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Beobachtung als Qual

Ob der Tagi das absichtlich macht?

Am früheren Morgen begeistert das Qualitätsorgan seine Leserschaft mit diesem erschütternden, brandaktuellen und weltbewegenden Stoff als Aufmacher:

Aber obwohl er es auf Platz vier der «Beliebtesten Artikel» schafft, hat die Pinkelpause vielleicht doch nicht so performt. Also wird sie ganz oben hiervon abgelöst:

Fast kongenial ist die dazugeschaltete Werbung. Vielleicht hilft das «Niveau Cellular Luminous 630 Intensiv-Serum», ganze 30 ml für schlappe 24.70 im Sonderangebot, bei der Work-Life-Balance.

Aber weiter im wilden Galopp; die breaking news überschlagen sich:

Man beachte auch die Karikatur nach der Devise: Scherz, keiner versteht dich.

Apropos breaking news:

Das Unwetter war am Mittwochmorgen …

Aber es gibt neuere Meldungen, die unbedingt in ein Qualitätsmedium gehören:

Da pausiert selbst der US-Wahlkampf. DIE Heidi Klum, die «Queen of Halloween», hat sich, die Sensation, als ET verkleidet. Hat man Worte? ZACKBUM nicht.

Aber wenn alle Stricke reissen, sind Polizeimeldungen die letzte Rettung für eine verzweifelte Redaktion:

Eigentlich steht der Mann unter Quarantäne, aber hier übertrifft er sich mal wieder dermassen selbst, dass zumindest der Titel seiner Blödel-Kolumne dokumentiert werden muss:

Bei allen Heiligen, das soll der Aufmacher der Rubrik «International» sein? Dann doch lieber jeder beliebige Schwachsinn aus München.

Aber Gott sei Dank greift dann noch der «Newschef beim Tages-Anzeiger; verantwortlich für die aktuelle Berichterstattung und das Sitemanagement» mit einem richtigen Brüller ein. Allerdings abgeschrieben aus der englischen «Daily Mail», auch so einem Qualitätsblatt:

«Zugetragen habe sich der Vorfall 1993 im New Yorker Plaza Hotel», kolportiert der «Newschef» Adrian Eng. Dort habe Trump sie auf sein Hotelzimmer bestellt, wo sie sicherlich erwartete, von ihm Tipps zum Haarfärben zu bekommen. Stattdessen habe er sie «unaufgefordert geküsst» und begrapscht. Allerdings sei es nicht zum Äussersten gekommen, weil das Model ganz clever war: «Keul habe sich aus der misslichen Lage befreien können, indem sie Trump auf ein anderes Mal vertröstet habe. Sie hätten sich dann noch für rund eine halbe Stunde unterhalten, Trump habe ihr angeboten, für sie in den USA einen Platz an einer Universität zu organisieren.»

Das steht ursprünglich in diesem hochstehenden Organ:

Ach, und wieso brauchte Keul doch mehr als 30 Jahre, um mit diesem schrecklichen Vorfall an die Öffentlichkeit zu gehen?

«Sie habe dann alle Dokumente in eine Kiste geworfen und versucht, das Geschehene zu vergessen. Jetzt sei sie beim Aufräumen wieder auf die Sachen gestossen, und die Erinnerung sei wieder hochgekommen», übernimmt der Newschef ihr Geflunker. Denn den wirklichen Grund enthüllt das Ex-Model dann selbst: «Laut Informationen auf ihrer Webseite soll demnächst ein Buch erscheinen. Zudem hat Keul seit Ende Oktober diverse Social-Media-Kanäle eröffnet.»

Das ist exemplarischer Qualitätsjournalismus eines schreibenden Vorbilds, wie ihn sich Simon Bärtschi erträumt.

ZACKBUM gibt zu: nach diesen Storys haben wir ermattet aufgegeben. Berichterstatterpflicht das eine, aber was der Tagi bietet, ist einfach stärker als wir. Allerdings fragen wir uns, wie das seine Leserschaft aushält:

«Sie schminkt Leichen» und «Essen teilen? Nein, danke!» Perfekte Mischung, denn es käme einem sowieso wieder hoch.

 

Keine Armleuchter

Wenn der Tagi Leuchten empfiehlt, wird’s dunkel im Portemonnaie.

Marianne Kohler Nizamuddin darf sich im Tagi austoben. Mit Lobhudeleien über Freundinnen, Rezykliertem oder irgendwelchen Trends oder Tipps.

Dafür braucht es nicht viel mehr als ein wenig auf einschlägigen Webseiten surfen, und schon ist die Leserverarsche fertig.

Aufwendig ist das auch bildlich nicht, natürlich kann der Tagi kostengünstig die Produktefotos vom jeweiligen Hersteller übernehmen. So geht moderner Qualitätsjournalismus, gekreuzt mit Schleichwerbung.

Schauen wir mal genauer hin.

Das wäre die «Tischleuchte Seine für Gubi». Kostet schlappe 599 US-Dollar. Das macht aber nix, der Laden liefert sowieso nicht in die Schweiz.

Die beiden formschönen Pilze hingegen sind hierzulande käuflich zu erwerben:

Die geschmackvolle Tischleuchte «Loja» kostet schlappe 756 Franken, das Stehmodell reisst ein Loch von 2285 Franken ins Portemonnaie.

Wie wär’s stattdessen mit diesem «Flowerpot»?

Ist zwar ein Design von 1968 (sieht man auch), und der Designer ist längst tot. Aber warum nicht?

Schliesslich noch die «Hängeleuchte Kite von Panter & Tourron für New Works», und nein, das komische Kunstwerk im Hintergrund ist nicht verkäuflich:

Dafür kosten die drei Lampen zusammen 1128 Hämmer, man gönnt sich ja sonst nix.

Dann noch ein Absackerchen, eine «Futuristische»:

Das Teil heisst «Bagdad» und kostet so viel, wie ein durchschnittlicher Iraker im Jahr verdient, nämlich 399 Dollar. Für Schweizer ist es aber unerreichbar, denn auch die «Futuristische» wird nicht in die Schweiz geliefert.

Wie immer bei Produkteempfehlungen, besonders massiv bei Kosmetika, ist das Problem der Schleichwerbung offenkundig. Nur einige der erwähnten Produzenten werden sich nicht darüber freuen können: sie verkaufen ihre Produkte gar nicht in der Schweiz.

