Das muss doch mal gesagt werden

Der öffentliche Diskurs ist kaputt. Nur: war er jemals ganz?

Der Worte sind genug gewechselt. Das ist von Goethe und gar nicht schlecht. Aber wir wollen keinesfalls Taten sehen, sondern uns fragen, ob eigentlich öffentliche Meinungsbildung, der Austausch von Position via Massenmedien, Kommentare, Positionen, Polemiken, Anklagen, Forderungen, Kritiken überhaupt noch Sinn macht (oder hat).

Wenn wir uns über die sattsam bekannten Narrative und Framings wie Gesinnungsblase, Social-Media-Umfeld, Misstrauen, Fake News, Rechtspopulisten versus Linksautonome, Splitter und Balken, moralinsauere Inquisitoren und Verteidiger der einzig richtig guten Wahrheit  usw. hinauf ins Abstrakte heben: hat das Kommunikative nicht ganz allgemein abgedankt?

Ziehen wir kurz einen historischen Bogen. Lange Jahrhunderte durfte vieles nicht gesagt, eigentlich nicht einmal gedacht werden. Die Kirche legte das Leichentuch der frommen Denkungsart über jede Form des Versuchs, die Welt nicht als Gottes Wille, sondern als beeinflussbare Wirklichkeit zu verstehen.

Hand in Hand mit dem Absolutismus, der jede Kritik am Herrscher als Gotteslästerung streng bestrafte. Überhaupt jede Kritik an der gottgewollten Richtigkeit der herrschenden Verhältnisse. All das ist, vielleicht mit Ausnahme Liechtensteins, wo der Fürst noch ausserhalb des Gesetzes steht und Herabwürdigung seiner Durchlaucht schwer bestraft wird, vorbei.

Zumindest in Zentraleuropa, den USA, Kanada, Australien und ein wenig Japan. Und auf ein paar weiteren, meist englischsprachigen Inseln von Neuseeland abwärts. Mehr oder weniger.

Unbestreitbar, wir wollen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, haben Massenmedien einen gewissen korrigierenden und beaufsichtigenden Einfluss. Die Aufdeckung von kleineren oder grösseren Skandalen kann ab und an tatsächlich etwas bewirken. Das Ende einer Karriere, eines Zustands, eines Skandals. Aber auch diese Fälle werden eher selten, nicht häufiger. Die aufdeckende Kraft der Medien hat in den aufgepumpten Fällen von Dokumentendiebstahl, genannt Papers oder Leaks, auch seine denaturierte und untaugliche Form gefunden.

Hier desavouieren sich die Medien selbst, indem sie Hehlerware dazu verwenden, selbstherrlich Ankläger, Richter und Vollstrecker des Urteils zu werden. Das ist nicht die Aufgabe der Medien; ginge es ihnen nicht um billige Effekthascherei, würden sie die ihnen anonym übereigneten Daten den Strafverfolgungsbehörden aushändigen, Was sie aber unterlassen.

Am schlimmsten steht es  um die Funktion der Medien, den öffentlichen Diskurs über gesellschaftlich relevante Themen zu fördern. Die Bewältigung der Pandemie, die Aufarbeitung der gravierenden Fehler, die von Regierungen begangen wurden, die üble Rolle der Pharma-Multis, die sich haftungsfrei stellten und krumm verdienten, mit offensichtlich ihre Versprechen nicht einhaltenden Impfmitteln? I wo.

Der russische Überfall auf die Ukraine, Lösungsvorschläge, Analysen, die den Namen verdienen, statt Kriegsgegurgel Versuche der realistischen Einschätzung der Lage? Nix.

Die demokratische Misere der USA, wo ein seniler Greis gegen einen Amok-Greis antritt? Käumlich.

Gelegentlich mal Blicke in all die vielen Elendslöcher der Welt, wo noch grausamer gestorben wird als im Gaza-Streifen? Wozu auch.

Aber wozu in die Ferne schweifen. Wie soll es mit der Schweiz weitergehen? Staatsverschuldung durch Mehrausgaben, UBS als Monsterbank, Verhältnis zur EU, Neutralität, Flüchtlinge, Schulsystem, Übervölkerung, überforderte Systeme, Kriminalität, direkte Demokratie, Aufrüstung, Militärpolitik, mediokrer Bundesrat ist gut, inkompetenter weniger, das Elend der Literatur und Kunst, eine staatspolitische Debatte, das weitere Überleben eines Kleinstaats, Primat der Volksrechte, direkte Demokratie, Genderdebatte – die Themen liegen auf der Hand und sind ohne Zahl.

Über jedes einzelne liesse sich eine interessante Debatte führen, ein Diskurs auf verschiedenen Flughöhen, vom einfach Volkstümlichen bis zum intellektuell Anspruchsvollen. Und? Nichts und.

Meistens: Schiessscharte auf, rausfeuern, Schiessscharte zu. Einschlag der feindlichen Kugeln abwarten, dann Schiessscharte wieder auf.

