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Der moralische Kompass

Es gibt keine neue Antworten auf alte Fragen. Dennoch müssen sie immer wieder beantwortet werden.

Seit die Menschheit sich überlegt, was der Unterschied zwischen Gut und Böse ist, gibt es eine teuflisch einfache Frage: Darf das absolut Gute das absolut Böse tun, um das Gute zu befördern und das Böse zu bekämpfen?

Diese Frage wurde schon in unendlich vielen Dilemmata durchgespielt. Darf der Entführer gefoltert werden, damit er das Versteck des Entführten bekannt gibt, der zu ersticken droht? Darf der Terrorist dem Waterboarding ausgesetzt werden, damit er Zeitpunkt und Ziel eines Anschlags verrät? Darf der Geiselnehmer erschossen werden, auch wenn damit das Leben der Geisel gefährdet wird? Darf man lügen, um der Wahrheit willen?

In der Eiseskälte der reinen Vernunft Immanuel Kants gibt es darauf eine klare Antwort: «Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot; in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein.»

Eine Lüge beeinträchtige immer den Wert der Wahrhaftigkeit. Da kann es keine Nutzenabwägung geben, laut Kant:

«Die Pflicht zur Wahrhaftigkeit ist eine unbedingte Pflicht, weil das Vertrauen auf Versprechen einer der Grundsätze ist, die die menschliche Gesellschaft zusammenhält.»

Ausgangspunkt für diese Überlegungen war ein Aufsatz von Benjamin Constant, der zu einem gegenteiligen Schluss gekommen war. Sein Gedankenspiel: darf man gegenüber einem Mörder lügen, wenn der fragt, ob sich ein von ihm verfolgter Freund zu uns geflüchtet habe? Natürlich darf man das, sagt Constant, und er begründet es so: «Es ist eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Der Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine Rechte gibt, gibt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht; aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet.»

Demgegenüber argumentiert Kant: «Denn sie (die Lüge, Red.) schadet jederzeit einem anderen, wenn gleich nicht einem andern Menschen, doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.»

Was hat diese Debatte, die um 1797 geführt wurde, also acht Jahre nach der Französischen Revolution, die in Europa erstmals grundlegende Fragen der Moral und Menschenrechte aufwarf, mit heute zu tun? Staubt es da nicht aus längst vergangener Geschichte, wurde das in der «Dialektik der Aufklärung» nicht längst widerlegt: «Die reine Vernunft wurde zur Unvernunft, zur fehler- und inhaltslosen Verfahrensweise»?

Oder anders gefragt: gibt es übergeordnete Prinzipien, deren Verletzung eine Beschädigung der Grundsätze darstellte, «die die menschliche Gesellschaft zusammenhalten»?

So abstrakt-absurd der Gedanke auf den ersten Blick erscheint, so bedenkenswert wird sein Inhalt, wenn man ihn an aktuellen Konflikten spiegelt. Natürlich ist die Ukraine, ist der Nahe Osten gemeint. Angesichts der russischen Verbrechen und der Verbrechen der Hamas, ist da das Gute nicht berechtigt, auch Böses zu tun?

Muss man da nicht einen Schritt weitergehen und das zutiefst korrupte, autokratische System von Selenskyj, das die Presse so wie Russland zensiert und keinerlei Opposition zulässt, nicht genauso unbedingt verteidigen wie den zutiefst korrupten israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, der mit einer Justizreform versuchte, den Rechtsstaat auszuhebeln, um selbst dem Gefängnis zu entgehen, kaum wäre seine Immunität aufgehoben?

Ist es nicht erbärmlich, wie viele sonst scharfe Denker und Analytiker zu unreflektierten Kriegsgurgeln und verbalen Blutsäufern werden, die mit der Beschreibung schrecklicher Verbrechen einer Kriegspartei die Kriegsverbrechen der anderen zu rechtfertigen versuchen?

Wenn es stimmt, dass die israelische Armee die Bewohner des Gazastreifens aufgefordert hat, den nördlichen Teil zu verlassen und in den vermeintlich sicheren Süden zu flüchten, um den dann zu bombardieren, gibt es da eine Relativierung zu den Massakern, die die Hamas verübte? Kann man sich da mit dem Gemeinen gemein machen, das Böse relativieren oder akzeptieren, dass es vom Guten verübt wird?

Die Ermordung von Bin Laden hat bei jedem vernünftigen Menschen Befriedigung ausgelöst, dennoch war sie völkerrechtlich eine illegale Handlung. Wurde damit das Gute befördert oder beschädigt? Erreicht Israel wirklich sein Ziel der vollständigen Liquidierung der Hamas – oder schafft es durch die Tausenden von Toten als Kollateralschäden nicht neue Heerscharen von todeswilligen, fundamentalistischen Wahnsinnigen? Ist es auch der Fluch der vermeintlich guten Tat, dass sie fortzeugend Böses gebiert?

Natürlich haben wir im Lehnstuhl in der wohlbeheizten Stube sitzend gut reden und schreiben. Umso lächerlicher wirken zunächst alle bis an die Zähne bewaffneten Kampfschreiber, deren Helm bis über die Augen heruntergezogen ist und sie blind für jede Reflexion macht. Sie wollen mit schrecklichen Verbrechen schreckliche Verbrechen legitimieren. Sie denunzieren jeden Aufruf zu Waffenstillstand als Unterstützung des Bösen, als Rechtfertigung böser Taten. Sie turnen mit Absolutismen durch Relatives und rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, unter keiner Flagge.

Wie schnell geht hier mal wieder der moralische Kompass verloren. Der muss nicht so eiskalt-abstrakt funktionieren wie bei Kant. Aber etwas Reflexion sollte ausreichen, um zur ewig wiederkehrenden Antwort auf die ewige Frage zu gelangen: Nein, das Gute kann nicht grenzenlos böse werden, um das Gute zu bewahren. Es gibt eine feine rote Linie, deren Überschreiten dazu führt, dass es keinen Unterschied mehr zwischen dem Guten und dem Bösen gibt. Sondern nur noch eine Frage des Blickwinkels.

Da es (ausser für Gläubige) keine Letztbegründungen gibt, darf es auch keine unendlichen Relativierungen des Absoluten geben. Es gibt kein Gutes, das gut bleibt und nicht beschädigt werden kann durch böse Taten. Es muss immer ein Abwägen geben. Aber das ist unendlich schwierig; dummes Gepolter ist unendlich einfach.

