Häsler sändelet

Der kälteste (und einfältigste) aller kalten Krieger.

Wenn der Oberst und oberste NZZ-Sicherheitpolitiker Georg Häsler seinen Schreibtisch mit dem Kommandopult eines militärischen Oberkommandos verwechselt, hat der Leser zwei Möglichkeiten. Er lacht sich scheckig – oder ärgert sich schwarz.

ZACKBUM versuchte es bereits mit Ironie: Die NZZ hat schon bessere Samstag-Kommentare gehabt. Dieser hier hisst die weisse Flagge vor Logik oder Verständlichkeit. Dass so jemand als Oberst die Schweiz verteidigen soll, das stimmt nicht gerade optimistisch für die Wehrkraft.

Darüber macht sich allerdings auch Häsler Sorgen: «Die Mittel fürs Militär haben jetzt höchste Priorität». Gut, vielleicht sind das tatsächlich sinnvollere Ausgaben als für Bankenrettungen. Ob allerdings die Schweizer Verteidigungsministerin ihrer Aufgabe gewachsen ist, das wäre dann eine andere Frage. Vielleicht sollte man sie durch Häsler ersetzen (vielleicht ist das auch sein geheimer Wunschtraum).

Aber eigentlich hat er mal wieder Alpträume. Das ist bedauerlich, wieso aber die NZZ-Leser auch darunter leiden müssen? Denn Häsler schaut in die Zukunft, und dabei hat er wohl das ikonische Lied von Leonard Cohen gehört: «I’ve seen the future, baby, and it’s murder».

In der Version von Unke Häsler: «Europa 2030: Im schlimmsten Fall verschmelzen die Konflikte zu einem grossen Krieg». Schon vorher ist allerdings ein schlimmer Fall eingetreten: Häsler bekommt über 10’000 A Platz, um Nitro und Glyzerin zusammenzurühren und dann warnend zu sagen: das ist aber explosiv, bevor es wumm macht.

Oder in seinen banalen Worten: «Es ist Krieg in Europa, aber kaum jemand schaut noch hin. Das ist für die weitere Entwicklung gefährlich.» Die ukrainische Offensive sei zusammengebrochen, analysiert der grosse Sandkasten-Stratege, weil der Westen zu wenig und zu spät Material geliefert habe. Was offenbar – ausser Häsler – keinem der Beteiligten rechtzeitig auffiel. Das ist halt das Schicksal von Sandkastenkriegern: sie wüssten kriegsentscheidende Verbesserungen der Strategie – aber keiner hört auf sie.

Vor allem dann nicht, wenn sie ihren Sandkasten auf die ganze Welt ausweiten. Ukraine in der oberen, rechten Ecke. Dann in der Mitte der Nahe Osten. Rechts unten der Iran, der «ist als machtpolitischer Akteur in die Offensive gegangen». Wieso sagt das niemand dem US-Präsidenten oder der israelischen Regierung?

Man muss eben das Auge für das Wesentliche haben, dann sieht man wie Häsler ganz entscheidende Dinge. Wie was? Wie das: «Im östlichen Mittelmeer standen diesen Oktober für kurze Zeit gleich zwei amerikanische Flugzeugträger nebeneinander.» Zwei. Nebeneinander. Im Stillstand. Wahnsinn. Was sagt uns das? Hm, eigentlich nix.

Aber Wasser ist ein wichtiges Stichwort, selbst im Sandkasten: «Räumlich betrachtet, sind gleich drei Meere – die Ostsee, das Schwarze Meer und das östliche Mittelmeer – Schauplatz einer verschärften Konkurrenz zwischen der Nato, Russland und Iran.» Von den Aspekten des Umweltschutzes ist dabei noch gar keine Rede.

Und was passiert bei uns? Das Übliche, das Traurige, das Schreckliche: «Im Westen zersetzt die Innenpolitik die gemeinsame Widerstandskraft.» Wehrkraftzersetzung wagt Häsler nicht zu schreiben, weil zu angebräunt. Aber meinen tut er genau das.

Dann leidet Häsler darunter, woran alle Zukunftsspäher kranken: «Ob es der ukrainischen Armee gelingen kann, vor dem Frühling die Initiative mit einem militärischen Coup wieder zurückzuerlangen, ist schwer zu beurteilen.» Das ist eben das Blöde an der Zukunft: sie ist so verdammt schwer zu beurteilen, im Gegensatz zur Vergangenheit.