Wir haben also alle Bestandteile, die wahren Qualitätsjournalismus ausmachen. Potthässlich, und/oder schweineteuer – oder gar nicht lieferbar. Halt das, was der verwöhnte Tagi-Leser so braucht. Der sich bei der Lektüre wieder mal denkt: verarschen kann ich mich selber. Wozu soll ich dafür auch noch etwas bezahlen?

Oder anders formuliert: Auf der Bärtschi-Peinlichkeitsskala gibt das eine glatte 14.

Am Krankenlager des Tagi

Wie ist der Krankheitsverlauf? Gibt es Hoffnung auf Heilung?

ZACKBUM fühlt einfühlsam den Puls der verunstalteten Webseite des Tagi. Wir versuchen, uns von der Form zu lösen und auf den Inhalt zu konzentrieren.

Als Aufmacher haben wir einen Hammer, der das ganz breite Publikum interessiert:

Denn die Schweizer sind bekanntlich ein Volk von Untermietern. Äh, Mietern, aber ist das nicht das Gleiche?

Whatever, sagt Alexandra Kedves, «Redaktorin Ressort Leben». Sie hat ein breites Themenspektrum: «Comics und animierte Filme» sowie «allgemein gesellschaftspolitische Themen wie Armut, Mittelstand, Einsamkeit, Resilienz, Generationsgräben, Bildung, Flüchtlingswesen und dergleichen».

Trotz diesem grossen Feld sind ihre Arbeitseinsätze spärlich. Ihrer besonderen Aufmerksamkeit erfreut sich der US-Wahlkampf, über den sie in aller gebotenen Neutralität berichtet:

Nun hat sich bei einer Wahlkampfveranstaltung Trumps ein drittklassiger Komiker vergaloppiert. Seine geschmacklosen Witze trafen auf mässiges Amüsement des Publikums und auf scharfe Ablehnung aller Orten, selbst von Trump. Aber das kann eine Kedves nicht daran hindern, nochmal auf Tony Hinchcliffe rumzutrampeln. Allerdings ist Kedves so angewidert, dass sie dem Leser nur Bruchstücke überliefern kann:

««Ich begrüsse Einwanderer mit offenen Armen, und mit ‹offenen Armen› meine ich» – Hinchcliffe hob die Arme, wedelte heftig ablehnend mit den Händen und murmelte: «Geht zurück!» Zotig fuhr er fort: «Diese Latinos machen ja auch so gern Kinder. Die ziehen nicht raus. They come inside just like they did to our country.» (Bitte selbst übersetzen.)»

Der Tagi lässt seine Leser gerne vieles selber machen, wozu ist Qualitätsjournalismus sonst da, wenn es nicht gratis ein Do-it-yourself-Englischprogramm gibt. So mäandert sich Kedves lähmend lang durch das Thema, um dann in die Schlusspointe einzubiegen: «Auf seinem Kantengang zwischen moderat republikanisch und extrem rechtspopulistisch neigt sich Donald Trump oft der brutaleren Seite zu. Seine eingefleischten Fans gehen mit.»

Eigentlich hätte Kedves sich (und dem Leser) diese Suada ersparen können. Ein Satz hätte gereicht: Trump sucks. (Bitte selbst übersetzen). Oder wie die Demokraten dagegen niveauvoll Zeichen setzen: Trump sei ein Faschist, behauptet Kamala Harris aus heiterem Himmel und angesichts schwindender Wahlsiegaussichten.

Ach, und inzwischen hat offensichtlich die Woke-Fraktion im Tagi gegen den Rempler auf Rot-Grün protestiert; neue, noch mehr faszinierende Startstory:

Das ist mal ein Knaller, aber hallo.

Aber wieso nur im Lokalen verweilen, weltweit gibt es doch so viele interessante Storys:

Eine Nepalesin hat alle Achttausender bestiegen und hält Eingedenken, wie hätte der Tagi-Leser durch den Tag gehen können, ohne das zu wissen.

Aber es gibt noch mehr welterschütternde Ereignisse, die sogar eine eigene Rubrik verdienen:

Tagis Beitrag zum US-Kulturimperialismus.

Die Zeitumstellung war in der Nacht von Samstag auf Sonntag, aber der Tagi ist immer noch nicht aufgewacht:

Zurück in die grosse, weite Welt. Da gibt es Erstaunliches aus China und Getickertes von der Ukrainefront zu vermelden:

Wozu hält sich Tamedia eigentlich noch eine Auslandredaktion? Damit Christof Münger gelegentlich die Welt mit wirren Kommentaren erschrecken darf? Ukraine ist Schnipsel-Ticker, der reichste Chinese ist DPA, der Bericht über das Verbot der UNRWA in Israel ist auch DPA, und der vierte Beitrag unter «International» ist ein als Artikel verkleidetes Inserat für das Weinschiff in Zürich (!); nein bereits ausgewechselt mit dem hier:

Würde eigentlich in die Rubrik «Wirtschaft» passen. Da gibt es allerdings ein Problem: sie existiert nicht. Einfach weg. Stört, überflüssig, gespült.

Dafür gibt es das hier gleich zweimal:

Und weil’s so schön ist und man zum Thema ja nicht genug sagen kann, hätten wir noch den hier:

Man beachte den grossen Unterschied: «US-Wahl» und «US-Wahlen». Ist ja nicht das Gleiche. Wenn das die neue Digitalstrategie ist, dann gute Nacht. Oder sagten wir das schon?

So ab unteres Drittel wird die Webseite dann zum Gerümpelturnier der übelsten Sorte. Zuerst gibt’s was auf die Ohren:

Dann kommt der Teil Nutzwert, Nutzwert, Nutzwert:

Sozusagen ewige Werte werden hier verkündet; der Aufmacher-Artikel ist vom 23. Oktober. Aber dafür hat inzwischen die Auftaktstory oben schon wieder gewechselt; endlich ein Thema, das die breite Leserschaft interessiert:

Zurück in die Niederungen ganz unten. Der «Crime-Podcast», Videos (nochmals reingewürgt: «Elif – Das waren die Highlights unserer Kochserie», dabei war doch das einzige Highlight ihr Ende). Und wem die Highlights nicht genügen, bitte sehr:

Aber aufgepasst, wer meint, mit dem Rätsel sei dann Ende Gelände, irrt. Es folgt noch das «Magazin» und «US-Wahl» Part II, reloaded oder was auch immer.

