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So geht Lokaljournalismus

Was die «Republik» im Koma sieht, blüht auf.

Das Online-Organ der Hänger und Heuchler gibt Hirntotes von sich, schnitzt sich die Realität nach eigenem Gusto und behauptet, der Lokaljournalismus liege im Sterben.

Das Gegenteil ist der Fall. Gerade wieder einmal zeigt die NZZ, wie man ein herausragendes Beispiel von Lokaljournalismus inszeniert. «Sie solidarisieren sich mit Terroristen und hassen den Staat. Unterwegs in der Welt des Revolutionären Aufbaus», heisst das Stück online, mit dem Giorgio Scherrer, Fabian Baumgartner und Oliver Camenzind die Leserschaft auf den 1. Mai einstimmen.

Statt der üblichen Krawall-Berichterstattung im Nachhinein, statt der Zusammenfassung, wer dieses Jahr im Katz-und-Maus-Spiel zwischen Chaoten, Krawallanten und Polizei gewonnen hat, ist die NZZ tief in die Welt der Linksautonomen, der gewaltbereiten Mitglieder und Sympathisanten des RAZ eingetaucht.

Die Journalisten nahmen an einer Gerichtsverhandlung teil, deren Anlass zum Prusten wäre, wäre es nicht so absurd-traurig. Denn vor Gericht steht ein Rädelsführer, der am Rand einer friedlichen «Black Lives Matter»-Demonstration einem Polizisten mit voller Wucht eine Fahnenstange auf den Kopf geschlagen haben soll. Ausgerechnet dem einzigen schwarzen Ordnungshüter …

Aber solche Absurditäten sind in dieser hermetisch von der Realität abgekapselten Ingroup nötige Aktionen gegen das Schweinesystem. Oder wie ein ehemaliger Sympathisant sagt: die würden jeden 1. Mai glauben, dass nun die Revolution ausbräche, dass sich revolutionäre Kräfte die Strasse erobert hätten, dass dem unmenschlichen Ausbeutungssystem schwere Schläge versetzt würden.

Die Journalisten haben auch einschlägige Webseiten besucht und summieren:

«Im ganz Grossen geht alles andere unter: Das ist das Prinzip, nach dem die Zürcher Linksextremen operieren.
Das ganz Grosse, das ist der Kampf gegen das «System», gegen den Kapitalismus und den «bürgerlichen Staat». Was das heisst, ist auf der Website festgehalten: Es brauche eine neue Gesellschaft, in der nicht mehr alle menschlichen Interessen, Bedürfnisse und Beziehungen gnadenlos einer Logik des Kapitals unterworfen würden. Für diesen Kampf ist jedes Mittel recht. Und wenn sich die Autonomen die Strasse nehmen, dann endet es häufig mit Gewalt und Krawall.»

Wobei Katz-und-Maus-Spiel eine unerlaubte Verniedlichung ist: «Am 12. Mai 2023 versuchen Vermummte, eine brennende Fackel durch die offene Tür eines Fahrzeugs zu werfen, in dem mehrere Polizistinnen und Polizisten sitzen. Der Stadtrat schreibt später als Antwort auf einen Vorstoss im Parlament, der Mob habe mit dem Angriff inklusive 2000 Grad heisser Fackel den Tod der Einsatzkräfte in Kauf genommen.»

So durchleuchtet die NZZ diese verschlossene Welt von hirntoten Fanatikern, die in jeder Gegenwehr der Staatsmacht gegen ihre Aktionen einen weiteren Beweis dafür sehen, dass das System brutal unterdrückt und durch seine Repression zeige, wie gefährlich ihre Aktionen seien.

Dabei kommen sie seit Jahren nicht aus ihrem Gesinnungsghetto heraus, wo ein harter Kern von ein paar Dutzend Mitgliedern von ein paar hundert Sympathisanten umschwirrt wird. Wie die sich die Welt zurechterklären, das beschreibt die NZZ hervorragend.

Belustigend dabei ist, dass die NZZ noch vor 40 Jahren in leicht hysterischen Tönen vor dem umstürzlerischen Potenzial solcher Gruppierungen gewarnt und in ihnen den verlängerten Arm Moskaus gesehen hätte. Heutzutage nimmt es die alte Tante mit viel mehr Gelassenheit; schliesslich hat sich das von ihr verkörperte kapitalistische Ausbeutersystem als zäher erwiesen als seine kommunistische Alternative im Ostblock.

Während man die Beschreibung der sich selbst in einem Zerrspiegelkabinett der zurechtgebüschelten Realität verlierenden Gedankengänge der Linksradikalen liest, drängt sich die Ähnlichkeit zum Ingroup-Selbstbestätigungsjournalismus der «Republik» auf. Auch hier steht vor dem Artikel die These, weiss der Schreiber schon ganz genau, was das Ergebnis seiner Recherche sein wird, bevor er sie überhaupt begonnen hat. Von den angekündigten «Expeditionen in die Wirklichkeit» sind nur Ausflüge in die eigene Weinerlichkeit übrig geblieben, zur Selbstbestätigung des Autors und der immer kleiner werdenden Leserschar.

Aber das Sendungsbewusstsein, die Gesellschaft, die Demokratie, die Welt retten zu müssen, die ist überall die gleiche.

Schlichtweg bravo

Dass wir so eine Schlagzeile auf der Front der NZZ noch erleben dürfen …

Wie sich die Zeiten doch ändern. Im Kalten Krieg schrieben in der NZZ die kältesten Krieger gegen die rote Gefahr an. Gegen Fünfte Kolonnen in der Schweiz, gegen alles, was nach Kommunismus roch. Unermüdlich warnten die NZZ-Redakteure, sahen hinter jeder roten Rose eine Verschwörung, die den Bestand der Schweiz bedrohte.

Und jetzt das.

Die NZZ überlässt den angestammten Platz von Eric Gujer dem Wirtschaftsredaktor Gerald Hosp, der verdienstvollerweise ein paar Dinge zurechtrückt.

Zunächst liefert er den heute obligatorischen Obolus ab, wenn man einen Shitstorm dauererregter Gutmenschen vermeiden möchte:

«Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist eine Tragödie. Er bringt menschliches Leid in enormem Ausmass und gewaltige Zerstörungen mit sich. Die wirtschaftliche Grundlage der Ukraine wird ausgehöhlt.
Russland ist der Aggressor, das steht fest. Der russische Staat solle auch für die Schäden zahlen, wird zu Recht gefordert

In diesem Sinne hat der US-Kongress ein Gesetz verabschiedet, das «den Präsidenten dazu ermächtigt, russisches Staatsvermögen in den USA beschlagnahmen zu lassen.»

Wunderbar, endlich, da jubiliert Volkes Stimme. Recht geschieht’s dem Putin-Regime, genau, reich, Russe, das reicht schliesslich auch für Beschlagnahme von Vermögenswerten. Super, dass das in den USA nun auch endlich auf russisches Staatsvermögen angewendet wird. Da müssen dann die europäischen Marionetten, Pardon, die EU-Länder schleunigst nachziehen, und wo bleibt die Schweiz?

Aber was schreibt Hosp denn da?

