USA: Demokratie geht anders

Welche Analyse liefern die Qualitätsmedien zu den USA?

Keine Bange. Ich werde weder mein Befremden über das Verhalten von Donald Trump ausdrücken. Noch meine gedämpften Hoffnungen, was Joe Biden betrifft. Und schon gar nicht in Lobeshymnen über die erste nicht-weisse Vizepräsidentin ausbrechen.

Das haben alle Qualitätsmedien bereits rauf und runter und quer und schräg durchgenudelt. Zu mehr als einer Mischung aus Schadenfreude und leichter Besorgnis, was man von Trump noch alles erwarten kann, zu mehr hat’s nicht gereicht. Nirgends.

Daher ein paar erschütternde Zahlen. Der gesamte Wahlkampf soll nach vorläufigen Schätzungen 14 Milliarden Dollar gekostet haben. Eine schier unvorstellbare Summe. Das brachte immerhin eine Wahlbeteiligung von knapp 67 Prozent. Das heisst andersrum, dass jedem dritten Stimmbürger diese historische Wahl, dieser Kampf zwischen Gut und Böse, schlichtweg an einem gewissen Körperteil vorbeiging.

The winner takes it all

Andererseits ist es wohl so, dass Joe Biden tatsächlich sogar das absolute Mehr der Stimmen geholt hat. Das spielt in den USA aber eigentlich gar nicht so eine grosse Rolle. Denn Hillary Clinton hatte auch mehr Stimmen als Trump vor vier Jahren erhalten. Aber das merkwürdige Wahlmänner-System der USA, wo der Kandidat mit 50,1 Prozent der Stimmen alle Wahlmänner eines Bundesstaat kriegt, sorgt dafür, dass die Stimmenmehrheit nicht entscheidend ist.

Und da gilt «the winner takes it all», versucht Trump nun noch verzweifelt, die Legitimität einzelner Ergebnisse in Frage zu stellen. Er stellt dabei die originelle Theorie auf, dass es legale Stimmen gebe, und nach denen habe er gewonnen, aber auch illegale, und mit denen wollen ihm die Demokraten den sicheren Sieg stehlen.

Zu den Absonderlichkeiten des US-Wahlsystems gehört auch, dass nicht etwa eine oberste Wahlbehörde das Ergebnis verkündet, sondern die grossen TV-Stationen arbeiten fieberhaft an Auswertungen, Hochrechnungen und Kaffeesatzlesereien, um möglichst als Erste den Gewinner der Wahlen zu verkünden.

Merkwürdigkeiten zuhauf

Das führt immer mal wieder zu bedauerlichen Fehlansagen:

Der gewählte Präsident Truman zeigt ein voreilige Schlagzeile.

Diesmal kann Biden allerdings stolz verkünden, dass er mit über 75 Millionen Stimmen so viele Wähler begeistern konnte wie noch kein Präsident vor ihm. Allerdings, mal wieder völlig im Gegensatz zu allen gewichtigen Prognosen der Qualitätsmedien, war es keinesfalls ein Erdrutschsieg, sondern auch Trump vereinte so viele Stimmen auf sich wie nur wenige gewählte Präsidenten.

Im Repräsentantenhaus verloren die Demokraten Sitze, und im Senat sieht es nicht danach aus, dass sie die Mehrheit der Republikaner knacken könnten. Aber abgesehen davon: Die US-Stimmbürger hatten sich zwischen einem offensichtlich nur schon charakterlich nicht für dieses Amt geeigneten Präsidenten und einem bei Amtsantritt 78-jährigen Greis zu entscheiden, dessen Wahlkampfteam sich am meisten davor fürchtete, dass er zu viele seiner berüchtigten Aussetzer hat.

Wahlprogramme? Was ist das?

Wenn die erste Euphorie der Trumpgegner und die Wutausbrüche der Trump-Anhänger verraucht sind, wird sich wieder herausstellen, dass es vielleicht nicht noch schlimmer wird, aber auch nicht viel besser.

Wenn das das Personal ist, das die beiden grossen, traditionellen Parteien der USA für das Amt des mächtigsten Mannes der Welt aufstellen können, dann kann man nur sagen: armes Amerika.

Was Biden genau will, ist eigentlich genauso unerforschlich wie Trumps Pläne. Oder hat jemand irgendein Parteiprogramm, eine Auflistung der wichtigsten Anliegen gesehen oder gelesen? In der Form unterscheiden sich beide sicherlich, aber im Inhalt? Schwer zu sagen, mangels Inhalt.

Das Schlamassel wäre vermeidbar gewesen

Was hingegen die Fähigkeiten der Berater betrifft, muss man sich vor allem bei Biden Sorgen machen. Er hätte diesen ganzen Schlamassel einfach vermeiden können, wenn er wie Obama Florida gewonnen hätte. Das hat er versemmelt, indem er Verhandlungen mit Kuba in Aussicht stellte.

Während Trump genau wusste, was die Exilkubaner hören wollen und  weitere Sanktionen versprach. Resultat: über 70 Prozent der Hispanics in Florida wählten Trump.

Und haben wir schon das mittelalterliche Auszählungssystem erwähnt? Die in wildem Gezerre zwischen Demokraten und Republikanern immer wieder umgeänderten Wahlbezirke, die teilweise wie von einem Irren geschnitzt aussehen? Schon mal von gerrymandering gehört? Zu Ehren des ersten Politikers, der das machte: die Wahlbezirke so umgrenzen, wie es für seine Partei am günstigsten, für die andere am schlechtesten ist. Was solange hält, bis die andere Partei wieder am Gerät ist. Das führt dann zu solch absurden Wahldistrikten:

Kein Witz, sondern US-Wahlbezirke.

Und haben wir erwähnt, dass sich jeder Stimmbürger zuerst in die Wahllisten eintragen muss, was für viele Amis, mangels Ausweis, mangels Kenntnissen, schon mal nicht so einfach ist. Also Demokratie geht irgendwie anders.

 

Betteln will gelernt sein

Jeder Profi auf diesem Gebiet weiss: Es kommt auf die richtige Masche an.

Sozusagen die unterste Stufe ist der Drögeler oder Randständige, der genervte Mitbürger an Haltestellen mit dem ewig gleichen Spruch abklappert: «Häsch mer echli Münz?»

Das ersetzt zunehmend das früher gebräuchliche «häsch mer en Stutz?» Aufgegeben wurden die nachgeschobenen Begründungen; «brauche was zu essen», «muss ein Billett kaufen».

Profi-Bettler, meistens aus dem Osten, haben noch weitere Gags auf Lager. Sie zeigen Amputationsstümpfe, andere Behinderungen, oder sitzen einfach wie ein Häuflein Elend am Boden und verfolgen jeden, der so fahrlässig ist, mit ihnen Blickkontakt aufzunehmen.

Steigerung: Bettelei für eine gute Sache

Eine ganz andere Dimension hat die Bettelei für eine gute Sache. Hier wird es auch nicht mehr betteln genannt, sondern spenden. Für die üblichen Hilfsbedürftigen. Hungernde Kinder, kriegsversehrte Erwachsene, Flüchtlinge, Vertriebene, Kranke. Hier ist die Anmache eher dezent, es wird teilweise auch was geboten; unvergesslich die kleinen Konzerte der Heilsarmee bei der Topfkollekte.