Und was machen die USA? Tja: «Zusätzlich zur militärischen Machtdemonstration legt Washington das ganze diplomatische Gewicht in die Waagschale und versucht auszugleichen.» Ob das gut oder schlecht sei, dazu masst sich Häsler für einmal kein Urteil an. Seltene Bescheidenheit, denn das ist ja nur die Einleitung zu einem Sturmangriff auf die Zukunft: «Die Szenarien, wie sich die Lage unmittelbar entwickeln könnte, müssen laufend geschärft werden. Die folgenden Möglichkeiten sind auf das europäische Umfeld und einen Zeithorizont von zehn Jahren begrenzt».

Immerhin, er beschränkt sich weise, beginnt aber mit einem Schreckensszenario und einem Fremdwort: «Amalgamierung der regionalen Kriege und Konflikte zu einem grossen Krieg autoritärer Kräfte unter der Führung von Russland gegen die Nato.»

Mindestens so schrecklich: «Russland gewinnt: Muss die Ukraine auch nur temporär auf die besetzten Gebiete verzichten, hat sich in Europa die militärische Gewaltanwendung als machtpolitisches Mittel wieder durchgesetzt.»

Am wenigsten schrecklich: «Die Ukraine gewinnt: Das beste Szenario würde die Resilienz der westlichen Welt gegenüber der autoritären Konkurrenz insgesamt stärken.» Resilienz! Leider verzichtet Weltstratege Häsler darauf, etwas militärisch Banales zu tun: was hiesse denn «Ukraine gewinnt» konkret? Rückeroberung aller Gebiete? Inklusive Krim? Da bleibt das Orakel leider dunkel.

Aber dunkle Prognosen sind natürlich immer verfühererischer als helle. Nach kurzem Geeier geht Häsler in die Vollen:

«Im schlechtesten Fall gerät die Lage eruptiv ausser Kontrolle. Eine Eskalation zu einem Grosskrieg, bei dem gleich an mehreren Fronten immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Aggressoren und dem Westen stattfinden, ist denkbar, falls eine der Ereignisketten nicht mehr kontrolliert werden kann. Der Auslöser könnte auch an einer dritten Front stattfinden, etwa durch eine Unabhängigkeitserklärung der serbischen Entität Bosniens oder einen Sabotageakt an einer kritischen Infrastruktur, der eine Strommangellage in Europa verursachen würde.»

Da müssten wir uns warm anziehen; schlimmer noch: «Die europäischen Streitkräfte wären ohne die USA für dieses düsterste Szenario nicht bereit.» Aber schön, dass die USA doch in der NATO sind und damit einen Bestandteil der europäischen Streitkräfte unter einem gemeinsamen Oberkommando bilden.

Nun öffnet Häsler zum Schluss das Kampffeld nochmal ganz weit und schweift in die ferne: «Gerade mit Blick auf die Herausforderungen im Pazifik und die wachsende Konkurrenz mit China sollten auch die Europäer mithelfen, die Konflikte in ihrem Umfeld zu klären.»

Wie das? «Der Einsatz muss erhöht werden, damit ein grosser Krieg verhindert werden kann.» Den Einsatz erhöhen? Sitzt Häsler nun plötzlich nicht mehr vor dem Sandkasten, sondern vor dem Roulettetisch? Alles nur eine Frage des Einsatzes, und «faites vos jeux»?

Es ist alles ja nur eine Spielerei, mit militärischen Ausdrücken garniertes Geplauder über eine Zukunft, die so sein könnte. Oder ganz anders. Oder wie auch immer. Schwarz gewinnt. Oder Rot. Oder Zero. Die Kugel rollt, und niemand kann sie aufhalten. Was für ein gequirlter Nonsens, den die NZZ hier ihren Lesern serviert.

9 Kommentare
  1. H.R. Füglistaler
    H.R. Füglistaler sagte:

    Mit solchen Strategen soll die Streitmacht der Helvetier
    jedem Feind trotzen?
    Gewiss – weil sich der Feind schon vor Erreichen der Grenze
    totlacht.
    Damit ist der Krieg gewonnen!

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  2. Jürg Streuli
    Jürg Streuli sagte:

    So wie die NZZ früher das Kampfblatt schlechthin gegen die Sowjetunion war, führt die Falkenstrasse den Kampf gegen Russland ohne jede Differenzierung munter weiter. Der Kalte Krieg mit seinen einfachen Feindbildern war halt zu schön. Nun beginnt sich die Niederlage der Ukraine abzuzeichnen. Auch auf die Heiligsprechung von Selensky fallen nur noch Naivlinge herein. Die Unterstützung für die Ukraine als «Bollwerk der Freiheit» beginnt zu bröckeln. Wie nur soll die NZZ diese Kurve kriegen? Die Antwort ist völlig klar: Mit noch mehr Polemik gegen die Russen als die Verkörperung des Bösen auf der ganzen Welt.