«Wenn die Gelder direkt eingestrichen würden, würde dies die in den Entwicklungs- und Schwellenländern weitverbreitete Ansicht verstärken, dass sich der Westen nur um das Völkerrecht schert, wenn es ihm gerade passt. Der Vorwurf der Heuchelei und des Diebstahls wäre schnell bei der Hand, zumal die USA und die EU-Staaten nicht direkt mit Russland im Krieg sind. Eine Enteignung der russischen Gelder ist deshalb ein Fehler. Was wäre der Unterschied zum Vorgehen Russlands, ukrainische Weizenfelder zu plündern

Aber was denn, hat nicht auch der Europarat beschlossen, dass einem «Kompensationsmechanismus» konfiszierte Gelder russischer Privatpersonen, Unternehmen und des russischen Staates zur Verwertung übertragen werden sollen?

Auch da setzt Hosp ein Fragezeichen: «Gleichzeitig gilt es laut Europarat, «die Prinzipien des Völkerrechts aufrechtzuerhalten und die privaten Eigentumsrechte zu respektieren». Das ist der springende Punkt. Es ist mehr als nur zweifelhaft, dass dies erfüllt werden kann.»

Dann weist er auf etwas hin, was im Furor schnell vergessen geht:

«Laut dem Völkerrecht gilt prinzipiell Immunitätsschutz: Staaten können nicht einfach auf das Vermögen eines anderen Landes zurückgreifen, was Verlässlichkeit auf internationaler Ebene bringt.»

Und dann zieht er nochmals die feine rote Linie, wo rechtlich noch knapp Haltbares in Illegales umschlägt: «Der Westen reagierte auf die russische Invasion mit einer Blockade von Notenbankgeldern, was zwar auch ungewöhnlich war, aber diesen Vorgaben entspricht. Eine Konfiskation und Weiterverwendung würde aber bedeuten, dass die Massnahme nicht mehr umkehrbar ist, das Geld wäre weg.»

Was bedeutet nun die Entscheidung der USA? «Dadurch wird die Einsicht genährt, dass auf internationaler Bühne das Recht des Stärkeren noch mehr zunimmt als ohnehin schon.
Nun gibt es aber das Problem, dass nur rund zwei Prozent der weltweit gesperrten russischen Staatsgelder in den USA liegen. Rund 200 Milliarden liegen in der EU, «genauer gesagt: bei der zentralen Verwahrungsstelle Euroclear in Belgien».

Und hierzulande?

«Für die Schweiz sind aber aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit und des Eigentumsschutzes weder Konfiskationen wie in den USA noch die Verwertung der Erträge wie in der EU ein gangbarer und wünschenswerter Weg. »

Und dann weist die NZZ noch auf einen Präzedenzfall aus dem Jahr 2021 hin: «Die USA konfiszierten nach dem chaotischen Rückzug aus Afghanistan die Währungsreserven der Zentralbank des Landes, was wenig Beachtung fand.»

Man muss diesen Kommentar so ausführlich zitieren, weil er so erfrischend ist wie eine Oase in der Wüste der alle Prinzipien eines Rechtsstaats vergessenden Krakeeler, die Konfiszieren der beschlagnahmten Gelder und ihre Verwertung für die Ukraine fordern. Ohne zu merken, dass sie damit etwas Fatales tun.

Ein Rechtsstaat kann sich mit allem Recht gegen unrechte Handlungen zur Wehr setzen. Dazu ist er legitimiert. Verwendet er aber selbst rechtsstaatlich fragwürdige Methoden – nach der Devise «der gute Zweck heiligt auch böse Mittel » – dann begibt er sich auf eine ganz schiefe Bahn, an deren Ende er sich selbst mehr schadet als demjenigen, der Unrecht tut.

Zu dieser einfachen Erkenntnis sind immer weniger Kommentatoren in der Lage.

Das muss doch mal gesagt werden

Der öffentliche Diskurs ist kaputt. Nur: war er jemals ganz?

Der Worte sind genug gewechselt. Das ist von Goethe und gar nicht schlecht. Aber wir wollen keinesfalls Taten sehen, sondern uns fragen, ob eigentlich öffentliche Meinungsbildung, der Austausch von Position via Massenmedien, Kommentare, Positionen, Polemiken, Anklagen, Forderungen, Kritiken überhaupt noch Sinn macht (oder hat).

Wenn wir uns über die sattsam bekannten Narrative und Framings wie Gesinnungsblase, Social-Media-Umfeld, Misstrauen, Fake News, Rechtspopulisten versus Linksautonome, Splitter und Balken, moralinsauere Inquisitoren und Verteidiger der einzig richtig guten Wahrheit  usw. hinauf ins Abstrakte heben: hat das Kommunikative nicht ganz allgemein abgedankt?

Ziehen wir kurz einen historischen Bogen. Lange Jahrhunderte durfte vieles nicht gesagt, eigentlich nicht einmal gedacht werden. Die Kirche legte das Leichentuch der frommen Denkungsart über jede Form des Versuchs, die Welt nicht als Gottes Wille, sondern als beeinflussbare Wirklichkeit zu verstehen.

Hand in Hand mit dem Absolutismus, der jede Kritik am Herrscher als Gotteslästerung streng bestrafte. Überhaupt jede Kritik an der gottgewollten Richtigkeit der herrschenden Verhältnisse. All das ist, vielleicht mit Ausnahme Liechtensteins, wo der Fürst noch ausserhalb des Gesetzes steht und Herabwürdigung seiner Durchlaucht schwer bestraft wird, vorbei.

Zumindest in Zentraleuropa, den USA, Kanada, Australien und ein wenig Japan. Und auf ein paar weiteren, meist englischsprachigen Inseln von Neuseeland abwärts. Mehr oder weniger.

Unbestreitbar, wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, haben Massenmedien einen gewissen korrigierenden und beaufsichtigenden Einfluss. Die Aufdeckung von kleineren oder grösseren Skandalen kann ab und an tatsächlich etwas bewirken. Das Ende einer Karriere, eines Zustands, eines Skandals. Aber auch diese Fälle werden eher selten, nicht häufiger. Die aufdeckende Kraft der Medien hat in den aufgepumpten Fällen von Dokumentendiebstahl, genannt Papers oder Leaks, auch seine denaturierte und untaugliche Form gefunden.

Hier desavouieren sich die Medien selbst, indem sie Hehlerware dazu verwenden, selbstherrlich Ankläger, Richter und Vollstrecker des Urteils zu werden. Das ist nicht die Aufgabe der Medien; ginge es ihnen nicht um billige Effekthascherei, würden sie die ihnen anonym übereigneten Daten den Strafverfolgungsbehörden aushändigen, Was sie aber unterlassen.

Am schlimmsten steht es  um die Funktion der Medien, den öffentlichen Diskurs über gesellschaftlich relevante Themen zu fördern. Die Bewältigung der Pandemie, die Aufarbeitung der gravierenden Fehler, die von Regierungen begangen wurden, die üble Rolle der Pharma-Multis, die sich haftungsfrei stellten und krumm verdienten, mit offensichtlich ihre Versprechen nicht einhaltenden Impfmitteln? I wo.

Der russische Überfall auf die Ukraine, Lösungsvorschläge, Analysen, die den Namen verdienen, statt Kriegsgegurgel Versuche der realistischen Einschätzung der Lage? Nix.

Die demokratische Misere der USA, wo ein seniler Greis gegen einen Amok-Greis antritt? Käumlich.

Gelegentlich mal Blicke in all die vielen Elendslöcher der Welt, wo noch grausamer gestorben wird als im Gaza-Streifen? Wozu auch.