Während hier aber die eigentlichen Adressaten der Spenden eher weit weg und anonym sind, gibt es natürlich noch die direkte Bettelei für einen konkreten guten Zweck. Herausragend hier die Leistung der «Republik». Ihr ist es in relativ kurzer Zeit gelungen, ihre Sympathisanten an ein lustiges Geschäftsmodell zu gewöhnen.

Nach dem Betteln ist vor dem Betteln: Geschäftsprinzip der «Republik»

Das lautet: Wir sind überwältigt von so viel bezahltem Zuspruch. Das reicht nun aber sicher die nächsten Jahre. Unterbrochen durch: Ups, wir brauchen dringend doch noch ein paar Mio., wir haben mal nachgerechnet. Aber jetzt reicht’s dann ganz sicher, vielen Dank. Und das in der Wiederholungsschleife, wobei natürlich die Drohungen etwas schriller werden müssen; das letzte Mal war’s schon die Entleibung, falls nicht genug rumkommt.

Aber sozusagen die Champions League ist natürlich das Buhlen um Subventionen. Unschlagbar sind da die schlauen Bauern. Die müssen nicht mal gross was unternehmen, die Subventionen fliessen eigentlich von selbst, und wenn es mal etwas Gebrüll gibt, zum Beispiel über die Belastung des Grundwassers durch überflüssiges Güllen, das kriegen die Lobbyisten auch wieder weg.

Grosses Gedrängel vor den Geldtöpfen des Staates

Nun ist aber Corona-Time, und da will so ziemlich jeder an die Geldtöpfe des Staats. Deshalb herrscht entsprechendes Gedränge und Gekeile. Welle eins, Welle zwei, staatlich verschuldete Lockdowns, Schadenersatz, Überlebenskredit, Hilfe.

Da haben die Medien ein Argument gefunden, das fast so gut ist wie der treuherzige Blick eines Bauern. Sie sind ja nicht einfach Privatkonzerne, die in den vergangenen Jahrzehnten sich dumm und feiss verdient haben. Sie reagieren nicht nur schon seit Langem mit grossem Geschrei auf Ausweitungsversuche von SRF in den News-Markt im Internet. Das sei ihre Domäne, Finger weg, unfair.

Wieso, kontert das die neue TV-Direktorin cool, wir haben einen Informations- und Bildungsauftrag, auch für die Jungen, und wenn die ihre Informationen meistens aus dem Netz holen, dann müssen wir da präsent sein.

Die Medien haben ein unschlagbares Argument

Aber diese Schlacht ist vertagt, denn die grossen Konzerne konzentrieren sich auf ein anderes Bettel-Argument: Uns steht nicht nur das Wasser am Hals, wir sind nicht nur in unserer Existenz gefährdet, wir sind auch die Vierte Gewalt im Staate, wir sind auch service publique, wir sind unverzichtbar in einer offenen Gesellschaft und modernen Demokratie. Wir kontrollieren, decken auf, informieren, fordern, analysieren. Ohne uns, schwer vorstellbar, ohne uns gerät höchstwahrscheinlich die Schweiz aus den Fugen.

Da die Medienkonzerne glücklicherweise auch über genügend grosse Trommeln verfügen, auf die sie hauen können, um diese Argumente so laut wie möglich zu verkünden, werden sie natürlich in Bern gehört.

Welcher Politiker möchte es sich schon ohne Not mit Ringier, Tamedia, CH Media oder der NZZ verderben? Zumal die doch weitgehend brav und obrigkeitshörig als Regierungslautsprecher alle Entscheidungen, Wendungen, alles Versagen brav bejubelt, schöngeschwätzt, staatstragend begleitet haben.

Die gefürchteten Entzugserscheinungen drohten

Nun wären die Staatshilfen bereits Ende November ausgelaufen, und wenn man sich mal an einen schönen Geldtropf gewöhnt hat, dann fürchtet man die Entzugserscheinungen wie ein Drogensüchtiger. Also wurde antichambriert, lobbyiert, gejammert und geklagt, auf die eigene Unverzichtbarkeit hingewiesen.

Mit Erfolg. Da der Bundesrat, mit Ausnahme des Finanzministers, sowieso schon seit dem ersten Lockdown nach der Devise verfährt: raus mit der Kohle, wo die herkommt hat’s noch mehr, hat er sich freundlicherweise entschlossen, weitere 20 Mio. für die Medien locker zu machen.

Natürlich, wir sind hier in der Schweiz, wird das Geld nicht mit der Giesskanne verteilt. Der Steuerzahler übernimmt weiterhin die Zustellungskosten der Print-Produkte, und um denen auch inhaltlich das Leben leichter zu machen, dürfen sie weiterhin gratis bei der Keystone-SDA Material beziehen, das sie dann ihren Lesern mehr oder minder als Eigenleistung servieren.

Die Besitzerfamilien werden geschont

Wunderbar; da müssen die Besitzerfamilien der drei grossen Konzerne nicht in den eigenen Sack greifen, sondern können sich weiter ihren Hobbys widmen. Kunst, Autos, Golf.

Wundersam ist allerdings die Begründung des Bundesrats für die Fortsetzung der milden Gaben. Durch die Corona-Krise sei «die strukturelle Krise der Medien» noch verstärkt worden. Das stimmt. Aber ansonsten hat der Bundesrat immer klar verkündet, dass seine Hilfen nicht dafür gedacht sind, Strukturerhaltung zu betreiben. Was als Geschäftsmodell obsolet geworden ist, es vorher schon war, muss weg.

Subventionierte Dampflok gegen Elektrolok

Nun haben es die meisten Medienkonzerne seit Jahren nicht geschafft, das komatöse Geschäftsmodell – Print, bezahlt durch Werbung und Abo – profitabel ins Internet zu verlegen. Ein klassischer Fall eines Strukturwandels. Die Dampflok kommt ins Museum, die Elektrolok fährt schneller, effizienter, umweltfreundlicher.

Aber die Dampflok kann zu ihrem Tort nicht «vierte Gewalt, service publique» sagen. Die Lautsprecher der Medienkonzerne schon. Und wenn etwas sicher ist auf dieser Welt: neue Steuern werden nie mehr abgeschafft. Neue Subventionen nach fast zwei Jahren auch nicht.

Die deutsche Schaumweinsteuer

Als schlagendes Beispiel dient die deutsche Sektsteuer. Kein Witz, diese Schaumweinsteuer wurde 1902 eingeführt. Sie sollte bei der Finanzierung der «kaiserlichen Kriegsflotte» helfen. Nun ist schon seit mehr als hundert Jahren nichts mehr kaiserlich in Deutschland. Und vom Traum, die Weltmeere zu beherrschen, wurde auch Abstand genommen.

