Eine Hymne auf die Setzer

Online gelten die Qualitätsstandards der Setzerinnen und Setzer nicht mehr.

«Läckerli Huus»-Chefin Miriam Baumann-Blocher würde sich die Haare raufen. Ihre teuer erkaufte Online-Werbung auf WATSON.CH war unfreiwillig komisch. Die Listicals, eine Spezialität des AZ Medien-Geldverbrennungszweigs, befassten sich kürzlich mit den 20 Bildern von hässlicher Weihnachtsdeko, die Du definitiv nicht brauchst. Und was folgt als erstes: ein wunderbares Bild eines speziellen Schoggi-Bären aus dem Läckerli-Huus. Soooo gemein. Soooo geschäftsschädigend. In einer Printzeitung wäre das nicht vorgekommen. Dort gibt es nach wie vor Schriftsetzer, Layouter oder wie auch immer diese Fachkräfte genannt werden. Sie sorgen mit grenzenloser Geduld dafür, dass alle Inserate und Inserätli am richtigen Ort stehen. Weil sie mit Grips und Herzblut bei der Sache sind, schauen sie, dass es keine peinlichen Nachbarschaften gibt.

Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Klassiker: Gaswerbung platziert neben dem Auschwitzartikel. Erschienen in einem Deutschen Blatt.

Doch zurück zum Thema. Falsche Online-Werbung. Watson ist nicht die Ausnahme. Wenige Minuten nach dem Entdecken des Watson-Fauxpax erblickt der Chronist dann dies:

Nicht so peinlich, aber auch doof. Zweimal diesselbe Werbung. Wie blöd ist das denn.

Es bleibt, den Werbeverantwortlichen wieder mal ins Gewissen zu reden. Werbung? Das kann nur ein Inserat.

Was natürlich auch nicht stimmt. Aber dort sind die Qualitätsstandarts scheinbar höher. Frau Baumann-Blocher: Gehen Sie über die Bücher!

Triumphiert der Trumpismus in der Schweiz?

Der Eidgenosse hat mal wieder abgestimmt. Basisdemokratisch, versteht sich.

Was Donald Trump recht ist, kann für die politischen Bewegungen in der Schweiz nicht falsch sein. Auch an diesem Sonntag haben eigentlich alle gewonnen. Die einen etwas mehr, die anderen etwas weniger.

Nehmen wir das knappste Resultat als Beispiel; die Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Nachdem es eine Zeitlang so aussah, als ob sie angenommen würde, wachten die Wirtschaftsverbände auf und ballerten dagegen.

Ob ganzseitige Inserate der Credit Suisse, die sich mit viel Buchstaben dagegen aussprach, eher den Gegnern oder den Befürwortern genützt haben, man weiss es nicht. War auf jeden Fall viel rausgeschmissenes Geld der sowieso schon gebeutelten Aktionäre der Schrumpfbank.

Erschwerend kommt hinzu, dass wir den seltenen, aber nicht aussergewöhnlichen Fall haben, dass die Initiative ganz knapp mit Stimmenmehr angenommen wurde, aber klar am Ständemehr scheiterte.

Das real existierende Ständemehr verträgt nicht jeder

Ein Appenzell-Innerrhödler hat also das gleiche politische Gewicht wie 40 Zürcher. Kann das richtig sein? Zumindest verträgt es nicht jeder. «Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte», twittert Ronja Jansen. Die Juso-Präsidentin zeigt damit mal wieder, dass Twittern gefährlich sein kann.

Das böse Wort vom Müllhaufen oder der Müllhalde wird quer durch alle Parteien gerne verwendet. Alice Weidel von der AfD findet, dass politische Korrektheit dorthin gehöre, der Parteichef der deutschen Linken findet, es sei der richtige Platz für die AfD.

Nun also auch das Ständemehr. Wir wollen Jansen keine Lektion in Staatskunde erteilen, obwohl sie die offenbar dringend nötig hätte. Aber eine konstituierende Regel für jeden Bundesstaat abschaffen, die verhindern soll, dass grosse und bevölkerungsreiche Teile die kleinen und bevölkerungsärmeren Teile ständig überstimmen, das ist einwandfrei antidemokratisch.

Und Anti-Rechtschreibung. Da man das nicht erfinden kann, hier der fotografische Beweis der Gaga-Begründung:

Mit Twittern kann man sich unsterblich blamieren.

In der Schweiz triumphiert der Trumpismus

Während in den USA Trump abgewählt wurde, triumphiere in der Schweiz der Trumpismus, jault watson.ch auf, dem das Resultat auch nicht passt. Das stimmt zwar, aber ganz anders. Wenn nicht irgendwer am Stammtisch, sondern die Juso-Präsidentin die Abschaffung eines fundamentalen Prinzips der Schweiz fordert, nur weil ihr ein von ihm bewirktes Abstimmungsresultat nicht passt, dann müsste sie sich nur noch die Haare orange färben, um ihrem Vorbild Trump auch äusserlich zu gleichen.

Einen «Graben zwischen Stadt und Land» ortet Tamedia, «dieses Nein ist kein Freipass», kommentiert der Konzern staatsmännisch. «Die Schweiz sagt nein zu leeren Versprechen», tritt die NZZ nach, die SDA neutralisiert auf «Achtungserfolg».

Nun hat «20 Minuten» mittels Umfrage genauer erforscht, wie das Ständemehr dagegen zustande kam. In den Städten war man weitgehend dafür, auf dem Land weitgehend dagegen. Aha, die aufgeschlossenen Städter gegen die dumpfen Landbewohner. Könnte man meinen.

Blödes Ständemehr: stört, muss weg

Solange man das Resultat einer weiteren Befragung nicht kennt. 61 Prozent der Grünen-Wähler und gar 64 Prozent der SP-Wähler wollen das Ständemehr kippen. Bei Initiativen sollte doch das Stimmenmehr ausreichen. Immerhin sieht das eine Mehrheit von 45 Prozent aller Stimmbürger anders.

«Dieser Abstimmungskampf war erst der Anfang», spricht Tamedia den Verlierern Mut zu, da komme «etwas auf die Schweiz zu». Da ist Regula Rytz von den Grünen schon angekommen: «Wir müssen darüber reden, wie wir zu einem gerechteren Abstimmungsmodus kommen.» Denn: «Unsere direkte Demokratie ist in Schieflage», solche Ergebnisse zeigten, dass die Gefahr bestehe, dass Volksinitiativen keine Chance mehr hätten: «Das schwächt die direkte Demokratie.»

Wie die Juso-Vorsitzende ist auch die Nationalrätin Rytz keine Unbekannte. Nach einer kurzen Phase als Primarlehrerin ist sie seit 1993 Funktionärin und Berufspolitikerin, von 2012 bis 2020 zuerst Co-, dann alleinige Präsidentin der Grünen. Auch sie ist Antidemokratin in bester Trump-Tradition. Ein bislang unbestrittener Abstimmungsmodus ergibt ein Mal ein Resultat, das ihr nicht passt: schon ist die Demokratie in Schieflage, sind die Ergebnisse ungerecht.