Nicht nur, dass sich noch zur Reflexion fähige Menschen weder mit der Sache der Palästinenser noch derjenigen Israels gemein machen können. Von der Teilnahme an Demonstrationen ganz zu schweigen; da gerät man allzu schnell in schlechte Gesellschaft. Schlimmer noch: im wilden Hantieren mit Begrifflichkeiten wie Recht auf Selbstverteidigung, unschöne, aber nötige Begleiterscheinungen eines berechtigten Vernichtungskriegs, Kampf um, Sieg über, keine Verhandlungen, bis zuerst, Erpressung durch Geiseln, Inkaufnehmen von, mit all diesen Gedankentrümmerstücken verwirrter Geister, in all dem auch hier herrschenden Blasendenken, Echokammern, fanatischen Rechthabereien geht das Wichtigste verloren, gerät zumindest ausser Sicht.

Denn die Fragen, ob man um eines höheren Zwecks willen lügen darf, wann es übergesetzlichen Notstand gibt, was das Gute tun darf, um den Sieg des Bösen zu verhindern, ohne selber böse zu werden, diese Fragen sind zwar uralt, müssen aber immer wieder neu beantwortet werden. Das setzt aber voraus, dass man sich nicht im Nebel des Krieges verliert, den klaren Blick bewahrt und zunächst einmal zugibt: keiner, nicht einmal Kant, hat den Anspruch auf die einzig richtigen Antworten. Selbst der Papst hat den Anspruch auf Unfehlbarkeit aufgegeben. Im Gegensatz zu ach so vielen Kommentatoren.

Diese Erkenntnis, deren die meisten in der Hysterie des Gekreisches nicht mehr mächtig sind, wäre der einzig wahrhaft richtige Ausgangspunkt für eine sinnvolle Debatte. Bis wir den erreichen, was fraglich ist, gilt nur mal wieder Shakespeare:

And all our yesterdays have lighted fools
The way to dusty death. Out, out, brief candle.
Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage,
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury,
Signifying nothing.

Häsler kocht Süppchen

Wozu die Hamas alles missbraucht werden kann.

Der NZZ-Sandkastenmilitärstratege Georg Häsler ist eine echte Kriegsgurgel. Seine Beiträge sind konsequent unter jedem intellektuellen Niveau und eine Schande für die NZZ. Da beklagt er schon mal Defätisten und schwankende Gestalten statt zackiges Salutieren und Stechschritt. Eine schlappe Schweiz.

Nun irrlichtert er schon wieder, diesmal unter dem irren Titel «Die Ukraine kann Europa sicherer machen». Weniger militärisch-strategisch bewanderte Menschen könnten denken, dass die Ukraine die grösste Kriegsgefahr für Europa seit dem Hitlerfaschismus darstellt.

Zunächst einmal lässt Häsler Militärjargon auf den Leser regnen, um unter Beweis zu stellen, dass er da wohlgerüstet ist: «Mit ihren «carrier strike groups» sind die USA heute noch in der Lage, ihre militärische Kraft nach dem Konzept der «force projection» sofort und weltweit einzusetzen.»

Nun wird es aber intellektuell anspruchsvoller, und da ist dann nix mehr mit einem «Konzept der «Force Protection»» bei Häsler: «Für die Ukraine könnte deshalb das Zögern und Zaudern der Nato-Staaten am Gipfel von Vilnius im vergangenen Sommer fatale Folgen haben.» Ach ja, neben dem Nahen Osten gibt es doch noch die Ukraine.

Die solle nun doch endlich in die NATO eintreten, fordert Häsler, indem er ein «Warsaw Security Forum» zitiert. Aber leider: «Washington und Berlin hätten sich «in die Geiselhaft einer Eskalationsangst» begeben.» «Eskalationsangst», was für ein putziger Begriff, um eine gewisse Vorsicht gegenüber einem drohenden atomaren Schlagabtausch zu denunzieren.

Aber das sieht Kriegsgurgel Häsler ganz anders: «Eine verbindliche Nato-Zusage wäre ein starkes Zeichen der Einigkeit.» Vielleicht wäre eine verbindliche NATO-Zusage für die Ukraine auch der Start für einen Dritten Weltkrieg, aber das ist sicherlich nur Ausdruck einer «Eskalationsangst». Wobei: die NATO-Doktrin ist ja, dass ein Angriff auf ein Mitglied als ein Angriff auf alle betrachtet wird und auch atomar beantwortet werden kann. Aber was interessieren Häsler solche Peanuts.

Andersrum wird ein Schuh draus, behauptet Häsler: «Kann es sich Europa überhaupt leisten, die kriegserfahrenste Armee nicht in die Nato aufzunehmen?» Die Frage stellen, heisst sie beantworten, nach der Logik eines geistigen Brandstifters.

Nun fehlt ihm nur noch die Verbindung zwischen dem Ukrainekrieg und den brutalen Attacken der Hamas auf Israel. Mit wenig Kopfkratzen und noch weniger Hirnschmalz kriegt Hasler das hin:

«Der Kampf gegen die freie Welt wird mit einem konventionellen Krieg in der Ukraine, aber auch mit Terror oder Sabotageakten geführt. Die unterschiedlichen Angriffe, ob koordiniert oder auch als Amalgam verschiedener Konflikte und Konfliktformen, erfordern mehrdimensionale Konzepte, aber auch mehr militärische Kraft

Et voilà. Fehlt noch etwas in dieser Irrwisch-Logik? Klar, der krönende Abschluss, sozusagen die Narrenkappe auf dem Haupt: «Die Nato und der Westen überhaupt sind schlicht auf die Kampferfahrung der ukrainischen Armee angewiesen

Damit dann die kampferfahrene ukrainische Armee der Nato, dem Westen und auch Israel im Kampf gegen die Hamas und andere fundamentalistische Wahnsinnige beisteht? Nun, geistige Verwirrung muss nicht nur religiös verursacht sein. Zu viel Sandkasten im Hirnkasten hat auch verheerende Auswirkungen.

Blütenlese «Blick»

Wie ein Online-Auftritt verludert.

Online, das weiss jedes Kind, aber nicht jeder «Blick»-Kindersoldat, ist ein schnelles Medium. Print präsentiert am frühen Morgen das, was bis gestern Nacht so gegen 23 Uhr passierte. Anschliessend ist Druck und Distribution.

