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Lob der NZZ

Der Riese im Zwergenland.

Natürlich ist es einfach, bei dieser Konkurrenz oben herauszuragen. Bei CH Media, bei Tamedia – von Ringier und «Blick» ganz zu  schweigen – herrschen nicht nur Mittelmass und inkompetente Bildungsferne. Es existieren schlichtweg die Ressourcen nicht mehr, Abgelegenes, aber Interessantes, Anspruchsvolles, aber leicht Erklärbares zu präsentieren.

Wenn der Tagesaktualität hinterhergehechelt werden kann und jeder Kleindenker einen Kommentar absondern darf, wie die Welt zu sein hätte, ist schon das Maximum des Möglichen erreicht.

Auch die NZZ ist nicht frei von Bodenkontakten, auch sie zeigt bedauerliche Schwachstellen und Schlagseiten, was beispielsweise den Ukrainekrieg betrifft. Aber sie versöhnt immer wieder:

Der Zürcher Bürkliplatz ist nach Arnold Bürkli benannt. Bahnhofsbrücke, Bahnhofstrasse, Quaianlage, der Ingenieur prägte das Stadtbild von Zürich. Aber er war eigentlich nur der Cousin eines viel bedeutenderen Träger dieses Namens: Karl Bürkli.

Noch nie gehört? Dafür muss man sich nicht schämen, auch ZACKBUM, obwohl historisch gebildet, kannte Karl Bürkli nicht. Dabei hat Karl Bürkli das Wort «Sozialdemokrat» erfunden, war Kommunist vor seiner Zeit, war der grosse Gegenspieler, die Ergänzung zu Alfred Escher. Dem ist ein Monument gleich vor dem Hauptbahnhof von Zürich gewidmet, an Bürkli erinnert nichts.

1823 kam Bürkli als Spross einer bedeutenden Zürcher Familie zur Welt, aber er wurde schnell Abtrünniger und sagte hellseherisch Sachen wie:«Der Kapitalismus hat als Privatraubwirtschaft die Natur verwüstet, die Wälder verheert, den Boden ausgesaugt und das Klima verschlechtert: Dürre und Überschwemmungen, grosse Hitze und starker Frost, dazu die schrecklichen Stürme und Hochgewitter. Und das alles nur um des Profits willen, um Privatreichtümer anzuhäufen.»

Es trieb ihn in die Welt hinaus, er war Mitbegründer einer Kommune in den USA; als die scheiterte, zog er weiter nach Nicaragua, um dann wieder nach Zürich zurückzukehren. Dort hatte er gigantische Erfolge:

«Gegen den Widerstand der Liberalen führt er als Politiker mit der Demokratischen Bewegung die direktdemokratische Verfassung mit Volksinitiative und Referendum ein – in der vielbeachteten Zürcher Revolution von 1869, die Escher und die liberale Regierung stürzt. Ohne diesen radikaldemokratischen Dammbruch besässe die Schweiz heute nicht ihre Volksrechte, die 1874 und 1891 nach dem Beispiel Zürichs in die neuen Bundesverfassungen aufgenommen werden», beschreibt die NZZ sein Wirken.

Aber mehr noch: «Bürkli engagiert sich für die Gründung der Zürcher Kantonalbank, die auch den «kleinen Leuten» Kredite gewährt. Bürkli ruft den Zürcher Konsumverein ins Leben, der viel mehr ist als nur eine Reihe von Läden, in denen man günstig einkaufen kann. Die Genossenschaft, die schliesslich in der Detailhandelskette Coop aufgeht, soll den Zwischenhandel ausschalten, Produktion und Konsumtion einander annähern.»

Mehr noch: «Erfolglos warnt er die Linke vor Autoritarismus und Dogmatismus, vor Blutvergiessen und Revolutionsromantik. Und provokativ deklariert er im hohen Alter das bürgerliche Grand-Hotel als sozialistische Utopie – Luxus für alle!»

Zudem war er offenbar ein witziger Mensch: 

«Warum ich Sozialist wurde? Weil es in Zürich so langweilig war

Der Autor des Artikels Urs Hafner macht als Historiker Werbung für sein Buch: «Karl Bürkli, der Sozialist vom Paradeplatz». Aber genauso natürlich kann es nur die NZZ geben, die dieser Darstellung Platz gibt. Oder könnte man sich vorstellen, dass Nora Zukker – okay, das ist nun unfair.

Aber solange die NZZ solche Stücke, immer wieder, veröffentlicht, ist man bereit, ihr Schwächeanfälle zu verzeihen, die gerade hier bei ZACKBUM kritisiert werden. Aber zugegeben: was man liebt, das kritisiert man scharf, wenn es sich danebenbenimmt.

