verbal völlig aus. Im Originalton:

«Immer das Gleiche gebetsmühlenartig bei jeder Abstimmung, dann macht das etwas in den Köpfen. Dann wachsen die Kinder in diesem Diskurs, in diesem Narrativ auf. Und ich muss, vielleicht ist das etwas zu krass formuliert, aber das Prinzip ist das selbe wie wenn Putin seit zehn Jahren irgendwelchen Stuss erzählt. Es ist das Ergebnis von jahrzehntelanger Propaganda.»

Ameti geruht hier, die Kritik der SVP an der EU oder dem EuGH mit der Propaganda Putins zu vergleichen. Alle Kontrahenten der «Operation Libero», alle politischen Gegner der Grünliberalen können nur hoffen und beten, dass diese verbale Amokläuferin dort noch möglichst lange ihr Unwesen treibt.

Mit einem solch geschmacklos-schrägen Vergleich, den sie selbst noch als «vielleicht zu krass» einleitet, hat sie sich aber restlos disqualifiziert. «Zbogom» sagt man scheint’s auf Bosnisch, auf Wiedersehen. Auf Nimmerwiedersehen.

Seibt lebt!

Und schreibt. Und schreibt und schreibt. Oh je.

Man wusste nicht, ob man erleichtert oder besorgt sein sollte. Denn im Krisen-Organ «Republik» hatte sich Viel- und Langschreiber Constantin Seibt rar gemacht. Im ganzen Jahr 2023 ein Artikelchen. Bis jetzt.

Kein Wunder, dass die Welt immer mehr aus dem Leim ging, sich sogar die Weltachse um ein paar Zentimeter verschob, die Polarkappen schmelzen, der Klimawandel Urständ feiert, es in der Schweiz, in Europa, überall, vor allem aber in Russland, zugeht wie im hölzernen Himmel.

Denn es geht doch bekanntlich «um alles», wie Seibt nicht müde wurde zu betonen, bevor er verstummte. Aber hurra, er ist wieder da:

Und er ist ganz der Alte. Knapp 32’000 Anschläge, eigentlich für seine Verhältnisse ein schmalbrüstiges Werk. Aber nicht nur das. Es ist ein wirres Werk. Ein bedenklich dunkles Werk. Man ist sich bei Seibt ja gewohnt, dass er sich sprachlich mit der rechten Hand hinter dem linken Ohr kratzt, manchmal auch ungeniert in der Nase bohrt und eigentlich immer die Welt an sich selbst und seinen Befindlichkeiten spiegelt. Statt sich immer neue Titel auszudenken, würde auch ein einziger ausreichen:

Wie Seibt die Welt sieht und wie sie sein sollte.

Hier probiert es Seibt anhand des Furzaufstands eines Söldnerführers in Russland, der die ganze Medienmeute ins Hecheln und Hyperventilieren brachte, mit einem Einblick in die «Küche» des Journalismus. Auch für ihn gälte, wie für die Herstellung von Gesetzen oder Würsten, «dass man besser nicht dabei ist, wenn er gemacht wird».

Ein wahrer Satz, wenn es Seibt nur damit hätte bewenden lassen oder sich an den alten Spruch erinnert hätte: «si tacuisses, philosophus mansisses». Auf Wunsch liefern wir die Übersetzung nach.

Diese Unappetitlichkeit treffe vor allem auf die Berichterstattung darüber zu, was laufe «mit Putin und Prigoschin». Alles Gerichte, Pardon, Gerüchte, alles Lügen, ein «Dickicht aus Behauptungen». Aber nun kommt Seibt, die Machete.

Trotz des langem Messers verliert er sich – und den Leser – schon am Eingang zu seinem ellenlangen Artikel:

«Was tun? Natürlich können Sie nichts tun. Wer schweigt, bleibt weise. Aber genauso im Dunkeln. Sie können also auch versuchen, sich mit Vorsicht und Machete durch das Gestrüpp zu schlagen. Die Wirklichkeit ist schliesslich kein Sessel, sondern ein Weg.
Nur: Bei diesem Weg müssen Sie, falls Sie am Ende einen lesbaren Artikel wollen, an mehreren Gabelungen abzweigen. Normaler­weise gehört zum Job im Journalismus, das still zu tun. Nach bestem Wissen und Gewissen, aber still.»

Das ist nun schon sehr labyrinthisch, aber leider ist kein Faden der Ariadne vorhanden. Im Gegenteil sozusagen: «Im Fall von Jewgeni Prigoschin, Spitzname «Putins Koch», werden Sie nicht als Leserin, sondern als Lehrling mit am Herd stehen. Und die Entscheidungen treffen müssen, die sonst in aller Stille Ihre Leute in der Küche für Sie treffen.»

Hä? Was nun folgt, ist ein eklektischer, aber übergenauer Versuch der Darstellung des Kurzzeit-«Aufstands». Unterteilt in «1. Der Aufstand, 2. Der Deal, 3. Die Woche danach, 4. Die Abrechnung, 5. Prognosen, 6. Maskirowka».

Was in den Kapiteln steht? Eine wirre Wiedergabe von Ereignissen. Die allerdings längst bekannt sind und die niemand, nicht einmal der harte Seibt-Fan, in dieser Detailtreue nochmals lesen will. Oder ist es so, dass Seibt nun in seine expressionistische Phase eingetreten ist, sich so als kleiner Döblin sieht? Aber der konnte (siehe «Berlin Alexanderplatz») montieren. Seibt kann’s nicht.