Über Niederlagen darf man jammern – oder sie schönschwätzen

Verlieren ist immer ungerecht – für die Verlierer. Heissen sie nicht Trump und wandeln sie nicht in seinen Fussstapfen, dann dürfen sie über diese Ungerechtigkeit jammern, sich zum moralischen oder Sonstwie-Sieger erklären. Aber Regeln abschaffen wollen, weil das Resultat nicht passt, statt die Niederlage zu akzeptieren: das ist nicht nur Trump. Das ist schlimmer.

Natürlich darf das Blatt des gehobenen Gutmenschentums auf Kosten anderer nicht fehlen. Sonntag ist bekanntlich Ruhetag bei der «Republik». Also gehen die übrigen Abstimmungen den 50 Nasen schwer an einem gewissen Körperteil vorbei. Aber die KVI, da kann Daniel Binswanger nicht an sich halten und hält sich mit 7200 Buchstaben aber erstaunlich knapp.

Das ist sogar fast ein Drittel kürzer als die «Gebrauchsanleitung für die Republik». Nach diesen 10’669 Buchstaben kann man sich des Eindrucks nicht erwehren: Die «Republik» hält ihre Leser für bescheuert und unfähig. Denn es fehlt eigentlich nur die Anweisung, die vielen Zeilen jeweils von links nach rechts und nicht umgekehrt zu lesen.

Die Welt als Wille und Wahn

Der Philosoph und Literaturwissenschaftler Binswanger zeigt in seinem Kommentar einen längst überwunden geglaubten erkenntnistheoretischen Ansatz, wie ihn zuletzt die mittelalterliche Kirche benützte: «Was Realität ist, bestimmen immer noch wir, und wenn wir sagen, die Erde ist eine Scheibe, dann ist das so.» In der modernen Auslegung von Binswanger: «Sieg der progressiven Schweiz», triumphiert er im Titel.

Dann macht er einen kurzen, sehr kurzen Ausflug in die Realität: «Die KVI scheitert am Ständemehr. Aber ihre Gegner haben nicht gewonnen.» Dass sie daran gescheitert ist, sei «aber beinahe von untergeordneter Relevanz». Durchaus relevant auch für Binswanger ist aber dieser alte Zopf. Nur weiss er sich etwas gewählter als die Juso-Chefin auszudrücken: «Das politische Übergewicht der kleinen Kantone ist schon lange den modernen Lebens­verhältnissen nicht mehr angemessen.»

Der moderne Lebemann Binswanger beklagt die «Blockademacht des Ständemehrs». Also mit den an Beliebigkeit nicht zu überbietenden Argumenten «überholt, blockiert nur» will auch er diesen föderalistischen Grundpfeiler absägen. Einmal mehr kann man froh sein, dass solche Traumtänzer und Dummschwätzer es niemals erleben werden, dass ihre Forderungen mehrheitsfähig würden. Nicht nur wegen des Ständemehrs.

 

Sobli-da-so-blöd-da

Der «SoBli» als Bundesratsversteher.

Wo und wie fasst man als Journalist eigentlich einen Bundesrat an? Erfahrene Kollegen raten: Gleich wie einen Bauern oder wie den Kellner, der gerade den Kaffee auf den Tisch stellte.

Der «Sonntagsblick» hat in Bundesbern zwei junge Journalisten akkreditiert: Camilla Alabor und Simon Marti. Die beiden führen Interviews mit der obersten Exekutive des Landes. Krawall ist nicht so ihr Ding, sie plaudern lieber ein bisschen um den heissen Brei herum, und schon sind zwei Seiten voll.

Niemanden störte das wirklich. Es ging auch so lange gut, wie in der Schweiz alles bestens lief. Vollbeschäftigung, schöne Landschaft, warme Gipfelis. Momentan aber läuft gar nichts gut. Der Bundesrat trägt einen wesentlichen Teil der Schuld auf sich.

Im aktuellen «Sonntagsblick» gibt es nun ein Interview mit der Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga. Wieder mit Alabor und Marti. Machen wir kurzen Prozess: Es ist das bisher schlechteste Interview, das ich von den beiden gelesen habe. Für mich unverständlich, warum man diese beiden Gutwetterjournalisten an ein so wichtiges Gespräch lässt, anscheinend unbetreut.

Warum ich das Interview so schlimm finde? Weil Camilla Alabor und Simon Marti das nicht gemacht hatten, was sie eigentlich mussten: Fragen stellen. Die Politikerin habe ihnen «einen Blick hinter die Kulissen gewährt», freuen sich hingegen Alabor und Marti. Für den Onlinetext wird ein Bild ausgesucht, dass an Jesus‘ Abendmahl erinnert. Alabor und Marti holen die Harfe und texten: «Mit dem Ausbruch der Coronakrise fand sich Simontta Sommaruga plötzlich in der Rolle der Landesmutter wieder.»

Harfe kurz weggelegt, dafür mit Posaune: «Auf einmal im Auge des Sturms. In ihrer Mitte: die Bundespräsidentin.» Was ist das für ein Schwachsinn? Schreiben unsere deutschen Kollegen solche Hymnen auf Spahn oder Merkel? Nein, die werden gegrillt, geröstet und gegessen. Ist das schlimm? Nein, es nennt sich Job.

In welchem Land der Welt schreibt der Boulevard: «Plötzlich fällt Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (60) die Aufgabe zu, das Land durch die Krise zu führen. Den Bundesrat zusammenzuhalten. Die Kantone miteinzubeziehen.»

Alabor und Marti haben sich für eine didaktische Interviewform entschieden: Auf eine Antwort von Sommaruga folgt die Erklärung der Redaktion. Erstes Beispiel: Sommaruga:

«In dieser Phase hat sich der Bundesrat darauf verlassen, dass die Kantone ihre Verantwortung übernehmen.»

Alabor und Marti kommentieren:

«Ebenso wie die Schweizer Bevölkerung zählte auch der Bundesrat darauf, dass die Kantone den Sommer zur Vorbereitung auf die zweite Welle nutzen. Das hat ganz offensichtlich nicht geklappt.»

Zweites Beispiel: Sommaruga

«Der Wendepunkt war für mich der Freitag, 9. Oktober, als die Zahlen emporschnellten Da habe ich meine Bundesratskollegen Alain Berset und Guy Parmelin angerufen und gesagt: So geht es nicht weiter. Wir müssen die Kantone an den Tisch holen.»

Alabor und Marti nicken und schreiben als Kommentar:

«Gesagt, getan.»

