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Roshani und kein Ende

Tamedia wehrt sich. Gut so.

Der Fall Roshani ist bis in jedes Detail ausgeleuchtet worden. Tausendsassa Roger Schawinski hat sogar ein Buch darüber geschrieben. Immer noch lesenswert.

Zu besichtigen ist heute ein Trümmerfeld. Offensichtlich aus Rache hatte Anuschka Roshani mit einer Breitseite im «Spiegel» die Affäre losgetreten. Darin beschuldigte sie ihren ehemaligen Chefredaktor, sie über Jahre hinweg und auch vor der ganzen Redaktion übel verbal attackiert zu haben, inklusive abfällige Bemerkungen über ihr Sexleben.

Kein einziger dieser Vorwürfe konnte in einer von Tamedia in Auftrag gegebenen Untersuchung erhärtet werden; Roshani verweigerte nach kurzer Zeit die Teilnahme, als sie sich in Widersprüche zu verwickeln begann. Einzig belegt werden konnte, dass ihr Chefredaktor bei Germanismen in ihren Texten mit falsch gezeichneten Hakenkreuzen darauf hinwies und das offensichtlich komisch fand.

Endergebnis: der Chefredaktor wurde wegen ungebührlichen Verhaltens «im gegenseitigen Einvernehmen» gefeuert. Seine Karriere liegt in Trümmern, ihm ging das Geld aus, sich gegen die Verleumdungen im «Spiegel» juristisch zu wehren.

Roshani wollte an seiner Stelle Chefredaktor werden und hatte sich auf seine Stelle beworben, während er noch im Amt war. Stattdessen wurde auch sie entlassen, weil natürlich auch solches Intrigantentum nicht toleriert werden kann.

Auch ihre Karriere liegt ihn Trümmern, wer will schon mit einer so toxischen Person zusammenarbeiten. Dank ihres Mannes muss sie sich im Gegensatz zum Chefredaktor materiell keine Sorgen machen.

Eine besonders üble Rolle spielte die Gutmenschenredaktion des «Magazin», angeführt vom heutigen Co-Chefredaktor der «Republik» Daniel Binswanger. Roshani hatte unter anderem behauptet, ihr Chefredaktor habe sie auch vor versammelter Mannschaft verbal attackiert. Also wäre es für diese mutigen Verteidiger der Frauenrechte ein Leichtes gewesen, das zu bestätigen – oder zu dementieren. Aber sie waren allesamt zu feige, schwiegen auf Anfrage verkniffen oder verwiesen auf die Medienstelle von Tamedia. Auch ein Trümmerfeld angeblich edler Gesinnung.

War’s das endlich? Nein, es wird munter prozessiert. Denn Roshani fordert nicht weniger als ihre Wiedereinstellung, eine Anerkennung ihrer angeblichen Diskriminierung und eine Genugtuungssumme von 10’000 Franken.

Am Montag fand vor dem Arbeitsgericht Zürich ein öffentlicher Prozess in der Sache statt. Immer noch wird munter auch in den Medien Partei ergriffen, so schreibt «persoenlich.com», dass Roshani im «Spiegel» beschrieben habe, «wie sie während Jahren sexualisiertem Mobbing durch ihren Chefredaktor … ausgesetzt war». Indikativ wohlgemerkt. Solange es im Journalismus solche Schludrigkeiten gibt, hat Roshani doch noch gewonnen.

Roshani behauptet inzwischen, dass sie sich auch für die 72 erregten Tamediafrauen wehre, die mit einem Protestschreiben über angeblich unerträgliche Zustände via Jolanda Spiess-Hegglin an die Öffentlichkeit gelangt waren. Obwohl die beiden Initiantinnen behauptet hatten, dass das Schreiben nur für internen Gebrauch bestimmt sei. Auch hier liess sich kein einziger der anonymisierten Vorwürfe erhärten.

Die Lachnummer hier war, dass sich sowohl der damalige Oberchefredaktor Arthur Rutishauser wie der weiter amtierende Konzernboss Pietro Supino präventiv schon mal entschuldigten und sich betroffen zeigten. Obwohl damals und bis heute kein einziger Vorwurf belegt wurde (Indikativ).

Immerhin ist Tamedia offensichtlich nicht bereit, sich auf Vergleichsverhandlungen einzulassen. Damit wird üblicherweise möglichst geräuschlos ein solches Problem abgetischt. Die «Republik», immer stilbildend, ging unter Co-Chefredaktor Binswanger sogar noch einen Schritt weiter. Um jegliches Aufsehen und einen Prozess zu vermeiden, zahlte sie einem ehemaligen Mitarbeiter, der aufgrund anonymer Anschuldigungen fristlos und ohne Anhörung gefeuert worden war, bis zu 30’000 Franken.

Es scheint allerdings so, ein Lichtblick, dass diese anonyme oder persönlich vorgetragene Denunziationsmasche langsam an Wirkung einbüsst. Immerhin.

 

Tra tra Trump

Wie präsentieren die Leitmedien den Schuldspruch gegen den Ex-US-Präsidenten?

Wie zu erwarten war, kriegt sich das Organ der diplomierten Trump-Hasser nicht ein, der «Spiegel» drückt auf die Wiederholungstaste:

Das ist mal ein Titel. Da denkt selbst der «Blick» schon weiter:

Tamedia greift zu Gelb (Moment, die Farbe gehört eigentlich ZACKBUM) und verwendet das Allerweltswort «historisch». Obwohl ja eigentlich niemand weiss, was das bedeuten soll.

Die NZZ hingegen vertraut für einmal auf die Weisheit der US-Wähler:

CH Media hingegen lässt nur Abonnenten an seinen Erkenntnissen teilhaben:

«watson» haut wie meistens kräftig auf die Kacke und stellt eine Behauptung im Grenzbereich der Wahrheit auf. Das mit dem Gefängnis ist nun sehr theoretisch; zuerst einmal müsste Trump rechtsgültig verurteilt werden, was noch ein ganzes Weilchen dauern wird. Und dann müsste er als Nicht-Vorbestrafter schon ziemlich Pech haben, wenn eine unbedingte Gefängnisstrafe ausgesprochen würde. Die Wahrscheinlichkeit ist etwa gleichhoch wie die, dass ein Meteoriteneinschlag die US-Präsidentschaftswahlen unterbricht:

Aber wo die Möglichkeit zum Sauglattismus existiert, kann «watson» natürlich nicht widerstehen:

Auch «blue news» ist ziemlich vorne dabei:

SRF hingegen hält sich staatstragend bedeckt, mit einem Hammertitel über das Unklare:

Für die Gutmenschen von «Republik» oder WoZ hingegen war es am Freitagmorgen halt noch ziemlich früh; wozu diesen Donnerschlag vermelden. Aber die Kommentare werden dann sicher kommen, sobald die Jungs (und Mädels und everybody beyond) ausgeschlafen haben.

Wie verbrannte Kinder eiern alle Kommentatoren um die Frage herum, ob Trump dieser Schuldspruch bei den Wahlen schaden wird – oder nicht. Mit aller Kraft wollen sie den Fehler vermeiden, den sie bei der ersten Teilnahme Trumps an Präsidentschaftswahlen gemacht haben, wo sie teilweise noch bis tief in die Wahlnacht hinein behaupteten, dass die USA die erste Präsidentin gewählt hätten.

Ob dieser Prozess hat stattfinden müssen, wo mit einer doch kühnen Konstruktion eine (erlaubte) Schweigegeldzahlung in eine (unerlaubte) Bilanzmanipulation aufgezwirbelt wurde, ist tatsächlich die Frage. Aber obwohl Trump gegen den Richter tobt, hatte er alle Möglichkeiten eines reichen Mannes, sich gegen die Anklage zur Wehr zu setzen. Dass er in allen Punkten von den Geschworenen schuldig gesprochen wurde, die dafür einstimmig das Verdikt fällen mussten, ist in erster Linie eine knallende Ohrfeige für sein Verteidigungsteam.

