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Lob des Gujers

Der Mann kann denken. Und schreiben. Selten, heutzutage.

Wenn heute ein Editorial erscheint, dann wird geistiges Kleingeld unter die Leute gebracht. Raphaela Birrer, Patrik Müller, Reza Rafi, plus die Zwergenschar der Reichsverweser von Kopfblättern der grossen Medienkonzerne («Blick» kann man ja nicht mehr ernst nehmen): meistens im Sinne des Konzerns Gehampeltes. Nicht mal für den Tag geschrieben. Schneller vergessen als gelesen.

Oder erinnert sich jemand an ein einziges dieser Editorials? Eben.

Bei Eric Gujer sieht das etwas anders aus. Beansprucht er am Samstag den Platz oben in der NZZ, dann kommt durchaus etwas Lesenswertes heraus, wird der Leser auf eine andere Flughöhe mitgenommen. Zum einen, weil der Mann geschliffen schreiben kann. Das unterscheidet ihn schon mal von den gestolperten, sich verhaspelnden, unter erkennbarem Zeitdruck geschriebenen Werken seiner Kollegen.

Dazu hat er einen Bildungsrucksack, der wohlgefüllt ist; ein zweiter Unterschied, auch wenn Rafi, der Gerechtigkeit halber sei’s erwähnt, manchmal erstaunliches Wissen aufblitzen lässt.

Und schliesslich bemüht er sich in einer Tageszeitung, den Blick über den Tag hinaus zu erheben. Daraus entstehen dann Editorials wie «Torheit ist in der Politik normal».

Gujer beschäftigt sich mit der durchaus interessanten Frage: «Warum agieren die Inhaber hoher Ämter so oft in einer Weise, die der Vernunft und dem aufgeklärten Eigeninteresse zuwiderläuft?» Zur Beantwortung nimmt er das Buch der amerikanischen Historikerin Barbara Tuchman zu Hilfe: «Die Torheit der Regierenden».

Es ist schon vor vierzig Jahren erschienen, also bevor die meisten Kindersoldaten in den Newsrooms auf der Welt waren. Ihre Schlussfolgerungen: «Als Gründe nennt Tuchman Selbstüberhebung, Unfähigkeit, Dekadenz oder Starrsinn, kurz: das Mängelwesen Mensch. Gegen Torheit ist niemand gefeit. Nur weil wir künstliche Intelligenz besitzen, ist die natürliche Intelligenz nicht gewachsen.»

Dann lässt Gujer eigenes Wissen aufblitzen und salbt seinen Rückgriff in die Geschichte mit leichter Ironie: «John Adams, der zweite Präsident der Vereinigten Staaten, erklärte: «Während alle anderen Wissenschaften vorangeschritten sind, tritt die Regierungskunst auf der Stelle; sie wird heute kaum besser geübt als vor drei- oder viertausend Jahren.» Die Einsicht gilt von Troja bis Trump. Der 47. Präsident der Vereinigten Staaten ist keine Ausnahme, keine Monstrosität in sonst so aufgeklärten Zeiten. Er ist eine historische Konstante. Wem das zu fatalistisch klingt, der mag sich damit trösten, dass die Welt trotzdem nicht zugrunde gegangen ist.»

Dann dekliniert Gujer die Begrifflichkeit durch; Torheit sei keineswegs ein Privileg der Populisten oder von Menschen mit niedrigen Absichten wie Trump. Auch Lichtgestalten wie John F. Kennedy ritten die USA verblendet in den Vietnamkrieg, während ein Schurke wie Richard Nixon ihn beendete. Zudem nützt das Gegenteil, nämlich vernünftige Entscheidungen treffen, auch nicht unbedingt.

Wie Kanzler Schröder erfahren musste, der zwar die Wirtschaft reformierte, zum Dank dafür aber abgewählt wurde.

Gujers Conclusio, um es gewählt zu formulieren, verdient es, vollständig zitiert zu werden:

«Politische Torheit basiert nur selten auf schlichter Dummheit oder Borniertheit. Sie ist die Folge eines Kalküls, das Chancen und Risiken abwägt, auch wenn es am Ende irrig ist. Politik entsteht im Wechselspiel zwischen den Emotionen der Regierenden und denen der Regierten. Da verspricht die Unvernunft nicht selten mehr Ertrag als die Vernunft. Die Herrschenden handeln im Augenblick. Die wenigsten besitzen eine echte Strategie, die auch den übernächsten Spielzug vorhersieht. Der Historiker hat es da einfacher als der Politiker. Er ist der Prophet der Vergangenheit und nicht der Spielball der Gegenwart

Der Historiker als der Prophet der Vergangenheit, alleine dafür verdient Gujer ein anerkennendes Kopfnicken und eine leichte Verbeugung. Mindestens.

Wetzel ist ein kluger Mann,

der nur nicht logisch denken kann.

Die Masseinheit ein Wetzel steht für die maximale Distanz zwischen einer Formulierung und der Wirklichkeit. Wenn also jemand beim Betrachten einer weissen Wand «die ist schwarz» sagt, dann drückt er damit ein Wetzel aus.

Sich selbst sieht der Korrespondent der «Süddeutschen Zeitung», dessen Ergüsse dem zahlenden Tamedia-Leser zugemutet werden, sicherlich als Querdenker:

«Wenn Trumps Amerika den Europäern hilft, Chinas und Russlands hegemoniale Ansprüche in der Arktis einzudämmern, ist das eine gute Nachricht.»

Das meinte Hubert Wetzel zu Trumps Plänen, notfalls mit Waffengewalt Grönland einzunehmen.

Oder er sieht sich als Unke: «So sterben Demokratien», orakelte er 2020 nach dem ersten Amtsantritt Trumps. Dessen Wahlkampf zum zweiten Anlauf verfolgte er auf der erbitterten Suche nach jedem Fünkchen Hoffnung, dass Trump doch nicht der Kandidat der Republikaner werde.

Und überhaupt regelt Wetzel das gesamte Weltgeschehen: «Macron hat aussenpolitisch seinen Bankrott erklärt». Der französische Präsident hatte es gewagt, eine Meinung zu äussern, ohne Wetzel um Erlaubnis zu fragen, und dann war sie erst noch falsch, nämlich nicht seine. Da trifft ihn dann aber Wetzels volle Verachtung: «Er meint es also offenbar ernst. Allerdings fällt es schwer, den französischen Präsidenten auch ernst zu nehmen.»

