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«Schnallt eure Gürtel enger und zieht euch warm an!»

In Europa kommt die «Moral vor dem Fressen», in Asien ist es genau umgekehrt. Teil 2

Von Felix Abt

Hier geht’s zu Teil 1.

Journalisten, aber auch Politiker, die im Rampenlicht der Medien stehen wollen, lassen heutzutage kaum eine Gelegenheit für ein regelrechtes China-Bashing aus, vom angeblich grausamen Schicksal eines chinesischen Tennisstars über den erfundenen Völkermord in Chinas Xinjiang bis hin zu Taiwan, das angeblich von China militärisch besetzt werden soll, obwohl dies überhaupt keinen Sinn macht, da die Chip-basierte Wirtschaft und das tägliche Leben der Welt (einschließlich Chinas) völlig zum Erliegen kämen. Im Interesse der amerikanischen Politik, sowohl China als auch Russland zu schwächen, fordern sie jedoch die Isolierung als vorsorgliche Bestrafung Chinas.

Kein Interesse an den von Washington provozierten Spannungen mit Beijing zu Lasten von Taiwan: Taiwans Oppositionspartei, die Kuomintang, möchte jedenfalls dazu beitragen, sie zu verringern.

Eine Isolierung Chinas, wie sie westliche Politiker und Journalisten fordern, geht selbst eingefleischten Sezessionisten in Taiwan zu weit, da die Insel viel mehr Handel mit China als mit den Vereinigten Staaten betreibt.

Und trotz erheblicher Meinungsverschiedenheiten zwischen Vietnam und China, insbesondere über die Grenzziehung im Südchinesischen Meer, das die Vietnamesen als Ostmeer bezeichnen, möchte Vietnam den Handel mit China eher ausweiten als einschränken, um das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand der eigenen Bevölkerung zu steigern.

Vietnamesische Medien berichten, dass Vietnam und China «ihre Beziehungen in allen Bereichen ausbauen» wollen. Die offizielle Vietnam News Agency schrieb am 13.7.2022: «Vietnam ist Chinas grösster Handelspartner in der ASEAN und der sechstgrösste Handelspartner in der Welt. China bleibt der grösste Handelspartner Vietnams.»

 Als US-Vizepräsidentin Kamala Harris im August 2021 Singapur und Vietnam besuchte und diese beiden Länder dazu bewegen wollte, sich mit Amerika gegen China zu verbünden, stieß sie auf wenig Gegenliebe. Denn diese südostasiatischen Staaten wollen gute Beziehungen zu allen Ländern pflegen und nicht wie die europäischen Länder als nützliche Idioten des amerikanischen Imperiums und zu ihrem eigenen Schaden missbraucht werden. Kurz vor ihrer Ankunft in Hanoi traf der vietnamesische Premierminister mit dem chinesischen Botschafter zusammen, um China zu versichern, dass sich sein Land aus allen Grossmachtrivalitäten heraushalten werde.

Der «Spiegel» und die vielen gleichgesinnten europäischen Medien thematisieren das natürlich nicht. Wie im Falle des Ukraine-Konflikts werden auch im Falle Chinas die Vorgeschichte und die Hintergründe systematisch ausgeblendet und diejenigen, die es wagen, Licht ins Dunkel zu bringen, von ihnen diffamiert. Dies wiederholt sich nun im neuen, von den USA heraufbeschworenen Konflikt mit China um Taiwan, wo wieder entscheidende Fakten zensiert werden:

Dazu gehört zum Beispiel die Tatsache, dass China die Insel Formosa/Taiwan, die 1682 von der von Mandschuren gegründeten Qing-Dynastie unter die Kontrolle des Festlandes gebracht wurde, mit viel mehr Respekt behandelt als die rabiaten USA Kuba.

China treibt regen Handel mit Taiwan, und Taiwanesen betreiben zahlreiche Fabriken auf dem chinesischen Festland. Im Gegensatz dazu haben die USA jahrzehntelang einen brutalen Wirtschaftsboykott gegen Kuba verhängt, den Washington auch anderen Ländern auf der ganzen Welt aufgenötigt hat. Nicht einmal Hilfsgelder dürfen nach Kuba überwiesen werden, was im Fall von Taiwan jederzeit möglich ist. Während Taiwan zu China gehört, war Kuba nie eine «Provinz» oder ein Bundesstaat der Vereinigten Staaten, abgesehen von der Periode, in welcher das Territorium dieser Insel de facto unter der Kontrolle der amerikanischen Mafia stand, die es als Riesenbordell missbrauchte bis zur Revolution unter Fidel Castro.

Jetzt rüstet Amerika Taiwan massiv auf. Stellen Sie sich vor, China würde Kuba auf die gleiche Weise aufrüsten: Die Amerikaner würden den Chinesen aufgrund ihrer Monroe-Doktrin sofort den Krieg erklären. Und chinesische Flugzeugträger, die ständig zwischen Florida und Kuba kreuzen würden, wie die US-Marine in der Nähe von Taiwan und dem chinesischen Festland, würden von den USA wahrscheinlich ohne zu zögern versenkt werden.

Russland umzingeln? Das ist bereits geschehen, einschließlich fünf Runden der NATO-Osterweiterung. Jetzt geht es darum, China zu umstellen und, wenn möglich, einen neuen lukrativen Krieg für Amerikas grössten und einflussreichsten Industriezweig, die Kriegsindustrie, zu provozieren. Die nächste «kubanische Raketenkrise» bahnt sich bereits an, diesmal aber schnell und grob: Die USA wollen 27,4 Milliarden Dollar ausgeben, um China entlang der «ersten Inselkette», einschließlich Taiwan, mit Raketen einzukreisen.

 

«Die Schweiz anerkannte die Volksrepublik China am 17. Januar 1950. Seither verfolgt sie eine Ein-China-Politik und betrachtet die Republik China, wie die Behörden von Taiwan (Chinesisches Taipei) sich selbst bezeichnen, nicht als eigenständigen Staat, sondern als Teilstaat Chinas. Bei ihren bilateralen Beziehungen und auf internationaler Ebene anerkennt die Schweiz nur die Volksrepublik China mit Regierungssitz in Peking.»  

Dass die oben genannten Zusammenhänge in den Medien verschwiegen werden, ist nicht neu. Auch im Ukraine-Konflikt wurde z.B. nicht darauf hingewiesen, dass die USA seit Jahrzehnten die Strategie verfolgen, einen funktionierenden Wirtschaftsraum Russland-EU zu verhindern. Sie erwähnten nicht die bekannten US-Strategiepapiere zur Destabilisierung Russlands. Oder die erklärte Absicht der USA, ihre Rolle als «Weltordnungsmacht» um jeden Preis aufrechtzuerhalten und den Dollar als Weltwährung zu sichern, den sie als Waffe gegen Länder einsetzen, die sich dem Willen des eigennützigen Imperiums widersetzen. Und die Interessen und der enorme Einfluss der gigantischen westlichen Rüstungsindustrien und ihrer Aktienbesitzer wurden auch nicht analysiert und hinterfragt.

Stattdessen haben sie es vorgezogen, die Kriegspropaganda der einen Seite (Russland) im Ukraine-Konflikt zu geißelnund die der anderen Seite (Kiew) unkritisch zu übernehmen und zu verbreiten, selbst den widerlegten Vorwurf, dass russische Soldaten ukrainische Babys vergewaltigen oder dass russische Truppen zivile Gebäude beschießen, ohne zu erwähnen, dass die Ukraine dort systematisch Zivilisten als menschliche «Schutzschilde» missbraucht.

Nicht der Rede wert ist auch die Tatsache, dass China hundert Jahre lang von ausländischen Mächten auf ungeheuerliche Weise gedemütigt wurde, gekennzeichnet durch Pandemien, Hungersnöte, Korruption, Massenmord und weit verbreitete Drogenabhängigkeit. Die Opiumkriege gegen China halfen den Briten, ihre Handelsbilanz zu verbessern, indem sie Opium aus ihrer indischen Kolonie bezogen und es mit grossem Gewinn in China verkauften. Die Folge war, dass Ende des 19. Jahrhunderts etwa 10 % der chinesischen Bevölkerung opiumsüchtig war, und ein erheblicher Teil des Silbers und anderer Vermögenswerte des Landes außer Landes floss, um das Opium zu bezahlen. Viele der wirtschaftlichen Probleme, mit denen China später konfrontiert war, wurden entweder direkt oder indirekt auf den Opiumhandel zurückgeführt.

Fortsetzung und Schluss folgt.