Dieser Scheinwerfer auf einen völlig vergessenen Bürkli, nachdem eigentlich der Bürkliplatz benannt werden sollte, das ist einfach grossartig. Tiefe Verneigung.

Warum sollte er?

Hund beisst Mann – oder Mann beisst Hund.

Auch so eine alte Journalistenregeln, die nicht mehr befolgt wird. Natürlich will Urs Rohner kein Geld zurückzahlen. Warum sollte er auch? Dass er das nicht tut, ist eine sogenannte No-News.

Ungefähr so beeindruckend wie: Heute kam es wieder nicht zu einem Banküberfall. Der Schneefall verursachte keine Massenkarambolage. Die «Republik» ist nicht gerade pleite gegangen.

Wieso titelt dann der «Blick»: «Urs Rohner (63) will kein Geld zurückzahlen!» Wäre er denn dazu verpflichtet? Hat ihn jemand dazu aufgefordert? Gäbe es irgend eine gesetzliche Handhabe, dass er das tun sollte/müsste? Und selbst wenn, was würden seine läppischen 55 Millionen am Schicksal der CS ändern?

Selbst die 32 Milliarden Boni, die in den letzten Jahren seit der Finanzkrise eins ausbezahlt wurden, um einen kumulierten Verlust von 3,2 Milliarden herzustellen, selbst eine Rückzahlung dieses Betrags würde die CS nicht mehr retten. Wenn jeden Tag 10 Milliarden Franken herausmarschieren, dann ist jede Bank zum Untergang verurteilt. Vor allem, wenn sie diesen Exodus nicht stoppen kann.

Nun hätte die CS schon ein paar Voraussetzungen gehabt, um am Leben zu bleiben. Sie wurde 167 Jahre alt, ein Schweizer Wahrzeichen, vom Überindustriellen Alfred Escher gegründet, zutiefst verwoben mit dem Wirtschaftsstandort Zürich, der Schweiz. In ihr haben Generationen von Bankern gedient. Zu Zeiten, als es noch den Begriff Schalterbeamter gab.

Ein Ausdruck der Wertschätzung, denn der war gar kein Beamter. Aber was der tat oder sagte, das war amtlich. Eine unerschütterliche Wahrheit. Er nahm sich Zeit, führte auch ältere Menschen vor dem Schalter geduldig durch alle Schritte einer Überweisung, eines Geldwechsels.

Er wusste um Anlagekriterien wie «wer gut schlafen will, kauft Obligationen. Wer gut essen will, Aktien.» Wurde er nach einem ganz scharfen kurzfristigen Anlagevehikel gefragt, empfahl er Termingeld und machte dazu ein wissendes Gesicht.

Ging es um höhere Summen, eine neue Hypothek, einen Betriebskredit, dann bat er ins Besprechungszimmer. Das war eher karg möbliert, zweckmässig halt, und nur bei wirklich grossen Summen hatte der Schalterbeamte Prokura für das Bestellen eines Kundenkaffees, gegen Weihnachten dann auch mit einem Wernli-Keks auf der Untertasse.

Brachte jemand 100’000 Franken Vermögen auf die Waage, sprach der Schalterbeamte von einer komfortablen Kapitalausstattung, und Kunde wie Banker nickten sich anerkennend zu. Und niemals nicht fragte der Schalterbeamte nach der Herkunft oder dem steuerlichen Zustand der ihm anvertrauten Gelder.

Wozu der nostalgische Rückblick? Weil diese Zeiten gar noch nicht so vergangen sind. Weil Juristen wie Rohner nicht mal einen Posten als Portier bekommen hätten. Weil damals Banking etwas spröde, langweilig, stockseriös und wertschöpfend für alle war.

Und noch aus einem anderen Grund. Wenn der Staat wirklich die Spielregeln bestimmen würde, und die Politik, welche Spielregeln der Staat aufstellt, dann wär Rohner gar nicht in die Verlegenheit gekommen, seine 54 Millionen nicht zurückzugeben. Denn er hätte sie gar nicht verdient …

Ahnengalerie des Grauens

Einmal ist Zufall. Zweimal ist Pech. Ab dreimal ist’s ein Trend.

Es hatte so gut angefangen, wie vieles. 1856 gründete Alfred Escher, der grosse Schweizer Wirtschaftspionier, die Schweizerische Kreditanstalt. Er war dann fast ein Vierteljahrhundert lang ihr erster Verwaltungsratspräsident. Skandalfrei.

Soll weg, fordern manche Verpeilte: Denkmal für Alfred Escher.