Aber wozu in die Ferne schweifen. Wie soll es mit der Schweiz weitergehen? Staatsverschuldung durch Mehrausgaben, UBS als Monsterbank, Verhältnis zur EU, Neutralität, Flüchtlinge, Schulsystem, Übervölkerung, überforderte Systeme, Kriminalität, direkte Demokratie, Aufrüstung, Militärpolitik, mediokrer Bundesrat ist gut, inkompetenter weniger, das Elend der Literatur und Kunst, eine staatspolitische Debatte, das weitere Überleben eines Kleinstaats, Primat der Volksrechte, direkte Demokratie, Genderdebatte – die Themen liegen auf der Hand und sind ohne Zahl.

Über jedes einzelne liesse sich eine interessante Debatte führen, ein Diskurs auf verschiedenen Flughöhen, vom einfach Volkstümlichen bis zum intellektuell Anspruchsvollen. Und? Nichts und.

Meistens: Schiessscharte auf, rausfeuern, Schiessscharte zu. Einschlag der feindlichen Kugeln abwarten, dann Schiessscharte wieder auf.

Positionen und Meinungen in Massenmedien waren schon immer ideologiegetrieben, getränkt von Gesinnung. Aber der langjährige Beobachter meint doch drei fatale neuere Entwicklungen feststellen zu müssen:

  1. Das allgemeine intellektuelle Niveau ist aufs Erbärmliche gesunken. Symbolisch dafür steht ein Sprachvergewaltiger wie Lukas Bärfuss, der sich ja nicht nur als Literat, sondern auch als Gesellschaftskritiker missversteht. Wer dem applaudiert, und fast das ganze Feuilleton tut’s, der disqualifiziert sich selbst als ernsthafter Diskursteilnehmer.
  2. Die Bereitschaft, die Mühewaltung, nicht einfach nach dem Prinzip «je unsicherer, desto markiger» loszupoltern, sondern die Leser auf eine Reise zu mehr Erkenntnis mitzunehmen, existiert höchstens noch in Spurenelementen.
  3. Die kaleidoskopartige Farbigkeit einer lebendigen Medienszene, die genügend Alternativen bot, um auch wiederborstige Meinungen unterbringen zu können, ist ergraut, ist abgelöst worden durch zwei grosse Einheitsbreiküchen, einen kleinen Leuchtturm nebendran und ein in den Untergang geleitetes und gelenktes ehemaliges Boulevardblatt.

Auch das Versprechen des Internets, dass es hier eine weltumspannende Plattform für unendlich viele Diskurse, Anregungen und Meinungsaustausch gibt, hat sich nicht erfüllt.

Aber vielleicht bleibt es letztlich so, wie es sein muss. Der öffentliche Diskurs seit der Aufklärung hat seine Funktion erfüllt und ist damit obsolet geworden. Newsproduktion als profitables Geschäftsmodell hat ausgedient, bzw. unfähigen Medienmanagern fällt nichts dazu ein – ausser skelettieren, sparen, weniger Leistung für mehr Geld anzupreisen.

Also bleibt spannender Diskurs, Austausch von faszinierenden Ideen und Welterklärungsmodellen und Erkenntnissen wohl das, was es immer war. Ein Beschäftigung der «happy few».

Oder anders formuliert: wer – Ausnahmen bestätigen die Regel – bei Tamedia oder CH Media oder in der Südostschweiz oder auf «watson» einen Kommentar schreibt, eine Meinungskolumne absondert, disqualifiziert sich bereits durch diese Tat. Erschwerend kommt hinzu, dass der Inhalt – wenige Ausnahmen bestätigen die Regel – intellektuell und vom Kenntnishorizont, der Bildung, dem historischen Wissen her gesehen dermassen erbärmlich ist, dass man sich höchstens darüber aufregen könnte, wenn es nicht so lächerlich wäre.

Die Bedeutung der Massenmedien ist umgekehrt proportional zur Wichtigkeit, die sich die dort Tätigen anmassen, zubilligen, vormachen. Wer schreibt «Biden sollte, Xi müsste, Putin wäre gut beraten, Scholz hat einzusehen, Macron macht einen Fehler», wer selbst den Schweizer Bundeszwergen ungefragt gute Rastschläge gibt, der sollte eigentlich als Stand-up-Comedian auftreten. Nur hätte er da eine kurze Karriere vor sich, weil das Publikum schnarchend oder schimpfend reagieren würde – und sich schnell einmal weigerte, für solchen Sprachmüll auch noch Eintritt zu zahlen.

Es darf gelacht werden

Alle Jahre wieder das gleiche Laientheater.

Den Vogel schiesst wie meist der «Tages-Anzeiger» ab:

Echt jetzt? Nur 84 Prozent? Wären es nur 75 Prozent gewesen, wäre Ermotti dann gekeult worden? 84 Prozent, das würde der Dicke mit der merkwürdigen Frisur in Nordkorea als Ohrfeige empfinden, aber in der Schweiz? Da sind 84 Prozent eine überwältigende Mehrheit dummer Aktionäre, die das absurd-obszöne Gehalt des UBS-CEO durchwinken. Das er nur verdient, weil der Steuerzahler ihm das ermöglicht. Und weil er nicht wie einstmals Oswald Grübel den Anstand hat, keine Debatte über sein Einkommen lostreten zu wollen.

Etwas sanfter ist die NZZ:

Ein klitzekleines «allerdings nur» erlaubt sich die alte Tante. Noch vornehmer gebärdet sich, was vor langer Zeit mal Boulevard war:

«Eher tief», wenn der «Blick» staatstragender titelt als die NZZ, dann ist ein neuer Tiefpunkt erreicht.

Das ist aber unser absoluter Liebling. Auch länger nach der Abstimmung hält es CH Media nicht für nötig, seine Online-Leser über dieses Resultat zu informieren. Ist doch egal, wenn die sich das woanders abholen. In der Hölle des Aarauer Newsrooms kann man sich auch nicht gleichzeitig um den Aargau und um so was kümmern.

NZZ – Tagi: 3 : 0

Brutaler Niveauunterschied bei der Berichterstattung über das Kinderspital.

Das finanzielle Fiasko um den Neubau des Zürcher Kinderspitals ist Anlass für ambitionierten Lokaljournalismus. Im Gegensatz zum Gejammer der «Republik» funktioniert der bestens, wenn man sich auch Mühe gibt.

Gerade hier tun sich aber mal wieder Abgründe zwischen den beiden Zürcher Lokalmatadoren auf. Um es auf den Punkt zu bringen: der Tagi macht das, was man halt im Billig-Schnellschnell-Journalismus so tut. Er macht ein Interview mit dem Stiftungsratspräsidenten Martin Vollenwyder. Dafür bietet er gleich zwei Redaktorinnen auf. Aber Sabrina Bundi und Susanne Anderegg sind – sicherlich aus Zeitmangel – nur oberflächlich vorbereitet.

Das kann auch daran liegen, dass Bundi erst 2023 zum «Tages-Anzeiger» wechselte; zuvor war sie im Bündernland tätig. Aber Anderegg, seit 1995 beim Tagi, ist eine Veteranin im Themenbereich Gesundheitswesen.

So darf Vollenwyder zum Beispiel ungeniert flunkern: «Es gab damals in den Jahren 2011 und 2012 einen anonymen Wettbewerb unter 19 Architekturbüros. Das Spital sagte, was es braucht, und die Büros machten Vorschläge. Die Jury hat sich für ein Projekt entschieden, und als am Schluss das Couvert aufgemacht wurde, entpuppte sich das Büro Herzog & de Meuron als Gewinner.»