Walter Mayr: Relotius Reloaded

Spieglein an der Wand, wie hässlich ist das Schweizerland?*

Claas Relotius ruinierte den Ruf des «Spiegel», indem er Geschichten erfand, die Realität dichterisch ausschmückte. Walter Mayr ruiniert den Ruf des Nachrichtenmagazins, indem er weglässt, einseitig einäugig einen Zerrspiegel der Schweiz als Reportage verkauft.

«Schweizer Willkommenskultur: Schatzkammer der Oligarchen». Titel und Einstieg lassen keinen Zweifel daran, dass das Ergebnis der Reportage schon feststand, bevor sich Mayr auf den Weg nach «Zug, Basel, Luzern und Zürich» machte. Denn er weiss: «Russlands Reiche, unter ihnen Kleptokraten und Kriegsverbrecher, fühlen sich wohl in der Schweiz. Es locken Villen, Briefkastenfirmen, Staatsbürgerschaften

Zum Beweis hat Mayr mit einer handverlesenen Schar von Unterstützern seiner vorgefassten Meinung gesprochen. «Zug ist ein Oligarchenparadies und, wenn man so will, die Verkörperung des Geschäftsmodells Schweiz». Zitat von Luzian Franzini, Grünen-Vize und «so etwas wie der oberste Ruhestörer im verschwiegenen Steuersparer-Dorado südlich von Zürich».

Zum Chor der Schweiz-Beschimpfer gesellt sich auch «Balz Bruppacher, Autor des Standardwerks »Die Schatzkammer der Diktatoren«.» Das Buch des pensionierten Journalisten ist bereits 2020 erschienen. Die regierungsnahe «Helsinki-Kommission» der USA darf nicht fehlen, die faktenfrei über die Schweiz ablästerte. Die NGO «Public Eye», das internationale Recherchenetzwerk OCCRP, da hat eine Gegenstimme schlechte Karten: «»Zug ist ein Standort mit Willkommenskultur, ein Teil unseres Erfolgsmodells«, sagt in seinem Büro mit Seeblick treuherzig Heinz Tännler, der Finanzdirektor des Kantons.» Wieso spricht der treuherzig, Franzini hingegen nicht?

Und wie geht’s so den Oligarchen in der Schweiz? «Russen sitzen mit Blick auf Lugano in der italienischen Exklave Campione d’Italia und lassen sich in der »Taverna« bei Michel Walser Hummer servieren. Andere zeigen sich drüben, am Schweizer Ufer, beim Aperitivo im »Boatcenter« in Gesellschaft von Damen mit überdurchschnittlich voluminösen Lippen.» Leider traute sich der rasende Reporter nicht, auch nur einen von denen anzusprechen.

Und in Zürich? «Selbst im noblen Hotel St. Gotthard an der Bahnhofstraße, wo die als »Zarin von Zürich« gerühmte Eigentümerin Ljuba Manz sich vom Chauffeur im Audi A8 W12 vorfahren lässt … Vorbei die Zeiten, da die ehemalige Austernverkäuferin Manz hier Hof hielt … Die aus Charkiw stammende Hotelière hüllt sich derzeit in Schweigen.» Oder einfacher ausgedrückt: sie will nicht mit Mayr sprechen.

Dann noch Thomas Borer, ein weiterer «Antikorruptionsexperte» und schliesslich gegen Schluss der unvermeidliche Mark Pieth, der vielfach gescheiterte «anerkannte Kämpfer gegen Korruption». Der darf dann als Schlusspointe den Daumen senken: «Jahrzehntelang habe die Schweiz unter dem Deckmantel der Neutralität aus akuten Krisen Profit geschlagen – im Zweiten Weltkrieg wie auch später während des Kalten Kriegs und des südafrikanischen Apartheid-Regimes, urteilt der Basler Jurist. Nun stehe einmal mehr die Reputation des Landes auf dem Spiel, denn: »Rein rechtlich gesehen sind Sanktionsverletzungen schwere Verbrechen.«»

Fertig ist der Relotius Reloaded. Dass die Schweiz die EU-Sanktionen copy/paste übernimmt, dass in der Schweiz bereits Milliardenwerte beschlagnahmt wurden, dass immer noch legal arbeitende Firmen mit Verbindungen zu Russland zunehmend Probleme mit ihren Schweizer Bankverbindungen haben, dass die Schweiz als Rechtsstaat nicht einfach auf Verdacht oder Vermutung die Eigentumsgarantie ausser Kraft setzen kann – das alles interessiert Mayr nicht.

Relotius wurde von seiner Redaktion unter Druck gesetzt, immer knalligere Storys herzustellen, die den vorgefassten Meinungen in Hamburg entsprachen, den dort gepflegten Narrativen, der dortigen Überheblichkeit, doch tatsächlich «Trump wegzuschreiben» (Originalzitat). Das wurde immer mehr zu einer Mission Impossible, also flüchtete sich Relotius ins Reich der Erfindungen, der Fake News. Mayr ist seine modernere Ausgabe. Er fügt nichts hinzu, er erfindet nichts. Aber er lässt alles weg, was nicht ins Narrativ passt. Nur im Vorspann wirft er die Ansage etwas zu weit ins Reich der Fantasie: er ist keinem einzigen «Kleptokraten und Kriegsverbrecher» auf die Spur gekommen. Stattdessen hat er die Briefkästen von Briefkastenfirmen besichtigt und dem Treiben von Russen (oder waren es gar Ukrainer?) in der Schweiz zugeschaut.

Damit setzt der «Spiegel» seine Selbstdemontage als ernstzunehmendes Nachrichtenmagazin fort. Er hat aus dem Relotius-Desaster offenbar nur gelernt, dass man es vermeiden sollte, die Realität so hinzudichten, wie sie sein sollte. Aber durch Auslassen so hinschreiben, das geht.

*Dieser Artikel erschien in leicht veränderter Form zuerst in der «Weltwoche».

 

Report auf den Spuren von Relotius

Verdient der Spiegel die Disqualifikation «Lügenpresse»?

Von Felix Abt

Es liegt mir nicht, Mainstream-Journalisten generell als Lügner zu bezeichnen, denn erstens lügen sie nicht immer und zweitens sind sie viel eher Unterlasser, d.h. sie berichten schlicht und einfach nicht über Dinge, die ihnen aus ideologischen oder anderen Gründen nicht in den Kram passen.

Doch nun hat der «Spiegel», der sich selbst als «das führende deutsche Nachrichtenmagazin» bezeichnet, den Vogel abgeschossen. Ein umtriebiger «Spiegel»-Reporter berichtete aus «Zug, Basel, Lugano und Zürich», die bösen russischen Oligarchen würden von der Schweiz untertänigst hofiert und seien dort in beschützenden Händen.

Ihm ist vielleicht völlig entgangen, dass die Schweizer Regierung schon Wochen vor seinem «Bericht», sklavisch die «Sanktionen» der Europäischen Union gegen russische Reiche übernommen hat, was gegen die Verfassung verstösst, die die staatspolitische Neutralität vorschreibt und dem Land verbietet, sich an Kriegen fremder Mächte zu beteiligen, darunter auch an dem von Washington und Brüssel angezettelten Wirtschaftskrieg gegen Russland.

Der «Spiegel», ein antirussisches Hetzblatt, erfindet die «Schweizer Willkommenskultur» für «Russlands Reiche, unter ihnen Kleptokraten und Kriegsverbrecher», während die Schweizer Regierung tatsächlich Jagd auf alle reichen Russen in der Schweiz macht. Was der «Spiegel» ebenfalls verschweigt, ist, dass die üppigen russischen Partys auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum, zu denen Russen nicht mehr zugelassen waren, ausblieben. Dafür feierten die ukrainischen Oligarchen in Davos umso heftiger, trotz des Krieges in ihrem Land.

 Nicht nur die Neutralität, sondern auch die humanitäre Tradition, politisch Verfolgten und Kriegsopfern Schutz zu gewähren, sind seit Jahrhunderten Eckpfeiler der Eidengenossenschaft. Inzwischen wird das Asylrecht von «Gutmenschen» in der Politik zunehmend missbraucht. Sie nehmen vor allem Wirtschaftsflüchtlinge aus aller Welt auf, darunter auch radikale Islamisten, die in Schweizer Moscheen Hass predigen und nicht wenig Sozialhilfe kassieren, was den Schweizer Steuerzahlern jedes Jahr Milliarden kostet. Aber statt der fiktiven «Willkommenskultur» des «Spiegels» ist auf reiche Ausländer, die in der Schweiz nicht zu knapp Steuern bezahlen und unauffällig leben, eine regelrechte Hatz entfacht worden.