Was soll man dazu sagen? Statt vieler Worte verleiht ZACKBUM das erste Mal Punkte nach der Bärtschi-Peinlichkeitsskala an ein Gefäss. Schliesslich muss das die publizistische Leiter nach unten verantworten. Dafür steigert er sich selbst von einer stabilen 10 auf eine noch stabilere 15. Und der Online-Auf- und Abtritt des Tagi kriegt eine 20.

Nein, eine 19. Denn alle Abo-Artikel sind weiterhin gratis lesbar, weil die grossartigen Schweizer Medienhäuser ihr gemeinsames Login immer noch nicht im Griff haben. Das ist aber mal nicht peinlich für Tamedia, sondern für Ringier.

Gibt es Hoffnung auf Heilung? Der Patient ist komatös, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ri-hi-hi-design

Vernichtende Leserreaktion auf das verunglückte Redesign bei Tamedia.

Sicher ist der Leser ein Gewohnheitstier und steht allem Neuen misstrauisch gegenüber. Aber eine dermassen einhellige Ablehnung, ein Verriss einer neuen Online-Gestaltung ist dann doch beeindruckend. Die Kommentare schwellen an, und abgesehen von zwei, drei positiven Rückmeldungen ist der Grundtenor glasklar: so ein Scheiss.

Auch hier zeigt Tamedia, was Amateurliga beim Moderieren ist:

Also ein erster Kommentar wurde spurlos gespült. Aber der nächste, der darauf hinweist, wird publiziert. Grossartig.

So verschenkt Tamedia den wertvollen Platz ganz oben.

Beim Tagi hat Oberchefredaktorin Raphaela Birrer ihr tiefes Schweigen unterbrochen und das neue Design angepriesen. Vielleicht hätte sie aber den Leser nicht um seine Meinung fragen sollen, denn die ist eindeutig. Natürlich wurde das neue Design für alle Kopfsalatblätter übernommen. Aber bei der BaZ verzichtet man schlichtweg darauf, dem Leser etwas Hilfestellung zu geben. Nimm’s oder lass es, scheint hier die Devise zu sein.

In der «Berner Zeitung» übernimmt Wolf Röcken die Ankündigung «Willkommen bei der neuen «Berner Zeitung»». Der Berner ist bekanntlich langsamer als der Zürcher. Während hier der Kommentar-Bär tobt, haben sich nur eine Handvoll Kommentatoren auf die BZ verirrt. Auch hier ist die Meinung, mit einer einzigen Ausnahme, klar: «mehr Übersicht? Sie belieben zu Scherzen Herr Röcken! Werde wohl mein Digital-Abo nicht mehr verlängern.»

Allerdings hat Tamedia die Gelegenheit benutzt, am gleichen Tag noch eine andere Meldung zu platzieren, die noch skandalöser als das neue Design ist. Es würden nun lediglich 17 Redaktoren entlassen; neun in der Deutschschweiz, acht in der Romandie.

Wieso Skandal, das ist doch eine gute Nachricht, oder? Für die Nicht-Entlassenen sicher, sonst nein. Da wird ein Jahr lang über einer neuen Strategie gebrütet, dann wird ein faules Ei gelegt. Die publizistische Leiter nach unten Simon Bärtschi bezieht kräftig Prügel, weil er die Ankündigung von 90 Entlassungen (plus 200 Drucker, wohlgemerkt) mit der Behauptung verbindet, das sei eine Weichenstellung für mehr Qualität.

Man könnte annehmen, dass Jessica Peppel-Schulz lange hat rechnen lassen, bis es unausweichlich klar schien, dass 90 Nasen entlassen werden müssen. Dann aber schon mal Entwarnung; ach, 55 Rausschmisse reichen auch. Und nun, nachdem man die Redaktion über einen Monat auf kleinem Feuer röstete, die völlige Entwarnung: sind dann bloss 17.

Wer dermassen fahrlässig mit den Zahlen in einem so sensiblen Bereich jongliert, wie kompetent ist der dann überhaupt bei Zahlen? Und bei allem anderen?

Die stetige Schrumpfung der Zahl der Entlassungen sei unter anderem auch der Tatsache zu verdanken, dass es zahlreiche «freiwillige Abgänge» gegeben habe. Mit anderen Worten: seitdem das Tandem Peppel-Schulz und Bärtschi die völlig verunglückte «strategische Weichenstellung» verkündete, hat jeder, der auf dem freien Markt noch eine Chance sieht, das Weite gesucht. Also nicht die Schlechtesten. Und der Exodus ist noch lange nicht zu Ende. ZACKBUM weiss mehr, sagt es aber nicht.

Wenn man insgesamt so fachkundig wie bei dem Gaga-Redesign ist, das ja visueller Ausdruck der «strategischen Neuausrichtung» sein soll, dann gute Nacht.

Normalerweise geht einer solchen visuellen Veränderung ein ausführliches Testing voraus. Zielgruppenorientierte Umfragen, plus jede Menge A/B-Tests. Wenn die durchgeführt wurden, wie kann es dann sein, dass die Leserschaft, repräsentiert durch tobende Kommentatoren, den Neuauftritt so massiv ablehnt?

Das führt zum düsteren Verdacht, dass eine solche Markforschung gar nicht stattfand. Sondern das Design aus Deutschland, die Programmierung aus Belgrad und das Reinreden der Ober-Chefredaktion genügte sich selbst.

Dabei hätte man nur einen Blick auf die Webseite der NZZ werfen müssen. Die hat nämlich all die Probleme, unter denen der Neuauftritt von Tamedia leidet, längst gelöst. Nur wäre ein copy/paste natürlich zu peinlich gewesen. Aber immer noch besser als gewollt, aber nicht gekonnt:

Eigentlich ist es typisch Journalismus. Dass das Gericht dem Gast und nicht dem Koch schmecken muss, das hat sich hier noch nicht herumgesprochen. Jeder Anbieter eines Produkts macht umfangreiche Markttests, wenn er daran etwas verändern will. Angefangen bei der Frage, ob das überhaupt nötig ist. Dann wird getestet, ob die neue Verpackung auf Zustimmung oder Ablehnung stösst. Kein zurechnungsfähiger Verkäufer würde sagen, wenn die Ablehnung einhellig ist: pah, gewöhnt euch dran, oder lasst’s halt, ist mir doch egal.