«Wenn es sein musste», schreiben die beiden Journalisten an anderer Stelle, «griff sie auch mal zum Telefon und organisierte (…) ein Krisentreffen mit den Kantonen.» Wer so etwas schreibt, hakt auch nicht nach, wenn die «SP-Magistratin» Zeugs wie dieses sagt:

«Ich notierte in meinem Notizheft bereits Anfang Oktober: Der Bund muss wieder präsenter werden.»

Die beiden anständigen Bundeshaus-Journalisten wollten wahrscheinlich ihren Badge fürs Bundeshaus nicht verlieren. Dafür verliert der «Sonntagsblick» noch weiter an Abonnenten.

Vincenz, der Schlechtbanker

Zunächst: Es gilt die Unschuldsvermutung. Selten so gelacht.

Im Verlauf der letzten 11 Jahre, also seit der Finanzkrise eins, gab und gibt es in der Schweiz genügend Bankführer, die für erwiesene Unfähigkeit, für Milliardenbussen, für das Schrumpfen des Aktienkurses ihrer Bank um 50, 60, 70 Prozent ein Riesensalär bezogen. Plus Bonus, versteht sich.

Ohne, dass etwas anderes geschah, als dass sie um Dutzende, manchmal um Hunderte Millionen Franken reicher abtraten und verschwanden. Unbehelligt, vielleicht manchmal beschimpft, aber das sollte man bei diesem Schmerzensgeld aushalten.

Der strahlende Starbanker Vincenz

Dagegen galt Pierin Vincenz lange Jahre als der Gutbanker. Der Erfolgsbanker. Der joviale Siegertyp mit dem sympathischen Bergler-Image. Banker des Jahres, die Medien überschlugen sich mit Lobhudeleien, vor Bewunderung ehrfurchtsstarr. Was für ein Mann. Was für ein Erfolgstyp. Hat aus Raiffeisen die Nummer drei hinter den beiden Grossbanken und vor allen Kantonalbanken gemacht.

Eine Wahnsinnskarriere. Als der Finanzblog «Inside Paradeplatz» anfing, mit gestohlenen Bankunterlagen von Vincenz Stunk zu machen, sagten alle anderen Medien: niemals, gar nicht erst ignorieren.

Bis Ende Februar 2018 der Paukenschlag erfolgte. Verhaftung, Hausdurchsuchung, monatelange U-Haft. Aus dem ehrfurchtsstarren Blick hinauf zum Bankenstar wurde, so ist das im Journalismus, ein Wettbewerb im Arschtreten.

Nicht die geringste Eigenleistung der Journalisten

Ohne die geringste Eigenleistung veröffentlichten die Qualitätszeitungen Informationen, mit denen sie angefüttert wurden. Geldgierig in den eigenen Sack gewirtschaftet, dieser Vincenz. Sass an beiden Seiten des Verhandlungstischs bei Firmenübernahmen durch Raiffeisen, pfui.

Aber im Takt mit dem Staatsanwalt wechselten die Medien problemlos die Richtung der Vorwürfe. Das mit der Selbstbedienung sei schon eine Sauerei, aber die Spesen. Diese Spesen. Der Rotlicht-Banker mit einem Hang zu Strip-Schuppen. Pfui, pfui, pfui.

Alles, was vorher enthüllt worden war, schrumpfte zum lauen Lüftchen im Vergleich zu dem Sturm, der aufkam, als die Anklageschrift den Medien zum Frass hingeworfen wurde. All die älteren Spesenritter bei den Medien, die sich noch an die goldenen Zeiten erinnern, als auch im Journalismus keine grossen Fragen gestellt wurden, wenn die private Sause als Geschäftsessen eingereicht wurde, überschlagen sich vor Entrüstung.

Nach dem Rotlicht noch Dubai

Wobei natürlich weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Nachdem alle Rotlichtspesen durchgenudelt wurden, setzte die NZZ am Samstag noch einen drauf. Es gab ja auch noch die Reise nach Dubai. Ein Dankeschön von Raiffeisen an zwei langjährige, verdiente Mitarbeiter, überbracht vom Big Boss Vincenz.

Der auch gleich mitkam, um seine Huld über den beiden strahlen zu lassen. Flug in der First Class, Unterkunft in diesem segelförmigen Wahrzeichen von Dubai, golfen, relaxen, trinken, essen, kein Rotlicht. Alles gerne von Kuoni organisiert, Kostenpunkt für alle: 54’000 Franken. Es läppert sich halt.

An dieser Beschreibung delektiert sich auch die NZZ. Was sie dabei völlig aus den Augen verliert, sind die naheliegenden Fragen. Wo Spesen eingereicht werden, müssen sie auch visiert werden. Das tat bei Raiffeisen der VR-Präsident höchstselbst bei Vincenz. Und der war nicht irgendwer, sondern auch Professor an der HSG – für Unternehmensführung.

So viele Artikel, so viele nicht gestellte Fragen

Nicht gestellte Frage eins: Wie hätte Vincenz annehmen sollen, dass mit seinen Spesen etwas nicht in Ordnung sei, wenn sie allesamt und über Jahre kommentarlos abgezeichnet wurden?

Nicht gestellte Frage zwei: Wie hätten die Mitreisenden Verdacht schöpfen sollen, die Jahre später von einem im roten Bereich drehenden Staatsanwalt wegen «Beihilfe zu ungetreuer Geschäftsbesorgung» angeklagt werden? Sicherer Freispruch inklusive.

Nicht gestellte Frage drei: Wenn wir schon ernsthaft über ungetreue Geschäftsbesorgung sprechen wollen, wie sieht es da mit einem VR-Präsidenten aus, der offensichtlich weder seiner Aufsichts-, noch seiner Kontroll- und auch nicht seiner Fürsorgepflicht nachkommt? Dafür kassierte er ein sattes Honorar – als Nebenjob zu seiner Professur – von fast 600’000 Franken im Jahr.

Fragen, keine Antworten, recherchieren

Hätte da nicht mit viel mehr Grund zumindest eine Strafuntersuchung eingeleitet werden müssen? VR-Präsident, Professor, hallo? Statt auf zwei harmlose Mitreisende mit Kanonen zu schiessen?

All diese Fragen hat die NZZ nicht gestellt. Aber ich. Hat die Bank nicht eine Strafanzeige eingereicht gegen ihren ehemaligen VR-Präsidenten? Und wenn nein, warum nicht? «Raiffeisen Schweiz äussert sich nicht zum laufenden Verfahren.» Nachfrage: Kann man aus der Antwort schliessen, dass gegen Prof. Rüegg-Stürm ein Verfahren läuft? Antwort: «Wir verweisen auf unsere E-Mail vom 19. November.»