Der bekannteste der gejagten Russen ist Andrey Melnichenko, ein Physiker und erfolgreicher Selfmade-Unternehmer, der vom international ausgezeichneten Banker zum Industriellen aufstieg und sogar eine Megayacht baute, die ihm Apple-Gründer Steve Jobs abkaufen wollte.

Melnichenko ist in Weissrussland geboren. Seine Mutter ist Ukrainerin, sein Vater Weissrusse.

Der Unternehmer ist Eigentümer von EuroChem, einem weltweit führenden Düngemittelproduzenten, und von Kohleunternehmen. Seine Unternehmen beschäftigen weltweit 130 000 Mitarbeiter.

Melnichenko wird beschuldigt, ein «Putin-Anhänger» zu sein, natürlich ohne jeden Beweis. In einem Interview sagte er der «Weltwoche», der einzigen europäischen Zeitung, die sich für sein Schicksal interessierte: «Ich werde bestraft, weil ich Russe und reich bin.» Dabei ist er weder ein «Oligarch», noch gehört er zu «Putins innerem Kreis», wie die EU und die Schweiz behaupten. Selbst seine Frau, ein kroatisches Model, wurde sanktioniert. Wenige Wochen nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine erklärte er, der Krieg in der Ukraine sei «wirklich tragisch», und er rief zum Frieden auf. Ein Sprecher von Melnichenko sagte damals auch, dass er «keine politischen Verbindungen» habe. Seine Anwälte protestieren seit Monaten in Brüssel und Bern, aber er und seine Frau erhalten nicht einmal eine juristische Anhörung.

Sein Unternehmen EuroChem produzierte im Jahr 2021 19,1 Millionen t Düngemittel, womit 80 Millionen Tonnen Getreide produziert und 280 Millionen Menschen ernährt wurden. Da er und seine Frau keinen Zugang mehr zu ihrem Unternehmen haben und es aufgrund der Sanktionen von Banken, Behörden und Geschäftspartnern geächtet wird, ist die Düngemittelproduktion gefährdet und damit die Ernährung von Millionen von Menschen, vor allem in armen Ländern.  Selbst wenn in der Ukraine 15 Millionen Tonnen Getreide blockiert sind, ist dies nur ein winziger Bruchteil der riesigen Ernteverluste, die jetzt durch die Sanktionen der Europäischen Union gegen die Düngemittelhersteller verursacht werden. Obwohl es sich hier um einen handfesten Skandal handelt, scheren sich der Spiegel und der Rest des Mainstreams einen feuchten Kehricht darum.

Melnichenko lebte seit 2009 mit seiner Frau und seinen Kindern in St. Moritz. Da er nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine auf eine EU-Sanktionsliste gesetzt wurde, wurden alle seine Vermögenswerte, Häuser, Autos usw. beschlagnahmt. Er und seine Familie dürfen nicht in ihr Haus in der Schweiz zurückkehren. Sie haben inzwischen Zuflucht in den Vereinigten Arabischen Emiraten gefunden. Die Schweizer Regierung hat nicht einmal auf seine Briefe und die seiner Anwälte geantwortet.

Sowohl die Europäische Union als auch die Schweiz haben bisher zivilisierte Werte wie Eigentumsgarantie, Rechtsstaatlichkeit, keine Strafe ohne Gesetz, Unschuldsvermutung und das Recht, sich zu verteidigen, gepflegt. Natürlich berichten Medien wie der «Spiegel» nicht über deren Rückfall in Stammesjustiz, Sippenhaft und Willkür. Stattdessen putzen sie sich lieber die Schuhe an der Schweiz ab und lügen dreist über eine nicht existierende «Willkommenskultur», die angeblich «Russlands Reiche, darunter Kleptokraten und Kriegsverbrecher», freudig willkommen heisst und hofiert.

Das nennt man eine Kampagne

Blick nach Norden: der «Spiegel» geht auf Springer los.

Was der Tamediamann fürs Rüpeln Philipp Loser an Konzernjournalismus gegen Hanspeter Lebrument bot, war zwar unappetitlich, aber alles ist relativ.

Zudem kroch der Niedermacher zu Kreuze, der entsprechende Artikel wurde aus den Archiven gespült. Was bleibt, ist ein schaler Nachgeschmack bis heute und die Frage, wieso Loser sich nicht einen anständigen Beruf gesucht hat.

Nun zeigt aber der «Spiegel» mit «Sex, Lügen Machtmissbrauch», was eine richtige Breitseite gegen die Konkurrenz ist. Als gäbe es in Deutschland nicht gerade ein paar wichtigere Themen, bietet das Magazin ganze acht seiner geschrumpften Redaktionscrew auf, um in einer Titelstory den Springer-Verlag niederzumachen.

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Wieder eine «Spiegel»-Affäre?

Der «Spiegel» machte mit seiner süffigen Story «Vögeln, fördern, feuern» diesen Frühling auf die Unart des «Bild»-Chefredaktors aufmerksam, Mitarbeiterinnen, die bereit waren, sich hochzuschlafen, diese Möglichkeit einzuräumen. Wahrscheinlich werden wir uns demnächst noch Opferstorys anhören müssen, obwohl keine der Damen bislang von den diversen Möglichkeiten Gebrauch machte, sich gegen ungewolltes oder sogar nötigendes Verhalten zu wehren.

Der «Bild»-Bolzen Julian Reichelt konnte noch den Erstschlag wegstecken, nachdem eine Untersuchung kein kündigungswürdiges Fehlverhalten ergab. Aber dann, so ist die Globalisierung auch im Journalismus, kaufte Springer den US-Politblog «Politico» für ein paar hundert Millionen. Damit kam das Medienhaus from Germany auf den Radar der US-Medien, und die grosse NYT widmete eine Investigativstory den Verhältnissen bei Springer, mit besonderer Berücksichtigung der offenbar anhaltenden Unart des «Bild»-Bosses, am Arbeitsplatz den Hosenschlitz nicht geschlossen zu halten.

Es gäbe genügend Merkwürdigkeiten zu berichten

Auch in Deutschland hatte ein Rechercheteam das untersucht, wurde aber vom Besitzer des Medienhauses zurückgepfiffen. Statt sich aber diesen merkwürdigen Vorfällen zu widmen, nimmt sich der «Spiegel» in bester Boulevard-Manier das nächsthöhere Ziel vor die Flinte. Diesmal geht es gegen den starken Mann, Mitbesitzer und Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner.

Mit dem typisch launigen Einstieg wird geschildert, wie der angeblich wie «ein Sonnenkönig» nicht etwa Besprechungszimmer betrete, sondern er rausche «herein wie eine Erscheinung». Stimmt’s nicht, ist’s wenigstens gut erfunden wie legendäre Einleitungssätze im Stil: «Wütend griff Helmut Kohl zum Telefonhörer und wählte höchstpersönlich die Nummer von ..

Nicht nur an den Mief von Kohl erinnere Springer, sondern der Verlag sei geprägt von «einem zügellosen Boys Club, der feststeckt im chauvinistischen Muff der Sechzigerjahre». Zack, Blattschuss.

Viel Neues ist der Recherchier-Crew nicht aufgefallen, aber vielleicht will sie sich auch – nach den Relotius-Erfahrungen – etwas zurückhalten. Da gibt es ein etwas unglücklich formuliertes Mail von Döpfner, in dem er gegen den «neuen DDR Obrigkeits Staat» ranzt.

Das pumpt der «Spiegel» dann auf zu

«eine erschreckende Aussage in vielerlei Hinsicht, verachtend im Ton und verzerrt in der Wahrnehmung, vor allem aber ist sie kein Ausrutscher».

Offenbar hat sich der «Spiegel» ziemlich spurlos vom GAU erholt, der noch viel schlimmer als Sexismus oder vielleicht merkwürdige Aussagen ist: dass es passieren konnte, dass ein hochgelobter Mitarbeiter über Jahre hinweg durch alle Kontrollinstanzen hindurch Storys faken, erfinden, aufbretzeln, zusammenlügen konnte. Weil er wusste, wie er das Narrativ, das der «Spiegel» gern hörte, bedienen konnte.

In Wirklichkeit: sagen, wie’s sein sollte.

