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Chefredaktor sucht Zeitung

Wie geht’s dem Qualitäts-Irgendwas am Sonntag?

Was macht Arthur Rutishauser, ein Chefredaktor ohne Redaktion, mit seiner SoZ? Er erfüllt tapfer eine Mission impossible. Denn er muss ja sein Blatt mit dem Angebot füllen, das eine demotivierte und vor der nächsten Entlassungswelle (wen’s trifft, ist immer noch nicht bekannt) zitternden Redaktion herstellt. Also Artikel von der Restenrampe. Wo alle, die noch Marktwert haben und etwas können, die meiste Zeit damit verbringen, Fühler auszustrecken und Bewerbungen zu schreiben.

Oder wie Simon Bärtschi das nennen würde: die Weichen für mehr Qualität stellen.

Also gibt’s halt eine «Liebeserklärung an die Kartoffel», ein Skistar rede «so offen wie noch nie», rasend originell sei man in London «unterwegs mit den Locals», weil das vom Touristen überhaupt nicht touristisch ist.

Immerhin, ein respektvolles Interview mit Kurt Aeschbacher über sein Politik-Engagement, dann aber aufgewärmter kalter Kaffee über einen russischen Spion, weil Thomas Knellwolf sein neustes Werk promoten möchte und darf. Immerhin, nach seinem erschütternden Enthüllungsroman «Die Akte Kachelmann» nun ein ewiges Thema, Spionage.

Dann auch, da schäumt die woke Gutmenschenredaktion beim Tagi sicher wieder, «Flüchtlingsfrauen sind sechsmal häufiger von Missbrauch betroffen als Schweizerinnen». Ausser, Schweizerinnen sind mit Menschen mit Migrationshintergrund aus arabisch-fundamentalistischen Ländern verheiratet, mag man hinzufügen.

Aber das ist natürlich eindeutig unsensibel. Schürt Vorurteile. Berücksichtigt den sozio-kulturellen Hintergrund und die Traumatisierung durch Flucht nicht genügend, ist überhaupt diskriminierend und gibt rechtspopulistischen Hetzern Munition in die Hand.

Von einem kläglichen Füller auf «Blick»-Niveau muss man hier sprechen:

Echt jetzt, eine SDA-Meldung, basierend auf einem Polizeibericht? Das soll Qualität sein? Was sagt Bärtschi dazu?

Ähnlich verstörend ist dieser Ganzseiter:

Ist das nicht ein klarer Fall, dass Journalisten Menschen vor sich selbst schützen, statt öffentlich zur Schau stellen sollten? Aber Chris Winteler kennt offenbar solche Hemmungen nicht, und Rutishauser war wohl froh, dass wieder eine Seite gefüllt ist. Aber auch hier hat Bärtschi als publizistische Leiter nicht eingegriffen. War er immer noch ausgelastet, die neuen Werbemöglichkeiten beim Tagi schmackhaft zu machen? Was ja ungemein viel mit publizistischer Qualität zu tun hat.

Auch einem gewichtigen Thema widmet sich die «Wirtschaft»-Neuredaktorin Edith Hollenstein:

Echt jetzt? Geworden? Werbung war doch immer «noch besser und billiger», abgesehen von ein paar wenigen Highlights. Werbung war immer «kauf das, und du hast Freunde, scharfe Frauen und bist glücklich». Naheliegender wäre doch eine andere Frage gewesen: Warum sind die Medien so trivial geworden? Vielleicht, weil die Redaktionen zu Tode gespart werden und dann solche Artikel auf die Front des Wirtschaftsbunds kommen, der mal eine Reputation hatte.

Da helfen selbst die Fleissarbeiten eines Rutishausers nicht, der sich an seinen Lieblingsthemen Vincenz und Ermotti abarbeitet.

Danach hat der Leser wirklich nicht verdient, dass sich Nina Kobelt («sie bildet sich derzeit in Kräuterkunde weiter») der Kartoffel widmet. «Sie kann alles – wirklich alles». Wenn man das von Tamedia-Journalisten nur auch sagen könnte.

Aber es gibt auch Lichtblicke. Echt. Zunächst einmal für Liebhaber fliegender Tiere:

Offenbar war gerade auf keinem Luxus-Liner und in keinem Luxus-Ressort oder -Zug ein Plätzchen frei. Aber nun noch der Höhepunkt der Ausgabe; etwas, was ZACKBUM schon gar nicht mehr erwartet hätte. Etwas Bezahlbares und Volkstümliches auf der Autoseite:

Gut, für die SoZ war das auch kostengünstig; schön im Lead verpackt: «Wir waren mit Chef Klaus Zellner in einem Vorserienmodell auf Probetour.» Auf Deutsch; Skoda übernahm gerne die gesamten Spesen, und der Autor Dave Schneider hätte selbstverständlich auch einen kritischen Bericht schreiben dürfen. Kicher. Nur wäre er dann niemals mehr eingeladen worden.

Eine Meldung und ihre Geschichte

Aus den Niederungen des modernen Qualitätsjournalismus.

Tamedia, das Haus der Qualitätsmedien mit dem unbedingten Anspruch, dorthin die Weichen zu stellen, am liebsten mit Entlassungen, tickert in vollem Bewusstsein seiner staatsbürgerlichen Verantwortung eine kleine Meldung aus dem Nahen Osten:

UN-Hauptquartier im Libanon beschossen – zwei Verletzte
Israelische Truppen haben im Libanon nach Darstellung der Vereinten Nationen das Hauptquartier der UN-Mission Unifil beschossen und dabei mindestens zwei UN-Soldaten verletzt. Ein Panzer der israelischen Armee habe einen UN-Beobachtungsposten direkt getroffen.
Der Beschuss ereignete sich in Nakura im südlichen Grenzgebiet. An der Mittelmeerküste ist es der erste grössere Ort im Libanon nahe der Demarkationslinie mit Israel. Die Unifil-Mission hat hier ihr Hauptquartier. Dieses und die Umgebung seien «wiederholt getroffen» worden, erklärte der Unifil-Sprecher. Die beiden UN-Soldaten seien nicht schwer verletzt, nach dem Angriff aber im Krankenhaus. Ein weiterer israelischer Angriff habe auch den Eingang zu einem Bunker getroffen, in dem UN-Soldaten Schutz gesucht hatten. Dabei seien auch UN-Fahrzeuge und ein Kommunikationssystem beschädigt worden. (SDA)

An diesem schönen Beispiel kann man sich fragen, ob diese Art von Journalismus noch einen Rappen wert ist. Zunächst einmal handelt es sich um eine Tickermeldung der SDA, einer Newsagentur. Eigenleistung Tamedia: null.