40 Jahre lang existierte die Schaumweinsteuer wenigstens im sozialistischen Teil Deutschlands nicht mehr. Inzwischen aber wieder, in ganz Deutschland. Bis heute. Wetten, dass es mit den Mediensubventionen ein ähnliches Schicksal nehmen wird?

Mit Glied oder ohne Glied

Das macht den grossen Unterschied, meint Priska Amstutz.

Priska Amstutz, obwohl Sie sicher noch nicht viel von ihr gehört haben, ist Co-Chefredaktorin des «Tages-Anzeiger». Wer da was von Quotenfrau murmelt, muss zur Strafe in einen Sensibilisierungskurs und hundert Mal laut sagen: Ich bin ein Chauvinist.

Also, die Chefredaktorin des Tages-Anzeigers ist, das darf man wohl sagen, kein Backfisch mehr. Das muss man sogar sagen, denn wenn man ihre Schwärmerei «Dieses Vorbild ist dringend nötig» (hinter Bezahlschranke) liest, dann sieht man vor dem geistigen Auge einen giggelnden Teenager, wie der vor vielen Jahren einen «Bravo»-Starschnitt mit seiner Lieblingsfigur anschmachtete und seine Gedanken dem lieben Tagebuch anvertraute.

Das wurde dann zugeschlossen und zuunterst in der Schublade sicher verwahrt. Das ist heute alles anders. Wenn man Chefredaktorin ist, kann man auch öffentlich schmachten. Voraussetzung ist lediglich, dass man null Empfinden für Peinlichkeit hat.

Was wir alle dringend gebraucht haben

Welches dringend nötige Vorbild himmelt Amstutz denn an? Natürlich, Kamala Harris, die designierte Vizepräsidentin der USA. Während um das Geschlecht und die Hautfarbe des designierten Präsidenten kein Aufhebens gemacht, höchstens auf sein fortgeschrittenes Alter hingewiesen wird, ist das bei Harris anders.

Wir, also Amstutz, erleben mal wieder einen historischen Moment. Nein, mehr noch: «Frauen und Männer auf der ganzen Welt haben die Wahl einer Frau zur ersten Vizepräsidentin der USA dringend gebraucht», setzt Amstutz am Anfang die Tonhöhe. Mit Verlaub: Ich habe das nicht gebraucht, sorry. Amstutz könnte hingegen etwas Deutschunterricht brauchen; denn ein Mann könnte ja schlecht zur Vizepräsidentin gewählt werden, nicht wahr?

«Wir brauchen» aber noch viel mehr. Vorbilder wie Kamala Harris. Nicht nur wir, gleich auch noch «die kommenden Generationen», die noch gar nichts davon wissen. «Wir brauchen historische Momente und Frauen, die zu Ikonen werden.» Wunderlich, dass Amstutz davor zurückschreckt, den Ersatz der Helvetia durch Harris zu fordern. Dafür fehlt ihr vielleicht noch etwas Unterweisung, denn: «Harris kann während ihrer Amtszeit als Coach in Female Leadership dienen.»

Amstutz übergibt das Wort an Harris

Ausser übers Wasser wandeln und Brot in Kuchen verwandeln oder so, was kann Harris denn noch? Nun, sie wird natürlich «als Zeichen» gebraucht. Wofür? Na, «sodass Corona Frauen nicht um mehr Jahre zurückwerfen wird als Männer. Madam Vice President, Sie haben das Wort.»

Das Schönste an diesem Satz ist, dass damit Amstutz fertig hat. Wie führen wir sie nun vorsichtig wieder an die Realität heran? Das ist auch bei Teenagern nicht einfach; wie soll man ihnen beibringen, dass der abgöttisch geliebte Star Toupet und Gebiss trägt, ausserdem schon mehrfach wegen Drogenbesitz und Gewalt in der Ehe verurteilt wurde?

Das hat natürlich nichts mit Harris zu tun, aber: Die Dame ist gerade zur Vizepräsidentin gewählt worden. Sie hat noch keinen einzigen Handschlag in ihrem Amt getan. Ein Amt, das sich im Wesentlichen dadurch auszeichnet, dass der Inhaber einen Herzschlag von der Präsidentschaft entfernt ist. Und solange das andere Herz noch schlägt, meistens zustimmend nickend neben dem Präsidenten stehen darf. So wie das Joe Biden neben Obama tat. So wie das Mike Pence neben Trump tut.

Harris war, als sie noch selbst für die Präsidentschaft kandidierte, übrigens eine der schärfsten Kritikerinnen von Biden. Dass sie dann aufgab und sich für ihn aussprach, zeugt zumindest von einer gewissen Flexibilität.

Dumme Schwärmerei

Aber all das ist harmlos gegen die fundmentale Dummheit im Schwarmkommentar von Amstutz. In Orwells Animal Farm lernen die Tiere: Vier Beine gut, zwei Beine schlecht. Das ist so vereinfachend, wie Politiker nach ihrem Geschlecht zu beurteilen. Da wird Hillary Clinton, die in den USA nicht als Frau, sondern als Politikerin so verhasst war, dass viele Wähler lieber einen Schimpansen ins Weisse Haus geschickt hätten, zur enttäuschten Hoffnung der Frauen (und Männer). Harris jetzt zur erfüllten.

Sie soll sprechen, wir sollen zuhören. Sie trug ein weisses Kleid bei ihrer Wahlannahmerede, meiner Treu, welche strahlende Symbolkraft, welches Zeichen. Würde man ähnlich von der Krawattenwahl eines Joe Biden schwärmen? Und würde man dann nicht zu Recht in den Senkel gestellt, dass das nun wirklich völlig nebensächlich sei?

Zur Lichtgestalt hochgeschwärmt, bevor sie ihr Amt antritt

Aber schwärmen ist schon okay. Das war ja auch bei Barak Obama so, der grossen schwarzen Hoffnung im Weissen Haus. Der Friedensnobelpreisträger auf Vorrat, der eine wöchentliche Kill-List abzeichnete, von vermuteten Terroristen, die exekutiert werden durften. Auch wenn es als Kollateralschaden eine Hochzeitsgesellschaft traf.

Nun wird Harris zur Lichtgestalt hochgeschwärmt, obwohl sie ihr Amt noch gar nicht angetreten hat. Obwohl niemand weiss, ob sie es ordentlich, überragend oder unterdurchschnittlich ausfüllen wird.

Bei der amtierenden Chefredaktorin Amstutz weiss man allerdings spätestens nach diesem Kommentar, wie man ihre Fähigkeiten beurteilen muss.

Farbenlehre mit Kamala

Die USA haben eine Vizepräsidentin. Aber was für eine?

Dass Kamala Harris eine Frau ist, das ist allgemein unbestritten. Auch über ihr Alter scheint es keine Meinungsverschiedenheiten zu geben. Auch nicht über die Tatsache, dass sie an der Seite eines bald 78-jährigen Präsidenten durchaus Chancen hat, die erste Präsidentin der USA zu werden.

Das ist der einfache Teil. Aber nun schlägt natürlich die political correctness auch in Schweizer Medien Purzelbäume. Denn während es niemand für bemerkenswert hält, dass Joe Biden ein Weisser ist, beginnt bei der Hautfarbe von Harris schon der grosse Eiertanz.