Nun aber spielt «Spiegel» das jüngste Gericht: «Was genau treiben die da bei Springer? Haben die noch nie von #MeToo gehört?» Mangels handfester Fakten legt das Nachrichtenmagazin den Springer-Chef nun auf die Couch des Psychiaters und setzt zur Fernanalyse an, gestützt auf die altbekannten «erzählen viele, die ihn gut kennen» – aber alle zu feige sind, mit Namen aufzutauchen. Also ist gut raunen und rüpeln:

Döpfner auf der Couch der «Spiegel»-Psychoanalytiker

«Sein obsessiver Freiheitsglaube sei umgeschlagen in eine Art Staatsfeindlichkeit, die allzu konsequentes Regierungshandeln als Bevormundung und Gängelung der Bürger deute. Die Coronapandemie hat seinen Hang zu solchen Dystopien offenbar zur Manie werden lassen.»

Das soll im Verlag offenbar Tradition haben, denn schon der Gründer Axel Springer habe «zeitweise Wahnvorstellungen, in denen er sich für den wiedergeborenen Jesus hielt», entwickelt. Von seiner ersten Frau, nach den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis eine Halbjüdin, ließ er sich 1938 scheiden.»

Dass Springer zeitlebens und tatsächlich obsessiv für die deutsche Wiedervereinigung und die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen eintrat, worauf sich sogar jeder Mitarbeiter bis heute verpflichten muss, wird der Ordnung halber vermerkt, um dann wieder auf Reichelt loszugehen.

Den Auflage- und Bedeutungsverlust der letzten Jahrzehnte habe man mit Reichelt «erkennbar durch Lautstärke» wettmachen wollen. Ein kalter Krieger, Rabauke, Kriegsreporter halt, mit auch so seinen Ticks:

«Nach wenigen Tagen in der »Bild«-Redaktion begann er sich zu kleiden wie der damalige Chefredakteur Kai Diekmann».

Als Rechercheglanzleistung zitiert der «Spiegel» dann aus angeblichen Nachrichten des Chefredaktors an eine ungenannte Geliebte: «Ich will deinen Körper spüren.» Ob der Körper zur «Bild»-Mannschaft gehörte, darüber senkt der «Spiegel» das Redaktionsgeheimnis.

Warum liessen das so viele Mitarbeiterinnen über sich ergehen? Wagenburg halt, System der Angst, Boys Club, auch gegenüber einer von Döpfner beauftragten renommierten Kanzlei hätten sich Betroffene nur unter Zusicherung von Anonymität geäussert. Was dem «Spiegel» eigentlich auch klar sein sollte: man kann keinen Chef aufgrund anonymer Anschuldigungen feuern. Das machte den Protestbrief der 78 erregten Tamediafrauen auch zum Rohrkrepierer.

Auch der «Spiegel» steigerte sich ins Crescendo gegen Trump.

Der «Spiegel» ist stolz darauf, auf welches Niveau seine Recherchierkünste gesunken sind: «Ein SPIEGEL-Team sprach in den vergangenen Monaten mit einem halben Dutzend Frauen, die im Zuge des Compliance-Verfahrens befragt worden waren, sowie mit Vertrauten dieser Frauen, sichtete Hunderte Nachrichten auf Handys, Messengerdiensten und E-Mails und wertete Dokumente aus, um die Schilderungen zu überprüfen.»

Was kam dabei heraus? Nichts Handfestes, nichts Hartes, wie Boulevardjournalisten sagen. Nur Geraune und Werweissen: «Im Hause Springer sind die wildesten Spekulationen im Umlauf, was Reichelt gegen Döpfner womöglich in der Hand haben könnte, welche Geheimnisse die beiden teilen, welche Chatprotokolle noch in den Smartphones verborgen sind.» Also der übliche Klatsch oder Flurfunk, genau wie beim «Spiegel».

Die ganze Richtung des Springer-Bosses passt dem «Spiegel» nicht

Dann lässt der «Spiegel» die Corona-Maske fallen; ihm passt die ganze politische Richtung Döpfners nicht, der sich immer mehr zu einem Kritiker der deutschen Willkommenskultur entwickelte, die der «Spiegel» lange Zeit kritiklos unterstütz hatte. Dafür greift die Truppe zwei Sätze aus einem längeren Essay Döpfners heraus, um zu scharfrichten:

«Sätze, die im besten Fall nach Stammtischgefasel klingen, aber auch auf jedem AfD-Parteitag Applaus ernten würden.»

Gibt es sonst noch Gemeinsamkeiten zwischen Döpfner und Reichelt? «Auch Döpfner sammelt nackte Frauen, bei ihm hängen sie an der Wand, eine Kollektion von 350 Aktkunstwerken, von 8000 Jahre alten Artefakten bis hin zu zeitgenössischen Werken.» Das ist nun infam, der Vergleich.

Zähneknirschend muss der «Spiegel» allerdings einräumen, dass Döpfner seine inzwischen 20-jährige Karriere ganz oben nicht nur seiner besonderen Beziehung zur Springer Witwe Friede verdanke. Sondern auch seiner Fähigkeit, den Verlag radikal umzubauen und digital fit zu machen. Zu einer Anlageperle, die auch US-Investoren überzeugte. Springer gehört inzwischen zu 45 den New Yorker Investoren KKR und Partnern.

Dann wird noch der Nachfolger Reichelts kurz in die Pfanne gehauen, und die Titelschmierenstory endet mit dem Verdikt: «Der versprochene Kulturwandel bei »Bild« fällt also erst mal aus.»

Es gab Zeiten, als eine «Spiegel»-Titelstory die Benchmark für deutschen Journalismus war. Aber ein Mentalitätswandel fällt auch hier weiterhin aus.

Wie man Tritte verteilt

Schweizer Medien machen internationale Schlagzeilen. Nur keine positiven.

Kaum hat sich der diplomatische Sturm über CH Media gelegt, ist schon das nächste Tief im Anmarsch. «Schweizer Journalistinnen prangern Sexismus an», entrüstet sich der «Spiegel» und berichtet von einem «offenen Brief» über «Einschüchterungen, Lohnungleichheit und Machosprüche».

Der hier betroffene Tamedia-Konzern hatte kurz zuvor noch seine Solidarität mit CH Media ausgedrückt: «Über hundert Botschafter in Genf machen sich lächerlich», höhnte er. Die hatten sich darüber echauffiert, dass CH Media die neue Direktorin der WTO als «Grossmutter» tituliert hatte. Es hätte sicherlich sinnvollere Titel für Ngozi Okonjo-Iweala gegeben, in Harvard ausgebildet, Mehrfach-Ministerin in Nigeria.

Aber der Tagi konstatiert ein «höchst problematisches Demokratieverständnis» dieser Diplomaten, die teilweise Länder verträten, bei denen die Bezeichnung Grossmutter zu den kleineren Problemen gehörten, denen sich Frauen ausgesetzt sähen.

Aber welche Probleme haben Frauen mit Tamedia?

Also das typisch Schweizerische: erst mal vor der eigenen Türe kehren, bevor jemand vor unsere spuckt. Entschieden schmallippig reagiert aber Tamedia bislang auf die eigene Mannschaft, Pardon, Frauschaft, die sich über üble Zustände in der Steinzeithöhle der Tamedia-Redaktionen beschwert, in der Machomänner noch mit der Keule rumlaufen und Frauen zumindest verbal belästigen, niedermachen, diskriminieren.

Von wenigen Ausnahmen wie der Branchenplattform persoenlich.com abgesehen – und natürlich abgesehen von ZACKBUM.ch –, herrschte anfangs betroffenes Schweigen im Blätterwald. Für Rauschen sorgte dann der «Spiegel»: «78 Journalistinnen der Schweizer Mediengruppe Tamedia haben sich in einem offenen Brief über strukturellen Sexismus in ihren Redaktionen beschwert.»

Als titelgebenden Uralt-Blödspruch zitiert das Blatt aus Hamburg: «Bei dir im Hintergrund schreit ein Kind, habe ich das mit dir gezeugt?» So und anders würden Frauen im Tamedia-Konzern verbal belästigt, listen die Journalistinnen auf sieben Seiten auf. All diesen Beispielen sind aber zwei Dinge gemeinsam: ihr Diskriminierungs- oder Sexismusgehalt hält sich in Grenzen. Was die Mackersprüche nicht entschuldigt, aber den anklagenden Ton des Schreibens doch etwas problematisch macht.

Ausschliesslich anonyme, nicht überprüfbare Vorwürfe

Zum zweiten stehen zwar die 78 Journalistinnen mit ihrem Namen hinter dem Schreiben und den Vorwürfen, aber alle diese Vorfälle sind anonymisiert. Weder Täter, noch Opfer sind identifizierbar, daher die Vorwürfe nicht verifizierbar.

