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Wenn die NZZ schwächelt

Die deutsche Kriegstreiberin Marie-Agnes Strack-Zimmermann bekommt ein Streichelinterview.

Zwei Redakteure bietet die NZZ auf, um mit der deutschen Kriegspolitikerin mit den beiden Doppelnamen ein Interview zu führen. Benedict Neff, seines Zeichens Feuilletonchef der NZZ und vielleicht nicht der sattelfesteste Militärberichterstatter. Und Claudia Schwartz, lange Jahre für «Streaming/TV verantwortlich», dann 2020 der Wechsel ins Feuilleton. Gute Beziehungen nach ganz oben helfen immer, auch bei einer doppelseitigen Berichterstattung über ein österreichisches Wellness-Hotel, das sie zusammen mit dem Göttergatten besuchte.

Diese beiden ausgewiesenen Fachleute bieten nun Strack-Zimmermann die Gelegenheit, weitgehend unwidersprochen ihre Positionen auszubreiten. Begleitet von unverständlichen Lobhudeleien: «MarieAgnes StrackZimmermann ist eine unbestechliche Stimme, wenn es um den Krieg in der Ukraine geht.» Unbestechlich? Die Rüstungsindustrie-Lobbyistin sei unbestechlich, im Sinne von unvoreingenommen? Ein unglaublicher Schwächeanfall der NZZ.

Aber er setzt sich durchs ganze Interview hindurch fort: «Dieses Zögern und Abwarten (bei deutschen Waffenlieferungen, Red.) war ein grosser Fehler. Die Bundesrepublik hätte deutlich schneller reagieren müssen.» Sie hätte noch schneller – und im Gegensatz zur Schweiz – ihre Waffenausfuhrgesetze über Bord werfen sollen?

«Auf russischen Panzern steht «nach Berlin», … Das Nein der Schweiz hat in Deutschland die Frage aufgeworfen, wie zuverlässig die Lieferkette dringend benötigter Munition in Zukunft sein wird, wenn die Schweiz selbst bei der Verteidigung von Lebensmittelausfuhr nicht liefert, … Die Antwort liegt auf der Hand. In Zukunft sollte die Munition ausschliesslich in Nato-Staaten eingekauft beziehungsweise in Deutschland direkt hergestellt werden … Das Kanzleramt hat mir tatsächlich mal unterstellt, ich würde ein «Geschäftsmodell» daraus machen, den Kanzler zu kritisieren. Ich finde das offen gestanden geradezu zynisch … Umso unvorstellbarer ist es, dass gerade sie (Alice Schwarzer, Red.) das Leid der vergewaltigten Frauen in der Ukraine ausblendet und nicht einmal bei Demonstrationen thematisiert. Sie verrät ihre eigenen Werte … Wehrhaftigkeit ist das zentrale Thema der nächsten Generation.»

Jede Menge Stoff, um kritische Nachfragen zu stellen. Aber doch nicht die beiden Feuilletonisten der NZZ. Dann wäre ein ungeheuerliche Lügenmeldung von Strack-Zimmermann zu thematisieren gewesen:

«Nicht nur haben russische Raketen offenbar Polen und NATO-Gebiet getroffen, sondern auch zu Toten geführt. Das ist das Russland, mit dem hier einige offenkundig und absurderweise immer noch «verhandeln» wollen. Der Kreml und seine Insassen müssen sich umgehend erklären.»

Das sonderte sie direkt nach dem Einschlag einer Rakete in Polen ab. Sie ist immerhin die Vorsitzende des Deutschen Verteidigungsausschusses, und als solche müsste sie ihre Worte vorsichtig wählen. Mit dieser Behauptung betrieb sie eindeutig Kriegshetze. Was aber noch schlimmer war: als sich herausstellte, dass sie (und andere) auf ukrainische Propaganda reingefallen war, die Rakete in Wirklichkeit eine Abwehrrakete der ukrainischen Armee war, nahm Strack-Zimmermann ihre Behauptung nicht zurück, wies eine Entschuldigung dafür weit von sich.

Zudem ist sie Präsidiumsmitglied in der «Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik» (DWT). Sie ist Vizepräsidentin der «Deutschen Atlantischen Gesellschaft» (DAG), die sich trotz des allgemeinen Namens zum Ziel gesetzt hat, «das Verständnis für die Ziele des Atlantischen Bündnisses zu vertiefen und über die Politik der NATO zu informieren». Zudem ist sie Präsidiumsmitglied beim «Förderkreis Deutsches Heer» (FKH), neben der DWT die wichtigste Lobby-Gruppe der deutschen Rüstungsindustrie.

Aus all dem hätte sich vielleicht die eine oder andere kritische Frage ergeben können. Aber doch nicht vom Duo Neff/Schwartz. Und sollte jemand Kundiger in der NZZ die Nase gerümpft haben, tat er das still und leise. Denn wer will sich schon mit Schwartz anlegen? Niemand.

Hyperventilieren ist nicht gesund

Banken, Ukraine, Rentenreform. Himmels willen …

Für die modernen Sparmedien gibt es zwei Ausnahmezustände. Der eine: es ist nichts los. Es ist wirklich nichts los. Dieser Ausnahmezustand wird dann mit einer ausführlichen Betrachtung und Beschreibung des eigenen Bauchnabels bewältigt. Der Leser bekommt ungefragt Beziehungsprobleme, Essgewohnheiten, Alltagserlebnisse, Kindergeburtstage und andere Nebensächlichkeiten serviert. Soweit tiefe Einblicke in die physische und psychische Verfassung des Journalisten.

Die gehobenere Form besteht darin, der Schweiz, der EU, der Ukraine, Russland, China, ja überhaupt der ganzen Welt mal wieder zu geigen, was sie zu tun und zu lassen hätte. Was sie falsch macht (fast alles) und was sie richtig macht (sehr wenig).

Beide Themen werden jeweils mit dieser gravitätischen Unwucht der eigenen Bedeutungsschwere abgehandelt. Das ist leider eine zunehmende Erkrankung vieler Schriftwerke. Umso unbedeutender, unwichtiger die Meinungsäusserungen von Journalisten werden, desto mehr pumpen sie ihre Werke mit vermeintlicher Wichtigkeit auf, geraten schnell in den Diskant, werden kreischig, behaupten wie der Irrwisch Seibt, dass es nun um alles gehe, um wirklich alles.

Dabei geht es meistens nur darum, im Print Spalten zu füllen und im Digitalen den Eindruck einer Themenfülle zu erwecken, die gar nicht existiert.

