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Wumms: Gieri Cavelty

Unser Dauergast verkrampft sich im Thesenjournalismus.

Das kann in jeder Journalistenausbildung als Paradebeispiel dienen, wie man es nicht machen sollte. Zunächst ist immer verdächtig, wenn der Teaser auf der Homepage ganz anders lautet als dann die Artikeleinschenke:

Das ist der Teaser, der Artikel sieht dann so aus:

Ist verständlich, dass «Blick» diesen unverständlichen Titel nicht auf die Homepage genommen hat. Denn dieser Titel ist ungefähr so aussagekräftig wie: Cavelty ist gut. Cavelty ist aber auch ein Brillenträger.

Versemmelt, aber das ist erst der Anfang. Denn Cavelty hat hier eine These. Die Schweiz helfe diplomatisch der Ukraine, die Schweizer Industrie unterstütze aber Russland.

Wenn man eine These hat, muss man anschliessend die Wirklichkeit so hinbüscheln, dass sie zur These passt. Umgekehrt wäre ganz schlecht, denn was real ist, bestimmt dann schon nicht die Realität. Sondern Cavelty.

Wie unterstützt also die Schweizer Industrie Russland? Ganz einfach, sie tut das, weil sie nicht in die Zukunft schauen kann. Hä? Gemach, ein paar Beispiele: «Demnach wurden 2018 sogenannte Rundschleifmaschinen der Fritz Studer AG aus Steffisburg an die Firma JSC Kuznetsov geliefert, die Motoren für Putins Kampfjets fertigt. Demnach lieferte das Schweizer Unternehmen GF Machining Solutions 2017 über eine Drittfirma, die Galika AG in Volketswil, eine Drahtschneidemaschine an Izhevsky Mekhanichesky Zavod, Russlands wichtigsten Produzenten von Kleinwaffen. 2018 lieferte GF Machining Solutions wiederum über die Galika AG Fräsmaschinen an den russischen Rüstungsbetrieb Konstruktorskoe Buro Priborostroeniya, der Flugabwehrraketen und Artilleriesysteme entwickelt.»

Das ist ja unerhört und aus ukrainischen Gazetten abgeschrieben. Wie konnten Schweizer Firmen das nur tun; sie hätten doch schon 2017 oder 2018 wissen müssen, dass Putin 2022 die Ukraine überfällt. Auch die Politik und die Ämter haben hier versagt: «Das Staatssekretariat für Wirtschaft hält summarisch fest, bis zur Übernahme der EU-Sanktionen am 4. März 2022 sei die Ausfuhr von Industriegütern nach Russland grundsätzlich legal gewesen.» Immer dieser Legalismus im Nachhinein, das hätte man doch schon damals verbieten müssen.

Aber einen Knaller hat sich Cavelty noch bis fast zum Schluss aufgespart. Wir machen kurz einen Intelligenztest draus. Wer spielt hier die Hauptrolle? Zu abstrakt? Welche Partei? Ah, da hören wir SVP aus dem Publikum. Genau. Wer macht 100 Punkte? Richtig, der Name Martullo Blocher wird gerufen.

«Die Ems-Chemie von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo betreibt in Russland zwei Fabriken für Autolacke und Ähnliches, die ihre Tätigkeit trotz Putins Vernichtungsfeldzug einfach fortsetzten», zitiert Cavelty aus einer objektiven und unparteiischen ukrainischen Tageszeitung. Die appelliere zudem «an das Bündner Unternehmen, «sich nicht an Putins Verbrechen mitschuldig zu machen!»»

So geht das, wenn zuerst die These steht und dann drauf hingeschrieben wird. Ohne eigene Recherche, einfach per copy/paste aus unverdächtigen Quellen. Daraus entsteht ein prima Lehrstück für den frischgebackenen Chef der Ringier Journalistenschule Peter Hossli. Hoffentlich traut der sich was …

 

Die Sommerloch-Serie

Wir wollen nicht werten. Aber all das hier ist wertlos.

Natürlich kann man mal ein schlankes l auslassen. Korrektorat war früher, heute haut der «Bick» einfach schnell mal einen raus. Und auch nachher schaut kein Schwein drauf …

«20 Minuten» wandelt auf den Spuren von «watson», und das ist nie eine gute Idee. Wollen wir einen solchen Fehler kennenlernen?

Lust auf weitere Fehler? Dachten wir uns doch. Schliesslich hatte hier «watson» schon vorgeputzt:

Wenn der böse Satz «geschrieben wie mit der Klosettbürste» mal passt, dann hier.

