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Hat sie alles erfunden?

Die NZZ versucht, nicht nur den biographischen Geschichten auf den Grund zu gehen.

Und scheitert, wie Autor Lucien Scherrer unumwunden zugibt. Er hat umfangreich versucht, all die vielen romanhaft wirkenden Anekdoten aus dem Leben der Schriftstellerin Sibylle Berg zu verifizieren – oder zu falsifizieren.

Herausgekommen ist ein interessantes Feuilletonstück über die neue Fluidität, nicht nur, was die sexuelle Ausrichtung betrifft, sondern auch die eigene Biographie.

Einleitend beschreibt Scherrer die wichtigsten Eckpunkte dieser Biographie. Der schwere Autounfall: «Das Scharnier des Cabriodachs bohrt sich in ihren Kopf, bleibt kurz vor der Hirnhaut stecken. Klinisch tot wird Berg geborgen. Ihre Stirnhöhle ist seither weg, ihr Gleichgewichtssinn ebenfalls. Sie muss 19-mal, 20-mal oder auch 22-mal operiert werden, man muss ihr Plastikteile unter das Gesicht ziehen.»

Der Selbstmord der Mutter, Bergs Ausreiseantrag, direkt an den damaligen Staatschef Erich Honecker. Ihr Geburtsdatum im Jahr 1952, 1962, 1966 oder 1968. Zu all dem finden sich Angaben, oftmals von Berg selbst. Die handkehrum zugibt, dass sie das mit dem Brief an Honecker erfunden habe.

Weder für den Autounfall, noch für den Selbstmord der Mutter, noch für viele weitere biographische Anekdoten lassen sich Belege finden. Was nicht beweise, dass es nicht so gewesen sei, relativiert Scherrer vorsichtig.

Allerdings: «Belege für ihre Selbstdarstellung als DDR-Dissidentin gibt es bis jetzt keine.» Da fängt dann das Schräge an. Scherrer fährt fort: «Wer einen schweren Unfall erlebt hat, weiss in der Regel das Datum und die Uhrzeit, weil es ein Leben davor und eines danach gibt. Es gäbe Untersuchungsakten der Justiz, Polizeiberichte, Fotos, in spektakulären Fällen auch Medienberichte. Im Fall von Sibylle Berg gibt es bis dato: nichts, nicht einmal eine eindeutige Jahresangabe.»

Nun darf eine Schriftstellerin auch ihr Leben zur fiktionalen Erzählung machen, warum nicht. Als Scherrer aber Nachfragen stellt, hat Berg zunächst keine Zeit für Antworten. Als er insistiert, meldet sich ein Anwalt:

«Dieser wertet die Fragen der NZZ – gibt es Dokumente zu ihrem Unfall?, hat sie ihre Kindheit nun in Rangsdorf oder Constanta verbracht?, kann jemand ihre DDR-Biografie bestätigen? – als «verstörenden Vorstoss in die intimsten Bereiche eines Menschen» und droht mit juristischen Schritten.»

Sehr schräg wird es, wenn es um den Inhalt von Reportagen geht, die Berg geschrieben hat. 1996 ein Bericht für das damalige Magazin «Facts» über einen polnischen Massenmörder. «Der Text, den Berg schreibt, nennt alle Details aus Pekalskis Leben. Sie weiss, wie es in seinem Haus gerochen hat, was seine Opfer gedacht haben und was er beim Morden gefühlt hat und dass er sich einst eine Gummipuppe gewünscht hat. … Ein Jahr später ist Sibylle Berg für das «Zeit»-Magazin in Kambodscha, dem «Land der frohen Mörder». Zufällig sitzt sie im Strandrestaurant neben einem Anführer der Roten Khmer, der drei Touristen aus einem Zug kidnappen und hinrichten liess. Der Mörder sieht nett aus und hübsch, während des Gesprächs zermalmt er mit einer Hand ganz langsam ein grosses Insekt. … 2016 ist Sibylle Berg zufällig vor Ort, als ein islamistischer Attentäter in Tel Aviv zwei Menschen erschiesst und zehn verletzt. Sie sitzt, so schreibt sie in einem Augenzeugenbericht in der «Welt» und im «Bund», in ihrer Wohnung an der Diezengoffstrasse, rennt auf den Balkon und sieht schreiende Menschen.»

Schliesslich kam sie neulich in die Schlagzeilen, als sie sich beklagte, dass sie vergeblich 62 Wohnungsbewerbungen geschrieben habe, ein Opfer der Zürcher Wohnungsnot. «Ob es die 62 Bewerbungen wirklich gibt? Und wie gross ist die Not einer Schriftstellerin, die bestens im Zürcher Bürgertum vernetzt ist, nach eigenen Aussagen eine Wohnung im Tessin hat und von einer weiteren Wohnung in Tel Aviv schreibt?», merkt Scherrer spitz an.

Allerdings gerät Berg zumindest unter Relotius-Verdacht, was den Wahrheitsgehalt ihrer Reportagen betrifft. Sind es literarische Fiktionen, handelt es sich um Etikettenschwindel.

Aber auch dieses Thema steht natürlich unter Sexismusverdacht. Also eilt Alexandra Kedves von Tamedia der Autorin zu Hilfe:

Bei Tamedia ist man für kleine Werke niemals um grosse Begriffe verlegen. Das sei eine «Analyse», sei der NZZ-Bericht «ein Aufreger? Wir ordnen ein». Kedves, also «wir», ist ansonsten nicht so für Einordnung, eher für backfischartiges Schwärmen. So sülzte sie über die Amtseinführung von Joe Biden: «Zum Heulen schön: Was für eine Biden-Show!» – «Kehle-Zuschnür-Momente, die hier für diese so gespaltene, so wunde Nation geschaffen wurden.» – «Das rote Haarband der schwarzen Poetin und Aktivistin Amanda Gorman – der jüngsten Dichterin, die je zur Vereidigung eines US-Präsidenten auftrat

Also hat auch Kedves etwas Mühe, zwischen Realität und Schwärmerei zu unterscheiden. In ihrem grossen Berg-Verteidigungsartikel zählt sie zuerst die literarischen Meriten auf, die von niemandem bestritten werden. Dann repetiert sie auszugsweise die Ergebnisse der Recherche der NZZ. Dann geht Kedves zur freihändigen Verteidigung des nächsten Idols über: «Bezüglich ihres Privatlebens darf sie sich bedeckt halten, so wie das eine Menge Autorinnen und Autoren vor ihr taten.» Das wäre richtig, wenn nicht fast alle dieser widersprüchlichen Erzählungen über das Privatleben der Schriftstellerin – von Berg selbst stammen würden.

Dann lässt Kedves ein wenig Bildung aufblitzen. Allerdings mit ausnahmslos falschen Vergleichen. Der Verleger von «Gullivers Reisen» habe die Identität des Autors nicht gekannt. Dass es 1726 nicht sehr ratsam war, selbst romanhaft verkleidet scharfe satirische Spitzen gegen die herrschende englische Klasse zu schreiben, mag wohl auch Kedves einsichtig erscheinen. Wenn sie es denn wüsste. Dann führt sie noch die Brontë-Schwestern an, die unter Pseudonym geschrieben haben. Das hat aber nichts damit zu tun, dass sie sich bezüglich ihres Privatlebens «bedeckt halten wollten». Und schliesslich noch «der amerikanische literarische Superstar Thomas Pynchon», der sich den Medien «fast komplett» verweigere. Das ist richtig, damit steht er aber in scharfem Gegensatz zu Berg, die sich niemals den Medien verweigert.

Ausser, wenn sie mit kritischen Fragen konfrontiert wird. Dagegen urteilt Kedves nassforsch: «Die Lesenden haben kein Anrecht auf ihre private Geschichte.» Das mag stimmen, beantwortet aber nicht die Frage, ob und warum Berg bei den vielen Erzählungen über ihre Biographie geflunkert, erfunden, dazugedichtet, umgedichtet hat.

Das mag noch angehen. Sollte das auch bei ihren non-fiktionalen Reportagen der Fall gewesen sein – hier trippelt dann Kedves auf den Zehenspitzen: «Dass da eine Claas-Relotius-hafte Imaginationskraft mitgeschrieben hat, will der NZZ-Journalist nicht ausschliessen» –, gibt es ein gröberes Problem mit Sibylle Berg. Ein Problem der Glaubwürdigkeit.

