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Wie deutsch soll Tamedia sein?

Zwangsgermanisierung als Abokiller.

«Anne Wills letzte Sendung». Das ist eine deutsche Talkshow, eine der vielen deutschen Talkshows. Deren Moderatorin hört nach 16 Jahren auf und hat sich für die letzte Sendung den deutschen Vizekanzler Robert Habeck und den iranisch-deutschen Publizisten Navid Kermani eingeladen. Dieses Ereignis beschreibt der deutsche Feuilleton-Journalist Cornelius Pollmer für die «Süddeutsche Zeitung».

Und der Schweizer Qualitätsmedienkonzern Tamedia erfreut mit dieser innerdeutschen Angelegenheit seine Leserschaft in allen Kopfblättern.

««Schiesst nicht», ruft der Israeli, dann tötet ihn die eigene Armee». Das berichtet der Korrespondent der SZ aus Tel Aviv für seine bayerischen Leser. Und Tamedia setzt es den Schweizer Lesern vor.

«Venezuela sagt Ja zu Teil-Annexion Guyanas». Nein, ausnahmsweise kein aus der SZ übernommener Artikel. Der stammt von der SDA. Ebenso wie die zweite Auslandmeldung «20’000 Menschen demonstrieren in Brüssel». Ebenso wie die dritte Auslandmeldung «Huthi-Rebellen greifen erneut Handelsschiffe an».

Bei den «Meinungen» macht sich Christoph Koopmann Gedanken darüber, wie man auf TikTok jugendlichen Nutzern bei Propaganda zum Krieg in Gaza helfen könne. Der SZ-Redaktor Koopmann.

Die Breaking News «Billie Eilish bestätigt: Ich liebe Frauen» stammt wiederum nicht aus der SZ. Sondern, richtig geraten, von der SDA.

Auch das Coronavirus erfreut sich der Aufmerksamkeit von Tamedia. «Kleinkinder profitieren zum Teil von der Pandemie», weiss die Wissens-Redakteurin Vera Schroeder. Das gibt sie als SZ-Mitarbeiterin kund, schwups, landet sie damit auch bei Tamedia. Der Frage, «wie es zu den vielen Lungenentzündungen» in China komme, geht Lea Sahay nach. Genau, die Korrespondentin der SZ.

Doppelt recycelt wird auf der Homepage des «Tages-Anzeiger» der Nonsens-Artikel «Mit den Liebsten reden – obwohl sie tot sind». Der fand seinen Weg von der SZ in die «SonntagsZeitung» und von dort auf die Homepage des Tagi.

Der Artikel «Schneechaos in Bayern: Verkehr weiterhin gestört» ist sicherlich aus der SZ. Falsch geraten, er wurde von der SDA übernommen. Aber das ist doch die SZ: «Deutscher Tourist bei Messerangriff getötet»? Nein, der ist von der AFP.

Apropos Tourismus, wie wäre es mit «Einmal durchpusten, bitte!» Richtig, der etwas teutonische Titel macht Werbung für die «deutsche Ostseeküste im Winter». Ein naheliegendes Reiseziel für Deutsche, beschrieben von der SZ-Redaktorin Ingrid Brunner, mit herzlichen Grüssen aus dem Spardepartement von Tamedia.

Mal wieder im Ernst, lieber Herr Supino. Bei allem Verständnis für die Kosten einer Villa, von Segelbooten, Kunstsammlungen und dem Stopfen vieler hungriger Mäuler des Coninx-Clans: Können Sie dafür wirklich ohne rot zu werden bis zu 759 Franken im Jahr verlangen? Ja? Trotz Sonderdividende? Oder gerade wegen? Oder macht sich so der unter Ihrer Leitung vergeigte Kampf gegen das Referendum um die Subventionsmilliarde bemerkbar?

Aber mal Hand aufs Herz. Massenentlassungen, Abbau, bis es quietscht, die wenigen verbliebenen Mitarbeiter suhlen sich in Selbstbespiegelung, Bauchnabelbetrachtung und erteilen der Welt Ratschläge, die sie nicht braucht, während immer mehr vom «Content» einfach von Ticker-Agenturen und der SZ stammt – halten Sie den Leser wirklich für so blöd?

Halten Sie das Geschäftsmodell «immer mehr zahlen für immer weniger» für nachhaltig? Zukunftsträchtig? Kennen Sie einen anderen Dienstleister oder Hersteller eines Produkts, der ebenfalls diesen Kamikazekurs fährt?

