Die Abschreiber

Früher gab es wenigstens noch Sensationsjournalismus.

Heutzutage ist das zum Denunziationsjournalismus degeneriert. Das Lieblingshassobjekt ist der Mann. Am besten der berühmte, wenigstens der bekannte Mann. Dem wird dann irgendwas vorgeworfen (nach der Affäre Rammstein kann man nicht mal mehr von eindeutigen Tatbeständen sprechen). Die Anschuldigungen erfolgen anonym, liegen auch gerne schon Jahre zurück und lassen sich in keiner Weise belegen oder schlüssig nachweisen.

Meistens beginnt es mit einer Anschuldigung in den sozialen Medien, mit einem «Jetzt rede ich»-Text. Der folgt immer dem gleichen Schema. Es werden unbelegte Anschuldigungen erhoben, die oft viele Jahre zurückliegen. Statt Straftatbeständen (die sowieso meistens verjährt wären), werden Befindlichkeiten («verletzt, gedemütigt, diskriminiert, herabgewürdigt, ungerecht behandelt, sexistisch missbraucht») angeführt.

Daraufhin melden sich unvermeidbar Trittbrettfahrerinnen. Dabei ist keine Story zu alt oder abgefahren, um nicht mit ihr an die Öffentlichkeit zu gehen. Liegt sie schon viele Jahre zurück, konnte die Betroffene eben nicht vorher darüber reden, nun kann sie «nicht länger schweigen», wie Patrizia Laeri begründete, dass sie mehr als 20 Jahre danach mit einer versuchten Kussattacke Aufmerksamkeit auf sich lenken wollte. Als die Untersuchung nichts, beziehungsweise Widersprüchlichkeiten in ihren Behauptungen ergab, kündigte sie verschnupft eine «juristische Prüfung» an, da sei sicherlich nicht alles mit rechten Dingen zugegangen. Seither ist Schweigen.

Während bislang der «Spiegel» für sich eine Vorreiterrolle in Anspruch nehmen konnte – er denunzierte bereits einen deutschen Comedian, einen Schweizer Ex-Chefredaktor, einen deutschen Schauspieler und einen Drei-Sterne-Koch, dazu berichtete er über anonyme Anschuldigungen gegen den Sänger der linksradikalen Band «Feine Sahne Fischfilet» –, hat nun auch die «Süddeutsche Zeitung» zugeschlagen.

Obwohl sie ganze sechs Kräfte auf die Story warf, sind die Ergebnisse allerdings erschütternd mager. Andeutungen, Behauptungen, angebliches aggressives Verhalten, eine Zustimmung, die dann doch nicht so gemeint war, Groupies, die wohl annahmen, bei der After-Show-Party würde Bingo gespielt, berichten unter dem Schutz der Anonymität. Dabei gibt es auch solche Berichte:

«Beim Tanzen habe er seine Hand auf ihre Taille gelegt. Da habe sie ihm gesagt, sie wolle nicht, dass er ihr nah kommt, das habe er wohl falsch verstanden. Und er habe das akzeptiert, sich sogar entschuldigt. Am Ende des Abends sei Lindemann ohne weibliche Begleitung nach Hause gegangen, obwohl es nach ihrem Eindruck «genug Frauen gab, die mit ihm schlafen wollten»».

Da musste die SZ tief Luft holen, um das zu einem Skandal aufzupumpen:

«Ob es sich dabei um einvernehmlichen Sex gehandelt hat, ist kaum zu eruieren. Jedenfalls gab es kaum ein klares Ja. Die Beziehung zwischen Groupies und Stars mag immer asymmetrisch sein. Im Falle des 60-jährigen Lindemann und der jungen Frauen – viele offenbar im Teenageralter – war das Verhältnis aber von äusserster Ungleichheit. Die Groupies scheinen nach den von ihnen öffentlich gemachten sexuellen Handlungen denn auch nicht recht gewusst zu haben, ob sie nun von einem Halbgott, einem Rocker-Zeus, beehrt oder aber von einem alten Lüstling missbraucht worden waren

Früher, als die Zeiten besser waren und Journalismus noch Regeln folgte, hätte spätestens hier eine Kontrollinstanz gesagt: damit habt ihr aber eure sowieso schon dünne Story gekillt, Papierkorb.

Heute aber wird sie ins Blatt gehievt. Und wie es Trittbrettfahrerinnen bei den Anschuldigungen gibt, steigen auch die übrigen ausgehungerten Medien auf diesen Zug und krähen tapfer mit. Die sonst seriöse NZZ versteigt sich sogar zum Titel: «Aus dem Künstler ist ein Täter geworden». Um ihn dann, als der Verstand wieder einsetzte, zu «Was ist Tat, was ist Fiktion?» abzuschwächen. Notabene ohne das transparent zu machen.

Noch schlimmer als solche Trittbrettfahrten ist eigentlich nur noch eines: das copy/paste-Abschreiben, wie es das Haus der Qualitätsmedien «Tages-Anzeiger» pflegt. Hier übernimmt man tel quel den Artikel aus München, ohne die Gelegenheit zu nützen, wenigstens ein wenig Eigenrecherche zu betreiben. Dafür melkt die gesundgeschrumpfte Redaktion insgesamt 5 Storys aus dem Thema, dass eine deutsche Rockband mit deutschen Provokationen zu deutschen Problemen berühmt geworden ist.