Online geht zackzack. Marc Walder, CEO von Ringier, hatte mal beim Start von «Blick TV», seinem «Herzensprojekt»,  die Direktive ausgegeben, dass jedes wichtige Ereignis auf der Welt innert weniger Sekunden dort in Bild und Ton wiedergegeben sein müsse. Schliesslich habe man dafür eine Kooperation mit CNN. Und mit Ladina Heimgartner eine erfahrene TV-Frau an Bord geholt.

Nun ja, «Blick TV» ist inzwischen im Koma und künstlich beatmet, Stück für Stück demontiert. Ein Flop halt. Nicht der erste. Auch nicht der letzte.

Aber zurück zur Blütenlese im «Blick». Da gibt es zum Beispiel die Rubrik «In eigener Sache». Aktualität ist dort die Sache nicht:

Diese brandheisse, aber nicht brandneue News steht dort zuoberst. Seit dem 27. September, immerhin 2023. Sie wurde auch mal aktualisiert, allerdings am 27. September. Aber alles ist relativ. Schauen wir uns die nächsten drei Meldungen in diesem Gefäss an:

Sie sind vom (von links nach rechts) 21. September, vom 6. September (allerdings 2022) und vom 1. September, aber wieder immerhin 2023.

Gut, es mag ja auch beruhigend sein, dass in «eigener Sache» gar nicht so viel zu vermelden ist. Alles ruhig im Hause Ringier. Sozusagen Grabesstille.

Verblüffend hingegen, dass es auch in der Paradedisziplin «People» ewige Werte gibt:

Mit dieser Nachricht erfreut uns «Blick+» seit dem 5. Oktober dieses Jahres zuoberst in diesem Gefäss. Aber immerhin eine Eigenleistung, für die man ungeniert Geld verlangen kann. Nein, nicht wirklich; der Artikel wurde aus dem Konzernorgan «GlücksPost» übernommen:

Gut, dort prangt ein anderes Foto, auf dem Pepe Lienhard allerdings irgendwie älter aussieht als im «Blick». Und der Hund musste auch weg. Aber auf jeden Fall eine Spitzenleistung  von «Blick+», das Bezahlen lohnt sich sicher. Nun ja, zumindest den Anfang der Story (und will man wirklich mehr lesen?) kann auf der Webseite der «GlücksPost» gratis haben. Sagt da einer Leserverarschung? Ein wiederholter Kaktuspenis, beim zweiten Mal gegen Bezahlung, und dann so etwas? Nein, da sagt im Hause Ringier sicher niemand Leserverarschung. Denn das könnte die Arbeitsplatzsicherheit ernsthaft gefährden.

Aber wenigstens das brandaktuelle Ressort «Ausland» brilliert doch sicher mit den neusten Meldungen vom verbrecherischen Überfall auf Israel. Nun ja:

Nur wer bezahlt, bekommt Zugang zu diesem Bericht aus der Ukraine. Vom 6. Oktober 2023.

Aber ach, der hier ist einfach zu schön (und auch schon nicht mehr der Jüngste), um ihn nicht immer wieder zu zeigen. Sagt sich der «Blick», sagt sich ZACKBUM:

So ein Kaktuspenis passt doch immer dazu.

Als Absackerchen noch unser absoluter Liebling, dazu noch brandaktuell (also zumindest auf der «Blick»-Homepage). Ein gewaltiges Thema, ein Durchbruch der Erkenntnis, eine Taktik, die vielleicht auch den Ukrainekrieg entscheidend beeinflussen wird:

Sich auf den Boden fallen lassen, dass wir da noch nicht darauf gekommen sind. Nun, das scheint allerdings das normale Verhalten der Kindersoldaten im «Blick»-Newsroom zu sein, wenn sie von einer News angegriffen werden. Hier allerdings waren sie noch knapp in der Lage, diese SDA-Tickermeldung ins Blatt zu heben.

Oder aber, die ganzen neu installierten Heads, Offiziere, Chiefs und sonstigen Bedenkenträger sind immer noch völlig damit ausgelastet, die Hackordnung untereinander auszukämpfen. Und deswegen kommen sie fast nicht dazu, ihrer eigentlichen Aufgabe nachzugehen. Nur: wie lange das der Leser mitmacht?

Da erhebt sich die Frage: wofür? Worin besteht die Gegenleistung?

Sieg oder Niederlage?

Diese beiden Zustände sollte man unterscheiden können.

Der Krimkrieg von 1853 bis 1856 hat durchaus Ähnlichkeiten mit dem aktuellen Krieg in der Ukraine. Russland war beteiligt, das Osmanische Reich, dann auch Frankreich und Grossbritannien. Die europäische Öffentlichkeit war zwar mit leichter zeitlicher Verzögerung durchaus umfassend über die Kriegshandlungen informiert. Der Krieg wurde übrigens nach Verhandlungen mit dem Frieden von Paris beendet.

Es gab damals keine modernen Übermittlungsmethoden von News, die Reportage-Fotografie steckte noch in den Kinderschuhen. Es gab keine Möglichkeiten, einen Kriegsverlauf aus unabhängigen Quellen zu verifizieren – wie das heute mit Satellitenaufnahmen problemlos möglich ist. Möglich wäre.

Denn Hand aufs Herz: ohne die unzähligen sich widersprechenden Medienmeldungen zu zitieren: wie steht es denn aktuell um die grosse Offensive der Ukraine? Sind die Russen demotiviert, gab es entscheidende Durchbrüche, stehen die russischen Truppen am Rand einer Niederlage, hat die Ukraine bedeutende Geländegewinne gemacht, steht die Eroberung der Krim nahe bevor?

Oder musste die ukrainische Armee, ungenügend ausgerüstet und mit zweitklassigem westlichen Material versehen, einen hohen Blutzoll entrichten, stehen die Erfolge in keinem Verhältnis zu den Verlusten und dem Aufwand? Verröchelt die Offensive in den Verteidigungslinien und Minenfeldern der Russen, erweisen sich beispielsweise deutsche Leopard-Panzer als leichtes Ziel, zudem viel zu kompliziert in der Bedienung und in der Ukraine nicht reparierbar?