Oder anders gefragt: wann macht der Letzte im Glashaus an der Werdstrasse das Licht aus?

 

Menschliche Kopierer

Dem Apparat kann man keine Vorwürfe machen.

Denn genau das ist die Aufgabe eines Kopierers. Ein möglichst originalgetreues Abbild eines Originals herstellen. Werden Journalisten zu Kopierern, sieht’s etwas anders aus.

Es gibt die niedrigste Form der Kopie: die Übernahme fremder Texte. Integral, teilweise, geschüttelt, gequirlt, Wort für Wort. Erfolgt das ohne Quellenangabe, ist’s eine Schweinerei.

Die nächste Stufe ist die Übernahme mit. Zum Beispiel hier bei Tamedia:

Dem Leser des «SonntagsBlick» kommt das nicht unbekannt vor:

Nein, Autor «mae» (gilt da nomen est omen für Malte Aeberli?) erwähnt aufrecht, dass er das dem SoBli abgeschaut hat.

Peinlicher wird es allerdings, dass «mae» der Einfachheit halber ganze Passagen aus dem SoBli übernimmt, ohne das auszuzeichnen. Zum Beispiel; so lautet es im Original:

«Dort heisst es: «Die Betreuung basiert auf den Grundprinzipien der Scientology-Religion und den Erziehungsprinzipien von L. Ron Hubbard.» Hubbard ist der hochumstrittene Gründer der Sekte. Laut Handelsregister ist die Kita in erster Linie für Kinder reserviert …»

Das Echo im Tagi:

«Dort heisst es: «Die Betreuung basiert auf den Grundprinzipien der Scientology-Religion und den Erziehungsprinzipien von L. Ron Hubbard.» Hubbard ist der hochumstrittene Gründer der Sekte. Laut Handelsregister ist die Kita in erster Linie für Kinder reserviert …»

Oder, Original: «Scientology sieht sich international seit Jahren mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Die Sekte sei totalitär, antidemokratisch, und wer einmal Mitglied ist, finde nur noch schwer hinaus. Die Scientology-Bewegung streitet das ab.»

Das Echo: «Scientology sieht sich international seit Jahren mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Die Sekte sei totalitär, antidemokratisch, und wer einmal Mitglied sei, finde nur noch schwer hinaus. Die Scientology-Bewegung streitet das ab

Wobei es dann textidentisch weiter und weiter geht. Sogar Zwischentitel übernimmt «mae» der Einfachheit halber. Original:

«Wir berücksichtigen die staatlichen Vorgaben»
Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet Scientology seit 1997. Schon vor Jahren kam dieser zum Schluss …»
Kopie: «Wir berücksichtigen die staatlichen Vorgaben»
Der deutsche Verfassungsschutz beobachtet Scientology seit 1997. Schon vor Jahren kam dieser zum Schluss …»
Nun könnte man sagen, dass der SoBli-Text halt dermassen toll geschrieben und aufgebaut sei, dass es dem armen «mae» gar nicht möglich war, das besser oder anders zu formulieren.
Es ist aber doch die Frage erlaubt, ob der Tamedia-Leser für sein Geld nicht etwas mehr erwarten könnte. Als dass ihm nicht nur eine Fremdstory serviert wird, eigener Aufwand bei Tamedia null, sondern dass per copy/paste auch viele Passagen des Fremdartikels einfach übernommen werden.
Da wäre es doch ehrlicher, dem Leser reinen Wein einzuschenken: am Sonntag sind wir sowieso unterbesetzt und nicht wirklich in Arbeitslaune. Ist sonst nix los, übernehmen wir halt Fremdartikel. Holen wir die aus internationalen Medien samt Übersetzung, dann machen wir sowieso copy/paste, und wenn wir in Stimmung sind, gibt’s sogar einen Hinweis auf das Original (muss aber nicht sein). Nun machen wir das Gleiche bei Schweizer Medien. Aber wer rechnet denn schon damit, dass jemand SoBli und Tagi aufmerksam liest.
So nebenbei: eine KI hätte das sicher besser hingekriegt …
Solche Schlaumeiereien, Schlampigkeiten sind einer der vielen Sargnägel für die Mainstream-Medien. Oder sagten wir das schon?

 

 

Medien als Gerüchteküche

Die Medien hecheln allem nach.

