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Friedenstaube Schweiz

Ihr Ruf als neutraler Staat ist angekratzt. Der Bürgenstock soll’s richten.

Die Schweiz lädt zur grossen Friedenskonferenz in Sachen Ukraine. Dialog, erster Schritt für einen «umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden», behauptet das EDA.

Die öffentliche mediale Meinung dazu ist, gelinde formuliert, durchwachsen. Wie üblich recht staatshörig gebärdet sich mal wieder Tamedia. Da darf Aussenminister Cassis in einem Gastbeitrag für seinen «Friedensgipfel» werben.

«Beitrag leisten, im Geiste unserer Tradition, Verantwortung übernehmen, humanitäre Tradition, zuhören, sich austauschen, voneinander lernen».

Wunderbares Wortgeklingel. Aber vielleicht etwas weltfremd. Ob’s daran liegt, dass der Aussenminister laut eigenem Bekunden «keine Zeitungen mehr liest»? Könnte ihm deswegen entgangen sein, dass ein Friedensgipfel, an dem eine der beiden Kriegsparteien nicht teilnimmt, eher wenig Sinn macht? An den Pariser Friedensverhandlungen zum Vietnamkrieg, die von Kriegsverbrecher Kissinger torpediert wurden, nahmen immerhin Vietnam und die USA teil.

Aber auf dem Bürgenstock wird Russland fehlen. Man sei nicht eingeladen worden, heisst es aus Moskau, und überhaupt sei das eine Farce. Wie hochrangig die USA vertreten sein werden, steht noch in den Sternen. Präsident Biden wird im heraufziehenden Wahlkampf wohl nicht seine Zeit verschwenden, um für einen Grüssaugust-Gipfel in die Schweiz zu reisen.

Nur Ukraines Präsident Selenskyj will gerne anreisen. Aber nicht, um über Frieden zu verhandeln. Sondern um für weitere finanzielle Unterstützung und Waffen zu betteln. Was auch nicht sonderlich friedfertig ist. Zudem wird er wohl seinen «Friedensplan» wiederholen, der als Voraussetzung für Verhandlungen mit Russland den vollständigen Abzug russischer Truppen (inkl. Krim) und die Errichtung eines internationalen Kriegsverbrechertribunals zur ausschliesslichen Aburteilung russischer Verbrechen vorsieht.

Während Russland rundum eine Teilnahme ablehnt, verbrämt China seine Abwesenheit diplomatischer, es sei nicht der richtige Zeitpunkt dafür.

Das alles erinnert fatal an die «Wiederaufbau-Konferenz» von Lugano im Sommer 2022. Das war im Prinzip eine erfolgreiche Betteltour Selenskyjs, da bei einem in der Ferne liegenden Kriegsende an Wiederaufbau gar nicht zu denken ist. Denn sollte Russland seine Kriegsziele erreichen, will der Westen garantiert nicht die auf eroberten Gebieten entstandenen Schäden heilen.

Nun macht ein Friedensgipfel mit nur einem kriegerischen Teilnehmer, unter Abwesenheit Russlands und Chinas, unter fraglicher hochrangige Beteiligung der USA, schlichtweg keinen Sinn. Schlimmer noch: die Schweiz macht sich damit lächerlich und ramponiert ihr Image als neutraler Verhandlungsort noch mehr, als sie es durch die sklavische Befolgung aller EU- und USA-Sanktionen ohnehin schon tut.

Aber angesichts des elenden Zustands der grossen Massenmedien (vom Schweizer Farbfernsehen ganz zu schweigen) sind solche Erkenntnisse nicht jedem Journalisten gegeben. Offensichtlich wirkt die untertänige Obrigkeitshörigkeit aus der Coronazeit bis heute nach.

Alles Missverständnisse

Boderline-Journalismus hat so seine Nachteile.

Es ist absurd, wenn Arthur Rutishauser den Besitzer, Verleger, Herausgeber und Chefredaktor der «Weltwoche» als «Putins letzten Freund» verunglimpft.

Es ist peinlich, wenn Rutishauser als Beleg dafür anführt, dass Roger Köppel schreibe, dass die Todesursache von  Nawalny noch nicht feststehe. Dabei ist das eine völlig richtige Feststellung. Ausser, man ist der Ansicht: völlig egal, was sich herausstellt, natürlich hat ihn Putin persönlich umgebracht.

Richtig ist hingegen, dass Putin die volle Verantwortung für den Tod Nawalnys trägt und sich damit ein weiteres Mal als Versager erweist. Das räumt auch Köppel ein, übrigens. Hätte Putin Nawalny in einem Sanatoriumsknast aufbewahrt, mit allen Annehmlichkeiten ausser der Freiheit, hätte der Kremlherrscher höhnisch darauf hinweisen können, wie der Westen Julian Assange behandle, wie in der Ukraine der US-Journalist Gonzalo Lira umgekommen sei. Während man in Russland respektvoll und korrekt mit solchen Gefangenen umgehe.

Aber nein, Putin liess es geschehen, dass Nawalny in immer brutalere Straflager verlegt wurde, viele Tage im Isolator verbrachte, es also immer offensichtlicher wurde, dass seine Lebenszeit begrenzt ist.

Nun schreibt (und redet) aber Köppel nicht nur selbst, wobei er sich zunehmend eines frömmlerischen Tons bedient. Er lässt auch schreiben. Zunächst Wolfgang Koydl, der his master’s voice imitierte und «Der Missverstandene», Teil zwei, absonderte. Nach dem Grosserfolg von Teil eins, der von einem Geschäftsmann mit wirtschaftlichen Interessen in Russland geschrieben worden war, was dessen Objektivität natürlich überhaupt nicht infrage stellte. Beide unverständlichen Missverständnisse erschienen zu einem, nun ja, etwas unglücklichen Zeitpunkt.

Nun noch der Journalist Guy Mettan, der schon länger durch seine prorussische Einstellung auffällt. Die darf er haben, aber Unsinn schreiben sollte er deswegen nicht.

Der chilenisch-amerikanische Journalist Lira sei in «einem ukrainischen Gefängnis gestorben», behauptet Mettan, «weil er Lügen und Schandtaten des Selenskyj-Regimes aufgedeckt hatte». Tucker Carlson behauptet hingegen, dass Lira zwar wegen angeblich illegalen Handlungen verhaftet worden sei, aber in einem Spital an einer Lungenentzündung starb. Was vielleicht nicht ganz das Gleiche ist, wie in einem sibirischen Straflager zu krepieren.