Positionen und Meinungen in Massenmedien waren schon immer ideologiegetrieben, getränkt von Gesinnung. Aber der langjährige Beobachter meint doch drei fatale neuere Entwicklungen feststellen zu müssen:

  1. Das allgemeine intellektuelle Niveau ist aufs Erbärmliche gesunken. Symbolisch dafür steht ein Sprachvergewaltiger wie Lukas Bärfuss, der sich ja nicht nur als Literat, sondern auch als Gesellschaftskritiker missversteht. Wer dem applaudiert, und fast das ganze Feuilleton tut’s, der disqualifiziert sich selbst als ernsthafter Diskursteilnehmer.
  2. Die Bereitschaft, die Mühewaltung, nicht einfach nach dem Prinzip «je unsicherer, desto markiger» loszupoltern, sondern die Leser auf eine Reise zu mehr Erkenntnis mitzunehmen, existiert höchstens noch in Spurenelementen.
  3. Die kaleidoskopartige Farbigkeit einer lebendigen Medienszene, die genügend Alternativen bot, um auch wiederborstige Meinungen unterbringen zu können, ist ergraut, ist abgelöst worden durch zwei grosse Einheitsbreiküchen, einen kleinen Leuchtturm nebendran und ein in den Untergang geleitetes und gelenktes ehemaliges Boulevardblatt.

Auch das Versprechen des Internets, dass es hier eine weltumspannende Plattform für unendlich viele Diskurse, Anregungen und Meinungsaustausch gibt, hat sich nicht erfüllt.

Aber vielleicht bleibt es letztlich so, wie es sein muss. Der öffentliche Diskurs seit der Aufklärung hat seine Funktion erfüllt und ist damit obsolet geworden. Newsproduktion als profitables Geschäftsmodell hat ausgedient, bzw. unfähigen Medienmanagern fällt nichts dazu ein – ausser skelettieren, sparen, weniger Leistung für mehr Geld anzupreisen.

Also bleibt spannender Diskurs, Austausch von faszinierenden Ideen und Welterklärungsmodellen und Erkenntnissen wohl das, was es immer war. Ein Beschäftigung der «happy few».

Oder anders formuliert: wer – Ausnahmen bestätigen die Regel – bei Tamedia oder CH Media oder in der Südostschweiz oder auf «watson» einen Kommentar schreibt, eine Meinungskolumne absondert, disqualifiziert sich bereits durch diese Tat. Erschwerend kommt hinzu, dass der Inhalt – wenige Ausnahmen bestätigen die Regel – intellektuell und vom Kenntnishorizont, der Bildung, dem historischen Wissen her gesehen dermassen erbärmlich ist, dass man sich höchstens darüber aufregen könnte, wenn es nicht so lächerlich wäre.

Die Bedeutung der Massenmedien ist umgekehrt proportional zur Wichtigkeit, die sich die dort Tätigen anmassen, zubilligen, vormachen. Wer schreibt «Biden sollte, Xi müsste, Putin wäre gut beraten, Scholz hat einzusehen, Macron macht einen Fehler», wer selbst den Schweizer Bundeszwergen ungefragt gute Rastschläge gibt, der sollte eigentlich als Stand-up-Comedian auftreten. Nur hätte er da eine kurze Karriere vor sich, weil das Publikum schnarchend oder schimpfend reagieren würde – und sich schnell einmal weigerte, für solchen Sprachmüll auch noch Eintritt zu zahlen.

5 Kommentare
  1. C. Wallens
    C. Wallens sagte:

    Den meisten Medien geht es nicht darum, den Leser zu informieren, sondern ihm eine bestimmte Meinung einzuträufeln. Das liest sich zwar schei*se und verkauft sich nicht sonderlich gut, aber es hilft den Besitzern und deren Interessen langfristig. Geld spielt auf dieser Ebene eh keine Rolle.

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    • Karl Warth
      Karl Warth sagte:

      Der Spruch geht anders und nein. Medien haben in ihrem selbst zurechtgelegten Selbstverständnis als „vierte Gewalt“(steht nirgends und sind sie nicht) überhaupt keine Position zu beziehen sondern berichten und unterrichten. Sie haben nichts „einzuordnen“ und nichts zu „kommentieren“. Das können die Geltungssüchtigen heute auf social media tun, aber sicher nicht hinter paywalls. Wenn jemand irgendwas verdient, dann die Medienindustrie auf ihre stümpferhafte Eindimensionalität reduziert zu werden, marginalisiert, ausgetrocknet und entsorgt zu werden. Das Publikum hätte sich das längstens verdient und die Welt wäre eine bessere…

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  2. Peter Bitterli
    Peter Bitterli sagte:

    Erbärmliches intellektuelles Niveau, Spurenelemente von Erkenntnisgewinn, Einheitsbrei: was halt in Blasen so blubbert. An den Leserzuschriften an den Zackbum lässt sich ja auch prima ablesen, wes Geistes Kind die einschlägigen Cheerleaders so sind. 95% sind Nachtretereien und Nachbetereien und zwar mit dem Vokabular und in den Springerstiefeln des Vorbeters und Vortreters. Im Grunde liefert nur der Abt gelegentlich etwas Zusätzliches an, das dann allerdings meistens gerade noch durch die Meinungsfreiheit gedeckt, aber kaum mit der Vernunft nachvollziehbar ist. Auf den Mann spielen alle, das ist Teil des Selbstverständnisses der Ingroup.

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