Hilfe, mein Papagei onaniert

Die Sonntagspresse. Immer ein Quell der Erbauung.

Wir lassen diesmal den «SonntagsBlick» aussen vor. Auf den ersten Blick hat es keine Stellungsnahme von Walder, Ringier oder Heimgarten drin. Also langweilig.

Auf den zweiten Blick rezykliert der SoBli Dinge, die bereits im «Magazin» von Tamedia erschienen sind, also halten wir uns doch lieber ans Original.

Das ist nun leider nicht wahnsinnig originell, muss man gleich einschränkend sagen. Man kommt doch recht schnell ins Blättern, wenn man sich noch eines der letzten Exemplare der «SonntagsZeitung» im Print erstanden hat. Denn das muss ja nun alles wohl leider eingestellt werden, wenn all die düsteren Ankündigungen eintreffen, was passiert, sollte die Medienmilliarde nicht in den Taschen der Verlegerclans landen.

Drei Seiten Gemurmel über die Ukraine. Blätter. Ein Artikel über die immer noch demonstrierenden «Corona-Massnahmen-Gegner», bei dem das Bild doppelt so viel Platz wie der Text einnimmt und auch viel aussagekräftiger ist.

Ein Artikel über den schwarzen Uni-Professor John McWorther, der gegen die Anti-Rassismus-Bewegung rempelt, sie sei «eine ideologische Schreckensherrschaft». Das beweist, dass es in der Zentralredaktion von Tamedia noch mindestens ein NZZ-Abonnement gibt. Denn dort wurde dieser Professor erst vor Kurzem (und natürlich viel tiefsinniger) porträtiert. Aber was der SoZ-Leser vielleicht nicht weiss, macht ihn nicht heiss.

Und weiss man denn, wie viele Leser der NZZ Alzheimer haben und die gleiche Nachricht beliebig häufig lesen und als neu empfinden können? Dann ein Interview mit einem «Experten für Rassismus und Gewaltverbrechen sowie Leiter des Amts für Justizvollzug und Wiedereingliederung beim Kanton Zürich und Professor für Forensische Psychologie an der Uni Konstanz».

Trotz des ellenlangen Titels sind seine Gedankengänge doch so kurzatmig, dass man sich Sorgen um den Justizvollzug und seine Studenten macht. Denn der Professor zeigt in einem Satz, dass er eigentlich wenig Ahnung von nichts hat: «Prävention ist kein Argument gegen Verbote. Hier macht der Bundesrat einen Überlegungsfehler.» Indem er bekanntlich den Hitlergruss oder Nazisymbole nicht verbieten will.

Den Überlegungsfehler, das Hochhalten der Meinungsfreiheit wie in den USA als implizites Billigen dieser Symbole misszuverstehen, unterläuft aber diesem Jérôme Endrass. Wir haben hier schon versucht, das ganz langsam zu erklären

Bei der NZZaS, nun ja, ist der Blätterreflex nicht weniger ausgeprägt. Rasant schnell ist man auf S. 53, wo Peer Teuwsen damit angibt, dass er einem Bündner Baunersohn nach Island folgen durfte, wo der zum Schriftsteller wurde. Das wär’s dann auch schon fast im Kulturbund, der stolze 6 Seiten umfasst.

Aber, wer sucht, der findet, immerhin gibt es einen halbseitigen Bericht über die abseitige Tatsache, dass Benito Mussolini seit 1937 Ehrendoktor der Uni Lausanne ist. Richtig, bis heute.

Bei Adolf Hitler war es dann in Deutschland (und anderswo) schöner Brauch, dem Jahrhundertverbrecher diese Würde posthum abzuerkennen. Wieso hält denn dann die Uni Lausanne daran fest, den Duce weiterhin als Dr. h.c. zu führen? Mit einer Aberkennung «würde die Sache aus der öffentlichen Debatte verschwinden», wird der Rektor der Uni zitiert. «So einfach dürfen wir es uns nicht machen

Die Uni macht’s sich sowieso nicht leicht, «2021 wurden ausschliesslich Frauen mit dem Ehrendoktor der Universität Lausanne geehrt», weiss die NZZaS.

Das lässt den Leser eher ratlos zurück. Den Fehler wieder gutzumachen, dem italienischen Faschisten 1937 den Ehrendoktor verliehen zu haben, würde doch schlicht und einfach bedeuten, dem Diktator den Titel einige Jährchen nach dessen Tod abzuerkennen. Ab so einfach will es sich die Uni nicht machen. Diesem Gedankengang kann man wohl nur folgen, wenn man mindestens zwei Doktortitel hat.

Als weitere Wiedergutmachung und als Abbitte für den Männerüberhang unter Ehrendoktoren wurden nun letzte Jahr nur Doktorinnen geehrt. Dass darin eine negative Diskriminierung enthalten ist (wieso soll es in diesem Jahr plötzlich keinen einzigen auszeichnungswürdigen Mann gegeben haben), fällt weder der Uni, noch dem Autor des Artikels auf.

Also eine nette Trouvaille, gnadenlos versemmelt.

 

Ach, und in der Wirtschaft wird in der Sonntagspresse ein alter Zopf neu geknüpft. Den Recherchierjournalisten ist nämlich aufgefallen, dass eine Aktie in diesem Jahr an der Schweizer Börse am besten performt hat. Und zwar mit Abstand. Um fast 50 Prozent hat ihr Kurs zugelegt. Das nennt man mal eine Gewinnsträhne für all die, die rechtzeitig drauf gesetzt haben.

Wem gehört nun diese Wunderaktie? Der Credit Suisse? Der UBS? Der ZKB? Scherz beiseite, es ist natürlich unsere Schweizerische Nationalbank. Könnte das etwas damit zu tun haben, dass sie mal wieder nur mit grösster Not die Gelspeicher schliessen kann, so quellen dort Eigenkapital, Gewinne und Bilanzsumme heraus.