Wer die NZZ liest, weiss mehr, aber dazu später. In diesem Interview passiert das, was immer passiert, wenn ein Kenner der Sachlage von Journalisten befragt wird, die nur oberflächliche Kenntnisse der Hintergründe und Fakten haben. Vielleicht hätten sie besser zuvor die NZZ gelesen.

Da hätten sie sich bei der Gestaltung auch ein paar Scheibchen abschneiden können, schon formal heisst es 1 : 0 für die NZZ. Tagi ist gähnlangweilig:

Riesenfoto eines älteren Herrn in dunklem Anzug, darunter noch ein Minifoto des neuen Forschungszentrums.

Dagegen inszeniert die NZZ ihren Hintergrundartikel so, dass Leselust entsteht:

Hier geht es nicht einfach um die Wiederholung von Altbekanntem, nämlich dass das Kispi mit einem kantonalen Darlehen und Betriebskredit vor dem Kollaps gerettet werden muss. Es geht auch nicht darum, den verantwortlichen Gelegenheit zu bieten, wie üblich alle Schuld von sich zu weisen. Sondern der NZZ geht es darum, «die Geschichte hinter der Rettungsaktion für das grösste Kinderspital des Landes» zu erzählen.

Denn: «Wenn Monumente wanken, werden Menschen wütend. Das war bei der Swissair so, bei der Credit Suisse – und nun auch beim Kinderspital

Also blättern Jan Hudec und Marius Huber didaktisch geschickt die verschiedenen Aspekte durch, die zur finanziellen Katastrophe führten. Zuerst nehmen sie sich den lautstark erhobenen Vorwurf vor, dass das Kispi halt nicht zwei Stararchitekten hätte beauftragen sollen. Bei genauerer Betrachtung fällt diese Kritik in sich zusammen. Auch unterlegene Konkurrenten bestätigen, dass Herzog & de Meuron mit ihrem Vorschlag in einer anderen Liga spielten als die übrigen Teilnehmer am Wettbewerb: «Einleuchtende Betriebsabläufe, eine heimelige, kindgerechte Atmosphäre mit viel Holz und Pflanzen, eine unverwechselbare Erscheinung – Sieger in allen Kategorien. Und weil ihr Entwurf obendrein kompakter ist als alle anderen, sollte er laut der Kostenschätzung eines Experten auch der günstigste sein.»

Das bestätigt auch der damalige Stadtbaumeister, der die Jury präsidierte: «Es war, als ob Real Madrid in der Schweizer Super League angetreten wäre.» Allerdings, dass der Wettbewerb anonym durchgeführt wurde und am Schluss bei der Öffnung des Couverts der Name Herzog & de Meuron heraushopste, wie Vollenwyder im Tagi erzählt, stimmt so nicht: «Tatsächlich trifft dies aber nur für die erste Phase des Wettbewerbs zu, in der entscheidenden zweiten Phase wird die Anonymisierung aufgehoben – und kein Mitbewerber hat annähernd das Renommee von Herzog & de Meuron», weiss die NZZ. 2 : 0.

Erstes Fazit der NZZ: «Unter jenen, die mit der Materie vertraut sind, herrscht Konsens: Stararchitektur ist nicht der Grund, weshalb die Kosten für den Neubau des Kinderspitals zum Problem wurden. Die Wurzeln des Problems reichen tiefer

Zum Beispiel in die Zeitenwende, dass früher die Zürcher Spitäler davon ausgehen konnten, dass ihnen der Kanton ihre Bauten zahlt: Das Kinderspital bestellt, der Kanton übernimmt die Rechnung. «So wird dies 2009 in einer Vereinbarung festgehalten. Und davon geht die Eleonorenstiftung, die private Betreiberin des Spitals, aus, als sie die Kosten für den Neubau ermittelt

Die neuen Spielregeln lauten dann: «Grund dafür ist das neue Spitalfinanzierungsgesetz. Dieses sieht vor, dass die Spitäler ihre Infrastruktur aus den Fallpauschalen selbst finanzieren müssen

2015, so komplex ist die Vorgeschichte, geht dann Vollenwyder ins Risiko: «Er bewegt den Stiftungsrat dazu, den Neubau trotz komplett veränderten Spielregeln wie geplant zu realisieren und das Geld dafür selbst aufzutreiben.»

Wäre eine Alternative gewesen, das ganze Projekt zu stoppen? «Der Businessplan sei aufgegangen», behauptet er, alle Alternativen wären noch teurer geworden, und: «Was später kam – die Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg –, habe niemand ahnen können

Dann steigen die Kosten, von 625 auf 680 Millionen Franken, dann auf 761 Millionen. Damit ist Ende Fahnenstange, denn in seiner Laufzeit könnte der Neubau höchstens 500 Millionen Franken refinanzieren. 100 Millionen waren von Anfang an als Spenden eingeplant, die wurden dann auf 150 Millionen angehoben. Aber selbst mit der Investition des Eigenkapitals der Stiftung reichte es nicht mehr, um 761 Millionen zu stemmen. 3 : 0 für die NZZ.

Daher der Hilferuf an den Kanton. Womit die Krise noch nicht ausgestanden ist, denn der Betrieb muss rentieren und auch in vier Jahren eine erste Anleihe von 200 Millionen refinanzieren.

Ein ambitioniertes Ziel, wie der Wirtschaftsprüfer vorsichtig sagt. Auf Deutsch: starker Harakiri-Verdacht.

Das alles weiss, wer den gründlich recherchierten, fundierten und im besten Sinne des Wortes Entscheidungsgrundlagen zur Beurteilung liefernden Artikel in der NZZ liest.

Wer den Tagi liest, hat nur die Verwertung von Altpapier verzögert. Was wieder einmal beweist: die Krise des Journalismus ist in weiten Teilen hausgemacht. Prinzip NZZ/Gujer gegen Prinzip Tamedia/Supino. Resultat: 3 : 0 für die NZZ. Real Madrid gegen FCZ eben.

 

 

Geht doch

Die Gegenthese zum «Republik»-Gejammer.

NZZ, Zürcher Lokalteil. Hier legen Fabian Baumgartner, Tobias Marti und Forrest Rogers eine Story vor, die sogar ihre Länge von zwei Zeitungsseiten trägt.

Es ist ja auch etwas kompliziert. Es geht um einen Ex-Banker mit besten Beziehungen nach Moskau und Russland, eine KMU, die Lasermaschinen produzierte und plötzlich auf die Sanktionsliste der USA gerät: «Der Gründer und Mehrheitsbesitzer Koller kann seine Kreditkarten nicht mehr nutzen, die Banken blockieren die Konten der Swisstec. Die Firma kann weder Rechnungen noch Löhne bezahlen.»

Für viele sind «Sanktionen gegen Russland» sowohl etwas Gutes, wie auch etwas sehr Abstraktes. Sie manifestieren sich höchstens bei reichen Russen, denen man Yachten arretiert, die Verfügungsgewalt über Firmen wegnimmt. Recht geschieht’s diesen Oligarchen, sagt da die Mehrheit der Bevölkerung, sollen halt mal wie wir auch ohne Yacht auskommen, diese Putin-Freunde.