1977 machte die SKA mit dem «Fiasko von Chiasso» («Der Spiegel») von sich reden. Die SKAndalbank (Roger Schawinski hat’s erfunden) hatte nicht nur wie damals üblich italienische Schwarzgelder beherbergt, sondern auch noch über eine Viertelmilliarde davon verjuxt. Peinlich, was der damalige Generaldirektor Heinz Wuffli eingestehen musste. Ein paar seiner damals noch 9000 Angestellten hätten sich einer «massiven Verletzung» von «Sorgfaltspflichten und Kompetenzen» schuldig gemacht.

Das konnte die CS dann in den Stehsatz nehmen, nachdem Wuffli zurückgetreten war. Anschliessend kamen so Leuchten wie Robert A. Jeker und Rainer* E. Gut an den Steuerknüppel. Natürlich darf auch Josef «Joe» Ackermann nicht fehlen, von 1993 bis 1996 Präsident der Generaldirektion, bis er die Deutsche Bank ins Elend wirtschaftete.

Dann kam auch noch Mühlemann

Von 1997 bis 2001 versuchte das bei der Credit Suisse Lukas Mühlemann mit seiner Allfinanz-Strategie. Banking, Versicherungen, alles aus einer Hand. Als dann auch noch die Swissair in den Boden flog, wovon er als deren VR nichts mitgekriegt hatte, reichte es: Rücktritt.

Hans-Ulrich Doerig hingegen (2009 bis 2011) kann man nicht viel vorwerfen; er war auch nur als Sesselwärmer für die nächste grosse Pfeife vorgesehen: Urs Rohner. Unter ihm als VR-Präsident ging die CS in einen kontinuierlichen Sinkflug über. Nach dem Muster: geht’s noch schlimmer? Natürlich, die CS zeigt’s immer allen. Die grösste Busse im Steuerstreit, die meisten Bussen überhaupt, kein Skandal in den vergangenen zehn Jahren, in den die CS nicht mehr oder minder verwickelt war.

Im Jahr von Rohners Abgang ein neuer Rekord: der Viererschlag. Zuerst zweimal Milliardenverluste mit luschen Investitionen, dann eins über die Rübe von der FINMA wegen des Beschattungsskandals, und als Sahnehäubchen noch eine halbe Milliarde Bussen für die Verwicklung in einen luschen Milliardenkredit an Mosambik. Von den finanziellen Folgen, Mosambik musste Staatsbankrott erklären, Multimillionenklagen gegen die CS sind noch hängig, ganz zu schweigen.

War das der Tiefpunkt oder geht’s noch schlimmer?

Ach ja, dann gab’s noch Brady Dougan am Steuer, berühmt für den grössten Bonus aller Zeiten in der Schweiz, während der Aktienkurs nur eine Richtung kannte: nach unten. Gefolgt von Tidjane Thiam, der diese Politik erfolgreich, aber viel kürzer fortsetzte.

Wenn der wüsste …

Als einzige Ausnahme ist Oswald «Ossi» Grübel zu erwähnen. Der hatte zwar das Glück des rechtzeitigen Abgangs; das Hyposchrott-Schlamassel und den Steuerkrieg mit den USA musste er nicht mehr verantworten. Aber er zeigte als einziger Banker, der sowohl Boss der CS wie dann der UBS war, was Haltung ist. Als unter seiner Verantwortung ein UBS-Mitarbeiter in London einen Milliardenverlust verursachte, versteckte sich Ossi nicht hinter einem «hab’ nix gewusst, ist nicht meine Verantwortung, habe eine weisse Weste».

Einer wusste noch, was Verantwortung heisst

Wie erzählte er selbst so schön: er sei aus dem Flieger gestiegen, habe sein Handy eingeschaltet und drei Nachrichten seines CFO vorgefunden. «Das ist nie gut», meinte Grübel trocken. Also habe er angerufen und gefragt: «Ist es schlimm?» Als das bejaht wurde, nachgefragt: «Mehr als eine Milliarde?» Als das auch bejaht wurde habe er gewusst: das war’s.

So macht man das, immerhin. Inzwischen sind mal wieder zwei neue Nasen am Gerät, wie heissen die schon wieder?

Das staunte sogar das «Wall Street Journal».

Ach ja, und wieso wäffeln die Medien in der Schweiz (mit ganz wenigen Ausnahmen) erst im Nachhinein über die CS? Weil sie auf das Sponsoring der Bank angewiesen sind? Auf die Inserate? Weil sie ihren Finanzhaushalt bei der Bank regulieren? Weil es Männerfreundschaften gibt? Weil nicht nur die «Weltwoche» immer mal wieder Jubelarien auf den grossartigen Urs Rohner und seine nicht minder grossartige CEOs angestimmt hat?

Oder ganz einfach: weil die drei grossen Medienclans in der Schweiz entweder die UBS oder die CS als Hausbank haben. So einfach ist das dann.

