Schmierenstück aus dem Hause NZZ

Die Suche nach bekömmlichen Newsquellen wird immer schwieriger.

Eigentlich stellt der Ringier-Verlag keine ernsthafte Konkurrenz für die alte Tante von der Falkenstrasse dar. Zu unterschiedlich ist das Zielpublikum, zu anders die Ansprache und der Anspruch.

Umso befremdlicher, wenn auch in der NZZ die Schmiere Einzug hält. Besser gesagt kaum verhohlene Häme. Nach der NZZ-üblichen Bedenkzeit rechnet Redaktor Lucien Scherrer mit dem Ringier-Verlag ab. Als Mittel der Wahl dient ihm dafür – Überraschung – der deutsche Altkanzler Gerhard Schröder. Immerhin 6500 Buchstaben ist es der NZZ wert, das «Liebes-Aus» zu verhöhnen, als wolle sich der Autor bei der «Glückspost» bewerben.

Schröder, Putin-Versteher und sogar Freund, geschäftlich mit Russland verbunden, und dann Berater von Ringier, diese Steilvorlage will sich Scherrer nicht entgehen lassen. «Jahrelange Kumpanei, viele «Exklusiv»-Interviews», so nimmt der Autor Anlauf, um schnell zu ersten Höhepunkten zu gelangen:

«Vorsorgliche Abrechnung mit einem Appeaser, den man jahrelang hofiert, vermarktet und benutzt hat».

Appeaser, echt jetzt? Denn Scherrer hat das kleine Problem, dass sich Ringier ja gerade von seinem Berater Schröder getrennt hat – und ihn schon vorher massiv kritisierte. Das allerdings nur, bleibt Scherrer unerbittlich, weil man den «im allgemeinen Distanzierungseifer schnellstens fallen lässt, um dem moralischen Nullpunkt selber nicht noch näher zu kommen».

Rückgriff in die Vergangenheit

Blicke in die Vergangenheit sind immer gut, um das Munitionslager in der Gegenwart aufzufüllen. Dafür greift Scherrer auf diverse «Exklusiv»-Interviews zurück; besonders angetan hat ihm eins, das «Blick»-Oberchefredaktor Christian Dorer 2017 führte, «drei Jahre nach der Krim-Annexion». Frage: «Halten Sie Russland für gefährlich? Könnte es weitere Annexionen geben?» – «Schröders Antwort: «Die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert», die Krim hingegen werde kein russischer Präsident je zurückgeben, denn Russland habe sie gar nie abtreten wollen.»

Steilvorlage für einen Schlusspunch: «Die Ukraine lässt Schröder mit seiner Antwort elegant aus dem Spiel, denn sie war und ist nicht «durch die Nato garantiert». Was das heisst, hat sein Freund am 24. Februar gezeigt – und damit nicht nur seine Fans, sondern auch einige Journalisten blamiert.»

Wie sehr blamiert sich allerdings Scherrer selbst, wenn er aus einem Interview, das 12’500 Buchstaben umfasst, alle damaligen Themen abfragt, Merkel, Flüchtlingskrise, neugewählter Präsident Macron, die Schweiz, die Türkei, der Brexit, Präsident Trump, sich auf ganze drei Fragen fokussiert, die zu Russland und der Krim gestellt wurden?

Wie lautete der kurze Abschnitt im Original?

«Halten Sie Russland für gefährlich? Könnte es weitere Annexionen geben?
Die Sicherheit dieser Staaten ist durch die Nato garantiert. Bei der Krim aber prophezeie ich Ihnen: Es wird keinen russischen Präsidenten geben, der die Krim wieder zurückgibt. Dieser Realität muss man ins Auge schauen, ob man es akzeptieren mag oder nicht.

Warum ist das so?
Wenn Chruschtschow 1954 nicht geglaubt hätte, der Sowjetkommunismus werde so alt wie die katholische Kirche, dann hätte er die Krim niemals an die Ukraine übergeben. Es bestand ja kein Grund dafür. Die Russen haben in Sewastopol einen Militärhafen. Wenn die Ukraine Teil der Nato gewesen wäre, und das war der Plan, dann hätte dieser Hafen mitten im Nato-Gebiet gelegen. Eine groteske Vorstellung. Es gibt auch unterlassene Sensibilitäten des Westens gegenüber Russland. Von der Politik der Amerikaner ganz zu schweigen.

Ist es derzeit schwierig, mit Russlands Präsident Putin befreundet zu sein?
Ich bin ein freier Mensch. Und gerade in schwierigen Zeiten ist es doch wichtig, miteinander zu reden.»

Wenn nicht polemischer Wille alle Qualitätsansprüche überfährt: ist das wirklich einer NZZ würdig, hier von einem «Liebes-Aus» zu schwafeln? Zwar zähneknirschend einzuräumen, dass Ringier das Mandatsverhältnis per sofort beendete, Schröder auch zuvor kräftig kritisierte, dann aber süffisant aus uralten Interviews Bruchstücke zu zitieren – ist das nachdenklich-ausgewogener Journalismus?

Wiederholungstäter Scherrer

Auch die NZZ muss beachten: einen guten Ruf erwirbt man sich über Jahre und mit viel Arbeit. Verspielen kann man ihn schnell und fahrlässig. In letzter Zeit wurde viel darüber geschnödet – zu Recht –, dass es um die Qualitätskontrolle bei Tamedia nicht gerade zum besten bestellt sei. Allerdings beweisen Mitarbeiter wie Rafaela Roth oder Lucien Scherrer, dass auch im Hause NZZ dieses Problem existiert. Denn gäbe es eine funktionierende Kontrolle, hätten diverse Artikel nicht erscheinen dürfen. Darunter auch dieses niveaulose Bashing eines Konkurrenten am untauglichen Beispiel.