Aber steigern wir das Niveau, wandeln wir nun in den Gefilden der Diplomatie. Dezente Gesten, wohltemperierte Worte, verbindlich-unverbindliches Geplauder, ja keine Emotionen oder Ruppigkeiten. Oder so:

Hä? Nachdem Alice Schwarzer, Alexander Kluge und andere mit einem offenen Brief an den deutschen Bundeskanzler Scholz vorgelegt hatten (er wurde inzwischen von über 300’000 Menschen unterzeichnet), kamen nun andere Intellektuelle auf die Idee, sich auch zusammenzutun und öffentlich zu äussern. Sie fordern im Wesentlichen, dass die Kriegshandlungen durch Verhandlungen beendet werden sollen. Wie illusionär oder wie realistisch das ist, sei dahingestellt.

Das erregte aber das höchste Missfallen des ukrainischen Botschafters in Deutschland, der schon zuvor mit sehr undiplomatischen Äusserungen auffiel. Aber hier übertrifft Andrij Melnyk sich selbst. «Defätistische Ratschläge», «zum Teufel scheren», und als diplomatische Höchstleistung «what a bunch of pseudo-intellectual loosers».  Wohltuend, dass der Intellekt des Botschafters nicht mal für die korrekte Beherrschung der Diplomatensprache Englisch ausreicht. Oder war das eine Spitze gegen den Chefredaktor Looser von «20 Minuten»?

Verwunderlich, wieso Deutschland diesen Amok nicht schon längst zur persona non grata erklärt hat.

 

Gähn: Ein Nicht-Ereignis

Die «Weltwoche» unter scharfer Beobachtung.

Für die Verschwörungstheoretiker von der «Republik» gehört die WeWo zu einem Netzwerk rechter «Info-Krieger». Das kann man nicht ernst nehmen. Aber das Blatt kann stolz darauf sein, dass es unter scharfer Beobachtung der Kollegen steht.

Normalerweise ist es denen eine Notiz wert, wenn ein neuer Autor anheuert. Das wird dann gerne dem staunenden Publikum mitgeteilt. In der irrigen Annahme, dass den Leser auch interessiert, was den Journalisten brennend beschäftigt. Aber leider ist es in Wirklichkeit so, dass es dem Konsumenten schwer an einem gewissen Körperteil vorbeigeht. Genauso wie Beschreibungen der inneren Befindlichkeiten von Schreibern. Genauso wie deren ordnende Ansichten und Meinungen zu den Weltläufen. Genauso wie deren Ratschläge, wie die Welt besser werden könnte, würde man nur auf den Schreiberling hören.

Die WeWo-Beobachtung hat gerade einen neuen Höhepunkt erreicht. Sie kann berichten, dass ein Autor nicht mehr für das Magazin schreibt. Für einmal sind sich «Blick» und NZZ ganz nahe. Das Boulevardblatt vermeldet:

Und das Blatt für die gehobenen Stände echot:

Nun werden von beiden Gazetten die Wortmeldungen des deutschen Kolumnisten Henryk M. Broder prinzipiell mit Missachtung gestraft. Schliesslich gehört er zu den Mitbegründern von «achgut.de», der ironisch so genannten Achse des Guten. Hier schreibt eine bunte Truppe gegen den Strom, angeführt von Dirk Maxeiner und eben Broder. Die meisten dieser Autoren würden von der «Republik» ohne zu zögern der grossen, rechten Medienverschwörung zugeschlagen werden. Ja, es gibt auch ein paar Beitrage von René Zeyer hier, wie in der WeWo.

Nun hat aber der langjährige WeWo-Kolumnist Broder mitgeteilt, dass er nicht mehr für die WeWo schreiben wird. Dafür holt er auf zwei Seiten aus – in der WeWo, notabene:

Sein Einstieg ist recht eigen, um nicht zu sagen merkwürdig. Alle, die es wagen, darauf hinzuweisen, dass der Ukrainekrieg wie eigentlich alles eine Vorgeschichte habe, «rechtfertigen die russische Intervention unausgesprochen, aber unüberhörbar». Auch ZACKBUM hat sich schon zur Vorgeschichte und weiteren Umständen geäussert, was aber niemals eine Rechtfertigung des russischen Überfalls ist. Wenn Broder fordert, man dürfe darüber nur ahistorisch schreiben, der Jetztzeit verhaftet, dann begibt er sich damit ausserhalb des vernünftigen Diskurses.