Es fällt nicht schwer, sondern ist unmöglich, Wetzel ernst zu nehmen. Denn er hat schon wieder eine neue Idee, wie man den Inhalt des peinlichen Halbstarken-Chats höchster US-Regierungskreise sehen könnte.

Zunächst will er sich und dem Leser Angst einjagen: «Trotzdem kann einem natürlich der kalte Angstschweiss ausbrechen, wenn man sich vorstellt, über welche anderen Themen Amerikas wichtigste Aussen- und Sicherheitspolitiker noch so bei Signal chatten.»

Aber dann tut er etwas, was er wirklich lassen sollte. Er denkt nach:

«Solange die Europäer es aus Mangel an Geld, militärischer Kraft oder Interesse – die Amis machen das ja für uns – nicht schaffen, vor der eigenen Tür die eigenen Handelsinteressen gegen eine militärisch nicht besonders beeindruckende Truppe wie die Huthi zu verteidigen, müssen sie damit leben, im Klassenchat des Weissen Hauses verunglimpft zu werden. Höhnisches Kopfschütteln ist darauf die falsche Reaktion

Nun, wie soll man den Schwarzseher an die in Wirklichkeit weisse Wand heranführen? Zunächst einmal haben die Europäer die USA nicht darum gebeten, mal kurz – unter Inkaufnahme der üblichen Kollateralschäden – vermutete Huthi-Stellungen im Jemen zu bombardieren.

Dass die Huthi diesen Schiffsverkehr angreifen, könnte allerdings, so behaupten sie es zumindest, damit zu tun haben, dass in erster Linie die USA die israelische Armee dabei unterstützen, den Gazastreifen in Schutt und Asche zu legen und auch in Syrien oder dem Libanon Kriegsverbrechen zu begehen. Das alles angeführt von einem Ministerpräsidenten, der nur dank seines Amtes dem Knast entgeht und sich aller Justizorgane entledigen will, die ihm gefährlich werden könnten.

Wenn man schon beim Aufrechnen ist, wieso sollte Europa nicht den Kampfeinsatz seiner Truppen – auf Bitten der USA notabene – in Afghanistan in Rechnung stellen? Dort spielte sich ja ein weiteres Kapitel erfolgreicher US-Militärpolitik ab, so wie im Irak, in Libyen oder in Syrien.

Schliesslich könnte sich Wetzel auch fragen, in wessen Besitz eigentlich die Frachtschiffe sind, die via Suezkanal Waren von Asien oder Indien nach Europa transportieren.

Solche Überlegungen ergäben allerdings – um im Bild zu bleiben – eine bunt gesprenkelte Wand, die ungefähr so kompliziert, komplex und widersprüchlich aussehen würde – wie die Wirklichkeit.

Das ist aber für einen Schwarzweiss-Seher wie Wetzel viel zu anspruchsvoll und würde höchstwahrscheinlich Kopfweh auslösen.

Das ist sein Problem; wieso allerdings die gesamte Qualitätskontrolle von Tamedia, man denke nur an Raphaela Birrer oder an das Kommunikationsgenie Simon Bärtschi, ihren verbliebenen Lesern einen solchen Stuss zumuten, da ist gute Erklärung teuer. Oder vielleicht nicht.

Während sie nicht müde werden, ständige Sparmassnahmen als angebliche Qualitätssteigerung schönzuschwatzen, ist ihnen der Content, Hand aufs Herz, schlichtweg völlig egal. Solange irgendwelche Buchstaben unter oder neben irgendwelchen Fotos stehen.

 

Wumms: Raphaela Birrer

Als hätten wir’s geahnt: Sie macht wieder den Leitartikel zum Leidartikel.

Tiefes Nachdenken über ein längst beschriebenes Phänomen könnte sich lohnen. Könnte. Aber schon der Lead lässt Schlimmes ahnen:

«Seit Präsident Pfisters Rücktritt bricht in der Partei etwas auseinander. Was ist da los? Und warum will niemand Bundesrat werden?»

«Etwas bricht auseinander»? Ja was denn? «Was ist da los?» Genau, auf diesem Niveau möchte man geistreich unterhalten werden. Aber sagen wir mal so: immerhin ist der Leitartikel nicht von Andreas Tobler. Das ist aber auch schon der einzige Trost.

Schon den Einstieg muss man überwinden wollen: «Es ist gerade die spannendste Serie der Schweiz. Sie läuft nicht auf SRF oder bei Netflix. Sondern unter der Bundeshauskuppel.»

Hallo, ich habe eine Metapher gefunden, als reite ich sie zu Tode: «Die Serie spielt in der Mitte-Partei … Der Plot ist rasant … Augenblicklich und unaufhaltsam

Dann auch hier der klare Durchblick: «Klar: Bundesratswahlen sind Zeiten der Intrigen und Gerüchte. Alte Rechnungen werden beglichen.» Also nichts Neues unter der Bundeshauskuppel, würde Birrer vielleicht formulieren. Stattdessen stellt sie eine rhetorische Frage: «Was also tritt hier derart eruptiv an die Oberfläche?» Magma, Lava?

Nein, es geht hier um das hohe C. Beziehungsweise um die Fusion mit der BDP: «In der Urabstimmung sprachen sich zwar 60 Prozent der CVP-Basis für den Namenswechsel aus. Aber eben auch 40 Prozent dagegen. 40 Prozent, die Pfister mit dem identitätsverändernden Projekt nachhaltig verstört haben dürfte

Das ist sehr wahr, muss aber immer wieder gesagt sein. Wenn 60 Prozent dafür sind, dann sind, Moment, wir rechnen, 40 Prozent dagegen. Heureka.

Und was schliesst Politik-Analystin Birrer daraus? «Doch es scheint plausibel, dass der nun aufbrechende Konflikt auch eine Spätfolge dieser tiefgreifenden Reformen ist.» Sie will sich aber nicht zu sehr auf die Äste rauslassen. «Scheint plausibel», abwattiert, schallgedämpft, kann sein, muss nicht sein.

Nun versucht sie sich mit einer kleinen Bilderflut, dass es dem Leser die Fussnägel hochrollt: «Wenn keiner mehr den Deckel draufhält, droht sie sich im Flügel- und Konkurrenzkampf zu zerreiben

Dazu käme noch die Absage von Kandidaten; der Stress im Bundesrat sei halt schon gross, findet Birrer. Ausserdem fände ja auch Viola Amherd «besorgniserregend, wie das Klima verroht». Dabei war besorgniserregend, wie sie im Amt versagte.

