Schweizer Käse

Aus eidgenössischen Banken tropfen Kundendaten, als wären die Tresore aus Emmentaler.

Reiche Menschen, sehr reiche Menschen, haben ein Problem. Es ist zwar ein Luxusproblem, aber immerhin: wohin mit dem vielen Geld? Das Modell Dagobert Duck existiert wirklich nur in Entenhausen.

Viel Geld manifestiert sich an der Oberfläche in irdischen Besitztümern. Also Villen, Yachten, Privatflugzeuge, plus teure Hobbys. Ein Hotel, ein Fussballclub, beides, eine ganze karibische Insel gehört auch zur Grundausstattung eines Milliardärs.

Da bleibt aber immer noch einiges übrig, und selbst eine sackteure Scheidung vermag nicht, den Milliardär zum armen Millionär zu machen. Daher ist sein Geld irgendwo zum grössten Teil investiert, zu einem anderen Teil gut gelagert. Nicht im Geldspeicher, sondern auf Bankkonten selbstverständlich.

Erschwerend kommt noch hinzu, wenn der richtig Reiche eigentlich aus einem Land mit einer Weichwährung kommt. Wie zum Beispiel der Rubel. Da liegt es auf der Hand, den grössten Teil der Batzeli in der Weltwährung Nummer eins zu halten. Das ist immer noch der US-Dollar. Natürlich kann man auch einen Währungssplit machen, also noch etwas Pfund, Euro, Yen und Schweizerfranken reinmischen. Aber der Dollar ist King.

Lieber ausserhalb des Zugriffs von Putin

Der Oligarch, davon ist natürlich die Rede, könnte nun seine ansehnlichen Geldberge auch in Russland von Banken beherbergen lassen. Aber bei aller Liebe zu Vaterland und Regierung, bei möglicherweise sogar freundschaftlichen Banden zu Präsident Putin oder seiner Clique: das abschreckende Beispiel Chodorkowski zeigte allen anderen, was einem passieren kann, wenn man frech wird und in Ungnade fällt.

Da ist es schon weiser, seine Kröten etwas ausserhalb des Zugriffs des russischen Potentaten zu lagern. Warum nicht in der diskreten Schweiz. Aber mit diskret hat es sich. Gerade führt Tamedia wieder vor, was man aus den diversen Datenleaks, also auf Deutsch Datendiebstählen, alles rausmelken kann. «Sanktionierter Russe hatte Hunderte Millionen in der Schweiz». Locker zählt der Tagi drei stinkreiche Russen auf, samt Erwähnung deren Spielzeugen wie die grösste Privatyacht der Welt, plus sogar Kontobewegungen auf diversen Bankverbindungen in der Schweiz.

Seit dem letzten Datenklau bei der Credit Suisse plädiert ZACKBUM sowieso dafür, gleich sämtliche Daten aller Kunden einfach ins Internet zu stellen. Spart den Hackern Arbeit. Dieser Artikel erscheint genau in dem Moment, in dem der US-Präsident Joe Biden die Gunst der Stunde erkannt hat.

Denn die USA haben ja besondere Durchgriffsrechte, wenn es sich um Dollar handelt. Davon machen sie ungeniert Gebrauch. So hatte Afghanistan rund 12 Milliarden Devisen in Dollar geparkt. Die Hälfte kriegt ihr zurück, beschieden die USA der neuen Regierung, die andere Hälfte behalten wir, um Opfer eurer Untaten zu entschädigen. Das ist schlichtweg Diebstahl, aber wer soll das Uncle Sam beibringen.

Vom gehätschelten Gast zum Feindbild

Nun geht’s also aufs Feindbild «Oligarch». Der wurde gehätschelt und gepflegt, vor allem in London, aber auch in der Schweiz. Da er freigiebig mit vielen, vielen Millionen um sich wirft, war er ein gern gesehener Gast, Kunde, Mitbürger.

Aber nun meint Biden:

«Ich sage den russischen Oligarchen: Schluss damit!»

Womit? Mit ihren «Verbrechen». Welche denn auf einmal? Das erledigt eine neu gegründete Task Force der USA: «Wir schliessen uns mit unseren europäischen Verbündeten zusammen, um Ihre Yachten, Ihre Luxuswohnungen und Ihre Privatjets zu finden und zu beschlagnahmen. Wir werden uns Ihre unrechtmässigen Gewinne holen.»

Das hört sich nun fast so an, als sei das eine Ankündigung von Lenin nach der Oktoberrevolution in Russland. Nur sagt das diesmal nicht ein kommunistischer Revolutionär, sondern ein kapitalistischer US-Präsident. Offenbar hat Putins Einmarsch in die Ukraine all ihre Vermögenswerte zu unrechtmässigen Gewinnen gemacht.

Neue Lagermethoden in den Tresoren Schweizer Banken.

Statt sich durch Dienstleistungen, Verkäufe und Liebedienerei ein Scheibchen von diesen Vermögen abzuschneiden, wollen die USA gleich ans Eingemachte. Wieso absurde Preise für die Instandhaltung einer Luxusyacht verlangen? Ist doch viel gewinnbringender, sie einfach zu beschlagnahmen. Wieso wenig Steuern auf eine Immobilie kassieren? Her damit, samt Inhalt natürlich. Was, der Oligarch ist in eine westliche Firma investiert? Sicher unrechtmässig, kriegt er weggenommen. Kann ja versuchen, eine Entschädigung einzuklagen. Und viel Spass dabei.