Die hätten nur einen einzigen Geschworenen davon überzeugen müssen, dass wenigstens im Zweifel für den Angeklagten gilt, und Trump wäre als Sieger vom Platz gegangen. Wenn er raffinierter wäre als er ist, könnte er es aber auch darauf angelegt haben, verurteilt zu werden, um den Märtyrerbonus einzustreichen.

Was bleibt, ist aber: was für eine Schande für die US-Demokratie, dass – neben völlig aussichtslosen Kandidaten – ein seniler Greis gegen einen Amok-Greis das Beste ist, was die stärkste Militärmacht der Welt als Personal anzubieten hat, wenn es um ihren wichtigsten Posten geht. Mal Hand aufs Herz, da wählt man doch eher noch Dagobert Duck.

 

Ach, NZZ wohin nur?

Wir führen auch hier eine Sonde ein.

NZZ online, später Mittwochnachmittag. Womit erfreut das Blatt der weitsichtigen Intellektuellen den Leser, badet man hier im Meer interessanter Anregungen? Nun ja.

Das nennt man nun nicht gerade einen Knaller als Aufmacher. Ein Schwarzweissfoto der Post von anno dazumal, dazu ein liberaler Kommentar «ohne Staatskontrolle ginge das noch besser». Endlich wagt es die NZZ mal wieder, den alten Slogan «Mehr Freiheit, weniger Staat» aufleben zu lassen.

Dann folgt eine merkwürdige Mischung:

Links ein Porträt des Spitzenkandidaten des Rassemblement National Frankreichs, durchaus originell. Rechts wird’s dann unverständlich: «Gegen das Zögern und Zaudern: Eine Gruppe Intellektueller proklamiert eine Neutralität für das 21. Jahrhundert. Ein Zehn-Punkte-Manifest fordert den Bundesrat auf, die Neutralität konsequent auf die Uno-Charta auszurichten. Eine verstockte Debatte erhält neuen Sauerstoff.»

Eine Gruppe von Rentnern, darunter der unerträgliche Wutbürger Daniel Woker, hat sich ein paar Gedanken gegen Blochers Neutralitätsinitiative gemacht. Das Problem, das im Artikel (wie die Teilnahme Wokers) nicht erwähnt wird: wer den Mann auf seiner Seite hat, braucht keine Gegner.

Eine Duftnote aus seinem polemischen Schaffen: «Rechtsnationale Rumpelstilzchen», «Euro-Angsthasen», das ist noch harmloses Dummschwätzen. Ein «Grossmaul aus Herrliberg» mit seinen «gleichgeschalteten Kohorten» habe sich «eine Mehrheit gekauft», die SVP insgesamt vertrete «teilweise faschistoides Gedankengut» und «bedient sich entsprechender Methoden», angeführt von «einem einzigen Rattenfänger von Herrliberg».

Auch ZACKBUM ist der gepflegten Polemik nicht abgeneigt, aber das geht nun überhaupt nicht.

Schauen wir uns auch bei der NZZ die «Empfehlungen» genauer an:

Da hätten wir einen Artikel des auf den Schoggi-Job Italienkorrespondent für Unwesentliches abgeschobenen Luzi Bernet. Der geht der Frage nach, wie der italienische Waffenfabrikant Beretta 500 Jahre überleben konnte. Das ist sicherlich putzig und von zeitlosem Wert, denn der Artikel stammt vom 3. Mai; immerhin 2024.

Dann singt Nicole «Ein bisschen Frieden». Nein, knapp daneben, Samuel Misteli und Artete Bashizi (Fotos) sind tief in den Kongo eingedrungen, um «Das Rätsel von Idjwi» zu lösen: «Weshalb herrscht auf einer Insel im Kongo Frieden, während ringsherum Krieg tobt?» Der Artikel ist sogar etwas aktueller als der von Bernet, er stammt vom 11. Mai. Blöd nur: Schon im Dezember 2023 berichtete genau darüber der «Spiegel» und löste auch das Rätsel bereits im Titel: «Wie guter Sex auf der Insel Idjiwi den Frieden sichert». Dann berichtete am 19. Januar «Echo der Zeit» über die Friedensinsel, schliesslich am 26. Januar SRF.

Das ist doch alles kein Grund, sich eine hübsche Reise auf Redaktionskosten vermiesen zu lassen, nicht wahr. Aber immerhin, der nächste Artikel über das Leben von Arbeitern, die in ehemaligen «Junggesellenheimen» leben, die einstmals für Gastarbeiter gebaut wurden, hat Charme.

Und schliesslich die Reportage «Die Finnen sind die Glücklichsten – Und glauben selbst nicht daran». Linda Koponen macht «eine Reise im Land der Widersprüche. Das Wetter ist schlecht, die Steuern hoch, und jetzt will die Regierung auch noch sparen. Die Finnen sind unzufrieden – und angeblich doch die Glücklichsten.»

Wenn man Ausflüge in den hohen Norden und einen Text als Elchtest mag, bitte. Auch er ist nicht mehr ganz taufrisch, aber die NZZ hatte schon immer das Credo: was aktuell ist, bestimmen wir.

Dann aber zwei Stücke, die doch das Alleinstellungsmerkmal der NZZ unterstreichen:

Wo liest man schon über das Ungemach des ehemaligen Regierungschef Thailands oder über eine Kanufahrt auf dem Rio Grande, der Grenze zwischen Mexiko und den USA.

Dann drischt die alte Tante Vollgas auf das linksalternative Radio Lora ein:

Und schliesslich redet das Hoforgan der kapitalistischen Freiheit den Stimmbürgen ins Gewissen:

Ein besonderes Lob verdient auch der aktuelle Online-Auftritt. Davon könnten sich die Mitbewerber eine grosse Scheibe abschneiden. Konsequent eine grösser aufgemachte Story neben einer kleineren, unterbrochen von Artikelbändern, dann auch mal ein bildschirmfüllendes Bild, und erst bei «Neu in den Ressorts» gibt es drei Spalten mit Artikeln. Dann noch «Bellevue» und «the market», hier verweilt das Auge wohlgefällig, auch wenn das Hirn nicht immer gefordert ist.

Aber von der Themenvielfalt her, von der ganzen Aufmachung über die Gewichtung bis zur deutlichen Trennung nach Nachricht und Kommentar: nur bei wenigen Ausnahmen gibt es etwas zu meckern. Das alles erinnert an eine alte Autowerbung, als England noch ziemlich vorne dabei war und die Marke Rover für gehobene Ansprüche stand. Die kreierte den Slogan «A class of its own».

Könnte man wiederbeleben und auf die NZZ anwenden.

Wieso der «Spiegel» abserbelt

Zerrspiegel, Hohlspiegel, Rückspiegel.

Claas Relotius, der Storyfälscher, war eigentlich nur die Spitze des Eisbergs. Denn er kam jahrelang mit seinen erfundenen Storys durch, weil er genau das Narrativ, das Framing, die Gesinnungswolke des «Spiegel» bediente.

Der andere Sündenfall des «Spiegel» war und ist Donald Trump. Statt sich Gedanken darüber zu machen, wieso all die wohlbezahlten USA-Spezialisten dessen Wahlsieg gegen Hilary Clinton nicht vorhersahen, erklärte der «Spiegel» zu seiner vornehmsten Aufgabe (im Ernst), den Präsidenten «wegschreiben» zu müssen.

Darin sind zwei weitere Gründe für den Niedergang enthalten. Arroganz, Überschätzung der eigenen Bedeutung und mangelnder Realitätskontakt. Es gibt viele Gründe, Trump für einen gefährliche Amok zu halten. Aber von einem «Nachrichtenmagazin» darf man erwarten, dass es zu erklären versucht, wieso die Hälfte der US-Stimmberechtigten diesen Mann wählen. Sie alle für Idioten, Hinterwäldler und Wahnsinnige zu erklären, das greift dann doch etwas zu kurz.