Nun noch ein wenig Slalom zum Schluss: «Auch sie war persönlichen Verunglimpfungen ausgesetzt. Das muss zu denken geben. Trotzdem bleibt das höchste politische Amt ein Privileg.» Was soll daran zu denken geben, dass Versager im Amt wie Berset oder Amherd auch persönlichen Angriffen ausgesetzt sind? Wie heisst es doch: wer die Hitze nicht verträgt, soll die Küche verlassen.

Schliesslich Schussfahrt ins Ziel. Auf diese Ratschläge muss die sich im Flügelkampf unter dem geöffneten Deckel zerreibende Partei hören:

«Darum muss sich die Mitte-Partei jetzt rasch zusammenraufen: Sie muss erstens überzeugende Kandidaturen bringen. Und zweitens der Bevölkerung statt interner Konflikte Visionen für die Landesregierung präsentieren. Noch-Präsident Gerhard Pfister braucht einen Notfallplan.»

Wichtiger Bestandteil dieses Notfallplans sollte allerdings sein: ja nicht auf Birrer hören. Oder soll es ihm wie dem Tagi gehen, mit Leser-und Auflagenschwund?

Raubtier gegen Sozialarbeiter

Wenn Eric Gujer zum anderen Blick ansetzt, dann scheppert es.

Wie erbärmlich Tamedia ist, lässt sich auch am Gefäss Leitartikel festmachen. Beim Qualitätskonzern an der Werdstrasse darf ein Schmierfink wie Andreas Tobler den Leitartikel missbrauchen, um davor zu warnen, die Politikern Alice Weidel als Mensch zu porträtieren. Unsäglich, müsste mit sofortiger Entlassung oder mindestens Schreibverbot geahndet werden.

Und wenn Chefredaktorin Raphaela Birrer zum Griffel greift, erinnert sich schon während des Lesens niemand mehr daran, was sie eigentlich im Leitartikel sagen will. Hand aufs Herz: was war ihr letzter, und worum ging es da? Eben.

So in einer Mittelliga schwebt Patrik Müller von CH Media. Immer schön fluffig, geschrieben, als hätte er auch noch den Schwiegermuttertraumsohn-Charme von Christian Dorer geerbt. Und Reza Rafi, nun, da herrscht Bandbreite. Von exzellent bis schwachsinnig. Ach, Steffi Buchli? Leitartikel? Es darf gelacht werden.

Ganz anders bei Eric Gujer. Welch Oase der eleganten Schreibe, der komplexen, aber heruntergebrochenen Denke. Man muss nicht mit seiner Meinung oder Analyse einverstanden sein: lehrreich und erhellend ist es alleweil.

Aktuell vergleicht er zwei Weltmächte so: «Trump ist ein Raubtier, und die Europäer sind Sozialarbeiter. Es ist klar, wer da gewinnt». Natürlich ist die Wirtschaft dabei im Zentrum:

«Der Kontinent kommt nicht vom Fleck. Wirtschaftliche Dynamik findet sich in Asien und den USA, während die EU einen bürokratischen Albtraum nach dem anderen gebiert: Nachhaltigkeitsrichtlinie, Lieferkettenrichtlinie oder die Lasche, die den Deckel mit der Plastikflasche verbindet. Nichts ist zu gross, um reguliert zu werden, und nichts zu klein.»

Was von Befürwortern eines EU-Beitritts der Schweiz gerne verdrängt wird: «Deutschland befindet sich seit zwei Jahren in der Rezession, Frankreich türmt rekordhohe Schulden auf. Der Niedergang erfolgt schleichend. Es ist wie bei einem Autoreifen, aus dem unmerklich die Luft entweicht. Irgendwann fährt man auf der Felge

Und noch ein weiteres schlagendes Beispiel:

«Auch der Sozialstaat hat die Inklusion auf die Spitze getrieben. Deutschland gibt jährlich 37 Milliarden Euro für Sozialhilfe aus, kann aber inmitten einer Rezession 700 000 Stellen nicht besetzen

Dann wechselt Gujer auf die politische Ebene und stellt ein Versagen der Zentrumsparteien fest: «Die etablierten Parteien hingegen sind paralysiert. Der Brandmauer-Fimmel macht eine Zusammenarbeit mit dem rechten Rand unmöglich, bis die Realität wie in Österreich ein Umdenken erzwingt

Allerdings schreckt er dann doch vor letzten Konsequenzen zurück. Es ist offenkundig, dass der Aufstieg rechter Parteien wie AfD, FPÖ, Fratelli d’Italia oder Rassemblement National nicht an der überlegenen Strahlkraft ihrer Parteiprogramme festzumachen ist. Da steht, wie ZACKBUM schon belegte, mehr oder minder die ähnliche Sosse wie bei allen anderen Parteien.

Nein, es ist deren krachendes Versagen, das den Wähler verzweifelt nach Alternativen Ausschau halten lässt. Die Wurzel des Versagens liegt darin, dass die überwiegende Mehrheit der Wähler inzwischen Anspruchsgruppen sind, die auf die eine oder andere Art am Staatstropf hängen. Aber keine Partei traut sich, zum Beispiel dem Wählerblock Rentner zu sagen, dass die Renten deutlich gekürzt werden müssen, wenn der Raubzug an jungen Beitragszahlern nicht einfach weitergehen soll. Auch in der Schweiz handelt es sich hier jährlich um Milliarden.

Aber wer das sagt – und auch Rechtsparteien trauen sich nicht –, der kann auch gleich die Parteiauflösung beschliessen. Die deutsche FDP mit ihren zaghaften Versuchen ist ein warnendes Beispiel.

Woran sich dann auch Gujer nicht traut: damit kommt die Mehrheitsdemokratie an ihre Grenzen. Denn welche Anspruchsgruppe stimmt schon gegen ihre Interessen. Welche politische Bewegung will es sich mit grossen Wählermassen verderben.

Ist da, laut einem Bonmot Churchills, die Demokratie wirklich die schlechteste aller Herrschaftsformen, abgesehen von allen anderen? Das wäre doch mal einen anderen Blick wert.

Tobler, es reicht!

Dieser Mann ist unmöglich.

Dass der Tagi plus Kopfblattsalat dieses Stück Schmiere als Leitartikel veröffentlicht, ist ein neuer Tiefpunkt des Journalismus. Der einschlägig verhaltensauffällige Andreas Tobler, über dessen Untaten ZACKBUM schon einige Male berichten musste, lotet wieder einmal die Abgründe des demagogisch-heimtückischen Gesinnungsjournalismus aus.