Dann erinnert Mettan an diverse Verurteilungen Nawalnys. Nun ist wohl ausserhalb der «Weltwoche» unbestritten, dass es sich bei Russland nicht um einen Rechtsstaat mit unabhängiger Justiz handelt. Wie korrekt also diese Verurteilungen zustande kamen, müsste untersucht werden. Noch schlimmer, für seine «angebliche Vergiftung» habe es «verschiedene und widersprüchliche Erklärungen von seinen Freunden» gegeben. Wahrscheinlich hat sich Nawalny das nur so massiv eingebildet, dass Russland ihn ausreisen liess und er in der Berliner Charité gesundgepflegt wurde. Der Nachweis von Gift in seinem Körper wurde von unabhängigen Labors bestätigt.

Schliesslich sei Nawalnys aufsehenerregende Streifen «Putins Palast» in Wirklichkeit «eine plumpe Fälschung, die in einem virtuellen Videolabor im Schwarzwald mit amerikanischem Kapital zusammengeschnitten wurde».

Steile Behauptungen, Beweise? «All diese Fakten lassen sich leicht anhand von authentischen Videos überprüfen, die im Netz kursieren, aber den Nachteil haben, dass sie auf Russisch sind.» Ist aber auch blöd, der so gefürchtete Propagandaapparat Putins ist nicht mal in der Lage, die «authentischen Videos» auf Deutsch zu übersetzen? Sind die vielleicht so authentisch wie der tatsächlich existierende Palast, bei dem Putin allerdings bestreitet, sein Besitzer zu sein?

Köppel tut sich mit solchen Fantastereien keinen Gefallen. Es wäre einer seriösen Untersuchung wert, was hier Propaganda und was Wirklichkeit ist. Aber doch nicht so. Damit bewirkt die WeWo, dass ihre Glaubwürdigkeit ganz allgemein leidet, obwohl sie unbestreitbar differenzierte Positionen einnimmt. Unter anderen. Wer so gegen den Strom schwimmt, darf sich keinen falschen Zungenschlag erlauben. Kann doch nicht so schwer zu kapieren sein.

Ukraine am Ende

Ein paar simple Tatsachen über Kriegsführung.

Man kann einen militärischen Zwerg wie die Ukraine mit genügend Militärhilfe zu einem Scheinriesen aufpumpen. Man kann einen ehemaligen Komiker zum Präsidenten aufblasen, der nach seinem gekauften Wahlsieg eine Weile blendend die Rolle als tapferer Kriegsherr spielt.

Man kann Mal für Mal die drohende Niederlage der russischen Invasoren behaupten, von einer Gegenoffensive faseln und einen «Friedensplan» ernsthaft vorstellen, der von Russland niemals akzeptiert würde. Schon alleine, weil er eine Aburteilung russischer Kriegsverbrecher fordert, das aber bei der Ukraine unterlässt. Man kann auch versuchen, in der Schweiz eine Friedenskonferenz einzuberufen, die Russland zu Recht als Farce bezeichnet. Nicht zuletzt deswegen, weil die Schweiz durch das Mittragen der sinnlosen Sanktionen ihre Neutralität aufgegeben hat.

Man kann daran vorbeisehen, dass Präsidentschaftskandidat Donald Trump schon jetzt verhindert, dass die USA ihre Militärhilfe fortsetzen. Man kann daran vorbeisehen, dass die EU nur einen kleinen Teil der versprochenen Waffenhilfe geleistet hat. Man kann darüber hinwegsehen, dass Präsident Selenskyj in der Ukraine eine Autokratie errichtet hat – ohne Opposition, ohne freie Presse, dafür anhaltend hochkorrupt –, die sich immer weniger von der Autokratie in Russland unterscheidet.

Man kann einem Präsidentendarsteller in martialischer Uniform und sorgfältig gestutztem Kriegsbart zujubeln, obwohl der sein Interesse, an der Macht zu bleiben, über die Interessen seines Landes und des Militärs stellt. Denn es gibt ja keinen Grund, einen erfolgreichen Armeechef wie Waleri Saluschni abzusetzen – ausser, dass dessen Zustimmungswerte haushoch über denjenigen des Präsidenten liegen.

Man kann ständig über den ungebrochenen Kampfeswillen, ja eine Reheroisierung in der Ukraine faslen und den Zustand der russische Streitkräfte als desaströs und nahe an der völlige Niederlage beschreiben.

Man kann darüber hinwegsehen, dass Selenskyj von US-PR-Agenturen beraten und von Mitspielern im Showgeschäft gelenkt wird. Sein Stabschef Andri Jermak war zuvor als Wirtschaftsanwalt und Filmproduzent tätig. Nichts davon befähigt ihn, wie den Präsidenten auch, ein Land im Krieg verantwortungsvoll zu führen.

Man kann darüber hinwegsehen, dass die Ukraine längst den Zeitpunkt verpasst hat, mit Russland einen für beide Seiten akzeptablen Frieden auszuhandeln. Nach fast zwei Jahren Krieg zeigt sich, dass die russische Kriegsindustrie auf vollen Touren läuft, die Sanktionen nur marginale Wirkung zeigen und die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen sprudeln wie nie.

Währenddessen vermeidet die Ukraine nur deswegen den Staatsbankrott, weil immer noch von der EU Mulitmilliarden für das Funktionieren des Staates hineingepumpt werden.

Oder in banalen Zahlen: 831’000 Soldaten gegen 200’000. 4182 Flugzeuge gegen 312. 12’600 Kampfpanzer gegen 1900. Selbstfahrende und geschleppte Artillerie 10’000 gegen 1’800.

Man kann über das Interview herziehen, dass Präsident Putin dem US-Journalisten Tucker Carlson gab, über die Grösse des Tischs oder die Farbe von Carlsons Krawatte perseverieren. Und den Inhalt mit ein paar übellaunigen Nebensätzen abtischen.

All das kann man tun.

Man kann auch behaupten, dass in der Ukraine so ziemlich alle westlichen Werte verteidigt würden, obwohl sie dort nicht existieren. Man kann alte Feindbilder von slawischen Horden, entmenschten russischen Kämpfern, brutalen asiatischen Kriegern wieder aufwärmen. Man kann behaupten, Deutschland müsse sich ernsthaft auf einen russischen Angriff gefasst machen. Obwohl in den letzten Jahrhunderten Russland zweimal von Deutschland und einmal von Frankreich überfallen wurde und selbst niemals Westeuropa überfiel.

All das kann man tun.

Man kann auch jeden Abweichler von dieser Generallinie als Putin-Versteher, Diktatorenfreund, Befürworter von militärischen Überfällen, gar als Landesverräter, Demokratiefeind, nützlichen Idioten, wehrunwilligen Lakaien Moskaus, Opfer feindlicher Propaganda, Defätisten, Diversanten und Befürworter von Diktatur und Unrechtsstaaten denunzieren.

All das kann man tun.

