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Heiss! Endlich!

Bislang war es nur bei SRF Meteo richtig heiss. Nun aber auch in der Schweiz.

Es war zum Mäusemelken. Eines der Lieblingsthemen der Weltverbesserer fand nur im südlichen Ausland statt. Die Hitze, der Klimawandel, die Erderwärmung, das Ende der Welt.

Die Schweiz dagegen war mal wieder die Insel der Seligen. Regen, Kälte, ein richtiges Scheisswetter. Da machte alles Unken keinen richtigen Spass mehr. Nachdem der Redaktor seinen Dienst an der Klimarettung vollbracht hatte, spannte er den Regenschirm auf und verzog sich ins Innere seiner Stammkneipe, um mit dem einen oder anderen Bierchen seien Frust runterzuspülen.

Selbst die Klimakleber kapitulierten vor dem Huddelwetter und stellten ihre Aktionen teilweise ein. Oder vielleicht waren sie auch, dem Beispiel ihres Sprechers folgend, in fernen Landen in den Ferien. Oder auf Kreuzfahrt.

Aber die Durststrecke ist zu Ende, Tamedia macht gleich ein Fass, bzw. eine Rubrik auf:

Es ist eine vergängliche Rubrik, denn in zehn Tagen ist der August schon Vergangenheit. Aber davon will man sich doch nicht die Panik verderben lassen.

Allerdings scheinen hier ein paar subversive Klimaleugner am Gerät zu sein. «Wie Sie trotz Affenhitze gut schlafen können», ein Ratgeber. Statt anklagend und aufrüttelnd dazu aufzufordern, schwitzend und schlaflos zu protestieren und zu demonstrieren. Und dann das: «Vom Jammeri zur Instant-Südländerin – das sind die Schweizer Hitzetypen». Ausgerechnet Philipp Zweifel und die offenbar lebend von ihrer klimaschädlichen Kreuzfahrt zurückgekehrte Aleksandra Hiltmann versuchen sich an einer lustigen Typologie.

Wobei man sich allerdings fragt, ob Hiltmann geklont ist oder in Wirklichkeit ein Chatbot. Denn hier ist sie «Redaktorin für das Ressort Social Media». Gestern war sie noch «Gesellschaftsredaktorin» des «Blick». Und morgen? Vielleicht tritt sie noch einen Drittjob bei der NZZ an, wer weiss.

Nicht von Hiltmann ist dieser Warnartikel im «Blick», ebenfalls mit hohem Nutzwert. Denn wo gekreischt werden kann, ist das Organ immer dabei:

Doppelt gemoppelt hält besser, sagt sich das Lieblingsblatt für anspruchsvoller Leser «watson»:

Richtig abstrakt wissenschaftlich wird es hingegen bei «20 Minuten», man macht sich Sorgen, ob der Blattmacher unter Hitzschlag leidet:

Achtung, der schwarze Pfeil deutet irgendwie auf die Nullgradgrenze. Oder so.

Natürlich darf auch surf.ch, Pardon, srf.ch,  im Umzug nicht fehlen:

Hin und hergerissen hingegen ist die NZZ. Auch sie ist der Hitze erlegen und macht die Rubrik «Alles zur Hitze» auf. Dort schwankt sie zwischen ordnungspolitischen Zwischenrufen und Sauglattismus:

Und CH Media? Auch die heizen dem Leser etwas ein, allerdings sehr lokal:

Aber das alles sind doch eher untaugliche Versuche, das Thema Rekordhitze wachzuküssen. Was hier fehlt, völlig klar, ist ein Eingreifen von Tamedia.

ZACKBUM hilft schon mal mit dem Wording zum Anpreisen (das ist viel billiger als Wirz): «Informationsvorsprung für Leader … neue und exklusive Artikel … relevante Infos … kompetente, relevante, hochwertige journalistische Inhalte … viel Nutzwert …»

Richtig geraten, was hier fehlt ist der «WetterMonitor» für läppische 200 Franken im Monat. Muss man denn alle guten Ideen selber haben?

Hi, Hi, Hitler

Immer für eine Doublette gut.

Vor hundert Jahren, also 1923, reiste Adolf Hitler durch die Schweiz; in erster Linie, um Geld einzusammeln.Das war im August, und wenn Journalisten auf etwas wie Pavlowsche Hunde reagieren, dann sind es runde Jahrestage. Und 100 ist sehr rund.

Ausserdem ist bekanntlich Sommerloch. Also hat der «Tages-Anzeiger» eine historische Idee:

Das Werk von Andreas Tobler, Sandro Benini und Sebastian Broschinski (das ist ein «Interactive Storytelling Developer») ist 12’000 Anschläge lang, bebildert und erzählt den Kurzaufenthalt von Hitler in der Schweiz.

Zufälle gibt’s. Auch die NZZ klatscht die üppig bebilderte Story von Hitlers Kurzaufenthalt in der Schweiz zuoberst auf die Homepage. Sie braucht dafür nur einen Autor; Marc Tribelhorn.

Aber im Gegensatz zu den Hobbyhistorikern bei Tamedia führt Tribelhorn die Geschichte über Hitlers missglückten Putschversuch in München von 1923 fort. Denn damals titelten deutsche Zeitungen: «Der Hitlerputsch von der Schweiz bezahlt». Zumindest gab es logischerweise eine zeitliche Koinzidenz.

Was die kurzatmigen Historiker von Tamedia auch tunlichst zu erwähnen vergessen, reibt dem Blatt die NZZ genüsslich unter die Nase:

«Erinnert sei auch an den «Tages-Anzeiger», auf dessen Titelseite Hitler im Dezember 1931 einen Meinungsartikel publizieren konnte: «Was wollen wir Nationalsozialisten?». Der Putsch, der Faschismus, der Antisemitismus – grosszügig ausgeblendet.»

Das wird dort auch heute noch grosszügig ausgeblendet. Auf 33’000 Anschlägen geht’s dann in der NZZ weiter zur Reise des ehemaligen freisinnigen Bundesrats Edmund Schulthess nach Berlin, wo er nach einer Audienz beim Führer sehr angetan von ihm ist: «Ich glaube, sagen zu dürfen, dass Hitler aufrichtig den Frieden will und alles vermeiden wird, was ihn stören könnte

Schliesslich der amateurhafte Attentatsversuch von Maurice Bavaud, der von der Schweizer Botschaft in Berlin völlig im Stich gelassen und im Mai 1941 geköpft wurde. Dass Niklaus Meienberg als Erster an dessen Schicksal erinnerte, das wiederum erwähnt die NZZ nicht.