Völlig unabhängig von der politischen Position des Betrachters muss sich jeder eine Frage stellen. Dass sowohl in der Ukraine wie auch in Russland eine strikte Medienzensur herrschen, offizielle Sprachregelungen befolgt werden müssen, der mündige (oder auch der unmündige) Staatsbürger kaum Chancen hat, sich ein mehr oder minder der Wirklichkeit entsprechendes Bild über die Kampfhandlungen zu machen – geschenkt.

Aber wie steht es mit uns, im angeblich freien Westen, wo eine Unzahl von unabhängigen Newsquellen uns mit allen nötigen Informationen versorgen, unzensiert, nur an einer möglichst realistischen Abbildung der Wirklichkeit interessiert?

Dass es auch westliche Propagandalügen gibt, belegt der Artikel von Felix Abt. Aber wer behauptet, Russland und seine Alliierten lügen propagandistisch, während wir beispielsweise in der Schweiz uns eine eigene Meinung aufgrund umfangreicher Berichterstattung machen könnten – der liegt kreuzfalsch.

Mit der heutigen Technologie müsste es doch problemlos möglich sein, die Entwicklung der ukrainischen Offensive korrekt abzubilden, darzustellen, aufzuzeigen.

Vielleicht gibt es ZACKBUM-Leser, die über solche Informationen verfügen. Wir aber nicht, und das ist ein Skandal. Seitdem es «embedded journalists» gibt, eine niedliche (eingebettet) Umschreibung dafür, dass sie nur zu sehen kriegen, was sie im Eigeninteresse der sie einbettenden Armee sehen sollen, ist auch die Kriegsberichterstattung auf den Hund gekommen.

Denn der Kriegsreporter, der auf eigene Faust loszieht, ohne dass jemand Versicherungen und die nötigen Sicherheitsmassnahmen (das geht schwer ins  Geld) bezahlt, ist selbstmörderisch unterwegs. Aber er könnte sowieso nur einen geografisch beschränkten Ausschnitt der Kampfhandlungen beschreiben. Einer modernen Redaktion hingegen sollte es eigentlich möglich sein, mittels Intelligence, Satelliten, mittels allen Quellen moderner Analyse, dem Leser ein glaubhaftes Bild der Kriegslage zu vermitteln.

Einfache Frage: wieso tut das dann kein Schweizer Medienorgan?

Lügen haben kurze Beine: Ein Nachtrag

Ukrainische Rakete verursachte Massaker.

Von Felix Abt

Zackbum hat die schamlosen falschen Anschuldigungen von Präsident Selensky gegen Russland entlarvt, die von den westlichen Medien tagelang unkritisch verbreitet wurden.

Selensky und die Medien behaupteten, dass eine russische Rakete (Der «Spiegel» sprach von einer russischen Artilleriegranate) Dutzende von ukrainischen Zivilisten auf einem ostukrainischen Markt getötet habe.

Doch nun ist die Propaganda und die Ablenkung vom wahren Schuldigen nicht mehr haltbar: Ausgerechnet die «New York Times» entlarvt den Betrug und den Verbrecher öffentlich: Selenskys Rakete hat das Massaker verursacht, auch wenn die Zeitung versucht, das Verbrechen mit einer angeblich verirrten ukrainischen Rakete zu entschärfen.

Die Zeitung berichtet Folgendes: «Zeugenaussagen und eine Analyse von Videoaufnahmen und Waffenteilen deuten darauf hin, dass eine ukrainische Rakete ihr beabsichtigtes Ziel verfehlte und in einer belebten Straße landete – mit verheerenden Folgen.»

Das Selensky-Regime wollte das Verbrechen vertuschen. Die «New York Times» erklärt dies so: «Die ukrainischen Behörden versuchten zunächst, Journalisten der Times daran zu hindern, die Raketentrümmer und das Einschlagsgebiet unmittelbar nach dem Einschlag zu betreten. Doch schließlich gelang es den Reportern, an den Ort des Geschehens zu gelangen, Zeugen zu befragen und Überreste der eingesetzten Waffe zu sammeln.»

Der Rest der Medien wird die Falschmeldungen nun bestenfalls kleinlaut korrigieren, wenn überhaupt. Dennoch wird der Eindruck von den «bösen» Russen (und den «guten» Ukrainern), der nicht unbeabsichtigt entstanden ist, bei der Masse der Medienkonsumenten schwer zu korrigieren sein.

Die Russen natürlich

Denn wer kann so verrückt und selbstmörderisch sein?

Von Felix Abt

Wenn sich in Gut-Deutschland, in Gut-Österreich oder in der Gut-Schweiz ein Unfall oder ein Verbrechen ereignet, werden, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, zunächst Abklärungen getroffen, bevor die Ursache oder der Täter benannt wird, es sei denn, die Beweislage lässt keinen Zweifel zu. Werteorientierte Politiker in den Gut-Ländern sind besonders darauf bedacht, dass die Ermittlungen so gründlich wie möglich sind (und lange dauern), wenn Immigranten aus fernen Ländern und Kulturen und andere besonders schützenswerte Minderheiten schuldig sein könnten.

Ganz anders sieht es aus, wenn die Russen als Schuldige angesehen werden, und das sind sie im kollektiven Gut-Westen oft. Als am 6. Juni 2023 während des russisch-ukrainischen Krieges der Staudamm und das Wasserkraftwerk Kachowka in der Ostukraine schwer beschädigt wurden, wartete Bundeskanzler Olaf Scholz nicht auf die Ergebnisse der Untersuchung und gab Russland noch am selben Tag die Schuld. Auch Aussenminister Baerbock verurteilte Moskau ohne zu zögern dafür.

Und wie reagieren die Russen darauf? In der Regel erfährt man das nicht, denn wenn ein Journalist oder Politiker das enthüllen würde, wäre er automatisch ein Putinversteher und würde seine Karriere unrühmlich beenden. Auf die Gefahr hin, als bezahlter Kreml-Agent angesehen zu werden, werde ich es hier trotzdem erwähnen: Wann immer solche Vorfälle auftreten, fordert Russland eine neutrale Untersuchung, z.B. im UN-Sicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline oder des Massakers in Butscha. Doch jedes Mal weigern sich die westlichen Regierungen, auch Deutschland, dies zuzulassen. Schweizer Diplomaten bleiben in solchen Fällen neutral. Und die Medien, die ihre Rolle als vierte Gewalt, die den Regierungen auf die Finger schauen sollte, aufgegeben haben, schauen weg. Haben sie Angst, dass neutrale Untersuchungen ihre Kriegspropaganda widerlegen könnten?