Aber nein, wissen die Finanzkoryphäen, «hinter der Kurshausse stecken offenbar wie schon in früheren Fällen deutsche Börsenbriefe, die die Unwissenheit ihres Publikums ausnützen». Wie denn das? «Weil normalerweise weniger als 100 Aktien pro Tag gehandelt werden, kann der Kurs leicht bewegt werden.»

Das ist nun ein Satz zum Abschmecken. Er impliziert, dass der Kurs manipuliert wird. Also auf einem engen Markt mit Kauforders der Preis hinaufgetrieben wird. Das ist nun ein so schwerer Vorwurf, dass er unbedingt mit dem Hauch eines Belegs versehen werden müsste. Aber doch nicht in der SoZ, das würde ja noch zu einer Recherche ausarten.

Interessant ist auch: wenn das so wäre, würde der Aktienkurs unserer SNB hinauf- und vielleicht auch wieder hinunterspekuliert werden. Echt jetzt? Und alle schauen zu? Wieso soll eigentlich die angebliche Unwissenheit des Publikums ausgenützt worden sein? Wenn jemand Anfang Januar investierte, dann hat er locker 50 Prozent Profit gemacht. Ist doch super, so unwissend zu sein.

Und schliesslich: Bei rund 8000 Franken pro Aktie hat die SNB einen Börsenwert von 800 Millionen Franken. Völlig lachhaft, angesichts des Eigenkapitals und ihrer besonderen Funktion. Das Hundertfache wäre eigentlich immer noch ein Schnäppchen. Solchem Fragen nachzugehen, das würde ja zu Denkarbeit ausarten. Aber doch nicht in der SoZ.

Wladimir «Der Schreckliche» Putin

Kriegerisches Vokabular ist multifunktional.

«Die Pandemie muss entschlossen bekämpft werden.» – «Sie ist eine Bedrohung für uns alle.» – «Impfgegner sind zu verurteilen und scharf zu sanktionieren.»

Wir erinnern uns. Nun ersetzen wir die Worte Pandemie und Impfgegner durch Putin und Russland. Funktioniert genauso gut.

Nehmen wir nur das Kriegsgeschrei aus der «Sonntagszeitung». Der US-Aussenminister sorge sich «um den Frieden weltweit», brüllt die Headline auf Seite eins heraus. Das ist nett von ihm, aber wieso eigentlich, und wie bringt er diese Sorge zum Ausdruck?

Es geht auf Seite 2/3 genauso kriegerisch weiter. «Ein Krieg hätte schreckliche, verheerende Folgen», warnt hier nochmals der Aussenminister. Wie ein einigermassen zurechnungsfähiger Produzent eine solche Banalität in den Titel nehmen kann – das zeugt von höherer Verzweiflung. Von den rigiden Qualitätskontrollen des Hauses ganz zu schweigen, die hier ein weiteres Mal versagt haben.

Martin Suter, der Linksausleger, vermeldet aus New York: «Die USA rechnen mit baldigem Angriff.» Das ist nun auch nicht wirklich eine Breaking News. Interessant höchstens, dass sich nun Präsident Biden auf diese Woche als Datum des Kriegsbeginns festgelegt hat. Nicht ganz ohne Risiko, wenn der Oberbefehlshaber der stärksten Militärmacht der Welt falsch liegen sollte. Aber es hatte – trotz riesigem Foto russischer Panzer – noch Platz auf der Seite. Also stellte man flugs dazu: «Die Suche nach einem Kriegsgrund».

Auch das ist tiefgründelnd und wahr. Eher selten beginnen Kriege ohne Grund, das könnte auch hier der Fall sein. Nun ist es aber nach wie vor eher schwierig, einen Kriegsgrund zu finden. Die Separatisten in den östliche Provinzen der Ukraine würden «zur «Generalmobilmachung» aufrufen und Waisenkinder evakuieren», weiss die SoZ.

Wenn das mal nicht gleich zwei Kriegsgründe sind … Viele Buchstaben, wenig Inhalt. Schlimmer ist auf dieser Seite eigentlich nur die Bebilderung. Ein Agenturfoto des US-Aussenministers und von Präsident Putin. Ein Wimmelbild von russischen Panzern als fast eine halbe Seite füllende Verzweiflungstat. Und dann noch eine Briefmarke, auf der sich ein nicht identifizierter Soldat einer unbekannten Armee an einem unbekannten Ort über ein kleines Loch im Boden beugt, dass angeblich von einer Granate der Separatisten verursacht wurde.

Insgesamt ist der Informationsgehalt dieser Doppelseite ungefähr so tiefschürfend wie das Löchlein im Boden, das der Soldat begutachtet.

Doppelte «Fuckability»

Was SoZ und NZZaS können, ist für SoBli und «Das Magazin» kein Problem.

Wir erinnern uns: die bescheidene journalistische Kraft Rafaela Roth servierte den NZZaS-Lesern auf einer Doppelseite ein Interview, das mit der gleichen Person (und weitgehend identischem Inhalt) drei Monate zuvor in der SoZ erschienen war. Das reihte sich würdig in ihre jüngsten Flops ein, wie ein Jubelartikel über eine angeblich hervorragende Medienanwältin, die aber dummerweise einen Prozess nach dem anderen verliert.

Das können wir doch auch, sagten sich «Das Magazin» von Tamedia und vom SoBli. In der korrekten Reihenfolge:

Trotz allen Versuchen, die Macho-Männer bei Tamedia zu zähmen, hier interviewt nun eine Frau eine Mode-Erscheinung aus Oxford, die mit ein paar scharfen Begriffen umhüllt gähnende Langeweile verbreitet.

Geradezu zurückhaltend der Titel beim SoBli:

«Kein Recht auf Sex», titelt das Boulevardblatt schüchtern, und illustriert das Interview mit einem Porträt der «Philosophin», während «Das Magazin» lüsterne Fotoinszenierungen zum Interview stellte.