Da soll noch einer sagen, im Wilden Osten herrschten rechtsstaatferne Sitten, während im Wilden Westen alles gesittet und ordentlich zugehe.

 

Werte, Werte, Werte

Tut man. Tut man nicht. Ist so. Kann auch ganz anders sein.

In stürmischen Zeiten wandeln sich die Werte. Der im Theatersaal des Volkshauses stattfindende Prozess gegen den gefallenen Bankerstar Pierin Vincenz musste noch dislozieren, wenn am Abend der «Schwanensee» von einer russischen Ballett-Truppe gegeben wurde.

Wäre wenige Wochen später undenkbar; schon die Präsenz der russischen Sopranistin Anna Netrebko im Zürcher Opernhaus wird als unerträglich empfunden.

Wodka, Blini, Kaviar, russisches Neujahr, beliebte Gaumen- und Festfreuden. Geschäfte mit Russland machen? Aber gerne, solange der Rubel rollt. Arbeiten für russische Unternehmen in der Schweiz? Warum nicht. Roter Teppich für Oligarchen? Unbedingt, was die alleine in einem Restaurant liegenlassen, sagenhaft. In Hotels waren sie nicht allzu gerne gesehen. Zwar ausgabenfreudige Gäste, aber mit oder ohne Alkoholeinfluss war das Verhalten nicht immer mitteleuropäischen Standards entsprechend.

St. Moritz, Genf, Gstaad, undenkbar in der Saison, dass nicht reiche Russen geschmacklose Pelzmäntel zur Schau stellen. Schliesslich Schweizer Geldhäuser. Die Betreuung von UHNWI, der obersten Klasse von Privatkunden, konnte zwar schwer auf die Leber gehen, aber da flogen dann nur so die Dutzenden von Millionen. Mit entsprechenden Kick-backs, Fees, Verwaltungsgebühren, Anlageanstrengungen.

Urlaub in Russland? Unbedingt; St. Petersburg, Moskau, selbst Chabarowsk, transsibirische Eisenbahn, muss man erlebt haben. Zudem völkerverbindende Beziehungen zwischen Schweizern und Russen; wer Blondgefärbtes mag, wieso nicht.

Ging alles, entsprach problemlos unseren Werten. Das rote Reich des Bösen, der russische Bär als Feindbild, die Militärmaschine als Angstmacher, ach was. Sicher, ein lupenreiner Demokrat ist Präsident Putin nicht, aber schliesslich war ja Russland noch nie wirklich eine Demokratie. Andere Länder, andere Sitten, muss man tolerieren. Solange der Rubel rollt.

Und jetzt? Umwertung aller Werte. Wie kann man nur. Bolschoi-Ballett? Pfui. Russische Sänger? Igitt. Russische Sportler? Sollen zu Hause bleiben. Behinderte russische Sportler? Sollen behindert zu Hause bleiben. Wodka, Kaviar, Blinis: Sollen auch in Russland bleiben. Geschäfte machen? Niemals, mit diesem Verbrecher. Für russische Firmen in der Schweiz arbeiten? Selber schuld, wenn man dann auf der Strasse steht.

So wetterwendisch sind  solche Werte.

Wumms: Infosperber

Keiner zu klein, Zensor zu sein.

Die Plattform, die angeblich sieht, was andere übersehen, deren Beiträge «die persönliche Meinung des Schreibenden wiedergeben», fordert ein weiteres Opfer der Invasion in der Ukraine. Ganz dezent vermeldet «Infosperber»: «Christian Müller verlässt die Redaktionsleitung».

Das ist nun durchaus ein der «Prawda» würdiger Titel. Denn weiter unten heisst es dann: «Wir lösen die langjährige Zusammenarbeit auf.» Oder auf gut Deutsch: you’re fired. Hoppla, was ist denn geschehen? Hat man Müller dabei ertappt, einen Sperber zu quälen? Wurde er übergriffig? Weigerte er sich, inkludierende Sprache zu verwenden?

Nein, noch schlimmer: er habe es «konsequent unterlassen, die Politik von Putin auch kritisch zu analysieren». Potzteufel, das habe «die Glaubwürdigkeit von infosperber in Frage gestellt».

So kann sich selbst ein Sperberauge täuschen. Einen langjährigen Mitarbeiter zu feuern, weil einem dessen Meinung zum Ukrainekonflikt nicht passt, der nicht genügend Abscheu und Kritik über und an Putin äussert, obwohl das ja genügend andere Schreiber tun, das stellt die Glaubwürdigkeit nicht in Frage. Das zerstört sie.

Erregte Tamedia-Frauen

War da mal was? Vor genau einem Jahr? Als der Bauchnabel noch das Zentrum der Welt war.

Manchmal reicht schon ein Jahr Distanz, um die Bedeutungslosigkeit, ja Lächerlichkeit einer Aktion in aller Hässlichkeit zu enthüllen. Wir erinnern uns kurz: Vor einem Jahr lancierten 78 Tamedia-Frauen einen Protestbrief, in dem sie sich über demotivierende, sexistische, diskriminierende, unerträgliche Zustände auf den Redaktionen von Tamedia beschwerten.

