Lob der NZZ

Der Riese im Zwergenland.

Natürlich ist es einfach, bei dieser Konkurrenz oben herauszuragen. Bei CH Media, bei Tamedia – von Ringier und «Blick» ganz zu  schweigen – herrschen nicht nur Mittelmass und inkompetente Bildungsferne. Es existieren schlichtweg die Ressourcen nicht mehr, Abgelegenes, aber Interessantes, Anspruchsvolles, aber leicht Erklärbares zu präsentieren.

Wenn der Tagesaktualität hinterhergehechelt werden kann und jeder Kleindenker einen Kommentar absondern darf, wie die Welt zu sein hätte, ist schon das Maximum des Möglichen erreicht.

Auch die NZZ ist nicht frei von Bodenkontakten, auch sie zeigt bedauerliche Schwachstellen und Schlagseiten, was beispielsweise den Ukrainekrieg betrifft. Aber sie versöhnt immer wieder:

Der Zürcher Bürkliplatz ist nach Arnold Bürkli benannt. Bahnhofsbrücke, Bahnhofstrasse, Quaianlage, der Ingenieur prägte das Stadtbild von Zürich. Aber er war eigentlich nur der Cousin eines viel bedeutenderen Träger dieses Namens: Karl Bürkli.

Noch nie gehört? Dafür muss man sich nicht schämen, auch ZACKBUM, obwohl historisch gebildet, kannte Karl Bürkli nicht. Dabei hat Karl Bürkli das Wort «Sozialdemokrat» erfunden, war Kommunist vor seiner Zeit, war der grosse Gegenspieler, die Ergänzung zu Alfred Escher. Dem ist ein Monument gleich vor dem Hauptbahnhof von Zürich gewidmet, an Bürkli erinnert nichts.

1823 kam Bürkli als Spross einer bedeutenden Zürcher Familie zur Welt, aber er wurde schnell Abtrünniger und sagte hellseherisch Sachen wie:«Der Kapitalismus hat als Privatraubwirtschaft die Natur verwüstet, die Wälder verheert, den Boden ausgesaugt und das Klima verschlechtert: Dürre und Überschwemmungen, grosse Hitze und starker Frost, dazu die schrecklichen Stürme und Hochgewitter. Und das alles nur um des Profits willen, um Privatreichtümer anzuhäufen.»

Es trieb ihn in die Welt hinaus, er war Mitbegründer einer Kommune in den USA; als die scheiterte, zog er weiter nach Nicaragua, um dann wieder nach Zürich zurückzukehren. Dort hatte er gigantische Erfolge:

«Gegen den Widerstand der Liberalen führt er als Politiker mit der Demokratischen Bewegung die direktdemokratische Verfassung mit Volksinitiative und Referendum ein – in der vielbeachteten Zürcher Revolution von 1869, die Escher und die liberale Regierung stürzt. Ohne diesen radikaldemokratischen Dammbruch besässe die Schweiz heute nicht ihre Volksrechte, die 1874 und 1891 nach dem Beispiel Zürichs in die neuen Bundesverfassungen aufgenommen werden», beschreibt die NZZ sein Wirken.

Aber mehr noch: «Bürkli engagiert sich für die Gründung der Zürcher Kantonalbank, die auch den «kleinen Leuten» Kredite gewährt. Bürkli ruft den Zürcher Konsumverein ins Leben, der viel mehr ist als nur eine Reihe von Läden, in denen man günstig einkaufen kann. Die Genossenschaft, die schliesslich in der Detailhandelskette Coop aufgeht, soll den Zwischenhandel ausschalten, Produktion und Konsumtion einander annähern.»

Mehr noch: «Erfolglos warnt er die Linke vor Autoritarismus und Dogmatismus, vor Blutvergiessen und Revolutionsromantik. Und provokativ deklariert er im hohen Alter das bürgerliche Grand-Hotel als sozialistische Utopie – Luxus für alle!»

Zudem war er offenbar ein witziger Mensch: 

«Warum ich Sozialist wurde? Weil es in Zürich so langweilig war

Der Autor des Artikels Urs Hafner macht als Historiker Werbung für sein Buch: «Karl Bürkli, der Sozialist vom Paradeplatz». Aber genauso natürlich kann es nur die NZZ geben, die dieser Darstellung Platz gibt. Oder könnte man sich vorstellen, dass Nora Zukker – okay, das ist nun unfair.