Dass sich Mitarbeiterinnen nicht outen wollen, ist noch einigermassen verständlich. Wieso aber auch die im Schreiben zitierten «mehrere talentierten, erfahrenen Frauen», die angeblich aus Frust darüber, dass sich «die Situation der Frauen» nicht verbessere, sondern verschlechtere, gekündigt hätten, nicht mit Namen dazu stehen, ist verwunderlich.

Diese miese «Republik»-Masche der ausschliesslich anonymen Denunziation ist ein Problem dieses Protestschreibens. Aber nicht das einzige.

Viele Fragen bleiben sperrangelweit offen

Es gibt auch eine ganze Reihe von Mitarbeiterinnen bei Tamedia, die nicht unterzeichnet haben. Es gibt offenbar einige, die aus Gruppendruck unterzeichnet haben. Dann gibt es noch ein weiteres Problem. Wie ist dieses Schreiben bis zum «Spiegel» gelangt und liegt auch uns vor? Wir wissen, wie das ablief.

Dabei erhebt sich aber die Frage, ob alle 78 Unterzeichnende darüber informiert und damit einverstanden waren, dass man den 12-Seiter raushaut. Zudem schreiben ja selbst solidarische Frauen nicht im Kollektiv ein solches Manifest mit schwerwiegenden Anschuldigungen, Forderungen und einem Ultimatum.

Zwei Hinweise auf die Autorin gibt es schon mal. Wir werden all diesen Aspekten auf den Grund gehen. Dazu gehört auch, dass die Co-Chefredaktorin des «Tages-Anzeiger» gleichzeitig die «interne Arbeitsgruppe» zum Thema Diversity leitet. «Im Zentrum steht im Moment die Frauenförderung.»

Wie kann es sein, dass Priska Amstutz sogar einige ihrer leitenden Redaktorinnen einen solchen flammenden Protest öffentlich reinhauen? Waren da alle internen und weniger Staub aufwirbelnden Möglichkeiten tatsächlich erschöpft?

Wie soll die angeschriebene und öffentlich an den Pranger gestellte Geschäftsleitung reagieren?

Schliesslich: wie können nun männliche Vorgesetzte bei Tamedia bei jeglicher Kritik an Werk oder Leistung einer Mitarbeiterin dem Vorwurf entkommen: «Das sagst du nur, weil du ein Mann bist und ich eine Frau»? Oder: «Das empfinde ich aber so, und du als Mann kannst dich da gar nicht reindenken»?

Wie auch immer ist damit die Tätigkeit dieser Arbeitsgruppe, in der auch Oberchefredaktor Arthur Rutishauser und Co-Chefredaktor Mario Stäuble sitzen, desavouiert. Um es sanft zu formulieren. Ganz abgesehen davon, dass Tamedia nun mit Häme überschüttet wird, dass die Journalisten in x Kommentaren und Berichten Frauendiskriminierung in jeder Form beklagen, denunzieren, Veränderung fordern. Aber im Glashaus der Redaktion sollte vielleicht nicht mit Steinen geworfen werden.

Die Chefetage entschuldigt sich und kniet nieder

Schliesslich: Welche Handlungsoptionen hat nun die Chefetage von Tamedia? Haupt senken und Besserung geloben? Aussitzen? Ranzig werden und wegen Geschäftsschädigung und Verstoss gegen Treu und Glauben Verweise verteilen? Vorläufig haben sich Amstutz und Rutishauser zum Kotau entschlossen. Tropfen vor «Betroffenheit», halten das im Anklageschreiben Dargestellte für inakzeptabel. Tun also so, als ob ihnen das alles neu wäre. Tun so, als ob anonyme Behauptungen gleichzusetzen sind mit der Wahrheit.

Zudem gibt es noch einen nicht unwichtigen finanziellen Aspekt. Im Protestschreiben wird auch eine deutliche Lohnungleichheit durch Geschlecht kritisiert. Im sicherlich rein zufällig am gleichen Tag versandten Schreiben der Tamadia-Geschäftsleitung heisst es aber: «Die Lohngleichheit wird regelmässig mittels Lohnanalysen überprüft. Diese zeigen, dass es keine Hinweise auf systematische Unterschiede gibt.»

Einer von beiden lügt hier, die Protestierenden oder die Geschäftsleitung.

 

Was über die Schweiz im Ausland gequatscht wird

Der Schweizer zuckt meistens zusammen, wenn über ihn im Ausland geschimpft wird. Ganz falsch.

Es ist eine Schweizer Unart, dass vor allem nach etwas konfliktiven Abstimmungen nicht nur eine Presseschau aus dem Inland, sondern gleichzeitig eine aus dem Ausland gemacht wird.

Was sagen die Medien in den umliegenden Staaten? In der Welt? Sind sie mal wieder böse mit der Schweiz? Oder loben sie gar etwas? Diese Fixierung wird unnötiger denn je. Denn nicht nur in der Schweiz sind die meisten Medien bis zum Skelett ausgehungert und zur Agonie flachgespart.

Selbst beim ehemaligen Vorbild im deutschen Sprachraum, dem einstmals grossen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel», sind frühere Qualitätsansprüche längst Sparmassnahmen und Gesinnungsjournalismus zum Opfer gefallen. Nicht nur dort, aber wir nehmen das Organ als Beispiel für die allgemeine Malaise; innerhalb und ausserhalb der Schweiz.

Beim «Spiegel» darf die frühere Schweiz-Korrespondentin der «Süddeutschen Zeitung» die Meinungshoheit übernehmen, wie der «Spiegel»-Leser die sogenannte Burka-Abstimmung zu verstehen hat.

Klares Ergebnis: ein Sieg der Intoleranz

Charlotte Theile kann daher wenige, dünne Fakten mit einer dicken Schicht Gesinnung, Meinung, Vorurteil und Kritik zuschmieren. Ähnlichkeiten mit der Schweizer Wirklichkeit, zudem für Deutsche erklärt: zufällig bis nicht vorhanden. Wie beschreibt Theile den Abstimmungskampf? «Im bekannten scharfmacherischen Propagandastil der Schweizer Nationalkonservativen …». Und wer genau? «Hinter dieser Initiative steht das in der Schweiz berüchtigte Egerkinger Komitee.»

Welche Schlüsse sind nun aus der Annahme der Initiative zu ziehen? Oder nach der Befürwortung des «Burkaverbots»? «Ein Sieg der Ignoranz», doppelt Theile in einem Kommentar noch nach. «Verheerende Symbolpolitik gegen Muslime», «könnte zur Radikalisierung führen». Schlimm, schlimm: «Wieder einmal ist es Populisten in einem europäischen Land gelungen, Stimmung gegen Muslime zu machen.»

Ausgeschlossen, dass es fundamentalistischen Irren im Namen dieser Religion gelungen sein könnte, mit Terroranschlägen Stimmung zu machen. Aber Theile weiss: «Wer tatsächlich Politik für eingewanderte Frauen machen und jenen helfen will, die unterdrückt werden, müsste an anderen Stellen ansetzen.» Nur behält sie leider für sich, an welchen denn.

Was Recht ist, bestimmt nur eine: Theile höchstpersönlich

Dann sattelt sie noch ein Werturteil auf eine falsche Voraussetzung drauf: «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Gerade liberale Politikerinnen und Politiker stellen sich in der Schweiz deshalb gegen das Verbot. Zu Recht.» Die Gleichheit vor dem Gesetz ist ein weit verbreiteter Irrtum; wer sich nach einem Abstimmungsergebnis weiterhin gegen das Resultat stellt, tut das nicht zu Recht. Sondern ist im Unrecht und ein Undemokrat.

Was meint eigentlich Mathieu von Rohr, Ressortleiter «Ausland» beim «Spiegel» und von Haus aus Schweizer? «Dass Medien nach einer Abstimmung den Ausgang kritisch kommentieren, ist in meinen Augen nichts Neues, das gibt es von links wie von rechts.» Das hat auch niemand bezweifelt, mir ging es aber mehr um die Frage, ob es der «Spiegel» nicht für sinnvoll hält, dass seine Berichterstattung gewisse Ähnlichkeiten mit der Schweizer Wirklichkeit haben sollte. Was hier eindeutig nicht der Fall ist, und da gab es doch schon ganz bedauerliche Auswüchse des Schreibens in der Gesinnungsblase.

 

 

 

Ex-Press XXIV

Blasen aus dem Mediensumpf.

Heute wollen wir uns den menschlichen Abgründen und Schreckensmeldungen widmen.