Zusätzlich störend an dieser Position ist, dass er selbst keine Gelegenheit auslässt, aktuelle Ereignisse mit der braunen deutschen Vergangenheit zu verbinden und unermüdlich an Judenverfolgung und Holocaust erinnert. Das ist sein gutes Recht, das aber gleichzeitig im Fall der Ukraine denunzieren?

Nach längeren Ausführungen, die mehr mit Deutschland und an ihn gerichteten Zuschriften als mit der WeWo zu tun haben, kommt er im letzten Absatz ansatzlos zu folgendem Fazit:

Putin-Versteher ist ein böses Wort, das normalerweise als Kampfbegriff allen entgegengeschleudert wird, die nicht in den Chor der Putin-Verdammnis einstimmen. Es gibt zwar tatsächlich Autoren mit zu grosser Putin-Nähe, und Köppel hat es mit der unreflektierten «Gegen den Strom»-Titelgeschichte «Der Missverstandene» punktgenau zum Kriegsausbruch mal wieder geschafft, mit beiden Füssen in den Fettnapf zu springen.

Dieser Abgang Broders ist nun der NZZ und dem «Blick» je einen länglichen Artikel wert. Die widerspiegeln mehr die Befindlichkeit der Autoren, den Hass, vielleicht auch den Neid auf die WeWo – als dass sie einem Informationsbedürfnis des Lesers nachkämen. Wenn bei der NZZaS die halbe Mannschaft des «Hintergrund» von Bord geht, die unablässigen Abgänge beim «Blick», das ist den Gazetten natürlich keine Zeile wert. Aber wenn ein einziger Kolumnist bei der WeWo aus Protest hinschmeisst, dann wird berichtet.

Was die Kritikaster in erster Linie dabei übersehen: niemals könnte das in ihren eigenen Blättern geschehen. Ein Kolumnist des «Blick», der im «Blick» erklärt, wieso er wegen diesem oder jenem nicht mehr für das Blatt schreiben wird? Undenkbar. Ein Mitarbeiter der NZZ, dem man eine Seite einräumt, um seine Motive darzulegen, wieso er unter Gujer nicht länger schreiben will? Unvorstellbar.

So ist der Abgang Broders kein Armutszeugnis für die WeWo. Aber die Berichterstattung darüber schon.

 

Hitler-Tagebücher, Part II?

Auch «Bild» kämpft gegen das Sommerloch.

Besser als das deutsche Boulevard-Blatt kann man die Story nicht anteasern:

«Es ist Stoff wie aus einem Thriller von Dan Brown: Nazi-Nachkommen, internationale Top-Anwälte und das jüdische „Simon-Wiesenthal Center“ sind gemeinsam auf der Jagd nach einem seit dem Zweiten Weltkrieg verschollenen Nazi-Schatz.»

In Kürze: Argentinien, Zufallsfund in einer Bank. Auf vergilbten Papieren stehen 12’000 deutsche Namen. Das soll der Schlüssel zu einem Nazi-Geheimvermögen in Milliardenhöhe sein. Das bis heute angeblich unentdeckt – auch auf Konten der SKA (heute Credit Suisse) schlummere.

Gefunden wurde diese Liste bereits 1984; der Finder soll selbst lange ermittelt haben, dann habe er 2019 die Dokumente dem Simon-Wiesenthal-Centre übergeben.

Und 2022 trötet die «Bild» die Story raus, fleissig kopiert vom kleinen Bruder «Blick» in der Schweiz. Haben wir es mit einem weiteren Skandal um Nazi-Vermögen in den tiefen Kellern einer Schweizer Bank zu tun?

Die CS – was denn sonst – ««mauert»», schreibt «Blick». Allerdings vorsichtig in Anführungszeichen, denn die offizielle Antwort der Bank lautet: «Ein Sprecher zur Zeitung: «Bisher haben wir kein Konto gefunden.»» Obwohl laut «Bild» immerhin «bis zu 40 Mitarbeiter nach einem womöglich getarnten Geheimkonto im eigenen Haus suchen sollen».

Es gibt bei dieser «Enthüllung» nur ein paar kleine Probleme. Das erste: Bereits 2020 veröffentlichte das Wiesenthal-Centre eine entsprechende Meldung:

Die Papiere seien laut den Boulevard-Medien so entdeckt worden: «Die Jagd begann mit einer Liste, die ein gewisser Pedro Filipuzzi 1984 bei Aufräumarbeiten in einem Lagerraum der Banca National de Desarollo in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires fand

Hört sich irgendwie konspirativer an als die Darstellung des Wiesenthal Centre: «Mr. Filipuzzi, working in the former Buenos Aires Nazi headquarters, discovered, in an old storage room, an original copy of the 12,000 lists, now shared with the Wiesenthal Centre.»