Dann schliesslich nochmal die Angriffspläne Hitlers auf die Schweiz, der vom Hauptmann Otto Wilhelm von Menges ausgearbeitet – aber niemals umgesetzt wurden. Schliesslich geistern noch nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder Gerüchte durch die Schweiz, dass der Führer gar nicht umgekommen, sondern sich hierher geflüchtet habe. In der Akte «Adolf»Hitler», die das Kriminalkommisariat III in Zürich angelegt habe, wurde ganz am Schluss ein Kreuz neben «Hitler, Adolf» gesetzt. Im Mai 1963.

So endet die NZZ. Kurzatmiger verweilt der «Tages-Anzeiger» am Schluss auf den unterschiedlichen Angaben, wie viel Geld Hitler seine Betteltour in der Schweiz eingebracht habe. Von 123’000 Franken sie damals die Rede gewesen, andere gehen von lediglich 11’000 Franken aus; grösstenteils von Deutschen in der Schweiz und ein paar Schweizer Antisemiten.

Es ist belustigend, dass die beiden Tageszeitungen am gleichen Tag die gleiche Idee publizieren. Beide Autoren habe ja einschlägige Erfahrungen, sie produzierten schon die Doublette der alternativen Geschichtsschreibung zum 1. August. Weniger lustig ist’s dann für den «Tages-Anzeiger», der im Nahvergleich mal wieder ganz klar auf dem letzten Platz landet. Abgeschlagen und zweifellos in einer tieferen Liga spielend.

Ganz schön geheuchelt

Runzeln die USA die Stirn, zucken Schweizer Medien zusammen.

Das Framing ist gesetzt. Allenthalben kann man in den Gazetten – von der NZZ über CH Media, Tamedia bis «Blick» – lesen, dass die USA (und auch die EU) ziemlich angepisst seien, dass die Schweiz angeblich die Sanktionen nicht richtig umsetze. Nicht energisch genug nach Oligarchengeldern suche.

Meckerbrief, geschrieben von den USA, unterzeichnet von Frankreich, Italien, Grossbritannien und Japan. Öffentliche Schimpftirade des US-Botschafters in der Schweiz, die eigentlich seine sofortige Ausweisung wegen Einmischung in innere Angelegenheiten hätte nach sich ziehen müssen. Dann diese «Helsinki-Kommission», ein selbsternannter und selbstherrlicher Club von Hinterwäldler-Parlamentarieren, die sicher nicht Sweden und Switzerland voneinander unterscheiden können.

Also warnen und mahnen die Medien. Dürfe man ja nicht auf die leichte Schulter nehmen, das sei auch schon bei den nachrichtenlosen Vermögen und dem Bankgeheimnis in die Hose gegangen. Und überhaupt, wieso sind eigentlich erst 7,5 Milliarden von vermuteten 200 Milliarden «Russengeldern» in der Schweiz beschlagnahmt? Da geht doch noch was.

Dass die Schweiz unter Ritzung der Neutralität brav alle EU-Sanktionen ungeprüft übernimmt (und viel konsequenter umsetzt als mancher EU-Staat), was soll’s. Dass die Schweiz ein Rechtsstaat ist und sich vor allem bei Übergriffen aufs Eigentum ganz vorsichtig bewegen muss, na und.

Was all die Schaumschläger in den Medien, die mal wieder der US-Propaganda auf den Leim kriechen, völlig übersehen: Wirtschaftspolitik ist Machtpolitik. Machtpolitik ist die Verteidigung der eigenen Interessen.

Vom sogenannten Steuerstreit, geführt im Namen des Kampfes gegen reiche, steuerhinterziehende Schweinebacken, hat nur ein Staat richtig profitiert: die USA. Sie sind das Steuerhinterzieherparadies der Welt, sie betreiben die grössten Waschmaschinen für schmutziges Drogengeld, für kriminelle Profite aller Art. Sie haben der Welt ihre Datenkrake FATCA aufgezwungen, mit dem «Big Stick» Dollar, sie selbst pfeifen auf den Automatischen Informationsaustausch der übrigen Staaten.

Und sie haben Milliardenbussen von den ungeschickt agierenden Schweizer Banken kassiert, die vom Bundesrat im Stich gelassen wurden, der die Rechtssouveränität der Schweiz nicht gegen diesen imperialistischen Angriff verteidigte. Am Schluss galten US-Gesetze in der Schweiz, sitzen bis zum unseligen Ende eine Horde von US-Anwälten in der Credit Suisse (auf deren Kosten, selbstverständlich), die die Einhaltung von US-Gesetzen in der Schweiz kontrollieren.

Und nun die Sanktionen. Wie dumm muss man sein, um die wirtschaftsimperialistischen Absichten der USA nicht zu durchschauen? Dabei ist es noch viel schlimmer. Wie die «Handelszeitung» in einem wohldokumentierten Artikel aufzeigt, halten sich die USA und die EU nicht mal an die eigenen Sanktionen – wenn es die Eigeninteressen gebieten.

Sechs Beispiele zählt Stefan Barmettler auf, eines schlimmer als das andere. «Wie die USA und die EU Sanktionen untergraben» ist frei im Internet einsehbar – und sollte Pflichtlektüre für all die Sanktions-Besoffenen werden, die die Schweiz unablässig zu strengeren Übergriffen auf fremdes Eigentum auffordern.

Aber: Tesla braucht Aluminium? Na, das verschwindet der russische Hersteller Rusal doch von der Sanktionsliste. Auf die er sowieso aus dubiosen Gründen (das OFAC sanktionierte wegen «malign activities», «bösartigem Verhalten») gekommen war.

General Electric will weiter in Russland Extraprofite einfahren? Ausnahmebewilligung vom OFAC. Grossbritannien sanktioniert reiche Russen unerbittlich, ausser die, die eine «Sonderlizenz» erhalten. Belgien will weiter mit russischen Rohdiamanten handeln, Italien lässt einen Oligarchensohn springen, Griechenland schützt seine Tankerflotte, die flott weiter russisches Erdöl transportiert.

Sicher, wieso wir, die doch auch, das ist nur ein beschränkt gültiges Argument. Was aber all die Sanktions-Winsler kapieren sollten: hier geht es nicht um die Verteidigung westlicher Werte, der Demokratie und abendländischer Zivilisation gegen wilde Horden aus dem Osten.

Hier geht es um Weltpolitik, Machtpolitik, Militärpolitik, Wirtschaftspolitik, Eigeninteressen. Und scheiss auf Moral. Selber schuld, wer dran glaubt. Selber Trottel, wer billigster Propaganda auf den Leim kriecht.

Wumms: Marc Brupbacher

Der Mann kann nicht mal logisch Daten interpretieren.

Brupbacher ist «Co-Leiter des Ressorts Daten & Interaktiv bei Tamedia». Während der Pandemie (mit Restausläufern bis heute) verwandelte er sich in eine hysterische Alarm-Kreische und beschimpfte unflätig alle (der Bundesrat sei «völlig übergeschnappt»), die nicht seiner Meinung waren.