Während Roth mehr mit Dubletten-Interviews und Backfisch-Jubel auffällt, hat Scherrer schon mal kräftig ins Klo gegriffen, als er belegfrei behauptete: «Gemäss Informationen der NZZ gibt es Pläne, die Printausgabe von «20 Minuten» im nächsten Jahr einzustellen.» Das nächste Jahr wäre 2021 gewesen. Und ein energisches Dementi des Verlags wird zwar kurz erwähnt, aber was soll’s, etwas hängen bleibt doch immer, sagte sich Scherrer damals. Schmiere halt.

 

 

 

 

 

 

 

Wumms: Sportjournalisten

Sind Sportler intelligent? Kann man allgemein nicht beantworten. Bei Sportjournalisten schon.

Die Schweizer Medienkonzerne schenken sich normalerweise nichts. Selbst die NZZ ist sich nicht zu fein, in Boulevard-Manier auf Ringier einzuprügeln. Von Ausfälligkeiten bei Tamedia gegen unliebsame Konkurrenten ganz zu schweigen.

Aber im Bereich Sport gibt es eine blattübergreifende Koalition der Unwilligen. Von Kriegsgurgeln, die Sport als politische Kampfarena entdeckt haben.

Der Tamedia-Redaktor Marco Oppliger beschimpft das Komitee der Paralympics hemmungslos. Russischen Behinderten die Teilnahme nicht zu verwehren, das sei «an Feigheit nicht zu überbieten». Wäffelt der Redaktor feige aus seiner wohlgeheizten Arbeitsstelle.

Schäbiger geht’s nicht mehr; Behinderten diese Möglichkeit nehmen wollen, sich als leistungsfähig und wettkampftauglich zu bestätigen. Da darf auch Steffi Buchli nicht fehlen, Quotenfrau und Chefredaktorin Sport der «Blick»-Gruppe. Sie wurde schon beim Fall Djokovic auffällig und ausfallend.

Statt sich auf ihre Kernkompetenz zu beschränken, schwingt sie sich wieder zur Welterklärerin auf: «Kein Land hat das Recht, in ein anderes, friedliches Land einzumarschieren.» Das ist sehr wahr, da muss die rote Karte gezückt werden, oder?

Nun ja, zuerst muss sich Buchli noch ein wenig für ihre Regierung und so schämen:

«Die Welt schüttelte gerade tagelang verständnislos den Kopf wegen uns, wegen unserer Zauder-Regierung, die lange Lauwarmes von sich gab und schliesslich zum Wochenstart doch noch mit den EU-Sanktionen mitzog.»

Die arme Welt, der muss es ja ganz anders geworden sein, nach tagelangem, ununterbrochenem Kopfschütteln. Nun haben Fifa und Uefa Russland von allen Wettbewerben ausgeschlossen. Das Durchführen von Spielen in Ländern, in denen Diktaturen herrschen und Stadien unter unmenschlichen Bedingungen hochgezogen werden: das kratzt die Verbände – und Buchli – null. Aber hier kann ein Zeichen gesetzt werden: «Der Ausschluss ist der einzig richtige Weg. Neutralität in einem Angriffskrieg gibt es nicht

Nimm das, neutrale Schweiz. Dummheit hingegen ist – neutral betrachtet – nie auszuschliessen.

Auch der Schweizer «Chef de Mission» Roger Getzmann ist in kriegerischer Stimmung: «Der Ausschluss ist im Sinn von Swiss Paralympic

Wir versuchen, den Sinn von Swiss Paralympic zu verstehen. Der besteht also darin, behinderten Sportlern aus Russland die Möglichkeit zu nehmen, an Wettkämpfen teilzunehmen, auf die sie sich jahrelang vorbereitet haben und die für sie ein Lebenshöhepunkt wären? Weil die Regierung ihres Land ein anderes überfällt? War es auch im Sinn von Paralympic, den Ausschluss von US-Sportlern zu fordern, als die USA den Irak überfielen? Oder ist es der Sinn von Swiss Paralympic, Zweifel an der geistigen Unversehrtheit ihrer Funktionäre aufkommen zu lassen?

Das Vokabular  wird rezykliert

Wer meint, die Vergangenheit sei tot: sie ist nicht mal vergangen.

Mit Abscheu blickt der moderne, aufgeklärte Zeitgenossen auf die Medienlandschaft zurück, die den Ersten Weltkrieg mit herbeischrieb und anschliessend mit Hurra-Patriotismus befeuerte.

Einige Begriffe wie Patriotismus, Feld der Ehre, Defätist, Volksverräter oder Vaterlandsverräter sind etwas aus der Mode gekommen. Der Hitler-Faschismus ergänzte zudem das Wörterbuch des Unmenschen um einige Begriffe, die bis heute dermassen angebräunt sind, dass es niemand wagt, von einem Endsieg oder einem totalen Krieg zu schwafeln.

Aber es bleiben noch genügend Möglichkeiten, die damaligen Dümmlichkeiten in die Jetztzeit zu transportieren.