Der Finanzblog «Inside Paradeplatz» platzierte am frühen Nachmittag des 8. Juni einen Knaller: «Will State Street die Credit Suisse kaufen?» Basierend auf den Informationen eines «Insiders» wolle der US-Finanzmulti ein freundliches Übernahmegebot abgeben: «Der Preis liege bei 9 Franken pro Titel, sagt ein Insider auf dem Platz Zürich. Der Aufpreis um gut 40 Prozent gegenüber den aktuellen 6.30 Franken würde die CS mit 23 Milliarden bewerten.»

Vorsichtig endete Lukas Hässig: «Ob es zu einem Deal kommt, bleibt ungewiss, auch wenn die Quelle über gute Beziehungen auf dem Finanzplatz verfügt. Solche Informationen sind naturgemäss ungesichert.»

Daraufhin spielte sich Unglaubliches ab. Obwohl die CS gerade mal wieder eine Gewinnwarnung veröffentlicht hatte, was den Aktienkurs nicht dramatisch, aber leicht in den Keller schickte, zog er nach dieser Meldung wieder an.

«Cash» hechelt hinterher.

Die gesamte Fachpresse echote die Information von IP. Nach der Devise: Wenn’s nur ein Scherz ist, sind wir ja nicht dran schuld, also können wir ohne Hemmungen ein paar Klicks damit generieren.

Die NZZ hechelt hinterher.

Die «Handelszeitung» fasste die Kapriolen zusammen: «Am Vortag hatten CS zunächst zeitweise bis zu über 7 Prozent verloren, nachdem die Bank am Morgen einen Verlust für das zweite Quartal angekündigt hatte. Am Mittwochnachmittag vollzogen die Aktien dann einen Kurssprung und schlossen 3,8 Prozent im Plus.»

Tamedia hechelt hinterher.

Natürlich beschränkten sich sowohl State Street wie die CS auf ein «no comment». Was freie Bahn für weitere Spekulationen ermöglichte.

Eigentlich gibt es gewisse Regeln, was börsenrelevante Meldungen betrifft. Eigentlich wäre es ein Zeichen von Seriosität, wenn man eine Meldung, die auf den Angaben eines angeblichen «Insider» beruht, nicht gleich raustrompeten würde. Ganz abgesehen davon, dass dieses Gerücht nicht von IP erfunden wurde, sondern schon länger herumgeistert.

Aber der heutige Zustand der klickgetriebenen Online-Medien erlaubt solche Nachdenklichkeit natürlich nicht. Zwei Kommentatoren auf IP haben die beiden wichtigsten Aspekte der Angelegenheit perfekt zusammengefasst.

Kommentator eins:

«Denke, der Insider hat heute Mittag Call-Optionen auf CS gekauft und dann dieses Märchen erfunden. Damit will er dann in die Ferien.»

Schwer zu toppen, aber dieser Kommentar ist auch nicht schlecht:

«Neuestes Gerücht: IP wird die CS übernehmen!
VRP: Lukas Hässig
CEO: Hans Geiger
CFO: Beni Frenkel
Chief Communications: Klaus J. Stöhlker»

ZACKBUM hofft, mit dieser Prognose keine neue Spekulationswelle auszulösen.

Viertes Sanktionspaket der EU

So geht’s halt: die Schweiz übernimmt und übernimmt.

Eisen, Stahl und Luxusgüter. So könnte man die Massnahmen des inzwischen vierten Sanktionspakets der EU zusammenfassen. Plus der Entzug des Meistbegünstigtenstatus und die Erweiterung der sogenannten Oligarchenliste.

Was schon beim gescheiterten Rahmenvertrag ein Problem darstellte, manifestiert sich hier deutlich. Mitgegangen, mitgefangen. Wer einmal Sanktionen der EU übernimmt, muss auch alle weiteren automatisch nachvollziehen.

Hier geht es um ein fast vollständiges Verbot jeglicher Transaktionen mit 12 bedeutenden russischen Staatsbetrieben wie Gasprom oder Rosneft. Allerdings, neckisch, der Erwerb «fossiler Energieträger», sowie von Titan, Aluminium etc. ist ausgenommen. Man will ja schon sanktionieren, aber bitte in der warmen Stube.

Köstlich ist auch ein Ausfuhrverbot für Luxusgüter, also

Luxusautos, Schmuck, Haushaltsgegenstände, Porzellan, Elektrogeräte, Bekleidung und Taschen, Lebensmittel und Alkoholika, reinrassige Zuchttiere.

