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Was macht eigentlich Föderl-Schmid?

SZ, Plagiat, Gekeife. Stille Rückkehr.

Wie keifte «Tages-Anzeiger»-Oberchefredaktorin Raphaela Birrer: «Nach Plagiatsvorwürfen hat eine bekannte Journalistin offensichtlich versucht, sich das Leben zu nehmen. Es ist das Resultat einer Treibjagd durch den Online-Mob.»

Natürlich gilt damals wie heute die Unschuldsvermutung; allerdings galt für Birrer die Schuldvermutung gegenüber all denjenigen, die der stellvertretenden Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» vorwarfen, fremde Texte ohne Quellenangabe abgeschrieben zu haben. Umgangssprachlich auch als Plagiat bekannt.

Erschwerend kam noch hinzu, dass sich Alexandra Föderl-Schmid selbst als Scharfrichterin aufgeführt hatte und in ihrem Buch «Journalisten müssen supersauber sein» behauptet hatte, bei erwiesenem Abschreiben müsse ein Journalist zurücktreten.

Das tat sie auch – vorläufig. Nachdem man sie zuerst vermisst gemeldet und dann unter einer Brücke aufgefunden hatte.

Allerdings hatte sie auch erwiesenermassen abgeschrieben. Das ist nun ein Problem, nicht nur für Birrer, die ohne alle Fakten zu kennen als schlechtes Beispiel für ihre Redaktion vorpreschte – und dann verstummte.

Der von der SZ in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht versuchte sich in scholastischer Auslegung und in Dehnungsübungen zum Begriff «abschreiben». Denn auch hier kam man nicht umhin, klarzustellen:

«Wir kommen zu dem Schluss, dass Föderl-Schmid für ihre Artikel stellenweise auf Nachrichtenagenturen, quasi-amtliche Quellen und Archivmaterial zurückgegriffen hat, ohne dies auszuweisen

Das wäre dann mal abschreiben, also genau das, was ihr vorgeworfen wurde. Aber bitte, abschreiben ist doch nicht plagiieren:

«Keine Hinweise fanden wir darauf, dass Föderl-Schmid methodisch die journalistische Leistung von anderen in einer Weise kopiert hätte, ohne die ihre eigenen Texte keine Gültigkeit gehabt hätten. Sie ließ es an Transparenz fehlen, hat aber nicht versucht, Übernahmen von Passagen aus anderen Publikationen zu verschleiern.»

Wunderbar, sie hat irgendwie abgeschrieben, aber was sie nicht abschrieb, hätte auch ohne das Abgeschriebene «Gültigkeit» gehabt. Hä? Ausserdem habe sie nicht «verschleiert». Hä? Sie hat also offenbar pfadengrad abgeschrieben und sich nicht einmal die Mühe gemacht, das Abgeschriebene etwas zu mixen.

Nach dieser Verunklarung geht der «Untersuchungsbericht» auf die Wurzel des Problems ein:

«Ausgelöst wurde dies durch einen Bericht des Branchendienstes Medieninsider, der elf Textpassagen aus drei Artikeln von Föderl-Schmid veröffentlicht hatte, die weitgehend mit Passagen aus anderen Publikationen übereinstimmten, ohne dass sie diese als Quellen genannt hatte.»

Hoppla. Aber: «Er sprach allerdings weder von „Plagiat“ noch von „Skandal“.» Das taten dann erst «das vom Ex-Bild-Chefredakteur geführte Onlineportal Nius sowie der Salzburger Kommunikationswissenschaftler und selbsternannte „Plagiatsjäger“ Stefan Weber».

Diese selbsternannten Schweinebacken und Jäger gingen noch weiter: «Die Autorin suggeriere per Autorenzeile und Ortsangabe, dass sie von vor Ort berichte, unterschlage dabei jedoch, dass sie mit Agenturmaterial und Versatzstücken aus anderen Medien arbeite

Nun muss sich die Untersuchungskommission erst mal erholen und erzählt langfädig von öffentlichen Angriffen, einer «dramatischen Suchaktion», ihrem «Arbeitsauftrag» und ihrer «Vorgehensweise». Zu der gehörte offenbar nicht, Julian Reichelt oder Stefan Weber in die Untersuchung einzubeziehen. Wozu auch, da das Resultat von Anfang an festgestanden haben dürfte.