Aber das war vielleicht Ausdruck eines etwas unausgeglichenen Psychohaushalts. Befremdlich bei einem Mann mit seiner Position, aber wenn’s der Angsttriebabfuhr gedient hat …

Nun aber tut er was, was wirklich ernsthafte und seriöse Zweifel an seiner Eignung für seinen Posten erweckt:

Der Co-Ressortleiter Daten des einflussreichsten Medienkonzerns der Schweiz hat keine Ahnung, wie man Daten richtig interpretiert. Das ist erschreckender als die neuste Mutation des Corona-Virus.

Er vergleicht den Abopreis der NZZ von knapp 1000 Franken (dabei hat er noch «NZZ Premium» vergessen, das wären dann 1896 Franken im Jahr) mit der Forderung, dass für die SRG 200 Franken pro Jahr genug seien.

Dabei sei das SRG-Angebot schon mal «mehrsprachig». Dass es die NZZ auch auf Englisch gibt, ist dem Datenhirsch entgangen.

Aber das sind alles Peanuts. Er will ernsthaft einen freiwilligen Abobetrag, den nur diejenigen zahlen, die die NZZ in allen Erscheinungsformen lesen wollen, mit einer Zwangsgebührenabgabe vergleichen, die jeder Schweizer Haushalt abzuliefern hat – unabhängig davon, ob er auch nur ein einziges Angebot der SRG konsumiert oder nicht. Dank Internet-TV kann sogar niemand mehr seine Abstinenz durch Plombieren von Kabel-TV oder so beweisen.

Das ist nun ein so gravierender Anfängerfehler bei der Interpretation von banalen Daten, dass eigentlich ein «Co-Leiter Daten» wegen erwiesener Inkompetenz fristlos entlassen werden müsste. Denn wer Zwangsgebühren nicht von einer freiwilligen Zahlung unterscheiden kann, müsste nochmal die Schulbank drücken. Lange. Sehr lange.

Oder aber, Jacqueline Badran orientiert sich um und empfiehlt nicht der Autorin des NZZ-Artikels («beim Psychiater ihren Komplex behandeln lassen»), über den sich Brupbacher so unqualifiziert erregt, sondern ihm selbst Hilfe beim Seelenklempner. Allerdings ist die SP-Saftwurzel inzwischen zu Kreuze gekrochen: «Offenbar habe ich gestern einen sehr dummen Tweet gemacht. Mir war keineswegs bewusst, dass ich andere Menschen damit beleidigen könnte. Dafür entschuldige ich mich in aller Form. Ich habe gelernt, dass ich in der Beziehung vollkommen unsensibel war. Das tut mir leid

Aber vielleicht bräuchte es wirklich ein solches Therapieangebot beim Vollpfosten Brupbacher (nein, tut ZACKBUM nicht leid). Erschwerend kommt hinzu: wir mögen Badran. Wirklich wahr. Die ist wenigstens mit Leib und Seele bei der Sache, dampft wie eine Lokomotive los und entgleist halt gelegentlich in der Kurve. Aber immer noch viel besser als die glattgeföhnten, sandgestrahlten Nonsens-Politiker, die sofort «aua» schreien, wenn sie jemand anrempelt.

Aber bei Brupbacher geht das Problem leider tiefer. Der Mann ist inkompetent. Fachlich unqualifiziert. Hat er öffentlich unter Beweis gestellt. Mal schauen, ob sich hier das unbedingte Streben nach Qualität bemerkbar macht, dem sich Oberchefredaktorin Raphaela Birrer verschrieben haben will.

Also: Birrer, übernehmen Sie. Badran: kümmern Sie sich drum!

Ach, NZZ

Das Weltblatt spielt gross auf und schwächelt.

«Nach dem Alter zu fragen, ist diskriminierend.» Dass auch die NZZ in einem Interview mit einer Psychologin so einen Schwachsinn einfach stehenlässt, ist kein Ruhmesblatt. Dass es am 10. August die «zehn wichtigsten Bücher im Juli» anpreist, könnte auch im Tagi so stehen.

Ein weiterer Tiefpunkt ist die «Videoanalyse» zum Thema «Wie der Kreml Russland belügt – und warum Russen für den Krieg sind». Man habe 46 Reden «analysiert», erklärt eine etwas hektische Moderatorin. Dann betet sie so ziemlich alle Narrative herunter, also wolle sie beweisen, dass die Kreml-Propaganda von den einseitigen und unfairen westlichen Medien der Wahrheit entspricht.

«7 Millionen ukrainische Soldaten haben im Zweiten Weltkrieg» in der Roten Armee gegen Nazi-Deutschland gekämpft, weiss sie zum Beispiel. Aber wo seien die Nazis denn heute? Da spielt sie einen dummen Spruch eines russischen Propagandisten ein, dass man das Wiederaufkommen der Nazis in den Genen, im Blut spüre.

Dass in der Westukraine der Kriegsverbrecher und Kollaborateur und Nazi-Unterstützer Stepan Bandera in hohen Ehren gehalten wird, es blumenbekränzte Denkmäler von ihm gibt und Strassen nach ihm benannt sind, das vergisst sie zu erwähnen. Stattdessen hämt sie, dass Russland gar keine Beweise brauche, um das Vorhandensein von Nazismus in der Ukraine zu behaupten.

Das ist, mit Verlaub, ziemlich spiegelbildlich so schwachsinnig wie die Kreml-Propaganda. Wie so eine einseitige, inkompetente, oberflächliche Karikatur einer Analyse durch die Qualitätskontrolle der NZZ rutschen kann – peinlich.

Aber es gibt natürlich auch Lichtblicke. So schlägt Katharina Fontana in einem Kommentar einen Pflock für die «200 Franken sind genug»-Initiative zur Gesundschrumpfung der SRG ein. «Weniger Geld würde ihr guttun», dekretiert sie, die Initianden «liegen richtig». Offensichtlich hat ihr auch der paternalistische Ton des überbezahlten und überforderten SRG-Generaldirektors Gilles Marchand den Hut gelupft.

Der durfte in einem Ringier-Gefälligkeitsinterview behaupten, die Initiative sei «eine Attacke auf die Schweiz und ihre Vielfalt». Dagegen stellt Fontana: «Man muss nicht besonders kritisch sein, um sich an dieser Selbstüberschätzung der SRG und an den paternalistischen Floskeln zu stören.»