Viel souveräner handhaben das die USA. Deren Sanktionen sind schlichtweg weltweit gültig und verbindlich. Denn eigentlich jeder (und jede) verwendet entweder US-Dollar oder Produktebestandteile oder Technologien made in USA. Und im Zweifelsfall hat man ja eine Filiale im Land of the Free, und was da eine vertiefte Prüfung der hygienischen Zustände samt Werksschliessung alles anrichten könnte …

Wie sagte EU-Präsidenten Ursula von der Leyen pompös: «Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten, sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen.»

Nehmt das, ihr Kriegsmaschinenwarte. Chanel, Rolex, Gucci, Single Malt, Meissen, Dysonfön, könnt ihr euch alles abschminken. Fertig mit Versace, der Brioni muss aufgebügelt werden, die Louboutins ausgetragen.

Kein Nachschub für Oligarchinnen …

Wer nach einem Beispiel sucht, um das Wort lachhaft zu illustrieren …

 

 

Wumms: Arthur Rutishauser

In den Treibsand kommentiert.

Der Oberchefredaktor von Tamedia ist im Herzen Wirtschaftsjournalist geblieben. Aber das Herz schlägt nur noch leise unter dicken Schichten von Management, Vincenz-Bashing und Entschuldigungen schreiben.

Natürlich muss Rutishauser auch etwas zum unaufhaltsamen Niedergang der Credit Suisse sagen. Das hätte er besser gelassen: «Die Credit Suisse ist eine Übernahmekandidatin». Eine Reaktion auf den Milliardenverlust im Jahr 2021, auf anhaltende Probleme, Skandale, Rechtsfälle. Rutishauser schliesst: «Bleibt abzuwarten, wer zuschlagen will.»

Ernste Miene zu schlimmem Spiel: Thomas Gottstein.

Nein, da können wir lange warten; die CS ist definitiv keine Übernahmekandidatin. Da sie «too big to fail» ist, also systemrelevant, würde hier die Schweizer Regierung ein gewichtiges Wörtchen mitreden, was die Bank zu einer sehr unattraktiven Braut macht. Dazu kommt: eine Bank wird nicht umsonst an der Börse nur mit der Hälfte ihres Buchwerts gehandelt.

Das hat zwei Gründe. Das Investment-Banking performt unterirdisch schlecht und hat ein Value at Risk von 875 Milliarden Franken, also eine beeindruckende Risiko-Blase, aufgepumpt.

Der zweite Grund ist die Mitgift, die von der CS in eine Fusion eingebracht würde. Wobei das Wort Gift zutrifft. Selbst die genauste Due Diligence könnte nicht zutage fördern, welche Leichen die Bank noch im Keller vergraben hat. Wer in solch unablässiger Folge Skandale und Rechtshändel verursacht, seit der grössten Busse für eine ausländische Bank im Steuerstreit mit den USA, der wird nicht mal mit der Beisszange angefasst.

Also ist die CS ganz sicher kein Übernahmekandidat, und niemand wird zuschlagen. Ausser, der Bund zwingt die UBS dazu, diesen Frosch zu küssen, der sich dann in eine Kröte verwandeln wird.

Papagei Tamedia

Leser als Masochisten? Sie zahlen, um gequält zu werden.

Beim Thema Ukraine gibt es deutsche Blickwinkel und Schweizer. Die unterscheiden sich überraschenderweise deutlich.

Es gibt auch innerhalb Deutschlands verschiedene Meinungen zur Frage, wie massiv oder gar militärisch sich Deutschland dort engagieren soll. Nicht nur aus historischen Gründen, sondern auch wegen wirtschaftlichen Verflechtungen, Stichwort Gaspipeline Nordstream 2.

Womit wir beim ehemaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder wären. Der wechselte vom Kanzleramt recht nahtlos in den Aufsichtsrat der russischen Nord Stream AG. Und nun wurde bekannt, dass er dieses Mandat um eine gleiche Position bei Gazprom erweitern wird.

Das ist der grösste russische Konzern, zudem nicht gerade staatsfern. Zu all dem hat die «Süddeutsche Zeitung» eine klare Meinung. Mit dem Zitat «Unangenehm und geschmacklos» überschreiben die beiden Berlin-Korrespondenten der SZ ihren Artikel vom 4. Februar.