Man halte sich die Nase zu und lese dieses Stück Sch…:

«In der Schweiz erhält Alice Weidel Unterstützung, die sie so nicht kennt: Hierzulande wird das Aushängeschild der AfD – einer in Teilen rechtsradikalen Partei – von Journalistinnen und Journalisten hofiert, wie es in Deutschland nicht möglich wäre

Dann vergreift sich der Kleinjournalist Tobler an der Grande old Dame des Schweizer Journalismus, an der Könnerin Margrit Sprecher: «Mitte Januar veröffentlichte die «NZZ am Sonntag» ein grosses Porträt.» Und belfert: «In deutschen Leitmedien wären solche Texte undenkbar. Dort wahren seriöse Medien Distanz – mit gutem Grund.»

Das ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig wäre. Die Berichterstattung über Trump oder Musk wahrt in in deutschen Leitmedien überhaupt keine Distanz. Und Schweizer Leidmedien sabbern ständig über Menschliches und Allzumenschliches. Aber nur bei ihnen genehmen Politikern wie Beat Jans und sein Eheleben.

Tobler aber will ihm missliebige Politiker wie Alice Weidel ja nicht als Mensch dargestellt wissen: «Noch problematischer ist der obsessive Fokus einiger Schweizer Medien auf Weidels «menschliche» Seiten – wie ihre kulinarischen Präferenzen oder ihre Naturliebe: Damit wird verschleiert, dass sie als Aushängeschild einer in Teilen rechtsextremen Partei fungiert.»

Was schreibt dieses leitende Mitglied der Tanedia-Redaktion hier? Wer Weidel als Mensch darstellt, verschleiert. Also ist sie eigentlich kein Mensch, wohl vielmehr ein Unmensch für diesen unerträglichen Dummschwätzer.

Er endet mit der menschenverachtenden Schlussfolgerung: «Wenn hiesige Medien ihr hierfür eine Bühne schaffen, machen sie sich ohne Grund und ohne Not mitverantwortlich für die Politik der AfD, deren Konsequenzen für Deutschland und Europa noch nicht absehbar sind.»

Nein, falsch. Richtig ist: wenn Tamedia so einer Schmähschrift eine Plattform bietet, dann machen sich Raphaela Birrer, Simon Bärtschi, Jessica Peppel-Schulz und Pietro Supino mitverantwortlich, dass hier ein Hinrichtungs- und Entmenschlichungsjournalismus betrieben werden kann, dessen Konsequenzen für das Niveau, die Qualität und die Abozahlen des Tages-Anzeigers noch nicht absehbar sind.

Bislang ist noch niemand in der Journaille auf die Idee gekommen, einer Hassfigur alles Menschliche abzusprechen. Es ist noch niemand auf die Idee gekommen, Journalisten, die wie Sprecher meilenweit oberhalb von Tobler stehen, dafür zu kritisieren, dass sie ihrer Aufgabe nachgehen. Nämlich ein Porträt über einen Menschen zu schreiben, das nicht von Vornherein eine Niedermache und eine Aufzählung von Vorurteilen sein soll.

Wann hat man eigentlich von Tobler das letzte Mal so etwas gelesen? Das Einzige, was der Mann kann, ist Demagogie, Polemik und Niedermache. Wenn er zum Beispiel über seine Hassfigur Ueli Maurer herfällt, dann mangelt es seinem Versuch der Aburteilung an allem. An Niveau, an Schreibkraft, an intellektueller Schärfe.

Aber es ist üblich: das, was man selber nicht hat oder kann, das beneidet man. Das hasst man. Nur: Warum darf Tobler diesen niederen Trieben im Tagi öffentlich nachgehen?

Wenn in Frage gestellt wird, dass Alice Weidel – unabhängig von ihren politischen Positionen – ein Mensch ist, in Porträts als Mensch dargestellt werden darf und muss, dann ist man auf der Stufe Entmenschlichung des politischen Gegners angelangt. Und wohin das führt, weiss man aus der Geschichte zur Genüge.

Also dringende Bitte an die, die das können: Schreibverbot für Tobler. Anders ist das Niveau des Tagi nicht mehr zu retten.

Tri, tra, Trump

Ab heute geht’s los. Nur: wohin?

Für die einen bricht Heulen und Zähneklappern aus. Sie haben vor Donald Trump gewarnt. Ihm alle Sünden der Vergangenheit vorgerechnet (und das sind nicht wenige). Sie meckern, dass nun der erste vorbestrafte Präsident ins Weisse Haus Einzug halte.

Sie haben zuvor mit aller Kraft (also gar keiner, man denke nur an Auslandchef Münger von Tamedia) zuerst den senilen Joe Biden als grossartige Gegenfigur hochgejubelt. Dann auf dem Absatz kehrt gemacht und die unbeliebte Kamala Harris als grossartige Gegenfigur hochgejubelt. Bis es dann kam, wie es kommen musste, wenn das das Personal ist, mit dem die Demokraten gegen Trump gewinnen wollten.

Wahlprogramme, Unterschiede? Was für Wahlprogramme? Darüber zu informieren, das hielten die meisten Mainstreammedien nicht für nötig. Wenn Trump gewinnt, wird’s furchtbar, das genügt doch als Wahlprogramm. Wenn Trump gewinnt, sitzt ein Faschist im Weissen Haus, entblödete sich einer der tonangebenden Flachdenker bei Tamedia nicht zu schreiben.

Endlich kommt Trump wieder, jubeln seine (nicht so zahlreichen) Anhänger in den Medien. Der Mann wird aufräumen, die Bürokratie niedermachen, alle seine Versprechungen einlösen. Den Gaza-Krieg hat er ja bereits in einen Waffenstillstand verwandelt, fehlt nur noch die Ukraine. Und mit seinen Zolldrohungen wird er die Nachbarländer und China dazu zwingen, endlich mal was gegen Drogenhandel und Dumpingexporte zu unternehmen.

Was wird’s sein? Nun, die einzig sichere Prognose ist: die Welt wird bis Ende Jahr eine ganz andere sein als heute. Besser, schlechter, das liegt wohl im Auge des Betrachters.

Aber selbst die glühendsten Anhänger Trumps können nicht bestreiten, dass er über ein paar gravierende Charakterdefekte verfügt. Als typischer (und eher erfolgloser) New Yorker Immobilienhai liebt er die hochtourige Sprache; alles muss «great, fantastic, never before, huge, gigantic» sein. Dass es das meistens nicht ist, kratzt ihn überhaupt nicht.

