Birrer brabbelt

Hätte die Oberchefredaktorin Tamedia doch besser geschwiegen.

Zunächst ist der Fall noch alles andere als abgeschlossen. «Hetzjagd auf eine Journalistin» zu titeln, die Vermutung zu äussern, sie habe sich das Leben nehmen wollen, was sich dann im Text zu «hat offensichtlich versucht, sich das Leben zu nehmen» verfestigt – so etwas zu kommentieren, ist tollkühn. Um es höflich zu formulieren.

Raphaela Birrer hätte sich doch ein Beispiel an ihrer Kollegin Judith Wittwer nehmen sollen. Die aus der Schweiz importierte Quoten-Chefredakteurin der «Süddeutschen Zeitung» hat bislang keinen öffentlichen Ton zur Affäre um ihre Stellvertreterin Alexandra Föderl-Schmid gesagt oder geschrieben. Anteilnahme, gar Verteidigung? Ach was, so weit geht dann die Sensibilität und das Einfühlungsvermögen nicht.

Aber Birrer wirft sich tapfer in die Schlacht. Sie nennt ihren Meinungskommentar «Analyse». Wohl um nicht selbst Opfer ihrer eigenen einleitenden Verurteilung zu werden: «Sie ist die Seuche unserer digitalen Gesellschaft: die Meinungsdiarrhoe.» Was meint nun Birrer, welcher Durchfall plagt sie?

Die «im ganzen deutschsprachigen Raum bekannte Journalistin» habe sich nach Plagiatsvorwürfen entleiben wollen. Schön, dass eine Oberchefredaktorin auf solch dünner Faktenlage ausrutscht und einbricht, das sollte vorbildlich für ihre Untergebenen sein. Man weiss nix Genaues, na und, einfach mal draufhauen.

Allerdings muss dazu zunächst ein lustiger Slalom hingelegt werden: «Die Journalistin räumte Fehler ein. Es ist möglich, dass ihr in der mittlerweile von der SZ angestossenen Untersuchung weitere Plagiate nachgewiesen werden können.» Also haben sich die Vorwürfe bewahrheitet, wurden von Föderl-Schmid selbst bestätigt. Aber: «Selbst wenn die Verfehlungen ein grösseres Ausmass haben sollten: Das rechtfertigt nicht die digitale Hetze, der Föderl-Schmid zuletzt ausgesetzt war.»

Verstehen wir Birrer richtig? Selbst wenn die stellvertretende Chefredaktorin, die mit vernichtenden und schneidenden Urteilen und Besserwissereien immer schnell zur Hand war, reihenweise plagiert haben sollte, selbst ihre Dissertation wissenschaftlichen Massstäben des korrekten Zitierens nicht entspräche, was soll’s?

Statt an dieser angeblichen Hetze auf Föderl-Schmid teilzunehmen, hetzt Birrer lieber gegen den «bekannten «Plagiatsjäger» Stefan Weber». Der wurde nämlich von der Newsplattform des ehemaligen «Bild»-Chefredaktors Julian Reichelt damit beauftragt, die Doktorarbeit von Föderl-Schmid zu untersuchen. Wieso nicht? Pfuibäh, meint Birrer: «Dazu muss man wissen: Weber fertigt gegen Geld Gutachten zu akademischen Arbeiten an. Das Geschäftsmodell dürfte einträglich sein; Webers Analysen bringen regelmässig prominente Personen in Schwierigkeiten. Häufig erfolgen seine Anschuldigungen allerdings zu Unrecht.»

Das liegt nun allerdings höchstens im Streubereich der Wahrheit. Denn in der langen Liste der Personen, denen Weber Plagiate vorgeworfen hat, gibt es nur wenige Fälle, wo sich seine Behauptungen nicht erhärten liessen. Gelegentlich war die wissenschaftliche Institution, die den Titel verliehen hatte, einfach nicht bereit, ihn wegen den von Weber aufgedeckten Unsauberkeiten abzuerkennen. Im Fall der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock, in deren Buch ihr Weber in mehr als 100 Stellen nachwies, wortgleiche oder teilweise wortgleiche Sätze aus anderen Texten verwendet zu haben, führte die Kritik nicht nur zu ihrem Rückzug als Kanzlerkandidatin; sie nahm das Buch nach den Bundestagswahlen aus dem Handel.

Nichtsdestotrotz behauptet Birrer pauschal: «In dieser Debatte – und bei solchen Gutachten – geht es längst nicht mehr um intellektuelle Redlichkeit oder universitäre Standards. Es geht um politische Motive, Rachefeldzüge, Rufmord.» Nein, es geht um ausreichend belegte Vorwürfe, die zu einer Aberkennung des Titels führen – und nicht ausreichende.