Welche Hautfarbe hat sie denn nun?

Ist sie «die erste schwarze Senatorin» (Blick)? Oder ist sie schlichtweg «schwarz, Frau» (Tamedia)? Oder war sie die «erste Farbige» als Bezirksstaatsanwältin (NZZaS)? Oder als «erste Schwarze» (watson)?

Tja, schwierige Sache. Um mich rücksichtlos daran zu beteiligen: schwarz ist sie sicher nicht. Farbig auch eher weniger, ausser vielleicht im Make-up. Ich würde sagen, ihre Hautfarbe changiert so zwischen hellbraun und café au lait. Was ja auch hübsch ist. Wenn man das heute noch sagen darf. Was man aber sicher sagen darf: das ist doch eigentlich völlig egal.

Wie beschreibt man ihre Herkunft?

Mindestens so schwierig wird es auch bei ihrer Herkunft. Wenn man sich nicht vornehm auf einen «Migrationshintergrund» einigen will. Aber sonst ist auch hier der Fächer breit aufgespannt. Sie ist «Afroamerikanerin», «Afroasiatin», «halbe Inderin, halbe Jamaikanerin», oder ist sie «Indoasiatin»?

Zunächst danken wir aber «20 Minuten online»; denn es hat zwei seiner besten Recherchier-Redaktoren daran gesetzt, endlich mal klarzustellen wie man den Vornamen der neuen Vizepräsidentin richtig ausspricht. Sie liessen dafür keinen Stein auf dem anderen und fanden sogar heraus: «Schon vor Jahren hatte die künftige US-Vizepräsidentin eine kleine Kampagne bezüglich ihres Namens gestartet.»

Das nennt man der Sache auf den Grund gehen, und hier ist die definitive, korrekte Aussprache: «It’s Comma-la.» Ohä, gut, dass wir das jetzt wissen.

Schwierige Ausgangslage

Aber zurück zum Stammbaum. Ist ja auch eine blöde Ausgangslage. Die Mutter ist tamilisch-indischer Herkunft, der Vater Jamaikaner. Das macht sie nun zu einer indischen Jamaikanerin. Oder einer jamaikanischen Inderin. Wenn wir das Tamilische mal weglassen. Es könnte natürlich auch eine karibische Asiatin sein. Oder eine asiatische Karibikerin? Schwierige Sache.

Aber auch hier wäre wohl die einfachste Frage: Spielt das überhaupt eine Rolle? Sie ist in den USA geboren, also ist sie US-Bürgerin. Wie eigentlich alle Amis – ausser den Ureinwohnern – mit Migrationshintergrund.

Probleme lösen, Probleme schaffen

Es ist das Widersprüchliche an aller verbalen Korrektheit, dass sie immer Probleme schafft, um Probleme zu lösen. Solange weder die Hautfarbe noch das Geschlecht des nächsten Präsidenten der USA ein Thema ist, aber beides bei seiner Vizepräsidentin, ist irgendwas nicht in Ordnung.

Wenn allenthalben und vor allem aus weiblicher Sicht betont wird, wie symbolisch, wichtig, herausragend es sei, dass eine Frau, dazu noch Angehörige einer ethnischen Minderheit in den USA, doch tatsächlich Vizepräsidentin geworden ist, solange wird das nicht als so normal empfunden, wie es eigentlich sein sollte.

Wenn immer noch eine Farbenlehre aufgeführt wird, statt Farbenblindheit, sind wir wirklich nicht sehr weit gekommen.

Findet Dorer!

Dorer sucht nach der perfekten Empörungswelle, ist Beni Frenkel überzeugt.

Seit ein paar Wochen benötigt Ladina Heimgartner zwei Visitenkarten. Denn auf einer hat ihr offizieller Titel keinen Platz. Heimgartner ist: «Head Global Media & CEO Blick Group – Member of the Ringier Group Executive Board bei Ringier AG.»Im Frühling erst trat sie die Stelle als «Head of Corporate Center der Ringier Gruppe» an. Die Stelle wurde extra für sie geschaffen.

Die Leistungsbilanz der früheren RTR-Direktorin können andere besser einordnen. Und dass ein Unternehmen einer Externen innerhalb eines Jahres eine neue und massgeschneiderte Stelle vorlegt und sie ein paar Monate später weiterbefördert, ist nicht ideal, aber auch nicht weiter schlimm.

Mitarbeiter dieses Hauses sollten aber etwas vorsichtiger sein, wenn sie ein Land mit 330 Millionen Einwohner dafür kritisieren, dass sie es nicht schaffen, ihren Präsidenten in einem Tag zu wählen. Die HR-Stelle von Ringier hätte das wohl auch nicht geschafft – siehe Heimgartner.

Dorer nimmt mutig Stellung ein

Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, will es trotzdem nicht fassen. Wahrscheinlich zum ersten Mal in seinem Leben muss der erfolgreiche junge Mann erkennen, dass die Welt nicht so dreht, wie er will. Empört schreibt er: «Die mächtigste Nation der Erde ist offenbar nicht in der Lage, ihre Regierung rasch, reibungslos und zuverlässig zu wählen.»

Dorer läuft seit zwei Tagen mit offenem Mund durch die Redaktionsräume: «Die Hälfte der Bürgerinnen und Bürger der USA will Donald Trump weitere vier Jahre als Präsidenten!»

Das Verhältnis zwischen den beiden Mächtigen, also Dorer und Trump, gilt unter Experten eigentlich als entspannt und auf Augenhöhe. Bei einem Treffen vor drei Jahren unterschrieb Trump sogar eine Blick-Ausgabe. Sie befindet sich heute wahrscheinlich in einem Schrein oder unter dem Bett von Dorer.

Der erfolgreiche Absolvent eines Grundstudiums (Wirtschaft) warnt nun aber eindringlich seine zahlreichen Leser: «Die Hälfte der US-Bürger will von jemandem regiert werden, der die Nation anlügt, der sie nicht eint, sondern spaltet, der sie zu Hass und Verachtung aufstachelt, wo er nur kann!»

Leider kommt der Appell zu spät und auf Deutsch.

René Zeyer und Beni Frenkel haben sich zeitgleich mit Trump und Dorer auseinander gesetzt. Zackbum hat entschieden, beide Texte zu publizieren. Zu wichtig ist das Thema.

 

Die Sache mit den Sperrfristen

Prozesse sollten klaren Regeln folgen. Theoretisch.

Vorbei die Zeiten, als staatliche Untersuchungsorgane still und leise ihrer Arbeit nachgingen. Als Staatsanwälte ihre Anklageschriften nur bei nachweislich grossem öffentlichen Interesse mit einer Pressemitteilung ergänzten.

Oder Verfahrensparteien sich an gerichtlich festgelegte Sperrfristen für die Bekanntgabe eines Urteils hielten. Inzwischen haben alle Beteiligten an rechtlichen Auseinandersetzungen gelernt, dass Recht und Gericht eine Sache sind, der öffentliche Teil eines Prozesses die andere, nicht unwichtige.