Wie in jeder Schwarzweiss-Szenerie braucht es einen Helden. Also eigentlich viele Helden, überstrahlt von einem Superhelden. Dafür ist der ehemalige Komiker und Schauspieler Wolodymyr Selenskyj prädestiniert. Politische Unerfahrenheit, ohne Programm gewählt worden, Abhängigkeit vom Oligarchen Ihor Kolomojskyj; Briefkastenfirma auf einer Steueroase – was soll’s.

Held gegen Schurke, das ewige Narrativ

Nun ist Selenskyj der Held, der tapfere Widerstandskämpfer, von Putin unterschätzt, der im telegenen militärgrünen Shirt auftretende Anführer, der weiss, wie man knackige One-Liner präsentiert. So sagte er aufs Angebot, ihn sicher ausser Landes zu transportieren, dass er keine Mitfahrgelegenheit brauche, sondern Waffen.

Dagegen wirkt natürlich der humorlose, wenig charismatische, herrische und zu Monologen neigende Präsident Putin wie der geborene Verlierer.

Einen Helden, einen Schurken hat das Stück. Aber das Publikum darf natürlich nicht einfach stumm im Saal das Geschehen auf der Weltbühne verfolgen. Es ist zum aktiven Eingreifen aufgefordert. Wie das? Nun, die englische Verteidigungsministerin empfiehlt zum Beispiel, sich bewaffnet dem Widerstand gegen die Invasion anzuschliessen. Ist zwar illegal und gefährlich, aber ein Beispiel dafür, was zu Zeiten des Ersten Weltkriegs noch nicht so im Schwang war: ein Zeichen setzen.

Zeichen setzen ist ganz wichtig geworden.

Noch besser ist nur, andere dazu aufzufordern. Das ist das Geschäft der Politiker.

Neben dem unablässigen Zeichensetzen und dem unverbrüchlich Solidarischsein ist ein gnadenloser Boykott von allem Russischen gefordert. Sportler? Ausschliessen. Künstler? Boykottieren. Lebensmittel? Nicht mehr kaufen. Russische Literatur, Kunst, Musik? Nur dann erlaubt, wenn sie putin-kritisch ist.

Drittes Ingredienz in diesem Gebräu: klare Kante gegen Putin-Versteher. Die sind noch schlimmer als zuvor die Corona-Leugner. Gar nicht beachten. Ausgrenzen. Verachten. Differenzierung und Verständnis und Analyse, das war gestern. Heute ist Bekenntnis gefragt. Klare Verurteilung. Distanzierung. Beschreibung von Abscheu, bedingungslose Verurteilung.

Jeder, der ein nachdenkliches Wort wagt, weder billigen, noch verurteilen, sondern verstehen will: Putins Helfershelfer, Fünfte Kolonne, Moskau einfach, wieder mal.

Gibt es heute mehr Dummheit als vor 100 Jahren?

Schwappt das unendliche Meer der Dummheit heutzutage höher als vor 100 Jahren? Es könnte einem so vorkommen, aber das ist auch eine Fehlanalyse. Der Meerespegel ist wohl immer noch gleichhoch wie damals. Nur schwappt einem dieser Schlamm in die eigene Wohnung, ergiesst sich aus allen elektronischen und digitalen Medien, quillt aus dem Bildschirm des Computers oder des Smartphones. Verstärkt sich, gischtet auf in den Echokammern der sozialen Medien.

Wenn man sieht, liest, hört, bekommt man häufig das dringende Bedürfnis, sich länger unter die Dusche zu stellen.

Wenn die Vergangenheit nicht mal vergangen ist, wiederholt sie sich dann auch? Erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gab es Atomwaffen. Sie wurden eingesetzt. Das stimmt nicht fürchterlich optimistisch heute.

Drôle de guerre

Sitzkrieg, komischer Krieg, phony war. Auch das gab’s im Zweiten Weltkrieg.

ZACKBUM gestattet sich, diesen Begriff für Randerscheinungen des Ukraine-Kriegs zu verwenden.

Denn der Krieg ist überall. Auch in der Sphäre der Kunst und Kultur. Die russische Sängerin Anna Netrebko wurde vom Opernhaus Zürich der Stecker gezogen. Hatte sie sich im Ton vergriffen, gab es künstlerische Differenzen über die Lokalisierung des hohen C?

Keineswegs, die kunstlose Begründung lautet, «dass unsere entschiedene Verurteilung von Wladimir Putin und seinem Handeln einerseits und Anna Netrebkos öffentliche Position dazu andererseits nicht kompatibel sind». Was soll mit dieser Position Netrebkos nicht kompatibel sein? «Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können. Das erhoffe ich mir und dafür bete ich.»

Oder könnte es sein, dass nicht das Opernhaus auslud, sondern Netrebko ihr Statement auch auf Zürich bezog: «Es ist nicht die richtige Zeit für mich aufzutreten und zu musizieren. Ich hoffe, dass mein Publikum diese Entscheidung verstehen wird

Also der klassische Showdown. «Ich kündige», sagt der verstimmte Arbeitnehmer. «Ha, keinesfalls, Sie sind gefeuert», keift der missgelaunte Arbeitgeber zurück.

Wieso kam es überhaupt zu dieser Situation? Der Tagi weiss: «So wurde gefordert, dass ein Auftritt von Netrebko nur stattfinden sollte, wenn sie sich unverzüglich von Russland und Putin distanzieren würde.»

Wieso wird diesem Wahnsinn nicht entgegengetreten?