Denn bei aller Liebe zum Fluiden: Claas Relotius und Tom Kummer sind eine Schande ihres Berufs, da nützt auch keine noch so verschwurbelte Erklärung oder gar Rechtfertigung etwas. Denn was sie betrieben (oder noch betreiben), ist Leserverarschung. Ein Anschlag auf die sowieso schon erschütterte Glaubwürdigkeit der Medien. Mit einem Wort: eine Schweinerei.

 

Bruce war hier

Ein Konzert in Zürich, vier Blickwinkel.

Alle sind sich einig: Bruce Springsteen ist einer der Grössten. Er ist 73 und immer noch «going strong». Er arbeitet sich durch einen Konzertabend, drei Stunden sind das Minimum. Nun schwanken die Konzertkritiker zwischen Bewunderung und Gemäkel. Aber auf ganz verschiedenen Niveaus.

Den oberen Kammerton setzt, who else, die NZZ. Schon im Titel ist eigentlich alles drin: «Bruce Springsteen ist der «Last Man Standing» des Rock’n’Roll». Mit sicherer Hand wählt Adrian Schräder die Höhepunkte des Abends, «Nightshift». Genauso gut fasst er das Wesen des Sängers zusammen: «Und mit der stoischen Kraft seines Daseins stemmt er sich dagegen, von irgendetwas vereinnahmt, beherrscht oder übervorteilt zu werden

Wie alle anderen bemängelt Schräder die Tonqualität am Anfang des Sets, ist dann voller Bewunderung für die Präzision des Auftritts: «Etwa seine E-Street Band, die ihn vom ersten Ton an mit geradezu überwältigender Wucht – manchmal gehen mit ihr fast die Pferdchen durch – begleitet und ihm an diesem wunderschönen Sommerabend in Sachen Spielfreude in nichts nachsteht.» Dann spürt man, wie der Rezensent – und sicher nicht nur er – beim Zugabeblock richtig mitgerissen wurde: «Mit «Born In The USA», «Born To Run», «Bobby Jean», «Glory Days» und «Dancing In The Dark» bündelt «The Boss» fünf seiner grössten Hits zu einen Powerpaket. Und so klingt, neben diesen Supernummern, die jedem Autoradio, jeder Strasse gut anstehen, letztlich die Geschichte nach, die der so in der Musik eingemittete Star des Abends vor dem Song «Last Man Standing» erzählte.»

Ziemlich trocken kommt dagegen die Beschreibung von Erika Unternährer in «20 Minuten» daher. «Während mehr als drei Stunden gab die Rockband Springsteens Tophits zum Besten.» Au weia. Statt in die Musik einzudringen, gibt’s Oberflächliches: «Der fitte Springsteen (73) ist seinem Stil treu geblieben: Er trug ein figurbetontes schwarzes Jeanshemd, um den Hals eine Silberkette mit Anhänger und die schwarzen Turnschuhe mit leuchtend weisser Sohle verliehen ihm noch mehr Jugendlichkeit.» Oh je. «Diese Songs spielte die Band, So interagierte Springsteen mit dem Publikum, Diese Zugaben spielte Springsteen». An der Journalistin ist eine Buchhalterin verlorengegangen. Schade auch, da wäre sie sicher gut.

Etwas mehr Pep kriegt Carl-Philipp Franke für CH Media hin. Er kommt so schnörkellos wie der Boss gleich zur Sache: «Im ausverkauften Letzigrund Stadion hat er gezeigt, wie eine Rock’n’Roll-Show geht.» Denn: «Die Maschine läuft, das Publikum brennt.» Dann lässt Franke eine kondensierte Beobachtung auf die nächste folgen: «Springsteen ist der Master of Ceremony, Dreh- und Angelpunkt der Show. Dabei macht er kaum Ansagen. Ohne grosse Worte ist er der grosse Kommunikator.» Und: «Springsteen variiert die Dynamik, lässt den Song zusammenfallen, die Band leise brummen, bevor sie wieder explodiert. One, two, three…und weiter gehts. Ohne Unterbruch, die Spannung bleibt.»

Man ist sogar geneigt, seiner Schlusspointe zuzustimmen: «Auf dem Bühnendach des Letzigrund Stadions flattern derweil einträchtig die amerikanische und die Schweizer Flagge nebeneinander. Das gute Amerika war hier.»

Für Tamedia liefert Jean-Martin Büttner das ab, was man von diesem Medienhaus erwarten konnte. Eine Mischung aus Abschweifung, Gemecker und kleinen Ausbrüchen von Bewunderung. Schon im Lead ist das versammelt: «Maximaler Ausdruck, minimale Variation und lange ein schlechter Sound: Bruce Springsteen und seine E Street Band gaben am Dienstag im Zürcher Letzigrund ein kraftvolles, wenn auch gleichförmiges Konzert.»

Dann gibt es als Einstieg einen Ausflug nach Amsterdam, zu einem Sturz, der mit dem Sturz Bidens verglichen wird. Dann fällt Büttner auf, dass er eigentlich über das Konzert in der Schweiz berichten sollte: «Im Zürcher Letzigrund fällt Bruce Springsteen nicht hin, sondern löst mit seiner Präsenz und dem Engagement seiner Musikerinnen und Musiker ein, was er von Beginn an verspricht: «No Surrender», gib nicht auf.» Das nennt man mit quietschenden Reifen die Kurve kratzen.

Darauf folgt eine halbe Hinrichtung des Artisten: «Bruce Springsteen muss mit Intensität und Ausdauer kompensieren, was ihm an stilistischer Vielfalt abgeht.» Eigentlich eine Frechheit, bei dem Oeuvre. Sein letztes originelles Album verortet Büttner dann 1995, was auch ziemlich bescheuert ist.

Schliesslich erzählt Büttner, immer wieder abschweifend, die Geschichte von «Born in the USA» falsch. Damit habe er sich «die Unterstützung von Ronald Reagan» gesichert, gegen dessen «Vereinnahmung sich der Musiker auf auffallend zahme Weise wehrte». Blühender Unsinn, Springsteen machte es einen Heidenspass, dass Reagan (und viele dumpfe Republikaner mit ihm) «Born in the USA» als Loblied auf Amerika missverstanden. Dabei ist es eine zutiefst melancholische Abrechnung mit dem amerikanischen Traum, gekleidet in ein pumpendes, vor Kraft fast nicht gehen könnendes musikalisches Powerpaket.

Kein Wunder, dass dann auch Büttners Resümee sehr durchwachsen ausfällt: «Was das Konzert bei allen Längen und Wiederholungen, trotz der Gleichförmigkeit der Arrangements und Akkordfolgen, ungeachtet der fast durchgängig gleich klingenden Begleitung vitalisiert, ist Bruce Springsteens überbordende Begeisterung.»

Die scheint er nun zumindest bei Büttner, im Gegensatz zu den übrigen 48’000 Zuhörern, nicht ausgelöst zu haben.

Ach, da fehlt doch ein Organ, das gerade die Bezahlschranke hochgefahren hat, um «noch mehr» tolle Artikel auf seine Leser regnen zu lassen. Aber zumindest am Tag danach ist dem «Blick» das Konzert keine Zeile wert. Vielleicht sind da alle Kräfte durch Rammstein gebunden.

 

Tut nichts, der Sänger wird verbrannt

Bislang hat Till Lindemann den Shitstorm überlebt …

Früher war es eine Methode der englischen Boulevardmedien, zwecks Auflagen-Steigerung schlichtweg alles zu unternehmen. Paparazzi lauerten Prominenten mit den leistungsstärksten Teleobjektiven auf. Hörten deren Gespräche ab. Bestachen das Personal für Insider-Informationen. Machten aus einer vagen Vermutung einen konkreten Verdacht, juristisch abgedämpft durch ein Fragezeichen.

Ähnlich Sitten haben inzwischen im deutschen Journalismus Einzug gehalten. Nicht etwa bei «Bild» und «Bunte», sondern bei «Spiegel» und «Süddeutsche Zeitung». Durch die unselige Kooperation aus Spargründen mit Tamedia schwappt diese Jauche aus beiden Organen auch in die Schweiz.