Publizistische Spitzenkräfte sagen das aber. Das hat mehrere Gründe. Kein Mitglied der Chefetage auf Zeitungsebene bei Tamedia hat auch nur die geringste Ahnung von Marketing oder Verkaufe. Der Redaktor noch viel weniger, der will dem Leser einfach seine Meinung und Weltsicht aufs Auge drücken. Und CEO Peppel-Schulz hat auch noch nie in dieser Liga gespielt.

Aber da gäbe es noch einen weiter oben, der eine Notbremsung hätte vornehmen sollen. Aber Pietro Supinos Problem ist: er muss von schwachen Figuren umgeben sein. Nur so fällt weniger auf, wie inkompetent er selbst ist. Oder aber, das wäre ihm zuzutrauen, seine Absicht ist eine ganz andere.

Indem er Tamedia inhaltlich verludern lässt, zusieht, wie der einzige kompetente Chefredaktor seiner Redaktion beraubt wird, dieses Krüppel-Redesign durchwinkt, beschleunigt er den Niedergang dieses Profitcenters innerhalb von TX, das nur minimalen Gewinn erwirtschaftet. Je schneller es bergab geht, desto schneller kann Supino mit dem Ausdruck höchsten Bedauerns verkünden, dass TX leider nicht mehr in der Lage sei, seine gesellschaftlich bedeutende Funktion als Vierte Gewalt weiter auszuüben.

Das täte nun wirklich weh, aber alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Also Ende Gelände für Tagi & Co., so sorry. Dann wischt er sich ein paar Krokodilstränen ab, lässt sich in seine Villa kutschieren und öffnet eine Flasche Krug. Oder zwei.

Tagi: Homepage als Gerümpelturnier

Wie kann man ein Aushängeschild so verlottern lassen?

Eine Zeitung liefert News. Diese Banalität scheint man in der Qualitätsoffensive, also beim Schuss in den Ofen, bei Tamedia vergessen zu haben.

Dass die News nun von zwei Hubs verwaltet werden, als wären sie Pakete, die man irgendwie rumschicken muss, ist das eine. Dass eine Homepage so unattraktiv wie möglich daherkommt, das andere.

So geht’s mal los. Immerhin ist noch erkennbar, dass es sich um die Webseite des «Tages-Anzeiger» handelt. Aber sonst? Wildwest. Selbstanpreisung (2.50 / Woche für 1 Jahr). Versteht man immerhin nach scharfem Nachdenken.

Dann zweimal quer scrollen, etwas, was man unbedingt vermeiden sollte. Oder halt auch nicht.

Und schwups, drei Minuten später sieht’s schon ganz anders aus. Irgend ein Algorithmus hat nach Anzahl Klicks, Verweildauer, dem Mondzyklus und dem Stand von Ebbe und Flut beschlossen, etwas umzustellen.

Dann kommt die Abteilung ungeordnete News aus aller Welt und aller Gattungen, einfach mal so serviert:

Zehn Happen, von Wahlen in der Moldau über Klimaschutz, ein Bob Dylan auf X, ein Brand in Pfäffikon oder der Senf am Sternen-Grill. Help yourself, such dir was aus. Oder lass es.

Dann, nach einer Riesenwerbung, kommt die Rubrik «Redaktion empfiehlt». Das ist nun sehr speziell; wieso sollte sie das tun? Heisst das, dass die anderen Artikel nicht empfehlenswert sind, sondern aus Zufall und Unachtsamkeit auf die Homepage kamen?

Dann, nicht minder merkwürdig, eine «News-Pause». Hier gibt es also keine News? Was ist dann ein Artikel «Möchten Sie wissen, wie Sie geschlafen haben?» Keine News, aber zum Einschlafen?

Wieder Werbung, dann «Züritipp(s) der Woche». Ob es sich noch nicht herumgesprochen hat, dass der «Zürtipp» eingespart wird, wie man der Öffentlichkeit und der Redaktion gleichzeitig mitteilte. Was sehr geschmackvoll war. Aber immerhin sorgte Qualität-Papst Bärtschi für ein paar Lacher, als er Abos erwähnte, die es gar nicht mehr gibt.

Wieder Riesenwerbung, dann Ressort «Zürich». Chrüsimüsi, würde man das wohl nennen, wenn es nicht irgendwie unsichtbar einem Ordnungsprinzip folgen würde. Nur welchem?

Werbung, dann «Schweiz». Was ist da vermeldenswert?

Echt? Minen und Minenopfer in der Ukraine, verjährte Straftaten von Geistlichen, 19 Entlassungen bei RTS. Das ist in der Schweiz los? Arme Schweiz.

Dann zweimal untereinander Werbung. Zuerst die übliche, dann Werbung für das neue Buch von Thomas Knellwolf. Blöd aber auch: dennoch schafft es der Wälzer nicht in die Bestsellerliste.

Dann ein weiterer Höhepunkt, «International». Der NL «Alles klar, Amerika?», zum Einloggen und Langweilen. Dann der Ukraine-News-Ticker, ohne einloggen, ebenfalls sacklangweilig. Als wäre das nicht genug Ukraine, gleich daneben «Alles rund um den Krieg in der Ukraine». Und daneben von der «Süddeutschen» serviert ein Porträt des möglicherweise getöteten Hamas-Chefs Sinwar. Eigenleistung der eigenen Auslandredaktion? Null.

Dann eine weitere Rubrik, die zur Leservertreibung dient: «Unter Verdacht: der True-Crime-Podcast». «Wirtschaft», «Sport», dann die Lieblingsrubrik aller verbliebenden Journis «Meinungen». Dann breaking news, «Bereit zum Wandern?» Ja, zum Abwandern.

Weil’s so schön war, die Rubrik «Podcast», Spionage, USA-Podcast, «Flo-Jo – alle Folgen im Überblick», die auch niemand interessierten, und dann muss nach rechts gescrollt werden, was aber gerade nicht funktioniert, was sicherlich auch kein Schaden ist.

Schliesslich, sozusagen im Unterholz versteckt, «Elif x Tagi: Unsere Kochserie», die ebenfalls kein Mensch interessiert hat. Tiefer gesunken ist dann nur noch die «Kultur», obwohl es die eigentlich gar nicht mehr gibt.

Ach nein, dann kommt noch «Leben», «Panorama», «Digital», «Reisen» und last and least «Das Magazin», aber soweit nach unten scrollt sowieso niemand.