Genau drei Monate nach der Beschädigung des Staudamms und des Kraftwerks in der Ostukraine schlug am 6. September eine Rakete auf einem Markt in der Donezker Industriestadt Kostiantynivka ein und tötete zahlreiche Zivilisten. Dies geschah einen Tag vor Beginn der Wahlen zum neuen Regionalparlament in Donezk, das Russland zusammen mit den drei anderen Regionen Lugansk, Saporoshje und Cherson kontrolliert und als sein Gebiet betrachtet und das früher Teil der Ostukraine war. Die westlichen Medien waren voll von fast identischen Schlagzeilen:

«Der Spiegel»: «Mindestens 16 Tote durch russischen Angriff auf Markt in der Ostukraine»

t-online16 Tote bei russischem Angriff auf Marktplatz in der Ostukraine»

Neue Zürcher Zeitung: «Mehrere Tote bei russischem Angriff auf Konstjantiniwka»

The Guardian: «Russian strike on crowded Ukraine market leaves at least 17 dead. Moscow targets cities with missiles as US secretary of state Antony Blinken makes surprise visit to Kyiv.»

CNN: «Russian missile strikes eastern Ukraine market, killing 17, in one of the worst attacks in months

The Washington Post: «Russian missile hits market in eastern Ukraine»

Al Jazeera: «Civilians reported killed as Russia shells outdoor market in east Ukraine»

Das ZDF berichtete: «Bei einem Angriff auf die Stadt Kostjantyniwka in der ostukrainischen Region Donezk sind mehrere Menschen getötet worden. Das teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über seinen offiziellen Telegram-Kanal mit. Demnach hätten russische Raketen einen Markt und mehrere Geschäfte getroffen. Mindestens 17 Menschen seien tot, darunter ein Kind. Mindestens 32 weitere Personen seien verletzt, wie es in offiziellen Behördenangaben hiess

Die meisten Medien sprachen von einem russischen Raketenangriff, das ehemalige deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» von einem russischen Artillerieangriff.

Auffällig ist, dass weder Separatisten noch andere Bürger am Tatort dazu befragt wurden. Schweizer, deutsche und andere westliche Medien machten sofort Russland für den Anschlag verantwortlich. Aufklärungen wurden nicht einmal abgewartet, Überlegungen darüber, wer ein Motiv für eine solche Greueltat gehabt haben könnte, wurden überhaupt nicht angestellt. Politiker und Medien hierzulande stützten sich ausschließlich auf die Behauptungen von Zelensky, dem Mann, der im Falle einer Drohne, die in Polen eindrang und Zivilisten tötete, darauf bestand, dass es sich um eine russische Drohne handelte, selbst nachdem die US-Regierung bereits bestätigt hatte, dass es sich um eine ukrainische handelte.

Noch auffälliger ist die Tatsache, dass diese «Nachricht» wirklich jeder Logik widerspricht: Warum sollte Russland russische Bürger auf russischem Gebiet bombardieren? Die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung im Osten der Ukraine lehnte das Regime ab, das 2014 durch einen vom Westen unterstützten Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung an die Macht kam, und unter der Führung von Separatisten wurde als Folge im selben Jahr die Donezker Volksrepublik gegründet, zu der auch die Stadt Kostjantyniwka gehört. Statt sie zu beschiessen, wurde sie seither von Russland unterstützt. Die Meldung des RedaktionsNetzwerks Deutschland, dass sie «in den letzten Monaten wiederholt Ziel russischer Angriffe» war, ist daher an Absurdität nicht zu überbieten. Dass dies von einem Redaktionsnetzwerk kommt, das über 60 Tageszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als 2,3 Millionen Exemplaren mit solch wahnwitziger Propaganda einlullt, ist wirklich bemerkenswert. Hier ist ein Augenzeugenbericht, den Ihnen die Mainstreammedien vorenthalten haben.

Wenn Russland seine eigenen Bürger mit Raketen (oder waren es Artilleriegranaten?) tötet, während es sich darauf vorbereitet, dort Wahlen abzuhalten, die ebenfalls sabotiert wurden – hat Putin sich selbst sabotiert? – müssen die europäischen Bürger und Medienkonsumenten natürlich davon ausgehen, dass die Russen so bösartig sind, dass es gerechtfertigt und notwendig ist, ihnen nicht nur die Autos, sondern sogar die Koffer mit den Kleidern und die Zahnpasta wegzunehmen, wenn sie es wagen, den Frevel zu begehen, in europäischen Ländern Urlaub zu machen.

Und diejenigen, die es nicht aus Spiegel, RedaktionsNetzwerk Deutschland, FAZ, Süddeutscher Zeitung, bzw. Tages-Anzeiger, NZZ und den zahlreichen anderen gleichgesinnten Medien erfahren haben und mir nicht glauben, verweise ich auf Anhang XXI der EU-Richtlinie Nr. 833/2014, in dem die russischen Waren aufgelistet sind, die unabhängig von ihrem Zweck und der Dauer ihres Aufenthalts in der EU verboten sind, darunter Kleidung, Zahnpasta, Shampoo und andere Hygieneprodukte.

Für die Nicht-Putinversteher sollte dies jedoch als leuchtendes Beispiel dafür dienen, wie entschlossen die Europäische Union angesichts von Putins unheimlichen Touristenhorden an ihren hochfliegenden Idealen festhält.

Wenn die Themen rumliegen

Wieso kümmern sich die Qualitätsmedien nicht um interessante Themen?

Lassen wir Zahlen sprechen. Erwähnung des Worts Gender in den Medien im letzten Monat: 527 mal. Ukraine: 13’020 mal. Das Thema Inflation ergibt 4157 Treffer. Im vierstelligen Bereich ist ebenfalls der Klimawandel, 4096. Dabei steht der in der Reihenfolge der Sorgen der Schweizer erst auf Platz fünf.

Vorher rangiert die Energieversorgung, sie bekommt aber nur 786 mal mediale Aufmerksamkeit. Auf Platz drei der Sorgen steht die Masseneinwanderung, schlappe 64 Erwähnungen. Noch nebensächlicher ist für die Medien das Thema Altersvorsorge, obwohl das die zweitgrösste Sorge der Schweizer ist: 35 Treffer in einem ganzen Monat. Und Rekordhalter im Negativen sind die KK-Prämien, obwohl das die allergrösste Sorge der Schweizer ist: 6 Erwähnungen.