Man kann auch einseitige Kriegspropaganda betreiben wie in den schlimmsten Zeiten der beiden vergangenen Weltkriege, wo die eigene Seite heroisch, blütenweiss, tapfer, menschlich, unerschrocken und siegeswillig dargestellt wird. Die feindliche Seite als verschlagen, dunkelschwarz, feige, unmenschlich, verzagt und wankelmütig.

All das kann man tun.

Man kann aber nicht behaupten, dass damit ein wirklichkeitsnahes Bild der Situation in der Ukraine hergestellt würde. Man kann nicht behaupten, dass so die sogenannten deutschsprachigen Qualitätsmedien auch nur im Ansatz ihrer Aufgabe nachkommen, ihre Konsumenten mit Einordnungen, Analysen und realitätsnahen Beschreibungen zu versorgen, auf dass sich die eine eigene Meinung bilden könnten.

Unabhängig davon, wie der Krieg in der Ukraine ausgeht: eine weitere dramatische Niederlage haben die Massenmedien bereits erlitten. Allerdings nicht durch feindliche Einwirkung, sondern selbstverschuldet.

Interview mit dem Teufel

Wenn die Qualitätsmedien demagogisch berichten.

Die Parallelität liegt auf der Hand. Da hat der autokratisch, ohne Opposition und mit Pressezensur in einem korrupten Staat regierende Wolodimir Selenskyj seinen Oberbefehlshaber gefeuert. Mit der dünnen Begründung, dass er einer «notwendigen Erneuerung» der Streitkräfte im Wege stünde. In Wirklichkeit wohl, weil er ihm zu drohend in der Sonne stand. Denn irgendwann sollte ja mal wieder gewählt werden.

Waleri Saluschi machte den Fehler, seinem Chef zu oft und zu öffentlich zu widersprechen. Wenn der zum Beispiel die letzte Offensive der Ukraine als Triumph feiern wollte, obwohl sie eine bittere Niederlage war. Nun ja, schreiben die Massenmedien, Machtkampf halt. Und loben den neuen Armeechef Alexander Sirski über den grünen Klee.

Fast gleichzeitig veröffentlicht der US-Moderator Tucker Carlson ein Exklusivinterview mit dem russischen Präsidenten Putin. Gelegenheit für den US-Korrespondenten (!) Peter Burghardt, Häme aus den Zeilen tropfen zu lassen. Burghardt fiel zuvor durch schrilles Pfeifen im Wald auf; also durch eine vom Prinzip Hoffnung durchtränkte Berichterstattung über die Präsidentschaftsnomination der Republikaner, bei der für Burghardt nur etwas unumstösslich war: Donald Trump soll hoffentlich, bitte, bitte, nicht gewinnen.

Ähnlich realitätsnah berichtet nun der Russland-Kenner aus dem fernen Washington über ein Interview in Moskau. Mangels vertiefter Kenntnisse über Hintergründe und Zusammenhänge beschreibt er liebevoll Oberflächliches.

Zuerst weiss er weltexklusiv: «Carlson, falls das jemand nicht weiss, war mal der oberste Scharfmacher bei Fox News. Bis ihn der rechtskonservative Kanal feuerte, weil auch den Murdochs seine Propaganda für Donald Trumps Absurditäten zu weit ging.» Für alle anderen ausser Burghardt wurde beiderseitig Stillschweigen über die Gründe für Carlson Abgang vereinbart – und eingehalten. Dass Carlson zuvor mit einem schrägen Interview mit Donald Trump Einschaltquote bolzte, daran will sich Burghardt lieber nicht erinnern. ZACKBUM hat keinen Zweifel daran gelassen, was davon zu halten ist.

Nun aber zum Wesentlichen, der Sitzordnung: zwischen beiden sei nur «ein kleiner, eckiger Tisch» gestanden, beobachtet Burghardt – wie das jeder Zuschauer auch kann. Dann fährt er fort: «Kein Tisch von der Länge der Transsibirischen Eisenbahn wie während mancher Politikerbesuche in dieser Burg. Auf dem kleinen Tisch ein Wasserglas für Carlson und ein Becher für Putin, daneben bei Putin ein Handy und ein Stift, wenn der Anblick nicht täuscht. Und bald auch Putins Uhr.»

Ist das vielleicht komisch und erhellend; Putin hat seine Uhr ausgezogen. Was will er der Welt damit sagen? Hat er einen Werbevertrag? Man weiss es nicht, Burghardt weiss selber nicht, wieso er solchen Mumpitz erwähnt. Aber damit hat es sich noch nicht mit seiner Berichterstatterpflicht: «Die Uhr schnallt er in den ersten Minuten vom rechten Handgelenk ab und legt sie mit leichtem Klirren auf die Platte. Sicher ein Hinweis, dass er Zeit hat, es werden am Ende um die 120 Minuten. Der Fragesteller aus Amerika trägt eine Krawatte mit goldgelben Streifen und einem zu dunklen Blau, um als ukrainisches Banner durchzugehen.» Ist es wirklich nötig, den Bericht mit so einem unwichtigen Nonsens zu verwässern?

Carlson steigt direkt ein, das muss ihm Burghardt zubilligen, und Putin fetzt gleich zurück: «Ist das hier eine Talkshow oder ein ernsthaftes Gespräch?» Natürlich willkommener Anlass für Burghardt, nachzutreten: «Das bleibt zwei Stunden lang unklar.» In Wirklichkeit wollte Puntin damit sagen, dass er etwas weiter ausholen möchte und dafür um Geduld und Nachsicht bitte. Aber wieso sich damit eine billige Pointe kaputtmachen.

Ach, und der Inhalt? «Es folgen ausufernde Ausführungen und Rechtfertigungen, die ins 9. Jahrhundert zurückgehen. Putins Geschichtsstunden, hat man schon mal irgendwo gehört.»

Wozu auch sie dann wiedergeben, nicht wahr? Als Carlson fragt, ob sich Putin vorstellen könne, dass US-Soldaten auf Seiten der Ukraine mitkämpfen, zeigt sich Putin schlagfertig: ««Haben Sie nichts Besseres zu tun? Sie haben Probleme an der Grenze, Probleme mit der Migration, Probleme mit der Staatsverschuldung. 33 Billionen Dollar», hat er parat, die Zahl. «Wäre es nicht besser, mit Russland zu verhandeln?»»

Könnte also eigentlich interessant sein, den Inhalt des Gespräch zusammengefasst zu bekommen. Einen kleinen Schnipsel gibt es dann: «Joe Biden mache mit der Unterstützung der Ukraine einen historischen Fehler, erzählt Putin. Man habe kein Interesse, in Polen, Lettland oder sonst wo anzugreifen und wolle auch keine Atomwaffen einsetzen. Mit solchen Szenarien solle Steuerzahlern in Europa und den USA Geld aus der Tasche gezogen werden. Ein globaler Krieg würde die Menschheit doch nur an den Rand der Vernichtung bringen.»