Es gibt aber immerhin ein, zwei Lacher, allerdings erst gegen Schluss:

«Zu jedem brauchbaren analytischen Artikel gehört zumindest ein vager Ausblick. Ein Hauch von Prophezeiung – nicht als Hauptgang, sondern als Gewürz. Also:»

Das mag sein, aber wo ist hier der brauchbare oder gar analytische Artikel? Nun kommt noch ein richtiger Brüller:

«Klar, nichts zu schreiben und ein paar Jahre zu warten, wäre vielleicht weiser. Aber im Journalismus wird man nicht für Weisheit bezahlt.
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, besteht darin, sich mit Vorsicht und Machete durch den Dschungel zu schlagen. Und zu hoffen, dass der Weg Richtung Wirklichkeit führt.
So weit zum aktuellen Stand des Irrtums. Danke für Ihre Mitarbeit daran. Ende Jahr werden wir – hier in der Republik – darauf zurück­kommen, wo Sie und wir richtig lagen – und wo nicht.»

Hat Seibt nun endlich fertig? Fast: «In einer früheren Version hatten wir die Geldmenge, mit der das russische Verteidigungs­ministerium die Söldnergruppe Wagner im Jahr 2022 unterstützt hat, falsch von Rubel in Franken umgerechnet. Die Zahl ist korrigiert, wir bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.»

Das ist wenigstens mal eine selbstkritische Analyse. Aber der Rest? Dieses ungeordnete Übereinandertapeln von Realitätsfetzen (oder deren Behauptung) soll die Hoffnung ausdrücken, den Weg «in Richtung Wahrheit» eingeschlagen zu haben?

Also wenn die «Wahrheit» so aussieht, wenn der Journalismus so auf den Hund kommt, dass er nur noch eine Kakophonie von Stimmen, Eindrücken, Behauptungen enthält, wenn Videos nicht beschrieben, sondern abgeschrieben werden, dann ist er am Ende.

Wenn eines der vielen Fazits lautet: «Was die Vermutung nahelegt, dass Präsident Putin wirklich kaum Ahnung hat, was in seinem Krieg tatsächlich passiert», dann liegt die Vermutung nahe, dass hier nur mit Wasser gekocht wird, in dieser Gerüchteküche.

Dann geht es wirklich um alles. Oder um nichts. Denn alles ist nichts, nichts ist alles. Oder so. Oder anders. Warten wir also auf Ende Jahr. Und hoffen, dass sich Seibt bis dahin wieder an sein Schweigegelübde hält. Oder dass bis dahin seine Plattform untergegangen ist.,

Revolution, leicht verständlich

Bildungsauftrag: ZACKBUMs Buchtipps für den Sommer.

Eigentlich hat das Buch einige Eigenschaften, die abschrecken könnten. Es ist ein Wälzer mit 668 Seiten. Es ist von einem Bestsellerautor geschrieben, der Schinken am Laufmeter abliefert. Über Stalingrad, den Spanischen Bürgerkrieg oder die Ardennen-Offensive.

Jetzt hat sich Sir Antony Beever Russland vorgenommen: «Revolution und Bürgerkrieg 1917 bis 1921». Nun gibt es zu Stalingrad bereits das gewaltige Werk «Leben und Schicksal» von Wassili Grossmann. Die moderne Version von «Krieg und Frieden» ist nur etwas für Leser mit starken Nerven.

Und über die Oktoberrevolution und die nachfolgenden Wirren des Bürgerkriegs gibt es schon ein Meer von Büchern, angefangen bei Leo Trotzkis «Geschichte der Russischen Revolution», geschrieben im Exil, und eine Bibliothek von Werken auf der Parteilinie der KPdSU, darunter so Gewaltswerke wie John Reeds «10 Tage, die die Welt erschütterten». Kongenial verfilmt von und mit Warren Beatty in «Reds»

Es gibt bewundernde, kritische, parteiliche, abschätzige, ideologische und einäugige Bücher über die Russische Revolution. Und es gibt George Orwells «Farm der Tiere», die wohl bitterste Abrechnung damit.

Daher zeugt es von Mut, ein weiteres Buch über Revolution und Bürgerkrieg vorzulegen. Aber es ist unbedingt empfehlenswert. Es braucht wohl den kühlen englischen Blick auf die Geschichte, um den Leser an der Hand zu nehmen und durch eine unendliche Anzahl von handelnden Personen, Einzelereignissen, durch all die Zufälligkeiten zu führen, die die Oktoberrevolution und die Machtergreifung der Bolschewiken unter Lenin möglich machten.

Beever gelingt dabei gleich ein doppeltes Kunststück. Trotz der Materialfülle und dem Detailreichtum fühlt sich der Leser nie verloren oder überfordert. Aber noch wichtiger: man hat den Eindruck, dass es wohl genau so gewesen sein könnte.

Denn Geschichte ist bekanntlich nicht die möglichst objektive Beschreibung von vergangenen Ereignissen. Geschichte ist immer ein Steinbruch, aus dem Historiker die passenden Geröllbrocken heraussuchen und nach ihrem Gusto behauen. Ehrlichere geben wenigstens ihren ideologischen Standpunkt bekannt, unehrliche behaupten, dass es so gewesen sei, wie sie es darstellen.

Man möchte nicht wissen, was der «Russland-Experte» und ehemalige NZZ-Journalist Ulrich Schmid zur Russischen Revolution heute sagen würde, nachdem er sich mit einem untauglichen Vergleich zwischen Afghanistan und der Ukraine unglaubwürdig gemacht und disqualifiziert hat.