Was in den USA Trump ist, ist in Deutschland die AfD. Auch hier gibt es genügend Gründe, sie wegen einiger angebräunter Exponenten für unwählbar zu halten. Aber wieso die Partei – trotz aller Häutungen und einem beachtlichen Verschleiss an Führungspersonal – in Umfragen sogar Mehrheiten erreicht, das bedürfte der Erklärung. Alle AfD-Wähler als Gescheiterte, Fremdenhasser, Neonazis oder Prekariatsmitglieder zu verhöhnen, das kann’s ja auch nicht sein.

Die Quittung: Umsatzrückgang (2023 waren es 8 Prozent weniger als 2022), Print minus 25 Prozent Einnahmen durch Werbung, digital minus 18 Prozent. Der Jahresüberschuss brach gar um 43,5 Prozent ein, von 42,8 Millionen auf 24,2, beinahe eine Halbierung.

Einerseits verunsichert das, was sich durch die häufigen Wechsel in der Chefredaktion ausdrückt. Erst vor einem Jahr wurde Steffen Klusmann gefeuert und durch Dirk Kurbjuweit ersetzt. Der wohl fähigste Schreiber Ullrich Fichtner, der schon als neuer Chefredaktor gesetzt war, stolperte über den Relotius-Skandal. Den er dann aber in einer geradezu genialischen Titelgeschichte schönschrieb, in einer Art, wie sie kein zweiter deutscher Journalist hinkriegen würde.

Verkaufte der «Spiegel» von 1995 bis 2009 regelmässig über 1 Million Exemplare, sank die Zahl 2010 das erste Mal unter die Millionengrenze. 2023 waren es dann noch 695’000 Stück, ein weiterer Rückgang von 30’000 im Vergleich zum Vorjahr. Im Vergleich zu 1995 hat er damit mehr als ein Drittel der Auflage verloren.

Digital hat er sich allerdings auf 295’000 Abos gesteigert, was aber den deutlichen Rückgang der Gesamtauflage nicht stoppen kann. Woran liegt das?

Sicherlich, allgemeines Gejammer der Newsmedien. Zu viel Gratis-Konkurrenz, rückläufige Werbeeinnahmen, Konkurrenz durch Verkaufsplattformen, und überhaupt.

Aber auch beim «Spiegel» (wie bei vielen anderen Medien, bspw. «Blick») ist vieles hausgemacht. Wer werthaltige Berichterstattung durch mehr oder minder gut geschriebene Rechthaberei ersetzt, wer die Farbe aus der Wirklichkeit nimmt und mit Schwarzweiss simplifiziert, wer nicht mehr informiert, sondern vorhersehbar kommentiert, der verliert halt Leser.

Das setzt einen Teufelskreis in Bewegung. Umso mehr die Bedeutung des Organs (und seiner Schreiber) schwindet, desto verkniffener wird krakeelt. Desto mehr greift Rechthaberei, das Erteilen guter Ratschläge und das Aufstellen von Forderungen um sich.

Der Leser fragt sich dann zunehmend, wieso er für diese kaum verkleidete Bauchnabelschau leidender Schreibkräfte etwas bezahlen soll. Und lässt es dann auch. Sind das die allgemeinen Zeitläufte? Nein, nicht wirklich, denn in der gleichen Zeitspanne hat «Die Zeit» auflagemässig fast zum «Spiegel» aufgeschlossen. Auch wenn das Blatt selbst nicht frei von ideologischer Rechthaberei ist, pflegt es dennoch einen umaufgeregteren und viel offeneren Ton als der «Spiegel», lässt auch ein breiteres Meinungsspektrum zu.

Das «Sturmgeschütz der Demokratie», wie es der Gründer Rudolf Augstein mal in leichter Selbstüberschätzung nannte, hat zunehmend Ladehemmung und produziert auch den einen oder anderen Rohrkrepierer. Mit welcher Verve sich das Magazin beispielsweise in die Debatte um Anschuldigungen gegen Prominente warf, da hat Augstein sicherlich im Grab rotiert. Eine Titelgeschichte über den Sänger von Rammstein mitsamt anonymen Aussagen von Denunziantinnen? Einer verbitterten Redaktorin des Zürcher «Magazin» eine Plattform bieten, um üble Anschuldigungen gegen ihren ehemaligen Chefredaktor zu erheben – ohne zu erwähnen, dass die Autorin dessen Posten wollte, nicht bekam und stattdessen gefeuert wurde –, das sind nach Relotius weitere Tiefpunkte.

Schade eigentlich, aber auch für den «Spiegel» gilt: was zerbrochen ist, muss weg.

China zensiert brutal

Oder westliche Medien schreiben sich Fake News ab.

Von Felix Abt

Enthüllung: Das repressive China hat einen beliebten Spielzeugbären unterdrückt — oder waren es doch eher die Fake-News-Medien?

Als ich vor Jahren auf dem Markt einer mittelgroßen chinesischen Stadt zufällig einen großen Stand mit vielen Winnie-the-Pooh-Produkten sah, blieb ich stehen und war erstaunt. Hatte ich nicht kürzlich in den westlichen Medien gelesen, dass Winnie the Pooh in China verboten worden war?

Die Geschichte von den verbotenen Plüschbären, T-Shirts und anderen Winnie-the-Pooh-Utensilien ist seitdem immer wieder in den Medien zu vernehmen. Eine der ersten war die BBC, die 2017 «berichtete», dass Winnie the Pooh in China verboten worden sei.

Ein Jahr später, im Jahr 2018, «berichtete» Der Spiegel, dass der «chinesische Machthaber» Angst vor Winnie the Pooh hatte und der niedliche Spielzeugbär deshalb verboten werden musste. «Weil der Bär wie der Machthaber aussieht«, behauptete das Blatt, ohne zu scherzen. Und die Tatsache, dass Chinesen mit bärenähnlichen Gesichtszügen eine rassistische Beleidigung sein könnten, störte den ansonsten woken Moral-Spiegel nicht.

Er stellte die Behauptung auf, dass «Bilder von Winnie the Pooh in China seit langem verboten sind – eben um systemkritische Xi-Memes zu verhindern

Besser spät als nie: Ganze 5 Jahre später, also im Jahr 2023, «berichtete” auch die Neue Zürcher Zeitung über die unheimliche Bärenangst des chinesischen Staatsoberhauptes. Die NZZ führte das Winnie-the-Puuh-Verbot als hieb- und stichfesten Beweis für die allumfassende chinesische Repression an.

Winnie-the-Pooh  wurde auch anderswo verboten, weil der Bär als «unangemessener Zwitter» mit «fragwürdiger Sexualität» beschuldigt wurde. Da dies in einer polnischen und nicht in einer chinesischen Stadt geschah, war es in den westlichen Medien keine Schlagzeile wert.

Keiner dieser “Berichterstatter”, die über die Unterdrückung des Bären und seiner Fans in China schrieben, war vor Ort, um die Angelegenheit zu klären. Ideologische Überzeugungen haben die Macht, Fakten in den Medien zu ersetzen wie nie zuvor.

Glücklicherweise gibt es heute soziale Medien, die nicht nur Unsinn und Unwahrheiten verbreiten wie die traditionellen Medien, sondern auch Wahres, das in letzteren nicht zu finden ist.

In China lebende Ausländer, die westliche Medien weniger zur Information – das wäre Zeitverschwendung – als vielmehr zur Belustigung konsumieren, haben es gewagt, in den sozialen Medien Winnie Puuh zu posten, wie man ihn auf chinesischen Märkten oder auf von Chinesen getragenen T-Shirts sieht.

Der Brite Lee Barrett, der in Shenzhen lebt, twitterte beispielsweise kürzlich Fotos aus einem chinesischen Geschäft, in dem Winnie-the-Puuh-Produkte verkauft werden.