Niemand will einem Richter unterstellen, dass er sich von der öffentlichen Meinung, von einer medialen Vorverurteilung beeinflussen liesse. Niemand kann ausschliessen, dass das nicht doch ab und an eine Rolle spielt.

Angefütterte Journalisten

Damit die Öffentlichkeit etwas erfährt, braucht es einen Multiplikator, normalerweise ein Journalist. Der lässt sich von einer Partei anfüttern und schluckt willig, weil er das als Ergebnis seiner überlegenen Recherchierkünste und als Primeur verkaufen kann.

Der redaktionelle Leiter von CH Media ist so ein Fall. Eigentlich hat Pascal Hollenstein einen Zweitjob als Sprachrohr für Jolanda Spiess-Hegglin gefunden. Er bekommt Vorabinformationen zugesteckt, weil er dann in ihrem Sinn versucht, die Meinung der Öffentlichkeit zu steuern.

Um genau das zu vermeiden, setzen Justizorgane Sperrfristen bei ihren Verlautbarungen. Damit alle Medien sozusagen gleichlange Spiesse haben in ihrer Berichterstattung. Aber leider sind solche Sperrfristen nicht mit Sanktionen bewehrt. Es ist zwar unanständig, unfein und unprofessionell, sie zu brechen, aber: so what?

So gelang es, die krachende und völlige Niederlage von Spiess-Hegglin vor dem Obergericht Zug in einen Sieg umzulügen, ein Meisterstück von Fake News.

Neuer Tiefpunkt der Unkultur

Noch verwerflicher ist es, wenn Untersuchungsbehörden immer wieder häppchenweise die Medien mit strikt vertraulichen internen Unterlagen und Dokumenten versorgen. Auch das greift leider immer mehr um sich.

Einen Tiefpunkt hat diese Unkultur im Fall Vincenz erreicht. Nachdem sich hier der ermittelnde Staatsanwalt mit Getöse, drakonischer U-Haft und grossmäuligen Ankündigungen selber unter Zugszwang gesetzt hatte, musste er nach der endlich erfolgten Haftentlassung der beiden Hauptbeschuldigten Gründe finden, wieso seine eigentlich schon als fast abgeschlossen bezeichnete Untersuchung sich in die Länge zog und zog und zog.

Zum einen wurden die Medien, in erster Linie Arthur Rutishauser von Tamedia, immer wieder mit Informationen aus «mit dem Fall befassten Quellen» angefüttert, dass die Anklageerhebung nun wirklich demnächst bevorstünde. Noch diesen Herbst, spätestens nächsten Frühling. Oder doch im kommenden Herbst.

Sperrfrist, na und?

Nach Wiederholungen bis zur Lächerlichkeit wurden zum anderen neue Begründungen gestreut. Es seien neue Straftatbestände aufgetaucht. Die Angeschuldigten verzögerten mit unstatthaften Anträgen die Untersuchung. Und immer wieder durfte ein «Recherchierjournalist» ein besonders abstossendes Dokument «finden». Eine Spesenabrechnung, nur mit einem Betrag und einer Unterschrift. Informationen über strikt vertrauliche Geschäftsbeziehungen, sogar über Kontobewegungen.

All das muss aus dem Kochtopf der Untersuchungsbehörde stammen, denn die Angeschuldigten haben sicherlich kein Interesse, das an die Medien durchzustechen. In letzter Not wurde dann noch erfunden, dass nun Verhandlungen über ein abgekürztes Verfahren mit Schuldeingeständnis und niedrigerer Strafe stattfänden.

Und als dann nach jahrelangem Bebrüten und Gegacker die Staatsanwaltschaft endlich zu Potte kam und die Anklageschrift einreichte, setzte sie natürlich genügend öffentliches Interesse voraus, um diese Tat mit einer Pressemitteilung zu veredeln. Selbstverständlich mit Sperrfrist.

Die Medien schlagen zu, bevor die Betroffenen informiert sind

Denn die Idee ist hier, dass es vielleicht nicht so toll wäre, wenn die Beschuldigten davon zuerst aus den Medien erfahren, bevor sie selbst die Anklage in den Händen halten. Diese Sperrfrist war auf vergangenen Dienstag, 11.30 Uhr, festgelegt. In roten Buchstaben, gelb unterlegt.

Am Montagnachmittag veröffentlichte der Finanzblog «Inside Paradeplatz» als Erster die Meldung über die Einreichung und über die neu aufgetauchten Straftatbestände, die angeklagt würden. Kurze Zeit später zog Arthur Rutishauser nach, er wollte wenigstens als Zweiter ins Ziel einlaufen, natürlich weit vor der Sperrfrist.

Danach war dann kein Halten mehr; es dürfte kein einziges Medium geben, dass wirklich bis 11.30 Uhr am Dienstag gewartet hat. Aber das war noch nicht alles. Nachdem die News der Anklageerhebung und der neuen Anschuldigungen verraucht war, musste nachgeladen werden.

Natürlich gilt immer die Unschuldsvermutung

Natürlich mit etwas, das nicht in der Pressemitteilung stand. Sonst wäre es ja kein Primeur. Den angelte sich dann der «Blick» und veröffentlichte als Erster das geforderte Strafmass von drakonischen sechs Jahren. Wobei natürlich alle sich seriös gebenden Medien nie vergessen, auf ein wichtiges Prinzip der Strafgerichtsbarkeit hinzuweisen: es gilt die Unschuldsvermutung.

Nach der Devise: Du bist ein ganz schlimmer Finger, aber die Staatsanwaltschaft ist Dir auf die Schliche gekommen. Für Deine Untaten wirst Du im Gefängnis schmoren, so schrecklich sind die. Aber es gilt die Unschuldsvermutung.

Mit dieser Verluderung der journalistischen Sitten zeigen die Medien einmal mehr, dass ihre gravierenden Probleme nicht nur auf äussere Faktoren zurückzuführen sind. Sondern auch auf einen rasanten und selbstverschuldeten Vertrauensverlust. Das ist im Journalismus ein wirklich tödliches Virus, das kein Organ lange überlebt.

US-Wahlen: Und der Sieger ist …

Auf jeden Fall weder das Wahlsystem noch die Medien.

Diesmal ist alles anders. Ausser ein paar Tieffliegern legte sich diesmal kein Journalist darauf fest, dass der gute, alte Joe Biden gewinnen werde, der Alptraum im Weissen Haus endlich zu Ende sei.

Aber sagen wir mal so: in den rund 2000 Artikeln, die die Mediendatenbank SMD in den letzten drei Tagen zum Thema «US-Wahlen» gezählt hat, muss man diejenigen mit der Lupe suchen, die einen knappen Ausgang prognostizierten.

Wohl aus der Hoffnung, dass nur ein klarer Sieg Bidens verhindern könnte, dass Trump Anlauf nimmt, das Resultat als gefälscht und sich selbst zum wirklichen Sieger zu erklären.