Eigentlich war das Schreiben für den internen Gebrauch gedacht gewesen. Aber die beiden Rädelsführerinnen kamen auf die grossartige Idee, es via Jolanda Spiess-Hegglin in die Öffentlichkeit zu transportieren. Obwohl die meisten Unterzeichner gar nicht um Erlaubnis gefragt worden waren. Es gab Schauerliches zu beklagen: Frauen würden «ausgebremst, zurechtgewiesen oder eingeschüchtert».

Ergänzt war der Protestbrief mit einem Ultimatum, dass bis zum 1. Mai 2021 aber ganz radikal was passieren müsse. Und einer Latte von über 60 anonymisierten Beispielen, wie unmenschlich es bei Tamedia zu und herginge. Die Müsterchen waren damals schon lachhaft, sie sind es heute noch:

«Als jemand das Thema Gendersternchen vorschlug, hiess es erst, es sei schon genug «Klamauk» zum Thema gemacht worden. Das richtete sich nicht per se gegen eine Frau, aber gegen die Art des gendergerechten, integrierenden Schreibens.»

«Bei einem Text, der ausschliesslich von der Perspektive junger Frauen handelte, sagte der ältere Vorgesetzte: «Es ist falsch, was du schreibst.»

«An Sitzungen wiederholen Männer oft die Ideen, die in den ersten 5 Minuten von Frauen des Meetings vorgebracht wurden. Die Männer ergänzen die Idee nicht, sondern sagen einfach dasselbe, ohne zu erwähnen, dass die Idee von Kollegin xy stammt.»

«Aber ihr seid doch mitgemeint, wenn man das generische Maskulinum benutzt.» – «Nein, ich fühle mich nicht mitgemeint. Du weisst nicht, wie ich mich fühle.» – «Ihr seid mitgemeint. Das ist historisch so.»

«Es wird uns Journalistinnen nicht zugetraut, entsprechend unseres journalistischen Instinkts und unserer Expertise Themen zu erkennen und journalistisch umzusetzen.»

«In einer Blattkritik wurde der Einstieg eines Textes über den historischen Frauenstreik kritisiert: «Wir sollten ob unserer Begeisterung nicht unser Urteilsvermögen aufgeben.»»

«Ich: «Verdienen Männer hier denn mehr als Frauen, wie ist es so mit der Lohngleichheit?» Antwort, schreiend: «Du musst den Vertrag ja nicht unterschreiben.»»

Was geschah dann? Die (männliche) Führungsriege warf sich in den Staub. Heuchelte Betroffenheit, sah ein Problem, der Oberchefredaktor entschuldigte sich schon mal präventiv für alle Untaten, obwohl keine einzige bewiesen wurde.

Nach diesem mutigen Aufschrei verstummten die Tamedia-Frauen allerdings. Vor allem, wenn man ihnen höflich Fragen stellte.

Was bleibt, ausser viel Schall?

Inzwischen, ein Jahr später, ist die damalige Aufregung Tamedia nicht mal mehr eine einzige Zeile wert …

Damals sollte das stattfinden, was bei Vorwürfen dieser Art Brauch ist: eine Untersuchung, brutalstmöglich. Dazu wurde zuerst, haben wir gelacht, eine der Mitunterzeichnerinnen ausgeguckt. Nachdem es der Führungsriege nach langem Nachdenken auffiel, dass das vielleicht keine gute Idee sei, wurde eine externe Firma mit der Abklärung der anonymen Vorwürfe beauftragt.

Und seither klärt die ab und klärt ab. Und klärt ab. Nachfragen nach allfälligen Ergebnissen, so nach einem Jahr, werden von der Medienstelle vom Tisch gewischt. Die Tamedia-Frauen arbeiten seither klaglos weiter, obwohl nicht bekannt ist, dass sich an diesen frauenverachtenden Umständen etwas geändert hätte.

Sichtbar wurde nur, dass immer häufiger absurden Themen wie Gendersprache, korrekte inkludierende Verwendung der Sprache und ähnlichem Pipifax ganze Mehrseiter gewidmet wurden, die auch in der Retrospektive für Lachsalven sorgen würden, könnte sich jemand noch daran erinnern, mit welchem Bierernst hier die Wichtigkeit eines richtig gesetzten Sternchen beschworen wurde.

Zeitenweise schien es so, dass für Tamedia-Mitarbeiter kein anderes Thema so wichtig sei wie der Kampf gegen die männerdominierte Sprache. Aber der Zeitgeist ist gnadenlos; gelegentlich durchgeführte Umfragen belegten, was sowieso klar war: dem Publikum, dem Leser gehen solche Sprachturnereien schwer an einem gewissen Körperteil vorbei – wenn sie ihm nicht ganz kräftig auf den Sack gehen. Das gilt auch für Leserinnen.