Immerhin hat sich Tamedia aufgerafft, gegen seinen Kooperationspartner «Spiegel» Klage einzureichen. Allerdings nur deswegen, weil sich Big Boss Pietro Supino in die Nähe des verurteilten Straftäters Harvey Weinstein gerückt fühlt. Dass der «Spiegel» einer frustrierten Ex-Mitarbeiterin, deren Mobbing nicht den gewünschten Erfolg hatte, seine Spalten öffnete, um Unschlitt über ihren ehemaligen Chef zu giessen, das kratzte Tamedia weniger.

Nachdem der «Spiegel» sich seit seiner Hetze gegen Luke Mockridge sozusagen eine Pole Position erobert hatte, die er mit Schmierereien gegen einen erfolgreichen Schauspieler und einen Drei-Sterne-Koch ausbaute, wollte nun auch die «SZ» nachziehen. Als sei’s ein Stück von Tom Kummer feuerte das Blatt aus München eine Breitseite gegen den Sänger der Band Rammstein ab.

Das Gebräu besteht immer aus den gleichen Zutaten. Anonyme Anschuldigungen, Behauptungen, aufgejazzt und verbal aufgepumpt zu Ungeheuerlichkeiten. Sogar die NZZ verstieg sich – unglaublich – zum Titel «Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Erst, als der Verstand wieder einsetzte, wurde er korrigiert, ohne das transparent zu machen. Das entspräche den «üblichen redaktionellen Prozessen», machte sich das Weltblatt gegenüber ZACKBUM lächerlich.

Dabei bestehen die Anschuldigungen gegen den exzentrischen Sänger bislang aus vagen Behauptungen der Ausübung von Dominanz zur Erlangung von sexuellen Handlungen. Wohlgemerkt von Groupies. Nicht einmal eine Klage wurde eingereicht, nicht einmal eine Vergewaltigung wurde bislang behauptet.

Aber wenn die Meute losgaloppiert, ist kein Halten mehr. Dass die Band sich von den Anschuldigungen betroffen zeigte, wurde als halbes Schuldeingeständnis missinterpretiert. Dass sie darauf besteht, dass die Unschuldsvermutung gelte, wurde hohnlächelnd rapportiert.

Nun hat Till Lindemann durch seine Anwälte verlauten lassen, dass diese Vorwürfe «ausnahmslos unwahr» seien – und juristische Konsequenzen hätten. Die Anwälte sagen:

«Wir werden wegen sämtlichen Anschuldigungen dieser Art umgehend rechtliche Schritte gegen die einzelnen Personen einleiten.»

Hoffentlich umfasst das auch alle Medien, die diese Anschuldigungen kolportierten.

Die abgesehen davon diese juristische Offensive bislang mit Schweigen quittierten. Und sich für unangreifbar halten. Denn man hat ja nur, von den Verlagsjuristen abgeschmeckt, im Konjunktiv Behauptungen aufgestellt, sich dabei auf angeblich vorhandene Zeugenaussagen abgestützt, nur seiner Berichterstatterpflicht nachgelebt.

Ist es eigentlich irgend einem Mitglied der Journaille bewusst, welch unglaubliche Lächerlichkeit in dieser Meldung steckt? «Auf dem Konzertgelände gibt es «Awareness-Bereiche» und «Safe Spaces» für Besucherinnen und Besucher, die sich möglicherweise unwohl fühlen.» Da fehlen die Worte …

Aber keinesfalls könne man etwa dafür, wenn der Ruf Lindemanns, so wie der von Luckridge, Canonica, Schweiger und anderen, rettungslos ruiniert ist. Für immer wird an ihm kleben: ist das nicht der, der Groupies mit Drogen oder Alkohol willfährig gemacht hat?

Wenn sich herausstellen sollte: nein, das ist der nicht, das hat er nicht gemacht, das waren unbelegte Anschuldigungen von willigen Groupies, die sich auf seine Kosten ihre 15 Minuten Ruhm verschaffen wollten, dann wird das nicht mal erinnert werden.

«Tut nichts, der Jude wird verbrannt», heisst es in «Nathan der Weise» von Lessing. Aber wer kennt schon noch Lessing, wer kennt noch Nathan der Weise. Keiner dieser journalistischen Frettchen.

Die Nicht-Antwort

Die Medienstelle der NZZ hat geruht zu antworten.

Das hätte sie vielleicht besser nicht getan. Denn natürlich steigt die Erwartungshaltung, wenn sie mehr als zwei Tage braucht, um auf ein paar konkrete Fragen zu antworten.

Die da lauteten:

Der Titel über dem Artikel von Ueli Bernays lautete ursprünglich:
«Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden».
Der wurde nachträglich geändert in:
«Till Lindemann und Rammstein: Was ist Tat, was ist Fiktion?».
Dazu habe ich folgende Fragen:
1. Wie ist es möglich, dass der erste Titel mit einer ungeheuerlichen Unterstellung durch alle Kontrollinstanzen der NZZ rutschte?
2. Unbelegte Vorverurteilung, Missachtung der Unschuldsvermutung, Übernahme von Behauptungen anderer Medien ohne die geringste Eigenrecherche; ist das das Niveau, dass die NZZ einhalten möchte?
3. Normalerweise werden solche nachträglichen Eingriffe (deren gab es auch im Lauftext) transparent kenntlich gemacht, weil der spätere Leser die Veränderung nicht bemerkt. Wieso macht das die NZZ nicht?
4. Hat dieser Vorfall für den verursachenden Redaktor arbeitsrechtliche Konsequenzen? Schliesslich ist er Wiederholungstäter (Stichwort Roger Waters).
5. Im Text von Ueli Bernays heisst es:
«Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.»
Das ist nun ein wörtliches Zitat aus dem entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung», das aber nicht als Zitat gekennzeichnet ist. Handelt es sich hier nicht auch um einen journalistischen Faux-pas, der öffentlich korrigiert werden müsste?
Trommelwirbel, Tusch und Fanfare, die Antwort des Weltblatts:
«Vielen Dank für Ihr Interesse an unserer Berichterstattung und Ihre Anfrage, die wir gerne beantworten.
Das Vorgehen entspricht selbstverständlich den üblichen redaktionellen Prozessen
Schön, dass wir nun wissen:
– einen nicht mal Angeschuldigten unter krasser Missachtung der Unschuldsvermutung als «Täter» zu bezeichnen
– diesen ungeheuerlichen Titel nachträglich zu ändern, ohne das dem Leser gegenüber transparent zu machen
– wortwörtlich aus einer anderen Zeitung zitieren, ohne das als Zitat kenntlich zu machen, was man gemeinhin Plagiat nennt,
das alles entspricht inzwischen bei der NZZ «den üblichen redaktionellen Prozessen». Da kann man nur hoffen, dass sie durch unübliche ersetzt werden. Zum Beispiel durch Prozesse, die die primitivsten journalistischen Regeln berücksichtigen.
Aber ZACKBUM wird nicht mehr nachfragen, solche Nicht-Antworten entsprechen nicht unseren Vorstellungen von redaktionellen Prozessen.

Das Schweigen der NZZ

Etwas unerwartet, aber bezeichnend für den Zustand der Medien.

Journalisten erwarten, dass Medienstellen ihre Anfragen beantworten. Journalisten erwarten, dass das innerhalb der gesetzten Frist erfolgt. Wird nicht geantwortet, sind Journalisten sauer.

Einfach nicht antworten, das greift immer mehr um sich. Patrizia Laeri, Hansi Voigt, Jolanda Spiess-Hegglin, Aline Trede, (fast) alle Stiftungsräte von «Netzcourage», Swissaid: öffentlich ausgeteilt und behauptet wird gerne. Eingesteckt und beantwortet weniger gerne.