Nun könnte man noch meinen, die Frau habe dermassen Interessantes zu erzählen, dass sich ein Doppelschlag lohnt, dass die Dublette halt Unerhörtes zu Tage fördert.

Nun ja: «Natürlich ist Sex sehr privat und intim, aber er kann gleichzeitig auch politisch sein.» Oder: «Aber wo und wie wir aufgewachsen sind sowie unser Umfeld beeinflussen, wen wir attraktiv finden.»

Das, wie der ganze Rest, ist nun von einer dermassen banalen Beliebigkeit und einer Philosophin unwürdigen Flachsinns, dass man ihr nur gratulieren kann, den Ausdruck «Fuckability» erfunden zu haben. Der haut halt rein und macht es offenbar für Journalisten unmöglich, dahinter gähnende Leere zu erkennen.

Ukraine und kein Ende

Der Krieg, der (noch) keiner ist. Taktische Rückzüge wechseln sich in den Medien mit Offensiven ab.

Nichts Genaues weiss man nicht. Das ist so, und das ist auch nicht verwunderlich. Auch wenn die Kreml-Astrologen und die Biden-Durchschauer zu wissen vorgeben, was in deren Köpfen vorgeht und was für Absichten die beiden haben: stimmt nicht.

Die Ukraine ist (mal wieder) ins Zentrum der weltweiten Aufmerksamkeit geraten. Nun ist die Ukraine das grösste europäische Land, was seine geographische Ausbreitung betrifft. Dennoch wissen wir herzlich wenig über die 1991 unabhängig gewordene ehemalige Sowjetrepublik.

Da war mal was mit orangener Revolution, ein Steinzeitkommunist konnte sich nicht länger an der Macht halten, wurde ersetzt durch grosse Hoffnungsträger – die dann schnell verglühten. Höchstens, dass ein Komiker zum neuen Staatspräsidenten gewählt wurde, sorgte zwischenzeitlich für Schlagzeilen.

Natürlich auch die Annexion der Halbinsel Krim, die im sozialistischen Überschwang 1954 der Ukraine zugesprochen wurde, obwohl es dafür keinen historischen Grund gibt. Schon bei der Aufzählung aller Staaten, die an die Ukraine grenzen, würde wohl so mancher an seine eigenen Grenzen kommen.

Sicher, Russland, Belarus, das ist einfach, Polen auch. Vielleicht weiss man noch Rumänien. Aber Moldawien? Schon mal davon gehört? Und wenn ja, von Transnistrien? Eben, da gibt dann wohl jeder auf, der nicht intimer Kenner der Sachlage ist.

Grenzen, Staaten tun immer so, als seien sie für die Ewigkeit gebaut. Das stimmt natürlich nicht. Gewisse Ethnien oder Nationen, die bleiben meistens über die Jahrhunderte intakt. Ausser, sie werden mehr oder weniger vollständig ausgerottet, wie die Inkas oder Mayas oder Azteken, wie die Indianer in Nordamerika.

Dann gibt es gemischte Staaten, wobei eigentlich jedes Gebilde, das grösser ist als Liechtenstein, meist mehr als eine Ethnie beherbergt. So ist das auch in der Ukraine, wobei hier Ukrainer und Russen tonangebend sind.

Komplizierte Geschichte, komplizierte Gegenwart 

Die Ukrainer kolonialisierten und beherrschten, auf dem heutigen Territorium und auch weiter im Westen. Sie wurden beherrscht, unter anderem von den Polen und den Russen. Man kann also von einer wechselhaften Geschichte sprechen, bei der nicht all zu viel zum «nation building» beitrug, zur Ausbildung einer klaren nationalen Identität. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, was man heute als Ukraine bezeichnet.

Wozu dieser kleine Ausflug? Ganz einfach. Das sind alles Mosaiksteine, Puzzleteile, die man zusammensetzen könnte, wenn man das Verständnis für die Ukraine befördern möchte. Natürlich gehen die meisten Medien zu Recht davon aus, dass das die Mehrheit ihrer Leser nicht sonderlich interessiert.

Sondern mehr die Frage, ob es nun Krieg gibt oder nicht. Ob Putin seine Truppen zurückzieht oder nicht. Ob Vorwände für eine Invasion gesucht werden oder nicht. Ob es wieder einen nicht erklärten Krieg geben wird oder nicht. Ob wieder «grüne Männchen» ohne Rangabzeichen oder staatliche Insignien die Dreckarbeit erledigen werden. Nun besteht das Problem der Medien darin, dass man das alles so oder so sehen kann.

Wie viele Truppen, welche und aus welchen Gründen Russland an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen hat, auch darauf wäre die ehrlichste Antwort: wir können doch auch nicht in den Kopf des russischen Präsidenten oder seiner Berater schauen.

Mangels Substanz Wiedergekäutes

Also werden fleissig Satellitenaufnahmen veröffentlicht und interpretiert, so wie es den Redaktoren vom US-Militär eingeflösst wird. So werden gute, wohlmeinende, kriegerische und andere Ratschläge en masse und gratis verteilt.

Der Westen soll Härte zeigen. Der Westen soll auf Diplomatie setzen. Der Westen darf nicht hinnehmen. Der Westen sollte doch wegen der Ukraine keinen Atomkrieg riskieren. Der Westen garantiert die territoriale Integrität der Ukraine. Der Westen garantiert sie nicht, weil er das gar nicht kann.

Die Ukraine fühlt sich von Russland militärisch bedroht, Oder doch nicht. Polen auch. Die baltischen Staaten sowieso. Rumänien weniger. Von Moldawien hört man nix. Belarus ist sowieso auf der Seite Russlands.