*Die Redaktion bedauert, Arthur Zeyer nicht genauer auf die Finger geschaut zu haben. Dafür kriegt er nun mit dem Lineal eins übergezogen.

Wie man ein Framing installiert

Schweiz – Sklaverei. Ein neues Begriffspaar erobert die Medien.

In der Verhaltenspsychologie ist der pawlowsche Hund das Paradebeispiel für Konditionierung. Einer unbedingten Reaktion, beispielsweise dem Schwanzwedeln bei Freude, kann man eine bedingte Reaktion hinzufügen.

Das erreichte Pawlow, indem er immer eine Glocke ertönen liess, wenn einem Hund Futter gegeben wurde. Nach einer Lernphase begann der Hund auch dann zu sabbern, wenn nur die Glocke läutete – ohne Futter.

Auch Journalisten fangen an zu sabbern

Zurzeit passiert das Gleiche in der Schweiz mit dem Begriffspaar Schweiz – Sklaverei, Sklavenhandel. Moderndeutsch nennt man es nicht mehr pawlowschen Reflex, wenn Journalisten zu sabbern beginnen, sobald dieses Begriffspaar auftaucht. Sondern man nennt es das Entstehen eines Narrativs oder Framing.

Schubladendenken, die Herstellung einer vorhandenen oder neuen Assoziationskette. Eine vorhandene ist zum Beispiel die Farbe Gelb zu Zitrone, sauer. Allerdings gab es bis vor Kurzem keine Assoziationskette von Schweiz über Kolonialismus zu Sklaverei und Sklavenhandel. Denn bekanntlich hatte die Schweiz spätestens nach Marignano anno 1515 allen Grossmachtsfantasien abgeschworen; von da an verdingten sich Schweizer nur noch als Reisläufer fremden Herren.

Pas d’argent, pas de Suisses; nur noch die Bezahlung entschied, für wen die Eidgenossen in den Krieg zogen. Aber die Teilnahme an Eroberungszügen, an der Knechtung und Ausbeutung von Völkern in der Dritten Welt, aktive Beteiligung am Sklavenhandel, das warf niemand der Schweiz vor.

Niemand kam bis vor Kurzem auf die Idee, die Schweiz mit Sklaverei zu verbinden

Ein enges, zu enges Verhältnis zum Apartheitstaat Südafrika, das Lagern von Blutgeld und Reichtümern von Potentaten der Dritten Welt, das waren die schlimmsten Vorwürfe, die man der Schweiz machen konnte. Und dass sie Sitz von Handelshäusern war und ist, die die Warenströme der globalisierten Welt lenken.

Aber niemand, von wenigen Irrläufern abgesehen, wäre auf die Idee gekommen, der Schweiz eine Beteiligung an Sklaverei, an Sklavenhandel vorzuwerfen. Bis die «Black lives matter»-Welle auch über die Schweiz hereinbrach und sich mit dem Kampf gegen Klimaleugner ein Gefecht um die Lufthoheit der dringlichsten Anliegen lieferte.

Man sah auch in der Schweiz tapfere Eidgenossen niederknien, gebeugt unter jahrhunderteschwerer Kolonialschuld, und inbrünstig den Nonsense-Slogan skandierend, dass schwarze Leben Bedeutung haben. Es gab da aber anfänglich ein kleines Problem: Schuldbewusstsein, Leidensdruck, dafür braucht es nicht nur einen Slogan, sondern auch einen Grund.

Man muss heimisch leiden, nicht fremdleiden

Stellvertretend für die unterdrückten Schwarzen in den rassistischen USA leiden, das ist zwar ein Ansatz, aber viel besser wäre es, wenn man sozusagen heimisch leiden könnte. Daher probierte man es zunächst mit dem strukturellen Rassismus. Strukturell ist Rassismus, wenn er irgendwie ist, es aber schwerfällt, ihn dingfest zu machen. Auch der Stellvertreterkrieg gegen Begriffe, Mohrenkopf, Schwarzfahrer, Nickneger, vermochte diese Leerstelle nicht wirklich zu füllen.

Da erinnerte man sich daran, dass die Zeiten der Sklaverei und des Sklavenhandels doch schon länger zurückliegen. Zumindest in Europa und in den USA, denn in Schwarzafrika oder Lateinamerika hielt sich Sklavenhandel noch über viele Jahrzehnte, nachdem er von weissen Männern in aufgeklärten Staaten abgeschafft worden war.