Der zweite Ausnahmezustand besteht darin, dass mehr als ein grosses Ereignis zeitgleich passiert. Denn seit mehr als einem Jahr ist der Grundbrummton durch den Ukrainekrieg gegeben. Wenn dann noch ein Erdbeben in der Türkei dazukommt, ist schnell einmal die Belastungsgrenze des normalen Journalisten erreicht.

Glücklicherweise haben es Erdbeben aber so an sich, dass sie schnell stattfinden, ihre Verheerungen aus dem Stehsatz beschrieben werden können, der Reigen von Fachleuten, Betroffenen, Schuldigen und überlebenden wird vorgeführt, und dann ist auch wieder gut.

So etwas wie die neuste Rentenreform ist schon sperriger. Eher kompliziertes Thema, irgendwie bedeutend, aber wo soll man noch Platz finden neben der Ukraine? Vor allem, wenn ja wie immer aus heiterem Himmel ein völlig unerwartetes Problem über uns hereingebrochen ist: der Credit Suisse geht es nicht so gut.

Da tut zum Beispiel Tamedia, verflixt, das heisst doch «Tages-Anzeiger», auch in Bern oder Basel, also da tun die Organe des Coninx-Clans das, was für sie inzwischen das Höchste der Gefühle ist. Sie richten einen «News-Ticker» ein, damit der überforderte Redaktor die Agenturmeldungen einfach per copy/paste ins Internet rammen kann.

Und es wird ein eigenes «Gefäss» mit eigenem Titel und eigenem Auftritt geschaffen. Hier heisst es originellerweise «Krise bei der Credit Suisse». Bei der UBS wäre es dann wohl «Unfall bei der UBS», bei den Genossenschaftern «Reibungen bei Raiffeisen», bei der Post «Panik bei Postfinance» und bei der ZKB als letzte der systemrelevanten Banken vielleicht «Zackbum bei ZKB». Dagegen würden wir natürlich energisch Einsprache erheben.

Aber auch bei der «Krise bei der Credit Suisse» wird getan, was man kann. Also nicht viel. Bei Tamedia (wir wollen uns diese Bezeichnung, auch Priska Amstutz zu Ehren, nicht abgewöhnen) gibt’s das obligaten Interview mit dem Fachmann, die «Antworten zur Rettung der Credit Suisse», die bange Frage «Bahnt sich eine Finanzkrise an?» und den kritischen Titel «Der Bundesrat tagt – und schweigt».

Dafür werden gleich zwei Koryphäen in die Schlacht geworfen. Aber Markus Brotschi (Bundeshausredaktor) und Charlotte Walser (promovierte Philosophin aus dem «Bundeshausteam») haben die undankbare Aufgabe, aus einem schweigenden Bundesrat einen Artikel zu melken. ZACKBUM kann eine gewisse Bewunderung nicht verhehlen:

«Im Bundeshaus herrschte am Donnerstag so etwas wie knisternde Anspannung.» Das ist schon mal gut, ein starker Anfang. Nennen wir es gebremstes Tremolo, denn es ist ja nur «so etwas» wie angespanntes Knistern. Und die Frage stand im Raum, schwebte unter der Parlamentskuppel, trieb die Volksvertreter durch die Wandelhalle: «Wie würde der Bundesrat reagieren

Um diese Frage zu beantworten, muss das Bundeshausteam seine Muskeln anspannen, die Ohren spitzen, Beziehungen ausnützen, um berichten zu können: «Tatsächlich traf sich die Landesregierung, wie im Lauf des Tages ruchbar wurde, am Nachmittag zu einer Krisensitzung

Trommelwirbel, nun muss aber der Knaller kommen: «Über den Inhalt der Sitzung werde nicht informiert, schreibt die Bundeskanzlei.» Das ist natürlich bitter, aber dem findigen Journi fällt schon noch etwas ein, denn sonst wäre der Artikel ja fertig: «Im Parlament sorgt die Nicht-Reaktion der Exekutive für Verunsicherung. Parlamentarier formulieren gegenüber dieser Zeitung zunächst ihre Irritation, wollen sich später dann aber nicht zitieren lassen.» Ist das aber nochmal ein Pech. Zuerst sagt der Bundesrat nix, dann sagen die Parlamentarier was, wollen aber doch nix gesagt haben.

Was kann da noch helfen? «Ein Insider spekuliert …», das ist immer das Ende jeder ernstzunehmenden Berichterstattung. Aber hier geht’s doch weiter: «Doch nun müsse man «gesetzgeberisch vorsorgen, dass so etwas nie mehr vorkommt», betonte Co-Präsident Cédric Wermuth». Wunderbar, der Vielschwätzer ist immer mit einer Stellungnahme zur Hand, und so bleibt uns allen ein Zitat von Fabian Molina erspart.

Das gibt natürlich Reaktionen: ««Die SP ist vorgeprescht», sagt (Mitte-Präsident, Red.) Pfister.» Damit ist ein Fass aufgemacht: «FDP-Präsident Thierry Burkart ist ebenfalls der Ansicht …», selbstredend «Für den Banker und SVP-Nationalrat Thomas Matter hat die CS nun die Hauptaufgabe …». Nur: offenbar haben es die Grünen und die Grünliberalen nicht rechtzeitig geschafft, etwas in die Mikrophone zu murmeln.

Dürfen wir kurz zusammenfassen: der Credit Suisse geht es schlecht, sie benützt die Kreditlimite von 50 Milliarden, die ihr bei der SNB zusteht. Der Bundesrat hat sich darüber informieren lassen und sagt nichts. Die Parteien sagen das, was sie meistens sagen.

ZACKBUM fragt aber: Wenn dieser Artikel das Niveau der Berichterstattung illustriert, kann man da dem Hause Tamedia die Kompetenz zutrauen, sinnvoll über die Ukraine, die Türkei, China, Russland, die USA und überhaupt die Welt zu berichten? Sieht das bei CH Media besser aus? Oder bei Ringier? Bei den Randgruppen-Postillen? Wenn man die NZZ als Ausnahme gelten lässt: ist das nicht ein unvorstellbares Elend?

Wumms: Katharina Fontana

Frau, kompetent, stabile Schreiberin: auch das gibt’s.

«Ältere und Kinder haben unnötig gelitten, Milliarden wurden verpulvert, und die Behörden reagierten oft manipulativ.» Das ist Klartext in der Retrospektive über die Corona-Politik der Schweiz. Natürlich muss niemand mit der Ansicht der NZZ-Inlandredaktorin Fontana einverstanden sein.