Nun reiht sich auch die NZZ ein. Im Zusammenhang mit dem bedenklich schlechten Stück ihres Mitarbeiters Ueli Bernays, einem völlig missglückten Denunziationsartikel, der auf die Unschuldsvermutung und die meisten journalistischen Regeln pfeift, bekam die Medienstelle diese Anfrage von ZACKBUM:

Der Titel über dem Artikel von Ueli Bernays lautete ursprünglich:
«Till Lindemann und Rammstein: Aus dem Künstler ist ein Täter geworden».
Der wurde nachträglich geändert in:
«Till Lindemann und Rammstein: Was ist Tat, was ist Fiktion?».
Dazu habe ich folgende Fragen:
1. Wie ist es möglich, dass der erste Titel mit einer ungeheuerlichen Unterstellung durch alle Kontrollinstanzen der NZZ rutschte?
2. Unbelegte Vorverurteilung, Missachtung der Unschuldsvermutung, Übernahme von Behauptungen anderer Medien ohne die geringste Eigenrecherche; ist das das Niveau, dass die NZZ einhalten möchte?
3. Normalerweise werden solche nachträglichen Eingriffe (deren gab es auch im Lauftext) transparent kenntlich gemacht, weil der spätere Leser die Veränderung nicht bemerkt. Wieso macht das die NZZ nicht?
4. Hat dieser Vorfall für den verursachenden Redaktor arbeitsrechtliche Konsequenzen? Schliesslich ist er Wiederholungstäter (Stichwort Roger Waters).
5. Im Text von Ueli Bernays heisst es:
«Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja.»
Das ist nun ein wörtliches Zitat aus dem entsprechenden Artikel der «Süddeutschen Zeitung», das aber nicht als Zitat gekennzeichnet ist. Handelt es sich hier nicht auch um einen journalistischen Faux-pas, der öffentlich korrigiert werden müsste?
Berechtigte Fragen, deren Bote ZACKBUM lediglich ist. Denn die Peinlichkeit hatte ja die NZZ publiziert; keine der Fragen ist ehrenrührig, unziemlich oder unanständig.
Unanständig ist hingegen, sie einfach mit Missachtung zu strafen. Antwortfrist verstreichen lassen, nicht einmal auf eine Nachfrage reagieren. Die üblen Verhaltensweisen von anderen kopieren. Wenn schon niveaulos, dann richtig, sagt sich wohl die alte Tante.

Die Abschreiber

Früher gab es wenigstens noch Sensationsjournalismus.

Heutzutage ist das zum Denunziationsjournalismus degeneriert. Das Lieblingshassobjekt ist der Mann. Am besten der berühmte, wenigstens der bekannte Mann. Dem wird dann irgendwas vorgeworfen (nach der Affäre Rammstein kann man nicht mal mehr von eindeutigen Tatbeständen sprechen). Die Anschuldigungen erfolgen anonym, liegen auch gerne schon Jahre zurück und lassen sich in keiner Weise belegen oder schlüssig nachweisen.

Meistens beginnt es mit einer Anschuldigung in den sozialen Medien, mit einem «Jetzt rede ich»-Text. Der folgt immer dem gleichen Schema. Es werden unbelegte Anschuldigungen erhoben, die oft viele Jahre zurückliegen. Statt Straftatbeständen (die sowieso meistens verjährt wären), werden Befindlichkeiten («verletzt, gedemütigt, diskriminiert, herabgewürdigt, ungerecht behandelt, sexistisch missbraucht») angeführt.

Daraufhin melden sich unvermeidbar Trittbrettfahrerinnen. Dabei ist keine Story zu alt oder abgefahren, um nicht mit ihr an die Öffentlichkeit zu gehen. Liegt sie schon viele Jahre zurück, konnte die Betroffene eben nicht vorher darüber reden, nun kann sie «nicht länger schweigen», wie Patrizia Laeri begründete, dass sie mehr als 20 Jahre danach mit einer versuchten Kussattacke Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Als die Untersuchung nichts, beziehungsweise Widersprüchlichkeiten in ihren Behauptungen ergab, kündigte sie verschnupft eine «juristische Prüfung» an, da sei sicherlich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Seither ist Schweigen.

Während bislang der «Spiegel» für sich eine Vorreiterrolle in Anspruch nehmen konnte – er denunzierte bereits einen deutschen Comedian, einen Schweizer Ex-Chefredaktor, einen deutschen Schauspieler und einen Drei-Sterne-Koch, dazu berichtete er über anonyme Anschuldigungen gegen den Sänger der linksradikalen Band «Feine Sahne Fischfilet» –, hat nun auch die «Süddeutsche Zeitung» zugeschlagen.

Obwohl sie ganze sechs Kräfte auf die Story warf, sind die Ergebnisse allerdings erschütternd mager. Andeutungen, Behauptungen, angebliches aggressives Verhalten, eine Zustimmung, die dann doch nicht so gemeint war, Groupies, die wohl annahmen, bei der After-Show-Party würde Bingo gespielt, berichten unter dem Schutz der Anonymität. Dabei gibt es auch solche Berichte:

«Beim Tanzen habe er seine Hand auf ihre Taille gelegt. Da habe sie ihm gesagt, sie wolle nicht, dass er ihr nah kommt, das habe er wohl falsch verstanden. Und er habe das akzeptiert, sich sogar entschuldigt. Am Ende des Abends sei Lindemann ohne weibliche Begleitung nach Hause gegangen, obwohl es nach ihrem Eindruck «genug Frauen gab, die mit ihm schlafen wollten»».

Da musste die SZ tief Luft holen, um das zu einem Skandal aufzupumpen:

«Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja. Die Beziehung zwischen Groupies und Stars mag immer asymmetrisch sein. Im Falle des 60-jährigen Lindemann und der jungen Frauen – viele offenbar im Teenageralter – war das Verhältnis aber von äusserster Ungleichheit. Die Groupies scheinen nach den von ihnen öffentlich gemachten sexuellen Handlungen denn auch nicht recht gewusst zu haben, ob sie nun von einem Halbgott, einem Rocker-Zeus, beehrt oder aber von einem alten Lüstling missbraucht worden waren

Früher, als die Zeiten besser waren und Journalismus noch Regeln folgte, hätte spätestens hier eine Kontrollinstanz gesagt: damit habt ihr aber eure sowieso schon dünne Story gekillt, Papierkorb.

Heute aber wird sie ins Blatt gehievt. Und wie es Trittbrettfahrerinnen bei den Anschuldigungen gibt, steigen auch die übrigen ausgehungerten Medien auf diesen Zug und krähen tapfer mit. Die sonst seriöse NZZ versteigt sich sogar zum Titel: «Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Um ihn dann, als der Verstand wieder einsetzte, zu «Was ist Tat, was ist Fiktion?» abzuschwächen. Notabene ohne das transparent zu machen.

Noch schlimmer als solche Trittbrettfahrten ist eigentlich nur noch eines: das copy/paste-Abschreiben, wie es das Haus der Qualitätsmedien «Tages-Anzeiger» pflegt. Hier übernimmt man tel quel den Artikel aus München, ohne die Gelegenheit zu nützen, wenigstens ein wenig Eigenrecherche zu betreiben. Dafür melkt die gesundgeschrumpfte Redaktion insgesamt 5 Storys aus dem Thema, dass eine deutsche Rockband mit deutschen Provokationen zu deutschen Problemen berühmt geworden ist.

Natürlich interessiert das auch den Schweizer Fan von «Rammstein», der überwiegenden Mehrheit der Tagi-Leser geht da aber genauso am Hintern vorbei wie die ewige Quengelei wegen Gendern, Gendersternchen und der Ausmerzung angeblich diskriminierender Begriffe.

Abgeschriebener Denunziationsjournalismus, eisernes Schweigen gegenüber des Skandals, der sich im eigenen Haus im «Magazin» abspielt, Gedankenleere, dafür Kampagnenjournalismus vom Übelsten, was die Themen Neutralität oder Waffenlieferungen an die Ukraine betrifft, immer wieder Artikel und Leitartikel zum Gendern, obwohl das Dreiviertel der Leser null interessiert. Wer da behauptet, die Umstände, das Umfeld, die Inseratelage, die Zahlbereitschaft, das Internet seien die Probleme der modernen Medien, bekommt hier deutlich vorgeführt: mag alles eine Rolle spielen.

Aber die abgründige Unfähigkeit und Dummheit der Zeitungsmacher ist die Hauptursache für den Niedergang.

Rammelstein?

Was wahr ist, klar ist – oder nicht.

Die «Süddeutsche Zeitung» nimmt den inzwischen bekannten Sound auf: «Es geht um die Verführung weiblicher Fans durch die Nähe zu einer sehr prominenten Person, um möglichen Machtmissbrauch und mutmaßliche sexuelle Übergriffe.»

Wie immer ist es eine Gemengelage. Der Herausgeber des Gedichtbands von Till Lindemann, dem Sänger von «Rammstein», ist einer der Feuilletonchefs der SZ. Der herausgebende Verlag hat sich inzwischen mit Abscheu von seinem Autor abgewandt.