Welche Schiessscharten-Mentalität bringt solche Absurditäten hervor? Darf eine Sopranistin die Lady Macbeth nur singen, wenn sie vor der Arie eine kurze politische Erklärung verliest? Sind wir wirklich so weit, dass die Frage «wie hältst du es mit Putin?» von jedem in jedem Zusammenhang beantwortet werden muss? Welche moralinsaure Grossinquisitoren kommen auf solche Ideen? Und wieso wird diesem absurden Ansinnen nicht mit aller Klarheit entgegengetreten?

Der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wurde vom Oberbürgermeister der Stadt ultimativ aufgefordert, sich per sofort «eindeutig und unmissverständlich vom brutalen Angriffskrieg, den Putin gegen die Ukraine führt», zu distanzieren. Als  Valery Gergiev dem nicht nachkam, wurde er gefeuert. Dass deswegen der deutsche Steuerzahler wohl das streng geheimgehaltene Gehalt des Dirigenten noch drei Jahre lang bezahlen darf, nun, das muss einem Haltung doch wert sein. In diesem Fall dürfte es sich um läppische drei Millionen Euro handeln.

Flexibler ist der Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Der Russe Vladimir Jurowski liess ausser Programm die ukrainische Nationalhymne erschallen, «während das Publikum sich von den Sitzen erhebt». Zeichen setzen, nicht schweigen können, diese Stelle scheint gerettet und gefestigt zu sein.

Kann Kunst politisch sein? Unbedingt. Sollen Künstler zu politischen Stellungnahmen aufgefordert werden mit der Drohung, dass sie sonst Auftritt oder Stelle verlieren? Unbedingt nicht. Darf man das wenigstens bei Künstlern machen, die angeblich oder wirklich «Putin nahestehen»?

«Wie hältst du es mit, bist du dafür oder dagegen?» Das ist die klassische inquisitorische Frage, die normalerweise in fundamentalistischen Religionsstaaten gestellt wird. Wer früher in Europa kein klares Bekenntnis zu Gott ablegte oder Zweifel an der Bibel äusserte, konnte unangenehm Bekanntschaft mit ingeniösen Folterwerkzeugen machen, mit denen man seine unsterbliche Seele retten musste.

Fundamentalistische Staaten fordern das bis heute ein

In vom islamistischen Wahnsinn beherrschten Staaten ist das bis heute der Fall. Im Kalten Krieg war es auch Brauch, von jedem eine Distanzierung vom damaligen roten Reich des Bösen abzufordern.

Wer nicht den Kopf neigte und tiefsten Abscheu vor den gottlosen Kommunisten beteuerte, konnte durchaus gröbere Konsequenzen gewärtigen. Eigentlich so wie heute wieder. Öffentliche Stigmatisierung, Beschimpfung, Entlassung.

Das gerade auf dem Gebiet der Kunst solche Polit-Ayatollahs unterwegs sind, beelendet. Als wäre es jemals jemandem eingefallen, von einem US-Künstler zuerst eine deutliche Distanzierung von den gesammelten Kriegsverbrechen diverser US-Präsidenten zu verlangen und davon seinen Auftritt abhängig zu machen.

Natürlich werden mit viel Hirnschmalz Gründe aufeinandergestapelt, wieso man keine Musik hören könne, sollte sie unter Beteiligung eines Künstlers aufgeführt werden, dem

a) eine gewisse Nähe zu Putin nachgesagt wird, und der

b) sich nicht entrüstet von ihm distanziert hat.

Vermeintliche Rechtschaffenheit und moralische Überlegenheit kann ganz, ganz schnell in moralinsauren Mundgeruch mit hohem Fanatismusfaktor umschlagen. Und nein, ZACKBUM will und muss sich nicht von Präsident Putin distanzieren. Wir hatten noch nie die Ehre, an diesem absurd langen Tisch sitzen zu dürfen. Wir hätten auch keine Lust, mit nacktem Oberkörper neben ihm zu reiten. Zudem will es scheinen, dass Putin ein zutiefst humorloser Mensch ist, was seine Gesellschaft sowieso als nicht erstrebenswert erscheinen lässt.

Neben dem Gesang und dem Orchester gibt es auch noch den völkerverbindenden Sport. Da beginnen am Freitag in Peking die Paralympics, also die olympischen Spiele von Behinderten. Was nun auf jeden Fall eine gute Sache ist, weil es so vielen erlaubt, trotz Einschränkungen stolz und öffentlich an Wettkämpfen teilzunehmen. Das dürfen auch die Sportler aus Weissrussland und Russland.

Dieser regelkonforme Entscheid des Internationalen Paralympischen Komitees (IPK) kommt nun aber dem militanten Sportredaktor Marco Oppliger ganz schräg rein:

Hoppla, wieso springt denn der Tamedia-Mensch in den Schützengraben und lässt sein verbales Maschinengewehr rattern? Zitieren wir eine Garbe:

«Das IPK will mit seinem Entscheid offensichtlich die betroffenen Länder bestrafen, aber nicht deren Sportlerinnen und Sportler. Das mag gut gemeint sein. Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ganz im Gegenteil: Der Entscheid des IPK ist an Feigheit nicht zu überbieten. Seit Tagen lässt Putin die Ukraine bombardieren. Dabei sterben immer mehr Menschen – nicht nur Soldaten, auch Zivilisten, Frauen und Kinder. Nun müssen ukrainische Sportlerinnen und Sportler gegen russische antreten, und dies nur, weil sich das IPK hinter Paragrafen versteckt.»

