Wie deutsch soll Tamedia sein?

Zwangsgermanisierung als Abokiller.

«Anne Wills letzte Sendung». Das ist eine deutsche Talkshow, eine der vielen deutschen Talkshows. Deren Moderatorin hört nach 16 Jahren auf und hat sich für die letzte Sendung den deutschen Vizekanzler Robert Habeck und den iranisch-deutschen Publizisten Navid Kermani eingeladen. Dieses Ereignis beschreibt der deutsche Feuilleton-Journalist Cornelius Pollmer für die «Süddeutsche Zeitung».

Und der Schweizer Qualitätsmedienkonzern Tamedia erfreut mit dieser innerdeutschen Angelegenheit seine Leserschaft in allen Kopfblättern.

««Schiesst nicht», ruft der Israeli, dann tötet ihn die eigene Armee». Das berichtet der Korrespondent der SZ aus Tel Aviv für seine bayerischen Leser. Und Tamedia setzt es den Schweizer Lesern vor.

«Venezuela sagt Ja zu Teil-Annexion Guyanas». Nein, ausnahmsweise kein aus der SZ übernommener Artikel. Der stammt von der SDA. Ebenso wie die zweite Auslandmeldung «20’000 Menschen demonstrieren in Brüssel». Ebenso wie die dritte Auslandmeldung «Huthi-Rebellen greifen erneut Handelsschiffe an».

Bei den «Meinungen» macht sich Christoph Koopmann Gedanken darüber, wie man auf TikTok jugendlichen Nutzern bei Propaganda zum Krieg in Gaza helfen könne. Der SZ-Redaktor Koopmann.

Die Breaking News «Billie Eilish bestätigt: Ich liebe Frauen» stammt wiederum nicht aus der SZ. Sondern, richtig geraten, von der SDA.

Auch das Coronavirus erfreut sich der Aufmerksamkeit von Tamedia. «Kleinkinder profitieren zum Teil von der Pandemie», weiss die Wissens-Redakteurin Vera Schroeder. Das gibt sie als SZ-Mitarbeiterin kund, schwups, landet sie damit auch bei Tamedia. Der Frage, «wie es zu den vielen Lungenentzündungen» in China komme, geht Lea Sahay nach. Genau, die Korrespondentin der SZ.

Doppelt recycelt wird auf der Homepage des «Tages-Anzeiger» der Nonsens-Artikel «Mit den Liebsten reden – obwohl sie tot sind». Der fand seinen Weg von der SZ in die «SonntagsZeitung» und von dort auf die Homepage des Tagi.

Der Artikel «Schneechaos in Bayern: Verkehr weiterhin gestört» ist sicherlich aus der SZ. Falsch geraten, er wurde von der SDA übernommen. Aber das ist doch die SZ: «Deutscher Tourist bei Messerangriff getötet»? Nein, der ist von der AFP.

Apropos Tourismus, wie wäre es mit «Einmal durchpusten, bitte!» Richtig, der etwas teutonische Titel macht Werbung für die «deutsche Ostseeküste im Winter». Ein naheliegendes Reiseziel für Deutsche, beschrieben von der SZ-Redaktorin Ingrid Brunner, mit herzlichen Grüssen aus dem Spardepartement von Tamedia.

Mal wieder im Ernst, lieber Herr Supino. Bei allem Verständnis für die Kosten einer Villa, von Segelbooten, Kunstsammlungen und dem Stopfen vieler hungriger Mäuler des Coninx-Clans: Können Sie dafür wirklich ohne rot zu werden bis zu 759 Franken im Jahr verlangen? Ja? Trotz Sonderdividende? Oder gerade wegen? Oder macht sich so der unter Ihrer Leitung vergeigte Kampf gegen das Referendum um die Subventionsmilliarde bemerkbar?