Nun folgt eine nochmals langfädige Erklärung, was ein Plagiat eigentlich sei. Wer das ohne einzuschlafen überlebt, wird Schritt für Schritt auf die rabulistische Erklärung hingeführt, wieso Föderl-Schmid zwar erwiesenermaßen x-mal und umfangreich abgeschrieben hat, aber:

«Es wäre unverhältnismäßig, aufgrund fehlender Agenturhinweise ein Plagiat zu unterstellen. Auch anderswo werden „zusammengerührte Agenturtexte“ gern als eigenständige Autorenstücke verkauft, getreu dem Motto: Für die Agenturen haben wir bezahlt, also können wir damit machen, was wir wollen. Da ist die SZ kein Einzelfall.»

Das ist das tollste in einer ganzen Reihe von Vernebelungsargumenten: machen doch alle so, nicht nur in der SZ. Aber dann wird das Untersuchungsteam einen Moment lang ganz streng: «Manche dieser Übereinstimmungen irritieren

Aber gemach, die Dame war einfach überfordert:

«Eine stellvertretende Chefredakteurin, die den Newsdesk mit leitet und zugleich als Autorin ständig in Erscheinung tritt, mag für einen Verlag die perfekte Arbeitnehmerin sein, durchzuhalten ist ein solches Pensum nicht.»

Damit hätte sich das Gefälligkeitsgutachten endlich auf Seite 13 zur Schlussfolgerung mäandriert:

«Insgesamt betrachtet ist dieser Fall weit entfernt von einem Plagiatsskandal. Wer Föderl-Schmid vorwirft, sie habe systematisch und in großem Umfang plagiiert, versteht nicht, wie tagesaktueller Journalismus funktioniert.» Und noch ein klares Wort zum Schluss: «Eine Redaktion zu sehr mit Vorschriften einzuengen, bloß um Wortgleichheiten zu vermeiden, wäre dem Journalismus nicht wirklich dienlich.»

Damit haben die Autoren Steffen Klusmann, Henriette Löwisch und Prof. Dr. Klaus Meier ihren Ruf hübsch bekleckert, wenn sie einen hätten. Übertroffen werden sie dabei nur noch von Birrer.

Denn die Autoren sagen im Klartext: wer plagiieren im Tagesjournalismus kritisiert, hat eben keine Ahnung, dass da ständig plagiiert wird. Das per Vorschrift (als ob es nicht schon ohne Vorschrift unanständig und falsch wäre) zu verbieten, würde diesem Plagiatsjournalismus nicht dienen. Allerdings.

Inzwischen wird Föderl-Schmid wieder an den Redaktionsalltag herangeführt. Nicht mehr als Mitglied der Chefredaktion, aber doch als Leiterin des Nachrichtendesks.

ZACKBUM fasst zusammen: Schwein muss der Mensch haben. Er wird glasklar des unanständigen Kopierens ohne Quellenangabe überführt. Aber dann nimmt das Thema Reichelt auf. Darauf wird eine «dramatische Rettungsaktion» nötig, ein Weisswäschergutachten verfasst, alle Kritiker als Hetzer, Mobber und überhaupt Schweinebacken verunglimpft. Schliesslich ist Föderl-Schmid eine Frau, was auch ungemein hilft.

Auch sie darf nun fröhlich verkünden: was geht mich mein dummes Geschwätz von gestern über «blitzsaubere Journalisten» an. Nichts.

Kollateralschaden: wie immer die Glaubwürdigkeit der SZ und von Tamedia.

 

Die SZ und der Plagiatsverdacht

Wieso schweigt Tamedia zu einem brisanten Problem?

«Hetzjagd auf eine Journalistin», so lehnte sich die Oberchefredaktorin Raphaela Birrer in Verteidigung ihrer Kollegin Alexandra Föderl-Schmid aus dem Fenster. Die stellvertretende Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung», von der Tamedia grosse Teile seines Inhalts übernimmt, «hat offensichtlich versucht, sich das Leben zu nehmen», war sich Birrer sicher, obwohl das nie bestätigt wurde.

Vielleicht hätte sie sich ein Beispiel an der aus der Schweiz importierten Quotenchefredaktorin Judith Wittwer nehmen sollen. Die schweigt bis heute eisern zu den Vorwürfen, dass Föderl-Schmid kräftig in ihren Texten plagiert haben soll.

Seither ist bei Tamedia Ruhe im Karton, in Deutschland verlagerte sich die Debatte mehr in die Richtung, dass der Plagiatsjäger und Ankläger Stefan Weber aus pekuniären Gründen eine Hetzjagd veranstaltet habe.