Auch der NZZ-Leser ist offenbar in erster Linie an Sex und Crime interessiert. Also zumindest an Crime, denn als «meistgelesen» wird der Artikel aufgeführt, der beschreibt, wie am K 2 Bergsteiger ungerührt an einem Sterbenden vorbeiklettern. Platz zwei: «Vier Jugendliche dröhnen sich in Zollikerberg mit Drogen und Medikamenten zu».

Aber die Auslandberichterstattung ist weiterhin um Längen besser als bei der Schweizer (also schweizerisch-deutschen) Konkurrenz. «Der Putsch in Niger bekräftigt das Scheitern der französischen Antiterror-Strategie» (und die verkrampfte Aussprache als «Nischee» das Scheitern der Sprachreiniger bei SRF).

Dann zeigt die NZZ auch, wieso sie in Deutschland zu einer ernsthaften Konkurrenz für die FAZ geworden ist. «Ach, die armen Clans – wie linke Populisten dem Staat die Zähne ziehen», ein deutlicher und nötiger Kommentar, wie schwach und hilflos die linke Politik auf die Tatsache reagiert, dass kriminelle Clans von Menschen mit Migrationshintergrund in immer mehr Stadtquartieren in Deutschland die Macht übernehmen.

Ein Erinnerung an den Massenmörder Rios Montt, einer der grausamsten Diktatoren Guatemalas, eine Erinnerung an die grosse Fotografin Lee Miller, die sich von der Geliebten und Muse Man Rays zu einer der bedeutendsten Friedens- und Kriegsfotografen weiterentwickelte. Nicht nur ihre Fotografien sind zeitlos; Autor Daniel Haas nimmt eine Ausstellung in Hamburg zum Anlass, einen Feuilleton-Text zu schreiben, von dem der Tagi-Kulturteil nur träumen kann.

Apropos, was Linus Reichlin «aus dem Leben italienischer Schosshunde» gemacht hat, ist eine Seite Feuilleton, die sich vor den grossen Vorbildern in den 30er-Jahren nicht zu verstecken braucht. Unterhaltsam, intelligent, witzig, sprühend, das ist ein Niveau wie von einem anderen Stern, wenn man es mit allem vergleicht, was sonst so in der Schweiz publiziert wird.

Also ist man manchmal verstimmt, manchmal begeistert von der NZZ. Ein Effekt, der sich bei den anderen Organen unter Beobachtung nur teilweise einstellt.

Relotius Reloaded

Beim Fall Fabian Wolff führten die gleichen Mechanismen zum Desaster.

Die Geschichte in Kurz: Der Feuilletonist und gern gesehene Gast bei «Zeit», «Süddeutsche», «Tagesspiegel» oder «Spiegel» Fabian Wolff ist nicht der, für den er sich ausgab. Nämlich als Jude.

Das ist in Deutschland bis heute ein ganz heikles Gebiet. Vor allem, da Wolff sich unter Berufung auf sein Judentum als israelkritischer («Apartheitsystem») und den Aktivitäten der antiisraelischen BDS-Kampagne sympathisierend gegenüberstehender Jude ausgab. Wer ihn dafür kritisierte, war natürlich «rassistisch» oder «rechts».

Er selbst als Jude könne dagegen per Definition kein Antisemit sein. So seine Erzählung. Bis er selbst einräumte, dass er kein Jude sei; eine beiläufige Bemerkung seiner Mutter habe ihn mit 18 annehmen lassen, einer jüdischen Familie zu entstammen.

Nun wird’s nochmal sehr deutsch: dieses Eingeständnis darf er in einem 70’000 Anschläge langen Text in der «Zeit» machen. Wobei Eingeständnis fast übertrieben ist, es ist ein sich windendes Geschwurbel.

Daraufhin wird’s richtig deutsch. Alle Redaktionen, die auf seine Verkleidung als Kostüm-Jude reingefallen sind, winden sich nun auch. Wie mit seinen in den letzten zehn Jahren veröffentlichten Texten umgehen? Wie mit Wolff umgehen? Ist da zuhanden der Leserschaft eine Entschuldigung fällig? Wenn schon nicht vom Hochstapler selbst, dann von den Redaktionen, die es mal wieder an Hintergrund- und Faktencheck missen liessen?

Oder ist das ein unfairer Vorwurf? Nein, denn eine ehemalige Lebensgefährtin von Wolff war schon vor Jahren auf Ungereimtheiten und Widersprüche in seinen biographischen Angaben gestossen. Nach dem Ende der Beziehung wandte sie sich an diverse Journalisten und Redaktionen. Ohne Reaktion.

Nun tun natürlich alle Verantwortlichen in den Medienhäusern so, als hätten sie nichts davon gewusst, als seien sie wenn schon selbst Opfer, keinesfalls verantwortlich für diesen neuerlichen Skandal. Aber die NZZ schreibt dagegen ganz richtig: «Die Medien wurden nicht getäuscht, sondern haben sich täuschen lassen.» Nur ein in dieser Beziehung unbelastetes Schweizer Organ kann dann den Finger auf die Wunde legen:

«Das grosse Vertrauen und die Nibelungentreue deutscher Medien zum Autor Wolff erklärt sich auch dadurch, dass er mit seinen Gedanken und Texten letztlich antijüdische Ressentiments bedient hat, die in Teilen des deutschen Bürgertums weit verbreitet sind

Womit wir bei der Parallele zum Fall Relotius angelangt wären. Auch dieser Schwindler und Fälscher bediente mit seinen erfundenen Reportagen Klischees und Vorurteile der «Spiegel»-Verantwortlichen. Die hatten sich zum Beispiel ernsthaft vorgenommen, den damaligen US-Präsidenten Trump «wegzuschreiben». Sie sahen in seiner Wahl das «Ende der Welt», zumindest, «wie wir sie kennen». Sie waren fassungslos, dass all ihre angeblichen Kenner und Könner den Wahlsieg Trumps nicht vorhergesagt hatten.

Daher glaubten sie Relotius unbesehen jedes Wort, wenn der sich in die US-Pampa aufmachte, um dort die dumpfen Amis aufzuspüren, die diesen Idioten zum Präsidenten gemacht hatten. Wirklich erholt hat sich der «Spiegel» von diesem Skandal bis heute nicht. Seine kreischige #metoo-Berichterstattung, in der er einer Journalistin die Plattform für einen Rachefeldzug bietet, Prominente reihenweise in die Pfanne haut, trägt auch nicht dazu bei, sein Renommee zu retten.

Nun sind aber auch die ehrwürdige «Zeit» (die sich im Schweizer Split allerdings auch im Roshani-Skandal instrumentalisieren liess), die SZ, der «Tagesspiegel» beteiligt an diesem neuerlichen Skandal.