Nun könnte man sich  – da ja dafür Geld verlangt wird – eine Eigenleistung von Tamedia vorstellen. Was behaupten die Qualitätsmedien immer? Einordnung, Interpretation, Analyse. Also ein Zusatznutzen, der es verständlich macht, wieso Tamedia für den Konsum seiner Leistung Geld verlangt.

Und zwar nicht zu wenig. Das Angebot «Classic Plus», täglicher Zugang Print und umlimitiert Internet, sieben Tage die Woche, kostet läppische 759 Franken im Jahr.

Das ist nun ein Zehntel eines monatlichen Durchschnittseinkommens eines Schweizers. Also nicht nichts. Oder der Gegenwert von 152 Kaffees, um die Einheit der «Republik» in Ansatz zu bringen.

Dafür kann man vielleicht ein Quentchen Leistung erwarten. Denn überraschenderweise ist es im Kapitalismus so, dass ein kostenpflichtiges Angebot so attraktiv sein muss, dass es eine entsprechende Nachfrage auslöst.

Tamedia, im Sinne Simon Bärtschis, hält es allerdings so, dass es weniger Angebot bei gleichbleibenden Preisen als ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Geschäftsmodell präsentiert.

Nun wäre die von der SDA übernommene Meldung, dass Israel ein neuerliches Kriegsverbrechen begangen hat, durchaus der Analyse und Einordnung wert. Ist die Darstellung der UNO korrekt? Was sagt das israelische Militär dazu? Selbst Kindersoldaten im Newsroom, denen man noch nicht den Zugang zu Internet und Skype beschränkt hat, wären allenfalls in der Lage, dazu noch Mehrwert beizusteuern.

Aber diese kleine Tickermeldung illustriert perfekt: das ist dem Qualitätsorgan Tamedia schlichtweg wurst. Scheissegal. Seine verbleibenden Redaktoren kümmern sich lieber um die Betrachtung des eigenen Bauchnabels, um die genderkorrekte Verwendung der Sprachvergewaltigung, um den Kampf gegen rechts, gegen Rechtspopulismus, Ausgrenzung und Diskriminierung.

Statt um die eigentliche Aufgabe, für die man tatsächlich Geld verlangen könnte. Sind immer weniger Konsumenten verständlicherweise bereit, dafür das Portemonnaie zu öffnen, wird nicht etwa das eigene Versagen hinterfragt. Sondern die Arglist der Zeiten bejammert und direkt oder indirekt Staatssubvention eingefordert.

Es ist schon nassforsch, was der gierige Coninx-Clan hier aufführt. Innerhalb der Holdingstruktur von TX werden alle Geschäftsfelder in einzelne Profitcenter aufgesplittet. Der ursprünglichen Quelle allen Reichtums, den Newsmedien, werden alle mit ihnen gross gewordenen Einkommensgebiete wie Stellen-, Wohnungs- oder Verkaufsanzeiger weggenommen. Dennoch sollen sie weiterhin eine absurde Profitrate erwirtschaften. Ist ein Organ zu erfolgreich, wird «20 Minuten» aus der Medienholding herausgenommen und zu einem eigenen Profitcenter gemacht, damit ja keine Quersubventionen entstehen können. Die geforderte Profitrate kann von einem überforderten Management lediglich durch Skelettierung und unablässige Sparrunden auf Kosten der Qualität und des Inhalts erzielt werden.

Worauf der Coninx-Clan dann sagt: Achtung, Gefahr, die Vierte Gewalt im Staate ist existenzgefährdet, subventioniert sie, damit wir uns weiterhin Luxusvillen und Yachten leisten können.

Gibt es eine Steigerung von absurd?

Wie das «Tagblatt» den Osten beschallt

Einheitssauce aus dem Hause CH Media. Plus bescheidene Eigenleistungen.

Mit «Die Ostschweiz» verschwindet die einzige Alternative zum Einheitsbrei aus Aarau in der Ostschweiz. Dort herrscht das St. Galler Tagblatt mitsamt diversen weiteren Kopfblättern, die sich inhaltlich lediglich durch ein wenig Lokalberichterstattung unterscheiden.

In der Auslandberichterstattung wärmt CH Media, und somit auch das «Tagblatt», gerne alte Storys auf. So zetert Remo Hess aus Brüssel am 5. September:

Immer wieder dieser Orbán, neben Donald Trump der Lieblingsfeind aller woken Schreiber. Kleines Problem dabei: bereits am 30. Juli titelte die «Süddeutsche Zeitung»: «Einfallstor für Putins Gefolgsleute. Viktor Orbán ermöglicht Russen und Belarussen mit Visa-Erleichterungen die Einreise in den Schengen-Raum.»

War knackiger formuliert und fand natürlich sein Echo in den Kopfsalatblättern von Tamedia. Auch die SDA klapperte am 2. August hinterher. Immerhin nau.ch und die SDA meldeten dann die Gegenwehr Ungarns, es «verteidigt Sonderregel für Gastarbeiter». Und am 22. August fasste die NZZ nochmal zusammen: «Visa-Lockerungen als Einfallstor für russische Spione? Ungarn lässt die EU erst zappeln – und dementiert dann formell».

Man kann als mit Fug und Recht sagen, dass dieses Thema abgefrühstückt ist. Gegessen. Erledigt. Nur nicht für das «Tagblatt», dieses Qualitätsorgan.

Welche Qualität legt es denn in der Lokalberichterstattung vor? Eine hohe, im wilden Mischmasch inklusive Anzeige:

Ein exklusiver Einblick in das Haus eines Architektenehepaars, der Gossauer «Benzinpreis-Brecher», die «Top-Autoversicherung», der Bundesrat räume «Fehler bei Corona-Massnahmen» ein. Das Thema wäre vielleicht Gelegenheit für etwas Selbstkritik, denn auch CH Media verfolgte das staatliche Handeln mit unkritischer Distanz und drosch auf «Corona-Leugner» und andere «Aluhut-Träger» kräftig ein. Aber nicht doch.