Auslöser scheint ein irischer Fan zu sein, der den Verdacht äusserte, bei einer Party vor der Show sei ihr mit einer Droge versetzter Alkohol gegeben worden. Diese Shelby besteht ausdrücklich darauf, dass sie nicht angefasst oder vergewaltigt worden sei. Allerdings habe der Sänger Sex mit ihr gewollt, was sie jedoch abgelehnt habe. Danach Filmriss, sie sei mit blauen Flecken, sonst aber unbeschädigt aufgewacht. Ein Drogentest am nächsten Morgen war negativ.

Die Band dementiert und schweigt ansonsten. Im Anschluss «rollte die Welle schon», wie die SZ schreibt. Sie und der NDR hätten mit «zahlreichen Frauen gesprochen». Und: «Sie erheben teils schwere Vorwürfe gegen Lindemann. Alle Namen sind der Redaktion bekannt, einige der Frauen versichern ihre Angaben an Eides statt. Alle mutmaßlich Betroffenen bleiben in diesem Text zu ihrem Schutz anonym, die verwendeten Namen sind nicht ihre echten.»

Die Erzählungen gehen so, dass es ein eigentliches Casting für die «Row Zero» gebe, den Bereich unmittelbar vor der Bühne, in den man nur per Einladung kommt. Dafür werden Frauen angefragt, denen auch ein anschließender Besuch Backstage zugesichert werde. Dort passiere nur das, was die Groupies auch wollten. Eine erzählt in der SZ:

«Ich will nicht sagen, dass das eine Vergewaltigung war, weil ich ja zugestimmt habe, aber ich war jetzt auch nicht offensichtlich glücklich darüber, was da passiert.»

Nach weiteren solchen Storys wechselt die SZ die Ebene: «Die Frage ist, ob alle Frauen, die bei Lindemann landen, dort noch mit so klarem Bewusstsein ankommen, um jederzeit selbst die Kontrolle zurückgewinnen oder sich später richtig erinnern zu können. Oder ob der ganze Vorgang nicht von vorneherein so asymmetrisch, so manipulativ angelegt ist, dass man von Freiwilligkeit nicht mehr sprechen kann und dass sich im Nachhinein leicht Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Frauen säen lassen

25’000 Anschläge ist die Story lang; es liegen bislang keinerlei Strafanzeigen vor; keine der im Text erscheinenden Frauen hat die Absicht geäussert, gegen Lindemann oder die Band rechtlich vorgehe zu wollen. Diese Spekulation soll nur dazu dienen, die Story zu rechtfertigen, zu mehr taugt sie nicht.

Ganze sechs Autoren hat die SZ für diesen Aufreger abgestellt. Sie ist sozusagen die Antwort aus München auf die Till-Schweiger-Story aus Hamburg.

Rammsteins USP, die Masche, wenn man so will, ist martialisches Pathos, unterlegt mit Provokationen jeder Art, grenzwertigen Texten und Musikvideos. Kann man mögen oder lassen.

Natürlich ist hier alles drin, was eine Story heiss macht. Deutschlands erfolgreichste Band, ihr grenzgängerischer Sänger, Groupies, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe. Während der «Spiegel» im Fall Roshani zumindest mit Fotos eine Ähnlichkeit der Vorfälle mit dem Verhalten der verurteilten Straftäters Harvey Weinstein in den USA herstellen wollte, beschreibt die SZ die Rolle einer gewissen Alena Makeeva als eine Art Casting-Direktorin, die die Girls vor den Konzerten für die «Row Zero» kontaktiert, auswählt und ihnen Tips gibt, wie sie sich anzuziehen haben und was sie erwarten könnte. Also vielleicht so eine Art Ghislaine Maxwell, die dem Sexualstraftäter Jeffrey Epstein Mädchen zuführte.

Natürlich rauscht diese Story durch die Medien, alle wollen sich ein Scheibchen davon abschneiden, in der Schweiz am lautesten natürlich der «Blick»:

Natürlich wiederkäut auch Tamedia «Die Groupies von «Row Zero», der «Spiegel «Bad Guys und Groupies», nau.ch, usw. Nur: CH Media übt sich (bislang) in Zurückhaltung.

Nun hat auch noch die NZZ eingegriffen, und wenn man den Text der Gesellschaftsredaktorin Esthy Baumann-Rüdiger liest, meint man, die Beschreibung einer anderen Realität zu bekommen. Die Autorin hat «mit mehreren Frauen geredet, die bei Rammstein hinter die Bühne geblickt, mit Rammstein-Sänger Till Lindemann geredet, gefeiert und ihn angeblich geküsst haben».

Nur haben hier die Groupies ganz andere Geschichten zu erzählen: «Lindemann sei ein freundlicher, zurückhaltender Mensch, sagt Mona. Als er sich zum Gespräch auf einen Sessel begeben habe, sei er direkt von zwei Frauen auf den Lehnen umrankt worden. «Er hielt seine Hände auf den Knien, wie ein Schuljunge. Auf mich wirkte es, als sei ihm all die Aufmerksamkeit zu viel», erzählt Mona. Als er dann mit ihr gesprochen habe, sei es ihr vorgekommen, als geniesse er es, mit jemandem zu sprechen, der ihn nicht anhimmelt.»

Oder: «Man führte oberflächliche Gruppen-Gespräche und genoss ein paar Drinks», erzählt Diana. Kurz vor Konzertbeginn sei Alena erneut auf sie zugekommen, erzählt Diana. Till wolle sie alleine treffen, während der Konzertpause. Warum der Sänger sie ausgewählt hat, weiss Diana nicht. … Während des Gesprächs soll es zu einem Kuss gekommen sein. «Dann bin ich für manche nun eben ein Groupie. Das ist mir egal.» Diana betont: «Der Kuss ging klar von mir aus. Till hätte nichts versucht.»

Auch die analytische Metaebene sieht in der NZZ ganz anders als in der SZ aus: «Doch in der «Row Zero» treffen zwei Welten aufeinander. Die alte, sexistisch geprägte Musikindustrie und junge, während #MeToo erwachsen gewordene Frauen. Groupies? Ja. Aber selbstbestimmt. So beschreiben es viele von ihnen zumindest selbst.»

All diese aufgepumpten Storys um Prominente (oder im Fall des Ex-«Magazin»-Chefredaktors weniger Prominente) haben einen ähnlichen Sound. Machtgefälle werden von triebstarken Männern ausgenützt, von ihnen abhängige Frauen können sich nicht wehren, gehen oft erst viele Jahre nach solchen Vorfällen an die Öffentlichkeit. Oder haben das Problem, dass Vorgänge unter vier Augen schwer objektivierter sind.

Aber durch die Darstellung – wie mehrfach im «Spiegel», wie nun auch in der «Süddeutschen» – wird der Eindruck insinuiert, dass hier die Männer die Täter, die Frauen die Opfer sind. Auch wenn die SZ für diese These tief lufthohen muss, weil sie nicht einmal Aussagen von strafrechtlich relevanten sexuellen Belästigungen oder gar Vergewaltigungen anführen kann.

Gerade bei Groupies ist es tatsächlich so, dass junge Mädchen, die auf das Angebot eingehen, ihre Idole Backstage bei einer Party erleben zu dürfen, nur schwerlich behaupten können, dass es sie völlig überrascht hätte, dort angemacht oder gar angefasst zu werden. Natürlich wird ein solcher Satz von Kampffeministinnen in der Luft zerrissen, das sei so, wie wenn man unterstelle, durch das Tragen eines kurzen Rocks habe eine Frau ihre Vergewaltigung provoziert. Ist es aber nicht.

Till Schweiger und der zwischenzeitlich vom «Spiegel» unter Feuer genommene Drei-Sterne-Koch können aufatmen. Sie haben Pause. Im Feuer steht zurzeit Rammstein. Aber die spielen selbst oft genug mit dem Feuer und sollten das aushalten.

 

 

 

 

Quo vadis, NZZ?

Neben viel Intelligentem gibt es immer wieder bestürzend Dummes.

Der Kommentar «Noch nie ging es Frauen so gut» von Birgit Schmid in der NZZ strotzt vor Intelligenz, gutem Sprachgebrauch und Argumenten. Sie zerlegt die neue Weinerlichkeit, zu der europäischer, Schweizer Feminismus denaturiert ist. Je mehr er Phantomschmerzen bejammert, desto hysterischer wird er.

Damit zeigt Schmid auch durchaus Mut; logisch, wird ihr kleines Wunderwerk in feministischen Kreisen mit finsterem Schweigen beantwortet; dort bereitet man sich bereits auf den «Frauenstreiktag» am 14. Juni vor.

