World gone mad

Wohin flüchtet die Vernunft, wenn es dunkel wird?

Ihr Schlaf gebiert Ungeheuer, das wusste schon Goya, der die Augen vor den Desastern des Kriegs nicht verschloss.

Wenn die Welt richtig verrückt wird, kann man ihr nur noch mit Schweigen, mit Stammeln, mit Gelächter, mit Dadaismus begegnen.

Wenn ein Seminar über Dostojewski abgesagt wird, eine Aufführung von Rachmaninow, wenn sich russische Künstler vor oder nach ihrem Auftritt von ihrem Präsidenten distanzieren müssen, sonst gibt es keinen mehr im Westen. Wenn in Moskau Schweizer Luxus-Uhren beschlagnahmt werden, als Vergeltung für das Einfrieren russischer Guthaben im Westen.

Wenn Mode-Fuzzis und Fashion-Marken Blau-Gelb zu den Farben der Saison erküren. Wenn jedes kleine Würstchen meint, mit einem handgemalten Schild «No War in Ukraine» habe es einen Beitrag zum Weltfrieden geleistet. Wenn endgültig keine Meinungen mehr ausgetauscht werden können, sondern nur noch Haltungen der Inquisition zugeführt werden.

Wenn noch radikaler, brutaler und rabiater als bei der Pandemie vom herrschenden Narrativ abweichende Diskurse denunziert, verurteilt, abgeurteilt, ins Lager der irrationalen Verschwörungstheorien gesperrt werden.

Wenn nur noch Zeichen gesetzt, Grenzen gezogen, rote Linien gemalt werden. Wenn zwei Züge auf dem gleichen Gleis mit zunehmend Dampf im Kessel aufeinander zurasen – wer zuerst bremst, verliert: dann ist es wieder einmal so weit: die Welt ist verrückt geworden. Aus den Fugen geraten.

Vor einem allfällig bewaffneten Showdown gibt’s nun noch einen wirtschaftlichen. Russland will die Zahlung seiner Rohstoffe in Rubel. Die EU, der Westen verweigert das. Wenn keiner auf die Bremse tritt: ab Freitag keine Bezahlung mehr, dafür kein Gas und Öl mehr.

Hoffentlich nicht zum letzten Mal …

Die Welt ist aus den Fugen. Nicht zum ersten Mal und hoffentlich nicht zum letzten Mal. Denn was im Kalten Krieg manchmal mirakulös vermieden wurde, ist weiterhin jederzeit möglich: die atomare Vernichtung des Planeten.

Düstere Propheten kriechen aus ihren Löchern und sammeln Anhänger. Keiner zu klein, Kriegsgurgel zu sein. Schreibtischstrategen, Sandkastengeneräle, Kritikaster aus der zweiten und dritten Reihe, umweht vom Mantel der Geschichte, Bedeutung saugend aus Begriffen wie Zeitenwende, Zivilisationsbruch, nie dagewesen, neue Weltlage.

Sie fordern und verurteilen, kritisieren und wissen besser, wollen Hähne zudrehen, Flugverbotzonen einrichten, den Sturz Putins, die Niederlage Russlands.

Dabei ist es das älteste Schauspiel der Welt, seit sich der Mensch zu organisieren begann. Ein Mächtiger überfällt einen Schwächeren. Weil er’s kann und weil er nicht weiss, dass solche Eroberungen immer nur zeitgebundene Phänomene sind. Nationen haben eine unglaubliche Resilienz. Polen gab es für viele Jahrzehnte überhaupt nicht, in der jüngeren Geschichte. Dennoch ist es nie vollständig untergegangen.

Imperien sind traditionell zum Untergang verurteilt

Im Gegensatz zu länderübergreifenden Imperien. Das römische Reich, das Reich der Habsburger, das Dritte Reich, die Reiche der Kolonialmächte: alles vergangen, verweht. Nicht zuletzt die Sowjetunion, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Immer strahlen diese Imperien den Anspruch aus, gekommen zu sein, um zu bleiben. Dabei sind sie vergänglich wie der Schnee vom letzten Jahr.

Wenn wir die hoffnungsvolle Idee der Aufklärung aufgeben, dass die Geschichte selbst sozusagen als Subjekt danach strebt, sich weiterzuentwickeln, vom Minderen zum Besseren, vom Barbarischen zum Zivilisierten, dann bleibt eigentlich nur das Rad, wie es Shakespeare unermüdlich beschrieb.

Das ewige Auf und Ab, der Aufstieg, der unweigerlicher in der Klimax und dem anschliessenden zermalmendem Abstieg endet. Begleitet von unendlichem Geschrei. Einem Geschrei, dass man sich wenigstens Stille wünscht.

In diese Stille würde man, könnte man es, das Selbstgespräch vortragen, das Macbeth mit sich führt, als ihm vom Tod der Lady Macbeth berichtet wird:

She should have died hereafter;
There would have been a time for such a word.
— To-morrow, and to-morrow, and to-morrow,
Creeps in this petty pace from day to day,
To the last syllable of recorded time;
And all our yesterdays have lighted fools
The way to dusty death. Out, out, brief candle!
Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury
Signifying nothing.

 

Wer eine Übersetzung benötigt:

Sie hätte später sterben können;
es hätte die Zeit sich für ein solches Wort gefunden. –
Morgen, und morgen, und dann wieder morgen,
Kriecht so mit kleinem Schritt von Tag zu Tag,
Zur letzten Silb der aufgezeichneten Zeit;
Und alle unsre Gestern erleuchteten Narren
Den Pfad zum staubigen Tod. Aus, kleines Licht!
Leben ist nur ein wandelnd Schatten,
Ein armer Komödiant, der spreizt und knirscht
Sein Stündchen auf der Bühne und dann nicht mehr
Vernommen wird. Ein Märchen ists, erzählt
Von einem Idioten, voller Klang und Wut,
Das nichts bedeutet.

 

 

2 Kommentare
  1. Niklaus Fehr
    Niklaus Fehr sagte:

    Ich teile Ihren Pessimismus nicht und fühle mich unsterblich – jeden Morgen erwache ich zu neuem Leben. Und ich freue mich, dass ich morgen wieder ohne Maske mit dem Zug fahren kann. Eigentlich ein Blödsinn. Sich zuerst etwas wegnehmen lassen und sich dann freuen wenn man es wieder bekommt. Aber ich bin mir dessen bewusst und geniesse es trotzdem. Es ist zwar egoistisch, sich an solchen Dingen zu freuen statt sich mit anderen über Wichtigeres zu ärgern, aber gesünder. Am Ende kommt es nur darauf an, wer als Letzter noch da ist. Wie im Dschungelcamp oder bei Big Brother. Und jetzt warte ich wieder auf den Schorsch mit dem Hammer.

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  2. Leni
    Leni sagte:

    Waren es nicht nach dem Coronaausbruch erstmal die Chinesen, die man ins Visier nahm?
    Irgendwelche Feindbilder brauchen offenbar fast alle Menschen. Sei es die „versiffte Schulschwänzerklimajugend“, die „alten weissen Cis-Männer“, „DIE Kirche“ oder jetzt eben wieder „der Iwan“. Mal sehen, wer das nächste Hassobjekt wird. Zu differenzieren und sich ein eigenes Urteil zu bilden macht eben Arbeit, aber das hatten wir ja schon.

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