Letzte Kämpfer sind noch am Gerät

Also bemühen sich Kämpfer für eine inkludierende Sprache heute noch, mit Knacklauten, Binnen-I und ähnlichem Schwachsinn ihre Solidarität mit dem unterdrückten Geschlecht auszudrücken. Allerdings fand niemand von diesen Bewegten eine Lösung fürs Problem, dass die Welt bekanntlich neuerdings nicht mehr nur aus Männlein oder Weiblein besteht. Sondern aus einem ganzen Zoo von über 150 verschiedenen sexuellen Orientierungen. Womit nur die gemeint sind, die sich eindeutig zuordnen können, es gibt auch noch das Heer der Non-Binären, die selbst die Definition, ein schwarzer Transvestit mit Migrationshintergrund und aus der Sklaverei stammender Diskriminierung zu sein, als zu einengend empfinden würden.

Aber wenn der Krieg in der Ukraine etwas Gutes hat: all diese selbstverliebte, auf den eigenen Bauchnabel fixierte, krampfhaft nach Möglichkeiten des Leidens suchende Jammerlitanei ist verstummt. Welch eine Wohltat innerhalb von so viel Schrecklichem.

Wofür schreiben wir?

Die Welt spricht nicht zu uns. Wir brauchen Vermittler dafür.

Die Nachricht ist eine der ältesten Kommunikationsformen der Menschheit. Der Späher, der ein Mammut entdeckt hat und das seinen Höhlenwohnern mitteilt, damit die Fleischvorräte aufgestockt werden können.

Das Narrativ, mit welchen Methoden man erfolgreich ein Mammut jagen und erlegen kann. Das Heldenlied, das nachahmenswerte, edle, gute Verhaltensweisen besingt. Aber auch die Lüge, die Propaganda, die Instrumentalisierung der Kommunikation für Manipulation, Beeinflussung, Lenkung.

Die Welt spricht nicht zu uns, aber indem wir über die Welt sprechen, wollen wir sie verstehen. Verstehen hilft ungemein. Vor allem, wenn es Glauben ersetzt. Wer glaubt, die Welt sei eine Scheibe, an deren Rand man ins Ungewisse hinabstürzt, hätte niemals die Welt erkundet. Wer glaubt, ein Blitz sei ein Zeichen eines zürnenden Gottes, hätte sich niemals die Elektrizität zu eigen gemacht.

Kommunikation sollte auch dazu dienen, Nachrichten aus uns unbekannten oder unzugänglichen Gegenden der Welt zu bekommen. Sie sollte uns instand setzen, uns ein Weltbild zu machen.

Weltbilder können Verständnis befördern

Durch ein Weltbild entsteht zumindest Teilhabe. Entsteht die Möglichkeit, auch grosse und von uns nicht beeinflussbare Ereignisse an unseren Massstäben zu messen. Den Versuch zu unternehmen, zwischen falsch und richtig zu unterscheiden. Zwischen unterstützenswert und verabscheuungswürdig.

Das bestimmt dann unser Handeln. Sei es die Teilnahme an einer Demonstration, Spendenbereitschaft oder gar der persönliche Einsatz, wie ihn auch erstaunlich viele Schweizer leisten.

Natürlich, die abstrakte Rede ist von den konkreten Ereignissen in der Ukraine. Die Rede ist davon, dass die deutschsprachigen Massenmedien weitgehend nicht ihre Aufgabe erfüllen. Denn es sollte gravierende Unterschiede zwischen der staatlich kontrollierten Presse in Russland und der sogenannten freien Presse im Westen geben.

In Russland werden kritische Stimmen zum Verstummen gebracht, sogar absurde Sprachregelungen erlassen wie die, dass nicht von einer Invasion oder einem Krieg in der Ukraine berichtet werden darf. Das ist ein indirekter Beweis, wie wichtig Kommunikation ist, wenn ein Regime meint, durch die Unterdrückung von Worten eine missliebige Sicht auf Ereignisse unterdrücken zu können.

Diese Methode der Schönfärberei begleitet seit Urzeiten alle autoritären Systeme. In der Mediengeschichte gibt es wohl kaum ein zweites Organ wie die «Prawda». Ihr Name lautet «Wahrheit», dabei wurde kaum wo dermassen umfangreich gelogen wie in der 110-jährigen Geschichte dieser Zeitung.

Eine verzerrte Darstellung der Wirklichkeit hat meistens nur eine überschaubare Wirkung. Auch wenn niemand behaupten kann, die einzig richtige und objektive Darstellung der Realität liefern zu können: zu grosse Abweichungen brechen irgendwann zusammen. Der Propaganda-Apparat der Nazis war beeindruckend; aber statt Endsieg und totalem Krieg gab es die totale Niederlage.

Auch die sowjetische Propaganda war nicht schlecht unterwegs. Trotz ständigen Planübererfüllungen und neuen Triumphen des Sozialismus brach die UdSSR zusammen.

Dass Russland in dieser Tradition versucht, die Nachrichten aus der Ukraine zu manipulieren, erstaunt nicht. Dass die deutschsprachigen Mainstream-Medien weitgehend dabei versagen, ihren Konsumenten Entscheidungsvorlagen zur Beurteilung der Ereiginisse zu liefern, Hintergründe, Zusammenhänge, verblüfft auch nicht wirklich.