Das muss so schlimm gewesen sein, dass sogar hartgesottene Sportfunktionäre zusammenbrachen: «Geradezu fassungslos machen die Erzählungen von Karl Quade, dem deutschen Chef de Mission bei den Paralympics, in der ARD. Im Haus der russischen Delegation sei Jubel ausgebrochen, als IPK-Präsident Andrew Parsons den Entscheid verkündet habe, sagt Quade. Dann muss er das Interview sichtlich betroffen unterbrechen.»

Man stelle sich nur vor: die russischen Athleten haben gejubelt. Diese Unmenschen. Wie können die nur das wollen, was jeder Sportler will und worauf er sich vier Jahre lang vorbereitet: an den Wettkämpfen teilnehmen. Aber hätten diese Behinderten nur etwas Ehre im Leib, wären sie in Tränen ausgebrochen, hätten den deutschen Chef umarmt und darum gebeten, den Entscheid sofort rückgängig zu machen.*

Aber eben, auch auf Oppliger hört halt niemand, selbst wenn er mit Verbalinjurien um sich wirft. Feige von seinem Schreibtisch aus im mit russischem Erdgas wohlbeheizten Büro. Was für ein Schmock.

Letzter Beitrag zum drôle de guerre: Coop und Globus lassen ihre russischen Produkte auslaufen. Das wird die Russen in der Diaspora hart treffen: kein Wodka mehr, kein Kaviar? Sauf ihn doch selbst, Putin! Gemach, im Kapitalismus gibt es immer Mitbewerber, die gerne in die Lücke springen, die Verpeilte hinterlassen.

*Aktualisiert: Es ist gelungen; die Sportler sind nun doch von den Paralympics ausgeschlossen. In normalen Zeiten würde man das Diskriminierung von unschuldigen Behinderten nennen. Heute nennen es Kriegsgurgeln wie Oppliger sicher mutig und richtig.

Alles wird gut: Gysling ist wieder da

Es kann nur einen geben. Erich Gysling ordnet wieder die Welt. Scholl-Latour schaut von oben zu.

Er ist Nahost-Experte. USA-Kenner, vertraut mit China. Afrika. Lateinamerika. Natürlich auch Russland. Arktis oder Antarktis, nichts ist ihm fremd. Er ist kein Spezialist, sondern ein Generalist. Seit Peter Scholl-Latour nicht mehr unter uns weilt, ist er der Letzte seiner Art.

Auch mit 85 Jahren und nur echt mit Halstuch, bringt er alle Voraussetzungen mit, um die komplizierte, unverständliche Welt in verständliche Häppchen zu zerlegen. Auch nach vielen Jahren noch mit dieser angenehmen TV-Stimme und diesem weltmännischen Flair. Dieser Mann verdient Vertrauen.

Nun ist er auch noch Sicherheits-Experte geworden, auf seine alten Tage. In dieser Eigenschaft hat ihn «Blick TV» vor die Kamera geholt. Ganze 25 Minuten lang darf er uns die Ukraine erklären. Damit das den «Blick»-Zuschauer nicht überfordert, wurde das Marathon-Interview in drei Abschnitte aufgeteilt.

Schon ganz am Anfang zeigt Gysling, dass er im Kopf immer noch viel vifer ist als der «Blick»-Moderator. Der steigt nämlich mit der Frage nach einem «Flugverbot» über der Ukraine ein. Gysling erklärt dann des Langen und Breiten, dass ein solches Flugverbot gar nicht durchsetzbar oder möglich sei, weil es zu einer direkten Konfrontation zwischen NATO und Russland führen würde. Wobei beide Seiten über Atomwaffen verfügen.

Klare Antwort, aber der Moderator muss seinen Zettel abarbeiten und fragt nach: «So ein Flugverbot hätte also grosse Auswirkungen auf den Krieg?» Da zeigt sich nun die überlegene Souveränität eines  TV-erprobten Urgesteins. So jemanden könnte man dreimal hintereinander nach seiner Wetterprognose für morgen fragen. Und bekäme dreimal eine höfliche, leicht abgewandelte Antwort.

Flüssige Wiederholung von längst Bekanntem

Also macht Gysling nicht den Helmut Schmidt und staucht den Moderator nicht zusammen, mit der eigentlich fälligen Bemerkung: das haben Sie doch gerade schonmal gefragt, und ich hab’s beantwortet. Sondern mit der Engelsgeduld, die man auch einem begriffsstutzigen Schüler gegenüber aufbringt, erklärt Gyling nochmal, dass das Flugverbot schon eine riesige Auswirkung hätte, da es aber nicht verhängt werde, hat’s dann doch keine.

Die übrigen Minuten des Interviews füllt Gysling mit flüssiger Wiederholung von längst Bekanntem. Erstaunlich zahlensicher, erstaunlich eloquent, ein Profi halt. Auch den ganz grossen Fragen weicht er nicht aus. Ob es einen Atomkrieg geben könne? «So wahnsinnig ist Putin nicht», beruhigt Gysling. Zumindest hoffe er das schwer.

Leicht irrtiert wirkt er höchstens, als der Experte für alles am Schluss gefragt wird, wie es denn wohl weitergehe in der Ukraine. Da muss er eingestehen, was wiederum von Grösse zeugt, dass er auch nicht in die Zukunft blicken kann und deshalb keine Ahnung habe. Militärisch sei es sicherlich eine klare Sache, aber wenn Russland die Hauptstadt der Ukraine erobert hat und eine Marionettenregierung einsetze, was das dann mit der Ausübung der wahren Kontrolle oder Macht zu tun haben werde, keine Ahnung.