Es ist eine Kakophonie der Unübersichtlichkeit. Analysen politischer Konfliktgebiete, wo zudem die Interessen der verbliebenen Supermächte tangiert sind, das war noch nie ein einfaches Geschäft. Aber warum hat man den zunehmenden Eindruck, zunehmend schlecht, einseitig, oberflächlich, repetitiv, holzschnittartig, parteiisch, anspruchslos informiert zu werden?

Könnte das daran liegen, dass in den zu Tode gesparten Redaktionen mit immer weniger Korrespondenten schlichtweg die Dossiersicherheit fehlt? Sich der beschreibende Redaktor auch erst einmal mit Google Maps und Wikipedia aufrüsten muss, damit er ungefähr weiss, worüber er nun schreiben soll?

Das könnte sehr wohl so sein, ist aber auch nur eine Vermutung.

Wumms: Alain Berset

«Blick« knallhart: das grosse Berset-Interview.

Bösartige Zungen behaupten, es gäbe spezielle Beziehungen zwischen dem Ringier-Verlag und unser aller Knutschkugel, Bundesrat Alain Berset. CEO Marc Walder soll regierungsfreundliche Berichterstattung befohlen haben, Männerfreundschaft. Dagegen musste sich schon Michael Ringier wehren, die sieben Zwerge in der Chefredaktion der «Blick»-Gruppe griffen gemeinsam zum Griffel und betonten ihre Unabhängigkeit.

Nun liefert «Blick» einen weiteren Beweis, dass das alles Fake News sind. Denn:

Grosses Interview; so gross, dass es in mehrere Video-Schnipsel aufgeteilt wurde.

Da wurde der Gesundheitsminister echt gegrillt. Schonungslose Fragen: «Was war der grösste Fehler?» Aber auch einfühlsam und sensibel: «Wie schwierig war das für Sie?» Seiner Frau seinen Seitensprung zu gestehen? Aber nein, wir sind hier zwar schon im unerschrockenen, meinungsstarken, kritischen, schonungslosen Brutal-Interview, wie es sich für unabhängigen Journalismus gehört.

Aber man merkt der Interviewerin deutlich an – nicht nur, weil sie ständig auf ihre Spickzettel schauen muss -, dass Arbeitsplatzsicherung höchste Priorität hat.

Kritisches Nachfassen, Festnageln, Widersprüche verfolgen? Ach was. Sonst ruft noch Berset bei Marc an und beschwert sich. Droht damit, dass er für die nächste Ausgabe von «Interview» nicht mehr als Dressman und Mitarbeiter zur Verfügung stünde. Und das wollen wir doch alle nicht.

Das Ende einer Task Force

Durchatmen, auflockern. Und sich darüber freuen, dass eine Vernichtungsmaschine verschwindet.

Der Wunsch war verständlich. Der Bundesrat ist umzingelt von Kommissionen und Stäben. Jedes Departement hütet zudem eifersüchtig seine Lufthoheit über was auch immer.

Also beschloss der Bundesrat in seiner Weisheit, sich diskret, still, aber effizient von einer eigenen Task Force beraten zu lassen. Sozusagen die Institution einer «second opinion». Gute Idee, grauenhaftes Resultat.

Anstatt diskret zu beraten und öffentliche Auftritte mit dem BAG abzusprechen, wurde die Task Force to the Bundesrat eine Plattform für Egoshooter. Wissenschaftler wollten sich auch mal im Licht der Medien und der Öffentlichkeit sonnen. Umso kreischiger, desto erfolgreicher.

Es begann ein Wettbewerb im Überbieten mit Horrorzahlen. Sagt da einer 20’000 Tote in den nächsten Monaten? Ich biete 50’000. Um sogleich mit 100’000 überboten zu werden.

Der Bundesrat? Zu langsam, zu zögerlich, fahrlässig, unverantwortlich. Er sollte, müsste, hätte schon längst, ist aufgefordert. So machte sich die Task Force zur Kontrollinstanz und gab eigene Pressekonferenzen, begierig aufgenommen von den Medien, wo man hoheitsvoll jüngste Entscheidungen der Landesregierung selten begrüsste, häufig kritisierte.

Bis es dem Bundesrat Alain Berset den Nuggi raushaute und er klarstellte, dass Wissenschaftler zwar wichtig seien, die Verantwortung für Entscheidungen bleibe aber immer noch bei der Politik, bzw. bei den Regierenden.

Dann seilten sich immer mehr Wissenschaftler ab. Entweder, weil sie genügend öffentlichen Wind in die Segel ihrer Karriere gepustet hatten. Oder weil sie einsahen, dass kein Blumentopf mehr zu gewinnen sei. Rücksichtslos hatten sie dabei dem Vertrauen in die Wissenschaft einen schweren Schaden zugefügt.

Nun wird die Task Force endlich aufgelöst. Nicht Ende April, wie vorgesehen, sondern schon Ende März. Höchstwahrscheinlich dürfte ihre letzte krachende Fehlprognose über die Auswirkungen der neusten Corona-Mutation ihr Ende beschleunigt zu haben.

Denn die Task Force faselte von bis zu 10’000 Hospitalisierungen wöchentlich wegen Omikron, dazu 300 Patienten auf der Intensivstation zusätzlich. Völlig realitätsfremd.

Es bleiben aber noch genügend Kommissionen, über deren Existenzberechtigung man sich auch Gedanken machen sollte. Da wäre die Eidgenössische Kommission für Pandemievorbereitung und -bewältigung (EKP). Genau für solche Seuchenzüge gemacht. Aber vom BAG mit Missachtung gestraft. Kein Bedarf, man melde sich mal, sagte das BAG auf Anfrage der EKP. Der Anruf kam dann nie.

Oder die Eidgenössische Kommission für Impffragen (Ekif). Die machte gewaltig Wind und versuchte tapfer, der Task Force die Stirn zu bieten. Insgesamt tummeln sich rund 12 Kommissionen, Stäbe, Krisenstäbe und andere Anballungen  im Themenbereich Seuchen. Wobei jeder Verein eifersüchtig darüber wacht, dass er ja nicht in seinem Wirkungsbereich beschnitten wird.