Auch viel Mut zeigt Andreas Rüesch mit seinem NZZ-Kommentar «Mehr Freiheit, weniger Neutralität». Allerdings ist es bei ihm Mut zur offen gezeigten Dummheit. Im Titel missbraucht er den alten FDP-Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat». Wie soll nun aber mehr Freiheit durch weniger Neutralität entstehen? Angesichts des Ukraine-Kriegs diagnostiziert Rüesch in der Schweiz «zwei Lager: die Fundamentalisten und die Schlaumeier». Mit diesen beiden abwertenden Begriffen meint er die Verteidiger der strikten Neutralität, die auch gegen Wirtschaftssanktionen gegen Russland seien. Und diejenigen, die eine «Lockerung» der Neutralität anstrebten, damit die Ukraine sogar mit Waffenlieferungen direkt oder indirekt unterstützt werden könnte.

Beides sei falsch, denn: «Neutralität ist nur so lange etwas wert, als sie vom Ausland anerkannt und geschätzt wird. Das trifft je länger, je weniger zu», weiss Rüesch, bleibt aber jeden Beweis dafür schuldig. Stattdessen greift er weit in die Geschichte zurück und wiederholt Altbekanntes, von 1689 an. Dann springt er schnell zur Nachkriegsordnung nach 1945, lässt aber beispielsweise den Vertrag von Versailles von 1919 aus, in dem die Neutralität der Schweiz «zum Zweck der Aufrechterhaltung des Friedens» anerkannt wurde.

Nach dieser selektiven Auswahl aus der Geschichte meint Rüesch, durch Wiederholung werde sein Argument besser: «Unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges nähert sich das ausländische Verständnis für die schweizerische Neutralität jedoch dem Nullpunkt. Aus den USA und der EU hagelt es Kritik an einer Politik, die als unsolidarisch und egoistisch betrachtet wird. Der ganze Westen hat sich angesichts der Bedrohung aus Russland einen Ruck gegeben, nur die Schweiz scheint die Zeitenwende zu verschlafen.»

Deutschland zum Beispiel hat sich den Ruck gegeben, die eigenen Waffenexportgesetze über Bord zu werfen; die USA geben sich gerade den Ruck, die Lieferung von Kampfflugzeugen nicht mehr kategorisch auszuschliessen. Aber die Schweiz habe die «Zeitenwende verschlafen», dass Rechtsstaatlichkeit keine Rolle mehr spielen soll. Was für ein aufeinandergestapelter Unsinn.

Repetitiv salbadert Rüesch, dass auch «befreundete Staaten» angeblich «befremdet» darüber seien, was immerhin Bundesrat Alain Berset bei seinem Besuch in Deutschland mal wieder klargestellt hat: die Schweiz hält sich an ihre Gesetze. Punkt. Befremden, Kritik daran, dass die Schweiz ein Rechtsstaat ist, das sollte nun niemanden, auch Rüesch nicht, ernsthaft ins Wanken bringen.

Völlig unverständlich wird er, wenn er sogar einen «wachsenden Reputationsverlust» befürchtet, wenn «die Schweiz die Krise auszusitzen versucht und auf ihrer Tradition beharrt». Himmels willen, ist denn nun auch in der NZZ alles erlaubt? Das Befolgen von Gesetzen, die Anwendung der vertragliche garantierten Neutralität, mit der die Schweiz im Übrigen durch zwei Weltkriege hindurch nicht schlecht gefahren ist, sei nun «aussitzen» und «beharren auf Traditionen»? Soll man also nicht länger auf der Tradition beharren, die Bundesverfassung und andere Gesetze ernst zu nehmen und ihnen nachzuleben, auch wenn das als «aussitzen einer Krise» missverstanden wird?

Behauptungen statt Argumente, nun läuft Rüesch in die Zielgerade ein: «Eines ist klar: Die Neutralität hat ihre ursprüngliche Raison d’être längst verloren.» Wem ist das klar, wieso sollte das so sein, was hat sich geändert? «All dies ist passé, da unsere Nachbarn längst in Frieden miteinander leben. Die Schweiz ist nicht mehr neutral, weil sie damit einer Staatsräson folgt, sondern weil die Neutralität Teil einer kaum noch hinterfragten nationalen Identität geworden ist.»

Unsere Nachbarn leben zurzeit in Frieden miteinander. Entweder glaubt auch Rüesch an das Ende der Geschichte, oder aber, das könnte sich im Verlauf der kommenden Jahrzehnte durchaus wieder ändern. Man denke nur an die vielen internen Probleme, die sich in Italien, Frankreich, aber auch Deutschland aufstapeln.

Oder verlängern wir Rüeschs Gedankengang nicht in die Zukunft, sondern in die Vergangenheit. Laut ihm hätte sich die Schweiz also auch spätestens ab 1939 einen Ruck geben sollen, nicht länger auf überkommenen Traditionen verharren, den Zweiten Weltkrieg nicht «aussitzen», sondern die «Freiheit von Europa» nicht zuletzt mit Waffenlieferungen an die Alliierten stärken sollen? Selbst Rüesch sollte dazu in der Lage sein, sich auszumalen, was das bewirkt hätte …

Was wäre denn heute die Alternative zur angeblich obsolet gewordenen Neutralität? Da wirft Rüesch den nicht gerade originellen Begriff der «Bündnisfreiheit» in die Runde. Genauer: Die Schweiz könne «gefahrlos ihre Politik der dauernden Neutralität aufkündigen und zu einer fallweisen, «einfachen» Neutralität übergehen».

Jetzt ist die Katze aus dem Sack. Neutralität von Fall zu Fall. Das passt zu Rechtsstaatlichkeit von Fall zu Fall.  Und wer oder was entscheidet, wann man es mal nicht so eng sehen sollte mit der Neutralität? «Der jetzige Fall eines Aggressionskrieges in Europa, der auch Schweizer Interessen mit Füssen tritt, wäre das Paradebeispiel einer solchen Konstellation.»

Pardon, welche Schweizer Interessen werden durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine «mit Füssen getreten»? Laut Rüesch in erster Linie die Interessen der Schweizer Rüstungsindustrie: «Die Schweiz bliebe frei von Bündnispflichten, aber sie gewänne ungeahnte Freiräume in der Verfolgung ihrer Interessen hinzu, erlöst aus der Zwangsjacke ihrer bisherigen Aussenpolitik. Zugleich öffnete sich ein Weg, um die Freiheit Europas zu stärken – mit der Lieferung von Militärmaterial an die Ukraine, die in ihrem Überlebenskampf auch auf die Schweiz angewiesen ist

Ohne Schweizer Hilfe könnte die Ukraine ihren Überlebenskampf verlieren, mit ihr gewinnen? Welch ein unfassbarer Unsinn.

«Zwangsjacke, erlöst, Freiheit» für Waffenhändler und -hersteller? Was für ein armseliges Bild soll die Schweiz abgeben, wenn es nach Rüesch ginge. Glücklicherweise geht es nicht nach ihm; aber dass ausgerechnet die NZZ ihm den Platz einräumt, diesen Anschlag auf die Fundamente des Schweizer Rechtsstaats zu unternehmen und ungeniert die Interessen der Schweizer Rüstungsindustrie zu vertreten, das ist beunruhigend.

 

Schweigen über Schweinereien

#hateleaks? Gar nicht erst ignorieren. Obwohl der vierte Teil Abscheuliches aufzeigt.

Obwohl oder weil Jolanda Spiess-Hegglin unablässig die Öffentlichkeit sucht mit dem Argument, dass sie endlich einmal aus der Öffentlichkeit verschwinden wolle, ist das Verhältnis der Medien zu ihr kompliziert.

Nun hat die Tamedia-Journalistin und Buchautorin Michèle Binswanger die sogenannten «#hateleaks» angestossen. Eine Blog-Reihe, die aus ihr zugespielten Chats und internem Meinungsaustausch des Umfelds von JSH besteht. Ziel der Teilnehmer war offenbar, das «Scheissbuch» (die grüne Fraktionschefin Aline Trede) zu verhindern, bzw. die Autorin «zum Auswandern» zu bewegen, wie JSH unverblümt die Marschorder ausgibt. Dafür machte JSH mitsamt Gesinnungsgenossen gerne «die kleine Drecksarbeit».