Länger hatte Gysling geschwiegen; ZACKBUM machte sich schon Sorgen, wie lange es die Welt ohne seine Ratschläge, Einschätzungen und Erklärungen aushält. Aber jetzt ist er wieder da, alles wird gut.

Wir verleihen Gysling zudem einen neuen Titel. Er ist auch der Meister in der höflichen Beantwortung dümmlicher und repetitiver Fragen. Das muss man auch mal bringen. Ausführlich erklären, wieso etwas nicht stattfinden wird. Um dann gefragt zu werden, was es denn für Auswirkungen habe, geschähe es eben doch.

Wumms: Mauro Mantovani

Wer wird Chefexperte? Hier der zweite Versuch des «Blick».

Immerhin: Mauro Mantovani ist Head, Department of Strategic Studies bei MILAK at ETH Zurich. MILAK steht für Militärakademie. Wenn man Wikipedia glauben darf, ist das die «Ausbildungsstätte für die Aus- und Weiterbildung der Berufsoffiziere der Schweizer Armee. Sie ist ein national und international anerkanntes Kompetenzzentrum für Militärwissenschaften».

Allerdings muss man sich Sorgen um die Ausbildungsqualität der Schweizer Offiziere machen. Denn ein leicht zerstreuter «Head» stottert im «Blick TV» vor sich hin und hat gelegentlich Mühe, einen Satz korrekt und siegreich zu beenden.

Mantovani hat immerhin eine interessante Erklärung, was die Ausrufung erhöhter Alarmbereitschaft bedeute. Don’t panic, nun könne der Befehlshaber vor Ort, bspw. in einem Atomsilo, den Entscheid nicht mehr autark treffen. Es handle sich vielmehr um eine «Straffung der Entscheidungsstruktur».

Ohä. Vorher konnte laut dem «Head» also ein Kommandeur, sagen wir auf der Halbinsel Kamtschatka, einen Atomkrieg entfesseln, wenn ihm seine Videospiele zu langweilig geworden wären?

Nun aber sei es so, dass Putin wohl nicht alleine losschlagen könne; auch der Verteidigungsminister und der Militärchef sässen dann an dem Tisch, «wo der rote Knopf äh, äh angebracht ist». Hoffentlich ist das nicht dieser lange, weisse Tisch, an dem Präsident Putin vor der Invasion ausländische Staats- und Regierungschefs empfing.

Das wird uns sicher wieder Minuspunkte in der Bewertung als genderneutrale Institution eintragen, aber wir können es nicht lassen, bei diesem Screenshot die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die Lippen der Moderatorin zu lenken. Wir haben da einen Verdacht, den wir aber nicht äussern wollen.

Zürich zeigt’s Putin

Dem Kreml-Herrscher ist ein neuer, furchtbarer Feind erwachsen.

Es gibt das Zürcher Kantonsparlament. Das parlamentiert normalerweise so vor sich hin; manchmal gehen die Wogen hoch. Aber das kräuselt dann nicht mal den Zürichsee, und ausserhalb des Kantons interessiert das meistens nicht wirklich.

Deshalb hat Präsident Putin sicherlich den Fehler gemacht, nicht mit dem Zorn dieser Parlamentarier zu rechnen. Der entlud sich in einer von allen Fraktionen unterzeichneten Erklärung. Sie beginnt mit Pathos: Der Angriff von Russland sei «der bisher traurigste Moment unserer Generation in Europa».

Deshalb fordern die Parlamentarier Russland ultimativ auf, die Kriegshandlungen in der Ukraine sofort einzustellen. Leider gibt es keine Anzeichen, dass sich der russische Bär daran hält. Dann fordern die Parlamentarier die Kantonsregierung auf, sich in Bern für eine «härtere Gangart gegen Russland» einzusetzen.

Noch härter? Wie wäre es mit einem Ultimatum? Sollte Russland nicht sofort die Kampfhandlungen einstellen, dann, öhm, nun ja, dann wird die Schweizer Luftwaffe eingreifen. Vielleicht doch lieber nicht. Dann wird die Schweizer Armee ihre Kavallerie ausschicken? Oh, abgeschafft. Das Radfahrer-Bataillon? Verflixt, auch weg. Den Code der Schweizer Chiffriermaschinen veröffentlichen? Ach, auch schon bekannt.

Was tun? Alphornblasen für den Frieden? Tellerrollen gegen den Krieg? Jodeln für die Freiheit? Hissen der ukrainischen Fahne? Stirnrunzeln? Zeigefingerwackeln?

Schwierige Fragen. Der schwierigsten musste sich natürlich die kantonale SVP stellen. Wieso sie denn mitunterzeichnet habe, wo doch SVP Schweiz gegen das Mitmachen bei den EU-Sanktionen sei? Das sei etwas «unglücklich formuliert» räumt der Präsident der SVP-Fraktion im Kantonsrat ein. Aber wichtiger sei: «Wir wollen gemeinsam unsere Ohnmacht zum Ausdruck bringen und unser Mitgefühl für die ukrainische Bevölkerung.»

Ohnmacht ist gut.

 

 

Neue olympische Disziplin

Wettkämpfe müssen nicht körperlich sein.  Es gibt eine neue geistige Übung.

Die Reihe wird lang werden. Wir eröffnen sie mit Raphaela Birrer. Die «ausgebildete Lehrerin hat auf Primarstufe unterrichtet» und «Publizistik, Politologie und Geschichte an der Universität Zürich studiert». Mit oder ohne Abschluss, man weiss es nicht. Auf jeden Fall ist sie im Rahmen der Frauenoffensive «seit 2022 Mitglied der Chefredaktion Tamedia. Zudem leitet sie seit 2019 das Inland-Ressort der Mantelredaktion».