Dann eine weitere Portion Gemischtes und Gehacktes:

Lehrlinge wandern aus Appenzell ab, Filmfestspiele Venedig, schon wieder die «Top Autoversicherung», der Thurgau soll zur Annahme von Bargeld gezwungen werden, etwas Weissraum, und in Georgia hat ein Teenager vier Menschen an einer Schule getötet. Das nennt man mal eine Handschrift.

Eine eigene Note können Zeitungen durch ihre Kommentare setzen. Leider ist das bei CH Media intellektuell und auch sonst eher überschaubar.

Bruno Knellwolf übt sich in Ausgewogenheit: «Manchen waren die Corona-Massnahmen des Bundes zu streng, anderen zu lasch». Statt ein solches Einerseits-Andererseits zu versprühen, verpasst er wieder einmal die Gelegenheit, Vergangenheitsbewältigung in eigener Sache zu machen. Wie war eigentlich die Berichterstattung von CH Media? Gab es da vielleicht Fehler? Wenn ja, welche? Könnte es sein, dass der zunehmende Vertrauensverlust in die Medien auch darin begründet liegt, dass sie während der Pandemie zu lammfrommen Nachkläffern staatlicher Massnahmen wurden? Wuchs nicht «Die Ostschweiz» gewaltig und überholte sogar das Tagblatt online, weil es einen kritischeren Ansatz fuhr?

Könnte man doch mal kommentieren. Könnte.

Schliesslich erklärt sich noch der Deutschland-Korrespondent Hansjörg Friedrich Müller, den CH Media von der NZZ erbte:

Auch hier ist die Frage, ob es den Leser wirklich auf fast einer Seite interessiert, wieso Müller dieses Adjektiv für die AfD verwendet. Nach einem länglichen Ausflug in die Geschichte und in Stellungnahmen des deutschen Verfassungsschutzes outet sich Müller:

«Der Verfasser dieser Zeilen bezeichnet die AfD manchmal als «rechts», meist aber als «rechtsradikal». Extremistisch wäre sie, wenn sie ein Ende der bestehenden politischen Ordnung anstreben würde. Die Belege dafür erscheinen ihm bisher nicht als ausreichend.»

Dann erklärt Müller, wieso er einen anderen Begriff nicht verwende: «Die Bezeichnung «rechtspopulistisch» empfindet er dagegen als zu harmlos, lässt sie doch eher an einen Politiker wie den Niederländer Geert Wilders denken, der für eine harte Asylpolitik eintritt und sich islamfeindlich äussert, aber nie behaupten würde, ein Mensch afrosurinamischer Abstammung könne kein Niederländer sein. AfD-Politiker nennen eingebürgerte Migranten oft verächtlich «Passdeutsche».

Mit «er» meint er übrigens sich selbst, so als eine Art Distanzierung von sich selbst. Oder wie auch immer. Dann wird es unfreiwillig komisch, denn Müller nimmt sich seine Leser zur Brust:

«Die Bezeichnung der AfD als «rechtsradikal» führt in den meisten Fällen zu energischem Widerspruch aus der Leserschaft: Man habe das Programm der Partei gelesen, heisst es dann in den Zuschriften, dieses stehe doch nicht im Widerspruch zur deutschen Verfassung, die AfD fordere ja auch nichts anderes als die SVP und so weiter. Die Alternative für Deutschland ist aber anders als die SVP. Und eine Partei ist mehr als ihr Programm: Aus den Reihen der AfD sind rassistische Entgleisungen bekannt, die zu zahlreich sind, um als Einzelfälle abgetan werden zu können

Daher: «Es ist die Meinung des Autors. Er steht zu ihr, kann aber damit leben, dass ihm widersprochen wird.»

Also, Müllers Meinung führt nach eigenem Bekunden sehr häufig zu energischem Protest seiner Leser. Offensichtlich teilen die seine Meinung nicht. Bitte, sagt da Müller, es sei aber – wieder dritte Person – «die Meinung des Autors», der wohl Müller heisst. Und wenn die dem Leser nicht passt, nun ja, damit könne er, also Müller, leben. Vielleicht solange, bis zu viele Leser ihrer gegensätzlichen Meinung damit Ausdruck verleihen, dass sie nicht länger bereit sind, für Müllers Meinung zu bezahlen.

Denn, Überraschung, eine Meinung muss man sich auch leisten können.

Böses Erwachen?

Tamedia weidet sich an seiner Grosstat der Bschiss-Story. Wie lange noch?

«Unsere Autoren erzählen, wie sie den Unterschriften-Bschiss enthüllten». Das ist eine entlarvende Schlagzeile. Selbst bei einem solchen Thema darf die Bauchnabelschau nicht fehlen, müssen die Federn gespreizt werden, sind die Boten mindestens so wichtig wie die Botschaft.

«Unterschriften-Bschiss erschüttert die Schweiz», auch da geht es keine Nummer kleiner. Die Behauptung: «Tausende Daten für Initiativen gefälscht». Die davon abgeleitete Vermutung: es kamen Initiativen zur Abstimmung, die möglicherweise gar nicht genügend gültige Unterschriften hatten, um korrekt zustande zu kommen.

Wobei deutlich unterschieden werden muss zwischen gekauften Unterschriften (legal) und gefälschten (illegal).

Das ist, das wäre natürlich tatsächlich ein Skandal. Nun hat aber die  für solche Themen zuständige Bundeskanzlei nach längerem Schweigen eine Stellungnahme veröffentlicht. Die ist ernüchternd für Tamedia in vollem Schuss, daher wird sie zuerst geframt und ins Narrativ eingepasst, wie man moderndeutsch sagt:

«Die nach dem Bekanntwerden von mutmasslichen Unterschriftenfälschungen in die Kritik geratene Bundeskanzlei hat sich erstmals ausführlich zu den Vorfällen geäussert, welche diese Redaktion publiziert hatte.
Mehrere Parlamentsmitglieder und Politologen liessen am Dienstag kein gutes Haar an der Bundeskanzlei
, welche die Unterschriftensammlungen für eidgenössische Volksinitiativen und Referenden prüft. Es sei unverständlich, dass Missstände erst nach einer Tamedia-Recherche ans Licht gekommen seien, lautete der Tenor.»