Hört sich nicht ganz unvernünftig an, obwohl es aus dem Mund des Gottseibeiuns in der Kremlburg stammt. Aber das erscheint auch Burghardt als viel zu positiv, also muss er wieder draufhauen:

«Am Ende seiner Monologe ist noch mal Putins Welt mit Historie angesagt, Nato, 1991, 2008, 2014, Ukraine. Russland sei auf dem Schlachtfeld nicht zu besiegen, das Übliche. Von so etwas würden sich die Amerikaner nicht beeinflussen lassen, hatte schon vorher ein Sprecher aus dem Weissen Haus gesagt. «Denken Sie daran, Sie hören Wladimir Putin zu», empfahl er vorher. «Sie sollten nichts für bare Münze nehmen, was er zu sagen hat.»»

Reicht das? Das reicht noch nicht: «Nachher steht Tucker Carlson im sanften Schneefall und moderiert sein folgendes Interview an, hinter ihm die Zwiebeltürme. Bilderbuchmoskau. Man weiss nicht, ob man anschliessend erleichtert oder beunruhigt sein oder einfach nur schlafen soll.»

Man sollte beunruhigt sein. Wenn das Qualitätsjournalismus sein soll, für den die Leser der «Süddeutschen Zeitung» und ihres Abklatsches Tamedia etwas bezahlten sollen – statt Schmerzensgeld zu verlangen, dann sind die dort Verantwortlichen wohl noch weiter von der Wirklichkeit entfernt als Putin.

Ob es diesen Demagogen passt oder nicht, die «Weltwoche» macht mal wieder das, was den Basics des Journalismus entspricht: sie dokumentiert kommentarlos das Interview mit deutschen Untertiteln. Daneben und darüber und darunter kommentiert das Blatt, auch die peinliche Berichterstattung in den deutschsprachigen Medien …

Auch Carlson selbst kommentiert den einleitenden, sehr langen Ausflug Putins in die russische Geschichte, der nun nicht jeden interessieren muss. Ausser diejenigen, die sich dafür interessieren, welche Motive den zweit- oder drittmächtigsten Mann der Welt antreiben. Was doch immer eine sinnvolle Sache ist, oder?

Natürlich fehlen Fragen, wie die, warum Putin dann vor dem Ukrainekrieg unverhohlen mit seinem Atomwaffenarsenal gedroht habe. Oder wieso er sämtliche Staatsverträge gebrochen hat, die die territoriale Unversehrtheit der Ukraine russischerseits garantieren. Aber ein paar Zugeständnisse musste Carlson sicherlich für dieses Exklusivinterview machen.

Eigentlich ist es mal wieder ein Armutszeugnis für die Mainstreammedien, dass ausgerechnet einem Aussenseiter wie Carlson etwas gelingt, worauf alle Medien scharf sind: ein ausführliches Interview mit Putin. Da sind da aber die Trauben sehr, sehr sauer für die anderen.

By the way: glaubt jemand ernsthaft, dass Joe Biden oder gar Donald Trump in der Lage wären, einen solchen Abriss über die amerikanische Geschichte zu geben? Ohne ihn vom Teleprompter abzulesen, of course.

Vorsicht, Tiefflug

Früher war ein Kommentar noch was.

Heute ist Beatrice Bösiger. Sie wurde bereits in ihrer Berichterstattung übers WEF verhaltensauffällig. Jetzt darf sie noch den grossen Schlusskommentar für Tamedia in den  Sand setzen.

Warnhinweis und Packungsbeilage für empfindliche und gendersensible Leser: ab hier wird es leicht toxisch. Das liegt aber nicht am Schreiber, sondern am zu Beschreibenden.

Denn wenn ein Kleingeist versucht, die grosse Welt in Worte zu fassen, dann wird es eher peinlich; das Wort fremdschämen stösst in neue Bedeutungsdimensionen vor.

Bösiger kommt zunächst zur umwerfenden Erkenntnis, dass «viele Teilnehmende Aufmerksamkeit statt Austausch suchten». Dabei war das WEF doch bislang dafür bekannt, dass niemand, vielleicht mit der Ausnahme von Donald Trump, hier nach Aufmerksamkeit giert, sondern alle haben früher ihr Ego zu Hause gelassen und sich in den Dienst der Sache gestellt.

Das WEF war und ist schon immer ein Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem jeder Teilnehmer nur zwei Pendenzelisten abarbeitet. Wie bekomme ich grösstmögliche Performance in den Medien, und wie viele Kontakte kann ich in den wenigen Tagen knüpfen. Ist schliesslich ein sauteurer Spass.

Bösiger hingegen scheint nur eine Pendenzenliste zu haben: wie mache ich mich mit möglichst wenig Worten maximal lächerlich. Das fängt schon mit der mangelhaften Sprachbeherrschung an: «Davos hat seinen normalen Aggregatzustand zurück.» Fest, flüssig, gasförmig oder als Plasma?

«Zu unterschiedlich ging es auf der Bühne zu und her.» Unterschiedlich zu was? Meint sie vielleicht kontrovers, verschiedenartig? Man weiss es nicht, sie weiss es nicht. Wie ging es denn auf der Bühne zu und her? «So warnte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski zwar eindringlich vor dem russischen Aggressor.» Zwar, aber? «Zuvor hatte er … einen Friedensgipfel für die Ukraine angekündigt.» Wir üben den Gebrauch des Adverbs «zwar». Oder nein, wir lassen es, hoffnungslos.

«Und auch der israelische Präsident Isaac Herzog verdammte bei seinem Auftritt den Terror der Hamas.» Wir üben den Gebrauch der Konjunktion «und auch». Oder nein, wir lassen es.

Das war dann doch recht kontrovers, oder nicht? Nicht: «Zwischendurch wurde es jedoch deutlich kontroverser.» Noch kontroverser? Ach ja, Auftritt Lieblingsfeind von Bösiger, Präsident Milei aus Argentinien. Der habe seine erste Reise ins Ausland dazu genutzt, «den Sozialismus im grossen Saal des Kongresszentrums nach Kräften zu verdammen und sämtliche staatlichen Eingriffe zu verteufeln.» Nach den Fake News über seinen Auftritt nun eine hochklassige Zusammenfassung des Inhalts seiner Rede.

Dann noch der polnische Präsident, also genauer der «rechtskonservative Duda» und der abstreitende iranische Aussenminister. «Ob derartige Auftritte dem Motto des Forums entsprechen, darf getrost bezweifelt werden.» Tja, auch wenn die Kommentatorin nicht recht bei Trost ist …

Aber immerhin, das scheint doch eine klare Position zu sein. Selenskyj und Herzog gut, Milei und iranischer Aussenminister Amir-Abdollahian schlecht. Das dürfte auch Bösiger unangenehm aufgefallen zu sein, also verwedelt sie: «Dass es in Davos Platz für unterschiedliche Ansichten und Positionen geben muss, ist klar.»