Und was sagt die Staatsanwaltschaft zur Frage, wieso sie keine Ermittlungen gegen Rüegg-Stürm aufgenommen hat? «Mit der Anklageerhebung ist die Verfahrens- wie auch die Kommunikationshoheit an das Bezirksgericht Zürich übergegangen. Über den Inhalt unserer Medienmitteilung vom 3. November hinaus beantworten wir deshalb keine weiteren Fragen.»

Das war zwar nicht die Frage. Aber in der voluminösen Anklageschrift kommt der Name Rüegg-Stürm, die Spesenabrechnungen abzeichnender VR-Präsident, nicht vor. Warum nicht? Gute Frage. Da könnte man zum Beispiel zu recherchieren beginnen. Aber das wäre ja mit Anstrengung verbunden.

 

 

 

4 Monate, die die Welt veränderten

Nun gut, die kleine Medienwelt der Deutschschweiz. Ein wenig.

Schon nach einem Monat waren sich viele Getroffene und Betroffene einig: ZACKBUM.ch macht sicher bald mal die Schraube. Ist doch unvorstellbar, dass drei Nasen freiwillig und ohne Bezahlung monatelang einen Artikel nach dem anderen rauspusten.

Nach inzwischen vier Monaten kann man laut sagen: doch. Es sind inzwischen weit über 330 Artikel geworden; jeden Tag mehr als einer, manchmal sogar drei. Schnell schafften wir, was der Ritterschlag für jedes kritische Organ ist: Wir wurden schnell gehasst – und entweder bedroht, oder ignoriert.

Bedroht mit dem Üblichen: Werden Sie nicht, dann werde ich alle geeigneten rechtlichen Schritte, Blabla. Konstruktiver waren Hinweise von vielen Seiten, wenn der Wunsch entstand, etwas zu ergänzen, allenfalls etwas richtigzustellen.

Das tun wir immer und gerne. Genauso, wie wir aus Prinzip allen Betroffenen oder Beteiligten die Gelegenheit geben, Stellung zu nehmen. Innerhalb eines geplanten Artikels, oder auch als Gastbeitrag. Wir nehmen es als Kompliment für die Stichhaltigkeit unserer Recherchen, dass die Gegenrede noch nie benutzt wurde. Was auch bedauerlich ist.

Nicht minder bedauerlich ist, dass dieses Schweigegelöbnis auch dann gilt, wenn ZACKBUM.ch einen Primeur knallen lässt. Wir haben nach 8 Medienmitteilungen aufgegeben, die übrige Journaille dazu zu bewegen, was sie sonst bei jedem Pipifax tut: etwas vermelden, was wir veröffentlichen.

Seien das die internen und despektierlichen Aussagen des Leiters Publizistik bei CH Media über seine eigenen Leser, das ungenierte Brechen von Sperrfristen, gar die Ergebnisse einer exklusiven Umfrage unter den Medienhäusern, wie sie es mit Kurzarbeit halten: die Antwort ist schweigen. Der Sozialplan von Tamedia bei der nächsten Entlassungsrunde, der Auflagenschwund bei der NZZ, die Fehler von «10vor10», dass Tamedia eine Würdigung seiner ehemaligen Mitarbeiterin Charlotte Peters verschnarcht hat, die schwindende Trennung zwischen redaktionellem und bezahltem Inhalt – das alles interessiert die betroffenen Medien nicht.

Als wir starteten, haben wir nicht gewusst, dass wir immer nötiger werden. Nicht nur, weil wir immer besser werden. Sondern, weil Tamedia schon lange die Medienkritik aufgegeben hat. CH Media weitgehend. Die NZZ vor Kurzem. Weil zudem der «Schweizer Journalist» wie so viele Medien Opfer der Pandemie geworden ist. Kaum mehr Eigenrecherche in der Schweiz, dafür Berichterstattung vom hohen Norden Deutschlands oder von Wiener Hofintrigen.

Auch die «Medienwoche» hustet nur mehr Gesinnungsjournalismus aus, und persoenlich.com bleibt das Organ der Beliebigkeit und der Medienmitteilung: Agentur X hat eine neue Putzfrau angestellt, Pardon, eine Facility Managerin.

In diesem sich selbst verzwergenden Umfeld ist es nicht nur Eigenleistung, immer grösser zu werden. Das drückt sich auch in nicht explodierenden, aber stetig steigenden Zahlen aus. Wir haben nicht die Schweiz als Zielpublikum, und wir befürchten, dass auch Donald Trump uns nicht zur Kenntnis nimmt, was die meisten Kommentatoren in der Schweiz von sich annehmen.

Aber in den meisten Gesprächen mit Berufskollegen, an Reaktionen aus journalistischen Ecken, mit denen wir nie gerechnet hätten, vor allem aber durch den Standardsatz: «natürliche lese ich Euch», wissen wir, dass wir unser Zielpublikum in lediglich vier Monaten erreicht haben.

Werbefreies Magazin

Was bemerkenswert ist, weil wir faktisch keine Werbung machen, nicht on- und schon gar nicht offline. Wir sehen uns bestätigt: Mund-zu-Mund-Propaganda ist besser als alles andere. Wer etwas leistet, und kontinuierlich nicht nachlässt, wird wahrgenommen.

Das äussert sich auch darin, dass wir in dieser geballten Menge noch nie in unserer nun auch nicht kurzen Karriere von Whistleblowern informiert wurden wie seit dem Start von ZACKBUM.ch. Der Leidensdruck in den noch verbleibenden Medienkonzernen ist immens.

Die Zeiten sind kritisch. Die Debatte über Fake News, Gesinnungsblasen, verschiedene Wahrnehmungen der gleichen Realität, fehlende analytische und einordnende Fähigkeiten, Alternativen zum Sparmodell «schmeiss sie raus und verkauf’s dem Leser als Verbesserung», all das braucht Reflexion und kritische Begleitung.

Auch mit Geldvernichtungsmaschinen wie «Republik», «watson», «Bajour» oder die verblichene «TagesWoche»: es braucht kritischen Journalismus wie eigentlich noch nie. Aber wie? Welche Modelle gibt es, wie kann er überleben?

Wir wissen auch nicht alle Antworten. Sonst wäre ZACKBUM.ch bereits in der Stratosphäre angelangt. Aber wir liefern nach bestem Wissen und Gewissen unsere Beiträge. Gepfeffert und nicht weichgespült. Den Temperamenten der tapferen Drei entsprechend. Nur erlaubte Meinung und belegte Tatsachenbehauptung kommen bei uns vor. Deshalb gab es zwar schon viele rote Köpfe und dunkle Drohungen, aber noch nie eine Gegendarstellung oder ernsthafte Rechtshändel.

Daher gilt: Nach vier Monaten ZACKBUM.ch ist vor vier Monaten ZACKBUM.ch. Immer wieder. Immer gerne und mit Lust. Mit Humor, Ironie und ja, auch mal mit Schadenfreude. Denn wie hiess es schon vom genialischen Regisseur und Schauspieler Erich von Stroheim: the man you love to hate.