Und die in China lebende Amerikanerin Katrina twitterte ein Bild des mit Winnie the Puuh bemalten Autos ihres chinesischen Nachbarn.

Wo bleibt denn da die Repression, liebe NZZ? Wahrscheinlich ist ein neuer Artikel mit dem sinnigen Titel fällig: «Im unberechenbaren China kann man sich nicht einmal mehr auf die Repression verlassen

Sackschwach

«Cyprus Confidential»: Neuer Name, alte Leier.

Immerhin: für Hubert Seipel gibt es ein Leben vor und eines nach den Enthüllungen darüber, dass er Hunderttausende aus kremlnahen Kreisen in Russland erhalten hat. Natürlich für seine Buchprojekte, ohne dass ihm inhaltliche Vorgaben gemacht worden seien. Blöd nur, dass er immer entrüstet abstritt, für seine Russland-Erklärungen von dort bezahlt zu werden.

Das ist nun echt peinlich; ungefähr so peinlich wie die Enthüllungen, welche deutschen Journalisten indirekt von den USA bezahlt werden.

Damit hat nun der «Spiegel» einen schönen Hammer gelandet, der allerdings vor allem in Journalistenkreisen interessiert. Für Seipel ist zu hoffen, dass auch eine Leibrente ausgesetzt wurde, denn als Publizist war’s das für ihn.

Tamedia hat allerdings wie meist die Arschkarte gezogen. «Der Mitbesitzer von Putins Propagandasender war UBS-Grosskunde», «Diese 20 sanktionierten Russen hatten Schweizer Konten». Eingeschlafene Füsse, frisch aufgewärmt. Das übliche Team bemüht sich, mal wieder zu erklären, wieso sie monatelang auf der Payroll standen, ohne gross Output zu leisten. Aber jetzt können Christian Brönnimann, Sylvain Besson, Arielle Peterhans, Oliver Zihlmann und Sophia Stahl wieder Artikel am Laufmeter absondern.

Da «Papers» und «Leaks» und «Secrets» nun wirklich abgenudelt sind (und sich auch nicht schön stabreimen würden) diesmal also «Cyprus Confidential». Man macht sich gar nicht mal grosse Mühe, zu erklären, von wem mit welchen Motiven man mit gestohlenen Geschäftsunterlagen zugeschüttet wurde. Dafür macht die Arbeit mit dieser Hehlerware viel zu viel Spass.

Da es die ewig gleiche Leier ist, will ZACKBUM nicht auch ins Leiern geraten. Keinem der geouteten russischen Geschäftsleute kann offenbar eine strafbare Handlung oder eine Verurteilung vorgeworfen werden. Ausser, dass sie früher oder später auf irgendwelchen Sanktionslisten der USA oder der EU landeten. Wie man da drauf kommt, ist längst bekannt. Eine Erwähnung unter den 500 Reichsten des «Forbes» Magazins, russischer Name, reicht. Oligarch, kremlnah, Kriegsverbrecher mindestens Verbrecher.

So tauchen auch russische Reiche auf, die oft jahrelang völlig legal in der Schweiz lebten, eine Niederlassung besitzen, brav ihre Steuern zahlen, ihren Firmensitz sogar in die vermeintlich neutrale und rechtsstaatliche Schweiz verlegten – und sich nie etwas zuschulden kommen liessen. Bis sie im eilfertigen Nachvollzug von der Schweizer Regierung ebenfalls sanktioniert wurden.

Das führte dann einfach dazu, dass die sich enttäuscht von der Schweiz abwandten und an deren Rechtsstaatlichkeit zweifeln. Denn gegen diesen Beschluss des Bundesrats, sanktioniert zu werden, gibt es keine Rekursmöglichkeit, kann kein ordentliches Gericht angerufen werden. Und wer beim Bundesrat selbst protestiert, bekommt nicht mal eine Antwort.

Das wäre nun durchaus eine interessante Geschichte, die Tamedia eigenständig recherchieren könnte. Sie hat nur zwei Nachteile. Sie entspricht nicht dem gepflegten Narrativ reich, Russe, Räuber. Und sie wäre mit etwas Aufwand verbunden, der über das Aktenstudium in Datenbergen hinausginge.

Aus Erfahrung weiss man: auch «Cyprus Confidential» wird genauso spurlos verschwinden wie seine Vorgänger. Oder erinnert sich noch jemand an die «Panama Papers» und wie die gestohlenen Datenberge alle hiessen?

Eben. Bloss für Seipel ist die Sache ziemlich blöd gelaufen. Dabei sollte er doch wissen, dass das Bankgeheimnis auch nicht mehr das ist, was es einmal war.

China-Missversteher, Teil 1

Und gefürchtete Agenda-Journalisten.  Ein Versuch, Missverständnisse zu klären.

Von Felix Abt

In Zeiten, in denen Verstehen verpönt ist – man denke nur an die vielgeschmähten Putin-Versteher – sind die China-Missversteher gefragt. Selbst die in China ansässigen «Spiegel»-Journalisten müssen sich dem China-Narrativ ihrer auf strikt atlantisch (d.h. antichinesisch) getrimmten Redakteure in Deutschland unterordnen. Deshalb lesen sich Artikel über China im «Spiegel» so, als wären sie in Hamburg von ausgewiesenen China-Missverstehern geschrieben worden.

Ich habe auch über China geschrieben. Aber kann jemand, der sieben Jahre lang in Nordkorea gelebt hat, China verstehen? Nein, sagt der Ökonom und freie Autor Thomas Baumann, der auch für die NZZ schreibt, in seinem Zackbum-Artikel «Ein Breitbandantibiotikum namens KPCh«. Auf den ersten Blick hat er recht. Aber lassen Sie mich dieses und einige andere Missverständnisse ausräumen, um gleichzeitig zu einem etwas ungetrübteren Bild von China zu kommen.

Unvermeidbares China

Wenn ein Ausländer wie ich eine Fabrik in Nordkorea aufbaut und Maschinen und andere Ausrüstungen, Verbrauchsmaterialien und Software benötigt, die er in Nordkorea nicht finden kann, wo bekommt er sie dann? Genau, in China, wo alles verfügbar ist. Wo schult er seine nordkoreanischen Mitarbeiter, bevor die Fabrik in Betrieb geht? Auch in China, bei befreundeten Unternehmen, denn in keinem anderen Land kann man das modernste Produktions- und Logistik-Know-how besser erlernen als dort (zu den Freunden komme ich gleich noch). Wenn die Produktion anläuft, aber schlecht ausgelastet ist, weil der heimische Markt noch zu klein ist, sucht er sich anderswo einen guten Absatzmarkt, also wieder China. Wenn es im Verwaltungsrat des Joint-Venture-Unternehmens unterschiedliche Meinungen über die Unternehmensstrategie und -führung gibt, was macht dann der Ausländer: In meinem Fall habe ich einen erfahrenen und kompetenten chinesischen Geschäftsmann in den Verwaltungsrat geholt. Während der Kulturrevolution wurde der neue Verwaltungsrat, der damals Chef eines großen chinesischen Unternehmens war, von den damaligen roten Wächtern – heute wären sie wohl grün – abgesetzt und zu einem Arbeiter an einem Arbeitsplatz degradiert, an dem er giftigen Dämpfen ausgesetzt war. Als Chinas woke Kulturrevolution vorbei und sein Unternehmen ruiniert war, wurde er zurück an die Spitze des Unternehmens geholt, um es wieder aufzubauen. Er war der erste in seiner Branche, der ein Joint Venture mit einem ausländischen (amerikanischen) Unternehmen einging. Henry Jin wurde ein enger Freund von mir, dem ich den Artikel im “Diplomat” gewidmet habe: “When Capitalism came to North Korea. How a Chinese businessman helped spark North Korea’s pharmaceutical industry.”