Das ist ein edler Gedanke; noch schöner wäre es, wenn die Berichterstatterin in der Lage wäre, diese unterschiedlichen Ansichten wenigstens korrekt wiederzugeben. Aber lieber mäkelt sie: «Doch das Agenda-Hopping macht das Forum beliebig. Im Kongresszentrum folgt Rednerin auf Redner, die Themen wechseln andauernd. Echter Austausch kommt bei einer solchen Übungsanlage schwerlich zustande.»

Ähm, ist es nicht Sinn der Sache, dass bei einer solchen Veranstaltung Redner auf Redner folgt? Sollte es zwischendurch Momente geben, in denen sich alle auf der Bühne umarmen? Gemeinsam den «Schacher Sepp» singen? Oder «Freude schöner Götterfunken»?

Aber gut, nun zum Wesentlichen, also zur Schweiz. Auch da hat Bösiger vielleicht eine klare Ansicht, die kann sie aber nur unklar formulieren: «Der Schweiz ist es gelungen, während des  Forums wieder eine stärker wahrnehmbare Rolle zu spielen als auch schon. Im vergangenen Jahr geriet die Schweiz wegen ihrer Haltung, die Weitergabe von Munition in die Ukraine zu ermöglichen, in die Defensive.» Ähm, mit der Ankündigung einer Friedenskonferenz, an der höchstens ein Kriegsteilnehmer anwesend sein wird? Und war es nicht die Haltung der Schweiz, die Weitergabe nicht zu ermöglichen, mit der sie in die Defensive geriet? Beziehungsweise sich gegen Anschläge auf die Rechtsstaatlichkeit und Einhaltung Schweizer Gesetze zur Wehr setzen musste?

«Gegen den Friedensgipfel, den die Schweiz für die Ukraine organisieren will, kann zumindest öffentlich niemand anreden.» Ähm, doch, Russland bezeichnet ihn als «Farce», China und die USA sagen überhaupt nichts dazu, und die Schweiz ist schon längst als neutraler Ort für Konferenzen ausgefallen, weil sie sich ohne Not an den absurden Sanktionen gegen Russland beteiligt.

Nach diesen Ritten durch holpriges Sprachgelände, bei denen die Reiterin mehrfach vom Pferd fiel, kommt nun noch die grosse Schlussbilanz, Posaunen und Trompeten, schmettert los: «Es zeigt sich, dass das Forum – auch ohne genuin wirtschaftliche Themen ganz oben auf der Agenda – ein kommerzieller Anlass ist und bleibt. Andere Erwartungen sind da schlicht zu hoch gegriffen.»

Mit dieser originellen, tiefschürfenden und geradezu vernichtenden Analyse entlässt Bösiger den verwirrten Leser. Der fragt sich nur, ob er hier absichtlich gequält wurde – oder aus Unfähigkeit. ZACKBUM ist gnädig und plädiert fürs zweite.

Qualitätskontrolle? Sprachbeherrschung? Niveau? Originalität? Widerspruchsfreiheit? Verständlichkeit? Flughöhe? Auf alle diese Fragen gibt es leider bei Tamedia eine einfache Antwort: Frau.

Die Selenskyj-Show

ER ist gekommen. Wahnsinn.

Deutsche schwadronieren in solchen Fällen vom Mantel der Geschichte, der weht. In der Schweiz hat man’s eine Nummer kleiner, aber man merkt deutlich, dass die Schweiz etwas aus dem Häuschen ist. Also die Eidgenossen nicht, aber viele Politiker und die Massenmedien.

Denn er ist gekommen, er ist da. Der grosse Freiheitsheld, der unerschrockene Kämpfer gegen Russland und gegen die Korruption. Auf beiden Gebieten ist Wolodymyr Selenskyj letzthin nicht sonderlich erfolgreich; vielleicht muss er bald seine Luxusvilla im Exil in Italien beziehen. Oder vielleicht sein Pied-à-terre in London.

Wie auch immer, nun ist er erstmal in der Schweiz. In Bern hat ihn unsere frischgebackene Bundespräsidentin Viola Amherd empfangen. Gemeinsame Pressekonferenz, der Mann in seiner gewohnten olivgrünen Kampfausrüstung, Bart, ernster, entschlossener Blick, von den besten PR-Profis der Welt gedrechselte Reden, super. Allerdings wollte sich der chinesische Ministerpräsident, obwohl auch in Bern, nicht mit ihm treffen. Blöd auch.

Das ändert nichts daran, dass die Schweiz und der ukrainische Präsident einen grossen Friedensgipfel ankündigen. Endlich kann die Schweiz wieder ihre Rolle als neutraler Vermittler wahrnehmen, oder nicht? Dass sie sämtliche US- und EU-Sanktionen gegen Russland mitmacht, obwohl sie dazu nicht verpflichtet wäre, kann doch wohl nicht hinderlich im Weg stehen, oder? Dass sie dabei sogar den Rechtsstaat aushebelt, indem von diesen Sanktionen in der Schweiz betroffene Russen keinerlei Möglichkeit haben, sich dagegen auf dem Rechtsweg zu wehren – macht doch nix, neutral ist neutral, Matterhorn, Heidi, Swiss Chocolate und die Rolex nicht vergessen.

Nun macht ein «Friedensgipfel» eigentlich nur Sinn, wenn alle Kriegsparteien sich an einen Tisch setzen. Nur fehlt hier Russland. 2021 trat Präsident Putin noch per Videoschaltung am WEF auf, darauf verzichtet er dieses Jahr.

Im Vorfeld des WEF fand schon mal eine Konferenz mit mehr als 80 Delegationen in Davos statt, bei der über ukrainische Vorschläge für einen «dauerhaften Frieden» palavert wurde. Immerhin fiel dem Schweizer Aussenminister Ignazio Cassis ein und auf: «Es braucht einen Schritt, Russland auf die eine oder andere Weise einzubeziehen.» Denn die Kriegspartei nahm nicht an dieser Konferenz teil, ebenso wenig wie China.  Womit sie nur dem Motto genügte «Schön, haben wir drüber geredet». Russland bezeichnet die ganze Veranstaltung als «Farce», was nicht gerade nach einem Gesprächsangebot aussieht.

Grundlage für die Besprechung ist die sogenannte «Friedensformel», mit der Selenskyj bereits seit Ende 2022 hausieren geht. Sie beinhaltet zehn Punkte, darunter: Beendigung der Feindseligkeiten und der Abzug der russischen Truppen, internationaler Sondergerichtshof zur Untersuchung aller russischen Kriegsverbrechen, Wiedergutmachung, Schutz der Umwelt, internationale Garantien für die territoriale Integrität der Ukraine, Verhinderung einer weiteren Eskalation und Bestätigung des Kriegsendes.