Bei Bruno Koller ist’s aber ein wenig anders: «Er ist einer von 16 Schweizer Staatsbürgern, die das amerikanische Office of Foreign Assets Control (Ofac) auf seine Russland-Sanktionsliste gesetzt hat. Wer auf der gefürchteten Liste steht, ist so gut wie erledigt. Keine Bank, die Geschäfte in den USA macht, gibt den Betroffenen ein Konto oder lässt sie auf ihre Vermögenswerte zugreifen. Und niemand darf mit ihnen handeln, ohne harte Strafen zu riskieren.»

Nun lobt sich die NZZ ein wenig selbst, was aber angesichts der aufgewendeten Arbeit durchaus verständlich ist: «Die NZZ ist den Spuren gefolgt. Die Geschichte dahinter führt in ein Reich der Schatten. Eine Welt der Geheimdienstler, Militärs, Politiker und Geschäftsleute. Und zu einem schillernden Schweizer Unternehmer und Ex-Banker mit besten Kontakten in die russische High Society. Der Mann heisst Walter Moretti. Bei ihm laufen in dieser Geschichte alle Fäden zusammen.»

Wenn’s kompliziert und schattig wird, ist normalerweise der Schweizer Journalist überfordert. Wenn’s nicht ums Ausschlachten von gestohlenen Geschäftsunterlagen und die Umbenennung in Papers oder Leaks geht, um mit dieser Hehlerware Aufmerksamkeit zu erzielen, ist der Schweizer Journalist überfordert. Wenn’s nicht darum geht, aufgrund von anonymen Denunziationen einen Rufmord zu begehen, ist der Schweizer Journalist überfordert. Wenn’s um einen wirklichen lokalen Riesenskandal wie am Unispital Zürich mit seinen kriminellen Handlungen geht, dann ist der Journalist überfordert.

Aber hier haben die drei tapfer versucht, Licht ins Dunkle zu bringen und herauszufinden, ob hier Unschuldige ins Fadenkreuz der USA geraten sind – oder ob tatsächlich Verstösse gegen die Sanktionen vorliegen. Dafür haben sie mit den Direktbeteiligten gesprochen, mit deren Umfeld, und sie haben versucht, so weit wie möglich alles auf seine Plausibilität zu prüfen.

Obwohl die US-Behörden notorisch in solchen Angelegenheiten verschlossen wie eine Auster sind, hat die NZZ deren Ansicht über die beiden Geschäftsleute zusammengefasst: «Für das Finanzministerium in Washington ist er (Moretti, Red.) die zentrale Figur eines Netzwerks aus Firmen und Personen, das den Transport von militärisch nutzbaren Gütern über Tarnfirmen organisiert hat. Und Unternehmer wie Bruno Koller und seine Swisstec sollen ihn dabei tatkräftig unterstützt haben

Auch wenn es zumindest verdächtige Kontakte gegeben habe, die NZZ hält fest:

«Die Betroffenen stehen als angebliche Schergen Putins am Pranger, handfeste Belege für ihre Schuld gibt es allerdings nicht. Auf eine entsprechende Anfrage der NZZ hat das US-Finanzministerium nicht reagiert.»

Es gibt dem Hauptbeschuldigten Moretti auch Raum, seine Sicht der Dinge darzulegen: «Das Ofac handelt nicht in dem uns bekannten Rechtsraum. Es ist eine politische Organisation, die nur die Interessen der USA verfolgt und keine Rechenschaft gegenüber einem Gericht oder den Beschuldigten ablegen muss.»

Auch Koller, der seine Firma Swisstec schliessen musste, beklagt sich: ««Ich habe ja nichts verbrochen, ich bin nicht angeklagt, von niemandem. Ich bin auf einer politischen Liste.» Er betont, das Staatssekretariat für Wirtschaft habe überprüft, ob die Swisstec AG gegen Sanktionen verstossen habe. «Das wurde klar verneint.» Das Seco selbst will sich auf Anfrage nicht zum Fall äussern. Bis heute kann Koller kein Bargeld ins Ausland überweisen, einzig eine Regionalbank hat ihn noch als Kunden akzeptiert. «Ich bin völlig blockiert», sagt er.»

Dennoch wahren die Autoren genügend Distanz gegenüber den Protagonisten ihrer Story. Das sind mal knapp 18’000 A, die man gerne liest. Weil sie eben all die Elemente, an denen sonst der Schweizer Recherchierjournalismus leidet, nicht enthalten. Was beweist, dass interessanter Lokaljournalismus durchaus möglich ist. Wenn man’s kann, genügend Zeit und professionelle Beherrschung des Handwerks in eine Story investiert. Statt einfach zu jammern oder Oberflächliches und ewig Gleiches wiederzukäuen. Und sich dann zu wundern, dass einem die zahlenden Leser davonlaufen.

God Almighty Gujer zürnt

Das ist mal eine saftige Polemik an unerwarteter Stelle.

Die Teilnehmer an der Generalversammlung der AG für die Neue Zürcher Zeitung müssen mit den Ohren geschlackert haben. Denn NZZ-Chefredaktor Eric Gujer hielt eine Brandrede, die vom Titel bis zum Ende auf Krawall gebürstet ist.

Sie ist nicht nur inhaltlich, sondern auch formal grossartig; dagegen verzwergen die wenigen anderen Polemiker, die die Schweiz kennt. Sie «verleugnet die Realität», betitelt Gujer sein Werk in der gedruckten Fassung. Schon der Lead ist eine kleine Bombe:

«Die Welt steht in Flammen. Die Schweiz aber macht nur widerwillig Aussenpolitik. Bundesrat und Parlament sind unfähig, Antworten auf die aktuellen Fragen zu formulieren. Das wird sich rächen.»

Zack.

Ob die Schweiz, neben Käse und Geld, auch Aussenpolitik könne, fragt Gujer. Und zitiert den damaligen Aussenminister Felber, der auf die Frage, was der Bundesrat zum Fall der Berliner Mauer meine, antworten liess: «Es ist unmöglich, dass Bundesrat Felber zu allen politischen Ereignissen gegenüber Journalisten Stellung nehmen kann. Schliesslich geschieht fast jeden Tag etwas Wichtiges.»

Bum.

Dann greift der gebildete Gujer weit in die Geschichte zurück und erwähnt den ersten Schweizer Botschafter in Berlin. Um maliziös zu beschreiben:

«Kaum in Berlin angekommen, erkrankte Heer an der Allergie gegen fremde Fötzel. Nach drei Wochen depeschierte er in die Heimat, er habe «im vollen und wahren Sinne Heimweh und sehne sich aus diesem Lärm einer mir fremden Welt in die Stille meines lieben Glarnerlandes zurück». Eilig gab der Bundesrat dem Gesuch statt. Ich glaube, seither wurde in Bern nie mehr etwas so schnell entschieden.»

Ob man mit dem Inhalt einverstanden ist oder nicht, man wird bestens und auf einem Niveau unterhalten, das zumindest in der Deutschschweiz sonst keiner hat.

Als der Bundesrat zum ersten Mal mit einer Auslandreise an den Begräbnisfeierlichkeiten für den US-Präsidenten Kennedy teilnehmen wollte, motzte die Bundesverwaltung mit einer Aktennotiz: «Der Schweizer hat einen Horror vor allzu beweglichen Leuten und vor politischem Geschwätz. Bleiben wir also unserer seriösen und diskreten Politik treu, und diese eignet sich nicht für spektakuläre Besuchsreisen

Trockener Kommentar Gujers: ««Horror vor politischem Geschwätz» – ach, wenn sich Bundesbern nur an diese Worte erinnern würde, wenn es uns mit immer neuen Verordnungen und Gesetzen beglückt.»