Aber wir werden nicht nur gehasst, auch geliebt. So erreichen uns gar nicht so selten Anfragen, wohin man denn etwas überweisen könne, man wolle nicht einfach genüsslich konsumieren. Wir haben uns fest vorgenommen, niemals auf das Niveau der «Republik» und vielen anderen zu sinken. Lieber Selbstausbeutung als Bettelei. Aber: Wir wollen natürlich niemanden davon abhalten, seine Dankbarkeit auch finanziell auszudrücken.

Solche milden Gaben brauchen aber eine Struktur. Wer Geld annimmt, wird rechenschaftspflichtig. Muss transparent machen, wohin das Geld genau fliesst, was damit angestellt wird. Wer das kontrolliert. Sonst ist’s nicht seriös. Wir werden nun keine Holding mit AG, Genossenschaft und wunderlichen Buchungstricks basteln. Aber wir arbeiten an was Einfachem und danken vorläufig allen unseren Lesern.

Denn ohne sie gäbe es ZACKBUM.ch nicht. Denn wir haben von Anfang an geschworen: Wenn wir bis Ende 2020 nicht eine deutlich und stetig steigenden Zahl von Besuchern haben, dann ziehen wir den Stecker wieder raus. Dank Euch allen sind wir zuversichtlich, dass wir Ende Jahr ohne diesen Entscheid die Korken knallen lassen.

Beni wirds ganz warm ums Herz

Seit heute gibt es ZACKBUM.ch vier Monate. Wer frisch verliebt ist, kennt das Ritual: Man feiert den ersten gemeinsamen Monat, das erste halbe Jahr und anlässlich des ersten vollen Jahres fliegt man mit der Geliebten nach Wien, Rom, Amsterdam.

Liebe ich ZACKBUM.ch? Nun, in den letzten vier Monaten habe ich viele Hochs und Tiefs erlebt.

Zuerst die Hochs: Dank ZACKBUM.ch muss sich der Zürcher Stadtrat mit der Kolumnisten Rita Angelone befassen. Die Kolumnistin des «Tagblatts der Stadt Zürich» hat in ihren Artikeln die Grenze zwischen PR und redaktionellem Test sehr arg strapaziert. ZACKBUM.ch ist es zu verdanken, dass der «Tagi» endlich, nach drei Wochen, einen Nachruf auf die berühmte Reisejournalistin Charlotte Peter verfasste (übrigens, ziemlich gut).

Wir haben viele Fehlentwicklungen im Schweizer Journalismus aufgedeckt und mit spitzer Feder niemanden geschont. Die Weltwoche hat ihr Fett abbekommen, die NZZ, der Tagi, die Republik, SRF, Keystone-SDA usw.

Spass hat uns das nicht immer gemacht. Andererseits war ich immer wieder überrascht, wie genau wir gelesen werden und wie zahlreich unser Publikum geworden ist. Als ein Text nach einer Stunde wieder vom Netz gehen musste, erhielten wir zahlreiche Fragen, was passiert sei. Das bleibt natürlich unser Geheimnis. Es zeigt aber auch, wie genau wir gelesen werden.

Positiv überrascht war ich von der Professionalität der Mediensprecher. Obwohl wir den Verlag oder die Zeitung immer wieder kritisierten, wurden uns stets Antworten unter Einhaltung der Deadline gegeben. Besonders hervorheben möchte ich den Mediensprecher von Keystone-SDA. Traurige Ausnahme ist die Republik. Meine Fragen wurden nicht beantwortet, und irgendwann machte ich daraus einen Spass.

Die Tiefs sind die Schweizer Journalisten. Die Festangestellten, die Freien, die Ehemaligen. Die Edelfeder, die Lokaljournalisten, die Chefredaktoren. Eigentlich wollten wir ZACKBUM.ch nicht als Trio führen, sondern als Plattform für alle. Linke, Rechte, Junge, Alte. Einzige Bedingung: gut recherchiert, etwas smart und clever geschrieben. Mehr braucht es nicht, um bei uns einen Text – gratis – zu veröffentlichen.

Das Echo war niederschmetternd. Nicht einmal anonym trauen sich die Leute zu uns. «Tolle Idee», «du, ich melde mich nochmals», «ja, warum nicht?» Niemand wagt sich aus der Deckung. Ich bin nicht naiv. Klar, wer jung und angestellt ist, schreibt doch nichts über den Arbeitgeber von morgen.

Aber das von hundert (100!) Anfragen nichts Verwertbares rauskam, das ist doch erschütternd und zeigt eine falsche Entwicklung. Immerhin, die schönsten Gespräche führte ich mich Ehemaligen, die ausgesorgt sind und so fest im Sattel sitzen, dass sie nichts umstösst.

Wenn ich also das Erlebte zusammenfasse: Lust, Freude, Enttäuschungen, Ärger, wieder Freude, wieder Ärger – dann denke ich schon, dass da ein bisschen Liebe mitspielt.

Mit dem Spass kommt der Erfolg

Seit Juli ist ZACKBUM.ch online. Ich möchte nicht mehr ohne.

Mein leider allzu früh verstorbener Kollege und Kommunikationsberater Peter M. Wettler sagte mir einmal: «Mit dem Spass kommt der Erfolg». Ich glaube, er wollte mich aufmuntern. Nicht immer so verkrampft, nicht immer so ernst. Und tatsächlich habe ich das gelernt von Peter Wettler: Beim Schreiben sollte man vor allem Spass haben. Spass im positiven Sinn. Etwas entdecken und niederschreiben. Etwas dazu lernen. Jemanden so tadeln, dass er nochmals über die Bücher geht. Das sollte wenn möglich nicht gemein wirken und auf Kosten anderer gehen. Und nicht so spassig sein, dass die Fehlerquote explodiert. Einfach mit Freude und Einsatz. Ich gebe aber zu, dass da die Eigen- und die Fremdsicht nicht immer die gleiche ist.

Spass. Das sollte man ZACKBUM.CH anmerken. Oft knallhart, oft aber auch mit einer Prise Nachsicht. Wer nun findet, unsere Artikel seien oft zu negativ, zu kritisch, zu direkt, der mag vielleicht recht haben. Aber die Wirtschaftswelt ist nun mal kein Ponyhof, eher ein Haifischbecken (ich mag abgelutschte Vergleiche).

Der Redaktionsalltag wird immer brutaler. Die Feedbackkultur liegt am Boden. Der Druck ist immens. Schreiben, fotografieren, filmen, online-Versionen sofort ins Netz stellen, Titel klickgerecht anpassen, Printversion selber layouten, für das weggesparte Korrektorat einspringen und am nächsten Tag bei der Blattkritik trotzdem eine Tracht Prügel kassieren. Da muss ZACKBUM.CH nicht auf Schönwetter machen.