Also nicht niemand; ihre Stimme hat Gewicht. Leider. Immerhin, der Bundesrat kann aufatmen. Die strenge Lehrerin ist gnädig mit ihm:

«Der Entscheid des Bundesrats ist richtig – und schlicht alternativlos. Wir müssen uns in diesem Krieg entschieden auf die Seite des Rechts, der Freiheit und der Demokratie stellen.»

Indem die neutrale Schweiz auf Drängen des Auslands die EU-Sanktionen übernimmt, ohne Mitglied der EU zu sein. Also hat der Bundesrat nur knapp bestanden und muss nachsitzen: «Trotzdem hinterlässt der Entscheid einen schalen Nachgeschmack.»

Bevor dagegen eine Mundspülung helfen könnte, wieso denn das? Na, weil der Bundesrat eine Versammlung von Laueri ist: «In anderen westlichen Ländern haben die Regierungen angesichts der militärischen Gewalt Russlands rasch reagiert und radikale Massnahmen erlassen

 

Dagegen herrscht in Bundesbern Larifari: «Schuld an dieser Fehleinschätzung waren schlecht vorbereitete Departemente, aber auch eine kleinkrämerische Kultur im Bundesrat.» Da muss nun die Lehrerin ganz streng werden und Grundsätzliches erklären: «Die Schweiz darf nicht militärisch in Konflikte intervenieren. Ansonsten hat der Bundesrat Spielraum, die Neutralität der weltpolitischen Lage entsprechend auszugestalten. Davor schreckte er offensichtlich zurück.»

Ihr Angsthasen, donnert Birrer vom Katheter: «Die Schweiz ist in ihren zentralsten Werten zu wenig gefestigt.» Was kann man da tun? Strenge Erziehung, klare Kante, Nachsitzen und Strafaufgaben erledigen: «Hier muss – nicht nur im Umgang mit Russland – ein Umdenken stattfinden.» Die sieben Bundeszwerge müssen je hundert mal ins Reinheft schreiben: Wir müssen umdenken.

Denn sollte das nicht passieren, schwant Birrer ganz Übles, Abgründiges, Schlimmes. Sie sagt nur Russland, sie sagt nur China. Sie sagt nur «anderes Wertesystem», sie sagt nur «ein bewusst vom Westen abgegrenzter Normenraum», was immer das sein mag.

Eine Warnerin und Mahnerin, die Kassandra von der Werdstrasse

Sie warnt und mahnt, sollte dieses Umdenken nicht stattfinden, und morgen werden die Hausaufgaben abgefragt in Bundesbern – wehe, wer da schwänzt –, wer nicht umgedacht hat, bekommt’s mit dem Lineal zu tun. Denn: «Bleibt die Schweiz in diesem Kräftemessen unentschlossen, droht sie zerrieben zu werden

Kein Käsefondue mehr, stattdessen Reibekäse? Keine Neutralität mehr, stattdessen «entschiedene Stellungnahme»? Es gibt noch Hoffnung für die Schweiz. Aber nur, wenn die sieben Zögerer von Bern unter Führung der Weltstrategin Birrer entschlossen in die richtige Richtung marschieren.

Allerdings: Ob man wohl auch bei Tamedia schon davon gehört hat, dass auch Lächerlichkeit töten kann?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das erste Opfer des Kriegs

Nein, das ist nicht die Wahrheit. Weil es immer nur Wahrheiten gibt.

Das erste Opfer eines Kriegs ist die Bereitschaft zur Nachdenklichkeit. Ist der Verlust der Einsicht, dass niemand die Weisheit mit Löffeln gefressen hat. Stattdessen ist der Wettbewerb eröffnet: wer formuliert mit möglichst wenig Kenntnissen eine möglichst starke Meinung?

Dabei gibt es bislang nur eine unumstössliche Tatsache: Es ist ein durch nichts zu rechtfertigender Angriffskrieg. Es ist keine präventive Verteidigung. Es ist keine Aktion zur Entnazifizierung und auch nicht zur Verhinderung eines Genozids.

Sonst aber ist es alles, was Grossmächte halt ab und an so tun. Was die USA samt ihren westlichen Verbündeten in Vietnam, in Afghanistan, im Irak und in den Gebieten des sogenannten arabischen Frühlings taten und tun. Es ist das, was die europäsichen Verbündeten und die NATO insgesamt in Jugoslawien taten. Einen völkerrechtswidrigen Krieg zu führen nämlich, der nicht zuletzt in der völlig illegalen Abspaltung des Kosovo von Serbien endete, begleitet von Massakern allerorten.

Das macht die serbische Regierung nicht zu einer Versammlung von Chorknaben, genauso wenig wie die ukrainische. Noch 2014 gab es die Beteiligung von Neofaschisten an der ukrainischen Regierung, bis heute spielt das Regiment Asow, dem ukrainischen Innenministerium unterstellt und voller bewaffneter Neofaschisten, eine unrühmliche Rolle.

Die armen, uninformierten Russen

Weit verbreitet ist das Bedauern, dass die russische Bevölkerung leider nur von staatlich gelenkten Medien beschallt werde, was natürlich die Zustimmungswerte für Diktator Putin erkläre. Das ist ein typisches Beispiel für fehlende Fähigkeit zur Differenzierung.