Außerdem habe ich vereinzelte VR-Sitzungen in China abhalten lassen. Dies gab uns die Möglichkeit, für meine nordkoreanischen VR-Kollegen Informationsbesuche bei chinesischen Unternehmen zu organisieren.

Bei einem Treffen mit dem Vorstandsvorsitzenden eines großen Staatsunternehmens fragten die Nordkoreaner ihn, welche Anweisungen er von der Partei und der Regierung erhalte. Der Vorstandsvorsitzende wusste, worauf sie anspielten: Auch in China mischten sich in der Vergangenheit Ministerien und andere staatliche Stellen in das Tagesgeschäft ein, und der Vorstandsvorsitzende war lediglich ein Befehlsempfänger, kein Gestalter. Die Antwort verblüffte meine nordkoreanischen Kollegen: «Die einzige Erwartung der Regierung ist, dass wir das Unternehmen so führen, dass es rentabel und nachhaltig bleibt. Wenn nicht, bin ich meinen Job los

Gefürchtete Agenda-Journalisten

Ich hatte schon lange vor meiner Nordkora-Zeit geschäftlich mit China zu tun. Jahrelang hatte ich eine in Hongkong registrierte Firma, die für die Geschäfte in China zuständig war. Wir bauten ein in diesem Teil der Welt unverzichtbares, und deshalb wertvolles Netzwerk von Freunden und Bekannten im Reich der Mitte auf, über das ich auch all die Informationen bekam, die in westlichen Zeitungen nicht zu finden sind. In einer Karaoke-Halle hatte ich einmal ein Gespräch mit einem chinesischen CEO eines erfolgreichen Unternehmens. Er erzählte mir: «Der Satz ‹Kein Zutritt für Hunde und Chinesen!›, den westliche Kolonialisten am Eingang ihrer Banken und in chinesischen Parks angebracht hatten, ist in die Seele vieler Westler eingebrannt.» Ich fragte ihn, ob er westlichen Journalisten keine Interviews gebe, worauf er antwortete: «Wir haben kein Interesse daran, denen zu helfen, die uns schlecht machen wollen.» Auf meine Frage, warum er mit einem Westler wie mir spreche, antwortete er: «Sie und ich sind Geschäftsleute, die keine politischen Ziele verfolgen. Wir haben Geschäftsinteressen, die sich gegenseitig ergänzen, also sind wir Partner und können Freunde sein. Und alles, worüber wir sprechen, bleibt unter uns.» Andere chinesische, koreanische, indonesische und vietnamesische Unternehmer haben sich mir gegenüber so oder ähnlich geäußert.

Als Anna Fifield, eine Journalistin der «Financial Times«, eine mehrteilige Reportage über Nordkorea machen wollte, half ich ihr, das einzige Interview zu führen, das ein nordkoreanischer Geschäftsmann jemals einem westlichen Medium gegeben hatte. Der Chef eines Industriekonglomerats, das damals in Südkorea als das nordkoreanische Pendant zu Samsung angesehen wurde und das bereits erfolgreich Produkte in China vermarktete, war auf der Suche nach weiteren Exportmärkten. Ich sagte dem fließend Englisch und Chinesisch sprechenden Geschäftsmann, dass die Financial Times sicher Leser hat, die sich für sein Unternehmen und seine Produkte interessieren könnten. Selbst wenn das Produkt und der Preis stimmen, gibt es in den ostasiatischen Ländern noch eine weitere Bedingung, um Geschäfte zu machen oder die Türen zu öffnen: Vertrauen. Wenn der Nordkoreaner mir nicht vertraut hätte, wäre das Treffen mit der Journalistin nicht zustande gekommen. Und wenn die Journalistin ihn in die Pfanne gehauen hätte, wäre das als Vertrauensbruch meinerseits gewertet worden mit den entsprechenden Konsequenzen für mich. Was für Asiaten gilt, gilt auch für Westler in diesem Teil der Welt: Man lässt nicht jeden an seine wertvollen Kontakte heran.

Zusammen mit dem Chef des nordkoreanischen Industriekonglomerats, das nach seinen Worten auch «coole Motorräder» herstellt. Ausnahmsweise sprach er mit der Financial Times.

Fortsetzung folgt.

Archäologie des Verschwindens

Was weg ist, fehlt nicht. Oder doch?

Wer erinnert sich noch an die grossen Debatten, ob eine Impfung gegen Corona nützt oder schädlich ist? Ob Ungeimpfte potenzielle Massenmörder seien? Da liefen Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher zu Höchstformen auf, sahen völlige Verantwortungslosigkeit herrschen («Der Bundesrat ist völlig übergeschnappt») und das Ende der Welt nahen.

Vorher völlig unbeachtete Wissenschaftler überboten sich in Ankündigungen von Todeszahlen (Wissenschaftler Althaus gewann mit dem Höchstgebot von 100’000 Toten in der Schweiz).  Eine Task Force ermächtigte sich, verantwortungsfrei allen Politikern, inklusive Bundesrat, der sie eigentlich zwecks stillen Beratungsdienstleistungen ins Leben gerufen hatte, Noten, Ratschläge und besserwisserische Forderungen zukommen zu lassen.

Das Maskentragen war nicht nur obligatorisch, sondern Nicht-Träger wurden öffentlich an den Pranger gestellt; alle Dissidenten von der medial unterstützten Regierungslinie wurden als Corona-Leugner, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und willige Gefolgsleute von üblen Rechtspopulisten beschimpft. Wer an bewilligten Demonstrationen teilnahm, war ein nützlicher Idiot, wer sie mit Treicheln begleitete und den eidgenössischen Schlachtruf «Horus» anstimmte, ein Faschist.

Welche Schäden die hysterische und überzogene Politik wirtschaftlich und gesellschaftlich angerichtet hat – Schwamm drüber.

Vorbei, verweht, vergessen.

«#metoo», die grosse Bewegung gegen männliche Herrschaft, Übergriffe von Mächtigen auf Abhängige, der Aufschrei lange schweigender Frauen. Neben wenigen sinnvollen Anklagen produzierte die Bewegung eine Hexenjagd, diesmal aber auf Männer. Harvey Weinstein, als Sexmonster entlarvt und in den Knast gesteckt. Kevin Spacey und so viele andere: falsch beschuldigt, ruiniert, fertiggemacht, und wenn sie Jahre später von allen Anwürfen freigesprochen werden, interessiert das niemanden mehr wirklich. Die doppelte Endmoräne dieser Bewegung trägt die Namen Anuschka Roshani und Till Lindemann. Sie als Falschbeschuldigerin, er als Falschbeschuldigter.

Erinnert sich noch jemand daran, dass der heruntergekommene «Spiegel» dem Rammstein-Sänger sogar eine Titelgeschichte widmete, Roshani ihre grösstenteils frei erfundenen und längst widerlegten Anschuldigungen dort veröffentlichen durfte? Dass nun auch noch ein gefallener linker Starreporter seine Karriere beenden musste, weil ihm anonym verbale Übergriffe und ein angeblicher körperlicher Übergriff vorgeworfen werden, wobei eine medienbewusste Medienanwältin eine zwielichtige Rolle spielt: war da mal was?

Vorbei, verweht, vergessen.

«We stand with Ukraine», jede bessere WG machte neben der Pace-Fahne Platz für eine Ukraine-Flagge. Der ehemalige Schauspieler Volodymyr Selenskyj, an die Macht bekommt dank der Millionen eines ukrainischen Oligarchen, der sich damit eine Amnestie von gewaltigen Unterschlagungen erkaufte, wurde zum neuen Superhelden des Widerstands. Selbst eine Modestrecke in der «Vogue» mitsamt vor zerschossenen Flugzeugen posierender Gattin konnte diesem Image keinen Abbruch tun. Endlich war die Welt wieder in Ordnung. Nach dem bösen chinesischen Virus nun der böse russische Autokrat.