Aber auch das ist verstummt, seit er bekanntgab, dass die Vizechefin mindestens 34 SZ-Artikel teilplagiert habe. So habe sie einen taz-Kommentar fast eins zu eins kopiert. Auch wörtliche Zitate aus zurückliegenden Reportagen, wie beispielsweise des «Spiegel», seien ihr nachzuweisen.

Nicht nur Tamedia ist verstummt, auch in Deutschland herrscht eisiges Schweigen. Einzig die FAZ wagte es, darauf hinzuweisen, dass nun die SZ-Kommission, die untersucht, Kontakt zu Weber aufgenommen habe, nachdem der weitere Fundstücke publiziert hatte.

Offenbar wird es mit «untersuchen, aussitzen, kübeln» schwieriger. Je mehr sich der Verdacht verdichtet, dass Föderl-Schmid tatsächlich häufiger abgekupfert hat, desto peinlicher wirkt die Parteinahme von Birrer. Der SZ-Vizechefin, die immer noch ruht, fliegt derweil der Titel ihres Buchs um die Ohren: «Journalisten müssen supersauber sein». Bei erwiesenem Abschreiben müsste ein Journalist zurücktreten, dekretiert sie dort.

Es kann nun passieren, dass in der Hitze des Gefechts oder bei Schreibstau ein Journalist findet, dass es doch erlaubt sein müsse, mal da und dort eine Anlehnung zu machen, merkt doch keiner. Es ist schwer zu definieren, wo da die Schwelle zum Entlassungsgrund liegt. Aber gibt es tatsächlich mehr als 34 Plagiatsfunde in ihren Texten, dann wird sie Opfer ihrer eigenen Ankündigung. Dann handelt es sich eben doch nicht um eine «Hetzjagd», wie auch die Chefredaktion der SZ am Anfang markig verkündete.

Und einmal mehr erhebt sich die Frage, wie es denn um die Fehlerkultur auf Redaktionen bestellt ist. Dort gibt es doch immer genügend Scharfrichter, die auch das kleinste Fehlverhalten – vorzugsweise politisch unliebsamer Personen – streng verurteilen und nie müde werden, personelle Konsequenzen zu fordern. Aber wenn es mal eine der Ihren trifft, dann werden die Reihen geschlossen, es wird zurückgekeilt, der Ankläger zum Angeklagten gemacht, und völlig uninformierte Helfershelfer wie Birrer brabbeln etwas von «Hetzjagd».

Früher mal sollte ein Chefredaktor (das gilt auch für weibliche) ein Vorbild sein, vor allem bei seinen öffentlichen Äusserungen. Tempi passati, offensichtlich.

Raphaela Birrer, die Letzte

Es bleibt noch etwas nachzutragen.

Die Tamedia-Oberchefredaktorin ist offensichtlich als Quotenfrau in diese Postion gerutscht. Denn Kompetenz und Qualifikation können es, gleich wie bei der nach München exportierten Judith Wittwer, sicher nicht gewesen sein.

Wer daran noch Zweifel hatte: die wurden mit ihrem Kommentar-Durchfall «Hetzjagd auf eine Journalistin» ausgeräumt, eine Philippika gegen die angeblich ungerechte Kritik an der stellvertretenden Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid vom Schwesterblatt «Süddeutsche Zeitung».

Deren möglicher Suizidversuch sei «das Resultat einer Treibjagd durch den Online-Mob», weiss Birrer. Sie klopft sich selbst auf die Schulter, dass Tamedia ein ihr zugesandtes Gutachten des Plagiatsjägers Stefan Weber über die Dissertation einer SVP-Nationalrätin nicht veröffentlicht habe. Als aber die Kollegen von der SZ breit und hämisch über einen Plagiatsverdacht bei der Dissertation der AfD-Politikerin Alice Weidel berichteten (was sich dann als Humbug erwies), schwieg Birrer vornehm.

Auch die missglückte SZ-Hetzjagd auf den bayerischen Politiker Hubert Aiwanger von den Freien Wählern (die legten dann bei den Wahlen zu) war Birrer kein Wort der Kritik wert. Und wie steht es eigentlich mit dem umfangreichen Inhalt, den Tamedia per copy/paste und ß zu ss von der Süddeutschen übernimmt, ohne das dem Leser gegenüber auszuweisen? Ist bezahltes und daher erlaubtes Abschreiben kein Plagiat?