Dazu der übliche Beamtendreisprung: Sind wir dafür zuständig? Wenn ja, welche gesetzlichen Grundlage gibt es dafür? Und schliesslich: keine Entscheidung ist immer die beste Entscheidung im Beamtentreiben.

Denn sie birgt nie das Risiko, falsch zu sein. Und Verantwortlichkeit durch Unterlassen, die beiden Worte sind im Beamtenbiotop völlig unbekannt.

Also eine Task Force weniger, es bleiben noch genügend übrig, in denen man kräftig aufräumen sollte.

 

Gerüchteküche «Republik»

Zwischen Tamedia und dem Online-Magazin herrscht schon länger bissiger Kriegszustand.

Die «Republik» versuchte, sich mit einer ihrer gefürchteten ellenlangen Fortsetzungsgeschichten an Tamedia abzuarbeiten. Sozusagen im Schrotschussverfahren. Dann verbrach Daniel Ryser ein Schmierenstück über eine angebliche «Zerstörungsmaschine», die über eine streitbare und hasserfüllte Kämpferin gegen Hass und Hetze hereingebrochen sei. Ein Schrottschussverfahren.

Er betrat dabei journalistisches Neuland für einen Recherchierjournalisten, in dem er zwar jede Menge Gerüchte kolportierte, aber allen namentlich genannten Protagonisten seines Artikels keine Gelegenheit zur Stellungnahme einräumte. Als ZACKBUM freundlich nachfragte, wieso und gleichzeitig fragend auf einen ganzen Stapel von Ungenauigkeiten, Schludrigkeiten und sogar Fake News hinwies, blieb Ryser stumm.

Nun köcheln gleich zwei «Republik»-Redaktoren ein Süppchen auf der Entlassung des «Tages-Anzeiger»-Redaktors Kevin Brühlmann. Steife These: «Aus politischen Gründen?» Fragezeichen sind immer gut, wenn man austeilen will, aber nicht sicher genug ist, das im Indikativ zu tun.

Während bisher davon ausgegangen wurde, dass es Brühlmann die Stelle kostete, weil er ein eher verunglücktes Porträt über eine Zürcher Stadtratskandidatin schrieb, behaupten Dennis Bühler und Carlos Hanimann: «Ein Zürcher Reporter fällt bei Verleger Pietro Supino in Ungnade und verliert seine Stelle. Die Redaktion reagiert mit einem geharnischten Protestbrief.»

Darin habe die Redaktion die Wiedereinstellung Brühlmanns gefordert und verlangt, dass auch die in der Hierrachie obendran stehenden Mitarbeiter, die den Artikel durchwinkten, sanktioniert werden müssten. Es seien immerhin fünf gewesen. Der Brief sei, man erinnert sich an einen anderen Protestbrief, von 71 Mitarbeitern unterzeichnet worden. «Der Wortlaut des Briefs ist der Republik bekannt.» Das ist eine sehr interessante Formulierung, weit entfernt von der Aussage: der Brief liegt der «Republik» vor.

Der Blitz Supinos habe eingeschlagen, vermutet die «Republik»

Obwohl laut «Republik» im Brief Beschwerde geführt werde, dass es nicht anginge, dass ein Redaktor wegen eines einzigen Fehlers entlassen werde, vermuten die Recherchierkünstler – ohne sich des Widerspruchs bewusst zu werden – dass Brühlmann schon letztes Jahr den «Groll von Verleger Supino auf sich gezogen» habe, als er einen Artikel über die Baugarten-Stiftung veröffentlichte.

Der sei von Co-Chefredaktor Mario Stäuble bestellt, für gut befunden und publiziert worden. Aber dann:

«Gemäss mehreren gut unterrichteten Quellen habe sich Stäuble nach der Publikation in einer Sitzung mit allen Chef­redaktoren der Tamedia-Zeitungen und in Anwesenheit von Verleger Pietro Supino lange und ausführlich für die Recherche seines Reporters entschuldigt und für das eigene Versagen gegeisselt.»

Auch Brühlmann sei auf Intervention von Supino dazu gezwungen worden, sich bei Baugarten zu entschuldigen, will die «Republik» wissen. Nun ist es gerade bei ihr mit den «gut unterrichteten Quellen» so eine Sache. Die haben regelmässig ins Desaster geführt; Stichwort «Globe Garden», Stichwort «ETH» Stichwort weitere «Skandale» die auf solchen Quellen aufgebaut wurden – und kläglich verröchelten.

Hier kommt noch erschwerend hinzu: Der Artikel über die Stadtratskandidatin mit jüdischen Wurzeln ist tatsächlich teilweise verunglückt. Auf der anderen Seite hat die Porträtierte die Entschuldigung akzeptiert, den Fall für erledigt erklärt. Nur Katastrophen-Sacha ritt eine Attacke auf den «Stürmer von der Werdstrasse», mit der er sich selbst einmal mehr disqualifizierte.

Was Anlass zu Zorn geben könnte, ist nicht ersichtlich

Im Fall des Artikels über die Stiftung wird aber auch bei sorgfältiger Lektüre nicht klar, worüber sich da jemand hätte echauffieren können – und womit der Journalist den Groll Supinos auf sich gezogen haben könnte. Der Artikel ist sorgfältig recherchiert, scheint keine Fehlinformationen zu enthalten und erzählt, abgesehen von ein, zwei kleinen Schlenkern in die Vergangenheit des Stiftungspräsidenten als CEO von Holzim, faktenbasiert, unpolemisch die Geschichte einer der wohl bedeutendsten privaten Geldgeber Zürichs nach.

Es könnte vielleicht sein, dass sich Baugarten gewünscht hätte, nicht so öffentlich exponiert zu werden. Auf der anderen Seite ist es ja kein Geheimclub mit düsteren Aufnahmeritualen in dunklen Kellern. Im Gegenteil, sie verfügt sogar über eine eigene Webseite mit durchaus vorhandenen Informationen und Auskünften.