Medien als Erkenntnisverhinderter

Bereits während der Pandemie verabschiedeten sich viele Medien von ihrer Aufgabe als Kontrollinstanz, als kritische Begleiter staatlichen Handelns. Nicht umsonst gibt es unter Journalisten das Bonmot, dass Ausland sowieso gegendarstellungsfreier Raum sei. Was in Schweizer Gazetten über die Ukraine oder Russland berichtet wird, interessiert in diesen Ländern eigentlich nicht.

In der Schweiz sollte es hingegen den mündigen Staatsbürger interessieren, wie er denn die Ereignisse in Europa einordnen kann. Trifft es die Wirklichkeit, dass Putin der Beelzebub und Selenskyj der strahlende Held ist? Wäre Verständnis herstellen nicht sinnvoller als verurteilen?

Bei jedem Verbrechen werden die Motive des Täters untersucht. Gibt es mildernde Umstände oder handelte er besonders heimtückisch? Ist es eine Tat im Affekt oder sorgfältig geplant? Liegt eine psychische Störung vor? Zudem sollte, zumindest im aufgeklärten Westen, die Strafe nicht der Rache, sondern der Resozialisierung dienen.

Statt Verständnis Sippenhaft

Das würde hier bedeuten, Präsident Putin wieder in die Völkergemeinschaft aufzunehmen, wenn er überhaupt resozialisierbar ist. Aber all das findet im veröffentlichten Weltbild nicht statt.

Es wird sogar nicht nur gegen die Verursacher und Schuldigen gekeilt. Sportler, Künstler, eigentlich jeder Russe, dem man habhaft werden kann, wird in Sippenhaft genommen. Beziehungsweise es wird ihm abverlangt, sich entweder deutlich von den Taten seines Präsidenten zu distanzieren – oder er wird stigmatisiert, diskriminiert, ausgegrenzt, ausgeladen, entlassen.

Viele dieser so Angerempelten haben Rücksichten zu nehmen. Befinden sich in direkten oder indirekten Abhängigkeitsverhältnissen, müssten Repressionen wenn nicht gegen sich selbst, dann gegen Verwandte und Nahestehende befürchten.

Das alles ist aber Medienschaffenden egal, die zwar wissen, dass die Erde keine Scheibe ist, sie aber gerne so flach, eindimensional, leicht zu kartographieren darstellen wollen. Diese Art von Weltsicht hat noch nie Erkenntnisgewinn gebracht. Und das sollte ja eigentlich der tiefere Sinn jedes kommunikativen Handelns sein.

 

Wumms: Philipp Loser

Reloaded: Mit Wikipedia und ohne Verstand lässt sich eine Kolumne füllen.

Der Tamedia-Redaktor Philipp Loser verkörpert vieles, was für den Niedergang des Journalismus verantwortlich ist, für sein beschädigtes Renommee, für den Vertrauensverlust. Er ist zuvorderst ein übler Konzernjournalist, gerne bereit, für seine Brötchengeber in den Kampf zu ziehen und Konkurrenten so übel niederzumachen, dass der Artikel gespült werden musste, er einen Rüffel kassierte und sich dafür zu entschuldigen hatte.

Loser hat bereits eine breite Schneise der Zerstörung im Journalismus hinterlassen.

Vielleicht als Kompensation für eigene Leerstellen greift er in seiner jüngsten Kolumne in die Geschichte zurück und gräbt einen ganz schrägen Vergleich aus:

«Das Lavieren der Politik zu Beginn des Kriegs erinnert an den Umgang der offiziellen Schweiz mit dem Flüchtlingshelfer Paul Grüninger vor achtzig Jahren.»

Das kommt heraus, wenn ein intellektueller Zwerg sich mit einem Wikipedia-Eintrag bewaffnet und daraus eine Story über Paul Grüninger macht. Wobei der Wikipedia-Eintrag entschieden erhellender ist als sein Gestolper. Nach einer Nacherzählung im Schulaufsatz-Stil kommt der Salto in die Gegenwart:

«Es passt recht gut zu all den Bildern, die momentan aus der Ukraine zu uns kommen. Man sieht die entschlossenen und verzweifelten und traurigen Ukrainerinnen und Ukrainer, und wenn man sich die Bilder zu lange ansieht, dann reagiert der Körper. Mit einem Ziehen im Magen, mit leichtem Zittern. Man bewundert den Mut dieser Menschen, ihre Unbeirrbarkeit.
Dann denkt man an den Bundesrat und seine geschämige Reaktion unmittelbar nach dem russischen Angriff  und weiss: Die Schweiz hätte sich auch anders verhalten können. Die Schweiz hätte sich anders verhalten müssen. Dass das geht, hat uns Paul Grüninger gezeigt.»

Der Bundesrat hätte sich wie Grüninger verhalten sollen? Das wäre dann wie gewesen? Merkt das Irrlicht nicht, dass er eine Verbindung herzustellen versucht, wo es keinen Zusammenhang gibt? Ist er einfach stolz darauf, dass er angesichts der Erwähnungen Grüningers zu dessen 50. Todestag endlich auch von dessen Wirken erfahren hat? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, als diesen schrägen Vergleich zu versuchen, die Rolle von Recha Sternbuch oder Ernest Prodolliet zu erwähnen? Oder den verhinderten Schweizer Hitler-Attentäter Maurice Bavaud, dem Niklaus Meienberg ein filmisches und literarisches Denkmal setzte?