Denn natürlich ist die Oktoberrevolution für die siegreichen Ideologen des Westens eine historische Katastrophe, ein schreckliches Ereignis, das nahtlos in die Schrecken des Stalinismus überging, viele Millionen Tote forderte und viel zu spät 1990 sein Ende fand.

Für andere ist es der erste hoffnungsvolle Versuch, die Theorien von Marx und Engels in die Praxis umzusetzen, der nur teilweise an den eigenen Widersprüchen, vor allem aber durch den Versuch der imperialistischen Staaten scheiterte, die Ausbreitung der Revolution zu verhindern und die erste proletarische Revolution in ihrem eigenen Blut zu ersticken.

Sie erinnern daran, dass die Sowjetunion mit Abstand den höchsten Blutzoll im Zweiten Weltkrieg entrichtete, Opfer eines Vernichtungsfeldzugs wurde, in dem die deutschen Horden unvorstellbare Gräueltaten in den eroberten Gebieten begingen. In den Plänen für Grossgermanien war für die bolschewistisch-slavischen Untermenschen kein Platz mehr, sie sollten noch als Zwangsarbeiter nützlich eingesetzt und dann ausgelöscht werden.

Das alles nahm in den Monaten zwischen Februar und Oktober (nach dem russischen Kalender) 1917 seinen Anfang. Unvorstellbar, wie ein kleines Grüppchen von Berufsrevolutionären, das knapp einen Zug füllte, der sie vom Schweizer Exil durch Deutschland hindurch nach Russland brachte, als Sieger aus den Wirren des Ersten Weltkriegs hervorging.

Genauso unvorstellbar, dass sich die Rote Armee gegen die Weissen, gegen alle Interventionsheere der westlichen imperialistischen Staaten am Schluss durchsetzte. In einem Bürgerkrieg, der von beiden Seiten mit unvorstellbarer Brutalität geführt wurde und in dem keine Gefangene gemacht wurden.

Adlige und Offiziere wurden auf Bajonette aufgespiesst, um Munition zu sparen, Rotgardisten wie auch Kadetten wurde nach einer Kapitulation freier Abzug versprochen – um sie dann zu massakrieren.

Präsident Putin beruft sich in seinen Reden immer wieder auf die Tradition der Oktoberrevolution und sieht im Zusammenbruch der UdSSR die grösste Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Man muss diese Ansicht nicht teilen. Aber wer die Vergangenheit nicht kennt, versteht die Gegenwart nicht. Wer beispielsweise den Zarismus verklärt, wie das der grosse Gulag-Kritiker Alexander Solschenizyn tat, übersieht dessen Unfähigkeit in Kriegen und dessen völlige Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der russischen Bauern, die mittelalterlich in unvorstellbarer Armut vor sich hin vegetierten.

Wer Hungersnöte und die stalinistischen Säuberungen als singuläre Verbrechen verurteilt, kennt die russische Vorgeschichte nicht. Wer bedingungslos die Ukraine unterstützt, kennt deren Geschichte vor und während der Sowjetunion nicht, kennt deren braun-befleckte Geschichte im Zweiten Weltkrieg nicht.

Aber ganz am Anfang der Ereignisse steht die leninsche Revolution, steht dieser Ausnahmekönner der Macht, der noch im Februar, ja noch im August 1917 schallend ausgelacht wurde, als er ankündigte, dass seine Bolschewiken bereit und in der Lage seien, die Macht in Russland zu übernehmen.

Die spätere Sowjetunion, das grösste Land der Erde, umfasste in den bittersten Zeiten nicht viel mehr als rund 200 Quadratkilometer um Moskau herum. Es brauchte den Machtwillen Lenins und das militärische Genie Trotzkis, um wenige Jahre später überall die rote Fahne flattern zu lassen, bis nach Wladiwostok und Anadir.

Wie war es wohl, wie kam es dazu? Beever lesen, und man meint, eine Ahnung zu haben. Die nötige Zeit dafür kann man leicht freimachen, indem man darauf verzichtet, die gesammelte Kriegsberichterstattung der Medien zu konsumieren.

Alleine, was hier beim 17-stündigen militärischen Furz eines an die Wand gedrängten Söldnerführers für Unsinn geschrieben wurde, disqualifiziert diese Berichterstattung restlos. Und wäre das nicht genug: die völlige Unfähigkeit, wenigstens das krachende Versagen einzuräumen («Militärputsch, Putin wankt, fällt Moskau, ist Putin bereits geflohen»), disqualifiziert all diese Kreml-Astrologen nochmals.

Also Beever lesen, um die Geschichte zu verstehen. Wer statt Dummschwätzerei einen satirisch-überhöhten, aber genauen Blick auf die Aktualität in Russland lesen möchte: Dmitry Glukhovsky: «Geschichten aus der Heimat». Nur jemand, der seine Heimat liebt, kann so gnadenlos die Realität ins Fantastische abdrehen, um sie genau einzufangen.

Antony Beevor: «Russland. Revolution und Bürgerkrieg 1917 – 1921». C. Bertelsmann Verlag, 2023.
Dmitry Glukhovsky: «Geschichten aus der Heimat». Heyne Verlag, 2022
Wassili Grossmann: «Leben und Schicksal». Ullstein Verlag, Neuauflage 2020

Jekami mit Journis

Keiner zu klein, Meinungsträger zu sein.

Die Temperaturen steigen – und fallen wieder. So ist es ein ewiges Auf und Ab. Der Leser kann allerdings nur auf einer Metaebene Vergnügen und Unterhaltung aus den meisten Publikationen saugen.