Am 6. Februar dürfen die Abonnenten der Tamedia-Blätter lesen: «Gerhard Schröder hat leider Halt und Anstand verloren». Das ist der haargenau gleiche Artikel der gleichen Autoren, lediglich das Zitat bei der SZ wurde durch das Zitat des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ersetzt.

Worin bestand sonst noch die Arbeit der Tamedia-Auslandredaktion? Anderes Schröder-Bild genommen, Lead leicht angepasst, im Lauftext zwei, drei allzu innerdeutsche Keifereien gestrichen. Natürlich nicht das Kurzitat von Schröder, dass er Forderungen nach deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine als «Säbelrasseln» kritisierte.

Was man alles kann, wenn man deutsche Leser in Deutschland füttert

Man kann den Bundeskanzler der ruhigen Hand, der sich immerhin einer deutschen Teilnahme am Irak-Desaster der USA verweigerte, nun als geldgierigen und skrupellosen Altpolitiker anrempeln. Man kann auch der Leserschaft ausführlich referieren, was politische Opponenten der SPD und Gegner des Ex-Kanzlers alles so erzählen.

Man kann auch folgenden historischen Exkurs machen:

«Schaut man genauer hin, dann ist die Lage für Scholz und seine SPD heute sogar schlimmer als 2005. Damals war Schröders Wechsel vom Kanzler zum Lobbyisten vor allem ein innersozialdemokratisches, vielleicht auch ein innerdeutsches Problem. Diesmal schaut die ganze Welt zu, wie die neue deutsche Regierung sich gibt.»

Man stellt fest, dass der Deutsche es bis heute liebt, sich im Gefühl zu sonnen, dass die «ganze Welt» zuschaue, wenn im Berliner Provinztheater auf der Bühne etwas geholzt wird.

Aber es stellt sich anhand dieses Beispiels mal wieder verschärft die Frage, wozu eigentlich ein Abonnent des «Tages-Anzeigers» (oder eines der vielen Kopfblätter) Geld dafür ausgeben soll, um mit innerdeutschen Meinungen über innerdeutsche Konflikte behelligt zu werden. Der Schnarch-Verlag Ringier hält sich aus dieser Debatte wohlweisslich heraus, weil dort Schröder immer noch als «Berater» auf der Payroll steht.

CH Media hingegen leistet sich zwar nur zwei Auslandredaktoren, dafür aber noch ein paar Korrespondenten. Daher berichtet Christoph Reichmuth aus Berlin und eher aus Schweizer Perspektive. Währenddessen kümmert sich der Berliner Korrespondent von Tamedia, Dominique Eigenmann, gezwungenermassen um den Polizistenmord, der nun aber, bei aller Tragik, ebenfalls ein sehr deutsches Thema ist.

Wenn die Sauce in die Sauce schwappt

Die Sauce der Süddeutschen schwappt ja in der Einheitssauce von Tamedia inzwischen auch in andere Bereiche wie Gesellschaft oder Kultur. Lediglich Nationales oder Schweizerisches wird noch aus eigenen Kräften bestrahlt. Allerdings nicht immer mit glücklicher Hand, wie die Entschuldigungsorgie wegen eines verunglückten Politikerporträts beweist.

Rund zwei Stutz pro Tag kostet die Zudröhnung mit allem, was Tamedia zu bieten hat. Ist nicht alle Welt, läppert sich aber doch.

Daraus entsteht dann ein putziges Problem, wie der Deutsche sagen würde. Weil Tamedia seine Leser zunehmend quält  und nicht allzu viele bekennende Masochisten sind – nimmt die Zahl der Zahlungswilligen kontinuierlich ab. Dadurch nimmt die Qualität des Gebotenen kontinuierlich ab.

Wobei dann eins zum anderen führt. Es gäbe nun zwei Auswege, eigentlich drei.

  1. Das Produkt mangels kostendeckender Nachfrage einstellen
  2. Das Produkt attraktiver machen, um die Nachfrage zu steigern
  3. Staatshilfe erbetteln

Variante eins wäre der Weg der Textil- und Schwerindustrie in der Schweiz. Konnte man sich in der Ostschweiz, in Winterthur und Zürich nicht vorstellen. Inzwischen erinnert sich kaum noch einer dran, dass in Maschinenhallen mal etwas anderes existierte als schicke Kultur- und Gastronomieangebote.