Seither dürfen Ukrainer und Russen in einem Stellvertreterkrieg verbluten. Der völkerrechtswidrige Überfall hat bislang Schäden in der geschätzten Höhe von 1000 Milliarden US-Dollar angerichtet. Zahlen wird die nicht Russland, auch nicht die Ukraine. Und erst recht nicht China oder Indien. Wer bleibt? Genau, in erster Linie die EU. Da gab es neulich eine gross angekündigte ukrainische Offensive. Wie geht’s der, wo steckt sie, ist sie erfolgreich, erfolglos, ist die Ukraine am Ende oder Russland oder beide? Wen interessiert’s im Moment, der arme Selenskyj versucht verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hamas-Terrorismus und russischen gäbe. Dabei zählen seine westlichen Verbündeten ihre Munitions- und Waffenlager durch und fragen sich, womit sie allenfalls Israel unterstützen wollen.

Vorbei, verweht, vergessen.

Ein Treppenwitz ist dagegen, dass der grosse Shootingstar der Schweizer Literatur, der mehrfach preisgekrönte Kim spurlos verschwunden ist. Das eint ihn mit dem anderen grossen Gesinnungsblasenschreiber Lukas Bärfuss, von dem man auch noch kein ordnendes Wort zu den aktuellen Weltläufen gehört hat. So viel zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Schriftstellers, die immer als Begründung herhalten muss, wenn mehr oder minder begabte Schreiber meinen, ihre persönliche Meinung zu diesem und jenem interessiere eine breitere Öffentlichkeit. Ach, und wo bleibt Sibylle Berg, die nach Plagiatsvorwürfen und leichten Zweifeln an der Authentizität von Reportagen auch deutlich leiser geworden ist.

Ein Treppenwitz im Treppenwitz ist, dass die Webseite von «Netzcourage» seit Tagen nicht mehr erreichbar ist, und ausser ZACKBUM ist das noch niemandem aufgefallen, bzw. keiner hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass nun Tausende, na ja, Hunderte, öhm, Dutzende, also eine Handvoll von Cybermobbing-Opfern unbeholfen und ungeholfen rumstehen. Ach, und es können wieder ungehemmt «Cockpics» verschickt werden, wovon angeblich bereits jede zweite Frau belästigt wurde. Nun kommt auch noch die andere Hälfte dran.

Vorbei, verweht, vergessen.

Sich prügelnde Eritreer, überhaupt Nachrichten aus den Elendslöchern dieser Gegend, aus Äthiopien, Sudan, Somalia, aber auch Tschad, Niger? Ach ja.Falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe, Pech gehabt. Hat noch nie gross interessiert, interessiert aktuell überhaupt nicht. Armenier? Ach ja, die Armenier, war da nicht neulich was? Der religiöse Autokrat Erdogan, der die Errungenschaften Atatürks aus reiner Machtgier rückgängig gemacht hat und die Türkei ins Mittelalter zurückführen will, bombardiert als Kriegsverbrecher kurdische Lager in Syrien? Na und, ist aber doch in der NATO, hilft bei den Flüchtlingsströmen und daher ein Guter. Mohammed bin Salman, auf dessen Befehl hin ein Dissident unter Bruch aller diplomatischer Regeln in einer saudischen Botschaft brutal ermordet und zerstückelt wurde – nun ja, ein Freund des Westens, Waffenkäufer und Besitzer von Ölquellen. Da sehen wir ihm doch sein Gemetzel im Jemen auch gleich nach.

Vorbei, verweht, vergessen.

Hunderttausende von Kindern, denen bei der Kakaoernte Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die missbraucht, gequält, geschlagen, erniedrigt werden? Das wurde vom Läderach-Skandal überstrahlt, von der erschütternden Enthüllung, dass Läderach Senior als Mitglied einer Freikirchen-Sekte mitverantwortlich dafür war, dass vielleicht zwei oder drei Dutzend Zöglinge eines Internats ein wenig psychisch oder physisch misshandelt wurden.

Das Zurich Film Festival kündigte sofort erschreckt die Partnerschaft. Das gleiche Filmfestival, das den geständigen Vergewaltiger einer Minderjährigen Roman Polanski noch einige Jahre zuvor den Ehrenpreis fürs Lebenswerk überreicht hatte. Das gleiche Filmfestival, das ohne Skrupel solche Schoggi verteilt hätte, wenn das Problem nur darin bestanden hätte, dass sie mit ausbeuterischer Kinderarbeit gewonnen wird. Na und, Westafrika, Schwarze, who cares.

Vorbei, verweht, vergessen.

Israel, Israel, Israel. Ein bestialischer Überfall, das Abschlachten von Zivilisten. Das Vorgehen einer Mörderbande, wie es nur mittels der mittelalterlichen Todesreligion Islam möglich ist. Und schon wieder werden die Fundamente der Aufklärung in Frage gestellt. Es ist diskussionslos widerwärtig, dass in Deutschland (und in kleinerem Umfang auch in der Schweiz) antisemitische Ausschreitungen stattfinden. Wer die Sache Palästinas mit radikalfundamentalistischen Wahnsinnigen wie Hamas vermischt, ist ein Vollidiot und schadet der Sache Palästinas schwer. Aber wer Antisemitismus als wohlfeiles Totschlagargument gegen jede, auch gegen berechtigte Kritik an Israel verwendet, schadet einer fundamental wichtigen Sache unserer westlichen Gesellschaft: dem freien Diskurs. Der Überzeugung, dass nur im Austausch von Argument und Gegenargument, von Meinung gegen Meinung Erkenntnis und somit Fortschritt möglich ist.

Niemand hat das anschaulicher auf den Punkt gebracht als der ehemalige Pfaffenbüttel Giuseppe Gracia: «Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit.» Wer Israel kritisiert, muss also zuerst Vorbedingungen erfüllen, die von Gracia und seinen Gesinnungsgenossen selbstherrlich aufgestellt werden. Wer Israel kritisiert, muss zuerst eine Litanei herunterbeten, welche anderen Staaten er auch kritisiert. Wer Israel kritisiert, muss zuerst Bekenntnisse ablegen. Zu oder gegen oder über. Sonst sei er Antisemit. Wer sagt «Israel verübt im Gazastreifen Kriegsverbrechen», dürfte das laut diesen Zensoren allenfalls nur sagen, ohne als Antisemit beschimpft zu werden, wenn er vorher sagt «Russland verübt Kriegsverbrechen in der Ukraine, die USA verüben Kriegsverbrechen überall auf der Welt, der Iran verübt Kriegsverbrechen, Saudiarabien, die sudanesische Regierung» usw. usf.

So wie früher die Inquisition forderte, dass Bekenntnisse abgelegt werden mussten, bevor in von ihr bestimmtem engem Rahmen Kritik an der Kirche geübt werden durfte. Bis man ihr dieses Recht wegnahm. So wie man es heute all diesen Anti-Aufklärern wegnehmen muss. Denn wer da zuschaut, wenn freie Rede beschränkt werden soll, ist das nächste Opfer.

Oder ganz einfach: grausame Kriegsverbrechen, die gegen Israel begangen werden, rechtfertigen, erklären, beschönigen nicht Kriegsverbrechen, die Israel begeht. Dass für persönlich Betroffene Hamas-Anhänger Tiere sind, die vernichtet werden müssen, ist menschlich verständlich. Dass der israelische Verteidigungsminister von menschlichen Tieren spricht, die als solche behandelt werden müssten, ist inakzeptabel. Ein militanter Israel-Verteidiger hat vor Kurzem in der NZZ eine richtige Frage gestellt: Wie kann Israel auf monströse Taten reagieren, ohne selbst zum Monster zu werden?