Von vielen Niederlagen abgehärtet, hängt er sein Ego mit einer Penetranz heraus, die höchstens noch von seiner merkwürdigen Frisur übertroffen wird.

Was kommt, ist schwer zu sagen. Wie es dazu kommen konnte, das schon eher. Ist es nicht so, dass noch extremer als in Kerneuropa in den USA sich linksliberale Kräfte, ja die grösseren Teile der demokratischen Partei, nicht mehr um die Anliegen der breiten Bevölkerung gekümmert haben?

Wokeness, gendern, nötige Anzahl von Toiletten, ein ganzer Genderzoo mit über 160 verschiedenen Teilnehmern, political correctness bis zur Hirnstarre, Seminare, in denen sich selbst gestandene Professoren nichts mehr zu sagen trauten, angesichts der Inquisition der rechthaberischen Gutmenschen.

Der Linksliberalismus ist zu dem denaturiert, was er früher so fleissig bekämpfte. Er ist dogmatisch, rechthaberisch, denunzierend, keine von der eigenen Meinung abweichende Äusserung tolerierend geworden. Diversity, dazu das Recht von jedem, sich wegen irgend etwas unwohl zu fühlen, gar zu leiden, berechtigt zu sein, Rücksicht zu fordern, all diese wilden Stammestänze interessieren die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung einen feuchten Dreck.

Wenn das Hoforgan der korrekten Lebensart (nein, neben der «Republik» gibt’s doch Tamedia) mal um mal erbittert zur Kenntnis nehmen musste, dass der überwältigenden Mehrheit seiner Leser das Gendersternchen sowas von an einem gewissen Körperteil vorbeigeht – dann gingt man vom Gas mit solchen Unsinn? Aber nein, dann stellte die Chefredaktorin höchstpersönlich fest, dass da halt noch viel Aufklärungsarbeit vor Tamedia liege.

Kein Wunder, ohne eine pervertierte Genderpolitik bei Beförderungen, nachdem 76 erregte Tamedia-Frauen eine ganze Latte von völlig unbewiesenen Anschuldigungen in den Raum gestellt hatten, wäre Raphaela Birrer doch niemals in ihre Position geglitten.

Trump mag Anlass zu Bedenken geben. Aber was sich die geleistet haben, die ihn mitermöglichten, das ist wirklich besorgniserregend. Die Medien fahren auf dem Weg nach unten weiter. Corona, Ukraine, Trump zum Ersten, Trump zum Zweiten: nichts gelernt, nichts verbessert, nichts seingelassen.

Dabei ist’s doch banal. Wer Trump hasst, braucht nicht ständig in seinem Newsmedium die Bestätigung dafür, dass es vielen Redaktoren auch so geht. Wer ein Anhänger Trumps ist, will sicherlich nicht ständig lesen, wie der eine reinkriegt. Und wer gerne informative, Erkenntnis steigernde, die Wirklichkeit abzubilden versuchende Berichterstattung will, der kann lange suchen – und wird nicht fündig.

Allerdings ist Trump die neue Präsidentschaft recht sportlich angegangen. Mit militärischen Mitteln zu drohen, um die Besitztümer der USA etwas abzurunden, einen solchen offenen Imperialismus hatten wir in den USA lange nicht mehr. Dagegen ist Putin fast ein Weichei, das nur in nächster Nähe seines Territoriums keine Nato-Truppen stationiert sehen möchte.

 

SoZ, stottert, spotz

Oh je. Was immer wieder der einzige Lichtblick am Sonntag war …

Eigentlich ist es zur Spezialität der NZZaS geworden, Covers zu machen, bei denen der Leser denkt: selbst Weissraum wäre eine bessere Alternative.

Die SoZ ist ein gelehriger Schüler. «Städte am Meer, «Alles weg», Doppelspitze». Höfliche Menschen halten beim Lesen die Hand vor den Mund.

«Streit um muslimische Grabfelder, Keine Lust auf Stress im Job, Bundesrat: Pfister verzichtet auf Kandidatur». Selbst die höflichsten Menschen halten nicht mehr die Hand beim Gähnen vor den Mund.

Es ist wirklich symbolisch. Auf Seite zwei links steht normalerweise das Editorial von Arthur Rutishauser. Nicht immer, aber häufig ein Lichtblick in der Finsternis im Glashaus. Statdessen steht dort diesmal Raphaela Birrer. Und es wird so schlimm, wie man befürchten muss. Ein Riesenfoto von Gerhard Pfister; um es aufzublasen, wird auch noch die Studioeinrichtung gezeigt. Dazu ein Interview über fast zwei Seiten. Wenn man bei dem die Luft rauslässt, genügte ein Satz: Pfister will nicht Bundesrat werden. Meine Güte.

Daneben noch die obligate «Analyse» über die Turbulenzen in der Partei «Mitte». Aufgewärmtes Gehacktes, meine Güte. Man fragt sich, ob Birrer hier Rutishauser zeigen wollte, wo der Hammer hängt.

Aber es ist noch nicht ausgestanden. Dann die obligate Seite Gewerweise, wer denn der Nachfolger (oder die Nachfolgerin) sein könnte, werden könnte. Der übliche Eiertanz, denn man möchte auf keinen Fall mit einer Prognose danebenliegen. Meine Güte.

Grabstein in Weinfelden; soll es dort muslimische Gräber geben? Ein Thema, das im wahrsten Sinne tötelet. Meine Güte, da gibt es wohl grössere Probleme mit unseren muslimischen Mitbürgern, solange sie am Leben sind.

Dann der Beitrag «der lebt noch?» über Ulrich Schlüer. Bettina Weber dreht weiter an ihrem Aufreger «Sie wollen einen reichen Mann – und nennen es Feminismus». Wird sicher auch in der Wiederholungsschlaufe wie gewünscht Kampffeministinnen zur Weissglut treiben.

Man hätte darauf wetten können, dass die furchtbare Minentragödie in Südafrika, die unter der Woche höchstens im ganz Kleingedruckten interessiert, am Sonntag ihren Auftritt hat. Samt der «immer wieder gut, wenn wir sonst nix haben»-Story vom Mann, der seine Bitcoins im heutigen Wert von 800 Millionen Dollar samt der Festplatte in einen Müllsack packte, den seine damalige Lebensgefährtin umsichtig entsorgte. Und dem er seit 12 Jahren nachrennt.