Variante zwei wäre das, was die wenigen Überlebenden der damaligen Zeitenwende taten. Das bedeutete aber, den Finger aus gewissen Körperöffnungen zu nehmen, Guzzi zu geben und innovativ zu werden.

Variante drei wurde damals auch versucht, allerdings glücklicherweise erfolglos.

 

Weisswurst statt Züri Geschnetzeltes

Was bekommt man für Fr. 4.20 vom «Tages-Anzeiger» serviert?

Montag, 15. November 2021. 32 Seiten bietet der «Tages-Anzeiger» seinen Lesern, die sich am Kiosk dafür vom Gegenwert eines Café Creme trennen müssen.

Damit folgt das Qualitätsmedium dem etwas nach Realsozialismus riechenden Prinzip: Leistung, Wert und Preis haben keinerlei Zusammenhang. Weniger Leistung, gleicher Preis: na und?

Eigenleistung im Lokalen und etwas in der Innenpolitik. Und beim Kommentieren, klar. Aber sonst? Klimagipfel in Glasgow? Das erledigt Michael Bauchmüller von der «Süddeutschen». Etwas Feuilleton über «Gute reiche, böse Reiche»? Sebastian Herrmann, SZ, ist zur Stelle und füllt die Tagi-Seite. Rehash, was Donald Trump alles am 6. Januar dieses Jahres plante, um die Macht doch nicht abgeben zu müssen? Fabian Fellmann greift zum Griffel. Immerhin, ein Tagi-Gewächs.

Allerdings: bis vor Kurzem war er noch Bundeshausredaktor zu Bern; die USA-Korrespondentenstelle hat er erst vor wenigen Monaten angetreten. Da ist alles natürlich noch ganz neu und anders für ihn, da fängt er mit einem sicheren Wert an: Trump eins in die Fresse, das liest man doch immer wieder gerne.

Viele lässliche Sünden, aber auch schwere Vergehen

Das alles sind aber noch lässlich Sünden; wir kommen zum Höhe- und Tiefpunkt. Seite 25, man hat das Dünnblatt schon fast durch, bleibt man beim Aufmacher von «Kultur & Gesellschaft» hängen. Gut, es hätte schlimmer kommen können, aber Nora Zukker hat nichts geschrieben.

Weisswurst. Bayerisch. Schmackhaft. In Bayern. In der SZ.

Stattdessen Julia Rothaas. Richtig, Autorin der Süddeutschen. Die schreibt über Stephanie Huber. Deren Porträt schmückt auch fast eine halbe Seite, um die sich dann ein Text rankt. Hubers Mann starb unerwartet an einem Herzinfarkt. Seither muss sich Witwe Huber um zwei Kinder, eine Firma und ein Eigenheim kümmern. Bedauerlich, unser Beileid.

Das Schicksal einer Frau aus Deutschland. Teil der Tagi-Kultur.

Nur: Ihr Mann starb 2013. Im Schwäbischen. Daraufhin zieht sie anderswohin in Bayern. Baute sich dort ein neues Leben auf. Etwas sprunghaft und wirr von Rothaas beschrieben, die das Klavier der erfolgreich absolvierten Trauerarbeit in D-Moll und dann in G-Dur spielt. Ein Porträt eines Menschen und wie der mit einem Schicksalsschlag umgeht.

Was hat das mit der Schweizer Lebenswelt zu tun?

Was hat das allerdings mit der Lebenswelt, mit den Erfahrungen in der Schweiz zu tun? Gibt es hier keine solchen Fälle? Wäre der Leser des «Tages-Anzeiger» (und dem angeschlossenen runden Dutzend Kopfblätter) nicht empathischer, wenn sich die Story in einer ihm bekannten und vertrauten Umgebung abspielen würde?

Sicher, das Problem bei diesem Kopfblatt-Elend mit Zentralredaktion ist: dem Berner ist der Basler nicht gerade ans Herz gewachsen, und den Zürcher mag eh keiner ausserhalb von Zürich, den Thunern gehen alle diese Städte schwer am Allerwertesten vorbei. Aber eine solche Nahaufnahme müsste eine Eigenleistung eines Kultur- und Gesellschaftsteils sein, der diesen Namen verdient.

Das müsste allerdings Bestandteil einer Tageszeitung sein, die den Namen Qualitätsmedium verdiente. Diese Tageszeitung müsste einen erkennbaren Nutzwert bieten, eine Leistung, die Fr. 4.20 wenigstens ansatzweise entspricht.