Zu Prigoschin und Putin haben nun so ziemlich alle Meinungsträger, Experten und Spezialisten ihren Senf gegeben. Vielleicht fehlt noch die Meinung des Kopierers, des Staubsaugers und der Kaffeemaschine auf der Redaktion. Wir warten auf Exklusiv-Interviews.

Wunderbar ist auch, wenn sich im gleichen Organ sogenannte «Experten» diametral widersprechen. Bei CH Media schwafelte der eine von einem Militärputsch, der andere behauptet: «Prigoschins Coup war eine gut inszenierte PR-Operation, die in die Geschichte eingehen wird.»

Such’s dir aus, lieber Leser, kann man so oder so sehen.

In erhöhte Wallungen, geradezu in Vibrationsstatus hat die Medien ein klitzekleines Ereignis in einer klitzekleinen Kommune versetzt: «Erstmals in Deutschland hat die rechtsradikale Partei ein kommunales Spitzenamt erobert». Es gibt neu einen Landrat, der der AfD angehört. Die ist, trotz angebräunten Radikalinskis und Provokateuren wie Björn Höcke, eine demokratische Partei, und dieses Amt wurde in einer demokratischen Wahl erobert. So what? Aber der Tagi vibriert: «Die AfD setzt die Demokratie unter Spannung».

Anlass für homerisches Gelächter ist auch die Meldung: «Sek-Schülerinnen sprechen über die Menstruation». Denn: «Die kostenlosen Binden und Tampons, die neu in städtischen Schulhäusern aufliegen, seien aber erst ein Anfang.» Der Anfang vom Ende? Kurt Tucholsky (Kindersoldaten: googeln) sagte ganz richtig: «Die Frauen haben es ja von Zeit zu Zeit auch nicht leicht. Wir Männer aber müssen uns rasieren.» ZACKBUM regt an, ebenfalls kostenlos Rasierapparate und After Shave aufzulegen; verdammte Ungerechtigkeit.

Wie allerdings vermeldet werden kann, dass Tamara Funiciello nicht nur ein reines Frauenticket für die Nachfolge des Frauenverstehers Alain Berset anregt, sondern überraschenderweise auch sich selbst durchaus darauf vorstellen könnte, ohne dass dem Journalisten die Lachtränen in die Tasten getropft sind?

Wer herausfinden will, wie tief das «Magazin» gesunken ist, sollte sich hier davon überzeugen:

Das nennt man eine journalistische Implosion. Nicht in einer Millisekunde, aber in einem ganzen Heft. Da darf Christian Seiler doch tatsächlich grenzdebile Leserfragen beantworten. Kostprobe:

«Ich bin vor einem Jahr Mami geworden. Nun kommt es öfters vor, dass der Kleine genau dann Hunger hat, wenn ich zu kochen beginne. Das heisst, ich habe ihn dann auf dem Arm. Und da wird es dann schwierig mit Schnippeln Hast du ein paar gute (vegane) Rezepte, die man auch mit einer Hand in Windeseile zubereitet kann

Vielleicht sollte Seiler dem Mami erklären, dass vegane Ernährung zu Mangelerscheinungen führt (Vitamin B12, Vitamin D, Zink, Jod, Eisen), die dem Gedeihen eines Babys nicht förderlich sind, auch wenn man es auf den Arm nimmt. Stattdessen rät er zu einem schnippelfreien Gericht: «Mit dem Löffel essen und den Kleinen immer wieder kosten lassen.» Der arme Kleine.

Okay, jetzt muss aber ZACKBUM die Tastatur trocknen, haben wir gelacht.

 

Wehe der Realität,

wenn sie der Journaille widerspricht.

Ein Putsch, der Marsch auf Moskau, der Zusammenbruch, das Ende. So galoppierten die Schweizer Journalisten los, reitend auf «Koryphäen», «Spezialisten», «Russland-Kennern» oder einfach jedem, der gerade noch kurz Zeit für ein Telefoninterview fand. Und wusste, dass er ein paar martialische Sachen sagen muss, damit es auch ein schönes Titelquote gibt.

Nachdem das alles publiziert und sogar gedruckt war, sagten aber Prigoschin und Putin «April, April». Statt Haue gibt es Eierkuchen. Marsch ist abgeblasen, die Wagner-Truppe ist aus Rostow abgezogen, es fehlte nur, dass sie noch die Strassen sauber gekehrt hätten und für das getankte Benzin bezahlt.

Der weissrussische Diktator Lukashenko soll der Truppe Exil und Asyl bieten, Prigoschin sagte zum Abschied leise «do svidaniya», und Putin sagte «alles vergeben, alles vergessen, Schwamm drüber». Das ist natürlich blöd, wenn die Journaille so richtig einen Lauf hat und bereits fantasierte, dass Prigoschin am Samstagabend in Moskau einmarschieren könnte.

Abbremsen, absteigen, absatteln, abrüsten? Aber nein, so geht das natürlich auch nicht. Daher:

Komisch, eigentlich war er doch schon am Ende, so wie die «Putin-Versteher», und jetzt wankt er bloss? Auch der Tagi, also Tamedia, vielleicht sogar der «Tage-Anzeiger», ist nachtragend, dass die Wirklichkeit nicht so will, wie sie sollte:

Stefan Kornelius, der Brachial-Rhetoriker von der «Süddeutschen Zeitung», hat mal wieder einen Gastauftritt beim Tagi, also bei Tamedia, na, lassen wir das. Dabei ist ihm sein dummes Geschwätz von gestern ziemlich egal: «Ein Regime mit totalitären Zügen ist hingegen in Moskau an der Macht. Bedauerlicherweise ist seine Beseitigung nicht absehbar.»