Ein erster Durchbruch für die Sklavereiforschung

Also war es naheliegend, die Annalen der Schweiz zu durchforsten; da müssten sich doch Sklavenhändler, Besitzer von Sklaven, Ausbeuter von Sklaven finden lassen. Allerdings: die Suche gestaltete sich zäher als erhofft. Einen Durchbruch erzielte die Sklavereiforschung in der Schweiz erst, als sie den Neuenburger Mäzen David de Pury als üblen Sklavenhändler enttarnte.

Nun gut, der hatte fast sein ganzes Leben in Lissabon verbracht und als geschickter Geschäftsmann von der portugiesischen Krone gewisse Handelsmonopole erhalten. So ganz direkt war er dann auch nicht in Sklavenhandel verwickelt, man konnte ihm auch nicht vorwerfen, auf seinen Ländereien in der Dritten Welt Sklaven schuften zu lassen.

Schliesslich hatte er der Stadt Neuenburg auch ein gewaltiges Vermögen hinterlassen, als er kinderlos in Lissabon starb. Damit stellte die Stadt einige sinnvolle Dinge an und würdigte ihren spendablen Sohn auch mit einem Denkmal. Aber das muss natürlich weg, dieses Mahnmal für einen Sklavenhändler; Schande über ihn. Nun gut, die Monumente seiner spendablen Erbschaft, die müssen nicht unbedingt niedergerissen werden, denn auch heute noch gilt: pas d’argent, pas de Suisses.

Mit «ein de Pury» misst man nun die Schuldhaftigkeit

Damit war aber der erste Schritt im Framing geglückt. Wir haben einen Massstab gefunden, mit dem sich Schuldhaftigkeit in der Sklaverei messen lässt. Damit kann man skalieren. So entblödet sich die NZZ nicht, anlässlich der aktuellen Scheindebatte um angeblich dunkle Sklavereigeheimnisse Zürichs zu schreiben, dass Alfred Escher «nicht zu vergleichen» sei «mit Figuren wie dem Sklavenhändler David de Pury, dessen Denkmal mitten in Neuenburg zu Recht zur Disposition» stünde.

Damit will die NZZ immerhin das Escher-Denkmal vor dem Hauptbahnhof in Sicherheit bringen, dessen Abbruch selbstverständlich schon gefordert wird. In seltener Einigkeit mit dem «Tages-Anzeiger» fantasiert dann der NZZ-Kommentator wortgleich davon, dass «Zürich seit dem 17. Jahrhundert in mannigfacher Weise mit der Sklaverei verbunden» gewesen sei. Das müsse genauer erforscht werden, behauptet die NZZ, will aber gleichzeitig verhindern, dass diese Selbstbeschuldigung aus dem Ruder läuft: «Moral und Anklage braucht es dafür jedoch nicht.»

Wie soll man anders anklagen als aus heutiger Sicht?

Ein wundersamer Satz, ein entlarvender Satz, ein exemplarischer Satz, wie beim Umgang mit dem Thema Schweiz und Sklaverei es selbst der NZZ die Sinne verwirrt. Wie denn anders wird mit diesem Thema umgegangen als mit heutiger Moral und einem anklagenden Zeigefinger?

Anders ist das gar nicht möglich, denn als sich die Stadt Zürich an einer der damaligen Handelsgesellschaften beteiligte, so wie de Pury, war es weder moralisch verwerflich noch gesellschaftlich geächtet, Sklavenhandel zu betreiben. In Schwarzafrika existierte Sklavenhandel schon Jahrhunderte vor der Kolonisation, und dort existierte er auch noch, als die aufgeklärten Staaten Europas und die USA Sklavenhandel und den Besitz von Sklaven verboten.

Verstehen heisst nicht billigen der entschuldigen

Das macht die Beteiligung damals, und sei sie auch noch so gering gewesen, aus heutiger Sicht nicht weniger abscheulich. Aber eben aus heutiger Sicht. Geht man nicht wie die christliche Religion von einem über die Jahrhunderte und Jahrtausende unveränderlichen und unveränderten Menschenbild aus, dann muss man geschichtliche Epochen aus sich heraus verstehen, um Erkenntnisgewinn zu erzielen. Verstehen heisst natürlich nicht billigen oder entschuldigen. Es heisst aber auch nicht, billig mit der moralischen Überlegenheit der Jetztzeit damalige Verhaltensweisen und Einstellungen abzukanzeln.

Wie absurd das ist, kann man einfach mit einer Komplettierung der damaligen Mentalität exemplifizieren. Für de Pury war Sklavenhandel so selbstverständlich wie die Tatsache, dass der portugiesische König qua göttliches Recht über die Portugiesen herrschen durfte, ohne dass ihm Recht oder Gesetz Fesseln auflegen könnten. Für de Pury war es selbstverständlich, dass alleine durch königliche Geburt sein Nachfolger die Regentschaft übernehmen durfte. Für Escher war es selbstverständlich, dass Frauen weder in der Politik, noch in der Wirtschaft etwas zu sagen haben. Für ihn war es selbstverständlich, dass nur Besitzbürger politische Rechte haben. Für ihn war der Gedanke an Sozialwerke eine irrwitzige Forderung von verwirrten Geistern.