Ariel Gelblung, der in Argentinien ansässige Direktor für Lateinamerika des Wiesenthal Centre, hat auf Anfrage, was denn an der «Bild»-Story dran sein könnte, «zurzeit keinen Kommentar» abzugeben.

Aber unabhängig davon, dass der Fund seit mehr als zwei Jahren bekannt ist, dass der Finder angeblich 35 Jahre lang vergeblich selbst recherchierte, dass es eigentlich nur einen Fundort geben kann, bleibt die Frage, wieso «Bild» – abgesehen vom Sommerloch – ausgerechnet jetzt mit diesem Nazi-Krimi an die Öffentlichkeit geht.

Abgesehen davon, dass Dan Browns Verschwörungsthriller zwar Beststeller sind, aber grottenschlecht konstruiert und geschrieben.

Jeden Tag eine bunte Mischung, serviert von «Bild».

 

Watschelnde Ente im «Blick»

Wird Putin gestürzt? «Insider» packen aus. Und ein.

Kreml-Kenner, Geheimplan, Enthüllung, Sturz. Im Zentralorgan der Kreml-Astrologen wird ganz exklusiv ganz Brisantes enthüllt. Dem wechselweise kranken, verrückten, wahnsinnigen Verbrecher im Kreml soll es an den Kragen gehen. Auf der Homepage steht noch die Frageform, der Artikel selbst ist dann im Indikativ überschrieben: «Vertraute wollen Putin stürzen».

Solche Pläne schmiedet man, das ist ja bekannt, am besten halböffentlich. Das steigert die Erfolgsaussichten ungemein. Denn sofort sickern die zu Insidern durch, und von denen holt sich dann der «Blick» die heissen News. Da wäre mal «der gut informierte Kreml-Kenner Igor Sushko». In seinem anderen Leben ist er das:

Nämlich ein ukrainischer Unternehmer und Autorennfahrer. Also eine unparteiische, kompetente und gut informierte Quelle für Interna aus dem Kreml. Bislang war ja nur bekannt, dass Wladimir Putin gerne mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd sitzt. Aber vielleicht frönt er auch so dem Motorrennsport.

Auf jeden Fall hat dieser «gut informierte Kreml-Kenner» etwas getwittert. Nämlich «Wissen des Menschenrechtlers Wladimir Osechkin. Der Aktivist gilt als sehr gut informiert und lebt aus Furcht vor dem Putin-Regime seit Jahren im Exil». Dort betreibt Osechkin eine regimekritische Webseite. Die strotzt nun auch nicht gerade von sehr gut informierten Exklusiv-Informationen.

Auf jeden Fall plaudert der «Blick» aus: «An der Spitze der Putsch-Bewegung finden sich laut Osechkin zwei Hardliner.» Nicht verwunderlich: «Mit an der Spitze der Putsch-Bewegung soll ausserdem kein Geringerer als Tschetschenen-Anführer Ramsan Kadyrow (45) sein. Der Machthaber wird auch als «tschetschenischer Bluthund» bezeichnet und gilt als äusserst skrupellos.» Und eigentlich als treuester Anhänger Putins, aber man weiss ja nie.

Dann geht die Räuberpistole weiter. Ein inszeniertes Attentat auf Putin, damit sollte ein Keil zwischen den Präsidenten und seinen Unterstützern geschoben werden. Nämlich zum Beispiel der Oligarch Oleg Deripaska. Beweis: «Zudem habe Deripaska nicht geklatscht, als Putin die Bühne betreten habe. Gemäss Kreml-Insider Osechkin hatte das einen einfachen Grund. Der Oligarch nahm gegen seinen Willen an dem Treffen teil. Er sei von Geheimdienstmitarbeitern zum Forum gebracht worden.»

Ein Oligarch klatscht nicht, ein Attentat sei fingiert worden, zwei einem Exil-Russen namentlich bekannte «Hardliner» betreiben den Sturz Putins, ohne dass der bislang etwas dagegen unternimmt.

Vor langer Zeit gab es mal die TV-Sendung «Es darf gelacht werden». Sie ist schriftlich wieder auferstanden.