Relotius hat nicht seine eigene Identität erfunden, sondern einfach Quellen und Zitate und Begebenheiten. Das hat Wolff nicht getan, dafür streifte er sich eine Identität über, die erlogen ist. Beide haben aber Ressentiments der sie betreuenden Redaktionen (und deren Leserschaft) bedient. Ob man es in Deutschland wirklich liebe, «Israel zu hassen», das ist vielleicht eine zu dramatische Schlussfolgerung der NZZ.

Dass es ein deutsches Problem sei, das trifft solange nicht zu, als ein Tom Kummer in der Schweiz weiterhin sein Unwesen treiben darf. Hier handelt es sich um die Marotte eines Chefredaktors, in Deutschland geht das Problem tatsächlich tiefer.

Denn dass eine Redaktion keinen in die Intimsphäre eingreifenden Faktencheck über die jüdische Herkunft eines Autors macht, ist noch verständlich, obwohl Wolff nicht der erste Fall eines solchen Betrugs in Deutschland ist. Dass aber deutliche Indizien, ein ganzes Dossier der ehemaligen Lebensgefährtin keine Beachtung fand, sondern wohl als Rache einer verschmähten Geliebten abgetan wurde, das ist bedenklich.

Einerseits veröffentlicht der «Spiegel» Behauptungen einer rachsüchtigen, gefeuerten Schweizer Redaktorin, die sich bei genauerer Betrachtung fast vollständig als nicht haltbar herausstellen. Andererseits ignorieren diverse Redaktionen in Deutschland ein ihnen vorliegendes Dossier mit belegten Anschuldigungen. Was ist der Unterschied? Das eine entspricht dem Narrativ von #metoo, das andere widerspricht diesem Framing. Obwohl in beiden Fällen eine Frau einen Mann anschuldigt.

Ungeprüft oder nicht überprüft, zweifaches Versagen.

 

Zum Beispiel Mansour

Oder wie man knapp einer öffentlichen Hinrichtung entgeht.

Das Geschäftsprinzip aller asozialen Plattformen und auch vieler Internetblogs ist die Haftungsfreiheit und Verantwortungslosigkeit. Normalerweise haften Medien nicht nur für ihre eigenen Aussagen, sondern auch für die von Kommentarschreibern oder freien Mitarbeitern.

Das ist bei Facebook, Twitter und Co. anders. Die haben sich durch geschicktes Lobbying eine Ausnahmeregelung im Rechtsstaat USA erkämpft, die sie als blosse Transporteure von der Haftung für Inhalte freistellt. Dafür verwendeten sie so absurde Argumente wie das, dass es gar nicht möglich sei, die Unzahl von täglichen Posts alle auf allfällig strafbare Aussagen zu überprüfen.

Ähnlich schwierig ist es, gegen Blogs vorzugehen, wenn die als Adresse eine ferne Jurisdiktion angeben. Wie zum Beispiel «Hyphen», ein englischsprachiges «News- und Kultur-Magazin, das Storys über Asien Amerika» erzähle, mit Sitz irgendwo in Kalifornien.

NZZ-Redaktor Oliver Maksan erzählt die Geschichte nach, wie beinahe ein Rufmord am deutsch-israelischen Autor und Wissenschaftler Ahmad Mansour gelang. Er hat sich mit seinen Postionen gegen islamischen Fundamentalismus, Islamismus und islamischen Antisemitismus viele Feinde gemacht.

Im vorher im deutschen Sprachraum weitgehend unbekannten Blog «Hyphen» erschien im Juni 2023 eine umfangreiche publizistische Hinrichtung Mansours durch den britischen Autor James Jackson, der in Deutschland lebt. Auf Twitter fasste Jackson seine Anklagen zusammen: «Ein Grossteil seiner Hintergrundgeschichte ist übertrieben oder erfunden. Er war nie ein Muslimbruder, der Imam war kein Imam, er hat nicht Psychologie an der Universität Tel Aviv studiert». Dafür habe Jackson monatelang recherchiert, mit Familie und Weggefährten gesprochen sowie Mansours Heimatort besucht, fasst Maksan zusammen.

Das wäre ein Reissack gewesen, der in China umfällt. Wenn nicht ein FAZ-Redakteur diesen Tweet aufgenommen hätte und Mansour inquisitorisch aufgefordert, dazu Stellung zu nehmen.

«Ein Sturm der Entrüstung entlud sich über Mansour. Mansour, der seit 2004 in Deutschland lebt, hat sich schliesslich viele Feinde gemacht. Universitäre Integrationsexperten rümpfen die Nase über den omnipräsenten Praktiker. Für Vertreter des politischen Islams und ihnen im Namen der Antidiskriminierung beispringende Unterstützer von links ist Mansour seit Jahren ohnehin ein rotes Tuch. Ein Araber, der gegen islamisch motivierten Antisemitismus und die Delegitimierung Israels kämpft, hat zudem die antizionistische BDS-Bewegung gegen sich», resümiert Maksen.

Mansour beginnt, sich zu verteidigen, räumt klitzekleine Ungenauigkeiten ein, verschickt schliesslich ein 21-seitiges Dossier an Medien und Kunden seiner Beratungsfirma, in dem er detailliert eine ganze Latte von Falschbehauptungen Jacksons richtigstellt. Das überzeugt dann die «Süddeutsche Zeitung». Nicht zuletzt, um der Konkurrenz FAZ eine reinzuwürgen, tischt sie die Vorwürfe Jacksons ab und stellt sie sich auf die Seite Mansours. Damit neigt sich Waage der öffentlichen Meinung nun auf dessen Position. Schwein gehabt, wenn man das in diesem Zusammenhang sagen darf.

Allerdings: «Hyphen» hat den entsprechenden Artikel immer noch nicht gelöscht oder richtiggestellt, trotz anwaltlicher Aufforderung. Denn da das Stück auch in Deutschland abrufbar ist, hat Mansour hier einen Rechtsstand. Aber: «Das Onlinemagazin hat das Entfernen des Artikels an eine Bedingung geknüpft: Mansour dürfte nicht mehr auf den Vorfall aufmerksam machen. Damit wären zwar die monierten Behauptungen aus der Welt. Mansour aber hätte einem Maulkorb in eigener Sache zugestimmt», schreibt die NZZ. Auf Anfrage sage «Hyphen» nur, man sei in Verhandlungen mit Vertretern Mansours.

Die NZZ schliesst:

«Epilog: Mansour selber ist bestürzt, wie bereitwillig den Behauptungen über ihn geglaubt worden ist. Er sitzt in einem italienischen Restaurant in Berlin-Charlottenburg und schaut auf die grösste Krise seines bisherigen Berufslebens zurück. «Das hätte auch böse enden können», sagt er dann.»

«Hyphen» ist übrigens der englische Ausdruck für Viertelgeviertstrich oder Kurzstrich, der als Binde- oder Trennstrich verwendet wird. Irgendwie zutreffend.