Wenn man sich dieses Gerümpelturnier anschaut, versteht man zwei Dinge. Wieso Kerstin Hasse aus der Chefredaktion entfernt wurde. Und wie es aussieht, wenn eine völlig demotivierte Redaktion die Homepage mit Gefässen bespielen soll, die eigentlich der Leserabschreckung dienen.

Statt dummes Zeugs über angeblich neue Strategien und Qualitätssteigerung durch Rausschmeissen zu verzapfen, sollten sich die vielen Häuptlinge und Oberindianer vielleicht mal um etwas ganz Banales kümmern: wie baue ich eine Homepage eines Newsmediums so auf, dass der Leser auch animiert zu lesen beginnt.

Aber das ist eben gar nicht so einfach, deshalb lässt man ganz oben lieber die Finger davon.

Heisse Luft dreschen

Die neue Paradedisziplin bei Tamedia.

Simon Bärtschi bekommt ernsthafte Konkurrenz, bleibt aber Taktgeber für die Bärtschi-Peinlichkeitsskala. ZACKBUM vergibt hierfür eine glatte 15:

Riesige Freude, Startschuss, gemeinsam, innovativ. Kein Manager-Bullshit-Buzzword darf hier fehlen, wenn der «Chief Revenue Officer & Member of the Executive Board at Tamedia» Marc Isler in die Tasten greift. Nicht einfach Board, you know, but Executive Board, you know. Nur, worum ging es eigentlich?

«Unsere CEO Jessica Peppel-Schulz, zusammen mit Simon Bärtschi, Leiter Publizistik, und Philipp H. Mankowski, zukünftiger Tamedia Advertising CEO, haben erläutert, wie wir das grösste privat finanzierte Redaktionsnetzwerk der Schweiz in die digitale Zukunft führen wollen.» Samt Beweisfoto:

Ist das nicht wunderbar? Das der New York Times abgekupferte T. Daneben der Name einer CEO, die ein Jahr lang über der wohl peinlichsten Neustrategie des an Peinlichkeiten nicht armen Konzerns brütete. Leider hat sich kein Frechdachs getraut, ihren Namen zu Plapper-Schulz, wie sie intern genannt wird, zu verklaren.

Aber, der Höhepunkt, es sieht ganz danach aus, als ob Klapper-, Pardon, Peppel-Schulz höchstpersönlich auf der Bühne stand und nicht etwa einen Avatar vorweggeschickt hatte.

Ach, und dieser Sympathieträger war auch da:

Simon Bärtschi, der wandelnde Peinlichkeitsfaktor 10.

Aber lassen wir diese Äusserlichkeiten, kommen wir zum Inhalt. Wie wollen diese kompetenten Fachkräfte denn «das grösste privat finanzierte Redaktionsnetzwerk der Schweiz», das allerdings ständig zwecks Qualitätssteigerung schrumpft, «in die digitale Zukunft führen»?

«Dabei haben sie einen ersten Ausblick gegeben, wie Tamedia Advertising neben klassischen Werbeformaten und Performance-Modellen kreative Lösungen konzipieren will, um die Zielgruppen in der gesamten Schweiz zu begeistern.»

Aha, gibt es diese heisse Luft noch konkreter?

«Philipp Mankowski: “Unser Ziel ist es mit unserer neuen Aufstellung und der Nähe zu unseren Produkten, unsere Partner zu begeistern, mit uns neue Wege zu gehen und ihre Werbebotschaften noch effizienter in einem hochwertigen, attraktiven Umfeld zu platzieren.»

ZACKBUM wiederholt ermattet die Frage …

Aber vielleicht hilft da die Webseite von advertising.tamedia; dort wird hoffentlich erklärt, wie weit die Beine gespreizt werden:

Nehmen wir mal den «Case: Berner Zeitung». Was gibbs da?

«Stellen Sie sich vor: Sie können in einem hochwertigen Umfeld die Reichweite Ihrer Social Media Kampagne verlängern und dabei eine beeindruckende Wirkung erzielen.
Wir bieten Ihnen die Möglichkeit, Ihre Social Media Story nahtlos auf einem speziell dafür angedachten Halfpage Ad in unseren reichweitenstarken News-Medien zu platzieren.
Dabei können Sie nicht nur Ihren ursprünglichen Social Post verlinken, sondern auch weitere Ziel-URLs einbinden, um die Performance Ihrer Kampagne optimal zu steigern.
Auf allen digitalen Plattformen der Tamedia buchbar

Mit anderen Worten: wir rücken Ihre Werbebotschaft so nahe an den redaktionellen Content wie das die Weko noch knapp schluckt.

Und wie sind die begeisterten Reaktionen des Publikums auf LinkedIn? Zwei Schleimer, die sich zukünftige Geschäfte versprechen:

«Danke Tamedia, dass wir Euch unterstützen durften!» Oder: «Die Firma Tamedia, oder TX Group, vor allem das grösste privat finanzierte Redaktionsnetzwerk der Schweiz verdient viel Gratulation.»

Aber einer, der nicht von Tamedia abhängig ist, bringt’s auf den Punkt: «Aucun avenir. Du vent.» Offensichtlich ist Tamedia seit dem neusten Zusammenholzen in der Romandie zweck Gewinn-, Pardon, Qualitätssteigerung nicht sonderlich beliebt.

Kurt Tucholsky hat mal ein wunderschönes Stück geschrieben, wie ein kleines Kind mit der wiederholten Frage nervt, wie denn die Löcher in den Käse kommen. Die Erwachsenen versuchen sich in gewichtigen Erklärungen, bis sie aufgeben und das quengelnde Kind ins Bett schicken.

Bei diesem Heissluftfön-Event fragt sich der erwachsene Betrachter allerdings auch vergeblich: WIE soll nun Tamedia, T oder «Tages-Anzeiger» (man weiss ja nie, wie das Ding gerade heisst) in die Zukunft geführt werden? In der Schlussszene von «Touch of Evil» fordert Orson Welles die als Wahrsagerin verkleidete Marlene Dietrich auf, sie solle für ihn Karten legen und seine Zukunft vorhersagen.

Dietrich nimmt einen tiefen Zug aus der Zigarette, blickt ihn unnachahmlich an und sagt: «Du hast keine.»

Statt all der Wichtigtuerei und dem inhaltsleeren Gequatsche hätte man im Kunsthaus besser diesen grossartigen Film gezeigt. Er hat auch nichts mit der Zukunft von T zu tun. Unterhält aber ungemein.