Aber he, das würde ja Ansätze einer historischen Bildung voraussetzen. Stattdessen reagiert der Körper beim Lesen dieser Unsinns-Kolumne mit einem Rumoren im Magen.

Faktencheck: Swift

Zeichen setzen mal ganz absurd.

Alle Maulhelden, die auch von der Schweiz forderten, gegenüber Russland müsse ein Zeichen gesetzt werden, sind zufrieden. Der Bundesrat in seiner unendlichen Weisheit hat sich – Neutralität hin, Neutralität her – den EU-Sanktionen gegen Russland angeschlossen.

Als besonders scharfes Schwert, als ausserordentlich schmerzhaft wird dabei der Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift gelobt. What a joke, wie da der Ami sagt. Dem versammelten Sachverstand der Schweizer Wirtschaftsjournis ist es nicht gelungen, ein paar banale und offenkundige Tatsachen zu erklären.

Was ist Swift eigentlich schon wieder?

Swift ist kein Zahlungssystem; über Swift finden keinerlei Finanztransaktionen statt. Wenn von Konto A etwas auf Konto B überwiesen werden soll, kann das per Telefon, per Fax (so wie das BAG die Pandemie bekämpfte) oder per Telex geschehen. Oder unter Verwendung von Swift. Die «Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication» (Swift) ist eine Genossenschaft, der weltweit rund 11’000 Banken angehören. Ihre Rechenzentren stehen in Holland, in den USA und – in der «neutralen» Schweiz.

Die Genossenschaft bietet ein Telekommunikationsnetz an, das besonders sicher sein soll und über das genormte Informationen verschickt werden. Pro Tag werden rund 30 Millionen solcher Datenübertragungen abgewickelt. Auch der kleine Teilnehmer am Zahlungsverkehr kennt den Swift-Code, der zur normierten Identifizierung einer Transaktion benutzt wird.

Der gross angekündigte Ausschluss russischer Geldhäuser von Swift trifft daher, wenn überhaupt, die Kleinen. KMU und Menschen, die anderen Menschen Geldbeträge schicken wollen. Auch dafür gibt es natürlich alternative Wege, aber die sogenannten Transaktionskosten sind höher. Eine normierte Überweisung kostet im Schnitt 2 Franken (oder weniger), wer sein Geld mit Western Union oder anderen solchen Dienstleistern überweist, muss schmerzliche 10 Prozent (oder mehr) dafür abdrücken.

Wer alles nicht von der Sanktion betroffen ist

Der Oligarch, die Clique um Präsident Putin, die grosse Staatsfirma, all die sind durch diesen Ausschluss kaum betroffen. Vollständig zum Witz wird dieses Zeichen dadurch, dass die beiden wichtigsten Banken Russlands davon nicht betroffen sind. Eine davon heisst Gasprombank, was darauf hinweist, dass ihr hauptsächlicher Daseinszweck die Abwicklung von Zahlungen rund um Erdgas- und Ölgeschäfte ist.

Da nicht nur Deutschland zu 40 Prozent von russischem Erdgas abhängig ist, will man zwar ein deutliches «Zeichen» setzen, aber bitte nicht so, dass der deutsche Bürger in seiner ungeheizten Stube sich den Hintern abfriert. Denn ein solches Zeichen würde wohl von der Bevölkerung nicht goutiert werden. Die Schweiz importiert übrigens 47 Prozent ihres Erdgases aus Russland.

Zudem leben wir schon lange nicht mehr in einer unipolaren Welt, was den internationalen Zahlungsverkehr betrifft. Neben Swift gibt es das Clearing- und Abwicklungssystem Cips. Die Abkrüzung steht für «Cross-Border Interbank Payment System». Für Chinas Clearing. Nun steckt Cips noch in den Kinderschuhen, lediglich rund 80 Banken sind ihm bislang angeschlossen. Das wird sich aber rasant ändern.

Finanzströme in einer multipolaren Welt

Denn bei Swift steht nicht zufällig eines der Rechenzentren in den USA. Deren Geheimdienste wollen natürlich auf dem Laufenden bleiben, welche Finanztransaktionen weltweit stattfinden. Früher wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, ein solches Datenvolumen zeitnah auszuwerten. Das ist heutzutage kein Problem mehr.

Nicht nur China ist daran interessiert, den USA diesen Einblick in Transaktionen zu verwehren. Solange die chinesische Währung Yuan noch nicht frei konvertibel ist, wird Cips nicht auf Augenhöhe mit Swift kommen. Aber alles ist im Fluss, China ist bekanntlich der grösste Handelspartner Russlands.

Gleichzeitig bieten die Sanktionen eine einmalige Gelegenheit, die Dominanz des Petrodollars zu brechen. Das Wort steht für die Tatsache, dass bis heute die meisten Ölgeschäfte in US-Dollar abgerechnet werden. Mit den USA natürlich, aber auch bilateral, selbst wenn die Ukraine und Russland Gaslieferungen fakturieren.