Zerrspiegel

Nachdem dem deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» sein Lieblings-Toyboy abhanden gekommen ist, das absurde Impeachment-Verfahren auch nur noch letzte Zuckungen hergibt, hat die Redaktion kurz, aber heftig nach einem neuen Feindbild gesucht. Und eines gefunden, bei dem der Nachschub kein Problem ist:

«Die düstere Welt enthemmter Männer. Feindbild Frau.»

Endlich mal wieder eine Titelstory, die einen echten Skandal aufdeckt: «Erst Hass, dann Mord: Der Onlinehetze gegen Frauen folgt tausendfach Gewalt im echten Leben. Behörden ignorieren das Problem, dabei sprechen Experten schon von Terror.»

Also nach der RAF, nach rechtem Terror, islamischem Terror der Männerterror. Muss ich als Mann nun damit rechnen, auf der Strasse putativ erschossen zu werden, obwohl ich gar keinen Sprengstoffgürtel trage? Meines Wissens auch selten bis nie enthemmt bin?

Nichts Gutes hat der «Spiegel» auch vom immer enthemmteren Virus zu vermelden: «Das Virus wird immer tödlicher», so das Titelzitat über einem Bericht aus Tschechien.

 

Damit erschreckt «Blick» die Leser

Das hier muss wohl ein Beitrag für die düstere Welt enthemmter Männer sein:

Gibt dem Wort Witwenschüttler eine neue Bedeutung: Schlittler und Beller.

Aber auch für enthemmte Skifahrer hat der Boulevard eine eiskalte Schreckensmeldung:

Wärme nur auf dem Klo. Aber wenn auch da was einfriert?

Kann man das noch toppen? Nichts ist unmöglich, sagt sich Flavia Schlittler:

 

Shiva als Untoter? Wusste er das vorher? Erschreckende Fragen.

 

 

Der verschleierte Tagi und die Grundrechte

Wie es sich für ein Qualitätsmedium gehört, erschreckt Tamedia seine Leser nicht mit schockierenden Nachrichten aus düsteren Welten oder aus dem Jenseits. Sondern der verzwergte Unter-Co-Chefredaktor warnt vor noch Schlimmerem: «Ein Angriff auf unsere Grundrechte», alarmiert er den wehrwilligen Staatsbürger mit einem Leid-, Pardon, Leitartikel.

Himmels willen, woher kommt der Feind, wogegen stellt Mario Stäuble ein mannhaftes «wehret den Anfängen»? Ob der Westentaschen-Kommentator wohl weiss, dass dieses Zitat Ovid als Warnung vor den Folgen des Sich-Verliebens formulierte? Wohl nicht, aber wogegen sollen wir uns nun wehren?

Gegen neue Beschneidungen unserer Freiheitsrechte wegen Corona? Kann nicht sein, das befürwortet Stäuble. Gegen schärfere Lockdowns? Schäuble ist dafür. Gegen drastischere Beschränkungen des öffentlichen Lebens? Stäuble schimpft regelmässig über fahrlässige und zögerliche Regierende. Gegen geöffnete Schulen? Schäuble mahnt und warnt.

Wer wagt den Angriff auf unsere Grundrechte?

Ja wer greift denn nun unsere Grundrechte an? Ach, jeder, der «Ja zum Verhüllungsverbot» sagt, greift diese Rechte an. Wahnsinn. Wird die Initiative angenommen, hat also eine Mehrheit unsere Grundrechte ramponiert. Zerstört. Zumindest erfolgreich angegriffen. Wie denn das?

Nun, Stäuble zeigt in zwei Schritten exemplarisch, dass er weder von Logik noch von Freiheitsrechten die geringste Ahnung hat. Abteilung Logik: «Nikab und Burka sind im Vergleich zum Spannungsfeld, das sich zwischen der Schweiz und ihrer muslimischen Bevölkerung auftut, schlicht kein nennenswertes Problem.» Das sei der erste Grund, diesen Angriff abzuwehren. Das ist noch gar nichts gegen das Spannungsfeld zwischen Stäuble und verständlichem Argumentieren.

Wo es einen ersten Grund gibt, hat’s noch mehr. Salbungsvoll zitiert Stäuble «unsere Verfassung» dieses «Basisdokument unserer Demokratie». Man ist froh, dass Schäuble im Tagi eigentlich nichts zu sagen hat. Das ist das Basisdokument unserer Gesellschaftsordnung, in dem unter anderem festgelegt ist, wie eine Initiative eingereicht werden kann und wann sie angenommen ist. Aber macht nix, es geht noch schlimmer:

«Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist eines dieser Grundrechte, sie ermöglicht es jeder Person, ihre Religiosität frei zu bekennen.»

Nein, Stäuble, nein. Welche geistige Wüste erhebt sich hier bis zum Horizont. Keine Freiheit ist absolut. Niemals. Ausgeschlossen. Absolute Freiheit wäre absolute Willkür, Faustrecht, die Aufgabe der Grundlage der Zivilisation. Freiheiten haben Grenzen. Sie hören zum Beispiel dort auf, wo die Freiheit des nächsten beschnitten würde. Wie und wo diese Grenzen gesetzt werden, bestimmt zum Beispiel in islamischen Staaten die Religion.

Was qualifiziert diesen Mann zum Journalisten?

In zivilisierten Staaten wie der Schweiz bestimmt das der Souverän. Wenn meine freie Religionsausübung von mir verlangen würde, jedem zweiten Passanten eine Kopfnuss zu verpassen, dann müsste man mir das leider verbieten. Wenn eine Religionsausübung verlangt, dass sich alle Frauen mittelalterlich zu verhüllen haben, weil sie sonst der enthemmten und düsteren Welt männlicher Gelüste ausgesetzt wären, Aufforderungen zur Respektierung einheimischer Bräuche und Traditionen nichts fruchten, dann muss das natürlich verboten werden.

 

Das Leben ist voller Risiken

Diesem altbekannten Motto lebt CH Media nach. Hätten Sie’s gewusst? Es gibt auch «Risikoholz», von dem «Forstarbeiter 300 Kubikmeter entfernen» mussten. Warum, weil Schneemassen oder klirrende Kälte die Bäume an ihre Grenzen treiben? Aber nein, wegen «Klimawandel», also der Erderwärmung. Schon eine harmlose Titelsetzung birgt das Risiko, sich mit einem schiefen Sprachbild lächerlich zu machen:

«Der Palmölsturm im Wasserglas».

Überhaupt kein Wasserglas stand bereit, als es in den USA ganz, ganz eng wurde: «So knapp entging Amerika beim Sturm auf das Kapitol einer Katastrophe». Worin hätte die bestanden? Nun, sowohl Vizepräsident Mike Pence wie auch Mitt Romney, gescheiterter Präsidentschaftskandidat und Trump-Kritiker, wären «fast dem Pöbel in die Hand gefallen». Anschliessend wären die USA zusammengebrochen, aber es ging nochmal gut.

Was allerdings die Karibik und Lateinamerika davon halten, dass «Amerika» einer Katastrophe entgangen sei? Sogar auf Kuba gibt es, aus vorrevolutionären Zeiten, eine fast identische Kopie des Kapitols, in diversen anderen amerikanischen Ländern auch. Die haben es gar nicht gerne, wenn Amerika gleichbedeutend mit USA verwendet wird.

 

Nicht die Nachricht ist hier die Katastrophe

Ich weiss, das tut nicht gut, aber wenn von Katastrophen die Rede ist, muss die grösste im Schweizer Journalismus erwähnt werden. Nein, das ist nicht «watson». Zwar auch schlimm, aber solange das die Familie Wanner aus dem eigenen Geldspeicher zahlt … Richtig geraten, dann bleibt ja nur noch ein Organ. Das offeriert an einem frostigen Samstag eiskalt drei Beiträge. Also genau genommen vier, aber einer beschreibt auf 7500 Anschlägen nur die anderen drei. Wie es halt so Brauch ist bei der «Republik».

Einer ist erfreulich kurz; eine Bildbetrachtung. Eine Frau schreibt über Frauenkunst, die unter dem Titel steht: «Is that a Banana in your pocket …» «Das ist keine Banane», überschreibt die «Republik» den Schüleraufsatz. Doppelte Katastrophe. «Is that a gun in your pocket or are you just happy to see me», so lautet das unsterbliche Zitat von Mae West; aus Zeiten, als Anzüglichkeiten noch Spass machten und keinen Ärger.

«Das ist keine Pfeife» lautet hingegen der berühmte Titel eines Abbildes einer Pfeife von Magritte. Was der in diesen Niederungen der Kunst zu suchen hat, bleibt ebenfalls schleierhaft.