Dabei waren auch Journalisten wie Pascal Hollenstein, Hansi Voigt oder Miriam Suter. Was hier alles an Hetze geplant wurde, widerspricht den hehren Zielen von «Netzcourage». Wenn JSH wie an der HSG als Spezialistin für «digitale Gewalt» auftritt, könnte sie eigentlich einfach aus dem Nähkästchen plaudern.

Nun haben aber die grossen Multiplikatoren ein Problem mit dem Thema. Ringier möchte sich überhaupt nicht äussern, schliesslich steht der Verlag in einem Rechtsstreit mit JSH, die eine Gewinnherausgabe der über sie im «Blick» erschienenen Artikel fordert.

Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger» hat lange Zähne, weil Binswanger eine leitende Funktion einnimmt. Und für die NZZ ist das Ganze doch etwas zu boulevardesk, nachdem sie sich schon im Fall Roshani schwer die Finger verbrannt hat mit einer sehr einseitigen Berichterstattung, um dann anschliessend die übrigen Medien wegen zu einseitiger Berichterstattung in die Pfanne zu hauen.

Das Schweizer Staatsfernsehen, Pardon, der Zwangsgebührensender SRF hat auch Schlagseite in Richtung JSH (und Roshani), der fällt aus.

Also veröffentlicht ein Investigativ-Team eine Blogfolge nach der anderen – und es herrscht Schweigen. Abgesehen von der Mini-Plattform «inside-justiz» («Zickenkrieg»), persoenlich.comDokumente sollen Kampagne gegen Journalistin belegen») und dem Autor dieser Zeilen mit einem fleissig kommentierten Artikel in der «Weltwoche» («Verschwörung gegen eine Journalistin»).

Nun traut sich immerhin noch «20 Minuten» an die Sache ran, mit einem geeierten Titel: «Spiess-Hegglins Team: Chatgruppe gegen «Tagi»-Journalistin – prominente Politikerinnen lasen mit». So vorsichtig geht’s dann auch im Artikel weiter: «In einem Gruppenchat sollen Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin und ihre Mitstreiterinnen die «Tages-Anzeiger»-Journalistin Michèle Binswanger beleidigt haben.»

Nicht wirklich, sie haben nachweisbar und eingestanden versucht, die Publikation von Binswangers Buch über die Zuger Landammannfeier mit allen schmutzigen Tricks zu verhindern. Dann wird ausführlich der Hintergrund des im Investigativ-Team mitarbeitenden Journalisten Stefan Millius beschrieben: «Er arbeitet daneben auch für das Radio «Kontrafunk» und den «Nebelspalter». Er will für die Corona-kritische Gruppierung «Aufrecht» in den Nationalrat.»

Als ob das bei seiner Tätigkeit hier eine Rolle spielen würde. Der «Politologe» der Wahl Mark Balsiger kann sich nur zu einem sanften «Geschmäckle» als Kritik aufraffen. Die mehr als fragwürdige Rolle des ehemaligen Leiters Publizistik von CH Media, Pascal Hollenstein,  wird gar nicht erwähnt. Auf Anfrage von «20 Minuten» blieben die Teilnehmerinnen Tamara Funiciello und Sibel Arslan genauso stumm wie JSH selbst.

«Eine weitere Teilnehmerin hat sich via Twitter öffentlich von der Gruppe distanziert», berichtet das Gratis-Blatt: ««Alles stimmt und hat so stattgefunden. Ich war ein Teil davon», schreibt sie. Und ergänzt: «Wenn einem die Vergangenheit über die Schulter schaut, wird es zuweilen peinlich.»

Das gilt allerdings auch für die aktuelle Berichterstattung über diesen Skandal. Insbesondere, seit Teil 4 der «#hateleaks» publiziert wurde. Diesmal wird aufgezeigt, wie die «Kampagne» (JSH) ins Rollen kam, mit «Verleumdung, Provokation, Verhöhnung». Immer angeleitet von der grossen Kämpferin gegen Hasskampagnen und Shitstorms JSH, sollten Zweifel an der Person Binswanger gesät werden, zum Beispiel auch mit Fake-Accounts; nicht zuletzt von der Rädelsführerin selbst unterhalten:

«Das ist mein letzter (!) fakeaccount, der ist noch nicht blockiert», vermeldet JSH. Besonders widerlich war auch der Versuch, Binswanger zu provozieren und ihr Aussagen zu entlocken, die man dann gegen sie verwenden könnte.

So berichtet JSH ihren «lieben Frauen» triumphierend: «MB hat wieder Zeugs getwittert, was ihr enorm schaden wird vor Gericht. Das ist super. Und sie überlegt wirklich zu wenig. … Statements entlocken können … Ihr seid super. Alles kommt gut.»

Ist das lustig: Binswanger als kleiner Don Quijote …

Fake-Accounts verwenden, um eine missliebige Person zu ihr schadenden Äusserungen zu provozieren, das gehört wohl zum Abscheulichsten, was man im Internet machen kann.

Das wäre ein klassischer Fall für «Netzcourage». Wenn nicht die Gründerin und Geschäftsführerin selbst diese Widerwärtigkeiten orchestrieren würde. Und ihr Vereinspräsident Hansi Voigt entblödete sich nicht, der Journalistin Binswanger genau diese Methode zu unterstellen. In seinem Fall aber als blosse Behauptung. So wie er jetzt behauptet, all diese dokumentierten Zitate könnten Fälschungen sein.

Was für ein Paar. Selten haben sich zwei dermassen desavouiert wie diese beiden  – nun ja, da leider immer noch Geld für eine Anwältin vorhanden ist, die zwar gegen alles klagt und meistens verliert, aber dabei für alle Beteiligten hohe Kosten verursacht, überlässt ZACKBUM es seinen Lesern, hier die geeigneten Qualifikationen einzusetzen. Denn uns fällt nichts ein, was nicht einwandfrei justiziabel wäre.

 

Dröhnende Stille

Die Medienreaktion auf Schawinskis Buch: wird nicht peinlich geschwiegen, wird peinlich geschrieben.

Roger Schawinski hat fulminant die Skandalgeschichte um eine verschmähte Frau aufgeschrieben. Wer sein Buch «Anuschka und Finn» liest, bekommt eindrücklich vor Augen geführt, wie banal, ärmlich und unappetitlich die ganze Story ist. Eine privilegierte Journalistin sieht das Ende ihrer Arbeitszeit kommen und will noch den einzigen Karrieresprung machen, der ihr möglich erscheint.

Sie will Chefredaktorin des «Magazin» werden, weil sie das Gefühl hat, sie könne das besser als der Amtsinhaber. Also macht sie zwei Dinge. Sie beschwert sich intern über ihn und bewirbt sich auf seine Stelle. Der erste Mobbing-Versuch schlägt fehl, ihre Bewerbung wird abgeschmettert. Daraufhin lässt sie über die Bande spielen, benützt das Beziehungsnetz ihres Mannes, um nochmals ihre Vorwürfe in den Verwaltungsrat von Tx einzubringen.

Zweite Untersuchung, noch gründlicher, gleiches Resultat. An ihren Vorwürfen gegen Finn Canonica ist (fast) nichts dran. Aber nun stellt der Untersuchungsbericht zu Recht fest, dass angesichts der Massivität ihrer Falschanschuldigungen ein weiteres gedeihliches Zusammenarbeiten nicht mehr möglich sei.

Also wird zunächst, unglaublich, der Chefredaktor entsorgt. Aber nach einem kurzen Moment des Triumphs und der Hoffnung, nun doch den Chefsessel besteigen zu dürfen, kommt die kalte Dusche: auch Anuschka Roshani wird gefeuert.

Sie wartet noch die Kündigungsfrist mit Nachzahlung ab, um dann öffentlich im «Spiegel» Rache zu nehmen. Wie peinlich für das Organ, bei dieser klaren Motivlage auf den Bericht reinzufallen und ihn zu publizieren. Noch peinlicher: inzwischen wurden dem ehemaligen Nachrichtenmagazin die weitere Publikation von neun Textstellen im Racheartikel von Roshani untersagt (das Urteil ist noch nicht rechtskräftig). Noch peinlicher: bei der Gerichtsverhandlung konnte der «Spiegel» kein einziges der behaupteten «Dokumente» vorlegen, die Roshanis Darstellung stützen sollen. Auch an Zeugenaussagen – ausser Roshani, ihr Mann und eine wegen Fehlverhaltens entlassene Redaktorin ist da nix – mangelt es.