Welche Gegenleistungen die Ukraine erbringen würde, ist nicht bekannt. Dass Russland das nicht als ernst gemeinte Einladung zu Friedensverhandlungen versteht, ist sonnenklar.

Während sich also die Schweizer Medien mit Berichten, verwackelten Videos von der Ankunft Selenskyjs mit dem Zug in Davos und überhaupt überschlagen, sieht die Lage in der Ukraine in Wirklichkeit ganz anders aus.

Nachdem die überlebenswichtige weitere US-Militärhilfe nach wie vor gesperrt ist, geht der ukrainischen Armee langsam, aber sicher die Munition, das Kriegsmaterial und die Mannschaft aus. Demgegenüber ist Russland weiterhin in der Lage, auch horrende Verluste auszugleichen, seine Kriegsproduktion läuft auf Hochtouren. Sollte Donald Trump wieder Präsident werden, ist es sowieso mit der militärischen Unterstützung der USA vorbei. Auch die EU hat zunehmend Mühe, Milliardenhilfsleistungen gegenüber der eigenen Bevölkerung zu vertreten.

Ein Beitritt der Ukraine zur EU oder gar zur NATO ist völlig illusorisch; das Land erfüllt keine der Voraussetzungen. Korruption, Meinungsfreiheit, Demokratie, Opposition, Legitimität des Regimes, der Schönheitsfleck, dass Selenskyj von einem reichen ukrainischen Oligarchen der Wahlsieg gekauft wurde, der sich dann mit einer Generalamnestie für begangene Milliardenbetrügereien bei ihm revanchierte – all das macht solche Schritte unmöglich.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass es Selenskyj immer schwerer fällt, neben dem Krieg im Gazastreifen mit seinen Wünschen und Bitten Gehör zu finden; möglicherweise hat er seine 15 Minuten Ruhm bereits ausgereizt. Einzig interessant wird sein, welche finanziellen Zusagen sich der ukrainische Präsident von der Schweiz und anderen Ländern abholt.

Und bislang ist der mediale Jackpot noch nicht geknackt: welches Medium schafft das Exklusivinterview?

Der moralische Kompass

Es gibt keine neue Antworten auf alte Fragen. Dennoch müssen sie immer wieder beantwortet werden.

Seit die Menschheit sich überlegt, was der Unterschied zwischen Gut und Böse ist, gibt es eine teuflisch einfache Frage: Darf das absolut Gute das absolut Böse tun, um das Gute zu befördern und das Böse zu bekämpfen?

Diese Frage wurde schon in unendlich vielen Dilemmata durchgespielt. Darf der Entführer gefoltert werden, damit er das Versteck des Entführten bekannt gibt, der zu ersticken droht? Darf der Terrorist dem Waterboarding ausgesetzt werden, damit er Zeitpunkt und Ziel eines Anschlags verrät? Darf der Geiselnehmer erschossen werden, auch wenn damit das Leben der Geisel gefährdet wird? Darf man lügen, um der Wahrheit willen?

In der Eiseskälte der reinen Vernunft Immanuel Kants gibt es darauf eine klare Antwort: «Es ist also ein heiliges, unbedingt gebietendes, durch keine Konvenienzen einzuschränkendes Vernunftgebot; in allen Erklärungen wahrhaft (ehrlich) zu sein.»

Eine Lüge beeinträchtige immer den Wert der Wahrhaftigkeit. Da kann es keine Nutzenabwägung geben, laut Kant:

«Die Pflicht zur Wahrhaftigkeit ist eine unbedingte Pflicht, weil das Vertrauen auf Versprechen einer der Grundsätze ist, die die menschliche Gesellschaft zusammenhält.»

Ausgangspunkt für diese Überlegungen war ein Aufsatz von Benjamin Constant, der zu einem gegenteiligen Schluss gekommen war. Sein Gedankenspiel: darf man gegenüber einem Mörder lügen, wenn der fragt, ob sich ein von ihm verfolgter Freund zu uns geflüchtet habe? Natürlich darf man das, sagt Constant, und er begründet es so: «Es ist eine Pflicht, die Wahrheit zu sagen. Der Begriff von Pflicht ist unzertrennbar von dem Begriff des Rechts. Eine Pflicht ist, was bei einem Wesen den Rechten eines anderen entspricht. Da, wo es keine Rechte gibt, gibt es keine Pflichten. Die Wahrheit zu sagen, ist also eine Pflicht; aber nur gegen denjenigen, welcher ein Recht auf die Wahrheit hat. Kein Mensch aber hat Recht auf eine Wahrheit, die anderen schadet.»

Demgegenüber argumentiert Kant: «Denn sie (die Lüge, Red.) schadet jederzeit einem anderen, wenn gleich nicht einem andern Menschen, doch der Menschheit überhaupt, indem sie die Rechtsquelle unbrauchbar macht.»

Was hat diese Debatte, die um 1797 geführt wurde, also acht Jahre nach der Französischen Revolution, die in Europa erstmals grundlegende Fragen der Moral und Menschenrechte aufwarf, mit heute zu tun? Staubt es da nicht aus längst vergangener Geschichte, wurde das in der «Dialektik der Aufklärung» nicht längst widerlegt: «Die reine Vernunft wurde zur Unvernunft, zur fehler- und inhaltslosen Verfahrensweise»?

Oder anders gefragt: gibt es übergeordnete Prinzipien, deren Verletzung eine Beschädigung der Grundsätze darstellte, «die die menschliche Gesellschaft zusammenhalten»?

So abstrakt-absurd der Gedanke auf den ersten Blick erscheint, so bedenkenswert wird sein Inhalt, wenn man ihn an aktuellen Konflikten spiegelt. Natürlich ist die Ukraine, ist der Nahe Osten gemeint. Angesichts der russischen Verbrechen und der Verbrechen der Hamas, ist da das Gute nicht berechtigt, auch Böses zu tun?

Muss man da nicht einen Schritt weitergehen und das zutiefst korrupte, autokratische System von Selenskyj, das die Presse so wie Russland zensiert und keinerlei Opposition zulässt, nicht genauso unbedingt verteidigen wie den zutiefst korrupten israelischen Ministerpräsidenten Netanyahu, der mit einer Justizreform versuchte, den Rechtsstaat auszuhebeln, um selbst dem Gefängnis zu entgehen, kaum wäre seine Immunität aufgehoben?

Ist es nicht erbärmlich, wie viele sonst scharfe Denker und Analytiker zu unreflektierten Kriegsgurgeln und verbalen Blutsäufern werden, die mit der Beschreibung schrecklicher Verbrechen einer Kriegspartei die Kriegsverbrechen der anderen zu rechtfertigen versuchen?