Hitzetod im Regensommer

Ist der Klimawandel am Tod einer Mutter schuld?

Von Thomas Baumann*
Der Arzt André Seidenberg gilt als «Pionier einer neuen Drogenpolitik» in der Schweiz. Obwohl etwas gar unbescheiden sich auf der eigenen Webseite so rühmend, trifft die Charakterisierung im Grossen und Ganzen zu.
Daneben versucht er sich als Autor — sei es auf seinem eigenen Blog oder gelegentlich im Tages-Anzeiger.
Da lässt er sich  über den Tod seiner Mutter aus. Als Arzt fällt das durchaus in sein Fachgebiet.
Seine Mutter war die erste vom Gericht als Einzelperson akzeptierte Klägerin gegen die «ungenügende Schweizer Klimapolitik». «In den ersten heissen Tagen im Mai 2021 traf sie der Schlag», so Dr. Seidenberg. Wenige Wochen später starb sie.
Der Verdächtige für den Tod der Mutter ist schnell gefunden: der Klimawandel. «What else?», wie George Clooney mit einer Kaffeetasse in der Hand zu fragen pflegte.
Machen wir den Faktencheck. Die Quelle ist so offiziell wie unverdächtig: Das Klimabulletin von Meteoschweiz.
Bereits der einleitende Abschnitt setzt den Ton: «Im Jahr 2021 waren in der Schweiz für einmal nicht hohe Temperaturen, sondern der viele Niederschlag das bestimmenden Wetterelement. Nach einem milden und niederschlagsreichen Winter mit lokal grossen Schneefällen folgte ein nasser Frühling mit nassem Ende. Der Sommer war nördlich der Alpen einer der nassesten seit Messbeginn.»
Weiter geht es in ähnlichem Ton: «Die Schweiz erlebte den kältesten Frühling seit über 30 Jahren mit einem landesweiten Mittel von 1,1 Grad Celsius unter der Norm 1981-2010. Nach einem leicht überdurchschnittlichen März kam die Kälte in den Monaten April und Mai. Der April war landesweit der kälteste der letzten 20 Jahre. Die Maitemperatur blieb landesweit gemittelt 2,3 Grad Celsius unter der Norm 1981-2010. In den letzten 30 Jahren zeigten sich nur die Maimonate 2019 und 2013 ebenso kühl.»
«Nasser Sommer: Auf der Alpennordseite brachte der Sommer nach einem regenreichen Mai gebietsweise den nassesten Juni und den nassesten Juli seit Messbeginn.» Seit Messbeginn!
Immerhin, etwas Sonne gab es auch noch: «Zur Sommerwärme hat vor allem der schweizweit viertwärmste Juni beigetragen.» Diesem ist zu verdanken, dass dass die Sommertemperatur wenigstens noch um 0,5 Grad über der Norm 1981-2010 lag.
Ein Hitzesommer sieht jedoch definitiv anders aus. Offenbar hatte ausgerechnet eine heisse Periode im Juni 2021 der Mutter von Dr. Seidenberg zugesetzt. Das ist unglücklich — aber irgendwann muss es ja auch heiss sein, wenn Juli und August schon kalt und regnerisch sind.
Dennoch sinniert Dr. Seidenberg, ob er seiner Mutter «in den ersten heissen Tagen im Mai [hätte] Blut abnehmen sollen, um ihre Austrocknung zu beweisen». Doch sieht er selber ein: «Eine individuelle Beweisführung bis zur Schuld der Schweizer Behörden am Tod meiner Mutter war nicht möglich.»
Damit hat er durchaus recht — allerdings anders als von ihm selbst gedacht. Der Klimawandel ist bekanntlich ein globales Phänomen: Die schweizerische Regierung hat vielleicht die Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass global etwas gegen den Klimawandel getan wird — verhindern kann sie ihn jedoch nicht eigenhändig.
Hier eine Schuld der «Schweizer Behörden» zu insinuieren, ist so unsinnig wie faktenwidrig. Wenn ein Fussgänger von einem Auto überfahren wird, dann ist auch nicht das Strassenverkehrsamt schuld, welches das Auto zugelassen hat.
Klar, gäbe es überhaupt keine Zulassungen von Autos mehr, gäbe es auch keine Verkehrsunfälle mit PKWs mehr. Doch genauso gut könnte die Regierung sämtliche Bäume fällen lassen, weil jemand von einem herabfallenden Ast erschlagen werden könnte.
Sollte der Ukraine-Krieg tatsächlich in einen Atomkrieg ausarten, dann trifft auch die schweizerischen Behörden eine gewisse Mitschuld daran: schliesslich hätte man sich noch intensiver für eine Friedenslösung engagieren können. Aber zu behaupten, die schweizerischen Behörden seien schuld an einem Atomkrieg, ist genau so verwegen, wie zu behaupten, dass sie am Klimawandel schuld sei.
Und was ist von den Klimaseniorinnen zu halten, welche gemäss Dr. Seidenberg «verspottet und als vertrottelte, manipulierte Greisinnen dargestellt» wurden?
Was die Manipulation anbelangt: Der «Verein Klimaseniorinnen» hat seinen Sitz an derselben Adresse wie der Hauptsitz von Greenpeace Schweiz, nämlich an der Badenerstrasse 171 in Zürich. Ein wasserdichtes Alibi sieht definitiv anders aus.
Und auch sonst präsentiert sich die Angelegenheit reichlich infantil: Wer hat denn all das CO2 in die Luft geblasen? Die Jungen oder die ältere Generation? Die Antwort ist schnell gegeben: Die ältere Generation, und dabei insbesondere die Seniorinnen, weil die ja noch länger leben und entsprechend mehr Klimagase ausstossen als die Senioren.
Tatsächlich erinnern diese «Klimaseniorinnen» an eine Horde Teenager, welche sich ins Koma saufen —  und sich am nächsten Tag darüber aufregen, dass es im Zimmer nach Kotze stinkt.
Und Mami — pardon: die Behörden — sollen den selber produzierten Dreck dann gefälligst wegputzen. Mehr Anspruchshaltung geht kaum!
Der Tages-Anzeiger wird mit solchen Artikeln immer mehr zur «Bravo». Ein auch nur rudimentärer Faktencheck? Fehlanzeige, solange bloss die Gesinnung stimmt. Im Vergleich dazu ist die Kolumne von Dr. Sommer in «Bravo» geradezu ein wissenschaftlicher Aufsatz.