So im Vorbeilaufen watscht er auch noch den ehemaligen Bundesrat Berset ab:

«Inzwischen besuchen die Bundesräte eifrig das Ausland. Manche dieser Reisen sind spektakulär, etwa wenn sich ein Bundesrat in ein Sportflugzeug setzt und Frankreich mal eben einen Besuch abstattet. Wenn er dann auch noch in gesperrten Luftraum eindringt, dann können wir voller Stolz sagen: Solch spektakuläre Reisediplomatie sollen andere Staaten der Schweiz erst einmal nachmachen!»

Aber neben Köstlichem kann er natürlich auch Ernstes. Denn die Verteidigungsministerin kriegt ganz anders ihr Fett ab: «Schläue ziert jeden Politiker, Verantwortungslosigkeit hingegen nicht.»

Dann führt er wieder vor, dass Bildung durchaus nicht schaden muss:

«Schriebe Gottfried Keller heute «Romeo und Julia auf dem Dorfe», so wären die Väter der beiden Liebenden immer noch verfeindet. Der eine würde im Zorn «Bilaterale III» hervorstossen, der andere «Rahmenabkommen 2.0». Die Schweiz ist manchmal ein grosses Seldwyla. Das bilaterale Rahmenabkommen 3.0 – ich hoffe, mit dieser Formel allen Positionen im Saal gerecht zu werden – erfordert Souveränitätsverzicht.»

Aber damit läuft er sich erst warm, hier hat er Betriebstemperatur erreicht:

«Das Wichtigste aber, was man über Schweizer Aussenpolitik wissen muss, hat der grosse britische Liberale und Gelehrte Isaiah Berlin schon vor langer Zeit erkannt. Er teilte alle Menschen in Igel und Füchse ein: «Der Fuchs weiss viele Dinge, aber der Igel weiss eine grosse Sache.» Der Igel hat eine Idealvorstellung, der er alles andere unterordnet. Der Fuchs kennt hingegen alle Schliche. Er findet sich in der Unübersichtlichkeit der Welt besser zurecht. Dafür bleibt der Igel eher sich und seinen Prinzipien treu. Die Schweiz ist ein Igel.»

Angewendet auf das Verhältnis zur EU: «Der Igel sagt, ich brauche das perfekte EU-Abkommen, weil ich nicht weiss, auf welche verrückten Ideen Brüssel noch kommt. Der Fuchs sagt, ich brauche nicht das eine perfekte Abkommen, sondern möglichst viele halbwegs gute. Die Zukunft ist offen, daher will ich verschiedene Optionen. Auf ihre Weise haben beide recht. Sie haben nur eine sehr unterschiedliche Sicht auf die Welt.»

Wohin kann das führen? «Linke Propaganda gegen Ausbeutung und rechte Propaganda gegen Brüssel, der Protektionismus der Bauern und der Protektionismus der Gewerkschaften potenzieren einander. Am Schluss weiss sich die Mehrheit einig in ihrer Allergie gegen fremde Fötzel

Wie geht’s weiter? Auch das fasst Gujer in elegante Worte: «Wir nähern uns dem Punkt, wo es wirklich weh tut. Doch Politiker und Bürger halten sich die Augen zu. Wir wollen nicht nur neutral sein, sondern auch ein bisschen wichtig. Zu diesem Zweck schuf Gott die Guten Dienste. Er wusste, seine Schweizer haben zwei Leidenschaften: den Tunnelbau in den Bergen und das Vermitteln in der Welt.»

Damit nähert er sich dem furiosen Finale seiner Wutrede:

«Moderne Neutralität ist kein Hexenwerk. Vier einfache Regeln genügen: 1. Die Schweiz geht keine Bündnisverpflichtungen ein. 2. Sie beteiligt sich nicht direkt an Kriegen. 3. Über Waffenlieferungen und andere tagespolitische Fragen entscheidet die Regierung gemäss Staatsräson. 4. Die Schweiz bekennt sich zur westlichen Gemeinschaft und leistet einen aktiven Beitrag, dass Putin und Konsorten die Welt nicht nach ihrem autoritären Willen umgestalten können.

Im Bundesrat aber sitzen sieben Igel. Ihnen graut es vor der Unübersichtlichkeit der Welt. Zugleich sind die sieben Igel schlau. Sie wissen, dass ihr Volk weder Füchse noch allzu bewegliche Leute schätzt. So bleibt in der Aussenpolitik alles, wie es ist. Der Stillstand hat unbestritten den Reiz der Bequemlichkeit. Man muss nur ignorieren, was täglich an Wichtigem geschieht in der Welt.»

Sicher, diese Würdigung besteht im Wesentlichen aus langen Zitaten. Aber wieso soll man kommentieren oder umformulieren, was einer für ein Mal grandios gesagt hat?

Liefert der NZZ-Chef noch mehr von diesem Stoff, wird ZACKBUM noch zum Gujer-Groupie. Aber keine Angst, wir werden niemals Übergriffigkeiten behaupten oder beklagen.

 

Es darf gelacht werden

Oder auch nicht. Was die Medien aus der Böögg-Nichtverbrennung machen.

Sozusagen ausser Konkurrenz läuft diese Anzeige der ZKB. Dass die tolle Agentur nicht damit rechnete, dass der Böögg überhaupt nicht brennt, okay. Aber ihr gutbezahlten und euch so toll vorkommenden Werber: das ist eine Online-Ad. Die man blitzartig austauschen, ändern, einen neuen Knaller draus machen kann. Aber natürlich nicht, wenn man ab 18 Uhr schon beim ersten, zweiten oder dritten Cüpli angelangt ist.

Da hat man mal ein Ereignis, das in seiner Bedeutungslosigkeit nicht zu überschätzen ist. Aber gleichzeitig unbedingt Anlass für Spass und Tollerei in den Medien bieten müsste.

Denn immerhin ist es das erste Mal in der Geschichte dieses Volksfests, dass die Hauptattraktion den Platz intakt verlässt. Der Böögg brannte weder, noch explodierte er. Sondern wurde unversehrt von einem Kran vom Holzstapel gehoben und versorgt. Das hätte sich so manche Hexe im Mittelalter auch gewünscht.

Das Feuerchen wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Funkenflug, Massenpanik, durchdrehende Rösser, herunterpurzelnde Zünfter, Chaos, weinende Kinder, verzweifelte Eltern, entrüstete Honoratioren, Wahnsinn.

Dass die NZZ dem gewohnt staatstragend begegnet, wohlan:

Immerhin, statt völliger Sprachlosigkeit hat sie sich noch zu bunten Bildern aufgerafft:

Zudem ist sich die alte Tante ihres Rufs bewusst und stellt noch schnell eine «Datenanalyse» dazu. «Der Wind am Sechseläuten war extrem – ein Vergleich mit den letzten dreissig Jahren». Wobei man schon sagen muss: wieso nur 30 Jahre? Und wieso nicht auch Temperaturen, Anzahl Regentropfen, Bierverbrauch, Koksmessung im Abwasser, Anzahl Scheidungen, Seitensprünge und durch besoffenen Übermut zerbrochene Männerfreundschaften?