Nach diesen Watschen weidet Tagi-Redaktor Felix Müller (Karriere bei «Surprise», SRF und nau.ch, seit 2023 «am Desk») eine SDA-Meldung aus, denn hier versagt der eigene Recherchiermuskel. Ein Tausendsassa, zuvor schrieb er noch: eine andere SDA-Meldung zusammen: «Unkontaktierte Indigene töten zwei Holzfäller in Peru». Aber nun Themenwechsel; «Bundeskanzlei erklärt Schweigen mit Diskretion», hämt der Zwischentitel seines neusten Werks. Dann wird die Bundeskanzlei endlich mal zitiert:

«Das Amtsgeheimnis, die Unschuldsvermutung, die laufenden strafrechtlichen Verfahren sowie der Schutz der Abstimmungsfreiheit gebieten es der Bundeskanzlei, die bestehenden Verdachtsfälle diskret zu behandeln.»

Dann weist sie auf ein paar Selbstverständlichkeiten hin:

«Solange die laufenden Strafuntersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann die BK (Bundeskanzlei, Red.) keine gesicherten Aussagen machen über das Ausmass mutmasslicher Unterschriftenfälschungen. Doch ihres Erachtens liegen keine belastbaren Indizien vor für die Vermutung, dass über Vorlagen abgestimmt wurde, die nicht rechtmässig zustande gekommen sind.»

Schliesslich fügt die BK noch hinzu: «Eine selektive Nachkontrolle einzelner Volksinitiativen erscheint nicht gerechtfertigt, allenfalls sogar problematisch. Der rechtliche Spielraum dafür wäre überdies begrenzt.»

Im Übrigen ermittelt die Bundesanwaltschaft bereits seit geraumer Zeit zu diesem Thema. Was nebenbei impliziert: sowohl BK wie BA gehen diesen Vorwürfen seit geraumer Zeit nach, nicht erst nach der Kampagne voN Tamedia.

Offensichtlich hat die Tamedia-Berichterstattung einen Kritisierten auf dem falschen Fuss erwischt. Der Präsident von Incop Franck Tessemo, dessen Firma eine Beteiligung an Unterschriftenfälschungen vorgeworfen wird, ist der Lieblingsprügelknabe von Tamedia – und war in erster Schockstarre nicht zu einer Stellungnahme bereit. Inzwischen hat er sich aber offenbar telefonisch bei den Tamedia-Cracks Christian Brönnimann und Thomas Knellwolf gemeldet. Und streitet alles ab:

«Die Anschuldigungen stammten von Leuten, die ihm und Incop schaden wollten, sagt Tessemo: «Wir haben uns nichts vorzuwerfen.» Hinter allem stecke ein unzufriedener Klient, so behauptet Tessemo. Der Incop-Chef spielt auf die Verantwortlichen der Service-Citoyen-Initiative an, die ihre Erfahrungen mit Incop dokumentiert und Strafanzeigen unter anderem gegen den Verein und Tessemo eingereicht haben.»

Wenn er von einem Betrug erfahre, entlasse er den Unterschriftensammler, behauptet Tessemo. Gleichzeitig scheint er in die USA expandieren zu wollen und hat in Kalifornien eine Firma gegründet. Das bringt die beiden Rechercheure etwas durcheinander. Im Artikel schreiben sie: «Er persönlich (Tessemo, Red.) beabsichtige nicht, in die Vereinigten Staaten umzusiedeln.»

Aber beim Frontanriss auf diese Story lautet der Titel: «Chefsammler meldet sich in der Schweiz ab», und weiter: «Recherchen zeigen, dass sich der Chefsammler just in der Zeit aus Lausanne abmeldete, als die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen intensivierte: Am 14. Mai teilte er der Einwohnerkontrolle der Stadt mit, er ziehe in die USA. Tessemo sagt, es bestehe kein Zusammenhang zum Verfahren.»

Vielleicht hätte es geholfen, Tessemo mit diesen «Recherchen» zu konfrontieren. Aber dann wäre die schöne Schlagzeile futsch gewesen.

Zurzeit ist eher unklar, ob der «Bschiss» wirklich «die ganze Schweiz erschüttert»– und wenn ja, ob zu recht. Wie man die Unschuldsvermutung umdribbelt, zeigt Tamedia mal wieder exemplarisch:

«Trickserei bei Unterschriften Der Präsident der Sammelfirma, die im Visier der Schweizer Ermittler steht, expandiert in die USA.» Das ist mal wieder Demagogie vom Feinsten.

ZACKBUM ist gespannt, ob dieser Skandal – wie so viele vor ihm – wie ein Soufflee zusammenfällt.

Kompetenzzentrum Tagi

Staatliche Behörden entscheiden bezüglich UBS Ungeheuerliches.

«Die UBS muss nach der Übernahme der Credit Suisse keine wettbewerbs­rechtlichen Auflagen erfüllen.» Mit dieser furztrockenen Aussage beginnt das Qualitätsmedium «Tages-Anzeiger» einen Bericht. Nicht, dass man mit eigenen Kräften dazu in der Lage gewesen wäre. Dafür hat es zu wenig Genderproblematik. Also übernimmt das der Tagi von der SDA. Wozu zahlt man schliesslich das Abo beim Newsticker.

Hinter dieser Meldung verbirgt sich aber ein veritabler Skandal. Um den zu verstehen, bräuchte es aber ein Minimum an finanztechnischen Wissen. Worum geht es, in einfachen Worten?

Eigentlich gibt es in der Schweiz eine Wettbewerbskommission (Weko), die dafür zuständig ist, abzuklären, ob eine Elefantenhochzeit dazu führen kann, dass der Wettbewerb nicht mehr gewährleistet ist, sondern ein Markteilnehmer durch seine monopolartige Stellung die Preise diktieren kann. Wie das die UBS bereits tut.

Nun steht in diesem Artikel weiter unten:

«Aus Sicht der Weko haben sich die Anhaltspunkte bestätigt, dass in gewissen Märkten eine marktbeherrschende Stellung der kombinierten Bank begründet oder verstärkt wurde. Die Weko nennt dabei folgende Bereiche: passives Asset Management und Fondsbereich, Global Custody und Anlageklasse Schweizer Immobilien sowie das Corporate Banking für grosse Unternehmen und Unternehmen mit spezifischen Bedürfnissen.»

Zum Beispiel die Fusion Sunrise/Orange: verboten. Ticketcorner/Starticket: verboten. Es leuchtet nun selbst dem Laien ein, dass durch die Tatsache, dass eine der beiden verbliebenen international tätigen Grossbanken die andere schluckt, gravierende Wettbewerbsprobleme entstehen. Denn  auf vielen Gebieten ist die UBS nun der einzige Schweizer Anbieter; die Möglichkeit, bei der CS eine Gegenofferte einzuholen, fällt weg.