Aber solange die NZZ solche Stücke, immer wieder, veröffentlicht, ist man bereit, ihr Schwächeanfälle zu verzeihen, die gerade hier bei ZACKBUM kritisiert werden. Aber zugegeben: was man liebt, das kritisiert man scharf, wenn es sich danebenbenimmt.

Dieser Scheinwerfer auf einen völlig vergessenen Bürkli, nachdem eigentlich der Bürkliplatz benannt werden sollte, das ist einfach grossartig. Tiefe Verneigung.

10 Kommentare
  1. René Küng
    René Küng sagte:

    Es tut nur weh.
    Ein Lob für einen anderen Blickwinkel, ein Bürkli der weggeschmolzen wurde wie die Gletscher im Lande, ein grossartiges (nicht das erste Mal) Bekenntnis von einem belesenen Historiker, dass auch er nicht alles gelesen haben kann
    …… und dann kommt als Echo vor allem eine Lawine von unseren Alleswissern, die das Hirn? zugepflastert bekamen, von, warum, für, ‹was die Ukraine blutig erkämpft».

    Was nicht sein darf (Bürkli würde heute in Wochenfrist als Querdenker weg-diffamiert…), ein Sozialdemokrat, wird vom imprägnierten Teil des Forums gerade mal dazu instrumentalisiert, ihr Welt- und Feindbild zu posaunen, feiern, zementieren.
    Pissen auf ein Grab.
    Hat auch nur Platz in der Kleiderordnung, weil Zeyer ein sehr weltoffener Geist ist.

    Den Rest erledigt die moderne, wohlstandsverwahrloste SP gleich selber. Verrat an den Idealen von Bürkli kann es nicht einmal genannt werden: die Beamten-Sozis haben sich verkauft an die Herr*schaft und wollen es partout nicht merken.

    Merci zackbum für die unermüdliche Einladung, Welt zu entdecken.
    Wer schon seit jeher ver- und gekauft war, immer dem Meistbietenden unterworfen, kann es nicht entziffern, erst recht nicht merken.

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  2. Hans von Atzigen
    Hans von Atzigen sagte:

    Hoch interessantes neues aus der Schweizer Geschichte.
    Der Karl Bürkli hat die Direkte Demokratie erfunden.
    Dag kann nicht sein, der hat damals sicher die Landsgemeinde im nahen Schwyz oder eine andere Landsgemeinde als Zuschauer besucht.
    Oder im „Zigerschliz“ wäre auch möglich.
    Oder war an der Zürcher Landsgemeinde zu Uster.
    Da konnte jeder Wehrwillige und Wehrfähige direkt demokratisch mit einer Stimme mitentscheiden. Das sogar als Einzelner oder als Gruppe einen Antrag stellen,über den, nach einer, wenn gewünscht, offenen Debatte im offenen, Hand Mehr abgestimmt wurde. Das ist auf Gemeindeebene bis heute üblich geheime Abstimmungen werden jeweils auf Antrag durchgeführt.
    So nebenbei in den Direkt Demokratischen Kantonen, hat der Bauernkrieg nicht stattgefunden, die Direktdemokratie hat längst ihren seit Jahrhunderten bewärten sehr hohen Wert bewiesen.
    So obendrauf die Griechen haben in der Antike die Direktdemokratie erfunden und NICHT der Bürkli!
    Etwas solideres Update in Schweizergeschichte, könnte nicht schaden.
    Freundlichst H.v.A

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    • René Küng
      René Küng sagte:

      hat das Wort «Sozialdemokrat» erfunden, war Kommunist vor seiner Zeit…….

      das hab ich gelesen, Herr von Alzigen, nichts von Demokratie erfunden.
      Und das ‹Kommunist vor seiner Zeit› wär für sich allein schon ein Kleinod und Türöffner für eine Grossdiskussion.
      Darüber, wie gesponserte Fanatiker jede Volksbewegung und alle Volksbedürfnisse in die Irre führen und pervertieren können – weil herr*schaftsfreiere, echt demokratische Strukturen (danke für Ihre Anmerkungen) von jedem Establishment seit jeher gefürchtet werden, wie das Weihwasser vom Teufel…….
      uuuuups, das wär noch eine andere interessant, laaaaange Geschichte 😉

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  3. Hans Keller
    Hans Keller sagte:

    Grossartiger Kommentar mit Durchblick von Eric Gujer in der heutigen NZZ unter dem Titel „Mit Wunschdenken gewinnt man keinen Krieg“.