Worin besteht der Gegenwert für Fr. 4.20?

Diese Eigenleistung müsste vor allem im überall gleichen Mantelteil erfolgen, der sowieso schon die unterschiedlichsten Regionen mit der gleichen Einheitssauce beliefert. Also dann wenn schon Züri Geschnetzltes. Aber keine Weisswürste. Wobei es eigentlich noch schlimmer ist. Es gibt nicht mal bayerische Spezialitäten. Sondern McDonald’s. Fast Food. Aber was da funktioniert – immer das Gleiche, dafür schnell und billig – funktioniert bei einer Tageszeitung überhaupt nicht.

Nicht mal dafür reicht’s bei Tamedia.

Wer solche Leere bietet, dafür noch Steuersubventionen bekommt und sich eine weitere Milliarde mischeln will, ist schon nassforsch. Deutlicher gesagt: unverschämt. Auf 32 Seiten wird das Totenglöcklein des authentischen und eigenständigen Journalismus geläutet. Alle hören das, nur die Totengräber selber nicht.

Die kommentieren und fabulieren und beurteilen weiterhin, als würde das noch wirklich interessieren. Bis sie dann die nächste Sparrunde ereilt und ein neuer Kindersoldat mit grossen Augen und ernsthafter Kindlichkeit der Welt, den Menschen und seinen Mitbürgern ungefragt Ratschläge erteilt. Und schon früh verbittert und vergreist, weil sich kein Schwein dafür mehr interessiert.

Rieter: ein Knäuel gesponnen?

Eine Medienmitteilung über einen Ankauf, business as usual. Aber mit einem Knaller drin.

Rieter übernimmt drei Geschäftszweige von Saurer. Das ist – ausserhalb von sehr interessierten Kreisen – echt gähn. Von sehr überschaubarem Newswert. Aber die Forsetzung der Medienmitteilung überhaupt nicht:

«Im Verlauf der beschriebenen Transaktion kam es zu schwerwiegenden Verletzun­gen der gesetzlichen Treuepflicht, der Pflicht zur Wahrung von Geschäftsgeheim­nissen sowie des Code of Conduct von Rieter durch die beiden Verwaltungsrats­mitglieder Luc Tack und Stefaan Haspeslagh. Sie haben verwaltungsratsinterne Informationen dazu benutzt, von Rieter geführte Verhandlungen durch ein eigenes Angebot zu konkurrenzieren

Die Strafandrohung folgt auf dem Fuss:

«Daher beabsichtigt der Verwaltungsrat der Rieter Holding AG, eine ausserordentliche Generalversammlung einzuberufen, an der seine Mitglieder Luc Tack und Stefaan Haspeslagh abberufen werden sollen.

Zum Schutz der Interessen von Rieter wird der Verwaltungsrat Strafanzeige gegen die beiden Verwaltungsräte einreichen.»

Das nennt man mal Klartext. In der bis 1795 zurückreichenden Geschichte vom Textilmaschinenbauer dürfte es kaum je eine solche öffentliche Mitteilung gegeben haben.

Lange Tradition, wechselhaftes Schicksal.

Denn normalerweise werkelt der Konzern mit über 5000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund einer Milliarde Franken still und leise vor sich hin.

Stefaan Haspeslagh (links) und Luc Tac: Bösewichte?

Übernahmen, Krisen, Erholung, Probleme. Das Übliche in der arg gebeutelten Schweizer Maschinenindustrie halt. Noch im April hing der Himmel voller Geigen mit den beiden neuen VR-Mitgliedern; vor der ordentlichen GV schwärmte der VR-Präsident:

«Rieter heisst den neuen Grossaktionär Picanol willkommen. Luc Tack, Mehrheits­aktionär und CEO von Picanol, ist seit vier Jahren Mitglied des Verwaltungsrats von Rieter. Stefaan Haspeslagh zeichnet sich durch eine breite, internationale Führungserfahrung im Textilumfeld aus und ist in der Industrie sehr gut vernetzt.», erklärte Verwaltungsratspräsident Bernhard Jucker.

Auskünfte werden nur sehr schmallippig erteilt

Inzwischen hört sich das alles entschieden verkniffener an. In einer Telco-Pressekonferenz, die am Montagmorgen angesetzt wurde, hielt man sich bei Rieter sehr bedeckt, was Auskünfte über die beiden in Ungnade gefallenen VR-Mitglieder betrifft. Immerhin, in der PM hiess es noch, eine Strafanzeige werde eingereicht, inzwischen sei das getan worden, antwortet Rieter auf eine Frage von ZACKBUM.