Aber ihre Kompetenz, Analysefähigkeit und schnörkellose Sprache legen ein Niveau vor, von dem Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger», na ja, also das ungeliebte Medienkind des Coninx-Clans, nur träumen kann. Wenn man alleine diesen Kommentar und was an Wissen dahintersteckt mit dem kurzatmigen Gebabbel einer Raphaela Birrer, einer Kerstin Hasse vergleicht, dann kann man nur tiefes Mitleid mit den wenigen verbliebenen kompetenten Journalisten bei Tamedia empfinden, Pardon, aber was soll’s, wir nennen das Ding weiterhin so, wieso soll man auch die x-te Umbenennung mitmachen, nächstens heisst’s vielleicht wieder Tamedia. Oder Txlein, oder Tagitagi.

Alleine das ist schon ein Symptom für Orientierungslosigkeit: wer sein Produkt alle Naselang umbenennt, weiss doch gar nicht, was er damit anfangen will.

Die NZZ heisst immerhin seit 1821 so, und es sieht nicht danach aus, als ob sie daran bald etwas ändern wollte. Wieso auch, hat sich soweit bewährt. Während Tamedia von der x-ten Umpositionierung schwafelt, macht die NZZ einfach das, wofür Konsumenten durchaus bereit sind, Geld zu bezahlen.

Es ist nämlich gar nicht so schwer. Ein Autor (kann auch eine Autorin sein) hat Sachkompetenz akkumuliert, nimmt sich ein Thema vor, durchdringt es und fasst seine Erkenntnisse in einem komprimierten Artikel zusammen. In dem kein einziges Mal das Wort «ich» vorkommt. In dem die Befindlichkeit des Autors (kann auch eine Autorin sein) keine Rolle spielt. In dem keine Generallinie nachgebetet werden muss. In dem keine Sätze stehen, die schneller verwehen als man sie lesen kann.

Noch vor zwanzig Jahren hätte sich der ZACKBUM-Leser hier beschweren können, dass das wohl Selbstverständlichkeiten seien. Heute muss man ihm mitteilen: nein, sind es nicht mehr. Oder man nenne spontan einen einzigen Artikel aus jüngster Zeit von Tamedia, der diesen Kriterien genügt. Wir loben dafür Finderlohn aus. In der sicheren Annahme, dass wir das Portemonnaie geschlossen halten können.

Die NZZ in Klatschlaune

Wie viel Gossip verträgt sich mit einem gewissen Niveau?

«… sich gegenüber weiblichen Angestellten unangebracht zu verhalten, … gemäss Recherchen der NZZ, … laut Quellen der NZZ fühlten sich Betroffene belästigt …»

Die Zeiten sind noch nicht so lange her, wo bei der NZZ ein solches Stück mit zugehaltener Nase und spitzen Fingern im Abfalleimer gelandet wäre. Zu sehr Trash, zu sehr Unterleib, so unprofessionell, mit angeblichen Recherchen und angeblichen «Quellen» zu arbeiten.

Vor allem: «Von justiziablen Vorwürfen ist bis jetzt nichts bekannt, für Dorer gilt die Unschuldsvermutung.» Lucien Scherrer mausert sich immer mehr  zu einem Spezialisten für Klatsch und Tratsch und unbewiesene Behauptungen. Er tat das schon im Fall Canonica und behauptete auch dort, sich auf anonyme «Quellen» stützen zu können.

Anschliessend machte er eine Kehrtwende und haute die Medien in die Pfanne, die sich durch das Verbreiten von Lügengeschichten um ihre Glaubwürdigkeit gebracht hätten. Ohne ein selbstkritisches Wort zu verlieren. Dafür sprachen aber er und seine Co-Autorin Finn Canonica kurzerhand per Ferndiagnose die «charakterliche Eignung» für Führungspositionen ab und behaupteten, dass Roger Schawinski den ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor «reinwaschen» wolle, obwohl der lediglich aus dem Inhalt des Untersuchungsberichts zitiert hatte.

Was das über seine eigene charakterliche Eignung aussagt, sei dahingestellt. Natürlich macht es aus Scherrers Sicht Spass, auf die Turbulenzen im Ringier-Verlag hinzuweisen; Marc Walder, Werner de Schepper, nun auch Christian Dorer, da ist Schadenfreude eine menschliche Regung.

An Zivilcourage gebricht es Scherrer hingegen sehr. Denn auch in seinem eigenen Hause gäbe es doch durchaus Anlass, mal ein paar kritische Bemerkungen über das Verhalten der Führungsspitze fallen zu lassen. Stichwort Claudia Schwartz. Scherrer könnte sich da gerne bei ZACKBUM bedienen, denn wir betreiben hier keinen Konzernjournalismus, sondern verteilen gerecht (wenig) Lob und (viel) Tadel an alle Seiten, je nach Verdienst.

Wieso es allerdings neuerdings im Feuilleton der NZZ einige Zeilen wert sein soll, Klatsch und Tratsch aus dem Hause Ringier zu verbreiten? Gerade das Feuilleton reifte noch unter René Scheu zu FAZ-ähnlicher Grösse. Nun ist es aber teilweise im Branchensumpf abgetaucht, wo gilt, dass Journalisten sich für nichts mehr interessieren als für andere Journalisten.

Es gibt nur noch ein Thema, das sie allenfalls noch mehr begeistern kann: der Blick auf den eigenen Bauchnabel. Vielleicht sollte die Führungsspitze der NZZ, in der Zeit, die sie ausserhalb eines österreichischen Wellness-Hotels verbringt, dafür sorgen, dass der Unterschied zu «Glückspost» oder «Bunte» erkennbar bleibt.

Wumms: Raphaela Birrer

Sie sollte zurücktreten, bevor sie antritt.

«Die Lust an der Provokation, der reflexartige Bezug der alternativen Meinung kippte zusehends ins Bizarre.»

Raphaela Birrer publiziert immer noch als «Leiterin Inland und Mitglied der Chefredaktion». Aber eigentlich ist sie designierte Oberchefin des gesamten publizistischen Ausstosses des Hauses Tamedia. Natürlich gerät man sofort unter strengen Sexismusverdacht, wenn man sagt: man muss sie nicht mal wiegen, um sie für zu leicht zu befinden.

Ihre Kommentare zeichnen sich immer durch eine gewisse hysterische Stutenbissigkeit aus, gepaart mit mediokrer Sprachbeherrschung und der völligen Absenz origineller Ideen. Wenn schon ein politisches Feindbild abtritt, wäre es doch intelligent – da weg und keine Gefahr mehr –, ihm einen würdigen Abschied zu bereiten. Oder sich an dem wahrhaft journalistischen Porträt zu orientieren, das kürzlich in der NZZ über Roger Köppel erschienen ist.