Zudem fehlt je länger je mehr eine unabhängige Medienkritik. Der ehemalige Journalist und heutige PR-Manager Andreas Durisch (Dynamics Group) formulierte es im SRF-Medientalk vom September treffend: «Die Medienberichterstattung ist total zurück gegangen.» Für Durisch einer der Gründe: «Medienjournalisten müssen die Hauspolitik des Verlags vertreten.» Darum nehme sie viel weniger Platz ein als früher.

Wir von ZACKBUM.CH möchten in diese Bresche springen. Wir möchten allen Facetten des Journalismus eine Stimme geben. Nicht nur den offiziellen Verlautbarungen. Wir wollen aber auch den Werbeabteilungen in den Verlagen auf die Finger schauen. Denn die Verschmelzung von Journalismus und PR wird immer undurchsichtiger.

«Aber Ihr seid ja nur drei Nasen. Der Absturz ist doch programmiert». Tatsächlich ist ZACKBUM.CH nach wie vor eine überschaubare Truppe. Immerhin ist das Trio schön heterogen. Politisch, stilistisch und ein bisschen auch altersmässig. Aber ja. Wir sind alles Männer.

Die Redaktionsgrösse, das Alter, das Geschlecht, die Migrationsherkunft. Da hat ZACKBUM.CH noch Luft nach oben.

Kommunikationsspezialist David Guggenbühl hat in einem ZACKBUM-Interview nach wenigen Wochen des Bestehens gesagt: «Ihr dürft nicht selbstgefällig wirken». Und weiter auf uns bezogen: «Man hofft auf Applaus, erduldet aber keine Kritik. Eine Grundeinstellung von vielen Journalisten.»

Darum, liebe Leserinnen und Leser, bitte überhäuft uns mit Kritik und Anregungen. Danke.

P.S. Wollen Sie noch ein bisschen Klatsch hören? Die fleissigste Mediensprecherin ist für mich Johanna Walser von Ringier. Sie rief um 07.15 Uhr an, weil ihr ein um 7 Uhr online gestellter Artikel nicht passte. Sie blieb aber höchst anständig. Der aufsässigste Chefredaktor ist für mich bis auf Weiteres  jener des Schweizer Journalisten. Er drohte mir ohne Anhörung via Bahnhofstrassen-Anwalt eine Zivilrechts- und eine Strafrechtsklage an. Die unzuverlässigste Medienstelle: jene der Republik. Sie gibt nie Antwort. Vielleicht versuch ich’s bald mal mit dieser Story und entsprechender Anfrage: In Deutschland hat für den Namen «Republik» der Publizist Uwe Nettelbeck die Rechte. Vielleicht kennt man die schwarz/roten Bänder der Republik. Sie waren innen und aussen der «Fackel» nachgebildet, nur viel verschrobener. Eine Wochenzeitung «Republik» war in den 1990ern mal geplant, Nettelbeck rückte aber das Namensrecht nicht raus. Fazit: Namensklauerin Republik (Danke, Holger Jost, für den Tipp!)

Tanzen, tänzeln, schwänzel, schwänzeln

Unsere Bundesräte haben einen Unterleib? Ach wo.

Die dürftig belegte Vermutung, dass der damalige Bundesrat Kaspar Villiger angeblich im Berner Rotlichtmilieu verkehrt habe, kostete nicht nur diverse Köpfe von Journalisten, sondern auch letztlich einem hoffnungsfrohen News-Magazin das Leben.

Andere Zeiten, andere Sitten. Ein angebliches Rencontre von zwei testosteron-gesteuerten Chefbankern, bei dem der eine die Frau des anderen beleidigt haben soll und dieser daraufhin angeboten habe, das doch draussen unter Männern zu regeln: Das kommt heutzutage mit Namensnennung überall. Obwohl es keine Zeugen gibt, die namentlich hinstehen wollen.

Ab und an saftige Storys auch in der Schweiz

Wie geht’s denn so im Privatleben der ehemaligen Bundesrätin Ruth Metzler zu? Da wuschen alle Beteiligten einer gescheiterten Ehe kräftig schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit. Sie war die betrogene Ehefrau, er hatte ein Verhältnis, ausgerechnet mit seiner Geschäftspartnerin, mit der er eine Unterwäsche-Linie aufgebaut hatte; Slogan: «Männer wollen nur das Eine», weidete sich 2010 die «Schweizer Illustrierte» an der saftigen Story.

Die auch, laut SI und anderen, eine Reise ins Baderessort Sharm-El-Sheikh in Ägypten umfasst haben soll. Da schien es der Gatte etwas übertrieben zu haben, denn er soll mit Frau und Geliebter dorthin gereist sein. Wobei die alt Bundesrätin davon nichts gewusst habe, jedoch vom gesprächigen Hotelpersonal ins Bild gesetzt worden sei.

Nach ein paar Skandälchen kommt mal wieder ein grösserer

Das waren noch Zeiten. Aber in den letzten zehn Jahren scheint es doch so gewesen zu sein, dass die Staatsmänner und -frauen im Bundesrat trotz hoher Arbeitsbelastung und gelegentlichen Versuchungen vorbildlich auch im Privatleben blieben. Nun ja, also Bundesrätin Sommaruga soll ja nicht nur bei ihrem Schriftstellergatten ausgezogen sein. Und alt Bundesrätin Leuthard (Duschen mit Doris) galt nicht als Kind von Traurigkeit. Heisst es.

Aber niemand liess sich wie Dumpfbacke Christophe Darbellay bei einem Seitensprung mit Fruchtfolge erwischen. Gerade entwickelt sich hingegen ein saftiger neuer Skandal. In der üblichen Kadenz. Am Samstag zeigte die «Weltwoche» der Sonntagspresse eine lange Nase. Da in der Printausgabe nichts stand, hoffte man bei den Sonntagsblättern, dass man die Berset-Story exklusiv habe. Der Traum platzte vor Erscheinen.

Christoph Mörgeli zeigte, dass er nicht nur weiterhin gut vernetzt ist, sondern auch so seine Quellen hat. Also legte er die Latte hoch. «Berset: Erpressung und Vertuschung. Bundesrat Alain Berset wurde mit offenbar verfänglichen Fotos und Mails um 100 000 Franken erpresst. Die Bundesanwaltschaft vernichtete alles belastende Material, weil sonst Berset sein Amt nicht mehr richtig ausüben könne.»

Eigentlich stand in der WeWo schon alles

Mehr war dazu im ersten Anlauf nicht zu sagen. Also klapperte die Sonntagspresse deutlich gefrustet hinterher, und förderte keine welterschütternden Zusatzerkenntnisse zu Tage. Aber andererseits: echt, ein Bundesrat? Frau? Verfängliche Dokumente und Fotos? Erpressung gar?