Wenn es stimmt, dass die israelische Armee die Bewohner des Gazastreifens aufgefordert hat, den nördlichen Teil zu verlassen und in den vermeintlich sicheren Süden zu flüchten, um den dann zu bombardieren, gibt es da eine Relativierung zu den Massakern, die die Hamas verübte? Kann man sich da mit dem Gemeinen gemein machen, das Böse relativieren oder akzeptieren, dass es vom Guten verübt wird?

Die Ermordung von Bin Laden hat bei jedem vernünftigen Menschen Befriedigung ausgelöst, dennoch war sie völkerrechtlich eine illegale Handlung. Wurde damit das Gute befördert oder beschädigt? Erreicht Israel wirklich sein Ziel der vollständigen Liquidierung der Hamas – oder schafft es durch die Tausenden von Toten als Kollateralschäden nicht neue Heerscharen von todeswilligen, fundamentalistischen Wahnsinnigen? Ist es auch der Fluch der vermeintlich guten Tat, dass sie fortzeugend Böses gebiert?

Natürlich haben wir im Lehnstuhl in der wohlbeheizten Stube sitzend gut reden und schreiben. Umso lächerlicher wirken zunächst alle bis an die Zähne bewaffneten Kampfschreiber, deren Helm bis über die Augen heruntergezogen ist und sie blind für jede Reflexion macht. Sie wollen mit schrecklichen Verbrechen schreckliche Verbrechen legitimieren. Sie denunzieren jeden Aufruf zu Waffenstillstand als Unterstützung des Bösen, als Rechtfertigung böser Taten. Sie turnen mit Absolutismen durch Relatives und rechtfertigen, was nicht zu rechtfertigen ist, unter keiner Flagge.

Wie schnell geht hier mal wieder der moralische Kompass verloren. Der muss nicht so eiskalt-abstrakt funktionieren wie bei Kant. Aber etwas Reflexion sollte ausreichen, um zur ewig wiederkehrenden Antwort auf die ewige Frage zu gelangen: Nein, das Gute kann nicht grenzenlos böse werden, um das Gute zu bewahren. Es gibt eine feine rote Linie, deren Überschreiten dazu führt, dass es keinen Unterschied mehr zwischen dem Guten und dem Bösen gibt. Sondern nur noch eine Frage des Blickwinkels.

Da es (ausser für Gläubige) keine Letztbegründungen gibt, darf es auch keine unendlichen Relativierungen des Absoluten geben. Es gibt kein Gutes, das gut bleibt und nicht beschädigt werden kann durch böse Taten. Es muss immer ein Abwägen geben. Aber das ist unendlich schwierig; dummes Gepolter ist unendlich einfach.

Nicht nur, dass sich noch zur Reflexion fähige Menschen weder mit der Sache der Palästinenser noch derjenigen Israels gemein machen können. Von der Teilnahme an Demonstrationen ganz zu schweigen; da gerät man allzu schnell in schlechte Gesellschaft. Schlimmer noch: im wilden Hantieren mit Begrifflichkeiten wie Recht auf Selbstverteidigung, unschöne, aber nötige Begleiterscheinungen eines berechtigten Vernichtungskriegs, Kampf um, Sieg über, keine Verhandlungen, bis zuerst, Erpressung durch Geiseln, Inkaufnehmen von, mit all diesen Gedankentrümmerstücken verwirrter Geister, in all dem auch hier herrschenden Blasendenken, Echokammern, fanatischen Rechthabereien geht das Wichtigste verloren, gerät zumindest ausser Sicht.

Denn die Fragen, ob man um eines höheren Zwecks willen lügen darf, wann es übergesetzlichen Notstand gibt, was das Gute tun darf, um den Sieg des Bösen zu verhindern, ohne selber böse zu werden, diese Fragen sind zwar uralt, müssen aber immer wieder neu beantwortet werden. Das setzt aber voraus, dass man sich nicht im Nebel des Krieges verliert, den klaren Blick bewahrt und zunächst einmal zugibt: keiner, nicht einmal Kant, hat den Anspruch auf die einzig richtigen Antworten. Selbst der Papst hat den Anspruch auf Unfehlbarkeit aufgegeben. Im Gegensatz zu ach so vielen Kommentatoren.

Diese Erkenntnis, deren die meisten in der Hysterie des Gekreisches nicht mehr mächtig sind, wäre der einzig wahrhaft richtige Ausgangspunkt für eine sinnvolle Debatte. Bis wir den erreichen, was fraglich ist, gilt nur mal wieder Shakespeare:

And all our yesterdays have lighted fools
The way to dusty death. Out, out, brief candle.
Life’s but a walking shadow, a poor player
That struts and frets his hour upon the stage,
And then is heard no more. It is a tale
Told by an idiot, full of sound and fury,
Signifying nothing.

Archäologie des Verschwindens

Was weg ist, fehlt nicht. Oder doch?

Wer erinnert sich noch an die grossen Debatten, ob eine Impfung gegen Corona nützt oder schädlich ist? Ob Ungeimpfte potenzielle Massenmörder seien? Da liefen Corona-Kreischen wie Marc Brupbacher zu Höchstformen auf, sahen völlige Verantwortungslosigkeit herrschen («Der Bundesrat ist völlig übergeschnappt») und das Ende der Welt nahen.

Vorher völlig unbeachtete Wissenschaftler überboten sich in Ankündigungen von Todeszahlen (Wissenschaftler Althaus gewann mit dem Höchstgebot von 100’000 Toten in der Schweiz).  Eine Task Force ermächtigte sich, verantwortungsfrei allen Politikern, inklusive Bundesrat, der sie eigentlich zwecks stillen Beratungsdienstleistungen ins Leben gerufen hatte, Noten, Ratschläge und besserwisserische Forderungen zukommen zu lassen.

Das Maskentragen war nicht nur obligatorisch, sondern Nicht-Träger wurden öffentlich an den Pranger gestellt; alle Dissidenten von der medial unterstützten Regierungslinie wurden als Corona-Leugner, Aluhutträger, Verschwörungstheoretiker und willige Gefolgsleute von üblen Rechtspopulisten beschimpft. Wer an bewilligten Demonstrationen teilnahm, war ein nützlicher Idiot, wer sie mit Treicheln begleitete und den eidgenössischen Schlachtruf «Horus» anstimmte, ein Faschist.

Welche Schäden die hysterische und überzogene Politik wirtschaftlich und gesellschaftlich angerichtet hat – Schwamm drüber.

Vorbei, verweht, vergessen.