Aber da wird sich Birrer gedacht haben: bevor ich an einem solchen Versuch zum Höhenflug krachend scheitere, stiefle ich lieber durchs Unterholz: «Seine notorischen Absenzen und sein Desinteresse für die politische Feinmechanik in den Kommissionen haben ihm viele Fraktionsmitglieder nachgesehen, aber seine glühenden Verteidigungsreden für den russischen Angriffskrieg wurden zunehmend zum Problem, wie es hinter vorgehaltener Hand heisst.»

«Glühende Verteidigungsreden», das ist wohl nicht mal absichtliches Anrempeln, das hört sich mehr nach ungelenker Sprachbeherrschung an, oder kurz gesagt: sie weiss nicht, was sie schreibt, weil sie nicht weiss, was sie denkt. Sie macht schmerzlich offensichtlich, dass Köppel in einem schwachen Moment mehr Ideen hat und die auch viel brillanter ausdrücken kann als Birrer in ihrer gesamten journalistischen Karriere.

Geradezu bizarr wird es, wenn sie erschreckt bemerkt, dass der Platz für einen Kommentar fast zugelabert ist und sie noch zu einer Schlusspointe kommen sollte: «Mit der Entflechtung seiner politischen und unternehmerischen Rollen dürfte der Flurschaden aber zumindest für die SVP geringer werden

Das ist nun so blöd, dass es direkt von Patti Basler sein könnte. Nur wird die zu Recht vom Schweizer Farbfernsehen ignoriert. Ihr journalistisches Pendant aber bekommt die höchsten Weihen, die Tamedia zu vergeben hat. Kollege Gujer wird nicht sicher sein, ob er schallend lachen oder sich ärgern soll, dass diese Position mit einem solchen Nonvaleur besetzt wird.

Man will sich nicht vorstellen, was die wenigen, aber noch vorhandenen professionellen, seriösen und kompetenten Journalisten bei Tamedia sich denken mögen. Der 55-Jährige, wir wollen hier keine Namen nennen, der weiss, dass der Weg bis zur Frühpensionierung noch sehr, sehr weit ist. Und bis dorthin muss er nun zu allen Sparmassnahmen hinzu noch diese Sparmassnahme zuoberst akzeptieren? Eine Quotenfrau? Jemanden, der noch nie durch eine originelle Idee, einen journalistischen Wurf, ein strategisches Konzept aufgefallen ist?

Das ist wahrlich bitter. Steigert den Alkohol- und Tablettenkonsum in der Redaktion ungemein. Treibt noch mehr Mitarbeiter ins innere Exil, in die Haltung: Augen zu und durch. Wie Pietro Supino für solches Wirken auch noch Geld verlangen und kassieren kann, ohne rot zu werden: ein Rätsel.

Splitter und Balken

Die NZZ basht die «Magazin»-Berichterstattung. Mit einer Ausnahme.

Gleich zwei Redaktionskräfte bietet die NZZ auf, um die jüngsten Ereignisse in der «Magazin»-Affäre aufzuarbeiten. Lucien Scherrer und Nadine Brügger fallen über die Berichterstattung her:

Aber auch das Objekt dieses Medienskandals kriegt sein Fett ab: «Tatsächlich ist der ehemalige «Magazin»-Chefredaktor ein Beispiel dafür, wie weit es verbal übergriffige und charakterlich ungeeignete Personen in der Medienbranche bringen können, weil sie von Kollegen protegiert werden und Firmenverantwortliche wegschauen.»

Übergriffig, charakterlich ungeeignet? Kühne Ferndiagnosen. Oder schreiben die beiden hier über die ehemalige NZZ-Führungskraft Kenneth Angst? Während die NZZ hier mit Namensnennung austeilt, ist sie in einem anderen Fall vornehm zurückhaltend: «Der ehemalige Mitarbeiter, der die Geschichte mit dem Implantat verbreitete, arbeitete bis Anfang 2015 beim «Magazin».» Nicht nur diese Lügengeschichte verbreitete Mathias Ninck.

Auch mit dem rein Faktischen steht die NZZ auf Kriegsfuss: «Finn Canonica war von 2007 bis 2021 Chefredaktor des «Magazins», das sich als Leitorgan der linksurbanen Elite versteht. … Roshani arbeitete von 2002 bis 2021 beim «Magazin».» Es war bis 2022, im Fall Roshanis bis Ende 2022.

Richtig kritisiert die NZZ hingegen den Vergleich mit dem verurteilten Hollywood-Mogul Weinstein als «grotesk». Allerdings will auch hier das Blatt schön austariert gegen rechts wie links austeilen: «Dies auch, weil das Framing vom kleinen Werdstrasse-Weinstein für jeden Geschmack attraktiv ist. Rechte Medien wie die «Weltwoche» nahmen es zum Anlass, um die Doppelmoral vermeintlich progressiver Publizisten anzuprangern; Linke nutzten es, um der mächtigen und ihrer Meinung nach zu wenig linken TX-Gruppe (dem Mutterhaus von Tamedia) strukturellen Sexismus vorzuwerfen.»

Da mit dem «rechten Medium» René Zeyers Artikel in der «Weltwoche» gemeint ist, gegen den schon die NZZ-Mitarbeiterin Aline Wanner wäffelte: der hatte null und nichts mit einem «Framing vom kleinen Werdstrasse-Weinstein» zu tun. Konzernjournalismus ist auch dem Haus an der Falkenstrasse nicht fremd.

Während die NZZ aber lediglich Bekanntes aufwärmt, bekommt offenbar aus Futterneid ein anderer sein Fett ab: «Während mancherorts vertuscht wird, versuchen sich andere bereits an einer Reinwaschung Canonicas. So hat der Radiopionier Roger Schawinski am Mittwoch versucht, Finn Canonica als «weitgehend entlasteten» Mann darzustellen, was er trotz aller medialen Übertreibungen und Fehlleistungen nicht ist.»

Der «Versuch der Reinwaschung» Schawinskis bestand darin, ausführlich aus dem Untersuchungsbericht zu zitieren, den sich die NZZ nicht beschaffen konnte. Was zurzeit unbestritten übrigbleibt, ist die Verwendung von Hakenkreuzen und die häufige Verwendung von Wörter wir «fuck» oder «bullshit». Wenn das keine weitgehende Entlastung ist …

Das alles kann man aber einfach als wenig souveränes Abwatschen der Konkurrenz abbuchen. Die halt aufgrund von anonymen Quellen kübelweise Unrat über Finn Canonica und Tamedia ausgoss. Sehr peinlich wird es aber, wenn die NZZ darauf verzichtet, eigene Fehlleistungen auch gleich richtigzustellen. So erwähnt die NZZ genüsslich: «Die «Aargauer Zeitung» hat die Passage (über eine Plastikbrust auf dem Schreibtisch von Canonica, Red.) inzwischen kommentarlos gelöscht, weil sie auf Gerüchten und Übertreibungen basierte.» Ohne zu erwähnen, dass es sogar eine publizierte Entschuldigung an den Tamedia-Boss Pietro Supino absetzte.