Auch beim Kampf gegen Monster darf man nicht selbst zum Monster werden. Auch gegen Palästinenser gab es Massaker, oder hat man die Namen Sabra und Schatila samt der üblen Rolle Israels bereits vergessen? Erinnert man sich schon nicht mehr an den Werdegang des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten, den nur sein Amt vom Knast trennt? Entschuldigt, relativiert, verniedlicht, erklärt das die bestialischen Massaker der Hamas? In keiner Art und Weise. Aber es hilft dabei, nicht auf Stammtischniveau dumm zu schwätzen.

Das Schlimmste, was den Palästinensern in den letzten Jahren passiert ist, ist die Machtübernahme durch fundamentalistische Islamisten, durch Anhänger einer menschenverachtenden Todesreligion. Was Hamas will, ist Zerstörung, sie haben keinerlei positive Perspektive. Weder für Israel, noch für die Palästinenser. Was will aber Israel? Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, der freie Diskurs, die konstruktive Debatte?

Einfache Frage: sollte es Israel gelingen, die Hamas zu liquidieren, wie es sein erklärtes Ziel ist: und dann?

Vorbei, verweht, unmöglich.

Recht und Moral

Wenn Medien auf dem ungeordneten Rückzug sind.

Nehmen wir als exemplarisch den Kommentar von Michael Graber in den CH Medien: «Verfahren eingestellt: Das ist kein Grund zum Jubeln».

Die CH Medien, das muss gesagt sein, waren im Fall Till Lindemann zurückhaltender als die übrigen Medien der Schweiz. Bei Tamedia forderte ein Amok gleich die Absage von Konzerten von Rammstein in der Schweiz. Der NZZ rutschte heraus, dass Lindemann ein «Täter» sei. Und der «Blick» musste zu Kreuze kriechen, einen Artikel löschen und ein schleimiges Interview mit einem der Anwälte des Sängers ins Blatt heben. Kommt halt davon, wenn man sich mit jemandem anlegt, der mehr Geld hat als ein Journalist.

Wir fassen kurz zusammen: eine Frau legte mit unklaren Behauptungen Feuer an die Zündschnur, dann explodierte die übliche Beschuldigungsorgie. Entweder in den asozialen Medien oder aber in der Mainstreampresse, wo sich sogar Journalisten der «Süddeutschen Zeitung» oder des «Spiegel» nicht entblödeten, angeblichen Opfern von Lindemann eine Plattform für anonyme, wildeste Beschuldigungen zu bieten.

Davon animiert, wurden Strafanzeigen eingereicht. Eine von der Brandstifterin, dann noch weitere von gar nicht selbst Betroffenen, die aber dennoch furchtbar betroffen waren. Nun ist’s vorbei, und Graber behauptet kühn: «Die Rammstein-Welt ist wieder in Ordnung. … Alles vom Tisch. Die grosse Show kann weitergehen.»

Ist das so? Nein, anschliessend legt er den Rückwärtsgang ein: «In der ganzen Affäre gibt es eigentlich nur Verlierer. Beginnen wir mit der Selbstkritik: Ja, die Medien haben teilweise übermarcht.» Lustig, dass die Medien immer zunächst an sich selbst denken, nicht an das eigentliche Opfer dieser Hetze.

Dann kommt eine ganz üble Nummer: «Die Einstellung eines Verfahrens ist kein Freispruch. Es heisst, dass nicht genügend Beweise gesammelt werden können, die ausreichen würden, um ein richtiges Verfahren einzuleiten

Das ist ein wenig richtig und kreuzfalsch. Richtig ist, dass es kein Freispruch ist. Weil es den gar nicht braucht. Denn dieser Fall verröchelte bereits an der ersten Hürde der Strafverfolgung: dass überhaupt eine Strafuntersuchung begonnen wird. Wäre das der Fall, käme es dann allenfalls zu einer Anklage, dann zu einem Prozess, und schliesslich zu einem Schuld- oder Freispruch. Und dann würde es nochmal eine Weile dauern, bis das nach dem Instanzenzug rechtsgültig würde. Und bis dahin, selten so gelacht, würde die Unschuldsvermutung gelten.

Aber die ist in solchen Fällen längst durch die Schuldbehauptung abgelöst worden. Meistens haarscharf an der Grenze des Einklagbaren formuliert. Und sollte sich die als purer Rufmord, als Verleumdung, als unqualifizierte Übernahme und Publikation von unbewiesenen Behauptungen herausstellen, dann wird im Nachhinein gerechtfertigt, dass sich die Balken biegen.

«Wir sprechen hier nur von justiziablem Missbrauch. Also wenn eine Frau gefügig gemacht worden ist. Das System hinter der sogenannten Row Zero, bei dem Frauen vorgängig selektiert worden sind und später teilweise auch Lindemann zugeführt wurden, war nicht Teil der Untersuchungen. Auch darüber gab es Medienberichte.»

Und wenn es darüber Medienberichte gibt, dann entspricht das natürlich der Wirklichkeit. Weil die Medien nur und ausschliesslich überprüfte Tatsachen rapportieren. Für wie blöde hält dieser Graber eigentlich seine Leser?

Schliesslich kommt er unweigerlich zum Argument der Argumente: «Nur weil etwas rechtlich in Ordnung ist, muss es das nicht unbedingt auch moralisch sein.»

Immerhin, in diesem Satz kristallisiert sich die ganze Problematik. Denn er ist nicht zu Ende gedacht. Grundsätzlich ist er richtig. Alles, was nicht strafbar ist, ist erlaubt. Aber das bedeutet tatsächlich nicht, dass es auch moralisch-ethischen Massstäben einer zivilisierten Gesellschaft entspricht.

Nur: wer legt die fest? Wer darf das richten? Wer darf moralische Urteile, moralische Verurteilungen abgeben? Die Medienschaffenden? Ausgerechnet die Gesinnungsjournalisten, die Gutmenschen, die sich über alles erhaben fühlenden Schreiber in ihren Verrichtungsboxen im Newsroom? Deren Kenntnisse von Moral und Ethik, von moralischen Grundsätzen und deren Herleitung, von Immanuel Kant oder anderen Philosophen, vom Unterschied zwischen Gesinnungsethik oder Verantwortungsethik auf einer Nadelspitze Platz haben?

Ausgerechnet Journalisten, die eins übers andere Mal unter Beweis stellen, dass sie zu fast allem eine Meinung, aber von fast nichts eine Ahnung haben? Die dem Herdentrieb folgen, sich in jedes beliebige Framing ergeben, Narrative nachplappern, wenn die von Vorreitern vorgegeben werden?

Wie lachhaft. Überhaupt nicht lustig ist dann die Schlussfolgerung von Graber am Ende seines Kommentars:

«Am Ende gehen alle verwundet aus der Schlacht. … Die mutmasslichen/angeblichen (je nach Schwarz-oder Weiss-Schattierung ankreuzen) Opfer von Lindemann, die nun endgültig zur Internet-Hetzjagd freigegeben sind. Und, fast am wichtigsten: Alle Opfer von sexuellem Missbrauch ganz generell.»

Nun, wer eine Internet-Hetzjagd eröffnete oder fleissig an ihr teilnahm, muss sich dann nicht beklagen, wenn ihm das Gleiche passiert. Und die Opfer generell? Richtig, darin besteht diese bodenlose Schweinerei von Möchtegern-Opfern, die sich damit ihre vergänglichen 15 Minuten Ruhm abholen wollen, indem sie sich entweder selber als Opfer präsentieren oder Opfergeschichten weitergeben wie diese unsägliche deutsche Bloggerin, der ihre rufschädigenden Verleumdungen verboten werden mussten. So wie sie diversen Presseorganen verboten werden mussten.

Viel wichtiger als das ist die Tatsache, dass nur jemand, der über so viel Geld (und eine treue Fanbasis) wie Lindemann verfügt, einen solchen Sturm stehend überleben kann. Der Schweizer Ex-Chefredaktor, dem genauso übel mitgespielt wurde, hat schlichtweg das Geld nicht, um gegen den «Spiegel» weiter vorzugehen, der eine ganze Latte von nachweislich falschen Behauptungen veröffentlichte. Der «Spiegel» kräht nun Triumph, dabei hat die Schmiere über Anstand und Moral gesiegt.