Oder erinnern wir an die Affäre Valérie Dittli. Der damals frischgewählten Waadtländer Finanzdirektorin wurde zuerst vom Radio, dann vom Tamedia-Organ «24 Heures» vorgeworfen, sie habe bei den Steuern getrickst und kurze Zeit ihren Doktortitel zu Unrecht getragen. Auch Tamedia beteiligte sich an der Hatz: «Erst als Politiker-Sensation gefeiert, nun in der Krise», bollerte der einschlägig bekannte Philippe Reichen los. «Wegen früherem Steuersitz in der Kritik», «Regierungsrätin zahlte ihre Steuern in Zug statt in der Waadt», legte er dann nach, inzwischen hatte die Kampagne bereits den Titel «Steueraffäre und Valérie Dittli» bekommen. Und dann noch: sie «dürfte ihren Doktortitel noch gar nicht verwenden».

Zusammenfassend: Schlitzohr, ist Finanzdirektorin, versteuert aber in der Oase Zug und verwendet einen akademischen Titel zu Unrecht. Affäre, Skandal. Dann aber: «Gutachten entlastet Waadtländer Regierungsrätin», muss Reichen knirschend einräumen. Denn: «Das entspreche auch der Steuerpraxis der Schweizer Gemeinden und der Rechtsprechung», resümiert der unabhängige Gutachter. Dass man einen Doktortitel nicht vor der Publikation der Dissertation verwenden darf, wer weiss das schon? Jemand ohne Doktor sicher nicht.

Aber hat sich Tamedia für diesen aufgeblasenen Furz jemals entschuldigt? Für diese mediale Hetzkampagne, wie das Birrer nennen würde, wäre es nicht im eigenen Haus passiert? Blöde Frage.

Richtig lachhaft sind zwei weitere Aussagen von Birrer: «Dazu muss man wissen: Weber fertigt gegen Geld Gutachten zu akademischen Arbeiten an.» Himmels willen, statt dass er diesen Dienst an der Allgemeinheit gratis verrichtet, so wie Birrer auf den grössten Teil ihres üppigen Gehalts als Oberchefredaktorin verzichtet.

Aber sie kann sich noch steigern und führt die «Analyse der österreichischen Journalistin Barbara Tóth» an, die «sämtliche … beanstandete Textstellen nach wissenschaftlichen Kriterien untersucht» habe. Es gäbe zwar «einige wenige ärgerliche Ungenaugigkeiten», zitiert Birrer die «Falter»-Journalistin, aber es handle sich um eine «eigenständige und verdienstvolle Arbeit». Tóth bezeichnet sich dabei einleitend als «promovierte Historikerin (und Begutachterin von Masterarbeiten an der FH Wien)». Das ist eine Fachhochschule, keine Universität.

Der ZACKBUM-Autor ist ebenfalls promoviert, küss die Hand, gnä Frau, hat Allgemeine Geschichte studiert und auch schon begutachtet. Trotzdem würde er sich ausserstande sehen, eine Dissertation darauf zu untersuchen, ob sie allen wissenschaftlichen Massstäben genügt.

Welche «wissenschaftlichen Kriterien» Tóth dabei angewendet haben will, das geht weder aus deren Artikel in der österreichischen WoZ, noch aus der Meinungs-Diarrhöe von Birrer hervor. Wie wissenschaftlich unvoreingenommen Tóth ist, kann man ihren übrigen Artikeln zur Affäre Föderl-Schmid entnehmen. An ihrer Position lässt Tóth keinen Zweifel aufkommen: «Frau, kritisch, exponiert – diese Kombination ist für die Far-Right-Bewegung und ihre Portale ein ideales Feindbild», schrieb sie im ersten Wutanfall. Als sich die Plattform «nius» erfrechte, auch die Dissertation von Föderl-Schmid einer Prüfung zu unterziehen, trat sie nochmals nach: «Radikale Portale wie «Nius» geben vor, Journalismus zu machen. Tun sie aber nicht

Tóth muss einräumen, dass ihr der Kritiker Weber auf Anfrage sofort sein Gutachten vollumfänglich zustellte. Mit welcher Methodik und welchen angeblich wissenschaftlichen Kriterien sie selbst die Dissertation von Föderl-Schmid untersucht haben will, das enthüllt Tóth hingegen nicht. Das hat mit «wissenschaftlich» so viel zu tun wie eine Kuh mit Quantenphysik.