Woran das liegt? Die Gesundheitskosten und die Altersversorgung sind zwei Themen mit einer gewissen Komplexität. Bei den Renten kommt noch erschwerend hinzu, dass man dem Publikum reinen Wein einschenken müsste. Will man den heutigen Beitragszahlern in die PK nicht weiter pro Jahr Milliarden klauen, müssen die Renten runter. Will man nicht zusehen, wie die AHV in blutrote Zahlen abrutscht, müssen neue Zahlungsquellen aufgetan werden.

Der Name Credit Suisse taucht hingegen 3210 mal auf. Obwohl zu diesem Thema eigentlich alles gesagt ist. Aber dass es ein Staatsversagen war, ein Regierungsversagen, dass Finanzministerin Karin Keller-Sutter mit einem fatalen Satz («this is not a bail-out») dem Steuerzahler möglicherweise einen Milliardenschaden eingebrockt hat – kein Thema.

Es gibt immer weniger Redakteure. Die wollen immer mehr die Leser mit der Betrachtung des eigenen Bauchnabels langweilen. Eine Kolumne über die eigene Befindlichkeit, eine Kolumne zum Thema «wir alle sollten, ich fordere …», das lässt sich im Handumdrehen schreiben.

Aber ein komplexes Thema angehen, durchdringen, in lesbare Form bringen, das ist echte Knochenarbeit. Aber das ist Journalismus. Wäre Journalismus.

 

Vorwärts, es geht zurück

Moderne Kriegsberichterstattung: Massaker an der Wahrheit.

Wie steht es denn nun mit der grossen Offensive der Ukraine? Geländegewinne, Durchbruch, die russische Front wankt, Putin wackelt, Prigoschin schwebt über seinen Wagner-Söldnern? Gibt’s die eigentlich noch?

Will Selenskyj die Krim zurückerobern oder ist er verhandlungsbereit? Bringt der deutsche Leopard etwas oder wird er reihenweise abgeschossen? Ist Uranmunition, sind Streubomben nun eigentlich geächtet oder nur dann, wenn sie von Feinden der Freiheit eingesetzt werden?

Desertieren russische Soldaten massenhaft oder kaufen sich Ukrainer massenhaft vom Wehrdienst frei, in einer der korruptesten Armeen der Welt? Werden russische Soldaten in der Knochen- und Blutmühle verheizt oder hat die Ukraine bereits 400’000 Mann Verluste zu verzeichnen?

Nehmen wir einen Querschnitt durch die deutsche Medienlandschaft: «Militärexperte Gustav Gressel über die Lage an der Front» («Stern»). Was weiss der Militärexperte im fernen Berlin über die Front? «Auf der russischen Seite sieht man schon deutliche Verschleißerscheinungen».

««Gepanzerte Faust» soll Putins Truppen zerschlagen» («Frankfurter Rundschau»). «Die Ukraine setzt auf eine ‚gepanzerte Faust‘, um jetzt durch die nächsten Linien zu stoßen, erklärte der österreichische Oberst Markus Reisner.»

««Kann ich nicht nachvollziehen». Major kritisiert Deutschlands Taurus-Zögern» («zdf Nachrichten»). Nein kein Major, Claudia Major weiss: «Die Ukraine hat in der Tat in den letzten Tagen große Fortschritte gemacht und hat die Initiative in der Offensive wieder.»

«Die entscheidende Frage der Gegenoffensive» («Welt»). Eine Stimme der Nachdenklichkeit: «Die Ukraine hat bei ihrer Offensive im Süden eine wichtige Verteidigungslinie durchbrochen. Das als entscheidende Erfolgsmeldung zu werten, ist jedoch ein Irrtum. Denn der Durchbruch hat einen hohen Preis

«Militärexperte: Höhepunkt der ukrainischen Offensive rückt näher» («Berliner Zeitung»). Auch hier ein Zukunftsseher mit Rückversicherung: «Militäranalyst Franz-Stefan Gady geht davon aus, dass es in den nächsten Wochen zu entscheidenden Kämpfen kommt.» Ausser, es kommt in den nächsten Wochen zu nicht entscheidenden Kämpfen. Oder so.

Vorwärts oder Rückzug? Gepanzerte Faust oder Abnützungserscheinungen? Demoralisierte Russen oder verzweifelnde Ukrainer?

Unglaublich, aber wahr: das Publikum, die Öffentlichkeit war wahrscheinlich über den Krimkrieg (1853 bis 1856) besser und umfassender informiert als wir heute über den Ukrainekrieg. Instant News via Internet, (wenige) Kriegsreporter vor Ort, massenhaft Analysten in der sicheren Etappe. Fernseher und Fernheiler und Ferndiagnostiker bis zum Abwinken.

Die Offensive ist steckengeblieben, ist erfolgreich, hat Durchbrüche erzielt, hat keine nennenswerte Erfolge gezeitigt. Die Russen sind am Ende, die ukrainische Armee ist am Ende. Den Russen geht das Material aus, der Ukraine geht das Material aus. Die russischen Waffen sind veraltet und untauglich, die westlichen Waffen sind nicht so überlegen, wie behauptet wird.

Was weiss man sicher? Eigentlich nur, dass gebombt, gekämpft und gestorben wird. Dass es hier nicht um einen Endkampf zwischen Freiheit und Demokratie gegen slawischen Untertanengeist und Diktatur geht. Sondern dass ein korruptes Regime mit einer Verbrecherclique an der Macht ein anderes korruptes Regime überfallen hat und sich gewaltig täuschte, wie einfach das sei.

Dass hier ein Stellvertreterkrieg stattfindet, aus dem China als der lachende Dritte auf jeden Fall als Sieger hervorgehen wird. Die Verlierer sind die ukrainische und die russische Bevölkerung. Die Verlierer sind die Europäer, wieder einmal nicht zu einer eigenständigen Aussenpolitik oder zur Verteidigung ihrer Interessen in der Lage. Der Verlierer ist das Putin-Regime. Als wortbrüchiger, unfähiger Haufen entlarvt, die russische Armee in all ihrer Unfähigkeit bis zur Lächerlichkeit demaskiert. Die russischen Waffensysteme weitgehend Schrott. Das wird vielen Waffenkäufern schwer zu denken geben.