Es riecht nach Wiederholung des gleichen Fehlers

Es zeigt sich, was eigentlich wirklich zu erwarten war: Einen Kandidaten aufzustellen, gegen den selbst Ronald Reagan bei Amtsantritt ein Jungspund war, ist wohl keine so gute Idee gewesen. Das riecht streng nach einer Wiederholung des gleichen Fehlers. Als vor vier Jahren wirklich alle Beobachter und Analysten und vermeintliche US-Kenner sich einig waren, dass jeder gegen Trump gewinnen kann, selbst Hillary Clinton.

Aber die Wähler entschieden: lieber einen orange angemalten Knallkopf als die. Diesmal stellten die Demokraten einen Mann zur Auswahl, der bei Amtsantritt 78 Jahre alt wäre. Was bedeutet, dass er allerhöchstens die erste Amtszeit durchstehen könnte. Noch nie war eine Vizepräsidentin so nahe an der Präsidentschaft wie Kamala Harris.

Nur einen Herzschlag davon entfernt, heisst es in den USA; und wenn sie im falschen Moment mal «buh!» sagt, könnte der Herzschlag tatsächlich aussetzen. Das hat, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe und politischen Ansichten der Kandidatin für die Vizepräsidentschaft, auch nicht geholfen.

Mittelalterliches US-Wahlsystem

Der Sieger ist auf keinen Fall das US-Wahlsystem. Schon bei der Wahl zwischen Bush Jun. und Al Gore musste das oberste Gericht die ewigen Nachzählungen in Florida stoppen und Bush Jun. per Gerichtsentscheid zum Sieger erklären. Was wohl nicht dem Wahlausgang entsprach.

Während selbst Venezuela, das nun nicht als Leuchtturm der Demokratie gelten kann, ein hochmodernes, elektronisches und schnelles Auszählsystem einsetzt, herrschen in den USA teilweise mittelalterliche Zustände.

Das fängt schon bei der Registrierung als Wähler an, hört beim ewigen Gezerre um die Festlegung der Wahlbezirke nicht auf, und sorgt schliesslich dank verlotterter Infrastruktur und asthmatischer Post dafür, dass im schlimmsten Fall auch nach Tagen noch kein Endergebnis vorliegt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die US-Stimmbürger ja nicht direkt ihren Präsidenten wählen, sondern sogenannte Wahlmänner. Von denen gibt es 538, nach Bevölkerungsstärke auf die Bundesstaaten verteilt. Und da gilt wiederum das Prinzip: the winner takes it all. Also der Kandidat, der 50,1 Prozent der Stimmen geholt hat, bekommt alle Wahlmänner des Bundesstaats zugesprochen.

Trump konnte noch nie eine Niederlage wegstecken

Also starren nun alle darauf, wer zuerst 270 Elektoren erreicht; der hat dann gewonnen. Im Prinzip. In der Realität gab es ja, um aus all den Massen von Analysen und Vorhersagen die Luft rauszulassen, nur drei Varianten.

Einer der beiden siegt über jeden Zweifel erhaben. Da setzten eigentlich alle auf Biden, keiner auf Trump. Oder es wird knapp, aber Trump hat die Nase vorn. Schliesslich Variante drei, es wird knapp, aber Biden hat die Nase vorn.

Da dürfte es dann aufgrund der Persönlichkeitsstrukturen unterschiedliche Reaktionen der Kandidaten geben. Hat Trump die Nase vorn, dürfte aller Wahrscheinlichkeit nach Biden das Resultat akzeptieren. Aber wie sieht es im umgekehrten Fall aus? Trump ist bekanntlich ein ewiger Verlierer, der noch nie eine Niederlage wegstecken oder akzeptieren konnte.

Krachende geschäftliche Bauchlandungen noch und noch, gescheiterte Pläne noch und noch, undurchsichtige Lügengebäude noch und noch, selbst eine Hautfarbe und eine Frisur, für die sich jeder normale Mensch schämen würde: Das alles reicht nicht, um einen typischen New Yorker Immobilienhai kleinzukriegen.

Einer der ältesten Tricks der Demagogie

Also griff Trump schon im Vorfeld der Wahlen, als sich abzeichnete, dass es knapp werden würde, zu einem der ältesten Tricks der Demagogie. Er stocherte ohne Belege in der Frage herum, welche Fälschungsmöglichkeiten es bei den Wahlen gebe, vor allem bei der Briefwahl. Das liess er immer wieder mal fallen, begleitet von dunklen Andeutungen, dass er das Resultat nur akzeptieren werde, wenn er gewonnen hätte.

Und schwups, schon kann er heute sagen: Ich habe schon immer gesagt, dass es nicht mit rechten Dingen zugeht. Sollte er dennoch auf die nötigen 270 Wahlmänner kommen, kann er sagen: trotz all diesen schmutzigen Tricks habe ich gewonnen. Reicht es nicht, dann kann er sagen: Das ist Beschiss, fake, die wollen mir den Sieg stehlen. Den Gang vors oberste Gericht hat er vorsichtshalber schon mal angekündigt.

Ich bin ein Star, keiner holt mich hier raus

Und dann? Bei allen Checks and Balances, Kontrollen und Machtbalance in der US-Verfassung, die selbst eine Amtsenthebung vorsieht, einen Fall konnte sich bislang keiner vorstellen: Was ist, wenn ein amtierender Präsident das Wahlresultat nicht akzeptiert, von Fälschung spricht und ein juristisches Sperrfeuer eröffnet?

Während er im Weissen Haus sitzt und sagt: Soll mal einer versuchen, mich hier rauszuholen. Im Ernstfall habe ich den wohl besten Kommandobunker der Welt, und mein roter Knopf funktioniert bekanntlich. Und dann?

Der Bezwinger des Matterhorns

Peter Rothenbühler wechselt das Organ. Damit setzt er ein Zeichen.

Wenn man nicht mehr der Jüngste ist, aber immer noch aktiv, dann wird man zum Urgestein. Peter Rothenbühler (wir haben mal zusammengearbeitet und mögen uns wohl) hat seine Karriereplanung mit der Besteigung des Matterhorns verglichen.

Früh aufstehen, schnell an die Spitze, dort nur kurz jauchzen und gleich an den Abstieg denken. Er hat das Matterhorn bestiegen, und einige Chefredaktorsessel auch. Mehr als das; als er als letzter Notnagel die serbelnde «Schweizer Illustrierte» übernahm, erfand er den Schweizer People-Journalismus.

Er hielt gegen alle Häme durch und machte damit die SI zu einem hochprofitablen Organ. Sehr zum Verdruss eines grossen Teils der Redaktion. In den damaligen goldenen Zeiten des Journalismus mussten wir nur einmal den Redaktionsgang runterlaufen, schon hatten wir wieder drei Kündigungen im Rücken.

Mit seinen Kolumnen auf Wanderschaft

Aber genug der Nostalgie, das Leben ging weiter, 2000 brach Rothenbühler zu neuen Ufern auf, nachdem man ihn bei Ringier nicht mehr wirklich wollte. Nach einem misslungenen Abstecher zu Roger Schawinski zeigte er als Chefredaktor von «Le Matin» nochmals, wie man ein erfolgreiches Blatt macht.