Ein paar Duftnoten aus Tóths sonstiger, nicht gerade wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Thema: «rechte Kampagnenportale … verunglimpft worden … digitale Treibjagd … völlig unzutreffendes Urteil … Fehler passieren … immenser Output als «Playing Captain» …» usw.

Dann aber schreibt Tóth etwas, was sich Birrer unbedingt zu Herzen nehmen sollte: «Journalismus heißt, Behauptungen nie ungeprüft zu übernehmen.» Das könnte sich Tamedia doch endlich mal bei seinen ungezählten Schmierenkampagnen hinter die Ohren schreiben, wo aus gestohlenen Geschäftsunterlagen ganze Räuberpistolen herausgemolken und grossspurig als «Papers», «Leaks» oder «Secrets» verkauft werden. Allzu oft soll das zu einem Skandal aufgepumpt werden, der dann «keiner wurde», wie einer der beteiligten Pumper schon mal frustriert bemerkte.

ZACKBUM fasst zusammen: könnte Birrer Latein, wüsste sie: si tacuisses, philosophus mansisses. Lässt sich aber googeln. Was wohl die Belegschaft von einer Oberchefredaktorin hält, die sich ohne Not dermassen lächerlich macht? Und wie lange schaut die obere Chefetage diesem Trauerspiel noch zu?

 

Birrer brabbelt

Hätte die Oberchefredaktorin Tamedia doch besser geschwiegen.

Zunächst ist der Fall noch alles andere als abgeschlossen. «Hetzjagd auf eine Journalistin» zu titeln, die Vermutung zu äussern, sie habe sich das Leben nehmen wollen, was sich dann im Text zu «hat offensichtlich versucht, sich das Leben zu nehmen» verfestigt – so etwas zu kommentieren, ist tollkühn. Um es höflich zu formulieren.

Raphaela Birrer hätte sich doch ein Beispiel an ihrer Kollegin Judith Wittwer nehmen sollen. Die aus der Schweiz importierte Quoten-Chefredakteurin der «Süddeutschen Zeitung» hat bislang keinen öffentlichen Ton zur Affäre um ihre Stellvertreterin Alexandra Föderl-Schmid gesagt oder geschrieben. Anteilnahme, gar Verteidigung? Ach was, so weit geht dann die Sensibilität und das Einfühlungsvermögen nicht.

Aber Birrer wirft sich tapfer in die Schlacht. Sie nennt ihren Meinungskommentar «Analyse». Wohl um nicht selbst Opfer ihrer eigenen einleitenden Verurteilung zu werden: «Sie ist die Seuche unserer digitalen Gesellschaft: die Meinungsdiarrhoe.» Was meint nun Birrer, welcher Durchfall plagt sie?

Die «im ganzen deutschsprachigen Raum bekannte Journalistin» habe sich nach Plagiatsvorwürfen entleiben wollen. Schön, dass eine Oberchefredaktorin auf solch dünner Faktenlage ausrutscht und einbricht, das sollte vorbildlich für ihre Untergebenen sein. Man weiss nix Genaues, na und, einfach mal draufhauen.

Allerdings muss dazu zunächst ein lustiger Slalom hingelegt werden: «Die Journalistin räumte Fehler ein. Es ist möglich, dass ihr in der mittlerweile von der SZ angestossenen Untersuchung weitere Plagiate nachgewiesen werden können.» Also haben sich die Vorwürfe bewahrheitet, wurden von Föderl-Schmid selbst bestätigt. Aber: «Selbst wenn die Verfehlungen ein grösseres Ausmass haben sollten: Das rechtfertigt nicht die digitale Hetze, der Föderl-Schmid zuletzt ausgesetzt war.»

Verstehen wir Birrer richtig? Selbst wenn die stellvertretende Chefredaktorin, die mit vernichtenden und schneidenden Urteilen und Besserwissereien immer schnell zur Hand war, reihenweise plagiert haben sollte, selbst ihre Dissertation wissenschaftlichen Massstäben des korrekten Zitierens nicht entspräche, was soll’s?

Statt an dieser angeblichen Hetze auf Föderl-Schmid teilzunehmen, hetzt Birrer lieber gegen den «bekannten «Plagiatsjäger» Stefan Weber». Der wurde nämlich von der Newsplattform des ehemaligen «Bild»-Chefredaktors Julian Reichelt damit beauftragt, die Doktorarbeit von Föderl-Schmid zu untersuchen. Wieso nicht? Pfuibäh, meint Birrer: «Dazu muss man wissen: Weber fertigt gegen Geld Gutachten zu akademischen Arbeiten an. Das Geschäftsmodell dürfte einträglich sein; Webers Analysen bringen regelmässig prominente Personen in Schwierigkeiten. Häufig erfolgen seine Anschuldigungen allerdings zu Unrecht.»