Opfer sind die zu Unrecht Angeschuldigten, auf lange Zeit an Ruf und Ehre beschädigt, oftmals wirtschaftlich ruiniert, sozial geächtet, stigmatisiert und mit einem Makel behaftet.

Während sich die daran Schuldigen mit ein paar launigen Sprüchen («Ja, die Medien haben teilweise übermarcht») aus der Affäre ziehen können. Was fehlt, ist die völlig richtige Forderung des deutschen Juristen und Bestsellerautors Ferdinand von Schirach von allen Zinnen zu rufen und alles dafür zu tun, dass sie umgesetzt wird. Drakonische Strafen für alle Medienorgane, die falsche Anschuldigungen im Bereich «sexuelle Übergriffe» kolportierten.

Nein, das unterbindet nicht jegliche Verdachtsberichterstattung. Aber es zieht diejenigen zur Verantwortung, die bislang Existenzen vernichten können, dann mit den Schultern zucken und zur nächsten Hetzjagd weiterziehen.

Der Oberheuchler als Chef

Die «Republik» hat ein Problem. Teil zwei der Sonntags-Serie.

Gut, sie hat viele Probleme. Sie hat Geldprobleme. Sie hat ein Faulheitsproblem; ihre 55-köpfige Crew, verstärkt durch zwei Dutzend ständige Mitarbeiter, hat einen Output, der kleiner (aber nicht besser) ist als der von ZACKBUM, und wir sind eine One-man-Show, oder sagten wir das schon.

Sie muss immer wieder auf Betteltour, sagt aber trotz Transparenzversprechen erst zu «gegebener Zeit», wer denn schon wieder 250’000 Franken lockermachte, um ein klimaneutral ausstossfreies «Klimalabor» im Wachkoma zu erhalten.

Aber nun hat sie noch ein Chefproblem. Ein gravierendes. Denn einer ihrer Mitarbeiter wurde nach wochenlanger Untätigkeit der Führungsspitze freigestellt. Er wird anonym beschuldigt, sexuelle Übergriffe begangen zu haben. Verbal und in einem Fall auch körperlich. Das weist er «vehement» zurück, zudem weist er darauf hin, dass niemals Strafuntersuchungen gegen ihn aufgenommen wurden.

Hier gilt die Unschuldsvermutung, obwohl die in den Hetzmedien schon lange nicht mehr gilt. Aber das ist nicht das Problem der «Republik».

Ihr Problem hat einen Namen: Daniel Binswanger. Obwohl er das nicht wollte, ist er der Notnagel-Chefredaktor der «Republik» bis das Findungskomitee, das so tut, als ginge es hier um die Bestallung der Chefetage von Apple, einen geeigneten Kandidaten durch alle Assessments, Prüfungen, Eignungstests und Survivalcamps geschleift hat.

Aber auch das ist nicht das Problem der «Republik», das ist bloss lächerlich.

Das Problem der «Republik» ist ungeheuerliche Heuchelei, ganz oben. Denn der amtierende Co-Chefredaktor ist seit den Anfängen des Organs zur Rettung der Demokratie und der Bekämpfung des Faschismus dabei. Die schreibende Schmachtlocke war zuvor lange Jahre Mitarbeiter beim «Magazin», mit dem langjährigen Chefredaktor Finn Canonica sehr eng.

Als die gefeuerte Mitarbeiterin Anuschka Roshani im «Spiegel» eine ganze Wagenladung von Jauche über Canonica ergoss, schrieb sie unter anderem, dass es Vorfälle gegeben habe, bei denen die Redaktion anwesend gewesen sei, als Ohren- und Augenzeuge von unerträglichen verbalen Übergriffigkeiten Canonicas.

Also waren auch Binswanger und der inzwischen freigestellte «Republik»-Reporter, der auch für das «Magazin» arbeitete, dabei. Also hätte man doch von ihnen erwarten können – insbesondere, da es keinerlei Abhängigkeiten von Tamedia mehr gab –, dass sie öffentlich Zeugnis abgelegt hätten. Entweder: ja, es war so, wie Roshani das beschreibt. Oder: Nein, es war nicht so, es ist richtig, dass Canonica das bestreitet.

Sicher, es gibt da noch das Geschäfts- und Redaktionsgeheimnis, aber gälte hier Anstand und Moral nicht mehr? Wenn man schon ungefragt als Zeuge verwendet wird, wäre es da nicht selbstverständlich, zu widersprechen oder zu bestätigen? Vor allem, wenn man wie Binswanger (und wie der Reporter auch) fast nie ohne den erhobenen Zeigefinger anzutreffen ist, wie verächtlich und verurteilenswert Sexismus sei, vor allem auf Redaktionen. «Hic Rhodos, hic salta», hätten sich die beiden sagen müssen, und zumindest Binswanger als Feuilleton-Redaktor sollte genug Latein können.

Aber nein, beide duckten sich feige weg, reagierten nicht auf Anfragen von ZACKBUM (oder von anderen). Da sind zwei Journalisten in einem Infight, und einmal geht es nicht darum, dass Dinge berichtet werden, die nur zwei Zeugen hätten, wobei dann gälte: sie sagt, er sagt, wer weiss es denn. Hier hätte endlich einmal eine Anschuldigung verifiziert – oder falsifiziert werden können. Ein «so war es» oder ein «so war es nicht» hätte genügt.

Haltung, Anstand, minimale Anforderungen an Moral. Nichts da. Einzige Erklärung: beide wollen sich die Türe zu Tamedia nicht ganz zuschlagen – wenn es die «Republik» mal lupft, braucht es ja ein warmes Plätzchen. Zumindest bei einem der zwei hat sich das allerdings erledigt.

Alleine dadurch wäre Binswanger eigentlich für eine Führungsposition disqualifiziert. Wobei schon seine absurde Meinung, dass das Tragen eines Kopftuchs im Westen als freie Entscheidung der daruntersteckenden Frau gesehen werde müsse, dafür ausreichte: «Nikab-Trägerinnen in Europa sind typischer­weise unabhängige und selbst­bestimmte Frauen, die ihren Fundamentalismus gegen den Willen ihrer Familie praktizieren.» Das glaubt man nicht, selbst wenn man es liest.

Aber angesichts des Sexismus-Skandälchens gibt es noch ein zweites Problem für Binswanger. Er ist seit dem Stellenantritt des Freigestellten bei der «Republik» an Bord. Er weiss damit auch davon, dass den bereits zuvor entsprechende Gerüchte umwehten. Er weiss zudem, dass die «Republik» denen nachging. Er weiss schliesslich, dass eine Redaktorin der «Republik» sogar recherchierte, ihr Artikel aber nie erschien, weil die «Republik» den in linken Kreisen kultigen Reporter unbedingt von der WoZ abwerben wollte – was ihr auch gelang.

Das alles weiss Binswanger. Oder aber, immer bewährt, auch in der Geschichte, er hat von nichts gewusst. Nichts gesehen, nichts gehört, natürlich nichts gesagt. Ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber angenommen, es sei so. Dann ist er aber ungeeignet für seinen Job, Denn ein Chefredaktor, der von all dem nichts mitbekommt, sich schon vorher in verschiedenen Beziehungen disqualifizierte, aber dennoch jede Woche Moralinsäure, Gutmenschentum, Rechthaberei, Aufrufe zu angeblich richtigem und guten Verhalten über seine Leser regnen lässt, der ist untauglich.

Eine Belastung. Der Aufgabe nicht gewachsen. Eine Hypothek wie die drohende Busse für Steuermauscheleien. Und mehr Mühlsteine um den Hals kann die «Republik» zurzeit wirklich nicht vertragen, wenn sie den Kopf über Wasser halten will. Aber will sie das überhaupt?