Vincenz, der Schlechtbanker
Zunächst: Es gilt die Unschuldsvermutung. Selten so gelacht.
Im Verlauf der letzten 11 Jahre, also seit der Finanzkrise eins, gab und gibt es in der Schweiz genügend Bankführer, die für erwiesene Unfähigkeit, für Milliardenbussen, für das Schrumpfen des Aktienkurses ihrer Bank um 50, 60, 70 Prozent ein Riesensalär bezogen. Plus Bonus, versteht sich.
Ohne, dass etwas anderes geschah, als dass sie um Dutzende, manchmal um Hunderte Millionen Franken reicher abtraten und verschwanden. Unbehelligt, vielleicht manchmal beschimpft, aber das sollte man bei diesem Schmerzensgeld aushalten.
Der strahlende Starbanker Vincenz
Dagegen galt Pierin Vincenz lange Jahre als der Gutbanker. Der Erfolgsbanker. Der joviale Siegertyp mit dem sympathischen Bergler-Image. Banker des Jahres, die Medien überschlugen sich mit Lobhudeleien, vor Bewunderung ehrfurchtsstarr. Was für ein Mann. Was für ein Erfolgstyp. Hat aus Raiffeisen die Nummer drei hinter den beiden Grossbanken und vor allen Kantonalbanken gemacht.
Eine Wahnsinnskarriere. Als der Finanzblog «Inside Paradeplatz» anfing, mit gestohlenen Bankunterlagen von Vincenz Stunk zu machen, sagten alle anderen Medien: niemals, gar nicht erst ignorieren.
Bis Ende Februar 2018 der Paukenschlag erfolgte. Verhaftung, Hausdurchsuchung, monatelange U-Haft. Aus dem ehrfurchtsstarren Blick hinauf zum Bankenstar wurde, so ist das im Journalismus, ein Wettbewerb im Arschtreten.
Nicht die geringste Eigenleistung der Journalisten
Ohne die geringste Eigenleistung veröffentlichten die Qualitätszeitungen Informationen, mit denen sie angefüttert wurden. Geldgierig in den eigenen Sack gewirtschaftet, dieser Vincenz. Sass an beiden Seiten des Verhandlungstischs bei Firmenübernahmen durch Raiffeisen, pfui.
Aber im Takt mit dem Staatsanwalt wechselten die Medien problemlos die Richtung der Vorwürfe. Das mit der Selbstbedienung sei schon eine Sauerei, aber die Spesen. Diese Spesen. Der Rotlicht-Banker mit einem Hang zu Strip-Schuppen. Pfui, pfui, pfui.
Alles, was vorher enthüllt worden war, schrumpfte zum lauen Lüftchen im Vergleich zu dem Sturm, der aufkam, als die Anklageschrift den Medien zum Frass hingeworfen wurde. All die älteren Spesenritter bei den Medien, die sich noch an die goldenen Zeiten erinnern, als auch im Journalismus keine grossen Fragen gestellt wurden, wenn die private Sause als Geschäftsessen eingereicht wurde, überschlagen sich vor Entrüstung.
Nach dem Rotlicht noch Dubai
Wobei natürlich weiterhin die Unschuldsvermutung gilt. Nachdem alle Rotlichtspesen durchgenudelt wurden, setzte die NZZ am Samstag noch einen drauf. Es gab ja auch noch die Reise nach Dubai. Ein Dankeschön von Raiffeisen an zwei langjährige, verdiente Mitarbeiter, überbracht vom Big Boss Vincenz.
Der auch gleich mitkam, um seine Huld über den beiden strahlen zu lassen. Flug in der First Class, Unterkunft in diesem segelförmigen Wahrzeichen von Dubai, golfen, relaxen, trinken, essen, kein Rotlicht. Alles gerne von Kuoni organisiert, Kostenpunkt für alle: 54’000 Franken. Es läppert sich halt.
An dieser Beschreibung delektiert sich auch die NZZ. Was sie dabei völlig aus den Augen verliert, sind die naheliegenden Fragen. Wo Spesen eingereicht werden, müssen sie auch visiert werden. Das tat bei Raiffeisen der VR-Präsident höchstselbst bei Vincenz. Und der war nicht irgendwer, sondern auch Professor an der HSG – für Unternehmensführung.
So viele Artikel, so viele nicht gestellte Fragen
Nicht gestellte Frage eins: Wie hätte Vincenz annehmen sollen, dass mit seinen Spesen etwas nicht in Ordnung sei, wenn sie allesamt und über Jahre kommentarlos abgezeichnet wurden?
Nicht gestellte Frage zwei: Wie hätten die Mitreisenden Verdacht schöpfen sollen, die Jahre später von einem im roten Bereich drehenden Staatsanwalt wegen «Beihilfe zu ungetreuer Geschäftsbesorgung» angeklagt werden? Sicherer Freispruch inklusive.
Nicht gestellte Frage drei: Wenn wir schon ernsthaft über ungetreue Geschäftsbesorgung sprechen wollen, wie sieht es da mit einem VR-Präsidenten aus, der offensichtlich weder seiner Aufsichts-, noch seiner Kontroll- und auch nicht seiner Fürsorgepflicht nachkommt? Dafür kassierte er ein sattes Honorar – als Nebenjob zu seiner Professur – von fast 600’000 Franken im Jahr.
Fragen, keine Antworten, recherchieren
Hätte da nicht mit viel mehr Grund zumindest eine Strafuntersuchung eingeleitet werden müssen? VR-Präsident, Professor, hallo? Statt auf zwei harmlose Mitreisende mit Kanonen zu schiessen?
All diese Fragen hat die NZZ nicht gestellt. Aber ich. Hat die Bank nicht eine Strafanzeige eingereicht gegen ihren ehemaligen VR-Präsidenten? Und wenn nein, warum nicht? «Raiffeisen Schweiz äussert sich nicht zum laufenden Verfahren.» Nachfrage: Kann man aus der Antwort schliessen, dass gegen Prof. Rüegg-Stürm ein Verfahren läuft? Antwort: «Wir verweisen auf unsere E-Mail vom 19. November.»
Und was sagt die Staatsanwaltschaft zur Frage, wieso sie keine Ermittlungen gegen Rüegg-Stürm aufgenommen hat? «Mit der Anklageerhebung ist die Verfahrens- wie auch die Kommunikationshoheit an das Bezirksgericht Zürich übergegangen. Über den Inhalt unserer Medienmitteilung vom 3. November hinaus beantworten wir deshalb keine weiteren Fragen.»
Das war zwar nicht die Frage. Aber in der voluminösen Anklageschrift kommt der Name Rüegg-Stürm, die Spesenabrechnungen abzeichnender VR-Präsident, nicht vor. Warum nicht? Gute Frage. Da könnte man zum Beispiel zu recherchieren beginnen. Aber das wäre ja mit Anstrengung verbunden.
Das ganze dürfte in einem Desaster für die Anklage enden. Wenn die SteuerzahlerInnen des Kantons Zürich Pech haben müssen sie noch Haftentschädigung für den gewesenen Alpenbänkler berappen. Wenn Rüegg-Stürm Spesenabrechnungen für Nutten* akzeptiert ist das nicht das Problem von PV!
* Ausnahme wenn auf der Spesenabrechnung anstatt Nutten Nonnen und anstelle von wolllüstige Besuche wohltätige Besuche steht!