Völlig entspannt sieht das hingegen die Finanzmarktaufsicht Finma. Sie «kommt nach einem kartellrechtlichen Kontrollverfahren zum Schluss, dass der Zusammenschluss der beiden Grossbanken den wirksamen Wettbewerb «in keinem Marktsegment» beseitigt».

Die Behörde räumt zwar ein: «Zwar habe die UBS in gewissen Teilsegmenten ihre Marktposition verstärken können.» Gibt aber gleich Entwarnung:  «Die gesetzlichen Voraussetzungen der Fusionskontrolle für einen Eingriff seien aber nicht erfüllt, teilte die Finma am Mittwoch mit. Das Kontrollverfahren sei damit «ohne Bedingungen, Auflagen und weitere Prüfungen» abgeschlossen worden.»

Wobei auch dieses «Kontrollverfahren» ein besserer Witz ist: «Die Finma hatte die Notübernahme der CS durch die UBS nach Kartellgesetz bereits vorzeitig am 19. März 2023 bewilligt. Diese Massnahme sei im Interesse des Gläubigerschutzes erfolgt, betont sie.»

Die ewig gleiche Leier: also eigentlich geht das so nicht, es gibt klare Regeln und Vorschriften und Abläufe. Aber hallo, wir haben hier einen Notfall, die ganze Too-Big-To-Fail-Gesetzgebung haben wir auch in die Tonne getreten, also wieso dann so Pipifax wire die Zustimmung der «Weko» einholen.

Denn: «Bei der Notübernahme der einst zweitgrössten Schweizer Bank durch die UBS wurde ein Mitspracherecht der Schweizer Wettbewerbsbehörden ausgeschlossen. In Fällen, wo es um die Finanzstabilität geht, darf die Finma eine Fusion genehmigen ohne eine Prüfung durch die Weko.»

Frei nach Radio Erwin: im Prinzip nein, aber.

Und was meint die UBS: «Wir werden uns weiterhin für ein dynamisches, wettbewerbsfähiges und faires Umfeld einsetzen.» Selten so gelacht.

Bundesrat und staatliche Behörden tun alles, um das Bettchen für die UBS möglichst bequem aufzuschütteln. Mögliche Leichen im Keller der CS? Ach, für die ersten Milliarden steht der Staat gerade. Mögliche Liquiditätsprobleme? Reichen 250 Milliarden fürs Erste oder soll es noch mehr sein? AT1 Bonds, also Schulden in der Höhe von nominal 16 Milliarden Franken? Ach, die schreiben wir doch per Federstrich auf null ab, im schlimmsten Fall gilt dann Staatshaftung. Können wir noch etwas tun? Oh, die Weko, ja, die kann manchmal recht bissig sein, da ziehen wir ihr doch einfach den Stecker raus.

Ach, und wir gratulieren zum Milliardensondergewinn, weil die UBS die CS zum Schnäppchenpreis von 3 Milliarden fast geschenkt kriegte.

Ist das ein Gemurkse, ein Skandal, ein Sich-Unterwerfen des Staates gegenüber der Monsterbank UBS, deren Umfallen die Schweiz in ihren Grundfesten erschüttern würde.

Schon, aber na und, sagt der Tagi. Gibt es eigentlich nichts Neues von Nemo? Und welches leckere Rezept bietet Elif, als Ergänzung zum Eiersalat à la Mama? Ach, und Komiker «buckeln vor dem Papst», statt knackige Witze zu reissen? Wollten wir das dem alten Mann wirklich antun, dass Hazel Brugger, Mike «Arschloch»-Müller, Patti Basler oder Victor Giacobbo einen ihrer unterirdischen Blödscherze zum Besten geben? Oder wie wär’s mit Sauglattismus: «So erwärmen Sie Ihre Gäste für Eiswürfel. Ein Franken für einen Eiswürfel – wie es gewisse Bars halten: Das muss nicht sein. Hier sind fünf praktische Tipps für die Hingucker im Cocktailglas.»

Von «Inside Paradeplatz» geklaut, lahm weitergedreht. Ein Desaster, der Tagi.

Tagi kann nix

Wie obrigkeitshörig soll’s denn sein?

Der Berner Regierungspräsident und Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) rechnete unter dem Vermerk «Verpflegung» oder «Znüni» ein Bio-Mehrkornbrötli für 95 Rappen ab, eine Banane für 20 Rappen oder ein «Laugenbrezeli mit Butter» für 3.20 Franken. Auch einen Adventskranz über 183 Franken zu «Repräsentationszwecken» verbuchte Müller über die Spesen.

Das ist zwar kein Skandal, aber jämmerlich, knausrig und zeigt einen kleinkarierten Geiz, der an den staatsmännischen Fähigkeiten von Müller zweifeln lässt.

Nun könnte man die Enthüllung vom «Kassensturz» noch etwas vertiefen oder ausweiten. Genügend (noch) beschäftigte Journalisten gäbe es doch.

Stattdessen entblödet sich Tamedia nicht, eine SDA-Tickermeldung ins Blatt zu heben, in der sich der Regierungsrat unwidersprochen mit absurden Behauptungen zur Wehr setzen darf: «Er selber habe nie solche Kleinspesen verrechnet. Aber es gebe diese Spesenbelege – und «wie sie genau in die Spesenbuchhaltung kamen, weiss man nicht». Er übernehme dafür selbstverständlich die Verantwortung – «es war mein Fehler, weil es in meinem Bereich stattfand.»»

Tja, wie kamen denn nun die Pipifaxspesenbelege in die Buchhaltung? Müller behauptet, er selbst habe «nie einen einzigen Spesenzettel für Kleinstspesen abgeliefert». Also hat sie ihm ein übereifriger Mitarbeiter aus dem Portemonnaie gezogen und hinter seinem Rücken abgeliefert? Und als Müller dieser Pipifax erstattet wurde, hat er sich nicht gefragt, was das soll?

Aber nicht nur Müller, auch seine Partei kennt nix. So berichtet SDA und Tamedia übernimmt: «An der Mitgliederversammlung der Stadtpartei gab es zu der Angelegenheit nur eine Wortmeldung: Eine Freisinnige bezeichnete die Medienberichte als «bodenlose Frechheit von Presse, Journalisten und ‹Kassensturz›». Die Frage sei, was man gegen die Leute unternehme, die solches verbreiteten.»

Müller soll staatsmännisch geantwortet haben, dass man das «am Mittwoch in der Regierung» anschaue.