Sein Frust, dass sich die Dinge nicht so entwickelten, wie er hoffte, tropft aus jeder Zeile: «Eine Mörderbrigade hat den russischen Diktator gedemütigt und den jämmerlichen Zustand des Militärs entlarvt.»

Vielmehr haben Prigoschin und Putin gezeigt, wie man sich elegant aus einer Konfrontation windet, die für beide nicht ohne Beschädigungen hätte abgehen können. Wobei die Annahme absurd wäre, dass es der Wagner-Truppe hätte gelingen können, Moskau zu erobern oder Putin zu stürzen. Aber wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist …

Bei «20 Minuten» erlebt der «Russland-Experte Alexander Dubowy» («Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch») seine Auferstehung, nachdem er bei den Kollegen von CH Media krachend daneben lag. Je nun, es muss halt ein Experte her. Also tönt «20 Minuten»: «Alexander Dubowy ordnet ein», dabei hat der offensichtlich keine Ahnung.

Das übertüncht er mit markigen Sprüchen: «Die Stimmung ist am Kochen. Putins Legitimität bröckelt … Der Versuch, Strassen und Brücken nach Moskau zu zerstören oder mit Lastwagen zu blockieren, war verzweifelt … Es ist gut möglich, dass wir am Samstag den Anfang des Endes von Putins Russland erlebt haben.» Und so weiter.

Es ist nicht gut möglich, sondern schriftlich belegt, dass sich Dubowny auf dem ungeordneten Rückzug von seinen früheren Behauptungen befindet. Aber er gibt nochmal richtig Gas: «Ich denke, dass es Russland in der Form und Grösse, wie wir es heute kennen, bis 2030 nicht mehr geben wird.» Da kann er sich in der sicheren Hoffnung wiegen, dass sich in sieben Jahren keiner mehr an sein Geschwätz erinnern wird.

Einigermassen nüchtern bleibt dagegen «blue news»:

Ziemlich breitbeinig kommt dagegen CH Media daher:

«Alles zum Aufstand der Wagner-Söldner»? Aber immerhin, hier versucht sich Kurt Pelda an einer «Analyse», und der hat immerhin eine Ahnung, wie es vor Ort in der Ukraine zugeht. Ob er tatsächlich zu einer Analyse der russischen Situation fähig ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall steuert er eine hübsche Anekdote bei. Was wohl die russischen Soldaten in der Ukraine von einem Oberbefehlshaber hielten, wenn ihnen bewusst würde, «dass sie von einem schwächelnden Mann kommandiert werden, der heute so ängstlich ist, dass eine Gruppe russischer Kriegsjournalisten, die er kürzlich zu sich zum Gespräch einlud, zuerst eine tagelange Isolation über sich ergehen lassen mussten

Sehr cool nimmt es hingegen weiterhin die NZZ und behält das Wesentliche im Auge: «Das Ende des Prigoschin-Aufstands wirkt sich positiv auf Asiens Börsen aus». Allerdings geht’s dann im Orchester doch auch mit schrillen Tönen weiter: «Aufstieg und Fall eines Kriegstreibers», «Die Angst vor dem Chaos», «Prigoschin fehlt bei der Rebellion der Rückhalt», aber doch auch «Ruhe in Russland nach Aufstand».

Der Ausland-Chef Peter Rásonyi versteigt sich allerdings wieder zu einem «Kommentar». Dessen Berichterstattung über den Ukrainekrieg hat sich der «Schweizer Monat» im Februar dieses Jahres zur Brust genommen. Grandioses Resultat: In der NZZ hat die Ukraine schon unzählige Male gesiegt, immer wieder und immer öfter.

Hat Rásonyi daraus etwas gelernt? Zumindest fängt er seinen Kommentar verhalten an, mit einem Stossseufzer: «Jene Tage, an denen Putins Präsidentschaft und sein fürchterlicher Krieg Geschichte sein werden, können keinen Moment zu früh kommen.» Aber wann kommen sie denn? «Es ist allerdings noch nicht so weit. Die Lage in Russland ist weiterhin unübersichtlich.»

Sichtbar in der Unübersichtlichkeit ist aber: «Putin hat das Schlimmste noch einmal abgewendet. Gleichwohl steht er nach den dramatischen Ereignissen vom Wochenende als der grosse Verlierer da.» Warum denn? «Wer am Morgen noch harte Bestrafung für einen Verräter ankündigt und am Abend dieselbe Strafe zurücknimmt und den Täter laufenlässt, wirkt verzweifelt, ängstlich und schwach.»

Was den Ausland-Chef zur Schlussfolgerung bringt: «Schwache Diktatoren leben gefährlich.» Starke übrigens auch.

Kommentatoren hingegen nicht. Sie können ungehemmt Unsinn verzapfen. Stellt sich das als Quatsch heraus, verzapfen sie halt anderen Unsinn. Sollte das wiederum, siehe oben. Aber mit Glaubwürdigkeit, Vermittlung, Kompetenz, Einordnung, Erklärung oder Hilfestellung hat das wenig zu tun. Mit einer Dienstleistung, die geldwert sein soll, noch weniger. Denn für Meinungen am Stammtisch, ohne vertiefte Kenntnis oder Analysefähigkeit, zahlt man schliesslich auch nichts. Kann aber immerhin noch ein Bier dabei bestellen. Oder jederzeit aufstehen und gehen. Was auch immer mehr Abonnenten tun.

