Geld wert? WoZ
Nach den Tages- die Wochenzeitschriften. Zuerst die WoZ.
Eines muss man der wohl ältesten linken Publikation der Schweiz lassen: gewinselt und gebettelt hat die WoZ noch nie. Manchmal wurde es eng, aber das linke Beiboot schaffte es immer wieder, genügend Wasser unter dem Kiel zu haben.
Als Objekt der Beurteilung nehmen wir die WoZ vom 15. Dezember 2022:
Für 6 Franken bekommt man hier 28 Seiten, macht 21 Rappen pro Seite. Kostenrekord bislang. Aber natürlich sollte man von einer Wochenzeitung auch etwas mehr Tiefgang und Qualität und Hintergrund als von einer Tageszeitung erwarten dürfen.
Zunächst fällt auf, dass die WoZ das gepflegteste Cover aller bisher analysierten Zeitungen hat. Gefällige Illu, knackig-bösartiger Titel «Junge Täter» über die «Junge Tat», die mit «gepflegtem Auftreten» versuche, «Sympathien für ihr rechtsradikales Gedankengut zu wecken». Wir sind gespannt, ob die «WochenZeitung» das auch einlöst.
Das zweite grosse Thema auf dem Cover ist die «Biodiversität», mit einem langen, langatmigen Intro wird das Thema angeteasert. Hier zeigt sich zum ersten Mal eine gewisse Ähnlichkeit mit einem anderen Organ; wobei ansonsten die Schnittmenge zwischen WoZ und «Republik» kaum sichtbar ist.
Die Seite zwei ist ein kleines Kunterbunt an Mitteilungen. Besonders erfrischend ein Gestänker unter dem Pseudonym Mona Molotow. Hier wird noch ein Slang gepflegt, den man fast ausgestorben wähnte. Eine Razzia gegen «Aktivist:innen der Letzten Generation» in Deutschland – es wird mit einem «beschwingten ACAB gratuliert». Für Nicht-Szeneangehörige: ACAB steht für «all Cops are bastards».
In diesem Ton geht es munter weiter: «… die Schmierfinken von den Springer-Medien … Ebenso jubiliert der politische Arm des Kapitals: Der frühere Blackrock-Lakai und heutige CDU-Chef Friedrich Merz … Unfreistaat Bayern …solch unverhältnismässige Repression ...»
Erfrischend, dass mit diesem Vokabular heute noch hantiert wird.
Anschliessend wird, Überraschung, der Zustand der Welt im Allgemeinen und der Schweiz im Besonderen beklagt. «Konzernverantwortung»: «Strategie des Bundesrats ist altbekannt: hinauszögern und zuwarten.» Bundesrat Rösti? «Angst vor dem grossen Abbau». «Die Lebensraumvielfalt in der Schweiz nimmt ab».
Dann die Titelstory: «Die Schwiegersohn-Neonazis». Dass hier Kevin Brühlmann mitgeschrieben hat, der einen eher unglücklichen Auftritt beim «Tages-Anzeiger» hatte, lässt Übles ahnen. Aber dann ist’s ein lediglich viel zu langes Stück über die «Junge Tat». Im Gegensatz zu den Kollegen von der «Republik», die lieber am Schreibtisch recherchieren und Betroffene nicht zu Wort kommen lassen, hat sich die WoZ die Mühe gemacht, mehrere Exponenten der JT aufzusuchen. Allerdings ohne verwertbare Ergebnisse, aber heutzutage beschreibt man in Reportagen auch Ausflüge ohne Ertrag. Trotz Tremolo und Andeutungen und Verbindungen will sich bei der JT nicht so wirklich der Neonazi-Groove einstellen. Auch die Schlusspointe über ein Video, in dem eine Gruppe Jugendlicher Boxkämpfe imitiert – «als probten sie den Ernstkampf», wirkt wie das merkwürdige Wort etwas hingekrampft.
Noch gefährlicher als die «Junge Tat» ist für die WoZ der «geplatzte Reichsbürgerputsch» in Deutschland, auch als Rollator-Rebellion bekannt.
Fehlen darf natürlich nie «gegen multinationale Agrochemiekonzerne» und «für die kleinbäuerliche Revolution». Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch, eine Doppelseite «Putins Propaganda ist für westliche Demokratien gefährlich», «Rebellische Reispflückerinnen». Ist alles nicht taufrisch, Lesedauer und Leseertrag stehen nicht gerade in einem günstigen Verhältnis, zudem alles so erwartbar.
Dann noch Impressum und Leserbriefe, bei denen eine Rettungsaktion für den Konjunktiv I höchstes Lob verdient. Schliesslich «WoZ News», immer noch eigen in der Titelgebung «Mündliche, Verschobene, Sparsame, Zwiefache», usw. Allerdings ist es beinahe unverzeihlich, dass der Rubrikentitel «Die Welt spinnt» irgendwann einmal dem Zeitgeist zum Opfer fiel.
Was soll man sagen; lohnt sich die Ausgabe? Die Geldausgabe und die WoZ-Ausgabe? Sagen wir so: ohne einen Schuss Nostalgie, einen Sprutz Solidarität und ohne die Fähigkeit, bei langen Strecken nicht einzuschlafen: eher nein. Auf der anderen Seite kommt die WoZ visuell inzwischen um einiges besser daher als viele Konzern-Tageszeitungen. Wer zudem Abseitiges und Linksradikales lustig findet, kommt hier auf seine Kosten.
Apropos lustig: auch die WoZ krankt etwas an einer tiefen Humorlosigkeit, bedingt durch den blamablen Zustand der Welt und der Schweiz, der so aufs Gemüt drückt, dass Scherze vermessen wären. Das muss nicht sein, und wenn man schon einen einzigen Cartoon ins Blatt hebt, sollte der wenigstens ansatzweise witzig sein, und ein Lächeln darüber sollte entstehen, ohne dass man mit den Zeigefindern die Mundwinkel nach oben hieven müsste.