«Spiegel» lässt Tote sprechen

Die meckern zum Glück auch nicht.

So einen Chef will jeder haben: Herr Maier fragt bei seinem Chef nach, ob er einen VW Touareg als Dienstwagen leasen darf. Herr Feldkamp donnert ihm entgegen: «Das ist doch ein Scheiss. Das ist doch kein Auto. Mercedes. Oder BMW. Oder Audi. Nehmen Sie einen X5. Und irgend etwas mit 300 PS. Leasing? Den Scheiss machen wir hier nicht. Wir kaufen die Autos. Also abgemacht. Ein X5.»

Also, muss Herr Maier einen X5 kaufen. «Widerstand zwecklos», urteilt der «Spiegel». Jürgen Dahlkamp und Gunther Latsch haben die Geschichte der Pleitefirma P&R nachgezeichnet («Der Container-Crash», Nr. 49/2020). Die Insolvenz hat einen mutmasslichen Schaden von 2,5 Milliarden Euro zu Tage gebracht. Die deutsche  Container-Investmentfirma musste im Frühling 2018 Insolvenz beantragen. Der Geschäftsführer hiess Werner Feldkamp. Hajo Maier war Marketingchef. Feldkamp ist tot, Maier hat 2019 aufgeschrieben, was er ab 2014 erlebte, also auch den Autokauf.

Der «Spiegel» beschreibt Maier als besorgten, gewissenhaften und mit Selbstvorwürfen bedrückten Zeugen. Maier habe zwar immer bei Feldkamp nachgebohrt. Also nach detaillierten Kosten und Projektbeschreibungen. Was aber antwortete der Chef? «Wie lange soll ich mir diesen Scheiss noch anhören?»

«Was soll der Scheiss?»

P&R entwickelte ein Schneeballsystem. Die Anleger waren vor allem Akademiker. Marketingchef Maier, so der «Spiegel», «machte sich auf die Suche nach Zahlen» und quatschte mit einer «Anna» von der Buchhaltung. Wie reagierte Feldkamp, sein Chef, als er davon erfuhr? «Was soll der Scheiss; es kostet, was es kostet.» Und drohte Maier: «Sie werden nie wieder in der Finanzbuchhaltung irgend etwas nachfragen. Haben Sie verstanden? Nie wieder.»

Auf 5 Seiten breitet der Spiegel die tolle Geschichte aus. Am Ende ist der Leser in einer Gemütsverfassung, Maier auf eine Bootsfahrt einzuladen und Feldkamps Urne ins Klo zu kippen.

Liest man die Geschichte aber nochmals, beschleichen den Leser erste Zweifel. Wie stimmig können fünf Jahre alte Beschreibungen sein? Erst recht, wenn sie von jemandem stammen, der sich vielleicht in ein besseres Licht rücken will? Und wie passt das zusammen, wenn die O-Töne von einem Toten stammen, der wenig Chancen hat, die Zitate gegenzulesen?

Erklärungsversuche

Dahlkamp schrieb ZACKBUM.ch: «Mit der Problematik, die sich daraus ergibt, dass Herr Feldkamp verstorben ist, sind wir im Text offen umgegangen. Ebenso damit, dass sich die Darstellung des Herrn Feldkamp auf die persönlichen Erinnerungen und Aufzeichnungen des Herrn Maier stützt. Dass Herr Feldkamp verstorben ist, kann (…) aber nicht dazu führen, dass über das Agieren des Herrn Feldkamp in massgeblicher Position bei P&R nicht mehr geschrieben werden darf. Gerade das von Herrn Maier beschriebene Auftreten von Herrn Feldkamp liefert vielmehr einen massgeblichen Schlüssel zum Verständnis, warum das Schneeballsystem bei P&R so lange unentdeckt blieb.»

Auf die Fragen, ob  den beiden Journalisten der volle Name von «Maria» bekannt sein und ob sie ihren Text von Maier gegenlesen liessen, wollte Dahlkamp keine Stellung nehmen. Das betreffe Redaktionsinterna.

Insgesamt halt wieder so eine typische «Spiegel»-Geschichte, die sich gut liest. Zu gut.

1 Antwort
  1. Juergen Dahlkamp
    Juergen Dahlkamp sagte:

    Lieber Herr Frenkel,
    natürlich können Sie uns für unsere Berichterstattung kritisieren. Ich möchte aber schon noch ergänzen, was Sie mit drei Punkten, warum auch immer, ziemlich nonchalant aus meiner Stellungnahme ausgelassen haben: «…in einem so relevanten Fall wie der P&R-Insolvenz mit einem mutmaßlichen Schaden von 2,5 Milliarden Euro». Genau das ist allerdings für die schwierige Abwägungsfrage, ob man einem Augenzeugen Platz für seine Darstellung der Ereignisse einräumt, wenn sich ein Betroffener nicht mehr dagegen wehren kann, ein wichtiger Punkt. Hätte es sich bei P&R um einen nicht herausgehobenen Fall gehandelt, wäre die Entscheidung anders ausgefallen. P&R ist aber der größte Anlagebetrug in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wer wie Herr Feldkamp erwiesenermaßen einen Schaden von mehr als zwei Milliarden Euro hinterlässt, muss sich die Darstellung eines Augenzeugen, der zudem noch einer der wichtigsten Zeugen der Staatsanwaltschaft München war, schon eher gefallen lassen. Es gibt nicht viele, die bekanntermaßen so nah an den Ereignissen waren wie Herr Maier. Es ist deshalb, um an Ihren Schlusssatz anzuknüpfen, eine dieser typischen Spiegel-Geschichten, bei denen Leser erstmals einen tieferen Einblick in den ansonsten schon hinlänglich bekannten Sachverhalt gewinnen können. Einen Schlüssel zum Verständnis, wie ein Schneeballbetrug dieses Ausmaßes so lange unerkannt bleiben konnte. Dass dies trotzdem nur eine Annäherung, eine Version der tatsächlichen Geschichte ist, nämlich die Version von Herrn Maier, haben wir ausdrücklich und mehrfach in der Geschichte kenntlich gemacht. Auch dass sich Herr Feldkamp dazu nicht mehr äußern kann, haben wir im Text als Problem diskutiert. Deshalb gefällt mir tatsächlich Ihr Schlusssatz nicht, der sich so anhört, als würden wir uns beim SPIEGEL solche Gedanken, die Sie sich machen, bestimmt nicht machen, sondern nach Lust und Laune vor uns hinfabulieren. Gehen Sie bitte davon aus, dass wir diese Fragen vorher diskutiert haben, mit allen Argumenten Für und Wider und durchaus in Erwartung von genau der Kritik, wie ie nun von Ihnen kommt. Dass man auch zu einer anderen Entscheidung hätte kommen können, will ich gerne zugestehen. Journalistisch hätte ich sie aber für falsch gehalten.

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