Schwacher Vorwurf, schweife in die Vergangenheit

Wenn der Hauptvorwurf nur sehr wolkig begründet werden kann, gehört es zu den ältesten Maschen, Parallelbeispiele aufzuzählen. Da fällt der «Republik» ein Artikel aus dem Jahr 2018 ein. Da drosch Philipp Loser unanständig, ohne die primitivsten journalistischen Benimmregeln einzuhalten und genauso unfundiert wie hier die «Republik», auf den Tamedia-Konkurrenten Hanspeter Lebrument ein.

Interessant war, dass auch dieses Schmierenstück durch alle hochgelobten «Qualitätskontrollen» durchrutschte. Dass es dann gelöscht wurde und Loser bei Lebrument zu Kreuze kriechen musste, war eigentlich selbstverständlich. Zudem überlebte Loser diesen Riesenflop. Leider.

Weiter ein von Supino der eigenen Redaktion gewährtes und dann zurückgezogenes Interview, eher ein Kuriosum und keine weitere Belegstelle für unziemliche Einmischung. Dass Supino tatsächlich stark intervenierte, um die gescheiterte Medienmilliarde zu unterstützen, das erwähnt die «Republik» lustigerweise nicht. Wohl weil sie auch dafür war.

Dann kommt noch die Uraltgeschichte der Entlassung von Chefredaktor Viktor Schlumpf anno 1991. Nach dieser sehr, sehr dünnen Suppe kommen die Autoren ohne jegliche Begründung zum Schluss:

«Der bissige Ton in Brühlmanns Text über die Baugarten-Stiftung wurde ihm zum Verhängnis.»

Wer in diesem Stück einen «bissigen Ton» entdeckt, hat wohl auch Angst vor einem Chihuahua, wenn der unter seinem rosa Mäschlein aus der Handtasche seiner Besitzerin kläfft.

Vorsicht, bissiger Ton.

Dass bei Tamedia bezüglich Qualitätskontrolle einiges im Argen liegt, ist offenkundig. Dass das auch bei der «Republik» der Fall ist, ebenfalls. Zudem vermisst man ein selbstkritisches Stück, wieso denn vom Chefredaktor abwärts weitere führende Redaktoren das Blatt verlassen. Wäre doch auch mal interessant zu wissen.

 

Obduktion der «Weltwoche»

Aktuelle Ausgabe im Schnelldurchlauf.

Was bekommt man für immerhin 9 Franken am Kiosk? Mit Bonus 84 Seiten im A4-Format. Das ist die Form, was ist der Inhalt der «Weltwoche»*?

Der zerfällt sozusagen in mehrere Teile. Da hätten wir mal den aktuellen Politteil, in dem SVP-Nationalrat Roger Köppel toben lässt. Bundespräsident Cassis wird auf dem Cover kurzerhand zum «gefährlichsten Politiker der Schweiz» ernannt.

Was gefährdet der denn genau? Er «verstrickt die Schweiz ohne böse Absicht in fremde Händel». Wie das? Ach, der mögliche Eintritt in den UN-Sicherheitsrat. Aber Hilfe naht, wie immer, wenn das Vaterland in Gefahr ist. Die SVP habe eine Sondersession erwirkt und fordere den Bundesrat auf, die Bewerbung zurückzuziehen.

Aber, leider, leider, die Genossen und die Grünen seien natürlich «ganz wild» auf den Sicherheitsrat, die FDP verweigere der Notrettungsaktion der SVP auch die Unterstützung. Bleibt die bange Frage an Bundespräsident Cassis:

«Wird er das Himmelfahrtskommando stoppen?»

Wohl nicht, befürchtet die «Weltwoche», dabei könnte es doch so einfach sein. Brief schreiben, auf Bewerbung verzichten, und schwupps: «Aus Cassis, dem gefährlichsten Politiker der Schweiz, würde mit einem Federstrich der weitsichtigste Staatsmann des Landes

Ziemlich verstiegen, diese Anhäufung von Anschuldigungen mit leicht kreischigem Oberton. Himmelfahrtskommando? Kaum Überlebenschance? Viele Verwundete und Tote auf dem Weg in den Himmel? Echt jetzt?

Das ist nun Politberichterstattung mit Schäufelchen und Eimerchen aus dem Sandkasten, wo Kuchen gebacken werden. Im Vorbeilaufen werden noch in dieser Reihenfolge der kanadische Premier, Simonetta Sommaruga und Micheline Calmy-Rey abgewatscht. Sozusagen der wöchentliche Rundlauf.

Wo ist im Politteil die gute Laune?

Nicht viel von der guten Laune zu verspüren, die Chefredaktor Roger Köppel neuerdings unermüdlich anmahnt. Die kommt dann beim Artikel «Tiere sind Kapitalisten» auf. Hier lernen wir, dass auch die Hummel ein «konsequentes Zeit- und Energiebudget» verwalte. Da können sich die Bienen noch eine Honigscheibe von abschneiden.

Es gibt wie immer eine Reihe von Trouvaillen, die die vorhersehbare Politschimpferei abtemperieren. So kann man traurig lesen, dass der Guide Michelin, seit vielen Jahrzehnten die erste Adresse für die Bewertung von Hotels und Restaurants, seine Dienste teilweise einstellt und nur mehr digital verfügbar sein wird. Ein trauriger Tag für alle, die von ihm fehlerfrei und tadellos beraten wurden.

Dazu gehört auch ein Fundstück von Christoph Mörgeli aus dem Wirken von Gottfried Keller, der sich über die Behandlung eines Direktors der Zürcher Irrenanstalt echauffierte, dem damals schon in den Medien nachgerufen wurde: «Werft ihn ‘naus, den Juden Itzig.» Eine Sternstunde des «Weinländer», der eigentlich kein antisemitisches Klischee ausliess. Dagegen verfasste Keller ein flammendes Plädoyer «Die öffentlichen Verleumder». Spannend.