Dann kommen wir zu verdammt, die Inauguration von Trump ist erst am Montag, was machen wir da bei Redaktionsschluss Samstag? Überraschung, ein Interview natürlich. Wobei, wer, der einen geraden Satz sagen kann und irgend einen Titel hat, ist in den USA denn noch nicht interviewt worden? Der alte Hase Martin Suter wurde natürlich fündig: der «Über-Geograf» (schöner, neuer Titel) Joel Kotkin. Joel who? He, lehrt an einer Uni, hat zehn Bücher geschrieben, wird von der NYT gelobt. Also DER Joel. Muss man lesen, was er zu sagen hat? Nein.

Das ist alles ist so schwach, dass man fast versucht wäre, Jacqueline Badran und Markus Somm zu lesen, nur um wach zu werden ob so viel Unsinn. Aber nur fast.

Als ob man nicht schon genügend Mühe mit Wachbleiben hätte, langweilt dann die Wirtschaft mit dem Aufmacher «Die Musterschüler im Norden stecken in der Krise, der Süden boomt». Bis es dann mal wieder umgekehrt ist. Blöd auch, auch das WEF fängt erst am Montag an, also auch hier was Hinprügeln: «Die Ära der grossen WEF-Proteste ist vorbei». Überraschung aber auch, die Ära der grossen WEF-Bedeutung halt auch.

Man wird einfach nie überrascht bei dieser Ausgabe der SoZ; was fehlt noch? Also bitte, nicht mehr als einmal raten. Genau, «Die Schäden der Waldbrände in Los Angeles … Forscherin über die Kosten der Erderwärmung». Meine Güte.

Dann machen Christian Brönnimann und Oliver Zihlmann ungeniert mit ihrer Lieblingsbeschäftigung weiter: Schimpf und Schande zu einem «Putin-nahen Oligarchen» sagen, über einen «sanktionierten Multimilliardär». Wieso der und aufgrund wessen sanktioniert ist, dass der sich mit Händen und Füssen gegen die Pauschalverurteilung ohne Beweise oder Gerichtsverfahren «reich, Russe, Schweinebacke» wehrt – kein Wort drüber. Das Seco habe, nicht nur bei diesem Oligarchen, gesperrte Gelder freigegeben. Aber hallo, nicht etwa «für lebensnotwendige Dinge wie Nahrung oder eine warme Stube». Das würde das Duo Infernal sogar einem Oligarchen noch zubilligen. Nein, für den Unterhalt von Helikoptern und einen Landsitz. Als Beitrag zum Sozialneidthema: Reiche leben reicher als wir. Schweinerei, so was. Aber leider: «Das Vorgehen des Seco ist laut Einschätzung von mehreren Experten rechtlich korrekt».

Nochmal eine Schweinerei. Ein Schweizer Experte für Sanktionsrecht erfrecht sich sogar noch zu sagen: «Bei staatlichen Zwangsmaßnahmen solle sich jeder wehren können, auch Oligarchen.» Muss man sich mal vorstellen, auch für solche Schweinebacken soll der Rechtsstaat gelten? Und nicht einfach die Vorverurteilung von zwei wildgewordenen Journalisten, die immer gerne Ankläger, Richter und Henker in einer Person spielen möchten? Meine Güte.

Wollen wir schliesslich noch «das Geheimnis der dauerhaften Liebe» wissen? Aber her damit. Bloss: «Es gibt keins».

Wollen wir das Geheimnis eines interessanten Sonntagsblatts wissen? Unbedingt. Die Redaktion der SoZ will das auch sehnlichst.

Quengel, quengel

Raphaela Birrer hat mal wieder einen rausgehauen.

Selten meldet sie sich zu Wort. Aber wenn, dann gibt es rote Köpfe.

Zunächst ist zu bewundern, dass die Länge des Kommentars durchaus variabel sein kann. Hier im Tagi sind es haargenau 2658 A. Der «Bund» kommt mit 1751 A aus, noch rund 65 Prozent der ursprünglichen Textmenge. Da kommt es Birrer wohl nicht so aufs Wort an. Der Text ist mehr so eine Knetmasse. Passt nicht alles ins Förmchen, kann problemlos weggelassen werden.

Aber abgesehen von der flexiblen Form, was ist denn der Inhalt? Birrer begrüsst, dass «unliebsame Volksentscheide nicht via Justiz rückgängig gemacht werden können». Grüne und SP-Frauen waren ans Bundesgericht gelangt, um die Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters wiederholen zu lassen. Das «war quenglerisch», urteilt Birrer mit leicht frauenfeindlichem Oberton. Fehlt nur noch, dass sie ihnen Hysterie vorwirft.

Die quengelnden Frauen hatten bemängelt, dass die sauknappe Abstimmung (50,6 Prozent dafür) auf fehlerhaften Berechnungen der Entwicklung der AHV beruht hatte, was durchaus seine Berechtigung hat. Dagegen wendet Birrer weibliche Logik an: «Dass der Bund sich verrechnete, ändert nichts daran, dass die AHV ohne diese Reform noch stärker in die roten Zahlen gerutscht wäre.» Das mag richtig sein, ist aber kein Gegenargument.

Apropos weibliche Logik, sich in einem Absatz diametral widersprechen, das schafft auch nicht jede(r)*:

«Mit seinem Urteil trägt das Bundesgericht nun zu einer verlässlichen Demokratie bei, in der missliebige Volksentscheide nicht via Justiz bekämpft werden

Einerseits. Andererseits: «Zwar hat das Gericht 2019 eine Abstimmung kassiert – jene zur Heiratsstrafe-Initiative. Der damalige Entscheid war aber richtig, weil die ausgewiesene Zahl der betroffenen Ehepaare viel zu tief und für den negativen Abstimmungsausgang wohl massgeblich war

Als alter weisser Mann muss man aufpassen, dennoch wagen wir zu widersprechen: Heiratsstrafe – gravierend falsche Zahlen. AHV – gravierend falsche Zahlen. Man suche den Unterschied.

Aber mit solchem Pipifax hält sich Birrer nicht auf, sie verlässt das kleine Feld der Widersprüchlichkeiten und erweitert den Blick: «Zu oft stimmen offizielle Zahlen des Bundes nicht, die dem Stimmvolk als Entscheidgrundlage dienen sollen. Bei der Unternehmenssteuerreform II wurden die Steuerausfälle im Vorfeld massiv unterschätzt. Und bei der Abstimmung zur Personenfreizügigkeit ging der Bundesrat von jährlich nur 10’000 EU-Einwanderern aus – ein Bruchteil der effektiven Zahlen.»