Escher als prägende Figur oder als Sklaventreiber?

Alfred Escher war für Zürich und für die Modernisierung der Schweiz eine prägende Gestalt von gewaltiger politischer und wirtschaftlicher Wirkungskraft. Dass er im Umgang kein angenehmer Mensch war und auch mit vielem scheiterte, so wie er vieles bewegte, das gehört zu seiner Biographie. Dass er zur Symbolfigur zu missraten droht, an der pawlowsche Reflexe antrainiert werden sollen, wenn es um die Herstellung einer Verbindung zwischen Zürich und Sklaverei, Schweiz und Sklavenhandel, Schweizer und Kolonialismus gehen soll, ist unerhört.

Ein Rückschritt, ein Rückfall, eine wahre Bankrotterklärung des Historischen Seminars der Uni Zürich, dessen Mitarbeiter sich für einen solchen unwissenschaftlichen Unfug wie der Spurensuche nach «mannigfaltigen Verwicklungen» Zürichs und der Zürcher in die Barbarei der Sklaverei sklavisch dem Zeitgeist gehorchend hingeben. Dass die NZZ ins gleiche Horn stösst, ist bedenklich.

Sklaven der Schwarzweiss-Sicht

Immer wieder für Fake News gut: Alfred Escher, Zürich und die Sklaven auf Kuba und anderswo.

Wenn sich Autoren mit eher leichtem Rucksack an schwere Themen wagen, kommt aus der dadurch entstehenden Kollision meistens beschädigte Ware zum Vorschein.

Der «Tages-Anzeiger» (Artikel hinter Bezahlschranke) bietet gerade eine volle Dröhnung, was herauskommt, wenn Gesinnung über Sinn oder Unsinn triumphiert.

Da wäre mal die Kolumne von Babara Bleisch. Die Philosophin greift darin weit nach oben und will abrechnen: «Kant, Voltaire oder Hegel seien eben «Kinder ihrer Zeit» gewesen, heisst es, um ihre rassistischen und frauenfeindlichen Aussagen zu entschuldigen.» Aber so leicht entkommen die Denker Rächerin Bleisch nicht: «Das Argument verfängt nicht.»

Angstfreies Denken führt nicht immer zu überzeugenden Resultaten

Denn, so gründelt sie, «Kind seiner Zeit», «so dachte man damals halt», das stünde ja nur für «die Angst davor, frei zu denken», sei gar «selbstverschuldete Unmündigkeit», um mal Kant gegen Kant in Stellung zu bringen. Womit Bleisch mal kurz rund 200 Jahre Erkenntnistheorie in die Tonne haut.

Überhaupt seien die Schriften von Kant, Voltaire, Hegel «teilweise gespickt mit sexistischem, rassistischem oder antisemitischem Gedankengut», weiss Bleisch, verzichtet aber auf jeden Beleg dafür. Also wenn ohne Angst frei gedacht wird und dabei solcher Unsinn herauskommt, kann davon nur dringlich abgeraten werden.

Jetzt ist das dunkle Geheimnis gelüftet: Zürich im Sklavenhandel

Ebenfalls auf Treibsand, vermeintlich historisch abgestütztem Gefilde wandelt der «Tages-Anzeiger», und mit ihm eigentlich die gesamten Deutschschweizer Medien, bei der Berichterstattung über die «Verwicklung Zürichs in den Sklavenhandel» (Artikel hinter Bezahlschranke).

Nachdem das «Magazin» vor drei Jahren die Fake News in die Welt setzte, Alfred Escher habe von Sklaverei profitiert, steht natürlich auch sein Denkmal vor dem Zürcher Bahnhof nicht mehr ganz sicher auf seinem Sockel.

Für den Hobby-Historiker David Sarasin von der Lokalredaktion des Tagi steht fest, dass «für viele hundert Jahre die Verknüpfungen der Stadt Zürich mit dem Sklavenhandel und der Sklaverei weitgehend im Dunkeln» gelegen seien. Aber seitdem man wisse, dass «der Vater von Alfred Escher in Kuba eine Plantage mit 80 Sklaven besass», habe sich das geändert.

Historische Tatsachen ändern sich nicht, nur ihre Interpretation

Was sich allerdings nicht ändert, ist die historische Tatsache, dass der Vater von Alfred Escher keine Plantage mit 80 Sklaven auf Kuba betrieb. Was sich auch nicht ändert, ist die historische Tatsache, dass sich sowohl sein Vater wie Alfred Escher schon erfolgreich vor Gericht gegen entsprechende Verleumdungen zur Wehr setzten.