Natürlich sind auch die zarten Anfänge einer Demokratie in der Ukraine niedergemacht worden. Opposition mundtot gemacht, eine Pressezensur, die der russischen in nichts nachsteht. Genauso wenig wie die ukrainische Oligarchenclique. Der Unterschied zur russischen besteht nur darin, dass sie Putin domestiziert hat und dominiert. Während sich Selenskyj zwar einigen seiner ehemaligen Förderer und Geldgeber entledigt hat, aber weiterhin über ein Regime herrscht, das im Korruptionswettbewerb ebenfalls mit Russland mithalten kann.

Aber all das sind Probleme der Ukrainer und der Russen. Unsere Problem ist: das Wort von der Lügenpresse trifft nur deswegen nicht ins Schwarze, weil in westlichen Medien nicht nur gelogen wird. Es ist schlichtweg auch reine Unfähigkeit, Hilflosigkeit, Uninformiertheit, mangelnde Kenntnis historischer Zusammenhänge, Gesinnungsjournalismus, mit anderen Worten ein allgemein erbärmliches Niveau der Journaille zu beklagen.

Wenn man den Lackmustest machen könnte, was wäre wohl das Resultat? Eine einfache Frage: wie viele der Ukraine-Berichterstatter kennen die Namen Stepan Bandera oder Kolomojskyj? Kleiner Tipp: es sind sicherlich weniger als 50 Prozent. Fügen wir noch die Frage hinzu: wie viele der ukrainischen Juden fielen im Zweiten Weltkrieg dem Holocaust zum Opfer, und welche Rolle spielten dabei grosse Teile der ukrainischen Bevölkerung, dürften wir mit den richtigen Antworten in den einstelligen Bereich der Berichterstatter kommen.

Das ist unser Problem, und es ist ein gravierendes. Aber Problembewusstsein? Ach was. Viel wichtiger ist doch: war der Sommer nun in der Schweiz zu heiss oder zu kalt? Zu trocken oder zu feucht? Und wie wird das Wetter am kommenden Wochenende? Kann man sich auf die Zahlen von SRF Meteo nun verlassen oder nicht? Das sind doch die weltbewegenden Themen. So ein blöder Krieg, eigentlich weit weg, unter Beteiligung einer Atommacht, na und? Ach, und die Schweizer Neutralität? Irgendwie schon, aber dann doch nicht wirklich. Oder so.

Dumm, dümmer, «watson»

Es soll Menschen geben, die ihre Weltsicht von diesem Organ beziehen.

Sie sind entweder zu beneiden oder zu bedauern. Solange «watson» pseudolustige Listicals macht («Diese 26 Tattoos lassen sich nicht mal mehr in der Badi verstecken» – wobei: wieso sollte das jemand wollen), ist ja noch alles in Ordnung. Brachialkomik für Minderbemittelte.

Bedenklicher wird es, wenn «watson» die grosse Politik erklären will:

Was ist denn «bekannt»?

«Die Entlassung Resnikows erfolgt im Zuge einer Reihe von Korruptionsskandalen, in die das ukrainische Verteidigungsministerium verwickelt ist. Obwohl Resnikow selbst in keinen dieser Skandale verwickelt ist, wird er dennoch mit diesen in Verbindung gebracht.»

Natürlich ist auch Resnikow selbst in Korruption verwickelt (Stichwort Winteruniformen). Dabei hat «watson» doch die vereinten Kräfte von «lak/sda/dpa»  angespannt, um diesen Unsinn zu texten: «Die Ausmerzung der Korruption in der gesamten ukrainischen Regierung ist für Selenskyj von entscheidender Bedeutung.»

Das kann so nicht stimmen, denn dann müsste der Präsident und Villenbesitzer bei sich selbst anfangen …

Im Anschluss an diesen Ausrutscher in die Weltpolitik kehrt «watson» wieder zu seinem Niveau zurück:

ZACKBUM ist einverstanden: wer sich für das ukrainische Verteidigungsministerium interessiert, interessiert sich auch für den chilenischen Nati-Goalie oder für 23 skurrile Bilder aus China, keine Frage.

Von der Klimafront ist nur Durchwachsenes zu vermelden:

Das ist grosse Breaking News. Die Ukraine hat fast gewonnen. Der Hürdenläufer hat fast gesiegt. «watson» ist fast ein Newsmedium. Die Meldung ist fast bescheuert. Nein, ganz.

Aber Achtung, auch vor dem Erhabenen und Musikalischen schreckt «watson» nicht zurück. Was, gibt es neues von Rammstein? Aber nein, Redaktor Peter Blunschi legt die Latte echt hoch:

Da soll noch einer sagen, «watson» sei eine Bande von Kulturbanausen: «Gerade erst habe ich wieder einmal die Festspiele in Bayreuth besucht und kam voll auf meine Kosten.» Wunderbar, obwohl: «Der «Holländer», inszeniert vom Russen (!) Dmitri Tcherniakov, gilt als vergleichsweise unproblematisch, aber er illustriert einen Teil des Problems. Richard Wagner bediente sich für seine Opern oder Musikdramen (er schrieb als einer von wenigen Komponisten die Texte selber) vorwiegend bei Stoffen aus dem germanisch-nordischen Kulturkreis.»

Das wird die Holländer freuen, dass sie neuerdings zum «germanisch-nordischen Kulturkreis» gehören, ebenso wie die Sage vom holländischen Kapitän, der verflucht ist, die Weltmeere ewig zu durchpflügen.

Nun war Wagner aber, auf diese Erkenntnis ist man schon vor Blunschi gekommen, Antisemit. «In seinem Pamphlet «Das Judentum in der Musik» behauptete er, Juden könnten keine eigenständige Kunst schaffen. Und er raunte über ihren «Untergang». Kein Wunder, sehen manche eine direkte Linie von Wagner bis Auschwitz. Kein Wunder, können Wagners Werke in Israel kaum gespielt werden.»

So weit, so banal. Und Adorno sagte, nach Auschwitz könne man keine Gedichte mehr schreiben, und Louis-Ferdinand Céline war ebenfalls Antisemit und Nazi-Kollaborateur, schrieb aber mit «Reise ans Ende der Nacht» und dem ikonisch geworden Buchtitel «Kanonenfutter» («Casse-pipe») zwei Antikriegsromane von seltener Eindringlichkeit.