KOF und doof

Prognosen sind so eine Sache.

Die Zukunft kann man so oder so sehen. Das kommt immer darauf an, wann man in die Zukunft schaut.

Herausragend in diesem Business ist die «Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich» (KOF). Deren Direktor Jan-Egbert Sturm gehört zu den Expertenlieblingen des Fachblatts «Blick». Der ist aber der Sturmvogel der verhauenen Prognosen, so musste er vor Kurzem eine doofe Konjunkturprognose um fast 5 Prozent korrigieren.Der ist daher vorsichtshalber zu jedem Thema für ein Einerseits-Andererseits zu haben; so beispielsweise zur Frage, ob der Staat während der Pandemie Konjunkturprogramme auflegen soll. Dazu meinte er im Februar 2021:

«Der Staat soll nicht unnötig Geld ausgeben. Aber die Schweiz kann es sich leisten …» … sinnvoll Geld rauszuhauen. Den schliesslich gäbe es «Teile der Gesellschaft, die das Geld zur Überbrückung brauchen».

Mit einer solchen Aussage kann er eigentlich nicht falsch liegen. Nun begibt es sich aber aktuell, dass wir eine anziehende Inflation haben. Diese Geldentwertung, der Laie ahnt es, war natürlich unvorhersehbar. Entsprechend muss auch hier nachjustiert werden. Also lässt der «Blick» die Nachrichtenagentur SDA über den neusten «KOF Consensus» berichten:

«Die Konjunkturexperten revidierten zudem ihre Inflationsprognose für das laufende Jahr markant nach oben und gehen nun im Mittel von einer Zunahme der Konsumentenpreise im Jahr 2022 von 2,6 Prozent aus (März: +2,0%). Sie halten eine derart hohe Inflation aber für ein vorübergehendes Phänomen. Denn für 2023 wird ein Wert von +1,7 Prozent (März: +1,1%), langfristig von +1,1 Prozent erwartet.»

Die offiziell eingestandene Inflation in den USA und in der EU liegt allerdings bereits um die 8 Prozent; da sie nicht ausreichend mit der Anhebung des Leitzinses bekämpft werden kann, ist eine Mittelfristprognose von 1,1 Prozent Inflation tollkühn.

Wohlgemerkt reicht für solche Zukunftsdeutungen – und ihre ständigen Korrekturen – der geballte Sachverstand von rund 60 Mitarbeitern der KOF nicht aus: «An der Befragung für den KOF Consensus nahmen 18 Ökonominnen und Ökonomen teil

Die Lieblingsbeschäftigung dieser «Ökonominnen und Ökonomen» ist offenbar die ständige Korrektur der eigenen Prognosen. Denn nach der Prognose ist vor der Prognose. Blöd ist nur, dass bei binärem Zukunftssehen eigentlich eine Trefferquote von 50 zu 50 herrscht. Also die kühne Ansage «morgen scheint die Sonne» trifft entweder ein – oder nicht. Diese Koryphäen schaffen es aber, ihre Trefferquote deutlich unter 50 Prozent zu senken. Dazu muss man sicherlich mindestens an der HSG studiert haben.

ZACKBUM begibt sich nun richtig aufs Glatteis und wagt die Prognose: die Inflation wird 2023 garantiert nicht bei 1,7 (oder gar 1,1) Prozent liegen.

Man kann allen Institutionen, für die diese Fachkräfte tätig sind, nur viel Kraft wünschen. Die brauchen das.

 

Ringiers Liebling Berset

Das nennt man einen Spagat.

Im Nachgang zur ausser Kontrolle geratenen Liebesaffäre von Bundesrat Alain Berset haben die beiden Geschäftsprüfungskommissionen des Parlaments das Ergebnis der Untersuchungen veröffentlicht:

Gelegenheit für den «Blick», hörbar aufzuatmen und Walders Liebling mal wieder wie einen Blues Brother zu zeigen:

Kein Wunder, stehen die Damen auf den feschen Herrn.

Nun gibt es da allerdings so ein klitzekleines, heikles Problem in der ganzen Affäre. Der «Blick» ist nun allerdings nicht so blöd wie der Tagi und liesse das unter den Tisch fallen. Keineswegs, wenn man weit, weit hinunterscrollt, kommt man doch zu diesem feschen Bild des BB, also des BR:

Hier merkt man allerdings der Titelgebung deutlich an, dass sich der Redaktor bewusst war, welche engen Bande zwischen Ringier-CEO Walder und dem Bundesrat existieren, der sich ja auch schon mal als Dressman und Interviewer in einem Ringier-Organ blamierte. Denn von «soll» kann keine Rede sein; die Mails wurden eingestandenermassen gelöscht. Sie hätten nämlich den Vorwurf belegen können, dass Berset Kräfte seines Departements dafür einsetzte, sein privates Schlamassel aufzuräumen.