War es bis hierhin nur eine Schmonzette über einen peinlich-geizigen Pünktlischiisser, der ohne jedes Schamgefühl selbst Rappenbeträge vergütet bekommt, wird es hier zu einem Politskandal. Die Rüpelei der Freisinnigen, die aufgeblasene Antwort Müllers, die sei von den FDP-Mitgliedern «mit spontanem Applaus» quittiert worden.

20 Rappen für ein Banane als Spesen einreichen und zurückbekommen. Das ist peinlich.

Behaupten, man könne sich das nicht erklären und habe selber sicher nicht so einen Beleg eingereicht, das könnte für einen Rücktritt reichen, wenn es sich als Unwahrheit herausstellt. Aber dass Parteidelegierte dann nicht ihrem Exponenten die Kappe waschen, sondern die Enthüllung bedenklichen Verhaltens als «bodenlose Frechheit» beschimpfen, das ist mehr als bedenklich. Was meinen diese abgehobenen FDPler eigentlich?

Wohlgemerkt bekommen Müller und seine Miträte zusätzlich zu ihrem üppigen Gehalt noch eine Spesenpauschale von 8000 Franken im Jahr. Müller als Präsident nochmals 6000 Franken obendrauf. Aber selbst die 2000 Franken den Feier-Apero dafür rechnete er separat ab. Dazu kommen Dutzende solcher Kleckerbeträge der Regierungsräte und Tausende von Franken Bewirtungskosten, die eigentlich in diesen Pauschalen abgedeckt sein sollten, aber dennoch separat eingereicht wurden. Was die Frage erhebt, wie und wofür sie denn die 8000, bzw. 14’000 Franken eigentlich ausgeben.

Wird man bei etwas so Peinlichem erwischt und steht mit offenem Hosenschlitz im Scheinwerferlicht, dann sollte man den Anstand haben, rot anzulaufen, sich zu schämen und um Verzeihung zu bitten. Stattdessen schaue man sich an, was man gegen eine solche Berichterstattung unternehmen könne? Und Tamedia bringt diesen Unfug kommentarlos, anstatt tiefer zu bohren?

Sackschwach, peinlich. Für alle Beteiligten.

Wie deutsch soll Tamedia sein?

Zwangsgermanisierung als Abokiller.

«Anne Wills letzte Sendung». Das ist eine deutsche Talkshow, eine der vielen deutschen Talkshows. Deren Moderatorin hört nach 16 Jahren auf und hat sich für die letzte Sendung den deutschen Vizekanzler Robert Habeck und den iranisch-deutschen Publizisten Navid Kermani eingeladen. Dieses Ereignis beschreibt der deutsche Feuilleton-Journalist Cornelius Pollmer für die «Süddeutsche Zeitung».

Und der Schweizer Qualitätsmedienkonzern Tamedia erfreut mit dieser innerdeutschen Angelegenheit seine Leserschaft in allen Kopfblättern.

««Schiesst nicht», ruft der Israeli, dann tötet ihn die eigene Armee». Das berichtet der Korrespondent der SZ aus Tel Aviv für seine bayerischen Leser. Und Tamedia setzt es den Schweizer Lesern vor.

«Venezuela sagt Ja zu Teil-Annexion Guyanas». Nein, ausnahmsweise kein aus der SZ übernommener Artikel. Der stammt von der SDA. Ebenso wie die zweite Auslandmeldung «20’000 Menschen demonstrieren in Brüssel». Ebenso wie die dritte Auslandmeldung «Huthi-Rebellen greifen erneut Handelsschiffe an».

Bei den «Meinungen» macht sich Christoph Koopmann Gedanken darüber, wie man auf TikTok jugendlichen Nutzern bei Propaganda zum Krieg in Gaza helfen könne. Der SZ-Redaktor Koopmann.

Die Breaking News «Billie Eilish bestätigt: Ich liebe Frauen» stammt wiederum nicht aus der SZ. Sondern, richtig geraten, von der SDA.

Auch das Coronavirus erfreut sich der Aufmerksamkeit von Tamedia. «Kleinkinder profitieren zum Teil von der Pandemie», weiss die Wissens-Redakteurin Vera Schroeder. Das gibt sie als SZ-Mitarbeiterin kund, schwups, landet sie damit auch bei Tamedia. Der Frage, «wie es zu den vielen Lungenentzündungen» in China komme, geht Lea Sahay nach. Genau, die Korrespondentin der SZ.

Doppelt recycelt wird auf der Homepage des «Tages-Anzeiger» der Nonsens-Artikel «Mit den Liebsten reden – obwohl sie tot sind». Der fand seinen Weg von der SZ in die «SonntagsZeitung» und von dort auf die Homepage des Tagi.

Der Artikel «Schneechaos in Bayern: Verkehr weiterhin gestört» ist sicherlich aus der SZ. Falsch geraten, er wurde von der SDA übernommen. Aber das ist doch die SZ: «Deutscher Tourist bei Messerangriff getötet»? Nein, der ist von der AFP.

Apropos Tourismus, wie wäre es mit «Einmal durchpusten, bitte!» Richtig, der etwas teutonische Titel macht Werbung für die «deutsche Ostseeküste im Winter». Ein naheliegendes Reiseziel für Deutsche, beschrieben von der SZ-Redaktorin Ingrid Brunner, mit herzlichen Grüssen aus dem Spardepartement von Tamedia.

Mal wieder im Ernst, lieber Herr Supino. Bei allem Verständnis für die Kosten einer Villa, von Segelbooten, Kunstsammlungen und dem Stopfen vieler hungriger Mäuler des Coninx-Clans: Können Sie dafür wirklich ohne rot zu werden bis zu 759 Franken im Jahr verlangen? Ja? Trotz Sonderdividende? Oder gerade wegen? Oder macht sich so der unter Ihrer Leitung vergeigte Kampf gegen das Referendum um die Subventionsmilliarde bemerkbar?

Aber mal Hand aufs Herz. Massenentlassungen, Abbau, bis es quietscht, die wenigen verbliebenen Mitarbeiter suhlen sich in Selbstbespiegelung, Bauchnabelbetrachtung und erteilen der Welt Ratschläge, die sie nicht braucht, während immer mehr vom «Content» einfach von Ticker-Agenturen und der SZ stammt – halten Sie den Leser wirklich für so blöd?