 

 

Verwirrter «Blick»

Sieht so kompetente Auslandberichterstattung aus?

ZACKBUM sagt weiterhin nichts zur Ukraine. Aber zur Berichterstattung darüber. Diesmal haben wir ein besonderes Schmankerl: die ungebremste Achterbahnfahrt von Sven Ziegler, seines Zeichens «Redaktor News» beim «Blick».

Einsteigen, festschnallen, Bügel runterklappen. Der Teaser auf der Homepage verspricht viel:

Wow, «Blick» enthüllt weltexklusiv einen «Geheim-Plan» normalerweise eher ein Geheimplan. Aber Rechtschreibung ist eben auch geheim für den «Blick».

Der Titel des Artikels enttäuscht dann gewaltig, kein Geheimplan mehr, nicht mal mehr ein «Geheim-Plan»:

Ist aber mal wieder ungeschickt von diesem Prigoschin; enthüllt doch einfach seinen «Geheim-Plan», das Schusselchen. Dabei geht’s im Kreml und auf dem Roten Platz und überhaupt rund: «Hinter den Kulissen tobt ein erbitterter Machtkampf.» Wenn das Putin wüsste!

Aber welchen nicht mehr so geheimen Plan hat den Prigoschin «enthüllt»? Nächste Kurve auf der Achterbahn, der Magen kitzelt das Halszäpfchen: «Laut der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) plant Prigoschin, die Wagner-Gruppe als «eine militärische Organisation parallel zur russischen Armee» aufzustellen.»

Also eine US-Denkfabrik enthüllt stellvertretend für den Söldner-Chef dessen Geheimplan. Wahnsinn. Aber der ist ja auch ein ganz Schlimmer, Achtung, neue Kurve: «Laut dem Wagner-Chef wurden jüngst in 42 russischen Städten Zentren zur Rekrutierung von Söldnern eröffnet. Diese sind unter anderem in Schulen platziert. Prigoschin will also auch Jugendliche für seine Ideen begeistern und in den Krieg ziehen lassen.»

Immerhin scheint er das selbst enthüllt zu haben. Nun werfen wir aber einen Blick in die schwarze Seele des Kremlherrschers, Achtung, kurviger Perspektivwechsel: «Präsident Putin dürfte diese Rekrutierungsoffensive kaum gefallen.» Immerhin, so sicher ist sich Ziegler nicht, deshalb verwendet er ein Modalverb, wahrscheinlich ohne zu wissen, was das ist.

Aber nicht nur Putin ist angepisst, denn da gibt es noch den staatlichen Energieversorger Gazprom, und der wolle auch «bereits in naher Zukunft um Rekruten werben. Dafür soll Gazprom eigens eine Ermächtigung beim Kreml eingeholt haben – sehr zum Unmut von Prigoschin.»

Wir versuchen krampfhaft, die Mahlzeit im Magen zu behalten und nehmen die letzte Kurve vor dem Artikelende: «Die Machtkämpfe im Kreml gehen somit weiter.» Kein Wunder, dass das militärisch in der Ukraine nicht klappt; in Wirklichkeit fetzen sich Putin, Prigoschin und Gazprom hinter den Kremlmauern, dass es nur so kracht.

 

Selenskyj Superstar

Die NZZ bewundert seine Reden. Ohne Tiefgang.

Vor allem englische Medien sind des Lobes voll über die Redekünste des ukrainischen Präsidenten: «Why Zelensky’s Speech To Congress Was A Masterclass In Crisis Communication», schwärmt das «Forbes»-Magazin. Auch die englische BBC ist voller Bewunderung: «How President Zelensky uses speeches to get what he needs

Die NZZ echot: «Weltgeschichte mit Selenski. Die Reden von dem ukrainischen Präsidenten folgen immer dem gleichen Muster.» Nämlich ein historischer Verweis, angepasst an den jeweiligen Adressaten. Ein Churchill-Zitat bei England, das Reagan-Zitat «Tear down this wall» bei seiner Ansprache im Deutschen Bundestag.

Inzwischen sei die Nummer aber durch, meint die NZZ, neuerdings appelliere Selenskyj an die gemeinsam durchgestandene Kriegszeit, was die «dringende, beinahe drohende Aufforderung» enthalte: «Helft uns weiterhin. Oder wollt ihr alles aufs Spiel setzen, was wir gemeinsam erreicht haben

Das ist alles ziemlich durchdacht und clever. Damit gewinnt Selenskyj locker den Propaganda-Zweikampf mit dem russischen Präsidenten Putin, der sich mühsam durch eine ellenlange Rede zur Nation stolpert und in gelenkten Interviews auch nicht gerade ein rhetorisches Feuerwerk zündet.

Woher hat denn das der ukrainische Präsident? Sicher, er war in seinem vorherigen Leben Schauspieler, bevor ihm ein reicher ukrainischer Oligarch mit gröberen Justiz-Problemen die Präsidentschaft kaufte. Aber zu solch ausgefinkelten Reden ist er natürlich nicht selbst in der Lage. Seine lokale PR-Mannschaft auch nicht. Da müssen schon Profis ans Werk. Profis von Hill & Knowlton.