Was sich schliesslich nicht ändert, ist die weitere Tatsache, dass beide schon ziemlich lange tot sind und sich gegen diesen Unsinn nicht mehr wehren können. Aber diese Fake News nahm – Überraschung – die Zürcher Stadtpräsidentin Corinne Mauch zum Anlass, das Historische Seminar der Uni Zürich damit zu beauftragen, der Sache mal auf den Grund zu gehen. Der Bericht liegt nun vor, und er zeige, «wie mannigfach die Stadt mit diesem dunklen Kapitel der Geschichte verbunden war».

Muss die Geschichte Zürichs umgeschrieben werden?

Es rauschte mal wieder gewaltig im Blätterwald; «Wie Zürich von der Sklaverei profitierte», empört sich srf.ch, «Zürich hatte «vielfältige und relevante Verbindungen» zur Sklaverei», übernimmt «watson» der Einfachheit halber den Titel der SDA-Meldung. «Zürich profitierte vom Sklavenhandel», weiss selbst «zentralplus».

Das ist ja furchtbar; muss nun die Geschichte Zürichs umgeschrieben werden? Haben die Zürcher, schon lange bevor in ihren Banken an der Bahnhofstrasse Blutgelder afrikanischer Potentaten gelagert wurden, die deren Vorfahren durch Sklavenhandel angehäuft hatten, auch selber von Sklaverei und Menschenhandel profitiert? Gab es denn sogar Handelsplätze in Zürich, wo schwarze Sklaven wie Tiere vorgeführt und verkauft wurden?

Lachhafte Erkenntnisse von Gesinnungshistorikern

Gemach, so schlimm war’s dann nicht. Denn bei aller Mühe der Historiker, das grelle Licht der Anklage ins Dunkel leuchten zu lassen, haben sie nur geradezu lachhafte «Verknüpfungen» zu Tage gefördert. So habe die Stadt Zürich 1727 Anteile an der South Sea Company erworben. Gemeinhin ist dem Historiker dieser Name wegen der South Sea Bubble geläufig, einer der ersten Wirtschaftsblasen, deren Platzen viele Investoren ruinierte.

Diesem Schicksal entging Zürich immerhin, aber mit dieser Geldanlage sei Zürich «an der Verschleppung von 36’494 Afrikanerinnen und Afrikanern finanziell beteiligt» gewesen. Noch schlimmer trieb es die halbstaatliche Bank Leu, denn sie investierte in die Compagnie des Indes. Die verschleppte von 1720 bis 1750 insgesamt 42’467 Sklaven nach Amerika, haben die Historiker ausgerechnet. Allerdings räumen sie ein, dass Bank Leu erst «einige Jahre später bei der Firma einstieg». Aber das ist sich gleich, Sklavenhandel ist Sklavenhandel, basta.

Noch kühner ist die nächste Verknüpfung, nämlich in Form des Ankaufs dänischer Staatsanleihen. Denn, was Bank Leu natürlich hätte verhindern müssen, mit diesem Geld kaufte die dänische Krone dann zwei karibische Inseln, auf denen Sklaven arbeiteten.

Bunte Tücher aus Zürich im Sklavenhandel

Geht’s noch absurder? Aber immer. Zürich war ein bedeutender Hersteller von sogenannten Indienne-Stoffen. Diese bunten Tücher wurden nach Frankreich und in andere Länder exportiert. Wo ist da die Verknüpfung? Geduld, hier kommt sie: diese Tücher wurden dann nach Afrika verschifft und dort gegen Sklaven eingetauscht.

Muss man noch erwähnen, dass die Baumwollspinnerei Escher, Wyss & Cie. von Alfred Eschers Vater gegründet wurde? Na und? Also bitte, wie urteilt der Tagi: «Es ist ein Nachweis dafür, dass die hiesige Industrie mit der atlantischen Wirtschaft und damit mit der Skalverei verbunden war.» Vor lauter Erregung verwechselt der Autor hier Sklaverei mit skalpieren, wobei das die Ureinwohner der USA mit den Weissen, aber das ist wieder eine andere dunkle Geschichte.

Auf jeden Fall entstand aus der Spinnerei die Maschinenindustrie, und die trug ja bekanntlich «massgeblich zum Schweizer Wohlstand bei», weiss der Tagi. Interessant, da muss der Historiker und ehemalige Leiter der Alfred-Escher-Stiftung, Joseph Jung, in seinem gerade erschienenen Standardwerk «Das Laboratorium des Fortschritts. Die Schweiz im 19. Jahrhundert», zu völlig falschen Schlussfolgerungen, Einsichten und Herleitungen gekommen sein.