Am Montag ging’s dann aber richtig los. Schon bis am Nachmittag fast 100 Treffer für «Berset – Erpressung» in der SMD. Schon die Sonntagspresse hatte vorgebahnt, dass man wohl leider nicht auf die WeWo einprügeln könnte, deren Primeur war korrekt.

Aber was nun? Nochmal nachklappern, das wäre dann etwas wenig. Allerdings sind cirka 80 der fast 100 Treffer dem Umstand zu verdanken, dass Tamedia und CH Media natürlich in allen Kopfblättern das Gleiche abfüllten. Da gibt es im Elendsjournalismus von heute eigentlich nur zwei Möglichkeiten.

Wenn nichts Neues zu vermelden ist, gibt’s nur zwei Möglichkeiten

Zunächst der Kommentar. Natürlich kann sich kein einziges Kopfblatt von CH Media dagegen wehren, wenn die Autorin des Kommentars Anna Wanner heisst. Obwohl er zwar staatstragend («Alain Berset hat richtig gehandelt»), aber inhaltlich, nun ja, leicht wirr, ziemlich falsch und in den Schlussfolgerungen echt schräg ist.

Die zweite Möglichkeit ist, sich in einen Aspekt zu verbeissen. Der wurde zwar schon am Samstag von der WeWo mit dem bösen Wort «Vertuschung» aufgegriffen, aber was soll man sonst denn machen, um die Spalten zu füllen. Also geht es um die Frage, wieso die Bundesanwaltschaft eingriff, wenn Berset das ausdrücklich nicht als amtliches (zuständig), sondern privates (nicht zuständig) Problem bezeichnet?

Auch die Mitteilung, dass die Angelegenheit durch Strafbefehl und Löschung der möglicherweise peinlichen Dokumente und Fotos erledigt sei, erweckt den Argwohn der Journis. Auch, dass Berset angeblich den übrigen Bundesrat nicht über sein kitzliges privates Problem orientiert habe.

Einen Kommentar seiner Gattin konnte allerdings bislang noch kein Medium aus ihr herauslocken. Wohl, weil Berset es ihr schon vor diesen Veröffentlichungen gestanden hat. Und da sind Politikergattinnen, siehe Hillary Clinton, hart im Nehmen.

Wieso dauert die Enttarnung der Erpresserin so lange?

Nur sehr kurzes Leben hatten diverse Knallfrösche, die gegen die WeWo gezündet wurden. Was soll denn das, Privatangelegenheit, widerlich, politische Rache, macht man nicht.

Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen von der leichten Krawallerie, selbst die Mutter des unehelichen Kindes von Darbellay wurde recht schnell enttarnt. Wieso dauert es dann bei der Erpresserin so lange? Nur ein «jetzt rede ich» kann diese Story noch etwas am Leben erhalten.

War bei Geri Müller doch auch so. Dem gelang es, allerdings nicht ohne Kollateralschäden, seine Affäre zu überstehen. Und auch im Hause Müller hörte man nichts von einer Trennung oder Scheidung. Obwohl, Fotos des Gemächts aus den Amtsräumen versenden, ts, ts.

 

5:1 für die Zürichsee-Zeitung

Zwei Redaktoren, ein Thema. Vor dem Tamedia-Streichkonzert wird gewetteifert.

Vor der grossen Entlassungswelle bei der Tamedia-Gruppe ab Juni 2021 (Zackbum berichtete) geben die Regional-Redaktionen nochmals alles, um die interne Konkurrenz auszustechen. Aktuelles Beispiel: Die geplante Sanierung der Pfauenbühne in Zürich. An die Medienkonferenz von vergangener Woche kam vom «Tagi» Beat Metzler, die Zürichsee-Zeitung beorderte Michel Wenzler. Aus dem gleichen Verlag also zwei Journalisten, die dann jeweils im Regionalteil berichten. Genau ein Fall also, der bald nicht mehr vorkommen soll im Hause Tamedia. Zum Thema Sparen sagte kürzlich Nicole Bänninger zu zackbum.ch nämlich: «Dies bedingt eine noch engere redaktionsübergreifende Zusammenarbeit».

Was ist denn gut an den Artikeln, was nicht? Wer war wo besser?

Speziell an beiden Artikel ist, dass das gleiche Foto von Thomas Egli, eine Totale des Saals, verwendet wurde. In der Zürichsee-Zeitung (ZSZ) wurde das Bild aber noch so aufgehellt, dass es schon fast unwirklich erscheint. Journalistisch heikel, ästhetisch aber topp. 1:0 für die ZSZ.

Lustig: beide Artikel haben fast den gleichen Titel. Zufall oder ein Spass der Abschlussredaktoren? «Der 94 Jahre alte Saal soll weg» beim Tages-Anzeiger (TA) vs. «Und der Saal soll doch weg». Auch hier geht der Punkt an die ZSZ. Denn ihr Titel nimmt noch Bezug auf den Befehl des Stadtzürcher Gemeinderats an den Stadtrat, verschiedene Sanierungsszenarien aufzuzeigen. 2:0 für die ZSZ.

Auch beim Gesamteindruck geht der Punkt an die SZS. Ein 5-spaltiges Bild über dem Text wirkt besser als ein Vierspalter neben einem Einspalt-Text. Zudem arbeitet die ZSZ mit einem lesefreundlichen Kasten, wo die Gegner auf einen Blick zu Wort kommen. 3:0 für die ZSZ.

Die beiden Texte sind solide, mit einigermassen spannenden Einstiegen. Doch wie im Tagesjournalismus üblich werden Aussagen aus der Medienmitteilung eins zu eins übernommen. «Die Haustechnik befindet sich in einem schlechten Zustand», schreibt Metzler. Differenzierter ist da Wenzler. «Dass etwas getan werden muss, ist weitgehend unbestritten». Weil die ZSZ dem Thema bedeutend mehr Platz einräumt, geht auch dieser Punkt an die ZSZ. Es steht schon 4:0.

Wirklich lieblos sind die Zwischentitel gesetzt, zumindest beim Tagi. Im ganzen Text ein einziger und erst noch bieder mit «Kosten: 115 Millionen Franken». Die Zürichsee-Zeitung kontert mit «Freie Sicht auf die Schuhe». Das gefällt besser. 5:0.

Beat Metzler brachte das Kunststück fertig, praktisch bei jedem Zitat das Verb «sagte» zu benutzen. Dazu gehen die Meinungen auseinander. Die einen finden, immer das gleiche Verb sei langweilig, die anderen sind überzeugt, dass genau das den Text lesbarer mache. Ein Trostpunkt für den Tagi also: 5:1.

Das klare Endresultat: 5 zu 1 für die ZSZ in Wädenswil gegen das Mutterhaus an der Werdstrasse in Zürich.