*Der Artikel erschien zuerst in der «Walliser Zeitung». Mit freundlicher Genehmigung des Autors. 

Die Bschiss-Blase

Der Tagi in der Tradition der Tulpenzwiebeln.

Die grosse Tulpenmanie platzte Anfang Februar 1637. Das war die Frühform der Spekulationsblase in der Wirtschaft.

In modernen Zeiten gibt es Spekulationsblasen in den Medien. Sie tragen normalerweise Namen wie «Leaks», «Papers» oder «Secrets». Das ist Schönsprech für das Ausschlachten von Hehlerware, gestohlenen Geschäftsunterlagen. Das sind die modernen Tulpenzwiebeln.

Wie beim Klassiker wird hier ein Riesengeschrei veranstaltet, Worte wie Skandal, Verbrechen, Enthüllung, Kriminelle, Diktatoren, Potentaten und natürlich Blutgelder, Räubereien, Steuerhinterziehung herumgeworfen.

Damit wird diese Blase aufgepumpt und aufgepumpt – bis sie meistens mit einem üblen Verwesungsgeruch platzt. Dann gehen alle nach Hause und jammern auch schon mal gerne über einen «Skandal, der keiner wurde». Weil nach der ewigen Wiederholung selbst die dümmsten Tulpenzwiebelkäufer doch mal die Schnauze voll haben.

Also öfter mal was Neues; immer nur Zwiebeln ist auch langweilig. Di neuste Blase heisst «Bschiss». Da wird zurzeit kräftig gepumpt:

Skandal, gefälschte Unterschriften, «die Linken fordern Maßnahmen», was denn sonst. Im Rahmen des modernen «Digital Storytelling» hat der «Tages-Anzeiger» gleich eine ganze Rubrik eingeführt:

Hinter diesen vier Anrisse verbirgt sich noch ein ganzer Eisberg von weiteren Artikeln:

Politiker sind «sehr schockiert», «Das ist ein Fiasko für unsere Demokratie», der eigene Bauchnabel darf nicht fehlen «Unsere Autoren erzählen, wie sie den Unterschriften-Bschiss enthüllten», dazu Interviews, der Chef der Unterschriftensammler «redet», ein «Campaigner» darf seine Konkurrenz schlecht machen, die Bundeskanzlei rechtfertigt sich.

Offenbar gehört es zum modernen digitalen Storytelling, die gleiche Story gleich mehrfach aufblitzen zu lassen:

Eigentlich sind hier fast alle Artikel doppelt gemoppelt, das soll dem Thema wohl mehr Gewicht geben, ärgert aber die Leser des Qualitätsorgans ungemein.

Die Spitze des Eisbergs, also das, was auf der Homepage thront, ist allerdings nicht mehr so ganz taufrisch. Von den vier Werken stammt das älteste vom 2. September, das jüngste vom 7. Dazwischen einer vom 5. und einer vom 6. dieses Monats.

Da ist viel Lärm, ist da auch viel mehr als nichts? Das ist bis heute die ungelöste Frage, die auch 8 Tage nach der grossen «Enthüllung» noch nicht beantwortet ist. Denn wie hiess es so schön im Startartikel: «Laut Insidern stimmt die Schweiz über Vorlagen ab, die unrechtmässig zustande kommen.»

Das ist verdächtig ähnlich wie bei den ganzen «Leaks»-Blasen. Da wurde aus dem Zusammenhang bekannter Name, Holding oder Trust auf einer kleinen Insel, sofort insinuiert, dass es da nicht mit rechten Dingen zugehen könne. Der Vorteil war: meistens waren die Betroffenen weit weg (oder schon gestorben). War’s näher, zum Beispiel im Fall von Gunter Sachs selig, mussten die Enthüller zurückkrebsen, da sie ihren Vermutungs- und Unterstellungsjournalismus natürlich nicht belegen konnten.

Ähnliches Problem bei der «Bschiss»-Blase. Bislang gibt es Behauptungen, ein paar Anzeigen, Staatsanwaltschaften ermitteln – aber, wie in der SoZ aus dem gleichen Hause richtig zu lesen war: «Es liegen keine Beweise vor».

Blöd aber auch. Denn das ist wie eine Nadel in der Blase. Die wird aufgepumpt mit einer Vermischung von ungültigen und gefälschten Unterschriften, plus der angezweifelten Methode des Kaufs von Unterschriften. Einmal umrühren, fertig: ungültige werden mit gefälschten vermischt, Insider behaupten, eine Sammelfirma wird aufs Korn genommen, fertig ist der Skandal. Die Blase.

Dass die Bundeskanzlei sagt, dass sie schon lange untersuche und bislang noch keinen Anlass für den Verdacht habe, dass Initiativen unrechtmässig zustande gekommen seien – von solchen blöden Zwischenrufen lassen sich die Recherchiercracks des Tagi doch nicht die Laune verderben. Das sind sie von den Leaks-Blasen her gewohnt, dass gestänkert wird.

Sie sind auch gewohnt, dass dann mal die Luft raus ist aus der Blase. Aber he, solange die Pumpe noch funktioniert …

Ein entlarvendes Interview

Tamedia übertrifft sich im Framing mal wieder selbst.

«Bschiss», «Bischiss», «Bschiss». Ein paar Redaktoren beim Tagi können vor lauter Wichtigkeit kaum mehr geradeaus laufen. Ihre Enthüllung erschüttere angeblich die Schweiz. Tausende von Unterschriften unter Initiativen seien wohl nicht nur gekauft, sondern auch gefälscht. Und keiner habe was gemerkt, bis der Tagi kam.

Der erste Teil der Ansage harrt noch des Beweises. Der zweite Teil ist erwiesenermassen falsch. Um eine solche Story am Köcheln zu halten, braucht es natürlich unter anderem auch das Interview mit dem Fachmann. Mit einem Experten. Voilà:

«Nach den Enthüllungen dieser Redaktion verlangt Campaigner Daniel Graf einen sofortigen Stopp des Unterschriftenkaufs.» Nicht nur Thomas Baumann fragt sich in der «Weltwoche», ob Graf da wirklich der geeignete, neutrale Fachmann sei.

Denn hier wie kaum sonst gilt ein genialer Satz von F.W. Bernstein:

«Die schärfsten Kritiker der Elche
waren früher selber welche».