Es gibt eine ganze Reihe von Künstlern, deren künstlerisches Werk überragend ist, die aber menschlich oder politisch versagten. In Zeiten von Gesinnungsöffentlichkeit wird es natürlich wieder einmal problematisiert, ob man der künstlerischen Leistung Bewunderung zollen darf oder den Künstler verurteilen muss. Dabei ist es doch ganz einfach: ein politisch korrekter, dem Guten, Schönen, Menschlichen, Humanen, der Solidarität zuschreibender Künstler wie Lukas Bärfuss (Kim de l’Horizon kann man ja nicht mal so bezeichnen) ist deswegen trotzdem langweilig, künstlerisch niveaulos, vermurkst mit guten Absichten, aber mangelhaften Fähigkeiten die deutsche Sprache. Um dennoch bejubelt zu werden.

Schliesslich, damit wollen wir die Quälerei des ZACKBUM-Lesers beenden, hat aber auch «watson» einen Bildungsauftrag. Nicht nur, dass sich das Online-Magazin für intellektuelle Kreise an Wagner abmüht. Es macht auch den hier:

Genau, ein «Quizzticle» ist die Steigerung eines «Listicles», schenkelklopf.

Das hier fängt schon recht ungebildet an:

««Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.» Das ist erstens in Form eines Wandtattoos ein sicheres Indiz dafür, dass die soeben betretene Wohnung schnellstmöglich zu verlassen ist. Zweitens – und das ist in diesem Fall wichtiger – ist es kein Buchanfang, sondern versteckt sich mitten in einem Gedicht des ewigen Selbstsuchers Hermann Hesse

Aber zum «Quizzticle», interaktiv, dynamisch, copy/paste und unsinnig.

Die Lösungen sind teilweise banal (Orwell, Kafka, Melville, Grass), teilweise mehr als abgelegen (Miranda July, Erich Hackl, Wolfgang Hermsdorf), und am Schluss wurde noch eine unüberwindbare Schikane eingebaut. Es wird jeweils nach dem Buchtitel gefragt, aber bei «Fahrenheit 451» wird nur als richtige Antwort akzeptiert, wenn man auch den Autor Ray Bradbury nennt.

Das kommt halt davon, wenn  man per copy/paste sich hier bedient, sozusagen Bildungsersatz aus dem Internet. Dort kann sich der Gewinnertyp natürlich auch die Antworten googlen, denn fünf der hier erwähnten Buchanfänge muss man wirklich nicht kennen. Aber netter Versuch.

 

Kriegsgeschrei aus der NZZ

Ein weiterer Sandkastengeneral sändelet und zündelt.

Normalerweise beherrscht Eric Gujer den «anderen Blick» der NZZ, mit dem sie sich an ihre reichsdeutschen Leser wendet. Nicht zuletzt damit hat sich das Blatt von der Falkenstrasse in Zürich in Deutschland einen Namen gemacht. Denn Gujers Blick ist meist gnadenlos, er führt eine scharfe Klinge und kann – für einen Schweizer – elegant formulieren.

Aber auch God Almighty muss mal ruhen, dann dürfen andere ran. Da fängt dann der «andere Blick» schwer an zu schielen. Daran schuld ist Marco Seliger. Der deutsche Journalist arbeitet für die deutsche Redaktion der NZZ. Zuvor war er Chefredaktor von «Loyal», der Zeitschrift des deutschen Reservistenverbands, 2020 wurde er Leiter Kommunikation und Pressesprecher der deutschen Waffenschmiede Heckler & Koch. Man kann ihn vielleicht als nicht ganz unbelastet bezeichnen.

In diesem Sinn legt er gleich offensiv los: «Die Ukraine braucht dringend weit reichende Präzisionswaffen», weiss Seliger. Da trifft es sich gut, dass «in der deutschen Armee nicht alles schlecht» sei. Zum Beispiel der «hochmoderne Marschflugkörper Taurus», der gehöre «zu den besten Lenkflugkörpern der Welt». Wunderbar, wenn den Hitlers Armee schon gehabt hätte, wäre die Panzerschlacht bei Kursk vielleicht anders ausgegangen.

Aber es gibt natürlich auch heute Wehrkraftzersetzer und Defätisten, die Seliger scharf zurechtweisen muss: «Mitunter mutet die deutsche Verteidigungspolitik grotesk an.» Kein Wehrwille mehr, keine Angriffslust, nix «Germans to the front», keine Rede von «Marschflugkörper müssen fliegen bis zum Sieg». Stattdessen «gerierten sich ganze Kohorten von Politikern und Wissenschaftlern als Panzerexperten» und diskutierten Für und Wider einer Lieferung von Leopard 2. Kein Wunder: «Russlands Präsident Putin dürfte sich damals schlapp gelacht haben

Das mag stimmen, dass Putin darüber lacht, dass in Deutschland doch noch so etwas wie ein Rechtsstaat mit restriktiven Waffenausfuhrgesetzen existiert. Über die sich eine Kriegsgurgel wie der Reserveoffizier Seliger natürlich kaltlächelnd hinwegsetzen würde. Aber während sich Merkel immerhin sichtbar wegguckte, sei Bundeskanzler Scholz «in der Taurus-Frage schlicht nicht präsent». Typisch, haben Sie überhaupt gedient? Antwort: nein, Scholz hat verweigert und Zivildienst geleistet. Aha, Drückeberger.

Es gebe Bedenken, dass die Ukraine solche Distanzwaffen auch auf russischem Gebiet einsetzen könnte? Papperlapapp: «Das Argument, westliche Marschflugkörper würden den Krieg eskalieren, zieht daher nicht. Sie befinden sich bereits im Einsatz.» Aber die sind natürlich nicht so gut wie echte deutsche Wertarbeit: «Der britische Storm Shadow und der französische Scalp sind nur bedingt geeignet, einen Brückenpfeiler zum Einbrechen zu bringen. Taurus aber, so heisst es unter deutschen Militärfachleuten, kann das.» Oder: «wir schaffen das», wie Merkel gesagt hätte.

Also her damit, keine Weichheiten, was muss, das muss: «Eine deutsche Politik, die Sinn für das Wesentliche hat, würde den Taurus deshalb jetzt freigeben.» Aber leider, leider ist es mal wieder so: die deutsche Politik interessiert es einen feuchten Kehricht, was Seliger für den Sinn fürs Wesentliche hält. Glücklicherweise, denn das ist Unsinn. Während es sich beim Taurus offenbar um eine deutsche Präzisionswaffe handelt, ist Seliger ein Unguided Missile.