Mit immerhin 15’000 Buchstaben erfreut der dritte Teil der «Serie Frauenstimmen» den Leser. Dazu kann ich nichts sagen; als ich sah, dass der Autor ein Mann ist, habe ich aus Solidarität mit Frauenstimmen aufgehört zu lesen.

Ein echter Scherzkeks, dieser Binswanger

Aber eine Katastrophe kommt bei der «Republik» nie allein. Abgehärtete Leser ahnen es schon: Schreiblocke Daniel Binswanger hat einen seiner gefürchteten Kommentare geschrieben. Die einzig gute Nachricht: nach 7712 Anschlägen ist die Qual vorbei. Auch der Feuilletonist bedient sich aus dem Fundus von x-mal durchgenudelten Titeln: «Es geschah am helllichten Tag». Armer Friedrich Dürrenmatt, armer Ladislajo Vajda. Wer die waren? Ach, googeln hilft.

Strichzeichnung: So sieht Binswanger ohne Hauptlocke aus (Screenshot «Republik»).

Aber zurück zur Binswanger-Katastrophe. Er kolumniert also über das zweite Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Nein, in Wirklichkeit will er den Leser in den Wahnsinn treiben. Als wäre es nicht ein Film von Vajda, sondern vom Surrealisten Buñuel (nur googeln, Binswanger). Es gibt keine Wirklichkeit in dieser Kolumne, nur zersplitternde Widersprüchlichkeiten, Absurditäten und Nonsense. Aber leider auch keine Kunst.

«Selten hatte ich so intensiv das Gefühl, Geschichte zu erleben, während sie geschrieben wird»,

berichtet Binswanger von seiner emotionalen Lage, während er vor der Glotze sass und das «erschütternde Erlebnis» des Impeachments im US-Senat miterlitt. Im Senat wird allerdings wenn schon Geschichte gesprochen, aber sei’s drum.

Binswanger und der historische Moment, richtig betrachtet

Sind wir also bei einem dieser vielen Momente, die die Journaille gerne als «historisch» bezeichnet, «geschichtlich», «vom Mantel der Geschichte umweht» oder was ihr als Flachsinn sonst noch einfällt? Nun ja, Binswanger schwächt gleich ab, dass das «nicht eigentlich» damit zu tun habe, «dass der Prozess eine so grosse Bedeutung hätte». Also doch kein historisch erschütterter Kolumnist? «Dem vermutlich ohnehin scheiternden Impeachment kann man eine epochale Bedeutung im Grunde absprechen.»

Wenn es noch Leser gibt, die nicht verwirrt den Kopf schütteln, kann Binswanger noch einen drauflegen: «Wenn die Anzahl der Opfer ein Massstab für die Relevanz einer historischen Katastrophe sein soll, kann man den Kapitol-Sturm bestimmt nicht zu den grossen Tragödien zählen.»

So gesehen war der Untergang der «Titanic» tatsächlich eine viel historischere Katastrophe. Aber wieso erbebt Binswanger, ohne Rücksicht auf seine Schmachtlocke zu nehmen? Einfach, Du Trottelleser, ein Feuilletonist hat immer einen tieferen Gedanken im Köcher, erspürt «grosse, geschichtliche Bruchstellen», wo wir Durchschnittsblödis nur ein amüsantes Politspektakel sehen:

«Der Lack der Zivilisation ist nicht mehr als eine hauchdünne Glasur.»

Wir klettern erschöpft aus diesem tiefen Krater der Erkenntnis, den Binswanger mit diesen originellen, noch nie formulierten Worten geschaffen hat. Aber wieso ist ein rabaukiger, inzwischen vom Atombombenköfferchen entfernter Ex-Präsident und der Versuch von Abschaum, ins Kapitol einzudringen, dafür ein Beleg?

Wenn der Lack ab ist wie bei Hitler oder Stalin

Kein Problem für Binswanger, der zieht einen kühnen Bogen – Überrraschung – zu Nazismus und Stalinismus. Natürlich sei das mit dem Kapitol dagegen nur eine Fussnote. Aber: Was in Washington geschieht, könne auch in Berlin geschehen. Oder in Bern.

Also, Deutsche und Eidgenossen: aufgepasst! In Berlin schaffte es der Mob immerhin schon, die Treppe des Reichstags zu erklimmen. In Bern besetzte der Mob ungestört bereits den Bundesplatz. Aber ob Binswanger diese Beispiele gemeint hat?

Nach diesen erschütternden Erkenntnissen kündet der Kolumnist an: «Im Wesentlichen sehe ich vorderhand drei Lektionen.» Ich gestehe: hier brach ich die Lektüre ab. Ich bin wirklich hart im Nehmen, aber Lektionen von diesem Flachkopf? Niemals.

Altes neu angemalt beim «Spiegel»

Gedruckt war gedruckt. Einzige Möglichkeit der Veränderung: wegschmeissen. Viel einfacher ist’s im Internet.

Jedes Mal, wenn einem aufmerksamen Leser ein Fehler auffällt, schreibt der «Spiegel» brav am Schluss des Artikels, dass zunächst Albert Hitler dort gestanden sei, das nun aber durch Adolf Hitler ersetzt wurde.

Das ist korrekt, deshalb machen wir das auch. Denn ausser fleissigen Herstellern von Screenshots kann eigentlich keiner beweisen, dass beispielsweise Titel und Lead eines Artikels völlig verändert wurden. Die wenigen Internet-Archivplattformen helfen da auch nicht wirklich weiter.

Also wäre es wohl ebenfalls korrekt, wenn nicht nur falsche Angaben, Schreibungen oder Zuordnungen im Text korrigiert und diese Korrektur auch ausgewiesen würde. Noch viel mehr Bedeutung hätte das bei den zum Einstieg wichtigsten Elementen.

Wo ist denn der nur der Artikel hin?

So lautete beispielsweise der Titel eines Gastkommentars im «Spiegel»: «Amerikas Demokratie kann immer noch scheitern». Der ausserhalb von Kiel und dem «Spiegel»-Hauptquartier in Hamburg eher unbekannte, vertretende Professor Torben Lütjen legte noch nach: «Wahrscheinlich war der 6. Januar der Startschuss zu einer Dekade rechtsradikalen Terrors.» Zack.

So stand das jedenfalls am 19. Januar bei «Spiegel online». Auch ich machte keinen Screenshot, und als ich den Link setzen wollte, fand ich den Kommentar plötzlich nicht mehr. Aber die Suche nach «Amerikas Demokratie kann immer noch scheitern» führte mich zu diesem hier:

Gleicher Autor, gleiches Foto, gleiches Datum. Alter Wein, neu verkorkt.

Dem aufmerksamen Leser fällt vielleicht auf: Ganz anderer Titel, ganz anderer Einstieg, gleicher Autor, gleicher Text. Ohne jede Angabe der Veränderung, noch des Grundes. Wie erklärt der «Spiegel» das denn? Ein Fall für die Leiterin Kommunikation, nicht etwa für den verantwortlichen Redaktor.

Eine Erklärung, die es nicht wirklich besser macht

Die Erklärung ist wunderlich: «Es kommt vor, dass Titelzeilen noch einmal verändert werden. In diesem Fall zu dem Zeitpunkt, als der Beitrag von Torben Lütjen aus Gründen der Aktualität zum zweiten Mal auf der Homepage von DER SPIEGEL veröffentlicht wurde.»

Potztausend. Also wurde dieser Unsinn schon nach den Ereignissen am 6. Januar im Kapitol zu Washington veröffentlicht. Als sich herausstellte, dass das doch nicht der Startschuss zu Bürgerkrieg, Gemetzel und marodierenden Horden von Trump-Anhängern war, fand die Redaktion offenbar: Ach, das Stück ist doch auch fast zwei Wochen später noch brauchbar. Bloss Titel und Lead, okay, die passen vielleicht nicht mehr in die Landschaft.

Kein Problem. Neuer Titel, neuer Lead, geht doch wieder, wirkt wie neu. Dass auch beim «Spiegel» solche jämmerlichen Sparmassnahmen ausgebrochen sind, erschütternd.

 

«Spiegel» lässt Tote sprechen

Die meckern zum Glück auch nicht.

So einen Chef will jeder haben: Herr Maier fragt bei seinem Chef nach, ob er einen VW Touareg als Dienstwagen leasen darf. Herr Feldkamp donnert ihm entgegen: «Das ist doch ein Scheiss. Das ist doch kein Auto. Mercedes. Oder BMW. Oder Audi. Nehmen Sie einen X5. Und irgend etwas mit 300 PS. Leasing? Den Scheiss machen wir hier nicht. Wir kaufen die Autos. Also abgemacht. Ein X5.»