Jacqueline Büchi stellt ihn dem Leser einleitend vor (Graf, nicht den Elch): «Kaum jemand im Land kennt den Maschinenraum der direkten Demokratie so gut wie Campaigner Daniel Graf. Der Historiker ist Mitbegründer der Stiftung für direkte Demokratie und der Plattform Wecollect. Im Interview übt er scharfe Kritik am heutigen System.»

Das grenzt nun schon an Fake News. Denn richtig ist, dass der «Campaigner» das Thema Unterschriftensammlungen sehr, sehr gut kennt. Er darf hier auch Staatstragendes absondern: «Es steht viel auf dem Spiel, es geht um das Vertrauen in die direkte Demokratie.»

Zunächst einmal steht hier wieder die Glaubwürdigkeit des Tagi auf dem Spiel. Denn wäre es nicht redlich gewesen, dem Leser ein wenig mehr Informationen über den Interviewten zu geben? Da gibt schon mal die Webseite seiner Bude «wecollect» Auskunft: «Seit dem Start 2015 haben wir über 800 000 Unterschriften gesammelt.» Ach so, der Mann ist kein «Campaigner», sondern ein Unterschriftensammler.

Wir wollen ihm natürlich nicht unterstellen, dass er das mit unlauteren Mitteln täte. Aber es ist doch vielleicht ein wenig unfair, einen Unterschriftensammler über andere herziehen zu lassen, ohne den Leser darüber zu informieren, dass das möglicherweise nicht ganz uneigennützig  oder objektiv geschieht.

Das ist ungefähr so, wie wenn man einen Coop-Marketingmenschen über die Rabattpolitik der Migros interviewen würde – ohne zu sagen, dass der Interviewte für den direkten Konkurrenten arbeitet.

Dass Graf sich selbst eindeutig im linksliberalen Lager verortet, ist für Büchi auch kein Problem; sie lässt ihn ungebremst über die «Bürgerlichen» herziehen, wobei er den Namen Blocher gar nicht erwähnen muss: «Zudem gibt es im bürgerlichen Lager Komitees, die über sehr viel Geld verfügen und im Extremfall ganze Initiativen kaufen.» Allerdings kann er für diesen happigen Vorwurf nur ein einziges Beispiel anführen, die Blackout-Initiative. Und was er zu erwähnen vergisst: für Unterschfitensammeln bezahlen, das ist erlaubt. Kennt er selbst.

Aber Baumann hat noch ein weiteres Schmankerl auf Lager. Graf verfügt ja über eine der besten Adresskarteien der Schweiz. Die er selbstverständlich nur für Gotteslohn zur Verfügung stellt. Er fordert: «Ich befürworte schon lange, dass Unterschriften auch elektronisch gesammelt werden können. Beim sogenannten E-Collecting könnte man die Handynummer hinterlegen.»

Ganz abgesehen von schweren staatspolitischen und datenschützerischen Bedenken: «Können Unterschriften auch elektronisch gesammelt werden, dann gewinnt die «berühmte» Adresskartei von Daniel Graf noch mehr an Macht», schliesst Baumann messerscharf.

Man sieht (bzw. sieht nicht): hier gäbe es einiges an Aufklärungsbedarf, wenn man diesen Graf schon die Gelegenheit für Gratiswerbung und Selbstdarstellung gibt. Aber da er mit seiner Haltung in die Gesinnungsblase der Tamedia-Redaktion passt, hält es Büchi nicht für nötig, dem Leser einige Informationen mit auf den Weg zu geben, mit denen er das Geblubber von Graf richtig einordnen könnte.

Stattdessen die Lieblingsbeschäftigung der Qualitätsjournalisten von Tamedia: Leserverarsche.

Kultur: geht doch

Bei CH Media findet immerhin noch Kultur statt.

Bei diesem nicht unwichtigen Teil des Aufgabenbereichs einer Qualitätszeitung sieht es so aus: Die «Weltwoche» leistet sich seit längerer Zeit ein 12-seitiges Feuilleton auf Niveau, das von einem Altmeister geleitet wird, der völlige Autonomie geniesst.

Die NZZ hat ein Feuilleton, das diesen Namen verdient; abgesehen von einigen Schwächeanfällen herrscht hier kulturell ansprechendes Niveau.

SRF behandelt Kultur, nun ja, eher eklektisch und als Randerscheinung für Randgruppen. Der «Blick», nächstes Thema, bitte. Tamedia? Hat zwar eine Kultur-Redaktion, die aber mit Kultur so viel am Hut hat wie ein Islamist mit FKK.

Und dann gibt es noch CH Media, die hier immer wieder Highlights aufblitzen lässt. Das ist nicht zuletzt Daniele Muscionico zu verdanken. Die war auch mal beim Tagi, wechselte dann frustriert zur WeWo und hat nun bei CH Media ein Auskommen gefunden. Sie ist nicht nur eine elegante und kenntnisreiche Schreiberin, sie hat auch das Auge für die richtige Auswahl.

Kultur ist, das sei den Kulturbanausen von Tamedia gesagt, gar nicht so schwierig. Man suche sich ein Sujet, zum Beispiel Chaïm Soutine. Einen Anlass. Zum Beispiel eine Ausstellung im Kunstmuseum Bern. Und dann braucht man nur noch Schreibkraft: «Er malte den Taumel der Menschen und die Verwaistheit der Dinge in einer heillosen Welt

Oder eine Bildbeschreibung, die es in sich hat: «Hotelpagen, Chorknaben, Zimmermädchen, kleine Leute und Rädchen eines zermürbenden Systems, denen er sich verwandt fühlt. Er macht nebensächliche Persönlichkeiten bildwürdig und inszeniert sie, angeschlagen zwar, doch in der Pose der Macht.»

Und eine Konklusion am Schluss, die so viel Wucht hat wie die Bilder des unglücklichen Künstlers: «Soutine bleibt ein Elends-Mysterium, die Leerstellen sind schmerzhaft und gross. Doch nun reden in Bern seine Bilder

Ist eigentlich gar nicht so schwer, wenn man will. Aber beim Tagi wollen sie nicht. Und wenn man kann. Aber beim Tagi können sie nicht. Bührle-Bilder, Hazel Brugger, Genderstern, Mohrenkopf, das ist mehr das Niveau und die Liga dort. Bleibt zu hoffen, dass diese schlecht benannte Kultur-Redaktion dem angekündigten Kahlschlag zum Opfer fällt. Der Leser würde es nicht vermissen.