Ohä, das scheint also doch ein gravierendes Problem zu sein; was tun? Nun ist aber auch der grösste Platz für einen Kommentar mal zu Ende (ausser, Pietro Supino greift in die Tasten). Also mit quietschenden Reifen bremsen: «Glaubwürdigkeit ist das kostbarste Gut der direkten Demokratie. Der Bund muss sie sorgfältiger schützen.»

Also, mach was draus, lieber Bund, der Ratschlag ist doch glasklar; schütze gefälligst sorgfältiger. Oder sagen wir mal so: Stringenz und Widerspruchsfreiheit ist das kostbarste Gut eines Kommentars einer Oberchefredaktorin. Wenn sie gleichzeitig zu erkennen gibt, dass es ihr völlig wurst ist, ob ihr Kommentar um ein Drittel zusammengeholzt wird, erhöht das die Glaubwürdigkeit auch nicht wirklich.

Kollektive Dummheit

Raumschiff Redaktion Tamedia: völlig losgelöst von der Erde …

Besteht die Redaktion des ehemaligen Qualitätsblatts «Tages-Anzeiger» ausschliesslich aus kleinen Major Toms? Wohl schon deswegen nicht, weil nicht einmal die sogenannte Kulturredaktion David Bowie noch kennt.

Aber Schmerz beiseite: wie bescheuert kann man denn sein? Bevor sich da jemand auf die Hinterbeine stellt und in typischer Realitätsblindheit fragt, wie ZACKBUM denn auf eine so beleidigende Frage käme: dagegen setzen wir zwei Zahlen.

78’107 und 213’738. Das ist nicht die Entwicklung des Gehalts der Chefredaktion zwischen 2008 und heute. Das war damals schon höher. Das ist die Entwicklung der Printauflage des «Tages-Anzeiger». In zeitlich umgekehrter Reihenfolge. Denn würden die Beteiligten gute Arbeit abliefern, wäre die Auflage heute höher als 2008.

Jetzt lassen wir mal alles Gedöns von Internet, Inserate, Arglist der Zeiten, allgemeine Krise, Leseunlust, Social Media, neue Informationskanäle und so weiter weg.

Ein Absturz der Auflage um 135’631 Exemplare – und lassen wir grosszügig die an Flughäfen und anderswo verteilten Gratisexemplare weg – ist ein Desaster. Eine Katastrophe. Seit 2007 ist Pietro Supino VR-Präsident von Tamedia, dann von TX. Seither heisst er vornehm «Executive Chairman».

Supino war auch von 2016 bis 2022 Präsident des Verbands Schweizer Medien. Obwohl er höchstselbst zum Griffel griff und in einem Kommentar (so viel zur strikten Trennung von Redaktion und Verlag) die Vergabe von einer Milliarde Steuergelder an reiche Medienclans befürwortete, schiffte das Vorhaben an der Urne ab. Dafür hatte nicht zuletzt die Ausschüttung einer Sonderdividende an den geldgierigen Coninx-Clan gesorgt.

Der Mann fällt auch immer wieder durch ruppige Eingriffe in die redaktionelle Freiheit auf, was auch nicht gerade zur Steigerung der Glaubwürdigkeit seiner Organe beiträgt.

Er schaut dem Wirken und Wüten einer oberhalb ihrer Liga spielenden Damenriege in der Führungsetage von Tamedia tatenlos zu. Was Jessica Peppel-Schulz, Raphaela Birrer und die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi hier anstellen, ist bodenlos. Visuell wird das durch das völlig verunglückte Redesign des Online-Auftritts sichtbar gemacht, nachdem sich der verantwortliche AD Knall auf Fall wieder nach Berlin abseilte.

Inhaltlich ist das Errichten von Paketverteilungsstationen, eine fürs Digitale, eine für Print, das wohl unsinnigste Newsverarbeitungssystem, das einem einfallen kann.

Inhaltlich sorgt diese Mitteilung für Lachsalven unter den verbleibenden Lesern:

«In eigener Sache. Die Trennung von Berichterstattung und Kommentierung gehört zu den Kernprinzipien unserer Redaktion.»

Ob das all die Losers, Toblers, Reichens, all die Genderstern-Apologeten, Trump-Hasser, Putingegner, also fast alle Journalisten, die die Zeilen füllen, von nah und von ferne aus München, auch mitgekriegt haben?

Wenn das zu den «Kernprinzipien» (was sind eigentlich die anderen?) gehören soll, dann ist diese Redaktion prinzipienlos.

Aber das alles erklärt restlos, wieso die Printauflage auf genau 36,54 Prozent der ehemalige Höhe abgesackt ist. Es erklärt aber nicht, wieso dieses Katastrophe keine ernsthaften Konsequenzen hatte.

Gut, Supino als Mitglied des Coninx-Clans ist unkaputtbar. Daran ändert auch seine Personalpolitik leider nichts. Einen Schwätzer wie Mathias Müller von Blumencron, diesen Digital Native, zum interimistischen Leiter Publizistik zu machen, wo er unter anderem die Totgeburt eines «Verkehrsmonitor» (abgekupferte Idee vom Berliner «Tagesspiegel») zu verantworten hatte, abenteuerlich. Eine Frau zum CEO vom schlingernden und lecken Schiff Tamedia zu machen, die bislang bei einem Lifestyle-Kleinverlag kurz Karriere machte, bis sie sich wieder in ein Sabbatical verabschiedete, abenteuerlich.

Zuschauen, wie die ein Jahr lang schweigt oder einen Avatar für sich sprechen lässt, um dann die wohl unsinnigste Neuordnung eines Medienkonzerns zu verkünden, mitsamt 90, ähm 55, ohalätz, 17, eigentlich 21 Kündigungen, absurd.

Den begabten Oberchefredaktor Arthur Rutishauser wegen des hysterischen Protests von 78 erregten Tamedia-Redaktorinnen und ihren unbewiesenen Behauptungen abzusägen und zum Chefredaktor ohne Redaktion zu machen, bescheuert.

Jeden Egotrip, jede Bauchnabelschau, jede strenge Zurechtweisung der Welt durch frustrierte und leichtbemittelte Schreiber (generisches Maskulin) zuzulassen, während alle, die können, das Weite suchen – tödlich.

Rücksichtslos das Grundprinzip des erfolgreichen Journalismus über Bord werfen «beim Schreiben an den Leser denken», das lässt den Begräbniszug Fahrt Richtung Grab aufnehmen.