Es folgt ein echter Belastungstest

Dann kommt ein Stück, bei dem man wieder bedauert, dass die «Weltwoche» einen Chefredaktor hat, der gleichzeitig der Verleger, Herausgeber und Besitzer ist. Denn nur so ist es zu erklären, dass ein Interview mit dem abgehalfterten Klaus von Dohnanyi mit ganz grosser Kelle angerührt und eingeschenkt wird. Peinlich, wie hier offensichtlich flache Sprüche demutsvoll entgegen genommen werden: «Ich lese viel Geschichte, weil ich überzeugt bin, dass die Geschichte ein mächtiger Faktor in der Gegenwart ist.» Hammererkenntnis, aber es geht noch weiter: «Das gilt auch für die Schweiz.»

Welche Tiefe des Gedankens, welche Luzidität, welche Eloquenz in der Formulierung. In Wirklichkeit hat Dohnanyi nie verwunden, dass er sich eigentlich gerne wie Helmut Schmidt in der Rolle des Elder Statesman gesehen hätte, aber damit ziemlich alleine blieb. Denn es fehlte und fehlt ihm zwar nicht an Gehabe, aber an Format.

Aber wo Schatten ist, da ist auch Licht. Die Rubrik «Literatur und Kunst», nicht etwa nur betreut, sondern herausgegeben von Daniel Weber, beinhaltet ein Vielfaches an Anregung, Unterhaltung und Erkenntnisgewinn als die Durststrecke Interview mit Dohnanyi.

Dann folgen, ein Auf und Ab, wieder einige Seiten, die man für Vernünftiges verwenden könnte. «Leben heute» versammelt Abgehangenes. Mark van Huissling zitiert allen Ernstes aus einem eigenen Werk von 2013, als wäre da noch etwas zu verramschen. Linus Reichlin stellt eines seiner Zuckerwattestücke her. Elegant geschrieben, schmeckt, aber ist eigentlich nichts mehr als viel, viel Luft.

Claudia Schumacher, das kann jetzt als frauenfeindlich angesehen werden, nimmt jede Woche an einem Vierkampf teil. Sie, Dania Schiftan, Anabel Schunke und Tamara Wernli wetteifern darum, bei wem sich beim Leser am schnellsten das Gefühl einstellt, in ein nasses Handtuch zu beissen. In dieser Ausgabe ist’s ein Fotofinish.

Die Gesamtbeurteilung mit Augenmass

Wir wollen weise und gerecht bleiben: Die «Weltwoche» ist jede Woche eine Wundertüte. Gefüllt mit kleinen Knallern, grossen Petarden, einigem an Denknahrung, aber auch Ausflügen in die Flachlande der biederen Parteipolitik. Vieles ist elegant geschrieben, einiges brillant, manches ist ärgerlich überflüssig.

Der Dirigent des Chaosorchesters schwingt mit beeindruckender Energie den Taktstock, und verausgabt sich täglich mit wie Videocasts, abgesehen von all seinen sonstigen Aktivitäten. Einem solchen Energiebolzen kann man schwer Widerstand leisten, selbst wenn er nicht auch noch der Besitzer mit der Lizenz zum Töten wäre, also zum Entlassen. Dass sich Köppel ungeheuerlich engagieren kann, begeistern, losgaloppieren, spricht ungemein für ihn. Zudem man auch erste Anzeichen von Altersweisheit oder zumindest –milde zu beobachten meint.

Dem würden Sie sicher eine WeWo abkaufen: Roger Köppel.

Aber dann fehlt es wieder an Checks and Balances. Gibt es einen fatalen Hang zu Blubber-Königen wie Steve Bannon, der inzwischen nicht mal mehr mit Provokationen auffällt. Oder zu einem Dohnanyi, der für sein Alter tatsächlich noch recht kregel ist, aber das sollte noch lange kein Grund sein, ihm eine vielseitige Medizinstrecke für Schlaflose zu widmen.

Aber jede Woche ist eine neue Woche, und es gibt wohl kaum einen Chefredaktor, der so unermüdlich und mit sichtbarem Vergnügen ankündigt, dass die aktuelle Ausgabe mal wieder ganz besonders gut gelungen sei. Es liegt leider auch an der Konkurrenz, dass er damit – relativ gesehen – eigentlich fast immer recht hat.

 

*Packungsbeilage: René Zeyer veröffentlicht gelegentlich in der «Weltwoche».

Wumms: Rainer Stadler

Wenn’s einer nicht lassen kann, wird’s traurig.

Rainer Stadler war eine Institution. Jahrzehntelang begleitete er als Medien-Mann der NZZ alle Entwicklungen auf diesem Gebiet. Informiert, eigenständig und kantig. Als Spielfeld hatte er eine eigene Medienseite. Das leistete sich nur noch das Intelligenzblatt von der Falkenstrasse.

Dann wurde Stadler eher unfein entsorgt, nach ihm die Medienseite. Nun hat er auf der Gratis-Plattform «Infosperber» einen Multiplikator für seine Ansichten gefunden. Das tut nicht wirklich gut.

So analysiert er die Folgen des Neins zur Milliardenspritze für darbende Medienclans recht eigenwillig. Er sieht einige Hoffnungsschimmer im Online-Markt, wo neue Player enstanden seien:  «Einige Initianten – etwa Branchenportale, die «Republik» oder der «Infosperber» – konnten Fuss fassen. Der Grossteil muss aber mit sehr bescheidenen Mitteln zurechtkommen, und das Informationsangebot dieser Akteure ist öfters ungenügend.»