900 Zürcher waren Helfershelfer bei irgendwas

Gut, dass das nun zurechtgerückt wird. Und mit anklagenden Gesten auf «900 Zürcher» gezeigt wird, die zwischen 1638 und 1794 «bei der Unterwerfung, Kolonialisierung und Verwaltung von Gebieten Afrikas und Asiens mithalfen». Pfuibäh, sie «halfen bei der Unterwerfung von Sklaven», ist sich der Tagi mit den Historikern einig. Man fragt sich allerdings, wie viele der tapferen Ankläger in den Medien tatsächlich die 56 Seiten dieses Berichts gelesen haben.

In solchen Fällen ist es üblich, sich zu schämen. Daher schäme ich mich dafür, an diesem Historischen Seminar der Uni Zürich Geschichte studiert zu haben. Sagenhaft, wie das inzwischen runtergewirtschaftet wurde. Denn dieser «Bericht», so gelehrt mit umfangreichen Fussnoten und ausführlicher Bibliographie er auch daherkommt, müsste wegen methodologischen, strukturellen, ahistorischen und argumentativen Fehlern selbst als Seminararbeit zurückgewiesen werden.

Wir müssen einen Ausflug in die Psyche machen

Diese «Beweise», diese hergewürgte «Verknüpfung» Eschers, Zürichs in Sklaverei und Sklavenhandel ist dermassen absurd, dass man sie eigentlich nur psychopathologisch erklären kann.

Offensichtlich leiden diese Forscher – und die Berichterstatter in den Medien – unter dem Diktum, dass die Schweiz für grosse Verbrechen einfach zu klein sei. Also möchte man wenigstens einen Grund haben, wieso sich die Schweiz, Zürich, die Nachfahren Eschers, die SKA, der Gotthardtunnel sich schuldig fühlen und schämen müssen.

80 Sklaven auf einer Plantage auf Kuba, über deren Lebensumstände nichts bekannt ist. Angeblich 900 Zürcher, die irgendwelche Funktionen in Afrika und Asien ausübten. Investitionen in Firmen, die wie eigentlich alle Handelsgesellschaften damals auch in Sklavenhandel verwickelt waren.

Nullsummenspiel: Was man in die Geschichte trägt, holt man aus ihr heraus

Wie es der damaligen Mentalität und Auffassung entsprach. Der es auch entsprach, Tiere so zu halten, dass ein heutiger Tierschutz Amok laufen würde. Der es auch entsprach, Frauen als unmündige, zu keiner eigenen Entscheidung fähige Wesen anzusehen. Der es auch entsprach, Blaublüter als durch Geburt und Herkunft über dem Pleps stehende Menschen zu sehen. Der es auch entsprach, Hexen zu verbrennen, Folter als probates Mittel zur Erlangung von Geständnissen anzuwenden.

Alles aus heutiger Sicht gesehen Abscheulichkeiten. Aber die Geschichte der Sklaverei wäre unvollständig ohne die Erwähnung, dass es weisse Männer waren, die ihr Ende forderten, durchsetzten und dafür sogar einen Bürgerkrieg führten. Während die schwarzen Sklavenhändler in Afrika diesem Geschäft schon lange vor der Kolonialisierung nachgingen und auch dazu gezwungen werden mussten, es aufzugeben.

Angesichts all dieser Barbareien ist es schichtweg lächerlich, ja geradezu unverschämt gegenüber den Tätern und Opfern, mit diesen dünnen Beispielen eine Verwicklung Zürichs in Sklavenhandel und Sklaverei und daraus eine bis heute auf uns lastende Schuld herbeizufantasieren.

Völlig verrutschte Perspektiven

Was ist von «Historikern» zu halten, die einen solchen Stuss schreiben: «Sein 200. Geburtstag im Jahr 2019 wurde durch neue Forschungen des Historikers Michael Zeuske überschattet, die belegen, dass der Onkel Alfred Eschers, Friedrich Ludwig Escher, über knapp drei Jahrzehnte die Kaffeeplantage Buen Retiro auf Kuba mit über 80 Sklavinnen und Sklaven betrieb.» Bei der Bedeutung Eschers für die moderne Schweiz ist das ungefähr so absurd, wie wenn man schreiben würde, Gedenkfeiern für den US-Revolutionär Thomas Jefferson, der in der Unabhängigkeitserklärung der englischen Kolonien unsterbliche Worte über unveräusserbare Rechte des Menschen fand, seien überschattet worden von der Tatsache, dass er nicht nur Sklaven hielt, sondern sich auch mit Sklavinnen fortpflanzte.