Das liegt nun allerdings höchstens im Streubereich der Wahrheit. Denn in der langen Liste der Personen, denen Weber Plagiate vorgeworfen hat, gibt es nur wenige Fälle, wo sich seine Behauptungen nicht erhärten liessen. Gelegentlich war die wissenschaftliche Institution, die den Titel verliehen hatte, einfach nicht bereit, ihn wegen den von Weber aufgedeckten Unsauberkeiten abzuerkennen. Im Fall der deutschen Aussenministerin Annalena Baerbock, in deren Buch ihr Weber in mehr als 100 Stellen nachwies, wortgleiche oder teilweise wortgleiche Sätze aus anderen Texten verwendet zu haben, führte die Kritik nicht nur zu ihrem Rückzug als Kanzlerkandidatin; sie nahm das Buch nach den Bundestagswahlen aus dem Handel.

Nichtsdestotrotz behauptet Birrer pauschal: «In dieser Debatte – und bei solchen Gutachten – geht es längst nicht mehr um intellektuelle Redlichkeit oder universitäre Standards. Es geht um politische Motive, Rachefeldzüge, Rufmord.» Nein, es geht um ausreichend belegte Vorwürfe, die zu einer Aberkennung des Titels führen – und nicht ausreichende.

Nun habe laut Birrer eine andere Journalistin «sämtliche der in Föderl-Schmids Dissertation beanstandeten Textstellen nach wissenschaftlichen Kriterien untersucht und kommt zum Schluss, dass es «einige wenige ärgerliche Ungenauigkeiten» gebe, es sich ansonsten aber um eine «eigenständige und verdienstvolle Arbeit» handle». Na und? Ist diese Journalistin in irgend einer Form qualifizierter als Weber? Gibt es irgend einen Grund, wieso ihre Meinung seiner überlegen sein soll? Dumm auch: «Eine offizielle Prüfung der Universität Salzburg, um die Föderl-Schmid selber gebeten hatte, steht noch aus.»

Dann kommt die abschliessende «Analyse» Birrers: «Die Meinungen sind gemacht, davon wird nicht abgewichen. Die Undifferenziertheit und die Empörung im Fall Föderl-Schmid: Sie liefern unfreiwilligen Anschauungsunterricht für die degenerative Entwicklung digitaler Debatten. Und sie verdeutlichen, dass es im Moment schwierig bis unmöglich ist, Diskussionen – wie hier zu wissenschaftlichen oder journalistischen Standards – nüchtern zu führen.»

Zunächst einmal: sich darüber zu beschweren, dass der digitale Mob überall tobt, ist nun wirklich zum Gähnen. Jeder, der in der öffentlichen Debatte steht, hat das schon erlebt. Unter dem Schutz der Anonymität wird gepöbelt, gekeift, gekreischt, gerempelt, verleumdet und getobt. Das gibt es überall, auch bei ZACKBUM. Aber nicht auf ZACKBUM. Und was (auch von Tagi-Journalisten) auf Twitter und anderswo über den geistigen und körperlichen Zustand des ZACKBUM-Redaktors geblubbert wird, das sind doch völlig unerhebliche Fürze.

Dass aber Tamedia bei der Ausschlachtung von gestohlenen Geschäftsunterlagen schon mehrfach Rufmord betrieb, es sei nur an die Hetze gegen den verstorbenen Gunter Sachs oder gegen einen dadurch ruinierten schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann erinnert, veranstaltet unter anderen von Christian Brönnimann, das ist und bleibt eine echte Schweinerei. Weil sich in diesen Fällen (und nicht nur in diesen) herausstellte, dass alle angedeuteten und juristisch abwattierten Insinuationen, Anschuldigungen und Behauptungen als haltlos, falsch, unrichtig herausstellten.

Hier haben sich Journalisten wiederholt zu Anklägern, Scharfrichtern und Exekutoren des eigenen Urteils aufgeschwungen, eine unerträgliche Usurpation.

Um diesen Wildwuchs in ihrem eigenen Biotop müsste sich Birrer vielleicht kümmern. Und dafür zu einer Affäre schweigen, die noch lange nicht zu Ende ist. Beides würde ihrem eigenen Image guttun.