Aber was kann er auch dafür, dass er mit oder ohne Hut so attraktiv ist …

Mediale Vorsorge

Wenn die Ukraine mal vorbei ist …

Der umsichtige Medienlenker denkt an die Zukunft. Und weiss, dass es im heutigen Elendsjournalismus eigentlich immer nur ein einziges Überthema geben kann.

Das war lange Zeit natürlich die Pandemie. Als sich zunehmend Ermüdungserscheinungen bemerkbar machten, tat Kreml-Herrscher Putin den Medien den Gefallen, tatsächlich in die Ukraine einmarschieren zu lassen.

Fliegender Wechsel, nur noch einsame Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher versuchten zunehmend verkniffen und verzweifelt, das komatöse Thema Corona wachzuknutschen. Viele Experten, Spezialisten, Wissenschaftler, Virologen, Epidemiologen wunderten sich, wieso sie weder mit Warnungen noch mit Entwarnungen gross in die Medien kamen.

Der Konsum von Beruhigungsmitteln und Antidepressiva soll in diesen Kreisen in den letzten Monaten deutlich angestiegen sein, aber wir warten noch auf genaue Zahlen.

Jetzt aber das. Der «Blick», das Blatt des Monothemas, zieht neben aller Berichterstattung über die Ukraine das Corona-Thema wieder an.

«Die Schweiz geht in die nächste Welle»,

lautet die unheilschwangere Zeile. Vorteil beim Thema ist natürlich, dass man vieles aus dem Stehsatz nehmen, kurz abstauben und rezyklieren kann: «Corona-Experten wegen steigender Zahlen alarmiert.» Schon wieder, die Armen. Aber während einige der bewährten Fachkräfte einen Fehlstart hinlegen und gar nicht wirklich alarmiert sind, nützt die einschlägig bekannte Isabella Eckerle die Gunst der Stunde und schiebt sich gnadenlos in die Pole Position.

Offenbar sind Frauen schneller als Männer, denn auch dieser verblassende Star der Corona-Hysterie meldet sich wieder zu Wort: «Auch Tanja Stadler (41), ehemalige Taskforce-Leiterin und Leiterin der ETH-Plattform CoV-Spektrum, macht auf die Verdoppelung der Zahlen …»

Man muss allerdings auch dem «Blick» einmal ein Kränzchen winden. Das ist vorausschauendes Thema Setting, damit wird das Blatt garantiert resilient, wenn in der Ukraine gerade mal nicht wirklich was los ist. Zudem pflegt es hier den klassischen Boulevard-Aufbau.

Experten sind (wie eigentlich immer) alarmiert, die nächste Welle kommt, das sagt nicht nur eine Expertin, sondern gleich zwei, dann muss es ja stimmen. Damit wäre sozusagen die Keimzelle gelegt, nun muss das Ganze nur noch abheben und viral gehen.

Wir sind gespannt, ob «Blick» auch diesen Teil des Boulevard-Journalismus beherrscht. Natürlich hofft das Ringier-Blatt dabei auf Unterstützung der anderen grossen Medienkonzerne. Denn man kann sich doch sicher sein, dass inzwischen bei diversen Themensitzungen der Chefredaktor mit gerunzelter Stirne in die Runde blickte und sagte:

Und was haben wir zum Thema? Das können wir doch nicht dem «Blick» überlassen. Nehmt den Finger raus, ich will Experteninterviews, wissenschaftliche Studien, Tabellen, Grafiken, was sagt die Politik, wie sieht’s auf den Intensivstationen aus, müssen wir wieder Maske tragen, braucht es den dritten, vierten und fünften Booster?

Im Medienhimmel

Auffahrt ist’s; Zeit für leichtere Kost.

Himmlische Spitzenleistungen aus dem Schaffen unserer Qualitätsmedien.

Arbeiten wir uns von ganz unten nach oben. Wie «watson» scharf beobachtete, gingen Pixelmännchen (oder -frauen) an diesen Wettbewerb. Wo der Geschmack einen weiten Bogen macht, da ist das Organ mittendrin. Traut sich aber nix.