Nun habe laut Birrer eine andere Journalistin «sämtliche der in Föderl-Schmids Dissertation beanstandeten Textstellen nach wissenschaftlichen Kriterien untersucht und kommt zum Schluss, dass es «einige wenige ärgerliche Ungenauigkeiten» gebe, es sich ansonsten aber um eine «eigenständige und verdienstvolle Arbeit» handle». Na und? Ist diese Journalistin in irgend einer Form qualifizierter als Weber? Gibt es irgend einen Grund, wieso ihre Meinung seiner überlegen sein soll? Dumm auch: «Eine offizielle Prüfung der Universität Salzburg, um die Föderl-Schmid selber gebeten hatte, steht noch aus.»

Dann kommt die abschliessende «Analyse» Birrers: «Die Meinungen sind gemacht, davon wird nicht abgewichen. Die Undifferenziertheit und die Empörung im Fall Föderl-Schmid: Sie liefern unfreiwilligen Anschauungsunterricht für die degenerative Entwicklung digitaler Debatten. Und sie verdeutlichen, dass es im Moment schwierig bis unmöglich ist, Diskussionen – wie hier zu wissenschaftlichen oder journalistischen Standards – nüchtern zu führen.»

Zunächst einmal: sich darüber zu beschweren, dass der digitale Mob überall tobt, ist nun wirklich zum Gähnen. Jeder, der in der öffentlichen Debatte steht, hat das schon erlebt. Unter dem Schutz der Anonymität wird gepöbelt, gekeift, gekreischt, gerempelt, verleumdet und getobt. Das gibt es überall, auch bei ZACKBUM. Aber nicht auf ZACKBUM. Und was (auch von Tagi-Journalisten) auf Twitter und anderswo über den geistigen und körperlichen Zustand des ZACKBUM-Redaktors geblubbert wird, das sind doch völlig unerhebliche Fürze.

Dass aber Tamedia bei der Ausschlachtung von gestohlenen Geschäftsunterlagen schon mehrfach Rufmord betrieb, es sei nur an die Hetze gegen den verstorbenen Gunter Sachs oder gegen einen dadurch ruinierten schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann erinnert, veranstaltet unter anderen von Christian Brönnimann, das ist und bleibt eine echte Schweinerei. Weil sich in diesen Fällen (und nicht nur in diesen) herausstellte, dass alle angedeuteten und juristisch abwattierten Insinuationen, Anschuldigungen und Behauptungen als haltlos, falsch, unrichtig herausstellten.

Hier haben sich Journalisten wiederholt zu Anklägern, Scharfrichtern und Exekutoren des eigenen Urteils aufgeschwungen, eine unerträgliche Usurpation.

Um diesen Wildwuchs in ihrem eigenen Biotop müsste sich Birrer vielleicht kümmern. Und dafür zu einer Affäre schweigen, die noch lange nicht zu Ende ist. Beides würde ihrem eigenen Image guttun.

11 Kommentare
  1. Karl Warth
    Karl Warth sagte:

    Ist es nicht bezeichnend und karikierend, dass die Geschichte beim Tagi aufgegriffen wird mit einem Kommentar der Chef-Redaktorin? Als erstes also den Meinungskorridor zu schaffen, ohne überhaupt darüber berichtet zu haben, den Leser in die Meinungsbildung miteinzubeziehen? Aber im selben Kommentar dann die allzu schnelle, vorweggenommene Meinungsbildung zu beklagen? Es wird immer enger im Tagi-Korridor und von Birrer hatte ich mehr gehalten.
    Es stellt sich auch die Frage der Verantwortung, wenn Dinge in dieser schwere im Raum stehen: Wer brachte dann Förderl-Schmid in diese Lage? Nicht Reichelt und nicht Hetze, sondern Förderl-Schmid. Und wer hat sich dann aus Verzweiflung darob beinahe für den feigsten und einfachsten Weg daraus entschieden? Föderl-Schmid. Zum Suizid gedrängt zu werden ist eine ganz andere Kategorie, ganz anders, und es ist eine ganz billige Nummer, hier alles so zu verkehren, als ob die Frau hier nun Opfer von ‚Hetze‘ sei. Schuld und Verantwortung lastet schwer, dass sicher. Aber sich ihr zu entlasten und zu stellen, das kann die Frau nur selber.