Wie steht es allerdings mit solchen Passagen?

«Andere ehemalige «Magazin»-Angestellte beschreiben der …, wie die Angst vor der beschriebenen Willkür viele im inneren Kreis dazu gebracht habe, wegzuschauen und zu schweigen.»

Oder dieser hier:

«Roshani dagegen berichtet in ihrem Text von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen, die «Das Magazin» wegen Canonica verlassen und das gegenüber der Personalabteilung von Tamedia auch so kommuniziert haben. Das bestätigen ehemalige Mitarbeitende gegenüber der ….»

Welches Kolportageblatt hat denn diese Behauptungen, basierend auf anonymen Quellen, aufgestellt? Wer hat sich hier Aussagen von Roshani von angeblichen «ehemaligen Mitarbeitern» bestätigen, gar «Angst» behaupten lassen?

Das muss doch ein weiteres Beispiel für dieses Verdikt über die Behandlung Canonicas sein: «Sein Fall zeigt aber auch, wie unseriös und manipulativ führende deutschsprachige Medien zu Werke gehen, wenn es darum geht, einen Skandal zu vermarkten.»

Sehr richtig.

Erschienen sind diese beiden Texte jedoch in der – «Neuen Zürcher Zeitung». Die Autoren heissen Nadine Brügger und Lucien Scherrer. Ist das mal wieder peinlich.

 

Gegendarstellungsfrei

Die Schweiz schweigt. München berichtet.

«Um den Fall Roshani/Canonica werden sich demnächst die Gerichte kümmern. … Am Mittwoch wurde mehr aus dem angeblich 100 Seiten langen Untersuchungsbericht bekannt, den Tamedia-Verleger Pietro Supino bei einer Anwaltkanzlei Ende 2021 in Auftrag gegeben hatte.»

So berichtet die «Süddeutsche Zeitung» am Freitag über Innerschweizer Angelegenheiten. In den Schweizer Tageszeitungen wurde breit vermeldet, dass die ehemalige «Magazin»-Redaktorin Anuschka Roshani im «Spiegel» eine Breitseite gegen den ehemaligen Chefredaktor Finn Canonica und ihren ehemaligen Arbeitgeber Tamedia abgefeuert hatte.

Sexismus, Mobbing, toxische Atmosphäre, frauenfeindliche Sprüche. Das Narrativ entspricht dem Zeitgeist, bis hinunter zur «Republik» wurde wiedergekäut, gewäffelt und verurteilt. Dass Canonica die Vorwürfe als grösstenteils erlogen scharf zurückwies, dass Tamedia eine Zusammenfassung eines Untersuchungsberichts veröffentlichte, der die Sache in einem ganz anderen Licht erscheinen liess: kurze Randbemerkung.

Am Mittwoch veröffentlichte Roger Schawinski auf seinem Radio 1 neue, brisante Auszüge aus diesem Bericht. Danach verdichtet sich der Verdacht, dass Roshani, teilweise in Abstimmung mit dem ehemaligen «Magazin»-Redaktor Mathias Ninck oder Michèle Roten, aufgebauscht und erfunden habe.

Zudem veröffentlichte der «Schweizer Journalist» eine akkurate Recherche zur Frage, ob es wirklich so war, wie Roshani darstellt. Resultat: laut Aussagen von 8 aktuellen und ehemaligen «Magazin»-Mitarbeitern: nein.

Über diese neuen Enthüllungen, die nicht so in den Zeitgeist passen, berichtete ansatzweise persönlich.com und ausführlich ZACKBUM.

Und sonst niemand.

Schweigen im Blätterwald. All die Gazetten in der Schweiz – und sogar die deutsche «Zeit» – die aufgrund anonymer Heckenschützen sich darin überschlugen, dass es alles noch viel schlimmer gewesen sei, schweigen verkniffen. Die NZZ, der «Blick», CH Media, die sogar schon eine Entschuldigung in Richtung Tamedia-Boss Pietro Supino rausquetschen mussten – alle halten die Füsse still.

Vielleicht wäre mal eine Entschuldigung Richtung Canonica fällig. Aber das werden wir nicht erleben, dass das freiwillig geschieht.

Welch ein Elendsjournalismus, aufgrund ausschliesslich anonymer Frustrierter loszugaloppieren. Die «Zeit» verwendete sogar den Indikativ, als sei es erwiesen, dass die Behauptungen von Roshani zuträfen.

Nach der wilden Hatz aufgrund trüber Quellen muss man nun in der SZ lesen, was eigentlich in der Schweiz überall erscheinen müsste:

«Der Bericht ergebe ein «ein überraschendes Bild, das radikal von dem abweicht«, das Roshani im Spiegel gezeichnet hatte. Er entlaste Canonica in vielen Punkten. Auch das Branchenmagazin Schweizer Journalist:in hat sich gerade mit dem Fall befasst und in der Redaktion von Das Magazin recherchiert. Die Story zeichnet kein gutes Bild von Finn Canonica als Führungspersönlichkeit. Sie findet aber auch keine Zeugen für ein toxisches Klima in der Redaktion.»

Nur die amtierenden Mitarbeiter – oder der langjährige Kolumnist Daniel Binswanger, inzwischen Chefredaktor a.i. des Gutmenschenblatts «Republik» – haben ein Schweigegelübde abgelegt.

Normalerweise übernimmt ja Tamedia – bis hin zu Katzengeschichten eines ehemaligen Münchner Bürgermeisters – fast alles, was aus der bayerischen Hauptstadt kommt, ausser vielleicht das Kinoprogramm. Wetten, dass dieser Artikel nicht dazugehören wird?

PS: Der Gerechtigkeit halber sei angemerkt, dass immerhin «20 Minuten» die neuen Enthüllungen aufnimmt. Immerhin, weil das Gratisblatt auch zu Tamedia gehört.

Wie die Ukraine siegt – in der NZZ

Manchmal ist copy/paste einfach gut.

Auf das Kriegsgestammel der Mainstream-Medien hat ZACKBUM schon (zu) viele Zeilen verwendet. Allerdings hat nun der Chefredaktor der Zeitschrift «Schweizer Monat» in seinem Newsletter sich mal die NZZ zur Brust genommen, und das Resultat ist durchaus beeindruckend. Statt so zu tun, als hätte ZACKBUM das selbst recherchiert (was uns auch von den Mainstream-Medien unterscheidet), präsentieren wir einfach unseren Lesern seine Erkenntnisse, mit freundlichem Einverständnis von Ronnie Grob.