Auch mit seiner Kolumne ging er auf Wanderschaft, bis er wieder bei der SI damit landete. In einem vergnüglichen Interview auf persoenlich.com, das er möglicherweise mit sich selbst geführt hat, begründet er die Wahl banal: «Die hat am meisten bezahlt.»

Mit dem ihm eigenen Geschick und Schalk manövriert er sich durch die Fragen, wieso er schon nach sieben Jahren gehe, normal bei ihm seien doch zehn: «Das sind die neuen zehn Jahre.» Wieso zur «Weltwoche»? «What else, kann ich da nur sagen.» Und der politische Kurs des Blatts? «Den suche ich immer noch.»

Vom Piksen und Quälen

Und wie steht es mit dem Widerhall seiner Kolumnen? «Doch, doch, es läuft gut. Grosse Persönlichkeiten lassen sich immer etwas sagen. Nur die Kleinen weinen, wenn man sie pikst.»

Sticheln kann er natürlich auch nicht lassen, er setzt sogar zu einem wahren Manifest an, was bei ihm eher selten ist: «Ja, ich glaube, die Weltwoche hat eine grosse Zukunft. Ich bin ein Überzeugungstäter, glaube an den freien Diskurs, der heute gefährdet ist. Ich schreibe fortan für eine Publikation, wo das offene Wort etwas gilt, wo es keine Zensur, keine vorauseilende Unterwerfung unter die Hüter der Korrektheit, keine Genderpolizei und keine Diversity-Manager gibt.»

Das kleine Wörtchen «fortan» deutet dezent darauf hin, dass das in seinem bisherigen Organ anders war. Da Rothenbühler wirklich ein treuer Mensch ist, muss man ihn längere Zeit garstig gepikst haben, bis er sich entschloss, dass es nun aber reicht.

Ringier und sein unglückliches Händchen beim Personal

Als ich ihm zum Wechsel gratulierte, fragte ich auch, was denn der eigentliche Grund sei. Darauf schweigt Rothenbühler, denn auch dazu hat er eine unschlagbare Erkenntnis aus seinen jahrelangen Aufenthalten in Schlangengruben gewonnen: Er komme leise und gehe leise. Nur dazwischen gebe es manchmal Mais.

Wie schon bei Helmut-Maria Glogger selig zeigt hier Ringier wieder einmal, dass der Verlag ein eher unglückliches Händchen in seiner Personalpolitik hat. Nachdem eine Rabauken-Truppe aus Deutschland den «Blick» fast an die Wand gefahren hatte und ihn zur teuersten Entschuldigung aller Zeiten zwang, wechselte ein belangloser Chefredaktor den letzten ab. Nun leitet Christian Dorer mit seinem Schwiegersohn-Charme das, was von der «Blick»-Familie noch übrig ist.

Auch die SI ist nur noch ein Schatten ihrer selbst; 20 Jahre ohne Innovation, nur Imitation von Rothenbühlers erfolgreicher Idee, das reicht in den garstigen heutigen Zeiten nicht. Ohne Rothenbühler wird das Blatt noch beliebiger, um ein Lieblingswort des Hausgespensts Frank A. Meyer zu benützen, der Meister der Beliebigkeit.

Der Corona-Journalist, Teil II

Wer sich selbst nicht traut, fragt den Fachmann.

Einige der Corona-Versteher unter den Journalisten haben noch gewisse Restskrupel. Die äussern sich darin, dass sie nicht nur aufgrund ihrer eigenen Fachkompetenz drastische Massnahmen wie «Lockdown sofort» anmahnen, auch nicht aus eigenem Verantwortungsbewusstsein und dem Wissen auf Behhaftbarkeit Betragensnoten verteilen. «Versager», «totale Versager», «zögerlich», «wirtschaftshörig», «auf Kosten der Schwächsten», wir werden von Vollpfosten regiert; wieso haben wir das vorher nicht gemerkt.

Aber die Journalisten mit Restskrupeln machen einen kleinen Umweg, bevor sie vom Leder ziehen. Sie verstecken sich hinter einem Wissenschaftler und kläffen dann unter seinem Schutz.

Unter dem Schutz einer wissenschaftlichen Meinung

Kollega Alex Baur hat in der aktuellen «Weltwoche» (hinter Bezahlschranke) dieses Phänomen an einem Beispiel aufgezeigt. Unter dem launigen Titel «Professor Eggers Panikorchester» nimmt er sich dieser neuen Unsitte an. Professor Egger war der erste Leiter der Wissenschafts-Taskforce als Beratungsgremium für den Bundesrat. Er warf dann nach kurzer Zeit das Handtuch und trat ins Glied zurück, was ihn natürlich nicht davon abhält, weiter kräftig zu kritisieren und zu krakeelen.

Marcel Salathé, der telegen TV-Star unter den Epidemiologen, hat zur Zeit einen kleinen Karriereknick, nachdem er im September die Lage als grossartig, alles im Griff, bezeichnete. Dafür muss er nun ein Weilchen auf die Strafbank. Aber es gibt ja noch genügend andere. Die haben schon längst gemerkt, dass man mit umständlichen, wissenschaftlichen, einschränkenden, vorsichtigen Äusserungen keinen medialen Blumentopf gewinnt.

Nur mit Krachern schafft man es noch ins Rampenlicht

Man muss es krachen lassen. «Wir brauchen einen Lockdown», damit kommt man als völlig unbekannte, in Genf praktizierende Virologin als Aufmacher in den «Blick». Fordert man Maskenpflicht auch für Primarschüler, schafft man das Gleiche im «Tages-Anzeiger». Damit kann man sich aber nicht einmal die 15 Minuten Ruhm sichern, die Andy Warhol jedem zubilligte.

Das schafft man nur durch kontinuierliche Bewirtschaftung der Medien. Von Trump lernen, heisst hier siegen lernen. Also twittern, was das Zeugs hält. Das verlangt nach kurz und knackig, ist auch der Lieblingsspielplatz  vieler Journalisten, und wer gelernt hat, dass man sich kontinuierlich steigern muss, sonst wird man ignoriert, ist vorne dabei. Die momentane Schwäche von Salathé nützt vor allem Christian Althaus aus.

Das Virologenzentrum an der Uni Bern

2017 an der Uni Bern habilitiert, die nun nicht gerade als weltbekanntes Zentrum der Virologie gilt, hat Althaus nach Baurs Zählung schon über 2000 Tweets dieses Jahr abgefeuert. Das widerspricht ein klein wenig den Vorschriften für Mitglieder der «Swiss National Covid-19 Scientific Taskforce». Um genau solches Tun zu unterbinden, hat der Bundesrat eigentlich verfügt:

«Die Expertengruppen des Beratergremiums kommunizieren nicht selbstständig nach aussen.»

Bitte, Marcel Salathé ist in der Pole-Position als Leiter der Gruppe «digitale Epidemiologie», während Althaus nur Mitglied in der Gruppe «Daten und Modelle» ist. Aber, Glück muss man haben, der ehemalige Chef der Task Force Matthias Egger arbeitet ebenfalls an diesem Institut der Uni Bern und ist nun in der gleichen Gruppe ins Glied zurückgetreten. Vervollständigt wird das zum Trio Infernal durch Nicola Low; ebenfalls Uni Bern, Gattin von Egger und ebenfalls Mitglied der Task Force.