Daraus ergibt sich eine Abhängigkeit der Landeswährung ölexportierender Länder vom US-Dollar, die USA wissen über all diese Transaktionen Bescheid, grosse Dollarbestände fliessen in US-Tresore, alleine durch Seignoriage machen die USA nette Zusatzprofite.

Wenn nun Russland als wichtiger Rohstoffproduzent und China als wichtiger Rohstoffkonsument dazu übergehen, Cips zu benutzen und eine konvertible Währung (könnte auch virtuell auf Blockchain aufgebaut sein), dann wäre diese Sanktion vollständig ein Rohrkrepierer.

Aber solche Zusammenhänge sind für Pace-Fahnen schwingende Demonstranten, die «Stoppt Putin» rufen, viel zu kompliziert.

 

Wumms: BBC

Hier wird nicht nur gebasht. Auch getrauert und gelobt.

Nicht ohne Mühe kann man das Anbranden von Schlamm, Schmiere, Hysterie, Kriegsgeschrei und hirnloser Verurteilung statt Erklärung in den elektronischen, digitalen und auch gedruckten Medien aussperren.

Das löst aber nicht das Problem: wo informieren? Da gibt es für alle nicht Fremdsprachenbegabte eine schlechte Nachricht. Auf Deutsch ist Wüste statt Oase. Auch die sogenannten Qualitätsmedien kriegen immer mehr Schlagseite. NZZ, FAZ, «Die Welt», von «Süddeutsche», «Spiegel» und Konsorten ganz zu schweigen: zunehmend unbrauchbar.

Sicher, kräftige Adrenalinstösse putzen die Gefässe durch und halten wach. Aber eigentlich sollte der Sinn von Informationsaufnahme sein, sich ein besser Weltbild machen zu können. Weltbild im Sinn von: Versuch, zu verstehen.

Dagegen gibt es immerhin einen kleinen Lichtblick. BBC, «Financial Times» aus England, «Wall Street Journal», «The Atlantic» und fürs ganz Gehobene «The New Yorker» aus den USA.

Wer hat schon so viel Zeit? Gut, dann BBC. Reicht. Englisch sollte man können? Schon, sonst gibt’s aber inzwischen auch schon ziemlich gute Simultanübersetzungsprogramme. Nicht alle gratis, aber das sollte einem eine verbesserte Sicht auf die Welt schon wert sein.

Spielen mit nuklearem Feuer

Was ist gefährlicher als ein sowjetisches AKW?

Noch gefährlicher ist ein von russischen Truppen angegriffenes AKW. Die Ukraine war der Schauplatz der grössten Reaktorkatastrophe Europas. 1986 explodierte der Reaktor in Block vier von Tschernobyl und eine radioaktive Wolke breitete sich aus.

In der Nacht zum 4. März zeigen Videoaufnahmen den Beschuss des AKW Saporischschja in der Ukraine. Er soll durch russische Truppen erfolgt sein, die Bilder zeigen, wie auf dem Gelände ein Feuer ausbricht.

Schon damals wurde die «Havarie» zuerst heruntergespielt, dann scheibchenweise eingestanden. Auch heute heisst es beruhigend, dass keinerlei erhöhte Radioaktivität gemessen worden sei.

Wenn es aber tatsächlich so ist, dass russische Truppen um und auf dem Gelände eines AKW herumballern, dann ist das ein direkter Angriff auf unschuldige Menschen. Diesmal nicht nur in der Ukraine, sondern in ganz Europa. Denn falls es zu einem radioaktiven Fall-out kommen sollte, hängt es lediglich von der Windrichtung ab, ob es die Ukraine, Russland, andere Anrainerstaaten oder andere Teile von Europa erwischt.

Auch in Friedenszeiten tragen AKW, die mit sowjetischer Technologie gebaut wurden, nicht gerade zum ruhigen Schlaf bei. In Saporischschja haben sich seit Inbetriebnahme im Jahre 1984 diverse Zwischenfälle ereignet. Inklusive Tschernobyl gibt es fünf AKW in der Ukraine. Die Energieversorgung des Landes hängt weitgehend davon ab. Daher sind diese Stromproduzenten ein strategisches Ziel ersten Ranges für jede Invasion.

Immer vorausgesetzt, die Medienberichte treffen zu, ist es Ausdruck höchster Verantwortungslosigkeit, sich bei solch sensiblen Bauwerken nicht auf eine Verhandlungslösung zu konzentrieren, sondern sie offenbar mit Gewalt in Besitz zu nehmen.

Den Beobachtern im Westen, in der Schweiz, bleibt da nur ohnmächtiges Zuschauen.

Faktencheck: Neutralität

Wieso blieb die Schweiz bei der Invasion im Irak neutral?

Es war völkerrechtswidrig, es erfolgte unter Vorspiegelung falscher Tatsachen (Massenvernichtungswaffen), es führte ins Desaster. Völlig richtig, unter Wahrung ihrer Neutralität, wurde die Schweiz beim Überfall auf den Irak nicht Partei.

«Die Neutralität der Schweiz ist uneingeschränkt, absolut.» Das konnte noch der damalige Chefredaktor der NZZ im Oktober 1939 ohne rot zu werden schreiben. Denn es stimmte, und es trug dazu bei, dass die Schweiz aus dem Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet hervorging.