Für Interessenten am Original und an weiteren Werken:

Dieser Text erschien zuerst im Newsletter «Grob gesagt» des «Schweizer Monat». Man kann ihn hier abonnieren.
Ronnie Grob ist Chefredaktor des Autoren- und Debattenmagazins «Schweizer Monat».

Die Ukraine steht kurz vor dem Sieg

Wer westliche Medien über den Verlauf des Kriegs in der Ukraine konsumiert, wähnt sich seit rund einem Jahr kurz vor dem endgültigen Durchbruch der ukrainischen Streitkräfte.

In der gedruckten Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) trugen die Artikel in den letzten 12 Monaten etwa diese Titel:

«Der Krieg läuft schlecht für Russland» (1. März 2022)
«Drohnen sind ein Schwachpunkt der Russen» (16. März 2022)
«Kann der Kreml die vielen Verluste verkraften?» (22. März 2022)
«Russisches Landungsschiff versenkt: Schwerer Schlag für Putins Marine» (25. März 2022)
«Die russische Armee sitzt fest» (30. März 2022)
«Russland hat die Schlacht um Kiew verloren» (2. April 2022)
«Putins Elitesoldaten werden entzaubert» (8. April 2022)
«Kiew trotzt der russischen Bedrohung» (11. April 2022)
«Kein rascher Sieg für Putin in Sicht» (30. April 2022)
«Das grösste Land der Welt hat zu wenig Soldaten» (6. Mai 2022)
«Ukraine überrascht mit Gegenoffensive» (9. Mai 2022)
«Keine neuen Ideen an der Kremlmauer» (10. Mai 2022)
«Die Ukrainer wehren sich erfolgreich» (20. Mai 2022)
«Auch im Donbass kommt Putin kaum voran» (20. Mai 2022)
«Charkiw kann für die Russen zum Problem werden» (4. Juni 2022)
«Russland zieht sich von der Schlangeninsel zurück» (1. Juli 2022)
«Putin hat verloren» (27. August 2022)
«Russland versucht, Zeit zu gewinnen» (29. August 2022)
«Ukrainer rücken im Norden vor – Putins Truppen wirken überrumpelt» (8. September 2022)
«Russlands Besatzungsregime taumelt» (10. September 2022)
«Wladimir Putin blendet die Realität einfach aus» (12. September 2022)
«Russlands Militär auf dem Rückzug» (12. September 2022)
«Russland hinterlässt ein gigantisches Waffenarsenal» (13. September 2022)
«Russland bleibt selbst- und fremdgefährdend» (19. September 2022)
«Der Krieg kommt nach Russland» (19. September 2022)
«Putins Kehrtwende kommt zu spät» (22. September 2022)
«Keine Angst vor Russland» (23. September 2022)
«Russen auf der Flucht vor Putin» (29. September 2022)
«Putins letzte Karte» (1. Oktober 2022)
«Putins Landraub trügt» (1. Oktober 2022)
«Russland verschlechtert seine Zukunftsaussichten» (3. Oktober 2022)
«Wenn Moskau schwächelt» (6. Oktober 2022)
«Der Angriff auf die Krim-Brücke zeigt die Schwäche der russischen Armee» (10. Oktober 2022)
«Schlag gegen Putins Prestigebrücke»  (10. Oktober 2022)
«Russlands Frontstadt unter Beschuss» (20. Oktober 2022)
«Die russischen Angreifer erleiden hohe Verluste» (9. November 2022)
«Russland zieht sich aus Cherson zurück» (10. November 2022)
«Feldzug gegen die Vernunft» (19. November 2022)
«Putin steht am Abgrund» (21. November 2022)
«Nur ein grosser Schlag kann Putin noch retten» (6. Dezember 2022)
«Russlands trügerische Selbstdarstellung» (13. Dezember 2022)
«Putin agiert hilflos» (29. Dezember 2022)
«Russland erlebt eine der blutigsten Nächte» (3. Januar 2023)
«Ein Desaster für Moskaus Armee» (4. Januar 2023)
«Wie die Ukraine die russischen Luftangriffe abwehrt» (6. Januar 2023)
«Die Kampftruppe Wagner erleidet Rückschläge fern der Front» (20. Februar 2023)

«Was für eine willkürliche und überhaupt nicht vollständige Auswahl!», werden nun einige einwenden. Zurecht, denn es gab auch andere Titel. Nur viel, viel weniger:

«Russische Offensive kaum zu stoppen» (4. März 2022)
«Die letzten Verteidiger von Mariupol kapitulieren» (18. Mai 2022)
«Der russische Zangenangriff wird enger und enger» (28. Mai 2022)
«Die Russen kontrollieren jetzt die ganze Region Luhansk» (4. Juli 2022)
«Russlands Feuerwalze rollt weiter» (25. Juli 2022)
«Der Nato gehen die Granaten aus» (21. Dezember 2022)
«Schwere Kriegsphase für Kiew» (19. Januar 2023)
«Die Ukraine gerät in die Defensive» (6. Februar 2023)
«Die Ukraine braucht mehr Munition» (15. Februar 2023)

Die Entwicklung des Kriegsgeschehens, ebenfalls dokumentiert von der NZZ, zeigt, dass es sich bei vielen Titeln im besten Fall um einen Journalismus der Hoffnung handelt: Russland besetzt die ostukrainischen Gebiete inklusive Krim weiterhin erfolgreich und stabil. Dass es anders sein möge, ist Wunschdenken von Journalisten, die sich eine andere Lage herbeisehnen. Darüber geschrieben hat immerhin einer in der NZZ – Feuilletonchef Benedict Neff:

«Wie Medien die Lage der Ukraine schönschreiben» (10. Juni 2022)
«Die Fieberkurve des Krieges» (9. Februar 2023)

Doch an der Haltung des NZZ-Chefredaktors Eric Gujer und des NZZ-Auslandchefs Peter Rásonyi wird sich so bald wohl nichts ändern. In ihren Augen steht die Ukraine ganz offenbar kurz vor dem Sieg. Während Russland weiterhin alles falsch macht, und die Niederlage nur aus Trotz nicht einräumt.

Packungsbeilage: ZACKBUM-Redaktor René Zeyer hat auch seine Spuren im «Schweizer Monat» hinterlassen.

Die NZZ und Köppel

Endlich mal ein Lob: was für ein Porträt.