    Sehe absolut keine „bedauerliche Schwachstellen und Schlagseiten, was beispielsweise den Ukrainekrieg betrifft“, wie René Zeyer suggeriert.

    In der Schweiz kann bloss noch NZZ-Gujer eine solche tiefgründige Analyse auf Papier bringen.

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    • Sam Thaier
      Sam Thaier sagte:

      Seine Auslegeordnung über diesen barbarischen Krieg bemerkenswert. Eric Gujer schreibt am Schluss pointiert:

      «Zugleich wird Moskau zur Vorbedingung für einen Friedensvertrag erklären, dass Kiew jeder Ambition auf einen Nato-Beitritt abschwört. Bleibt die Nato dann hart, oder wird sie ihren Fehler vom Gipfel in Bukarest 2008 wiederholen? Damals verwehrten Paris und Berlin der Ukraine eine klare und berechenbare Perspektive.

      Bisher hat die Allianz in dem Konflikt das meiste richtig gemacht. Aber eine falsche Entscheidung am Ende genügt, um viel von dem zu verspielen, was die Ukraine blutig erkämpft».

      Die drei Staaten im Baltikum haben wahrlich die richtigen Entscheidungen getroffen, der Nato umgehend beizutreten. Beschämend die Haltung von Frankreich und Deutschland, die dies damals der einstigen Atommacht Ukraine verwehrt haben. Naivität, die nun von der Ukraine und einem grossen Teil der Welt teuer bezahlt werden muss.

      Despot und Kriegstreiber Putin hat nun Russland informationstechnisch vollkommen isoliert. Leute die gegen Putin Opposition machten enden wie die unabhängige Journalistin Anna Politkovskaja. Sie werden von den Schergen des FSB erschossen. Andere die nicht mit der Politik Putins einverstanden sind stürzen aus dem Fenster oder erhalten einen unbekömmlichen Tee mit Nowitschok versetzt.

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      • Beth Sager
        Beth Sager sagte:

        Seit dem 29.März sitzt der amerikanische Journalist Evan Gershkovich im Lefortowo-Gefängnis in Moskau. Der Reporter des „Wall Street Journal“ wurde in Jekaterinburg wegen angeblicher Spionage verhaftet.

        Viele Journalisten haben seither Russland verlassen. Die rigorose Repression und die Willkür verunmöglicht eine unabhängige Berichterstattung aus Russland.

        Nebenbei gedacht: Würde mich schon interessieren, wie der ehemalige Auslandkorrespondent René Zeyer seine journalistische Arbeit in Moskau ausführen könnte……..?

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        • Eveline Maier
          Eveline Maier sagte:

          Bloss Roger Köppel konnte sich schadensfrei äussern bei seinem Besuch Ende April 2023 in Moskau.

          Köppel‘s berauschender Enthusiasmus tönte damals so: «Die Leute hier darben nicht – ganz im Gegenteil»

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          • Slavica Bernhard
            Slavica Bernhard sagte:

            Im Ukraine-Krieg der NZZ und Herrn Guyer nachzueifern, könnte zu einem bösen Erwachen führen. Eigenes Denken und eine etwas weiter gefasste Informationsbasis ist zu empfehlen. Es gibt genügend Idioten und Idiotinnen, die sich für fremde Mächte einspannen lassen. Es geht nichts über Frieden: Machet de Zuun nid zwiet…

          • Therese Saner
            Therese Saner sagte:

            @Slavica Bernhard

            Dem Aggressor Putin nachzueifern, könnte zu einem bösen Erwachen führen.

            Eine bunte Peace-Fahne aufzuhängen, macht noch keinen Pazifisten.

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