Geht’s noch peinlicher? Oh ja, wenn wir die Medienresonanz auf Schawinskis Buch anschauen. Die Prognose war nicht schwerer als nach der Publikation des Untersuchungsberichts über Uni-Studentinnen. Schweigen oder Verriss.

Tiefes Schweigen bei NZZ und «Blick». Einfach nichts, dabei wird sonst jeder Seufzer im Mediengefüge kolportiert. Aber ein Buch über den wohl grössten aktuellen Medienskandal der Schweiz – nichts. Wie alle Medien Roshani auf den Leim krochen, wie auch in der NZZ und beim «Blick» und anderswo («alles noch viel schlimmer») Zeugenaussagen erfunden wurden, Canonica zum wahren Monster aufgeblasen wurde, jede Behauptung gegen ihn für bare Münze genommen wurde – ein Skandal im Skandal.

Aber Selbstkritik war noch nie die starke Seite der Medien.

Noch schlimmer als das Schweigen der Belämmerten sind die Wortmeldungen. Sie sind überschaubar. Die «SonntagsZeitung» titelt:

Früher hätte man dem Autor oder dem Produzenten einen solchen Titel um die Ohren gehauen und gesagt, dass es vielleicht noch gut wäre, auf den Kern des Buchs einzugehen, nicht auf einen Nebenaspekt. Aber auch das ist noch nicht der Gipfel der Peinlichkeit.

Der besteht darin, dass eigentlich der Autor des Verrisses zusammen mit Michèle Binswanger ein Interview mit Schawinski eingeplant hatte. Nur: das durfte auf Weisung von ganz oben dann nicht erscheinen. So viel zur Unabhängigkeit der Redaktion. Der arme Arthur Rutishauser. Nicht nur degradiert zum SoZ-Chefredaktor; nicht mal hier darf er ungeniert schalten und walten.

Stattdessen verwendet Rico Bandle eine kurze Einleitung auf den Inhalt des Buchs, um dann den ganzen, langen Rest seines Artikels dem Nebenaspekt zu widmen, dass Schawinski beschreibt, wie er sich unglücklich im Verlag des Ehemanns von Roshani engagierte. Was eigentlich nur eine Fussnote im Recherchierstück ist.

Wenn man richtig bösartig sein wollte, und will man das nicht, kann man hinter dem Titel auch eine Spur Antisemitismus vermuten; geht es hier einem Juden wieder mal nur ums Geld?

Auch CH Media bekleckert sich nicht gerade mit Ruhm und Ehre. Hier ergreift Christian Mensch das Wort: «Lohnt sich die Lektüre?» Er beginnt mit einem Lob: «Roger Schawinski, der nächsten Monat seinen 78. Geburtstag feiert, hat es noch drauf.» Um es dann zu vergiften: «Bei so viel Reflex bleibt die Reflexion leicht auf der Strecke … voyeuristisch durchaus interessant … Möchte man Schawinski ehren, ist «Anuschka und Finn» das helvetische Gegenstück zu «Noch wach?», dem aktuellen Schlüsselroman von Benjamin von Stuckrad-Barre».

Das ist nun der Gipfel der Abgefeimtheit. Schawinskis Werk mit dem Schundroman eines eitlen PR-Genies in eigener Sache zu vergleichen, der selbstverliebt aus dem Nähkästchen plaudert und seine Zeit als Mietschreiber für Springer Revue passieren lässt, das ist unerträglich.

Dann wirft Mensch Schawinski doch tatsächlich vor, dass der im kleinen Schweizer Medienzirkus mit allen Protagonisten per du sei, schlimmer noch: «Zu einer ebenso kritischen Haltung gegenüber Canonica, der Tamedia sowie zu ihrem Verleger Supino kann sich Schawinski nicht durchringen. Verständlich, hat der Zürcher Medienkonzern doch 2001 für 80 Millionen Franken seine Radio- und TV-Sender gekauft.»

Beisshemmung wegen einer über 20 Jahre zurückliegenden Transaktion? Schwacher Angriff, ganz schwacher Angriff. Und noch ein letzter Tritt ans Schienbein: «Den Applaus dafür hat sich der Autor vorab gesichert. Auf dem Klappentext heisst es, das Buch sei ein «Thriller».»

Müsste man einen Klappentext für diese Beckmesserei schreiben, würde der lauten: neidvoller Konzernjournalismus, offenbar hat CH Media nicht verdaut, dass ihre eigene Schmierenberichterstattung über den Roshani-Skandal von Tamedia mit einer erfolgreichen Verfügung beantwortet wurde, dass CH Media sich öffentlich für Fehlberichterstattung über Tx-Boss Supino entschuldigen musste.

In der «Süddeutschen Zeitung» meldet sich deren Schweizer Korrespondentin Isabell Pfaff zu Wort. Sie zitiert zunächst das Landgericht Hamburg: «Laut dem Beschluss, der der SZ vorliegt, darf der Spiegel neun Passagen nicht länger verbreiten.»

Dann hebt auch Pfaff von der Realität ab: «Im Fall Magazin hat Schawinski schon früh Position bezogen.» Wie das? Er habe Auszüge aus dem internen Untersuchungsbericht veröffentlicht. Wie schon zuvor Tamedia selbst, und was soll daran ein Positionsbezug sein? Dann zitiert sie Schawinskis Schlussfolgerung, dass Roshani um jeden Preis die Stelle von Canonica wollte. Um fortzufahren:  «An dieser Stelle muss man festhalten, dass sich die Wahrheit über das, was sich zwischen Roshani und Canonica abgespielt hat, vermutlich durch keinen Untersuchungsbericht, kein Gerichtsverfahren und keinen Zeitungsartikel aufdecken lassen wird.» Aber zumindest lässt sich wohl doch Wahrheit darüber herstellen, was an Roshanis Behauptungen wahr und was unwahr ist; darum geht es nämlich im Buch.

Zurück zu ihm, bekommt Schawinski nun sein Fett ab: «Der Tonfall von Schawinskis Buch wiederum kippt an vielen Stellen ins Frauenfeindliche und in pauschale Medienschelte.» Ins Frauenfeindliche? Unglaublich, dass auch in der SZ das Narrativ durchgeht, dass jede Kritik an weiblichem Verhalten gleich frauenfeindlich sei.

So kritisch sie sich mit ihm auseinandersetzt, so unkritisch gibt Pfaff dann ihren Primeur weiter; es ist ihr gelungen, Roshani am Telefon ein paar Worte zu entlocken: «„Ich habe Canonica in meinem Text nie mit Weinstein gleichgesetzt“, sagt sie». Was natürlich nicht stimmt, in der Einleitung ihrer «Spiegel»-Schmähschrift tut sie genau das. Genauso unkritisch lässt Pfaff die unverschämte Darstellung von Roshani stehen, ihr Versuch, Canonica aus dem Chefsessel zu kippen, «ihre Initiativbewerbung 2020 auf die Position der Chefin beim Magazin» sei «eine Art „Vorwärtsstrategie“ gewesen». Dass diese «Vorwärtsstrategie» von massivem Mobbing seitens Roshani begleitet wurde, kein Wort drüber.

Dann darf Roshani noch sagen: «Mit Schawinski habe sie nicht über den Fall sprechen wollen, weil sie sich von ihm in mehreren Radiosendungen nach Erscheinen des Spiegel-Artikels vorverurteilt fühlte». Sie wählt für ihre Aussagen lieber Pfaff, weil sie zu Recht von der keine kritischen Nachfragen befürchten muss.

Zusammenfassung: Die Medienreaktion auf Schawinskis Buch ist genauso ausgefallen, wie hier prognostiziert wurde. Entweder eisiges Schweigen – oder aber mehr oder minder bösartige Verrisse.

Wobei das dröhnende Schweigen zum eigenen Fehlverhalten, die völlige Unfähigkeit zur Selbstkritik, ja zur Selbstreflexion, an Peinlichkeit kaum zu überbieten ist.

Eigentlich wäre eine Fortsetzung angezeigt. Denn das, was Roshani und «Spiegel» – mitsamt der «Zeit» –vorgelegt haben, wird von der Berichterstattung in den übrigen Medien an Unfähigkeit und mangelnder Professionalität in den Schatten gestellt.