Was soll denn das zu meckern geben? Ist doch super, dass der «Blick» seinem Regenrohr im Logo nachlebt und nun auch Gartentipps gibt. Gehört sicherlich zur Resilienz. Allerdings: diese Story ist sehr, sehr resilient. Sie begleitet den Leser schon seit Tagen online. Seit Wochen. Bald einmal seit Monaten. Irgendwann seit Jahren. Bis es keine Brennnesseln mehr gibt.

Eigentlich ist das die alte Masche des Boulevards. Nur wen man vorher gehypt hat, kann man anschliessend richtig schön in die Pfanne hauen. Macht doch nix, dass auch Tamedia «Mr. Corona» lobhudelte. Welche Gelassenheit. Welches Vertrauen. Welche Geduld. Welche Stimme. Was für ein Mann. Und arbeitet (als Beamter!) sogar noch über seine Pensionierung hinaus. Ohne ihn hätten wir Corona sicher nicht überlebt. Und jetzt? Versäumnisse, Versager, verpeilt, wie konnte er nur, entrüstet sich der Tagi.

Das ist klassischer «#metoo»-Journalismus. Da gibt’s die Meldung, dass in Spanien Gesetz werden soll, dass Frauen mit starken Regelschmerzen deswegen zu Hause bleiben dürfen. Olé! Da überrascht der Chefredaktor seine Mannschaft mit einem Genieblitz: Das ist doch ein Thema. Aber wir müssen es lokal spielen. Also ran an die Umfrage, was meinen die Ostschweizer dazu? – Die Ostschweizer:Innen, korrigiert ihn seine feministische Fraktion. Natürlich, verbessert er sich, das ist ja ein Frauenthema. – Nein, das ist ein Menschenthema, kriegt er nun um die Ohren. Also gut, sagt er, nun aber ans Werk.

Das wird aber ein Werkchen, im Tagblättchen von St. Gallen: «Das sagen zwei Ostschweizer Politikerinnen, eine Feministin, der Thurgauer Gewerkschaftsbund und der St.Galler Gewerbeverband.» Minimale Pflichterfüllung, sagt ZACKBUM.

Ein (in Zahlen 1) russischer Diplomat hat einen starken Abgang hingelegt und sich mit Getöse gegen seinen Staat und seine Regierung gewandt. Das ist ausserordentlich und ausserordentlich mutig. Aber ist’s schon eine Welle? der Diplomat ging bei der Genfer UNO-Delegation Russlands von Bord. Also wie gemacht für die geballte Recherchierpower von Tamedia. Oder auch nicht. Die Artikel stammen von Frank Nienhysen, der schaffte auch ein Interview mit dem abtrünnigen Diplomaten. So arbeitet man halt bei der «Süddeutschen» immer noch. Während die Schweizer Tamedia-Redaktoren Maulaffen feilhalten und zuschauen.

Ergreift der Häuptling das Wort, geben sich die Indianer immer besonders Mühe. Eric Gujer ordnet mal wieder die Welt in der NZZ, zeichnet die ganz grossen Linien und blickt kompetent in die Zukunft. «Der Sieger im Ukraine-Krieg steht schon fest: China.» Welch ein Blick durch die Dinge hindurch. Aber wie bebildert man das nur? Krisensitzung der Bildredaktion, rote Striemen auf der Kopfhaut vor lauter Kratzen. Ernste Gesichter, leichte Schweissausbrüche, Angst um den Arbeitsplatz. Bis jemand die rettende Idee hatte: Chinesinnen. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Hinten Mao, vorne lacht’s. Das traf zunächst auf Unverständnis und offene Münder. Aber der clevere Entdecker legte nach: Als Bildlegende schreiben wir «China könnte zum lachenden Dritten werden.» Allgemeine Erleichterung, Applaus, tiefes Einschnaufen, anerkennendes Kopfnicken. Und keiner merkt, wie lachhaft dieses Foto zu diesem Text ist. Ob’s wenigstens der Autor rafft?

Die letzten Gläubigen

Das WEF ist ein Schatten seiner selbst. Selbst die Demos dagegen …

All das übliche Brimborium fehlt. Wichtige und Mächtige, die in schwarzen, gepanzerten Limousinen durch Davos pflügen. All die Begegnungen «kenne ich den oder muss der mich kennen?». Die Empfänge, Partys, das Come-Together, die prall gefüllten Agenden. Wer hat die beste Suite im ersten Hotel am Platz, wer muss in Zürich übernachten und anreisen?