Nun ist Eigenlob nicht verboten, aber die Auswahl ist schon etwas befremdlich. Die «Republik» ein Branchenportal? Der «Infosperber» muss nicht mit bescheidenen Mitteln zurechtkommen? Und wie steht’s mit dem erfolgreichsten Newscomer, «Die Ostschweiz»*?

Aber gut, Meinungsfreiheit. Dass die Ablehnung eine schlechte Nachricht für den Presserat sei, ist eigentlich eine gute Nachricht. Denn das Organ der freiwilligen Selbstkontrolle manövriert sich mit realitätsfernen Entscheidungen immer mehr ins Aus.

Sehr eigen ist dann Stadlers Kritik am Ansinnen von Medienhäusern, sich an grossen Plattformen wie Facebook oder Google schadlos zu halten, wenn die Newselemente verwenden, die als Content hergestellt wurden. Das ist selbstverständlich legitim, sofern die Medien nicht so blöd sind, das Angebot zur vermeintlichen Reichweitensteigerung gratis abzugeben. Aber Stadler schimpft:

«Mit einem Leistungschutzrecht verschaffen sich die Medienhäuser die Legitimität für einen Zugriff auf kontinuierliche Einnahmen, die den Anschein einer privatwirtschaftlichen Lösung haben, faktisch aber eine intransparente Art Medienförderung sind, welche die Staaten ein paar amerikanischen Grosskonzernen aufzwingen.»

Was daran intransparent sein soll und wieso die Forderung nach Abgeltung von Leistungen Medienföderung sein soll, das erschliesst sich nicht.

*Packungsbeilage: René Zeyer publiziert regelmässig auf «Die Ostschweiz».

 

Wichtigtuer ohne Wichtigkeit

Interessiert die Botschaft oder der Botschafter? Tamedia ist unentschieden.

Früher hiess es: «the medium is the message». Form und Methode, die zur Kommunikation verwendet werden, haben einen bedeutenden Einfluss auf den Inhalt der Botschaft.

Im Rahmen des Elendssparjournalismus gibt es ein neues Phänomen zu beobachten. Man könnte es «the messenger is the message» nennen. Das äussert sich in verschiedenen Formen.

Zunächst einmal ist der eigene Bauchnabel des Schreibers ins Zentrum gerückt. Die eigene Befindlichkeit, Unwohlsein, Leiden, persönliches Erleben; der Leser wird zwangsweise in Beziehungsprobleme, Erziehungsknatsch, Essgewohnheiten, Hobbys und Vorlieben des Autors einbezogen.

Der geht durch eine Strasse, sieht einen Mohrenkopf an einer Hauswand – und ist betroffen. Er (kann auch eine Sie sein) verteidigt das Recht auf Burkatragen. Quält den Leser (kann auch eine Leserin sein) mit pseudofeministischen Sprachvergewaltigungen, verhunzt ganze Wörter mit Gendersternchen, Binnen-I und ähnlichen Folterwerkzeugen.

Der Autor (kann auch eine Autorin sein) fühlt sich diskriminiert, ausgeschlossen, eingeschlossen, leidet an seinem Arbeitsplatz unter männlicher Diskriminierung (eher selten unter weiblicher), kommt nicht zu seinem Recht als Mutter, Single, Lesbe, Dicker oder was auch immer.

Ablassventil für Frustrationen

Das ist offenbar das Ventil, um Frust über zunehmende Bedeutungslosigkeit abzudampfen. Inflationär gibt es daher auch Kommentare und Meinungen. Als ob es die Welt interessieren würde (oder den Leser), was ein Pseudo-Chefredaktor eines Kopfblatts eines Medienkonzerns zur Ukraine, Putin oder Biden meint. Als ob es jemanden interessieren würde, welche militärischen Sandkastenspiele veranstaltet werden.

Nun hat Tamedia seit einiger Zeit ein neues Wellnessprogramm für Journalisten aufgelegt. Unter jedem gezeichneten Artikel (also wenn nicht einfach SDA-Meldungen per copy/paste reinrutschen) wird der Leser – wenn er überhaupt so weit gekommen ist – mit ausführlichen Informationen über den Autor beglückt.

Eine unrepräsentative Sammlung:

Wollen wir wirklich wissen, dass eine Autorin vor vielen Jahren den Greulich-Kulturpreis gewann? Eine andere in Konstanz, Oxford und Freiburg i.Br. studierte? Jemand YB-Fan ist? Oder gar aufschreibt, was er hört und sieht, was natürlich für einen Journalisten schon bemerkenswert ist?

Woher diese neue Unsitte wohl kommt? Richtig, der abgehärtete Tamedia-Leser hat so seine Vermutung. Wenn schon jede Menge Inhalt von der «Süddeutschen» übernommen wird …

Original ist besser als Kopie

Allerdings gilt auch hier, dass das Original meistens eine Spur besser ist. Denn bei der SZ steht das nicht so aufdringlich am Schluss des Artikels. Sondern der Autorenname ist jeweils mit einem Link versehen, mit dem man auf eine Autorenseite kommt. Dort gibt es dann für Fans weitere biographische Angaben. Das hat Tamedia auch kopiert, aber zunächst wird der Leser mit ersten, launigen Hinweisen auf Vorlieben, Ausbildung, Themenbereiche und anderes belästigt.

ZACKBUM findet, dass das noch ausbaufähig ist. Irgend etwas stimmt noch nicht, wenn der Artikel länger als dieser Hinweis ist. Das scheint uns eine ganz falsche Gewichtung zu sein. Wir wären da für halbe, halbe. Mindestens. Zudem müssen wir an der Positionierung der Hinweise scharfe Kritik üben. Ganz am Schluss? Ganz falsches Signal. Das muss an den Anfang.

Schliesslich ist der Bote doch viel wichtiger als die Botschaft. Vor allem dann, wenn die Botschaft aus gebackener Luft besteht. Da ist man dann schon froh, dass wenigstens ein Mensch und kein Textroboter am Werk war. Wobei: wo ist genau der Unterschied?