Halten Sie das Geschäftsmodell «immer mehr zahlen für immer weniger» für nachhaltig? Zukunftsträchtig? Kennen Sie einen anderen Dienstleister oder Hersteller eines Produkts, der ebenfalls diesen Kamikazekurs fährt?

Oder anders gefragt: wann macht der Letzte im Glashaus an der Werdstrasse das Licht aus?

 

Wenn Skandale leise Servus sagen …

Läderach? Ach was. Katholische Kirche? Gähn.

Ausser, dass Trump mal wieder verurteilt wurde und die Krankenkassenprämien exorbitant steigen, was ist die Gewichtung der Qualitätsmedien?

Der KK-Schock sitzt bei den meisten Schweizern tief. Bis zu zehn Prozent mehr, bei sowieso schon exorbitant hohen Prämien. Das ist das Aufreger-Thema Nummer eins. Nur: ist ein wenig kompliziert. Nur: der Gesundheitsminister ist halt ein Sozi und kein SVPler. Nur: so viele Fachleute, so viele Meinungen.

Also tun die Medien das, was sie am liebsten machen. Sie wollen unbedingt zwei deutlich absaufende Skandale über Wasser halten, die schon komatösen Leichen wieder wachküssen. Denn beides ist unter dem Stichwort «Skandal» gespeichert. Da gibt es dann kein Halten mehr.

Aber verflixt, dass katholische Priester vor allem Kinder missbrauchen und dass Läderach Senior einen religiösen Sparren hat und an einer Schule beteiligt ist, in der es vor vielen Jahren recht rustikal zuging: das ist beides eigentlich weitgehend auserzählt. Opfer melden sich, gibt es noch weitere solche Schulen, was sagt der Experte dazu, was bewirkt das bei den Kindern?

Das sind bereits die vorletzten Zuckungen eines Skandals. Noch weiter ist man beim Abnudeln des Priester-Skandals:

So sieht es zuoberst auf der Homepage des «Tages-Anzeiger» aus. Von Tamedia, vom «Tages-Anzeiger», ach verflixt, what ever.

Nun werden sogar noch Kirchenhistoriker befragt. Die freuen sich über diesen unerwarteten medialen Sonnenschein, wo sie sonst doch eher unauffällig forschen. Dann gibt’s scheint’s noch eine Herbstsession vor den Wahlen, natürlich tickt der «Ukraine-Ticker», eine «Analyse von Abstimmungen» ist auch immer gut. Fehlt noch was? Natürlich, ein Frauenthema. Voilà: «Frauen bei Krebsvorsorge und Behandlung benachteiligt».

Oh, und das in der reichen  Schweiz? Ach was, natürlich weltweit. Aber jetzt gebe es eine «neue Kommission» dagegen. Ach, in der reichen Schweiz? Ach was, in den auch nicht armen USA. Die kommt zu erschütternden Erkenntnissen wie: «Frauen seien auch nicht genügend über die Krebs-Risikofaktoren Tabak, Alkohol, Adipositas (Fettleibigkeit) und Infektionen aufgeklärt.»

Vielleicht in finsteren Gegenden der USA oder Afrikas – aber in der reichen Schweiz? Erschwerend kommt noch hinzu, dass es sich um eine SDA-Tickermeldung handelt. Wäre nicht «Frau» im Titel gestanden, sie hätte es nicht mal auf die Homepage geschafft.

Aber mal im ernst, lieber Tagianer: Krankenkassen? Inflation? Lebensmittelpreise? Mieten? Heizkosten? Asylanten? Altersvorsorge? Sieben Themen, die die Schweizer umtreiben. Kein einziges ist hier vertreten. Aber immerhin: es gibt auch keinen Artikel über korrektes Gendern oder die Verwendung des Sternchens zur Verhunzung der Sprache.

Auch der «Blick» hat im Moment so ziemlich alles aus diesen beiden Skandalen rausgemolken – Eimer leer. Also ein neues Schwein durchs Dorf treiben:

Die 57-jährige Marie Theres Relin hat ein Buch geschrieben. Eigentlich wollte die Schauspielerin hier über ihre gescheiterte Ehe mit Franz Xaver Kroetz schreiben. Das interessierte aber offensichtlich nicht wirklich.

Also packt sie nach 43 Jahren ein «dunkles Familiengeheimnis» aus. Sie sei von ihrem Onkel «sexuell missbraucht, verführt, entjungfert – ohne Gewalt, aber gegen meinen Willen» worden. Praktisch dabei: Maximilian Schell ist 2014 gestorben, ihre Mutter Maria Schell schon 2005. Auch über die zieht Relin her: «Meine Mutter in ihrer dämlichen Männerverehrung hatte die pädophilen Neigungen sozusagen gefördert.»

Relin hatte ein paar frühe Rollen, dann machte sie Pause, um bei hochwertigen Filmen wie «Rosamunde Pilcher – Das Geheimnis der Blumeninsel» aufzutreten. Sie hatte es schon 2011 mit «Meine Schells: Eine Familie gesucht und mich gefunden» probiert. Wurde nicht gerade zum Bestseller.

Nun also diese Nummer. Die klare Nummer eins beim «Blick».

Alle Wetter!

Tamedia erklärt die Lage – der Leser sorgt sich.

Der schwere Sturm über La Chaux-de-Fonds hat es in sich. Er forderte ein Todesopfer und verursachte happige Gebäudeschäden, dazu umgestürzte Bäumen und andere Verwüstungen.

Die Gelegenheit, endlich einmal die Überlegenheit einer Qualitätszeitung auszuspielen. Oder so. Die Autorenzeile unter dem ersten Artikel lautet «SDA/aru/mst». Das bedeutet, dass zwei Nasen die SDA-Tickermeldung veredelt haben. Augenzeugenberichte vor Ort, der Tamedia-Korrespondent im Jura? Welcher Korrespondent?

Aber glücklicherweise gibt es die sozialen Medien und Plattformen, wo jede Menge Videos und Fotos hochgeladen werden, die man zu einem «Tamedia Video» umtopfen kann. Dabei dachte ZACKBUM, das Teil heisse nun endgültig «Tages-Anzeiger». Aber das wäre ein anderes Thema.

Hier wird etwas Schadenbilanz gezogen, das obligate Mitgefühl des Bundespräsidenten erwähnt, und dann «eingeordnet». Allerdings: «Es ist noch unklar, wie dies meteorologisch einzuordnen ist.» Downburst oder Tornado oder beides oder keines von beidem?