Simple Skizze, im Vergleich zur heutigen Geschäftswelt.

Die beiden angeschuldigten VR seien nun – nach Ausstand auf eigenen Wunsch – wieder bei Meetings dabei, als einer von ihnen im Frühling warmherzig begrüsst wurde, sei das natürlich noch nicht absehbar gewesen.

Keinerlei Auskünfte will Rieter über allfällige Belege oder Beweise erteilen, die seien den Strafverfolgungsbehörden übergeben worden und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Ebenso wenig will Rieter etwas dazu sagen, was sein Grossaktionär, der von diesen beiden Noch-VR vertreten wird, davon hält. Und schliesslich sei auch der Begriff «Unschuldsvermutung» nichts, was Rieter anwenden müsse. Näheres werde dann an der ausserordentlichen GV erklärt, die noch dieses Jahr stattfinden soll und an der dann die beiden VR abgewählt werden sollen.

Wie geht’s nach dem Erstschlag weiter?

Falls sich dafür eine Mehrheit unter den Shareholdern finden wird, muss man hinzufügen. Die Werke von Saurer wurden aus einer Insolvenz herausgekauft, was auch ein Schlaglicht auf die rauen Sitten und Zustände im Maschinenbusiness wirft. Aber bei der Gelegenheit gleich zwei eigene VR öffentlich in die Pfanne zu hauen, das ist schon ein recht einmaliger Vorgang. Zumal die 10 Prozent des Aktienkapitals von Rieter repräsentieren.

Natürlich ziehen sich die Schweizer Medien auch hier am liebsten auf die Ticker-Meldungen von SDA zurück; besser als allenfalls Lücken in den eigenen Kenntnissen über das Funktionieren eines VR preiszugeben …

Für die Rieter-Angestellten ist zu wünschen, dass der VR – immerhin besetzt mit so Schwergewichten wie Peter Spuhler – weiss, was er tut. Das letzte Mal, als ein VR-Präsident die Vertreter eines Grossaktionärs vor die Türe stellte, kam das nicht gut.

So stellt man sich die Zukunft von Rieter vor.

Sunrise-VR-Präsident Peter Kurer wollte nicht als Versager von der Bildfläche verschwinden, sondern sich ein Denkmal setzen, indem er UPC Schweiz aufkaufen wollte. Dagegen war aber sein deutscher Grossaktionär Freenet, mit guten Argumenten. Kurer entledigte sich deren, indem er die Freenet-Vertreter aus dem VR kübelte, möglicher Interessenskonflikt.

Das endete dann unschön. Die Fusions-GV wurde in letzter Sekunde abgesagt, die Fusion auch, Kurer erklärte seinen Rücktritt. Die ganze Übung hatte einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet, für nix. Und wenig später verkündete UPC, dass die Firma nun ihrerseits Sunrise schlucken werde.

Natürlich, das war Telekommunikation und nicht das Spinnen von Garnen. Man wird sehen, wie gross die Unterschiede sind.

Picanol weist alle Vorwürfe zurück

Picanol hat sich inzwischen eindeutig mit einer eigenen PM zu Wort gemeldet. Man «bedauere zutiefst» die Mitteilung von Rieter und die angekündigten Schritte. Picanol habe im Rahmen einer langjährigen Zusammenarbeit mit Saurer tatsächlich nach Lösungen für die finanziellen Probleme dieser Einheiten gesucht und eine Kredit von 20 Millionen Euro gesprochen, ohne sich damit allerdings Vorkaufsrechte zu sichern.

Im Gegenteil: «Als er von den finanziellen Problemen bei Saurer erfuhr, hatte Luc Tack auch den CEO von Rieter darüber informiert, dass dies auch eine Chance darstellen könnte, Rieter durch den Erwerb bestimmter Anteile weiter zu stärken. Luc Tack und Stefaan Haspeslagh haben bei der Beratung oder Entscheidungsfindung in dieser Angelegenheit jederzeit die im Rahmen eines möglichen Interessenkonflikts geltenden Governance-Regeln respektiert.»

Hört sich deutlich anders an als die knallharte PM von Rieter. Klarer Fall von: einer von beiden sagt nicht die Wahrheit