Ach, natürlich nimmt auch die Nonsens-Plattform «watson» das Thema auf. Im gewohnten Qualitätsniveau:

Das «vermeintliche Foto seines Diploms» – gemeint ist wohl «das Foto seines vermeintlichen Diploms», aber Deutsch und «watson», ein ständiger Auffahrunfall – ist von der Humboldt-Universität Berlin als echt bestätigt worden. Aber eben, recherchieren war gestern, behaupten ist heute.

Hat der Mann Mansour ein Glück, dass er nochmal knapp davonkam. Aber leider reiner Zufall, es hätte wirklich auch bös enden können.

Kalter Krieger Häsler

Oberst und NZZ-Sicherheitspolitiker. Üble Mischung.

Wenn Georg Häsler in die Tasten greift, hört es sich an wie ein Echo aus alten Zeiten, als das Schweizer Bürgertum ernsthaft trompetete: lieber tot als rot.

Heute wirft Häsler «der Schweiz» vor, «für den schlimmsten Fall, einen schleichenden Sieg Russlands und die Fragmentierung Europas, weder mental noch militärisch vorbereitet» zu sein. Schlimmer noch: «Zudem taumelt der Bundesrat in eine Krise mit den USA

Defätisten und schwankende Gestalten statt zackiges Salutieren und Stechschritt. Schlappe Schweiz. Dabei sei die Lage besorgniserregend. «Russland reizt den Graubereich zu einer direkten Konfrontation mit der Nato weiter aus …». Dagegen hierzulande: «Es ist dies die radikale Reduktion einer verwöhnten Gesellschaft auf sich selbst, ein trotziger Blick ins Landesinnere, um ja keine Position einnehmen zu müssen …»

Dann verschwindet Häsler in einer Fantasiewelt: «Das Ende des Kalten Kriegs brachte sogar eine kurze Zeit des Vertrauens in eine regelbasierte Ordnung.» In Wirklichkeit brachte das Ende Allmachtsfantasien vom Ende der Geschichte und einer ewigwährenden imperialistischen US-Herrschaft.

Aber heute? Während die «Drohung des Kreml mit der Atom-Keule» wirke, fehle «den westlichen Regierungen die Kraft zur Konsequenz». Um mit der gleichen Waffen zurückzukeulen? Als strahlender Sieger vom Platz gehen, in einer Welt als atomarer Trümmerhaufen?

Dann wird’s sehr merkwürdig:

«Die Schweiz unterscheidet militärisch nicht zwischen dem Angreifer, der das Gewaltverbot der Uno-Charta gebrochen hat, und der ukrainischen Armee, die von ihrem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht.»

Und wie sollte sie das tun? Das beantwortet der Oberst nicht, dafür unkt er: «Was diese aussen- und sicherheitspolitische Fessel bringen soll, ausser Punkte bei den internen Predigern der reinen Lehre des Neutralitätsrechts, bleibt das Geheimnis der Landesregierung. Unterstützt sie damit gar den Aggressor? Selbst die besten Freunde werden den Verdacht nicht los, die Schweiz wolle mit autoritären Regimen im Geschäft bleiben – auch mit dem Kreml. Unter dieser Affiche taumelt der Bundesrat wohl gerade in eine ernsthafte Krise mit den USA.»

Wie schaffen das die taumelnden Bundesräte? «Washington kann nicht nachvollziehen, weshalb die Schweiz der G-7-Task-Force nicht beitritt, die nach versteckten Geldern russischer Oligarchen sucht.» Washington kann nie nachvollziehen, wieso sich ein souveräner Rechtsstaat lieber an seine eigenen Gesetze hält als an rechtsimperialistische Vorgaben der grössten Militärmacht der Welt, die so ihre eigenen rechtsstaatlichen Probleme hat, nicht nur mit ihrem letzten Präsidenten.

Aber immerhin, die Schweiz darf 36 Kampfjets von den USA kaufen, «zu einem bemerkenswert tiefen Gesamtpreis von sechs Milliarden Franken. Die Plattform ist ein wesentlicher Bestandteil der westlichen Überlegenheit gegenüber der russischen Technologie». Ein Klacks gegen die rund 800 russischen Kampfjets, den insgesamt 1570 Kampfflugzeugen. Ein klitzekleiner Klacks gegen die 2757 Kampfflieger der USA.

Wie im kalten Krieg meint der Oberst, konventionelle Streitkräfte, Flugzeuge, Tanks, Artillerie, seien entscheidend für einen Kleinstaat wie die Schweiz. Von Cyberkrieg, virtuellen Angriffen auf AKW oder Staudämme, von modernen Formen der Kriegsführung scheint er wenig Ahnung zu haben.

Was rät er denn am Ende seiner 9000 Anschläge der Schweiz? «Wegschauen hilft nichts. Die überlieferte Skepsis der Schweiz gegenüber den Grossmächten ist eine Aufforderung, den Kampf gegen die autoritäre Versuchung nach Kräften zu unterstützen.»

Hier wird er wieder sehr, sehr dunkel. Wer will denn wegschauen? Eigentlich niemand. Was soll an der Skepsis gegen Grossmächte «überliefert» sein? Die ist brandaktuell. Sie sei eine Aufforderung, den Kampf gegen was zu unterstützen? Was ist eine «autoritäre Versuchung»? Russland? Die Ukraine? Oder existiert sie in der Schweiz? Das ist nun sackschwach für einen Militärstrategen. Denn schon Clausewitz wusste:

«So wird (…) der politische Zweck als das ursprüngliche Motiv des Krieges das Mass sein, sowohl für das Ziel, welches durch den kriegerischen Akt erreicht werden muss, als für die Anstrengungen, die erforderlich sind.»

Aber wer seinem Geschwurbel den Titel gibt «Dieser Krieg verschwindet nicht», der hat’s schon ganz am Anfang versemmelt. Die NZZ hat schon bessere Samstag-Kommentare gehabt. Dieser hier hisst die weisse Flagge vor Logik oder Verständlichkeit. Dass so jemand als Oberst die Schweiz verteidigen soll, das stimmt nicht gerade optimistisch für die Wehrkraft.

 

Die Doublette

Wenn zwei das Gleiche tun – zeigt sich das Niveau.

Zufälle gibt’s … Geht man nach der Chronologie, hatte die NZZ um wenige Stunden die Nase vorn:

Variationen zur Schweizer Geschichte, wenn sich entscheidende Ereignisse anders abgespielt hätten.

Variationen zur Schweizer Geschichte, wenn sich entscheidende Ereignisse anders abgespielt hätten. Oder sagten wir das schon?

Einmal NZZ, einmal Tamedia.