Auf jeden Fall sei es ein «extremes Windereignis». Das hat was, bei Spitzengeschwindigkeiten von angeblich über 200 km/h. Immerhin wurde der «Journalist Laurent Duvanel, der selber in La Chaux-de-Fonds wohnt», aufgetrieben, besser als nix.

Aber dann lebt Tamedia noch richtig auf, es folgt der Beratungsteil. Ein «Gewitter- und Unwetterforscher» erklärt, dass man nicht nur das Wetterradar auf dem Handy betrachten solle, «sondern auch den Himmel aufmerksam beobachten». Dabei – merke auf – kann man die Gefährlichkeit sauber einschätzen. «Wenn eine Gewitterwolke dunkel und bedrohlich wirkt, dann birgt sie auch Gefahrenpotenzial.» Das muss einem ja mal gesagt werden. Bei grünlich sollte man auch aufpassen, das sei ein «Anzeichen für einen sehr intensiven Niederschlag oder sogar Hagel». Leider: «oft – aber nicht immer

Aber selbst solche Extremwetterberichterstattung hält Tamedia nicht davon ab, genderkorrekt die Sprache zu malträtieren: So hätten «Autofahrende» den Trümmern eines Lastwagendachs nicht ausweichen können. Es gab dann aber keine Verletzende.

Während es hier aber noch gesittet zugeht, tobt in der Kommentarspalte der Klimaretter unter den Lesern.

«Klimawandel/Klimakollaps … Sollten wir aufhören, uns über Klimaaktivist:innen lustig zu machen … sofortiger Stopp aller Ferienflüge, keine fossilen Flüge mehr bis Ende Jahr. Ein Aus für die Fleischwirtschaft … Ich bin wutentbrannt …»

Plus die ganze Leier, ob das noch Wetter oder schon Klima sei. Normal oder Vorbote des Untergangs. Einer kündigt sogar an, seinen geplanten Surf-Urlaub in Portugal zu canceln. Hoffentlich erwischt ihn dann niemand am Flughafen.

Das kommt halt davon, wenn man den Lesern keine Faktenbasis, keine Einordnung, keine Bandbreite von verschiedenen wissenschaftlichen Meinungen bietet. Das kann man mit Fug und Recht als Volksverdummung bezeichnen.

Wir können allerdings froh sein, dass Unwetter und Blitze nicht mehr als Erscheinungsformen eines zürnenden Gottes «gelesen» werden. Bislang.

Kennen Sie Jule?

Jule Stinkesocke? Nein? Müssten Sie auch nicht.

«Alles nur geklaut?» So titelt die «Süddeutsche Zeitung» einen Bericht über eine Bloggerin, die über ihr Leben als querschnittsgelähmte Ärztin in Hamburg berichtet. Oder auch nicht, denn es gibt viele Indizien, dass das ein Fake ist:

Gleich zwei Autorinnen der SZ mäandern sich durch diese sehr deutsche Geschichte. Denn der Blog erregte im Norden Aufmerksamkeit, wurde schon 2012 zum «besten deutschsprachigen Blog» gewählt, in einer Abstimmung der «Deutschen Welle».

Nun scheint aber das Profilbild von einer australischen Pornodarstellerin zu stammen und die querschnittsgelähmte Ärztin gar nicht zu existieren. Auf jeden Fall sind Blog und Twitter-Account offline. Das ist natürlich für Deutsche in Deutschland, vor allem für Hamburger in Hamburg, eine Story. Falls die Leser nicht wegschnarchen bei der «Republik»-Länge des Artikels von über 11’000 Anschlägen.

Nun ist diese Story schon für München etwas sehr weit im Norden angesiedelt. Na und, sagt sich da der Qualitätskonzern Tamedia mit seinen Qualitätstiteln:

Anderer, schlechterer Titel, anderer, schlechterer Lead, der Rest ist nur geklaut. Also übernommen, wie man das vornehmer ausdrückt, wenn man dafür bezahlt, Artikel von der SZ zu übernehmen, die nicht das Geringste mit der Schweiz oder Schweizer Lesern zu tun haben. Sei das ein ehemaliger Münchner Oberbürgermeister, der über sein Verhältnis zu Katzen schreibt, sei das eine Unternehmerwitwe aus Nördlingen – oder sei das ein Fake-Profil einer norddeutschen Bloggerin.

Der Gipfel ist aber, dass Tamedia die Geschichte seinen Lesern nur hinter der Bezahlschranke serviert. Auch bei der SZ kommt man nicht gratis an ihn ran, aber mit einem «Probeabo Basis» für schlappe € 1.99 kann man ihn und alle weiteren Artikel der SZ vier Wochen lang lesen.

Bei Tamedia, also bei «Tages-Anzeiger», also für den «Tages-Anzeiger» kostet das «Basic Monatsabo» stolze 15 Franken. Allerdings ist bei Neuabschluss der erste Monat gratis. Eine weise Entscheidung, denn wer will ernsthaft für solchen Schrott etwas bezahlen? Für einen Stinkesockenartikel?

Apropos, eine Momentaufnahme der Homepage vom Tagi am 12. April 2023, nachmittags. Aufmacher oben links: «Wie Panzer an die Front kommen», hinter Aboschranke. Übernommen von der SZ. Daneben «Kommentar zu US-Geheimdienst-Leak», übernommen von der SZ. «Italien verschwindet», übernommen von der SZ. «Promo für neuen Roman», NICHT von der SZ übernommen. Aber von Nora Zukker.

«Deutschland will Besitz und Anbau von Cannabis erlauben», NICHT von der SZ übernommen. Dafür von der SDA. «Myanmars Militär mit tödlicher Attacke», SDA. «Nach Trump-Anklage», NEIN, nicht SZ, auch nicht SDA. Sondern AFP.

«Wo sind die Milliarden der russischen Zentralbank?», wieder SZ. «Peking fürchtet sich vor künstlicher Intelligenz», AFP.  Und so weiter, und so fort.

Preisfrage: Will die Tx Group, Pardon, Tamedia, Pardon, «Tages-Anzeiger» mit angeflanschten Kopfblättern, will der Konzern mit diesem Angebot Leser gewinnen oder verjagen? Leser dazu animieren, Geld in die Hand zu nehmen oder Leser dazu motivieren, das Abo zu kündigen? Nur so als Hinweis zuhanden von Pietro Supino. Oder vielleicht möchte Raphaela Birrer darüber nachdenken. Das wäre aber sinnlos.