Beat Metzler hat sein Heimspiel (Redaktionsitz in Zürich, wie der Pfauen) versemmelt. Michel Wenzler, hergereist aus der ZSZ-Redaktion in Wädenswil, hat gekämpft für die angeschlagene ZSZ und in der Blattkritik mit 5:1 gewonnen. Angeschlagen ist die ZSZ darum, weil bei grossen Sparrunden immer zuerst in Aussenstationen der Hebel angesetzt wird.

Sicher ist: So eine Übung mit zwei Journalisten aus dem gleichen Verlag wird es ab Frühling 2021 nicht mehr geben. Und das ist gar nicht mal so schlecht, auch wenn die Vielfalt verloren gehen wird.

Gesinnung statt Meinung

Zum Trio Infernal des Elendsjournalismus gehört der Kommentar.

Die Verarbeitung von Listen, die Erstellung von Rankings und der Faktencheck sind schon mal zwei Elendsgebiete des aktuell auf der Intensivstation liegenden Journalismus.

Zusammen mit Agenturmeldungen, zusammen mit Einheitssauce aus Zentralredaktionen, zusammen mit der Übernahme ausländischer Korrespondentennetzen, zusammen mit der Einsparung des Lokaljournalismus sind das deutlich sichtbare Krankheitssymptome.

Auch die schöne, alte Tradition, dass der Journalist die Käfighaltung in seinem Grossraumbüro, Pardon, im «Newsroom», verlässt, um seiner Aufgabe nachzugehen, wozu, es gibt doch Google, Videokonferenzen und auch das gute alte Telefon.

Von nichts eine Ahnung, zu allem eine Meinung

Zudem: Rausgehen kostet, vernichtet viel kostbare Zeit, die der Redaktor besser verwendet, indem er mindestens drei Online-News und noch Beigemüse rauspustet. Reportage ist sowieso so was von gestern. Heute ist: übernehmen, schütteln, anreichern und kürzen, und rein damit, ein neues Stück Qualitätsjournalismus.

Aber neben all dem, und etwas Aufmunterung muss ja sein, wuchern auf einem Gebiet die Erzeugnisse, als gäbe es keine Medienkrise. Dieses Gefäss kommt auch der Grundeinstellung jedes Journalisten entgegen. Denn er hat ja eigentlich von nichts eine Ahnung, weiss aber dennoch alles besser.

Stellen wir uns nur einmal vor, in welch paradiesischer Welt wir leben würden – wenn die Welt nur auf die Meinungen und Kommentare der Journalisten hören würde. Wir lebten dann in der beste aller Welten, von der schon Leibniz träumte. Wer war das schon wieder? Egal, viel wichtiger ist:

Würde die Welt nur auf die Journalisten hören

Trump? Hätte es nie gegeben. Flüchtlingskrise? Das Wort wäre nie geboren worden. Pandemie? Die wäre schon längst und eigentlich geräuschlos verschwunden. Entscheidungen von Politikern, Unternehmensführern, überhaupt von mächtigen Menschen? Selten gut, selten richtig.

Meistens «hätte man», «müsste man endlich», wäre es «höchste Zeit», ist es geradezu «uverständlich», ja «fahrlässig», schlichtweg «falsch», mindestens «kurzsichtig». Aber das ist ja längst nicht alles. Hier geigt der Journalist unermüdlich allen und der Welt, was alles falsch gemacht wird, was dringend anders gemacht werden müsste.

Soweit, so schlecht. Jeder darf haftungsfrei und verantwortungslos was reinbellen. Wenn er ein Megaphon dafür hat, umso besser. Aber in den letzten Jahren, seit die Welt immer unübersichtlicher geworden ist, multipolarer, wie man das akademisch nennt, Philosophen sprechen sogar von einer überkomplexen Wirklichkeit, steigt gleichzeitig das starke Bedürfnis nach Orientierung. Nach Koordinatensystemen beim Kartographieren dieses chaotischen Haufens namens Erde.

Nur eine Meinung? Nein, eine Gesinnung

Und, so ist der Mensch, umso einfacher, desto lieber. Also ja nicht zu kompliziert; die Welt ist es schon genug. Es muss einfach und klar sein. Wie macht man das? Na, einfach: indem man in dem Kommentar nicht einfach zwischen richtig und falsch unterscheidet. Sondern dahinter Gesinnungen denunziert.

Jemand, der zum Beispiel auch gute Eigenschaften bei Trump sieht, der liegt nicht einfach damit falsch. Ist nicht einfach ein Depp. Also einer von 70 Millionen Deppen, die ihn doch tatsächlich wiederwählen wollten. Nein, wer das sagt, zeigt damit seine Gesinnung. Er meint nicht einfach etwas – ob richtig oder falsch –, er ist etwas.

Und zwar nichts Angenehmes. Er hat noch Schwein, wenn er mit der Qualifizierung «Populist» davonkommt. Schreckt er nicht vor weiteren Dummheiten zurück, entwickelt er sich zu einem Rassisten, Rechtsradikalen, Verschwörungstheoretiker, Neo- oder Altnazi, Fremdenfeind, kurz: zum Unmenschen.

Die Sicherheit des unfehlbaren Urteils

Woher nimmt denn der Kommentator die Sicherheit seines unfehlbaren Urteils? Nun, er speist es aus zwei Quellen. Dem tiefsitzenden Frust, dass er (und seine Meinung) immer unwichtiger werden. Dass es selbst dem «Spiegel» nicht gelingt, Trump «wegzuschreiben», wie es seine erklärte Absicht war. Das ist natürlich bitter, wenn der weltverändernde Kommentar nicht mal mehr von Kollegen gelesen wird.

Die zweite Quelle ist die unfehlbare Sicherheit aus moralischer Überlegenheit. Wer weiss, was gut und böse ist, weiss auch, wo das Böse lauert und dass man dem im Kampf fürs Gute sofort und streng Einhalt gebieten muss. Wobei klar ist: Böses sagt man nicht einfach so. Böses sagen nur böse Menschen. Schlechte Menschen. Unbelehrbare Menschen. Deshalb muss man sich auch gar nicht inhaltlich mit ihnen auseinandersetzen. Kategorisieren reicht, dann kann es nur noch darum gehen, diese Gesinnungslumpen aus dem öffentlichen Diskurs auszuschliessen.

Rein in die Framing-Kiste

Erkenntnis durch Debatte, Streitgespräche, das Aufeinanderprallen angeschärfter Argumente? Ach was, das ist so old school wie eine Reportage. Und überhaupt, wie soll man sich denn in 15 Minuten mit einer anderen Meinung auseinandersetzen können? Dann muss der Kommentar nämlich fertig sein. Also rein in die Framing-Kiste: Wer das sagt, der ist das. Und mit dieser Gesinnung sollte er möglichst schnell einfach die Schnauze halten. Der Böse.