Also, muss Herr Maier einen X5 kaufen. «Widerstand zwecklos», urteilt der «Spiegel». Jürgen Dahlkamp und Gunther Latsch haben die Geschichte der Pleitefirma P&R nachgezeichnet («Der Container-Crash», Nr. 49/2020). Die Insolvenz hat einen mutmasslichen Schaden von 2,5 Milliarden Euro zu Tage gebracht. Die deutsche  Container-Investmentfirma musste im Frühling 2018 Insolvenz beantragen. Der Geschäftsführer hiess Werner Feldkamp. Hajo Maier war Marketingchef. Feldkamp ist tot, Maier hat 2019 aufgeschrieben, was er ab 2014 erlebte, also auch den Autokauf.

Der «Spiegel» beschreibt Maier als besorgten, gewissenhaften und mit Selbstvorwürfen bedrückten Zeugen. Maier habe zwar immer bei Feldkamp nachgebohrt. Also nach detaillierten Kosten und Projektbeschreibungen. Was aber antwortete der Chef? «Wie lange soll ich mir diesen Scheiss noch anhören?»

«Was soll der Scheiss?»

P&R entwickelte ein Schneeballsystem. Die Anleger waren vor allem Akademiker. Marketingchef Maier, so der «Spiegel», «machte sich auf die Suche nach Zahlen» und quatschte mit einer «Anna» von der Buchhaltung. Wie reagierte Feldkamp, sein Chef, als er davon erfuhr? «Was soll der Scheiss; es kostet, was es kostet.» Und drohte Maier: «Sie werden nie wieder in der Finanzbuchhaltung irgend etwas nachfragen. Haben Sie verstanden? Nie wieder.»

Auf 5 Seiten breitet der Spiegel die tolle Geschichte aus. Am Ende ist der Leser in einer Gemütsverfassung, Maier auf eine Bootsfahrt einzuladen und Feldkamps Urne ins Klo zu kippen.

Liest man die Geschichte aber nochmals, beschleichen den Leser erste Zweifel. Wie stimmig können fünf Jahre alte Beschreibungen sein? Erst recht, wenn sie von jemandem stammen, der sich vielleicht in ein besseres Licht rücken will? Und wie passt das zusammen, wenn die O-Töne von einem Toten stammen, der wenig Chancen hat, die Zitate gegenzulesen?

Erklärungsversuche

Dahlkamp schrieb ZACKBUM.ch: «Mit der Problematik, die sich daraus ergibt, dass Herr Feldkamp verstorben ist, sind wir im Text offen umgegangen. Ebenso damit, dass sich die Darstellung des Herrn Feldkamp auf die persönlichen Erinnerungen und Aufzeichnungen des Herrn Maier stützt. Dass Herr Feldkamp verstorben ist, kann (…) aber nicht dazu führen, dass über das Agieren des Herrn Feldkamp in massgeblicher Position bei P&R nicht mehr geschrieben werden darf. Gerade das von Herrn Maier beschriebene Auftreten von Herrn Feldkamp liefert vielmehr einen massgeblichen Schlüssel zum Verständnis, warum das Schneeballsystem bei P&R so lange unentdeckt blieb.»

Auf die Fragen, ob  den beiden Journalisten der volle Name von «Maria» bekannt sein und ob sie ihren Text von Maier gegenlesen liessen, wollte Dahlkamp keine Stellung nehmen. Das betreffe Redaktionsinterna.

Insgesamt halt wieder so eine typische «Spiegel»-Geschichte, die sich gut liest. Zu gut.

Zackbum hat jetzt auch eine Kirche

Welche Lehren zog der «Spiegel» aus Relotius?

Mal genau genommen: Wie akkurat sind heute Faktenangaben?

Der «Spiegel» und die USA, das  ist ein schwieriges Thema. Das Blatt hatte bei seiner Geburt 1947 amerikanische Zeitschriften als Vorbild. Wie er ist, und wie er schreibt, lässt sich nur verstehen, wenn man auch die US-Pendants liest.

Und dann kam Relotius. Der «Spiegel» versuchte gar nicht, den Fälscher-Skandal zu verniedlichen. Eine unglaubliche Kette an missbrauchtem Vertrauen, schludriger Kontrolle und überheblicher Arroganz haben zum Entstehen von Relotius geführt, diesem angeblich so bezirzend schreibendem Reporter.

Auch Guido Mingels ist ein hervorragender Schreiber – aus dem luzernischen Dagmersellen. Nicht im entferntesten soll eine Analogie zwischen Relotius und Mingels geschaffen werden. Nur die Unvereinbarkeit zwischen Pointe und Fakten soll aufgezeigt werden.

Und zwar geht es um Mingels Text «Wenn die Ölmänner gehen». Im Zentrum steht das Städtchen Carlsbad in New Mexiko. Die Einwohner, so Mingels, leiden unter dem niedrigen Ölpreis. Firmen gehen Pleite, weil sich die Fracking-Methode unter einem gewissen Ölpreis nicht mehr lohnt. Es ist eine alte Geschichte. Amerikas Ölindustrie erlebt das immer wieder. Steigt der Preis wieder, gehen die Firmen wieder an den Start.

Kurzer Abschnitt mit Fragezeichen

In schöner Spiegeltradition wird die Geschichte an einem Individuum aufgezogen. Und zwar um Freeman. Ein wirklich kurzer Abschnitt soll nun zeigen, dass der «Spiegel» nicht die entscheidende Lehre aus dem Relotius-Skandal gezogen hat. Dass es nicht nur um die Person geht, sondern um einen Schreibstil, der nicht mehr zeitgemäss ist.

Hier ist unser Abschnitt:

«Nichts ist los hier», sagt Freeman, der nie in die Innenstadt geht. Bars gibt es wenige, dafür 58 Kirchen für die verbleibenden 30 000 Bewohner. Offenbar braucht man viel Beistand von oben, um es in dem Ort auszuhalten.

58 Kirchen. So viele soll es in Carlsbad geben. Die Information stammt vermutlich von der Website churchfinder.com, die 58 Kirchen auflistet. Seit heute sind es 59 (siehe Screenshot). Wir haben nämlich die Kirche Zackbum eingetragen. Bei unserer Methodisten-Kirche handelt es sich um ein geistliches Abklingbecken für Abtrünnige. Dass es wahrscheinlich noch andere Jux- oder nicht existierende Kirchen innerhalb der 58 Gotteshäusern Carlsbads gibt, ist nicht auszuschliessen. Wir hoffen, dass Mingels entweder alle 58 Kirchen akribisch abklapperte oder diese Mühe dem vielbeschworenen Doku-Team überreichte.

Die andere Frage ist drängender. Mingels schreibt, dass es in Carlsbad «wenige Bars» gäbe. Mit dem bösen Nebensatz: «Dafür 58 Kirchen …» wird dem Leser das Bild vermittelt, dass es mehr Kirchen als Bars in Carlsbad gäbe. Nur, stimmt das? Gibt es tatsächlich «wenige» Bars dort? Tripadvisor weist aktuell 70 Bars, Restaurants und Schnellimbissen in Carlsbad auf.

Und wenn man streng nach Anzahl Bars geht: In Dagmersellen gibt es drei Kirchen – und nur zwei Bars (die Härzbluet Bar und das Appaloosa Pub). Zum Glück gilt auch in Dagmersellen: Das Dorf befindet sich im Aufwärtstrend, trotz Kirchenübermacht und Bar-Misere.

Und wenn Mingels schreibt: «für die verbleibenden rund 30‘000 Bewohner» vermittelt er dem Leser das Bild eines trostlosen Städtchens, dass von den Einwohnern verlassen wird. Gemäss United States Census Bureau lebten in der Stadt allerdings seit der Zählung noch nie so viele Einwohner wie 2019 , nämlich exakt 29810.

Und wie sehr trifft die Zusage wohl zu: «sagt Freeman, der nie in die Innenstadt geht»? Wirklich, «nie»? Oder, vielleicht doch «selten», «fast nie», «manchmal»?

Diese Anhäufung von Unstimmigkeiten, aber auch Fehlern, vermiesen mir immer mehr die Lektüre meines Lieblingsmagazins, des «Spiegels». Die Pointe stimmt im Leben nur in Ausnahmefällen; deswegen sollte sie seltener gezogen werden.

Mingels nahm zu den Vorwürfen keine Stellung.