Hoppla. Nun ist es so, dass bei Tamedia der verantwortliche Redaktor Andreas Tobler heisst. Das sagt eigentlich schon alles. Der kennt einmal seine Grenzen und hat «Intellektuelle sowie renommierte Historikerinnen und Historiker gefragt …»

Die Resultate sind, gelinde gesagt, durchwachsen. Markus Somm macht sich Gedanken, wie’s weitergegangen wäre, hätte die Schweiz 1515 bei Marignano gewonnen. Ist durchaus unterhaltsam. Josef Lang, nein, muss man nicht lesen. Marco Jorio. Marco who? Brigitte Studer, emeritierte Geschichtsprofessorin, geht der Idee nach, dass das Frauenstimmrecht schon 1919 eingeführt worden sei. Historisch absurd, das macht die NZZ dann viel besser.

Und schliesslich der unsägliche Jakob Tanner, der eigentlich darüber fantasieren möchte, was wäre, wenn Hitler die Schweiz erobert hätte. Aber statt dem nachzugehen, ist er viel zu selbstverliebt und schreibt eigentlich nur über sich: «In meiner Mitte der 1980er-Jahre vorgelegten Dissertation … Um den analytischen Durchblick zu schärfen, zielte ich … Meine kontrafaktische Modellierung bezog sich auf die Frage … Dieses Nachdenken über «roads not taken» hat es mir erleichtert …». Geschichtsschreibung als Bespiegelung des eigenen Bauchnabels, lachhaft.

Eine Franziska Rogger (sieht sich als «Historikerin und Feministin») fantasiert darüber, dass das Frauenstimmrecht 1971 nicht eingeführt worden wäre und irrlichtert in die Zukunft: «2041 schliesslich kappte man in einer ausgleichenden Gerechtigkeit das männliche Stimmrecht, von nun an waren nur noch Frauen stimmberechtigt». Geschichte als Wahnvorstellung. Regula Bochsler (bezeichnet sich als «Historikerin, Künstlerin und TV-Journalistin») überlegt sich, was passiert wäre, wenn Christoph Blocher nicht die EMS Chemie übernommen hätte. Auch das macht die NZZ viel besser.

Und Moritz Leuenberger schliesslich leckt wie immer leicht weinerlich eine alte Wunde: «Bei einem Ja zum EWR hätte sich diese Spirale in die andere Richtung gedreht. Wir hätten ein unverkrampftes Verhältnis zur EU und wären nicht bis zur Verhandlungsunfähigkeit gelähmt und müssten ständig Unterhändlerinnen austauschen.» Wenn Wünschen helfen würde, wäre Leuenberger ein erfolgreicher Politiker gewesen.

Insgesamt eine naheliegende Idee zum 1. August, weitgehend versemmelt durch mediokres Personal. Also genau das, was Tamedia halt ist.

Die drei Autoren der NZZ hingegen sind selbst ans Gerät gegangen und haben durchaus niveauvolle alternative Szenarien entwickelt. Sie legen mit einem hübschen Nietzsche-Zitat schon gleich mal die Latte hoch: «Die Frage «Was wäre geschehen, wenn das oder das nicht eingetreten wäre» wird fast einstimmig abgelehnt, und doch ist sie gerade die kardinale Frage.»

Auch bei ihnen erobern 1940 die Nazis die Schweiz. Das wird aber nicht aus der Bauchnabelperspektive erzählt, sondern den wahren Geschehnissen entlang, angefangen bei der historischen Figur Hauptmann Menges, der den Auftrag erhalten hatte, einen Angriffsplan gegen die Schweiz auszuarbeiten. Die kontrafaktische Darstellung endet mit der Feststellung, dass sich die Historiker bis heute streiten, wieso Hitler den Angriffsbefehl nicht gab: «Was immer der Grund war: Die Neutralität ist bis heute identitätsstiftend für das Land. Die Zustimmung lag Anfang 2023 bei 91 Prozent.»

Viel näher an der Realität ist auch die Erzählung, dass Christoph Blocher nicht nur eine Lehre als Bauer gemacht hätte, sondern tatsächlich auch Bauer geworden wäre und deshalb keine Zeit gehabt hätte, in die SVP einzutreten, bzw. dort aktiv zu werden. An dem Tag, als er gewinnbringend eine Kuh verkauft, tritt die Schweiz 1992 dem EWR bei.

Eine weitere spannende Geschichtsumschreibung ist die Aufgabe des Schweizer Bankkundengeheimnisses bereits im Februar 1936 auf französischen Druck hin. Am Anfang steht eine Razzia in Paris, die tatsächlich stattgefunden hat und als «Pariser Skandal» in die Geschichte einging. Nächste interessante Etappe: wie wäre es weitergegangen, wenn die Schwarzenbach-Überfremdungsinitiative 1970 angenommen worden wäre.

Entlang der historischen Figur Antoinette Quinche entwickelt die NZZ ein realistisches Szenario, was passiert wäre, wenn nicht zuletzt aufgrund ihres Kampfes die Frauen 1931 das Stimmrecht bekommen hätten.

Darin sind so grossartige Trouvaillen wie Auszüge aus einer 136-seitigen Botschaft des Bundesrats zum Frauenstimmrecht aus dem Jahr 1957: «Das Denken der Frau lässt vielleicht hie und da an logischer Konsequenz vermissen … Wenn gesagt wird, die Frau gehöre ins Haus, so ist das sicher richtig. Nicht richtig wäre es aber, daraus zu schliessen, dass das Frauenstimmrecht abgelehnt werden müsse.»

Und schliesslich, auch viel sinnenhafter als ein Sieg bei Marignano, was wäre, wenn die Schweiz beim Wiener Kongress 1815 nicht als Pufferstaat wiederhergestellt worden wäre, sondern der Plan des Freiherr von Stein angenommen worden wäre, die Schweiz auf die Nachbarstaaten aufzuteilen. «Und weil die Kantone wenig verbindet, kommt es danach nie mehr zum Versuch, die alte Eidgenossenschaft wiederzubeleben. Die moderne Schweiz gibt es nie. Der Gotthard bildet heute die Grenze zwischen Deutschland und Italien.»

Die NZZ erinnert dann daran, wie es wirklich war: «1815 wurde in Wien die Grundlage für die moderne Schweiz geschaffen – und zwar hauptsächlich auf Initiative eines griechischen Diplomaten im Auftrag des russischen Zaren. Die Eidgenossen hatten wenig dazu beigetragen.»

Das sind Szenarien, die Spass machen und zum Denken anregen. Kompetent nahe an den wirklichen historischen Ereignissen entlanggeschrieben, wohldokumentiert und erkenntnisfördernd, statt Ideologien, Steckenpferde und persönliche Meinungen der Autoren zu bedienen.