Oder in einem Bild: Der Tanker leckt und tropft aus allen Löchern, die Passagiere springen wie Lemminge von Bord, im Maschinenraum tasten sich die Arbeiter nach Wehwehchen ab, statt zu heizen. Auf der Kommandobrücke herrscht wildes Durcheinander, der Kapitän hat sich zum Geldzählen in seine Kajüte zurückgezogen. Wer an Bord bleibt, wird für immer mieseren Service mit immer höheren Preisen abgezockt.

Dagegen war die Titanic eine zweckrational gesteuerte Veranstaltung, bei der der Kapitän immerhin mutig mitunterging. Das wird bei Tamedia nicht der Fall sein. Auch bei TX nicht.

Aber wenn dann beim Begräbnis Krokodilstränen vergossen werden, alle Verantwortlichen beteuern, dass sie alles versucht hätten, nichts dafür könnten, die Umstände, die Zeit, die Welt, der Klimawandel daran schuld seien, dann soll fürs Protokoll hier festgehalten werden:

Alles gelogen. Das Desaster ist hausgemacht. Es sind nicht die Umstände, es ist das krachende Versagen der Führung. begleitet von einem dissonanten Redaktionsorchester, wo jeder erste Ego-Geige spielen will und Publikumswünsche konsequent ignoriert werden.

Wumms: Thomas Weyres

So geht modernes Medienmanagement bei Tamedia.

Die Ankündigungen sind immer grandios. Im Januar 2024 verkündete das ungeliebte Stiefkind von TX: «Tamedia engagiert Thomas Weyres als Design Director.»

Dann das übliche Bullshit-Bingo-Blabla: «Tamedia-Titel stärken … neuen Visual Desk leiten … Nutzerfreundlichkeit weiterentwickeln … strategische Prozesse zur Schärfung der visuellen Markenidentität …»

Und natürlich freuten sich alle wie Honigkuchenpferde. Thomas Weyres: «freue mich sehr». Regula Marti, CPO von Tamedia: «Es freut uns sehr …». Und schliesslich Raphaela Birrer, Chefredaktorin des «Tages-Anzeiger»: «Wir freuen uns …»

Aber nach der Vorfreude folgt meistens die Schadenfreude. Denn in den wenigen Monaten seines Wirkens richtete Weyres den Online-Auftritt von Tamedia dermassen zu und hin, dass die Leser im Chor aufjaulten. Bild rechts, Text links, drunter viel Weissraum. Den entscheidenden Platz ganz oben auf der Homepage verschenkt. Rubriken-Wirrwar. Aufdringliche Werbung. Merkwürdige, grau umrahmte Themenboxen. Sich wiederholende Artikel in verschiedenen Rubriken. Manchmal fehlen nicht unwichtige Gefässe wie Wirtschaft. Gut, «Kultur» hat beim Tagi nicht mal mehr die Funktion eines Feigenblatts; hier besteht gigantisches Sparpotenzial bei der Payroll.

Ach, und der neue Visual Desk blieb eine Fata Morgana, die niemand jemals gesehen hat; war halt auch nur so eine Idee von überforderten Managern, die mit hohlem Wortgeklingel intellektuelle Leere ausfüllen möchten.

So, und nachdem Weyres sich etwas ausgetobt hatte, zog er selbst die Reissleine und verduftete schon wieder. In gepflegtem Englisch, das ist man sich als AD (oder schlichtweg «Designer», wie er sich nennt) doch schuldig, verkündete er gerade seinen Abflug:

«Good bye Zurich.» Nachdem er ständig zwischen Berlin und Zürich gependelt sei, habe er «aus persönlichen Gründen» beschlossen, seine Position als Design Director aufzugeben. Vielleicht, weil auf der Redaktion so wenig Leute Englisch beherrschen.

Das nennt man mal einen unheimlich schwachen Abgang. Rund 9 Monate am Gerät, ein Redesign in den Sand gesetzt, sonst nichts Auffälliges geleistet, sicherlich auf Spesen ständig nach Berlin und zurück geflogen (wenn das die Klimaschützer bei Tamedia gewusst hätten), und schon Schnauze voll.

Mikael Krogerus, der ansonsten zu Personellem verkniffen schweigt, wenn er mal Rückgrat zeigen sollte, salbadert als Kommentar: «Man sieht sich immer dreimal im Leben.» Den Vogel schiesst aber mal wieder Kerstin Hasse ab: «Es sind noch lang nicht all unsere Projekte verwirklicht. Und noch lang nicht alle Biere getrunken.» Die denkt auch immer nur ans eine …

Zum Totlachen ist auch die offizielle Reaktion von Tamedia. Schliesslich hat das Unternehmen – logo – einen «Newsroom», wo wichtige Medienmitteilungen platziert werden. Zum Beispiel «Erfolgreicher Start für Swiss Ad Impact». Das will der Journalist natürlich wissen. Aber unter dem Datum 13. November steht nur: «Offenes Rennen bei Autobahnausbau und Efas …», was ja nun auch nicht brennend interessiert. Der Design Director verpisst sich nach kurzer Zeit? Ach, lieber totschweigen.

Was das wieder gekostet hat, so neben allen dringend nötigen Sparmassnahmen. Eigentlich sollten die beiden Weiber, die seinen Zugang bejubelt haben, nun als Strafaufgabe seinen Abgang begründen müssen. Aber Lobhudeleien werden immer gerne raustrompetet, die lange Reihe des eigenen Versagens wird hingegen mit vornehmem Schweigen übergangen.

Hinzu kommt zumindest bei Birrer noch eine Allergie gegen Kritik. Denn dass die Chefredaktion höchstselbst ein Schreibverbot gegen ZACKBUM-Redaktor René Zeyer ausspricht, ist dermassen sackschwach, dass man sich nicht vorstellen mag, wie unterwürfig der Tonfall innerhalb der Redaktion sein muss. Dabei hat die Chefredaktion einen gewichtigen Abgang zu verzeichnen; dermassen erleichtert, könnte sie doch inzwischen souveräner mit Kritik umgehen.

Zum Beispiel mit dieser: was tut eigentlich ein Chief Product Officer so den ganzen Tag, wenn er nicht gerade einen Zugang bejubelt und einen Abgang verschweigt? Was tut eigentlich eine Chefredaktorin den ganzen Tag, wenn der Leser gegen ein verunglücktes neues Online-Design tobt? Einen verunglückten Kommentar im Nachhinein zu den US-Wahlen schreiben, das kann doch nicht abendfüllend sein.

Ein Bravo gebührt allerdings Weyres. Der hat sich völlig zu Recht gesagt: take the money and run. And fly.