ZACKBUM hatte schon fast aufgegeben, daran zu glauben, dass es im heutigen Elendsjournalismus noch möglich ist, ein beeindruckendes Porträt über eine Reizfigur, einen Konkurrenten zu schreiben.

Wenn da Konzernjournalist Philipp Loser ans Gerät geht, kommt nur Dreck heraus. Das gilt auch für Andreas Tobler oder gar die Scheuklappen-Schreiber der «Republik». Ob die sich an Lebrument oder an Projer vergreifen: es ist Elend und Dummschwätzerei, womit sie die flüchtenden Leser quälen.

Als müsste die NZZ nochmals unterstreichen, welche Abgründe inzwischen hier klaffen, hat sich Samuel Tanner an Roger Köppel versucht. Versuchung gelungen. Es ist keine unkritische Eloge geworden, aber auch kein wäffelnder Verriss. Es ist das geworden, was ein Porträt sein muss. Sein sollte: der Versuch, einem komplexen, in der Öffentlichkeit stehenden und durchaus konfliktiven Menschen auf 12’000 Anschlägen gerecht zu werden. «Porträt des Politikers, Publizisten, Pyrotechnikers», stabreimt die NZZ. Dafür ein erstes Bravo.

«Pyrotechniker», schon das kann man abschmecken, das hat Körper, Fülle und Abgang. Brandstifter steckt drin, aber eben veredelt, hier ist kein Zeusler am Werk, sondern ein eleganter Techniker des Feuers, des Feuerwerks.

Für ein gutes Porträt braucht es, daran erinnert die NZZ so nebenbei, eigentlich nur drei Dinge. Aufmerksame Beobachtung, Reflexion und informiert aus dem Vollen schöpfen können. Ach ja, und schreiben sollte man auch können, klug schreiben, verdichtet schreiben, analytisch und konzis. Also alles Ingredienzien, von denen die meisten übrigen Lohnabhängigen, die sich Journalisten schimpfen, nicht mal gehört haben. Oder wenn, dann haben sie’s schnell wieder vergessen.

Schon der Einstieg bei Tanner setzt die Tonhöhe: «Am Firmament von Roger Köppel gibt es einen Fixstern: die Faszination für Stärke.» Den ganzen Text hindurch bemüht sich Tanner, sein Objekt der Beobachtung zu charakterisieren: «Es ist eine Publizistik des absoluten Relativismus, die auch hinter einen Kriegsführer ein Aber setzt

Was angenehm auffällt: Der Autor des Porträts hält mit seiner Einschätzung des Porträtierten und Beobachteten nicht zurück. Aber die kleinen Details von Begegnungen, eine gemeinsame Autofahrt, die werden nicht wie bei Schmähporträts verwendet, um im Nachhinein fertigzumachen (so wie die Kleinschreiber der «Republik» aus einem zweistündigen Gespräch mit ihrem Feind, dem NZZaS-Chef Jonas Projer, nur ein Winzzitat und die Beobachtung, dass er eine teure Uhr trage, dem Leser präsentieren), diese Details werden hier verwendet, um Leben und Farbigkeit in eine Feinrasterung zu bringen:

«Die Frage, was ihn antreibe, findet Köppel uninteressant: «Immer diese Psychoanalyse», schreibt er in einer ersten SMS. Er ziehe Sachfragen vor, «die schweizerische Neutralität und deren Preisgabe», wie er es formuliert. «Dieser Objektträger-Journalismus, der mit zoologischer Verwunderung auf eine andere Meinung blickt, wie auf eine unbekannte Tierart, geht von falschen Prämissen aus.»»

Schon in einem solchen kleinen Absatz ist viel drin. Die Art der Unterhaltung auf allen Kanälen, Köppels verbaler Elan. Und vor allem: der Autor lässt das so stehen, tritt nicht mit der Überlegenheit dessen nach, der schliesslich den Porträtierten nachträglich fertigmachen kann, weil er das letzte Wort hat.

Wunderbar ist auch diese Einschätzung: «Roger Köppel ist immer auf der Suche nach der Hitze des Gefechts. Und wenn er sie nicht findet, entzündet er sich selbst.» Gefolgt von der Beschreibung, für die sich der NZZ-Autor ziemlich früh aus dem Bett quälen musste: «Mitten in der Nacht kommt er in die Redaktionsvilla der «Weltwoche» in Zollikon, und sofort findet er mit dem Kamera- auch den Zündknopf für seine morgendliche «Daily»-Sendung: «Die NZZ ist auf dem Nato-Trip!», sagt er in der Presseschau, um schnell nachzulegen. «Sie muss aufpassen, dass sie nicht zur Nahkampfwaffe der Nato wird! Sie überholt das Pentagon! Die Falken von der Falkenstrasse! Nomen est omen!» Er ist ein rhetorischer Pyrotechniker

Ein gutes Porträt kann man nur schreiben, wenn man einige Zeit Material gesammelt hat, den Porträtierten bei mehr als einer Gelegenheit beobachtete. Erst aus der Überfülle kann man verdichten, das macht auch jede gute Reportage aus: «Wenn er bei der SVP auftritt, wirkt es, als suche ein Hochgeschwindigkeitsmensch nach Haftung.» Besser kann man wohl das Verhältnis SVP-Nationalrat Köppel und SVP nicht beschreiben.

Bei einem solchen Niveau wartet man etwas bang auf die Schlusspointe. Kommt hier doch noch die Hinrichtung aus dem Hinterhalt? Jein. Das Resümee ist nicht ausgesprochen freundlich, aber nach dieser facettenreichen und durchdachten Darstellung davor erlaubt:

«Aber der Nonkonformist reagiert immer darauf, was die Konformen sagen – und wird zum Knecht des Mainstreams. So gesehen ist Roger Köppel, der Unruhegeist, ein Gefangener.»

Es gibt Porträts, aus denen selbst der Porträtierte noch etwas lernen kann. Das sind dann Sternstunden des Journalismus. Das hier ist eine davon, die in dunkler Nacht besonders hell leuchtet.

Traumtänzerei

Was wäre, wenn der Journalismus funktionieren würde?

«Die Frage, wieweit Canonicas Opferhaltung glaubwürdig ist, soll nun auch im «Magazin» publizistisch «angemessen» thematisiert werden. Am Mittwoch waren zumindest entsprechende Aufforderungen an die Redaktion zu hören.»

Das schreibt Lucien Scherrer in der NZZ. Er will über den Verlauf einer Aussprache bei Tamedia informiert sein, die letzten Mittwoch stattgefunden haben soll. Bei ihr seien der Tamedia-Boss Pietro Supino und der Oberchefredaktor Arthur Rutishauser aufgetreten. Supino soll von einer «schmutzigen Geschichte» gesprochen haben, auf die «man jedoch korrekt reagiert habe», will die NZZ wissen.