Natürlich interessiert das auch den Schweizer Fan von «Rammstein», der überwiegenden Mehrheit der Tagi-Leser geht da aber genauso am Hintern vorbei wie die ewige Quengelei wegen Gendern, Gendersternchen und der Ausmerzung angeblich diskriminierender Begriffe.

Abgeschriebener Denunziationsjournalismus, eisernes Schweigen gegenüber des Skandals, der sich im eigenen Haus im «Magazin» abspielt, Gedankenleere, dafür Kampagnenjournalismus vom Übelsten, was die Themen Neutralität oder Waffenlieferungen an die Ukraine betrifft, immer wieder Artikel und Leitartikel zum Gendern, obwohl das Dreiviertel der Leser null interessiert. Wer da behauptet, die Umstände, das Umfeld, die Inseratelage, die Zahlbereitschaft, das Internet seien die Probleme der modernen Medien, bekommt hier deutlich vorgeführt: mag alles eine Rolle spielen.

Aber die abgründige Unfähigkeit und Dummheit der Zeitungsmacher ist die Hauptursache für den Niedergang.

5 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Gegen-Analyse:
    müssen wir uns jetzt um die Groupies oder nicht von Mister Rammstein kümmern?
    Oder fällt zackbum auf das Niveau und die MASCHE der abgedrifteten Medien rein: serviert dem Pöbel Flachsinn, Banalitäten und Aufregerlis um die Massen abzulenken, vollends zu verdummen. Um die laufenden Verbrechen zu cachieren, zensieren, die Menschen im Dunkeln und ins Dunkle tappen zu lassen.
    ‹Der Spiegel› hat – grad eben – ganz andere Leute auf aller übelste Weise diffamiert, runter gemacht,
    so systematisch wie stümperhaft denunziert: https://www.nachdenkseiten.de/?p=98788

    Der Spiegel hat fertig, der Tagi hat fertig, unsere Medien sind so mies, fies und KRIMINELL die Wirklichkeit verzerrend wie zackbum es täglich beschreibt – alles damit sie denen in den Arsch kriechen können, die allen alten Journalismus gekauft haben und meinen, wegen ihren Geldbergen können sie uns wie unnütze Fresser behandeln.

    Weg von diesen Schlammtümpeln und Schlammschleudern,
    setzen wir uns für die wenigen integren, intelligenten, mutigen Persönlichkeiten ein, die von diesen Dreckmedien systematisch angegriffen, verleumdet, zum schweigen und wo es ihnen gelingt: kaputt gemacht werden!

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  2. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Auch heute der Tages-Anzeiger dabei, «Sie wollen es doch auch», der Artikel natürlich Abfallprodukt aus München, Tïtel, «Von Verführung und Gewalt». Tenor des Artikels, die armen Mädchen und Frauen die keinen eigenen Willen haben, Huscheli die sich ohne Absicht zum Teil leicht bekleidet in die Row Zero bemüht haben. Die SZ bestimmt der «unabhängige Schweizer Tageszeitung» die Themen.
    Etwas Eigenleistung gibt es. Martin Burkhalter und Ane Hebeisen schreiben: «Der Veranstalter schweigt noch immer», die beiden Wadenbeisser sind entsetzt, die Konzerte in Bern praktisch ausverkauft, der Veranstalter reagiert nicht auf Grund von Gerüchten und der Berner Sicherheitsdirektor will auch nicht verbieten. Sie sind enttäuscht, keine Massnahmen wegen Gerüchten, Frauen werden weiterhin ans Konzert zugelassen ihre physische Integrität ist nicht gefährdet, keine Cancel culture, das Konzert wird nicht verboten, wer hingehen will darf hingehen.
    Der letzte Satz im Artikel der Wadenbeisser: «Hier ist also – zwei Wochen vor den Konzerten – noch alles beim Alten». Keine Hysterie, keine staatliche Bevormundung und Fans die nicht stornieren. Am liebsten hätten sie wahrscheinlich Zustände wie in Zürich wo anonyme Drohungen genügen um ein Konzert zu verunmöglichen. TA hatte einmal einen kompetenten Mann für alles was mit Rock- und Pop zu tun hatte, JM Büttner, der hätte sich wahrscheinlich eher die Finger abgehackt als einen so doofen und vorverurteilenden Artikel zu schreiben. Aber JBM wurde abgesägt, passte nicht mehr in den Mainstream, war Journalist mit Anspruch und Kompetenz.

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  3. Beat Morf
    Beat Morf sagte:

    Einmal mehr auf den Punkt gebracht! Diese Analyse sollte eigentlich genügen um eine Zeitung für die schweigende Mehrheit zu machen, aber mit Deppen in der Schreibstube ist das nicht zu machen. Stellt einfach den Betrieb ein, eure Zeitungen will Keiner mehr.

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