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  2. Guido Kirschke
    Guido Kirschke sagte:

    Gegen Aiwanger, Weidel und Reichelt hat die Frau mit dem komischen Nachnamen deftig gekeilt und ausgeteilt bis hin zum versuchten Rufmord. Was soll’s, alles Peanuts und Streichelzoo. Aber wenn es gegen sie selbst geht, dann ist das natürlich Hetze des rechten digitalen Mobs gegen eine unschuldige Frau, die sich jetzt als Opfer inszeniert. Nein, so wie man in den Wald ruft, so kommt’s zurück.

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    • Frederic Davide
      Frederic Davide sagte:

      Guter Punkt Herr Krischke, den wollte ich eben auch erwähnen. Offensichtlich macht die Flussrichtung bei
      Birrers ‹Meinungsdiarrhoe› den kleinen, feinen (sic!) Unterschied aus. Tamedia abwärts, gute Flussrichtung, Kritik, beispielsweise vom dumben Volk oder Reichelts Nius, Richtung linke Medienlandschaft, ganz schlechte Flussrichtung.

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    • Victor Brunner
      Victor Brunner sagte:

      Zensur beim TA Alltag. Meinungen die nicht zur Ideologie der Redaktion passen werden nicht publiziert, gar ganze Kommentarspalten gelöscht. Meinungsvielfalt nicht erwünscht! Prawda lässt grüssen.

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    • Karl Warth
      Karl Warth sagte:

      Das glaube ich gern. Vor einigen Wochen habe ich mich dazu entschieden, gänzlich auf Kommentare bei Tages-Anzeiger zu verzichten. Argumente und gerne selbstproklamierte ‚Debatten‘ scheinen nicht erwünscht zu sein. Die Foren sind nur noch Echokammer, nicht selten strafrelevant, wenn im richtigen Korridor.
      Interessant wäre ein insight zur Moderation dieser Foren, der aber tunlichst vermieden wird.

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  3. K. Meyer
    K. Meyer sagte:

    Die Frau Föderl ist halt eine Frau, Journalistin und erst noch eine von den „Guten“. Da sofort wird zur „Hetzjagd“, was sonst gerne als investigativer Journalismus verkauft wird.
    Selbst die gleichgeschaltet treudoofe Tagi-Leserschaft hats gemerkt, wenn man sich die Kommentare so ansieht. Die Höchststrafe für Frau Birrer.

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  4. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Interessant was die «Führungskraft der nächsten Generation» (aktuell mit Meinungsopstipation) nicht geschrieben hat:
    – Plagiate sind im anspruchsvollen Journalismus nicht zulässig,
    – ich bitte die LeserInnen des TA und den Regionalzeitungen um Entschuldigung weil wir ausser Swissness in Titel und Lead die Artikel der SZ unbesehen ohne Qualitätskontrolle übernehmen/übernommen haben.

    Das es Birrer in der «Analyse» nur um tumbe, feministische Solidarität und um Anbiederung bei der SZ» geht beweist sie mit dem Satz: «Es geht um politische Motive, Rachefeldzüge, Rufmord*
    Nein, es geht in erster Linie um eine hochbelobte und angesehene Journalistin die mit copy-paste gearbeitet hat, ihren journalistischen Kodex missachtet hat, LeserInnen hinters Licht geführt hat, die wahrscheinlich ahnt das noch mehr ans Tageslicht kommt.
    Wo war Birrers «Analyse» als Deininger von der SZ versuchte den rechten Populisten Aiwanger mit einem antisemitischen Flugblattvorfall aus dem Jahr 1987/88 fertig zu machen? Da hat sie geschwiegen, eben die «Analyse» nur der tumben, feministischen Solidarität geschuldet!

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  5. Tim Meier
    Tim Meier sagte:

    Fazit:
    – Meinung als «Analyse» verkaufen zu wollen, geht Richtung Leserverarschung.
    – Weber analysiert wirklich und natürlich nicht für Gotteslohn.
    – Mimosen werden nächsten Montag und Mittwoch an der Basler Fasnacht verteilt. In gewissen Redaktionsstuben blühen sie das ganze Jahr.

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  6. H C
    H C sagte:

    Da bleibt einem die Spucke weg bei Tamedia, die je nach Gutdünken gegen Individuen, Nationalitäten oder Impfgegner hetzt. Aber genau, der digitale Diskurs hat Durchfall.

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  7. Marcella Kunz
    Marcella Kunz sagte:

    Zur Ergänzung: Bei der von Birrer genannten «anderen Journalistin» handelt es sich um Barbara Toth vom «Falter», dem österreichischen Pendant zur «WOZ». Natürlich eine äusserst glaubwürdige Referenz. Dieser Birrer-Text ist an Heuchelei kaum zu übertreffen. War da nicht auch was mit Alice Weidel?

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