Dann muss man noch wissen, dass diese neue und spezielle und Super-Taskforce erst im Frühling dieses Jahres bestellt wurde, wobei Egger als ihr gutvernetzter Chef ihre Zusammensetzung schön steuern konnte. Wieso es neben der bewährten «Pandemie-Kommission» noch eine Eingreiftruppe brauchte, ist unverständlich.

Auf jeden Fall ermöglicht das eine schöne Arbeitsteilung. Althaus ist sozusagen der Mann fürs Grobe. «Jeder Tag zählt», «Die Massnahmen genügen nicht!», «verantwortungslos», usw. Wie einige seiner Kollegen lässt sich Althaus eher ungern an frühere Aussagen erinnern, wo er im Bieterrennen, wer nennt eine möglichst hohe Zahl von in der Schweiz bevorstehenden Todesopfern, immerhin mit 30’000 mitbot. Und dann verstummte; aber mit seinen Kritiken hatte er sein Ziel erreicht: Aufnahme in die Task Force.

Also erledigt er die Funktion der Alarmsirene, unterstützt von Eintagsfliegen mit drastischen Forderungen, während Egger und der neue Chef der Taskforce etwas staatsmännischer auftreten können. Aber allen gemeinsam ist die finstere Absicht, die Entscheidungen des Bundesrats nicht wissenschaftlich, sondern politisch beeinflussen zu wollen.

Dabei werden sie – leider – von der aufs Skandalisieren und Alarmieren reduzierten Medienlandschaft in der Schweiz nach Kräften unterstützt.

Ich habe zwar einen Doktor, bin aber kein Mediziner. Sonst könnte ich es ja auch mal mit einer Forderung probieren:

«Jeder Maskensünder muss wegen Inkaufnahme von Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB) ins Gefängnis. Unbedingt. Per sofort!»

Richtigstellung von höchster Warte

Wissenschaftler regieren nicht die Schweiz. Das musste mal wieder gesagt werden.

Wenn Wissenschaftler populär werden wollen und Journalisten ihnen gerne eine Plattform geben – umso knalliger, desto besser –, dann entsteht eine ungeniessbare Mischung.

Wissenschaftler wie Christian Althaus wollen sich ihre 15 Minuten Ruhm erkämpfen, indem sie Zensuren erteilen, Forderungen aufstellen, Warnungen, falsche Prognosen und weitere Dummheiten auf Twitter veröffentlichen. Sicherlich der geeignete Kanal, um wissenschaftliche Erkenntnisse unters Volk zu bringen.

Das tut Althaus ungefragt und gegen die klare Anweisung des Bundesrats, dass sich Mitglieder der Covid-Task-Force nicht direkt an die Medien wenden und an die Öffentlichkeit nur nach Rücksprache mit dem BAG gelangen sollen.

Althaus entscheidet, mit wem er spricht

Darauf pfeift Althaus, der sich unbekümmert von seiner krachenden Fehlprognose im März, dass es bis zu 30’000 Tote in der Schweiz geben könnte, weiterhin für einen ganz wichtigen Ratgeber hält.

Ausser, er wird von der «Weltwoche» angefragt. Eigentlich könnte man von einem staatlich angestellten Immunologen an der Uni Bern erwarten, dass er etwas für sein Geld tut und für Antworten bereitsteht.

Aber doch nicht Althaus; der erwidert auf seiner offiziellen Uni-Mailadresse:

«Eher würde ich mich mit SARS-CoV2 infizieren, als zu Ihrem publizistischen Inhalt beizutragen.»

Das ist ungehörig, unanständig, geradezu pubertär und eines Wissenschaftlers unwürdig. Offensichtlich ist ihm diese Infektion erspart geblieben, aber die Diagnose liegt nahe: stattdessen hat’s ihm ins Hirn geregnet.

Die Bodentruppen rüpeln, der Chef gibt sein Placet

Während sozusagen die wissenschaftlichen Bodentruppen keilen, rüpeln und sich furchtbar wichtig nehmen, setzt der Leiter der Covid-Einsatzgruppe, die den Bundesrat beraten soll, gleich noch einen drauf. Mit der Attitüde des Königs der Schweiz beliebt es  Martin Ackermann, huldvoll in der «Tagesschau» zu salbadern: «Wir begrüssen die Entscheidungen des Bundesrats.» Brav gemacht, kopftätschel, aber: «Wir gehen davon aus, dass einzelne Kantone zusätzliche Massnahmen treffen müssen.»

Daraufhin lupfte es endlich dem Gesundheitsminister Alain Berset den Hut, und er stellte in der NZZ klar:

«Die Wissenschaftler sind sehr wichtig für uns, aber sie regieren nicht die Schweiz.» Da das der eine oder andere hyperventilierende Wissenschaftler vergessen zu haben scheint, unterstreicht Berset: «Die politischen Entscheide werden von anderen gefällt, vom Bundesrat und den Kantonsregierungen.»

Abgesehen davon, dass es beunruhigend ist, dass ein Bundesrat darauf hinweisen muss: Entscheiden tun tatsächlich die, die dafür gewählt wurden. Die Verantwortung tragen für ihre Entscheidungen. Der Unterschied zu aufgeregten Wissenschaftlern und Zensuren und Forderungen verstreuenden Journalisten ist auch, dass die Regierenden versuchen, in einer Abwägung aller Interessen, selbstverständlich auch der Wirtschaft, ihre Entscheidungen zu treffen.

Keine Verantwortung für dummes Gequatsche

Der wichtigste Unterschied ist aber, dass weder Althaus noch Ackermann, ebenso kein einziger Journalist Verantwortung für sein dummes Gequatsche übernehmen muss. Liegt er krachend daneben, erzählt er Unsinn, wird er widerlegt, nun ja, ein Schulterzucken, und weiter in der Forschung, weiter im Kommentarschreiben.

Das heisst natürlich nicht, dass Entscheidungen des Bundesrats oder der Kantonalregierungen nicht kritisiert werden dürften. Aber staatlich angestellte Wissenschaftler und Berater müssen keinesfalls öffentlich ihren Senf zu Regierungsentscheidungen geben.

Auch Professorenstellen sind nicht auf Lebenszeit

Vielleicht hilft der Hinweis, dass letztlich mit Steuergeldern bezahlte Professuren oder furchtbar wichtige Funktionen in Beratergremien keine Arbeitsplatzgarantie bis zur Pension beinhalten. Verhält sich ein solcher Angestellter daneben, wird er frech, wird er überheblich, hält er seinen Ratschlag für allem anderen übergeordnet, dann ist es vielleicht Zeit, ihm dafür in der freien Wildbahn Gelegenheit zu geben.

Denn wenn sein Ratschlag so unermesslich wichtig und teuer ist, findet er doch sicher ein Plätzchen, wo man das zu schätzen weiss und auch anständig bezahlt. Ich persönlich bezweifle das zwar, aber wünsche dennoch viel Glück.