Seit die PR-Bude mit der sogenannten «Brutkastenlüge» Furore machte, ist sie in der Pole Position, wenn es um die Vergabe von Aufträgen geht, eine Politik oder Position weltweit meisterlich zu verkaufen. Also ist es ein cleverer Schachzug, denn die «Brutkastenlüge» brachte der Agentur nicht nur positive Resonanz, dass viele «ehemalige» Mitarbeiter von H&K im Team des ukrainischen Präsidenten dafür sorgen, dass der die richtigen Worte findet, wenn er westliche Regierungen um noch mehr Hilfe und Unterstützung bittet.

Dass er die richtigen Worte findet, wenn die Bevölkerung westlicher Länder ihn zum Kriegshelden emporstilisiert. Seltene Fehlgriffe, wie beispielsweise in einer Modestrecke in der «Vogue» aufzutreten, können diesem Image keinen Abbruch tun. Genauso wenig sein Millionenvermögen und seine Villa in Italien.

Man muss halt den Mainstream auf seiner Seite haben. Dann ist es völlig egal, ob irgendwelche kritischen Stimmen an der Hochglanzfassade kratzen wollen. Denn niemand in den Massenmedien hinterfragt, wieso Selenskyj perfekt das Register der medialen Show beherrscht. Kleidung, Bart, muskulöse Oberarme, sozusagen eine moderne olivgrüne Ausgabe von Che Guevara, nur mit der festen Absicht, gewinnen zu wollen.

So massiert und manipuliert man die öffentliche Meinung. Welch jämmerliches Bild gibt dagegen Putin ab, der steif, mit perfekt gebundener Krawatte hinter einem viel zu grossen Schreibtisch neben viel zu vielen Telefonen sitzt. Oder sich als Naturbursche und Rabauke mit nacktem Oberkörper auf Pferd zeigt. Das ist halt der Unterschied, ob man Profis beschäftigt; Spin Doctors, die allem den richtigen Dreh geben können – oder nicht.

Köppel zeuselt

Der Pyrotechniker kann’s nicht lassen. Und sprengt sich mal wieder selbst in die Luft.

Zum einen muss man ihm dankbar sein. Roger Köppel hat die Rede zur Nation des russischen Präsidenten Putin übersetzen lassen und vollständig ins Netz gestellt. Wer sich durchquält, erhält Einblicke in fahriges Gefasel, mäandrierendes Gelaber eines Orientierungslosen, der nicht wahrhaben will, dass er mit der Invasion der Ukraine Russland so schwer geschädigt hat wie keiner seiner Vorgänger.

«Und wir werden Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent die vor uns liegenden Aufgaben angehen

Es darf gelacht werden.

Zum Jahrestag der Invasion hat er ein Sonderheft herausgegeben, das die altbekannten Meinungen nochmals hübsch zusammenfasst. Auch dafür gebührt ihm Dank.

In seinem Editorial nimmt er einen langen Anlauf über viele Stationen, um sich zu einer vermeintlich ketzerischen Frage durchzukämpfen. Auch Ausflüge in die Tiefen der Geschichte sind ihm dabei recht: «Anders als in früheren Zeiten sind es nun nicht die Päpste und Pfaffen, die den Kreuzrittern die Schwerter salben. Anstatt auf die Bibel berufen sie sich auf eine andere heilige Schrift, das sogenannte Völkerrecht.»

Nebenbei: solche strenge Worte über Pfaffen mag der andere Köppel, der im Alter zu religiösen Erweckungserlebnissen neigt, gar nicht gerne hören.

Aber hier geht es ihm um die Frage, ob der Überfall auf die Ukraine tatsächlich ein «völkerrechtswidriger Angriffskrieg» sei:

«Stimmt das eigentlich? Ist es wirklich so, dass Russland vor einem Jahr das Völkerrecht so krass und eindeutig zertrümmerte, wie das heute geschrieben und wiederholt wird? Hat es zu dieser Frage jemals eine solide wissenschaftliche oder gerichtliche Untersuchung gegeben, Beweiserhebung, Anklage und Verteidigung? Oder handelt es sich um eine sich selbst genügende, sich selbst rechtfertigende Vorverurteilung, ein Urteil jener Gerichtshöfe der Moral, die keinerlei Prozessordnung kennen?»

Hier kann man Köppel ganz einfach weiterhelfen. Das spielt überhaupt keine Rolle. Russland hat damit gegen seine eigenen völkerrechtlich verbindlichen Versprechen verstossen. Vielleicht sollte Köppel nicht so viel Energie auf einleitendes Gedöns in seinem Editorial verwenden, sondern einfach das Budapester Memorandum nachlesen. Dann hätten wir noch die Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris von 1990 und die UNO-Resolution über die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten.

Man braucht keine Beweiserhebung, Anklage, Verteidigung, man braucht noch viel weniger eine solide Untersuchung. Selbst ein galoppierender Köppel müsste einsehen: gegen all diese völkerrechtlich verbindlichen Abmachungen, Abkommen, unterzeichnetenVerträge hat Russland verstossen.

Besonders stossend ist der Verstoss gegen das Budapester Memorandum. Hier hatte Russland als Gegenleistung für den Nuklearwaffenverzicht der Ukraine (bzw. die Rückgabe der dort stationierten Atomwaffen der Ex-UdSSR) völkerrechtlich verbindlich versprochen, die Souveränität, das UN-Gewaltverbot und die bestehenden Grenzen zu achten. Da kann man noch so viel rhetorisches Gedöns, Gelaber und ganze Heerscharen von Nebelkerzen auffahren: ist so.

Kann doch nicht so schwer sein, Roger.