Auch damals gab es Kräfte, die aus moralischen oder ideologischen Gründen eine Parteinahme der Schweiz befürworteten. Entweder an der Seite Hitlerdeutschlands oder an der Seite der Alliierten gegen die Faschisten.

Die ewigwährende, 1815 zum ersten Mal international anerkannte bewaffnete Schweizer Neutralität ist logischerweise immer wieder Zweifeln ausgesetzt. Ist das nicht feiges Ausweichen? Ist das nicht indirekte Legitimierung von Greueln, Untaten, Unrechtsstaaten, kriegerischen Handlungen? Rosinenpickerei, unter dem Deckmantel der «guten Dienste» und des neutralen Verhandlungsorts wird doch über die Schweiz Handel betrieben, der anderswo von Sanktionen beschränkt wird.

Heutzutage extremer denn je; obwohl auch die Schweiz über diskrete Handelshäuser verfügte und verfügt, machte es erst die Globalisierung und das Internet möglich, dass zum Beispiel 80 Prozent des Rohstoffhandels über die Schweiz abgewickelt wird.

Die gleichen Fragen, die schwierigen Antworten

Also stellen sich heute wie damals die gleichen Fragen. Ist Neutralität verhandelbar? Ist sie ein Deckmäntelchen für unappetitliche Geschäfte? Ist es, in einem Wort, das Verhalten eines Krisen- und Kriegsgewinnlers?

Das alles sind Fragen, die wie meistens in der Welt keine einfachen Antworten finden. Im Zweiten Weltkrieg gab es Versagen der Behörden, ohne Zweifel. Vielleicht hätte man mehr Juden retten könne. Vielleicht hätte man das Überleben der in die Schweiz Geretteten damit gefährdet. Im Nachhinein ist es immer wohlfeil, mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger zu wackeln.

Vielleicht hätte man sich gegenüber nachrichtenlosen Vermögen anständiger verhalten können. Alles Konjunktiv.

Indikativ ist, dass es eine Neutralität gibt, die genau das bedeutet, was das Wort aussagt. Weder noch. Nicht die einen, nicht die anderen. Mit nichts gemein machen. Weder mit dem unbestreitbar Guten, noch mit dem verabscheuungswürdigen Schlechten.

Die dünne rote Linie ist deutlich und unbestreitbar vorhanden. Verurteilung der völkerrechtswidrigen, vertragsbrüchigen, kriminellen Invasion der Ukraine, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Sicherlich nicht durch eine Entnazifizierung einer Regierung, deren Präsident jüdischen Glaubens ist, sicher nicht durch die Verhinderung eines angeblichen Genozids, der aus hässlichen lokalen Übergriffen besteht.

Verurteilung, auch mit scharfen Worten: unbedingt, ja. Übernahme von Sanktionen einer Organisation, der die Schweiz nicht angehört? Übernahme von EU-Sanktionen, die – wie nicht der Fall Nordstream 2 zeigt – in der Schweiz unübersehbare Folgenwirkungen haben? Übernahme von Sanktionen, die opportunistisch das einzige Gebiet ausklammern, dass Russland echt und schnell wehtun könnte, nämlich den Gas- und Erdölhandel?

Was nützen Schweizer Sanktionen

Wieso ist es möglich, dass eine Schweizer Landesregierung im Gegensatz zu all ihren Vorgängern sich von politischen und medialen Maulhelden, plus vom üblichen wohlfeilen Druck aus dem Ausland, dazu flachklopfen lässt, ein Prinzip über Bord zu werfen, dass der Schweiz seit mindestens 1815 durchaus gute Dienste geleistet hat?

Die Übernahme der Sanktionen kratzt vielleicht ein paar russische Oligarchen, die sich nicht rechtzeitig einen EU-Pass besorgt haben (was nebenbei auch sanktioniert werden soll; Konjunktiv, kein Zeitrahmen). Einige Banken werden Kunden verlieren, einige Investoren in Russland-Fonds werden ihr Geld abschreiben können. Diverse Firmen, die Handel mit Russland betrieben, werden in existenzielle Probleme geraten, ihr Mitarbeiter entlassen müssen, als Steuerzahler ausfallen.

Den Maulhelden ist alles egal

Das ist all den Maulhelden in ihren mit russischem Gas beheizten Stuben völlig egal. Der gehobene Mittelstand steckt auch weg, wenn ein Liter Benzin oder Diesel 3 Franken  kosten wird. Die Ärmeren, die auf ihr Auto angewiesen sind, die stecken das nicht so leicht weg. Ist den Maulhelden egal.

Firmen werden zusammenbrechen und Mitarbeiter entlassen. Ist den Maulhelden egal. Die Mitarbeiter haben für eine Schweizer Firma gearbeitet, nicht für Putin. Egal. Die Schweiz begibt sich der Möglichkeit, als neutraler Vermittler auftreten zu können und damit einen wirklichen Beitrag zur Befriedung zu leisten. Egal.

Dass sich die Schweiz den weitgehend windelweichen EU.-Sanktionen anschliesst, wird Russland nicht mal als Laus im Pelz wahrnehmen. Dass die Schweiz nicht mehr neutral ist, das schon.