Lustiger Zufall der Geschichte, und erst noch wahr, dass NZZ und Tamedia am gleichen Tag die gleiche Idee veröffentlichen. Was für ein Pech auch für den Konzern an der Werdstrasse, dass seine Mediokrität mal wieder so schmerzlich vorgeführt wird. Aber Redaktoren wie Tobler sind scham- und schmerzfrei, das hat er schon zur Genüge unter Beweis gestellt.

Dem Leser sei aber dieser Direktvergleich ans Herz gelegt, auch wenn er dafür einmal bei einem der beiden Blätter (oder gar bei beiden) einen Obolus entrichten muss. Das lohnt sich schon alleine wegen der Entscheidung, wofür man zukünftig Geld ausgeben will …

 

Menschenverachtend

Die Gutmenschen sind Bösmenschen.

«Kevin Spacey im freien Fall. Seit Jahren hat der Schauspieler junge Männer belästigt und genötigt.» Tamedia, November 2017.

«In London laufen polizeiliche Ermittlungen gegen Spacey, der sich einer Sprecherin zufolge in therapeutische Behandlung begeben hat.» Tamedia, Dezember 2017.

«Soeben hat Scotland Yard Ermittlungen gegen Kevin Spacey aufgenommen, der als künstlerischer Leiter des «Old Vic» einen anderen Mann sexuell angegriffen haben sollTamedia, November 2017.

«CNN hatte von acht aktuellen oder früheren Mitarbeitern am Set von «House of Cards» berichtet, die Spacey mit Blick auf sexuelle Annäherungen ein «räuberisches» Verhalten vorwerfen. Sie beschuldigten ihn unter anderem, ein giftiges Arbeitsklima erzeugt zu haben.» Tamedia, November 2017.

«Kevin Spacey hat sich für einen sexuellen Übergriff auf einen 14-Jährigen entschuldigt – und zur Ablenkung sein Coming-out bekannt gegeben.» Tamedia, Oktober 2017.

Vorsicht vor Beschädigungen, Respekt vor der Unschuldsvermutung? Klarer Hinweis darauf, dass es sich um unbewiesene, teilweise Jahrzehnte zurückliegende Anschuldigungen handelt, deren Motivation nicht zuletzt Ruhm- und Geldgier ist?

Ach was. Nun Freispruch auf ganzer Linie in London. Sämtliche Anschuldigungen in den USA hatten sich schon zuvor in Luft aufgelöst. Nein, nicht in Luft. Spacey, einer der begabtesten Schauspieler unserer Zeit, der in «House of Cards» die Rolle seines Lebens gefunden hatte, wurde geächtet, von Hollywood ausgespuckt, aus fertigen Filmen geschnitten, in der Erfolgsserie gefeuert. Er hat sieben Jahre seines Lebens verloren – und all sein Geld, das für Anwälte draufging.

Hört man da bei Tamedia und bei allen anderen Blätter, die die damalige Hetze befeuerten und willig mitmachten, mit dem moralischen Zeigefinger wackelten, Behauptungen als Tatsachen darstellten, hört man da ein leises Wort des Bedauerns, der Entschuldigung gar?

Schlimmer noch, hat man gelernt? Wie der Fall Rammstein beweist: null und nichts wurde gelernt. Dem «Blick» wurde eine Verfügung um die Ohren gehauen, einen Schmierenartikel zu löschen. Selbst die NZZ vergriff sich und schrieb nassforsch vom Sänger als «Täter». Das wurde dann immerhin schnell korrigiert, aber der Fleck bleibt.

Inzwischen gehen Lindemanns Anwälte weiterhin konsequent gegen Kolporteure, Schmierer und Hetzer vor. Dem «Spiegel» – inzwischen einschlägig für solche Unterleibsstorys bekannt – wurden diverse Aussagen verboten. Einer Videobloggerin, die auch die Welle reiten wollte, um bekannter zu werden, wurden diverse kolportierte Aussagen untersagt.

Aber gibt es Anzeichen von Lernfähigkeit? Bei den grossen Medienkonzernen in der Schweiz null. Noch viel weniger bei «Republik», WoZ und Konsorten. Mit einer lobenswerten Ausnahme – wie meist. richtig, natürlich die NZZ.

Claudia Schwartz nimmt sich die Berichterstattung nach dem Freispruch Spaceys vor. Und urteilt so scharf wie richtig:

«Auch am Dienstag hielten manche Medien nicht inne. Freispruch vor Gericht? Das gilt jedenfalls für Prominente wie Kevin Spacey offenbar nicht mehr, ist die Meinung einmal gemacht. «Kein üblicher Verdächtiger» titelte das deutsche Magazin «Stern» wenige Stunden nach Prozessschluss, um dann, fett hervorgehoben, nochmals die Anschuldigungen in voyeuristischen Details aufzuwärmen. Dass Spacey bereits im vergangenen Oktober in einem ersten Zivilprozess von dem Vorwurf freigesprochen worden ist, den damals vierzehnjährigen Schauspieler Anthony Rapp sexuell belästigt zu haben: Wen interessiert’s?»

Schwartz geht noch weiter und sieht Anlass, «sich die Frage zu stellen, wie eine Gesellschaft zugerichtet ist, in der manche die Vorverurteilung höher gewichten als ein gerichtliches Urteil. «Ich verlor meinen Job, ich verlor meinen Ruf, ich verlor alles in nur wenigen Tagen. Noch bevor eine einzige Frage gestellt wurde», sagte Spacey zum Auftakt des Strafprozesses.»

Dann kommt sie zur einzig richtigen Schlussfolgerung: «Die Cancel Culture stösst nicht nur historische Figuren vom Sockel und verbannt Bücher, sondern sie geht – Kevin Spacey ist ein mahnendes Beispiel dafür – ans Lebendige und zerstört in moralischer Überheblichkeit Menschen, Karrieren, Existenzen. Deshalb sollte man auch das Urteil in derzeit diskutierten Fällen wie Til Schweiger oder Till Lindemann den Gerichten überlassen

So gut auch eine Stimme der Vernunft tut: sie geht unter im wilden Gekreisch und Gehetze auf den sozialen Plattformen, wo die Mainstream-Medien aus billigen Gründen mitschwimmen, wo jeder Kurzdenker und Kleinredaktor sich zum moralischen Grossinquisitor aufschwingen kann, vor Entrüstung beben, vorverurteilen – um dann feige zu schweigen.

Das ist verantwortungslos, erbärmlich und ein weiterer der vielen Sargnägel für diese Art von Medien, die keinerlei Mehrwert mehr enthalten. Ausser, Erregungsbewirtschaftung und wohlfeile Vorverurteilungen, das Errichten von Schandmalen, an denen sich das Publikum gütlich tun kann, sei ein Mehrwert.