Aber mal Hand aufs Herz. Massenentlassungen, Abbau, bis es quietscht, die wenigen verbliebenen Mitarbeiter suhlen sich in Selbstbespiegelung, Bauchnabelbetrachtung und erteilen der Welt Ratschläge, die sie nicht braucht, während immer mehr vom «Content» einfach von Ticker-Agenturen und der SZ stammt – halten Sie den Leser wirklich für so blöd?

Halten Sie das Geschäftsmodell «immer mehr zahlen für immer weniger» für nachhaltig? Zukunftsträchtig? Kennen Sie einen anderen Dienstleister oder Hersteller eines Produkts, der ebenfalls diesen Kamikazekurs fährt?

Oder anders gefragt: wann macht der Letzte im Glashaus an der Werdstrasse das Licht aus?

 

6 Kommentare
  1. Thierry
    Thierry sagte:

    Ist leider so. Und bezüglich «Der stammt von der SDA»: Die SDA bekommt alle ihre Auslandungsmeldungen seit ein paar Jahren von der DPA aus Berlin. Immerhin nicht München 🙂

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  2. Manfred
    Manfred sagte:

    Die Beobachtung, dass TA mittlerweile zu einem Satelliten der SZ geworden ist, ist ja ok. ‹Zwangsgermanisierung› ist in diesem Zusammenhang aber ein vollig überflüssiges Spiel mit nationalistischen Ressentiments. Btw. Discount im Detailhandel ist auch kein ‹deutsches Geschäftmodell›.

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    • Ast
      Ast sagte:

      Lieber Manfred, denke damit müssen Sie leben. Nicht alles bierernst nehmen und über sich selbst lachen hilft im Notfall auch. Sind Sie froh, dass Sie nicht Journalist sind… und hier noch die freie Rede bzw. Schreibe gilt.

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    • Victor Brunner
      Victor Brunner sagte:

      Der Begriff ist berechtigt. Die LeserInnen wurden nie gefragt ob sie im ersten Bund vorwiegend recyceltes aus München lesen wollen! Es ist Zwangsgermanisierung zugunsten der Dividenden für die Coninx, einst Garant für eine anspruchsvolle Zeitung!

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  3. Victor Brunner
    Victor Brunner sagte:

    Billie Eilish hat präzisiert, sie liebt Frauen und Männer. Dumm von SDA (mit Steuergeldern finanziert) und TA wenn man dem copy-paste Journalismus frönt.,

    TA ohne «germanischen» Support wäre nur noch ein durchschnittliches Regionalblatt, wobei der Anspruch der pflegeleichten Chefredaktorin ein anderer ist, «Ich möchte den Tagi konsequent als nationales Leitmedium im Qualitätsjournalismus positionieren». Immerhin das Leitmedium vermittelt uns heute mit Münchner Hilfe und professoraler Unterstützung aus Leipzig das wir keine Schweine sind (Männer) wenn wir die Unterwäsche nicht täglich wechseln müssen. Dafür bedankt sich die Zeitung indem sie grosse Werbung macht für die anstehenden Konzerte des deutschen Künstlers Helge Schneider, Printausgabe Hälfte der Titelseite. Einige Gratistickets für die Redaktion bestimmt inbegriffen.

    Wenn man in die Führungsetage schaut dann erstaunt der Kurs des TA nicht: Konstantin Richter, Peppel-Schulz, Müller von…, Meckel, der deutsch «Input» ist gegenwärtig, dazu kommt noch Judith Wittwer die TA Abgesandte in München!

    Bei der Printausgabe lautet die erste Zeile auf der Titelseite immer noch «Die unabhängige Schweizer Tageszeitung». Der Anspruch taugt nicht einmal mehr als schlechter Witz!

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  4. Slavica Bernhard
    Slavica Bernhard sagte:

    Bei Lidl und Aldi funktioniert das deutsche Geschäftsmodell bestens! Die SZ müsste nur eine sehr kleine Schweizer Redaktion aufbauen, dass «ß» killt der Computer und bei Tagi kann das Licht gelöscht werden!

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