Zunächst: korrekt reagiert? Wenn Supino das wirklich meint, muss man sich Sorgen um die Tx Group machen. Denn wenn der Chef den Kontakt zur Realität verliert, ist Feuer im Dach. Tamedia eierte sich kommunikativ (als Medienhaus!) geschickt in einen GAU hinein.

Zunächst der edle Verweis auf «Persönlichkeitsschutz», der leider weitere Informationen verbiete. Ausser, dass man die Vorwürfe von Roshani sehr ernst genommen habe. Bereits einen Tag später war es mit dem Schutz vorbei; ohne bei den Betroffenen ihr Einverständnis einzuholen, wurde fröhlich eine Zusammenfassung einer externen Untersuchung veröffentlicht. Zuerst an die Angestellten verteilt, im sicheren Wissen, dass sie so in einer Minute überall gestreut sei.

In dieser Zusammenfassung bekommen sowohl Canonica wie Roshani ihr Fett ab. Der Bericht forderte im Fall Canonicas nur Sensibilisierung, Coaching und Führungskurse. Stattdessen suchte er Mitte letzten Jahres keine neue Herausforderung, wie bislang das Wording war, sondern wurde gefeuert. Ebenso wie Roshani dann im September.

Wie auch die berühmten, nicht namentlich genannt sein wollenden Quellen ZACKBUM versichern, herrscht zurzeit bei Tamedia eine Bombenstimmung. Denn nicht nur Canonica, eigentlich alle Redaktoren kriegen zu hören, bei welchem Schweinebackenverlag sie denn arbeiten würden.

Vielleicht wäre der Vorwurf angebrachter, bei welchem Verlag von Inkompetenten sie ihre üppigen Saläre einstrichen. Denn in all diesen Fällen von Sexismus-Vorwürfen sind die Journalisten in keiner Weise ihrer angeblichen Kernkompetenz nachgegangen: recherchieren, untersuchen, Beleg sammeln, Zeugen finden, Artikel machen.

78 erregte Tamedia-Journalistinnen hatten einen Protestbrief unterzeichnet, der mehr als 60 verbale Übergriffe aufzählte. Fast zwei Jahre danach ist es in keinem einzigen Fall bekannt, ob er sich wirklich so zugetragen hatte – oder nicht. Das ist ein klägliches Versagen.

In der neusten Attacke behauptet die Autorin Anuschka Roshani, dass verbale Ausfälligkeiten ihr gegenüber nicht nur unter vier Augen oder Ohren stattfanden, sondern coram publico. Also in Anwesenheit von Zeugen. Canonica hingegen behauptet in einem Verteidigungsschreiben, dass das alles gelogen sei. Zudem habe die gesamte Redaktion einen Brief verfasst, in dem sie die Anschuldigungen Roshanis als «absurd» zurückgewiesen hätten und ihm den Rücken gestärkt. Dieser Brief sei an die Geschäftsleitung und den Verwaltungsrat gerichtet gewesen.

Es liegen also genügend recherchierbare Behauptungen vor. Eine klare Ja/Nein-Sache ist auch, dass die Verlagsleitung behauptet, Roshani sei der Inhalt des Untersuchungsberichts über ihre Anschuldigungen zur Kenntnis gebracht worden. Roshani bestreitet das.

Gibt es diesen Brief, gab es Ausfälligkeiten Canonicas vor Zeugen, hat Roshani den Bericht oder nicht, sind die von ihr belegten Beispiele aus dem Zusammenhang gerissen, wie Canonica behauptet, Ausdruck einer freundschaftlichen Scherzebene, über die beide gelacht hätten – oder sind es widerliche Ausrutscher?

Hat Canonica anzüglich mit einer Frauenbrust aus Plastik gespielt oder war es ein Brustimplantat, das er bei einer Reportage erhielt? Zumindest ein aus anonymer Quelle stammender Vorwurf ist weggeräumt: Big Boss Supino zwang CH Media zu einer «Korrektur und Entschuldigung». Der Wanner-Clan hatte dem Vertreter des Coninx-Clans schriftlich unterstellt, er habe Canonica nahegestanden und seine schützende Hand über ihn gehalten.

Ein weiteres Thema, die «anonymen Quellen». Der «Blick» arbeitet damit, CH Media arbeitet damit, die NZZ auch, sogar die «Zeit» will von gleich fünf ehemaligen Mitarbeitern dies und das bestätigt bekommen haben.

Auch das wäre ein Thema für Recherchen. Gibt es diese anonymen Quellen? Oder sind sie erfunden? Wenn es Ohren- und Augenzeugen gegeben haben soll, was sagen die? Wann wird dieser Solidaritätsbrief veröffentlicht, wenn es ihn gibt? Was kann man über die Arbeitstätigkeit von Roshani sagen? Stimmt es, dass sie eine Blindbewerbung auf die damals noch von Canonica besetzte Stelle des Chefredaktors «Magazin» bei der Geschäftsleitung deponiert haben soll?

Wie man sieht: es gäbe jede Menge Pisten, Hinweise, Andeutungen, Behauptungen, denen man nachgehen könnte. Dass feministische Schreihälse wie Franziska Schutzbach diese Anschuldigungen zum Anlass nehmen, sich mal wieder über die unerträgliche Machokultur im Journalismus zu beklagen, obwohl sie via ihren Partner und «Magazin»-Redaktor eigentlich aus erster Hand schon lange wissen sollte, wie es dort zuging – oder eben nicht –, geschenkt, das ist billiger Klamauk.

Aber wieso bildet die «Magazin»-Redaktion nicht eine Task Force, die diesen konkreten Fall aufarbeitet? Wäre das nicht eine Sache für das sogenannte Investigativ Desk, mal eine Abwechslung zum Ausschlachten von gestohlenen Geschäftsunterlagen?

Oder kurz gefragt: Wieso gehen die Hunderte von Journalisten im Hause Tamedia nicht einfach mal ihrem Beruf nach? Wieso lassen es alle anderen beim zitieren von angeblichen Quellen bewenden, die offenbar auch – anonym macht mutig – Stuss erzählen?

War es wirklich «noch viel schlimmer», sind Roshanis Anschuldigungen nur «die Spitze des Eisbergs», herrschte «Psycho-Terror»? Oder ist Canonica ein weiteres Opfer einer rachsüchtigen Untergebenen?

Das sollte doch rauszufinden sein. Aber eben, welcher Journalist arbeitet heute eigentlich noch als Journalist?