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    • Sam Thaier
      Sam Thaier sagte:

      Vermisse ihre Differenzierung sehr wohl. Vergessen gar ihren Kriegszaren Wladimir Wladimirowitsch Putin zu erwähnen in ihren Gedankengängen.

      Bin so gerne ein Naivling in ihren Augen…..

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  3. Beth Sager
    Beth Sager sagte:

    Respektiere die Ansichten des NZZ-Sicherheitsjournalisten Georg Häsler. Bin oft selber sprachlos über diese diffuse Weltordnung. Hier ein Beispiel darüber als Denkanstoss:

    Rund 1.6 Milliarden US$ fliessen jährlich in die Indische Raumfahrtbehörde ISRO. Ambitionierte Missionen zum Mond und Mars sind in Planung.

    Wie ist es trotzdem möglich, dass Deutschland bis zum Jahr 2030 der Nuklearmacht Indien mindestens zehn Milliarden Euro bereitstellt für nachhaltige Projekte? Die Wirtschaft Indiens wächst gegenwärtig rasant. Für die Armuts- und Klimawandelbekämpfung verlässt sich Delhi folgedessen auf Entwicklungsgelder aus Deutschland; einer Hilfe, die Berlin gar noch einmal deutlich ausweitet.

    Lese gleichzeitig, dass Deutsche Rentner mit einer Pension von monatlich 500 Euro in Bulgarien leben müssen, wo die Kaufkraft für diese Deutschen noch erschwinglich ist.

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    • Rolf Karrer
      Rolf Karrer sagte:

      Deutschland in einer tiefen Rezession und unterstützt trotzdem Powerhouse Indien grosszügig in seinen Wirtschaftsprojekten. Gut beobachtet Frau Sager.

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  4. Hans Keller
    Hans Keller sagte:

    Teile die Sorgen von Georg Häsler, der nicht bloss Sicherheits-Sandkastenerfahrung hat, sondern u.a. auch ein solides Wissen als Balkan-Korrespondent. Der Traum des Weltfriedens basiert bei ihm über eine Armee, die nicht bloss Alibicharakter hat. Die Drohgebärden des venezolanischen Präsidenten Jair Bolsonaro, gegenüber dem Staat Guyana als letztes Beispiel dieser infamen Machtpolitik.

    Der verklärte und belustigende Blick auf Autokratien macht mich sprachlos. Tragen wir Sorge zu unserer offenen Gesellschaft, die es zu verteidigen gilt. Westliche Werte wie Toleranz und Menschenrechte brauchen eine uneingeschränkte Würdigung gegenüber Despotie und den blindwütigen, fanatischen Mullah-Gewaltreligionen.

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    • Roland Blaser
      Roland Blaser sagte:

      Ein verklärter Blick auf «westliche Werte» scheint mir aber ebenso fehl am Platz. Dass Werte letztlich immer in Tyrannei ausarten hat schon Carl Schmitt festgestellt. Wer sich die Mühe macht, sich der in unseren Breitengraden allgegenwärtigen Russophobie schürenden NATO-Propaganda so gut wie möglich zu entziehen bzw. sich ihrer bewusst zu werden, erkennt auch bald, dass Schmitt damit nicht so falsch lag. Einmischung in fremder Länder Angelegenheiten geht doch mehrheitlich vom Westen aus. Fürs eigene Publikum und Gewissen natürlich immer schön positiv geframet z. B. als Demokratieförderung bzw. Agieren im Interesse der jeweiligen Bevölkerung. Welcher Akteur stellt die eigenen Untaten schon als solche dar?
      Einverstanden, zur Sicherung der eigenen Sicherheit bedarf es einer glaubwürdigen Armee, die nicht bloss Alibicharakter hat. Noch wichtiger scheint mir aber eine abgeklärte und ideologiefreie Aussenpolitik, die geopolitische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen vermag und sich nicht von fremder Propaganda auf schiefe Bahnen lenken lässt. Und da muss ich Herrn Zeyer Recht geben, in diesem Punkt hapert es bei Georg Häsler. Und leider nicht nur bei ihm.

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