Aber im Vergleich zu der NZZ wirkt der Tagi wie üblich eher schlapp:

Man merkt halt, dass das A-Team am Anlass war und wichtige Menschen hofierte. In der Meinung: kann ja wohl nicht so schwierig sein, Verbrennung und exakte Zeitmessung ins Blatt zu kriegen. Aber wenn das eben nicht passiert, dann bricht unter den Kindersoldaten im Newsroom leichte Panik und schweres Schweisseln aus.

Neutral allumfassend erledigt «20 Minuten» das Problem des unbeschädigten Bööggs:

Wollen wir unsere ganze Hoffnung auf den «Blick» setzen? Genau, lieber nicht:

Ein träfer Spruch, ein Scherz, ein boulevardesker Schwenker, irgend etwas, was dem Leser ein Schmunzeln entlockt? I wo.

Sehr souverän erledigt die «Aargauer Zeitung» aus dem Wanner-Imperium das Thema.

War da was in Zürich? Kümmert uns Träger weisser Socken und Lederkrawatten das? Eben.

Es ist ein Akt der Verzweiflung, aber ZACKBUM schaut noch bei «watson» rein:

Himmels willen, nicht einmal ein Listical? Keine superlustigen «Fails»? Keine Tipps, was du neben oder runter dem Böögg keinesfalls tun solltest? Stattdessen gähnende Leere. «watson» halt. Wenn wir schon von Leere sprechen:

Beim Böögg ist der Kopf noch drauf; bei Philipp Löpfe kann man nicht so sicher sein. Ob die USA noch eine Supermacht seien? Die immer noch grösste Wirtschaftsmacht der Welt? Ein Land, das so viel für sein Militär ausgibt wie die nächsten zehn Staaten zusammen? Eine Supermacht, die rund 1000 Militärstützpunkte ausserhalb der USA unterhält?

Ach, wir lassen es beim Böögg bewenden, sonst platzt noch dem Leser der Kopf.

 

Korrupter Selenskyj

Die NZZ ist mal wieder vorbildlich. Bis zu einem gewissen Grad.

Die Ukraine ist eines der korruptesten Länder der Welt. Immer wieder werden Vorwürfe erhoben, dass gewichtige Teile westlicher Hilfsgelder versickern, abgezweigt werden, in den Taschen der Kamarilla um Präsident Selenskyj landen.

Auch er selbst steht unter Korruptionsverdacht, ihm wird ein Millionen-, ja Milliardenvermögen nachgesagt. Stimmt das? Ist der Präsident der Ukraine reich, sehr reich? Dieser Frage geht die NZZ verdienstvoll in einem Videocast nach. Sie macht das, worauf andere Medien mangels Masse, Willen oder Fähigkeit zunehmend verzichten. Das wäre eine Aufgabe wie massgeschneidert für das grossartige «Recherchedesk» von Tamedia gewesen. Aber das schnarcht vor sich hin, wenn es sich nicht an der Ausschlachtung von Hehlerware – gestohlenen Geschäftsunterlagen – beteiligen kann.

Im Gegensatz dazu haben Florentin Erb und Jasmine Jacot-Descombes den Versuch unternommen, Behauptungen und Gerüchten über die Vermögensverhältnisse von Selenskyj nachzugehen und sie zu verifizieren oder zu falsifizieren. Eigentlich braucht es dazu nicht mehr als solides journalistisches Handwerk. Schliesslich gibt es Selbstdeklarationen, Grundbuchämter, Bildersuche bei Google und die Nachprüfbarkeit der Echtheit von Dokumenten wie Kaufverträgen oder Quittungen.

Bei ihren Recherchen kommen die beiden NZZ-Journalisten auf ein Gesamtvermögen Selenskyjs von rund 12 Millionen Dollar. Besonders erwähnenswert ist dabei, dass eine 4,6-Millionen-Villa in Italien bis 2019, also vor den Präsidentschaftswahlen, in seinen Erklärungen auftaucht, dann aber verschwand. Wobei es allerdings nachweisbar ist, dass sie sich über Tarnfirmen immer noch im Besitz des Präsidentschaftspaares befindet.

Verdienstvoll ist auch, dass die NZZ diverse Behauptungen auf Social Media, dass dem ukrainischen Präsidenten eine Yacht und Villa in Florida, ein Konto in Costa Rica oder gar die ehemalige Villa von Goebbels in Berlin gehören sollen, als Fake News entlarvt.

Tapfer zitieren sie auch Schätzungen von «Forbes», dass der Präsident ein Privatvermögen von bis zu 30 Millionen Dollar angehäuft haben soll.

Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. Ein Schatten ist, dass die «Leiterin des Themenbereichs Wirtschaftskriminalistik» an der Uni Luzern ihrem Ruf nicht gerade beförderlich ist. In eingespielten Aussagen beschönigt sie die Verwendung von Trust, Holdings und anderen Tarnfirmen, die Selenskyj gehören, als durchaus legitimen Schutz von Vermögenswerten. Ob Claudia V. Brunner auch so nachsichtig wäre, wenn es sich um die Untersuchung der Reichtümer eines russischen Oligarchen handelte?

Einen zweiten Schattenwurf liefert die NZZ, indem sie behauptet, das seien vielfach höchstwahrscheinlich von Moskau gestreute Desinformationen zur Diskreditierung des ukrainischen Präsidenten und um eine Stimmung zu schüren, die gegen die weitere Unterstützung des korrupten Staates sei.

Dafür führen die NZZ-Journalisten ein Quote eines US-Politikers an, der die Falschmeldung über eine Selenskyj-Yacht aufnehme, um gegen weitere US-Hilfsgelder zu wettern. Allerdings unterschlagen sie dabei, dass der Politiker davon spricht, dass sich ein Selenskyj-Minister mit diesen Geldern eine Yacht kaufen könne. Auch nicht so die feine Art, wenn man schon gegen Fake News stänkert.

Der grösste Schatten in der Reportage liegt aber auf dem Thema, wer denn eigentlich den damaligen Wahlkampf von Selenskyj finanziert hat, wer ihn damals beriet, wer aus einem politisch unbedarften Komiker in kürzester Zeit einen versierten Politiker machte, wer sein Image schärfte und ihn zu einem Erdrutschsieg aus dem Nichts führte.

Da fällt immer der Name Ihor Kolomojskyj. Das ist einer der reichsten ukrainischen Oligarchen mit einem geschätzten Vermögen von einigen Milliarden Dollar. Er war bis zu seiner Zwangsabsetzung Gouverneur einer Provinz und Besitzer der PrivatBank und der Privatbank-Gruppe. Er finanzierte den Aufbau der faschistischen Asow-Bataillone. Er ist der Mitbesitzer einer TV-Produktionsfirma, an der auch Selenskyj beteiligt ist. Die ihren Sitz, was Brunner sicher völlig in Ordnung fände, als Holding auf einer kleinen Insel hat und deshalb auch in den Panama-Papers auftaucht.

Zu seinem Vermögen kam er, typisch für solche Oligarchen, mit – höflich formuliert – hemdsärmelig dubiosen Methoden. Zitieren wir aus Wikipedia:

«2020 ernannte ihn das internationale Zentrum für die Erforschung der Korruption und des organisierten Verbrechens zu einem der vier korruptesten Amtsträger des Jahres. Kolomojskyj habe eine „Geschichte von Unternehmensrazzien, Betrug, Unterschlagung und politischen Intrigen“ und vertrete „viele ideologische und korrupte Milliardäre, von den Koch-Brüdern bis zu Arron Banks, die die Demokratie zum persönlichen Vorteil untergraben haben“

Nachdem die PrivatBank verstaatlicht werden musste, da aus ihrer Bilanz 5 Milliarden Dollar verschwunden waren, die der Oligarch wohl auf solchen harmlosen Tarnkonstrukten wie Trusts und Holdings auf kleinen Inseln versteckt hatte und nachdem diverse Strafverfahren gegen ihn eröffnet wurden, zog sich der Oligarch sicherheitshalber für eine Weile nach Israel zurück.