Es ist grundsätzlich richtig, dass beispielsweise der auch auf Deutsch erhältliche Sender «Russia Today» die Karikatur eines nach journalistischen Prinzipien arbeitenden Newsverarbeiters ist. Die russischen TV-Programme, die grossen russischen Zeitungen, unbrauchbar. Aber: dank Internet kann sich jeder Russe, etwas Gelenkigkeit vorausgesetzt, beliebig informieren, aus allen erhältlichen Nachrichtenquellen der Welt.

Was die Schweizer Mainstream-Medien bieten, unterscheidet sich nicht gross von der disqualifizierenden Berichterstattung über die Pandemie. Repetitive Schwarzweiss-Malerei, oberflächliches Gehampel, verzweifelte Suche nach «Experten», die die Angst vor einem Atomkrieg zerstreuen sollen.

Jeder Schweizer kann sich aus allen alternativen Nachrichtenquellen der Welt bedienen. Wer sich die Zeit nehmen will, ein wenig Gegengift gegen den Mainstream aufzunehmen, dem sei ein schon älterer Artikel empfohlen.

Man bedauert, dass viele dieser warnenden Stimmen für immer verstummt sind. Unter den hier aufgeführten nur ein Zitat:

«Wir, die Unterzeichner, glauben, dass eine weitere NATO-Osterweiterung die Sicherheit unserer Alliierten gefährden und die Stabilität in Europa erschüttern könnte. Es besteht für die europäischen Nachbarn keine Bedrohung durch Russland.»

Welcher russlandhörige Kurzdenker hat denn das formuliert? Nun, es handelte sich um niemand geringeren als den für den Vietnamkrieg verantwortlichen ehemaligen US-Verteidigungsminister Robert McNamara.

Oder ein Zitat des Kriegsverbrechers und Kältesten aller kalten Krieger, Henry Kissinger: «Um zu überleben und sich zu entwickeln, darf die Ukraine Niemandes Vorposten sein. Vielmehr sollte sie eine Brücke zwischen beiden Seiten darstellen. … Dabei sollten wir uns um Versöhnung bemühen, und nicht um eine Dominanz einer der Fraktionen. … Die Dämonisierung von Wladimir Putin ist keine Politik. Sie ist ein Alibi für die Abwesenheit von Politik

Und der Elder Statesman Helmut Schmidt liess ebenfalls keinen Zweifel an seiner Meinung über eine mögliche Aufnahme der Ukraine in die EU und die NATO: «Das ist Größenwahn, wir haben dort nichts zu suchen.»

Jeder kann sich irren. Nur der «Experte» nicht

Natürlich können sich auch alle diese Herren irren. Darum geht es aber gar nicht. Es geht darum, dass in den Mainstreammedien, in der sogenannten freien Presse des Westens, in den von drei Medienclans beherrschten Tageszeitungen der Schweiz keine einzige Stimme Gehör findet, die sich um etwas Differenzierung bemüht.

Stattdessen geht die verzweifelte Suche nach Russland-Erklärern weiter. Genauer nach Figuren, die wie gewünscht in den Echo-Chor der Putin-Verdammer einstimmen. Neuster Versuch von «Blick TV»: Ulrich Schmid. Der HSG-Professor fantasiert von einem möglichen Zusammenbruch des Regimes und analysiert mit unglaublichen prognostischen Fähigkeiten: «Ich könnte mir vorstellen, dass die Einschüchterung massiver wird

Der Mann mit der Glaskugel: Zukunftsseher Ulrich Schmid.

Für solche Erkenntnisse sind wir echt dankbar, denn dafür muss man Slawistik studiert haben.

Wumms: Gerhard Schröder

Für den deutschen Ex-Kanzler kommt’s knüppeldick.

Zurzeit ist es keine gute Idee, in irgendeiner Form Beziehungen zu Russland zu haben. Gerhard Schröder ist seit seiner Zeit als Kanzler mit Wladimir Putin in einer Art Männerfreundschaft verbunden. Seither läuft ihm sein Satz nach, dass es sich bei Präsident Putin um einen «lupenreinen Demokraten» handle.

Ex-Kanzler als Wachsfigur, von der alles abperlt.

Für diese unverbrüchliche Unterstützung wurde Schröder belohnt. Diverse Verwaltungsratsposten in russischen Staatsfirmen, darunter Nord Stream 1 und Nord Stream 2. Die zweite Firma mit Sitz in Zug scheint pleite zu sein.

In Deutschland wird Schröder zunehmend geprügelt; seine Partei empfindet ihn als Belastung. Seit 2006 ist Schröder zudem für das Verlagshaus Ringier als Berater tätig. Noch vor Kurzem sah Ringier keinen Anlass, daran etwas zu ändern. Aber nun hat’s bum gemacht; knapper kann eine Medienmitteilung nicht ausfallen:

Sistieren ist ein interessantes Verb. Es bedeutet unterbrechen, einstellen oder auch aufheben. Also ist die Tätigkeit Schröders bis auf Weiteres eingestellt. Oder aufgehoben. Oder beendet. Oder unterbrochen. Oder was auch immer. Es gibt auf jeden Fall nur sehr wenige Augenzeugen, die Schröder jemals in dem ihm zur Verfügung stehenden Büro an der Dufourstrasse in Zürich gesehen haben wollen.

Nun laufen ihm anscheinend auch noch seine Mitarbeiter in Deutschland davon. Auch das noch. Und die Frage, ob seine Haarfarbe echt ist oder nicht, die darf weiterhin nicht gestellt werden.