Wie viele wichtige Präsidenten und Weltenlenker sind anwesend, wo stapeln sich die Privatjets und die ganz grossen Flieger? Alles fehlt, stattdessen haben wir einen Olaf Scholz, eine Christine Lagarde, eine von der Leyen als Ersatzstars. Nicht mal Schnee gibt’s.

Was macht noch Schlagzeilen? Klitschko: «Bleibt die Schweiz passiv, klebt auch Blut an ihren Händen». – «Davos im Metaversum: WEF-Gründer kündigt digitales Grossprojekt an.» – «Die Welt war naiv. Klaus Schwab auch.» – «Oxfarm fordert höhere Steuern für Konzerne und Vermögende

Russland ist ausgeladen, Selenskij hat eine seiner tollen Video-Ansprachen gehalten, bei denen alle ganz betroffen schauen. Und ein ehemaliger Box-Weltmeister bereitet schon das Terrain vor: «Wladimir Klitschko hat die Schweiz zu einem Verbot russischer Staatsmedien aufgefordert. Dort laufe anti-ukrainische Propaganda. «Die Gehirnwäsche findet auch in der Schweiz statt», sagte er in einem Interview mit dem «Blick» am Rande des WEF in Davos.» Gehirnwäsche in der Schweiz? Muss doch was dran sein, dass zu viele Kopftreffer nicht spurlos an Boxern vorbeigehen.

Soweit, so gähn. CNN, die grossen Medien, sie berichten mehr aus Gewohnheit und unter ferner liefen über das WEF. «Blick» ist es aber gelungen, dem «CNN-Starmoderator» Richard Quest in Davos ein Statement zu entlocken. Was erwarte er denn vom diesjährigen WEF? «Nothing

Nicht viel mehr als nichts war auch der erste Versuch eines Protests durch die Jusos: «Nur gerade 60 WEF-Gegner protestieren gegen das Forum. Juso-Präsidentin Ronja Jansen lässt sich von der kleinen Teilnehmerzahl nicht beirren.» (siehe Screenshot vom «Blick» als Artikel-Foto.)

Aber immerhin, in Zürich war wenigstens etwas Action:

Tränengas, Gummischrot, Doppelmoppel-Parole.

Aber die NZZ hält in alter Treue am WEF fest und gönnt dem 84-jährigen Klaus Schwab den grossen Bahnhof, bzw. das grosse Interview. Aber auch ihr fällt es schwer, Fragen zu stellen, die Antworten erhalten, die dem Leser nicht als Ersatz für Schafezählen zum Einschlafen dienen könnten.

Seine Lieblingspose seit gefühlten 100 Jahren.

Auch auf die Gefahr hin, dass der Leser hier wegschnarcht, einige Höhepunkte des Interviews:

  • Die globale Solidarität hätte grösser sein können, das stimmt. Ich glaube, Corona hat uns alle egoistischer gemacht, und die Staaten sind nationalistischer geworden.
  • Ich habe mich angepasst und war online sehr aktiv. 
  • Das Global Village soll zur ersten Metaversum-Anwendung mit einem echten «purpose» werden.
  • Wir erwarten über 50 Regierungs- und Staatschefs und über 200 Kabinettsmitglieder.
  • Als der Krieg ausbrach, erinnerte ich mich an dieses Gespräch. Nun war völlig klar: Der Versuch, Putin zu überzeugen, europäischer zu werden, ist gescheitert. Ich war traurig und entsetzt.
  • Ich glaube, wir erleben tatsächlich gerade Geschichte an einem Wendepunkt.
  • Die Welt wird fragmentierter, wahrscheinlich zerbrechlicher.
  • Ich habe Drohschreiben erhalten, unser Haus wurde fotografiert und das Bild ins Internet gestellt.

Ist noch jemand wach? Dann haben wir noch die endgültige Schlafpille. Denn Schwab wird gefragt, wie es mit den wirtschaftlichen Beziehungen zu China (auch mit der dritten Garnitur am WEF vertreten) stehe: «Das ist die Frage, die dieses fliessende System besonders beschäftigen wird. Wie wird das Verhältnis der neuen westlichen Werteallianz zu China sein? Militärisch, aber auch wirtschaftlich.»

Falls es irgendwelche Antworten auf diese Frage geben sollte, bei denen man nicht sofort wegschnarcht; ZACKBUM wird berichten.

Kleine Umnutzung des früheren Russia House in Davos.