 

 

Stoff für Kriegsgurgeln

Auch ein US-Militär kann sich täuschen. Aber …

Mark Milley ist nicht irgendwer. Er ist seit 2019 der «Chairman of the Joint Chiefs of Staff». Also der Vorsitzende des Vereinigten Generalstabs der Streitkräfte der Vereinigten StaatenOder kurz der Generalstabschef. Oder noch kürzer der oberste US-Militär.

Er ist zudem ein besorgter und selbständig denkender Militär, was dort nicht allzu häufig ist. So traf er Sicherheitsvorkehrungen, als es nicht ganz klar war, wie Donald Trump auf seine Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen reagieren würde.

Selbstverständlich ist auch der oberste US-Militär nicht unfehlbar. Aber er hat zumindest eine klare Meinung zum Ukrainekrieg:

Um zu dieser Aussage zu gelangen, muss man auch kein militärisches Genie sein. Aber zumindest intelligenter als die versammelten Kriegsgurgeln von der deutschen Aussenministerin Baerbock abwärts, die von einem Sieg der Ukraine träumen und faseln. Intelligenter auch als der ukrainische Präsident, der nach wie vor am Kriegsziel der Rückeroberung der Krim festhält.

Intelligenter als all die Sandkastengeneräle, die gerne noch mehr Ukrainer sterben sehen möchten. Weil sie ihnen aus der gut geheizten Klause zurufen, dass die Ukraine doch tapfer die Freiheit des Westens gegen die Unmenschen und Untermenschen aus dem Kreml verteidigen sollen.

Intelligenter als die Brandstifter, die eine rote Linie nach der anderen überschreiten wollen. Von Munition zu leichten Waffen. Von leichten Waffen zu schweren. Von schweren zu Kampfpanzern. Von Kampfpanzern zu Flugzeugen, Raketen und U-Booten. Von diesem schweren Gerät zum Dritten Weltkrieg.

Dann gibt es noch die vermeintlichen Schlaumeier, die sagen: verhandeln ja, aber nicht jetzt, sondern erst dann, wenn Russland genügend geschwächt ist. Das sind eigentlich die schlimmsten Zyniker, denn sie nehmen in Kauf, dass diese Schwächung Russlands auf Kosten der Ukraine, der ukrainischen Bevölkerung, auf Kosten der Perpetuierung des Leids geschehen würde.

Diese Zyniker träumen – wie der Antidemokrat Constantin Seibt von der «Republik» – davon, dass zumindest die Schäden und Kosten mit dem beschlagnahmten Geld von ukrainischen, Pardon, von russischen Oligarchen beglichen werden könnten. Obwohl der Bundesrat immerhin klargestellt hat, dass auch dieser Krieg kein Grund ist, den Rechtsstaat Schweiz mitsamt seiner Eigentumsgarantie in die Tonne zu treten.

Erstaunlich, dass ausgerechnet der «Blick» diese Passagen eines Interviews zitiert, das Milley der «Financial Times» gewährt hat:

««Es wird für die Russen fast unmöglich sein, ihre politischen Ziele mit militärischen Mitteln zu erreichen», ist der ranghöchste Soldat der USA überzeugt. «Es ist unwahrscheinlich, dass Russland die Ukraine überrennen wird. Das wird einfach nicht passieren.»
Auch für die Ukraine, fügt Milley an, werde es «sehr, sehr schwierig sein, die Russen aus jedem Zentimeter» des Gebiets zu vertreiben, das Moskaus Streitkräfte bereits erobert haben. Das heisst nicht, dass es nicht möglich ist», fügt er an. «Aber es ist ausserordentlich schwierig. Und es würde im Wesentlichen den Zusammenbruch des russischen Militärs erfordern.»»

Was er hier sagt, sind eigentlich Binsenwahrheiten. Russland hat 2 Millionen Soldaten, dazu weitere 2 Millionen Reservisten. Die Ukraine hat rund 250’000 Soldaten, davon gehört ein Drittel zur Nationalgarde.

Russland hat rund 12’500 Panzer. Welchen Unterschied werden da die Handvoll Panzer machen, die NATO-Staaten der Ukraine für nächstes Jahr zugesagt haben? In welchem Wolkenkuckucksheim muss man leben, um hiervor die Augen zu verschliessen?

Sobald es die Bodenverhältnisse wieder zulassen, wird Russland höchstwahrscheinlich eine Offensive starten. Daher wäre es höchste Zeit, jetzt mit Verhandlungen zu beginnen. Denn nicht Russland wird dramatisch geschwächt werden. Sondern die Ukraine.

Ausser, die NATO wird Kriegspartei mit allem, inklusive Bodentruppen. Das haben zwar Lebensmüde wie der Besitzer von CH Media schon gefordert. Aber vernünftige Menschen, die noch ein Weilchen leben wollen, sind schwer gegen die Gefahr eines Dritten Weltkriegs.

Geschichte spielt sich nicht atemlos ab. Aber es braucht manchmal eine gewisse Zeit, um Ungleichgewichte, Überblähungen zu korrigieren. Überdehnte Imperien brechen irgend wann einmal zusammen. Das ist seit dem Römischen Reich eine historische Konstante. Das Dritte Reich, um diesen Vergleich zu bemühen, wollte 1000 Jahre lang existieren. Es wurde dann ein Dutzend Jahre, nicht mehr.

So sehr auch Putin und seine Kamarilla nostalgisch an den Sieg der Sowjetunion über Hitler-Deutschland erinnern: so blöd ist er nicht, um nicht zu wissen, dass jeglicher kriegerischer Versuch, nach der Ukraine andere Staaten militärisch in ein neues Imperium einzuverleiben, nur mit der Vernichtung Russlands enden kann.