Um nach dem Wahlsieg Selenskyjs wieder in Kiew Wohnsitz zu nehmen; geschützt durch eine Amnestie des neuen Präsidenten. Allerdings wanderte Kolomojskyj im September 2023 für zwei Monate in «Gewahrsam», um in Ruhe Vorwürfe von Geldwäsche und Betrug untersuchen zu können. Offenbar ist an seiner Männerfreundschaft mit dem ukrainischen Präsidenten etwas zerbrochen.

Diese Korruptionsthematik zu untersuchen, das sprengte wohl das Format – oder die Fähigkeiten – der beiden NZZ-Journalisten.

Aber immerhin, so eine Recherche ragt dennoch wie ein Leuchtturm über das oberflächliche Gewäffel der Konkurrenz hinaus.

Auch die NZZ schwächelt

Quellenkritik wäre auch an der Falkenstrasse sinnvoll.

Die Rubrik «Medien» bei der NZZ war einmal ein angesehenes Gefäss. Viele Jahre lang wirkte hier Rainer Stadler. Genauer 31,5 Jahre. Nachdem ihm die Verantwortung für die Medienseite* entzogen worden war, kündigte er. «Ich denke, dass Medienjournalismus in den Massenmedien zunehmend unmöglich wird», war sein bitteres Fazit.

Wir von ZACKBUM müssen dem beipflichten. Vor allem, da auf der Medienseite nun eine gewisse Verwilderung stattfindet. So wird das Stück von Abraham Wyner kommentar- und kritiklos aus der rechtsradikalen jüdischen Publikation «Tablet» übernommen.

Dessen Zweifel an den Opferzahlen im Gazastreifen hatte bereits Markus Somm verwendet, was für die NZZ ein Warnzeichen hätte sein sollen. Wyner ist ein nicht unumstrittener Statistik-Professor, dem zum Beispiel vorgeworfen wird, dass er in einem Prozess um den Klima-Forscher Michael E. Mann als Zeuge ausgesagt hatte, dass dessen Hockey-Stick-Grafik Unsinn sei. Mann beschuldigt ihn, dafür ein Honorar von 100’000 US-Dollar bekommen zu haben.

 

Statt Wirkung zu erzielen, seien Wyners «Glaubwürdigkeit und Integrität beim Prozess angezweifelt» worden, schreibt Mann.

Das Organ «Tablet» hat auch schon diverse Skandale hinter sich. So beschimpfte es in einem Artikel Holocaust-Überlebende, die seien «Bösewichte, die sich als Opfer ausgeben und allein aufgrund ihres Überlebens (höchstwahrscheinlich mit allen nötigen Mitteln) das Gefühl hatten, sie hätten sich das Recht verdient, Helden zu sein […] hinterlistig, unzerstörbar, nehmend und nehmend». Auch für diese Ungeheuerlichkeit musste sich «Tablet» entschuldigen, wie für andere Ausrutscher mehr.

Also ein sagen wir mal umstrittener Autor, ein mehr als fragwürdiges Publikationsorgan, und ein heftiger Vorwurf.

Natürlich ist es klar, dass die Zahlen über Todesopfer während der militärischen Invasion Israels eine Propagandawaffe sind. Und das Hamas-kontrollierte Gesundheitsministerium von Gaza ist sicherlich nicht die vertrauenswürdigste Quelle. Wyner behauptet nun, auch in der NZZ: «Das Problem mit diesen Daten ist Folgendes: Die Zahlen sind nicht real

Als Argument verwendet Wyner, dass die Zahlen der Opfer laut Statistiken der Hamas linear zunähmen, was angesichts der unterschiedlichen Intensität der Kriegshandlungen und Kriegsverbrechen Israels nicht möglich sei.

Etwas absurd ist dann seine erweiterte Beweisführung: «Insgesamt sollen etwa 70 Prozent der Opfer Frauen und Kinder sein, wobei dieser Anteil von Tag zu Tag willkürlich aufgeteilt wurde. Sind tatsächlich 70 Prozent der Opfer Frauen und Kinder, so liegt diese Zahl weit über den Zahlen, die bei früheren Konflikten mit Israel gemeldet wurden. Kommt hinzu: Wenn 25 Prozent der Bevölkerung erwachsene Männer sind, hat Israel die Hamas-Kämpfer entweder nicht erfolgreich eliminiert, oder die Zahl der erwachsenen männlichen Opfer ist extrem niedrig

Prozentrechnen für Anfänger. Aber Wyner geht noch einen Schritt weiter:

«Die Gesamtzahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung ist vermutlich stark übertrieben. Israel schätzt, dass bisher mindestens 12 000 Hamas-Kämpfer getötet wurden. Wenn sich diese Zahl auch nur einigermassen bewahrheitet, dann ist das Verhältnis von Opfern unter den nicht am Kampf Beteiligten zu den Kämpfern bemerkenswert niedrig: höchstens 1,4 zu 1 oder sogar 1 zu 1.»

Aber selbst wenn das so wäre, würde das bedeuten, dass ingesamt 24’000 oder sogar 28’600 Menschen getötet worden wären. Addieren und Multiplizieren für Anfänger.

Wyners Schlussfolgerung:

«Gemessen an den historischen Massstäben der urbanen Kriegsführung, bei der sich Kämpfer unter die Zivilbevölkerung mischen, ist dies ein bemerkenswerter und erfolgreicher Versuch, unnötige Verluste an Menschenleben zu vermeiden und gleichzeitig einen unerbittlichen Feind zu bekämpfen, der sich mit Zivilisten schützt.»

Also liegen alle Politiker und Repräsentanten humanitärer Organisationen oder der UNO falsch, die vor einer Hungersnot und einem Massensterben im Gazastreifen warnen. Also ist die israelische Taktik, den Palästinensern im Norden des Gazastreifens zuerst anzuraten, sie sollen in angeblich sichere Gebiete im Süden fliehen, um die dann zu bombardieren und anzugreifen, ein «erfolgreicher Versuch», unnötige Verluste zu vermeiden.

Es ist eher unappetitlich, die möglicherweise übertriebenen Zahlen der Hamas so in Zweifel zu ziehen. Es dürfte unbestritten sein, bei der flächendeckenden Zerstörung der Infrastruktur und der Immobilien im Gazastreifen, dass es wohl mehr als ein paar hundert zivile Opfer gegeben hat. Damit ist die verächtliche Taktik der Hamas, sich hinter der Zivilbevölkerung zu verstecken, keineswegs legitimiert oder entschuldigt. Aber irgendwie sollte sich doch das Gute vom Bösen unterscheiden, oder nicht?

Anders sehen das im Wesentlichen «Tablet», Wyner und Somm. Und nun übernimmt noch die NZZ dieses Stück. Ob dort das Qualitätsmanagement auch schon in den Osterferien ist?

*ZACKBUM-Redaktor René Zeyer veröffentlichte einige Artikel auf dieser Medienseite, als das noch möglich war …