«#metoo», die grosse Bewegung gegen männliche Herrschaft, Übergriffe von Mächtigen auf Abhängige, der Aufschrei lange schweigender Frauen. Neben wenigen sinnvollen Anklagen produzierte die Bewegung eine Hexenjagd, diesmal aber auf Männer. Harvey Weinstein, als Sexmonster entlarvt und in den Knast gesteckt. Kevin Spacey und so viele andere: falsch beschuldigt, ruiniert, fertiggemacht, und wenn sie Jahre später von allen Anwürfen freigesprochen werden, interessiert das niemanden mehr wirklich. Die doppelte Endmoräne dieser Bewegung trägt die Namen Anuschka Roshani und Till Lindemann. Sie als Falschbeschuldigerin, er als Falschbeschuldigter.

Erinnert sich noch jemand daran, dass der heruntergekommene «Spiegel» dem Rammstein-Sänger sogar eine Titelgeschichte widmete, Roshani ihre grösstenteils frei erfundenen und längst widerlegten Anschuldigungen dort veröffentlichen durfte? Dass nun auch noch ein gefallener linker Starreporter seine Karriere beenden musste, weil ihm anonym verbale Übergriffe und ein angeblicher körperlicher Übergriff vorgeworfen werden, wobei eine medienbewusste Medienanwältin eine zwielichtige Rolle spielt: war da mal was?

Vorbei, verweht, vergessen.

«We stand with Ukraine», jede bessere WG machte neben der Pace-Fahne Platz für eine Ukraine-Flagge. Der ehemalige Schauspieler Volodymyr Selenskyj, an die Macht bekommt dank der Millionen eines ukrainischen Oligarchen, der sich damit eine Amnestie von gewaltigen Unterschlagungen erkaufte, wurde zum neuen Superhelden des Widerstands. Selbst eine Modestrecke in der «Vogue» mitsamt vor zerschossenen Flugzeugen posierender Gattin konnte diesem Image keinen Abbruch tun. Endlich war die Welt wieder in Ordnung. Nach dem bösen chinesischen Virus nun der böse russische Autokrat.

Seither dürfen Ukrainer und Russen in einem Stellvertreterkrieg verbluten. Der völkerrechtswidrige Überfall hat bislang Schäden in der geschätzten Höhe von 1000 Milliarden US-Dollar angerichtet. Zahlen wird die nicht Russland, auch nicht die Ukraine. Und erst recht nicht China oder Indien. Wer bleibt? Genau, in erster Linie die EU. Da gab es neulich eine gross angekündigte ukrainische Offensive. Wie geht’s der, wo steckt sie, ist sie erfolgreich, erfolglos, ist die Ukraine am Ende oder Russland oder beide? Wen interessiert’s im Moment, der arme Selenskyj versucht verzweifelt, darauf aufmerksam zu machen, dass es Hamas-Terrorismus und russischen gäbe. Dabei zählen seine westlichen Verbündeten ihre Munitions- und Waffenlager durch und fragen sich, womit sie allenfalls Israel unterstützen wollen.

Vorbei, verweht, vergessen.

Ein Treppenwitz ist dagegen, dass der grosse Shootingstar der Schweizer Literatur, der mehrfach preisgekrönte Kim spurlos verschwunden ist. Das eint ihn mit dem anderen grossen Gesinnungsblasenschreiber Lukas Bärfuss, von dem man auch noch kein ordnendes Wort zu den aktuellen Weltläufen gehört hat. So viel zu der gesellschaftspolitischen Verantwortung des Schriftstellers, die immer als Begründung herhalten muss, wenn mehr oder minder begabte Schreiber meinen, ihre persönliche Meinung zu diesem und jenem interessiere eine breitere Öffentlichkeit. Ach, und wo bleibt Sibylle Berg, die nach Plagiatsvorwürfen und leichten Zweifeln an der Authentizität von Reportagen auch deutlich leiser geworden ist.

Ein Treppenwitz im Treppenwitz ist, dass die Webseite von «Netzcourage» seit Tagen nicht mehr erreichbar ist, und ausser ZACKBUM ist das noch niemandem aufgefallen, bzw. keiner hält es für nötig, darauf hinzuweisen, dass nun Tausende, na ja, Hunderte, öhm, Dutzende, also eine Handvoll von Cybermobbing-Opfern unbeholfen und ungeholfen rumstehen. Ach, und es können wieder ungehemmt «Cockpics» verschickt werden, wovon angeblich bereits jede zweite Frau belästigt wurde. Nun kommt auch noch die andere Hälfte dran.

Vorbei, verweht, vergessen.

Sich prügelnde Eritreer, überhaupt Nachrichten aus den Elendslöchern dieser Gegend, aus Äthiopien, Sudan, Somalia, aber auch Tschad, Niger? Ach ja.Falsche Hautfarbe, keine nennenswerten Rohstoffe, Pech gehabt. Hat noch nie gross interessiert, interessiert aktuell überhaupt nicht. Armenier? Ach ja, die Armenier, war da nicht neulich was? Der religiöse Autokrat Erdogan, der die Errungenschaften Atatürks aus reiner Machtgier rückgängig gemacht hat und die Türkei ins Mittelalter zurückführen will, bombardiert als Kriegsverbrecher kurdische Lager in Syrien? Na und, ist aber doch in der NATO, hilft bei den Flüchtlingsströmen und daher ein Guter. Mohammed bin Salman, auf dessen Befehl hin ein Dissident unter Bruch aller diplomatischer Regeln in einer saudischen Botschaft brutal ermordet und zerstückelt wurde – nun ja, ein Freund des Westens, Waffenkäufer und Besitzer von Ölquellen. Da sehen wir ihm doch sein Gemetzel im Jemen auch gleich nach.

Vorbei, verweht, vergessen.

Hunderttausende von Kindern, denen bei der Kakaoernte Gegenwart und Zukunft gestohlen wird, die missbraucht, gequält, geschlagen, erniedrigt werden? Das wurde vom Läderach-Skandal überstrahlt, von der erschütternden Enthüllung, dass Läderach Senior als Mitglied einer Freikirchen-Sekte mitverantwortlich dafür war, dass vielleicht zwei oder drei Dutzend Zöglinge eines Internats ein wenig psychisch oder physisch misshandelt wurden.

Das Zurich Film Festival kündigte sofort erschreckt die Partnerschaft. Das gleiche Filmfestival, das den geständigen Vergewaltiger einer Minderjährigen Roman Polanski noch einige Jahre zuvor den Ehrenpreis fürs Lebenswerk überreicht hatte. Das gleiche Filmfestival, das ohne Skrupel solche Schoggi verteilt hätte, wenn das Problem nur darin bestanden hätte, dass sie mit ausbeuterischer Kinderarbeit gewonnen wird. Na und, Westafrika, Schwarze, who cares.

Vorbei, verweht, vergessen.

Israel, Israel, Israel. Ein bestialischer Überfall, das Abschlachten von Zivilisten. Das Vorgehen einer Mörderbande, wie es nur mittels der mittelalterlichen Todesreligion Islam möglich ist. Und schon wieder werden die Fundamente der Aufklärung in Frage gestellt. Es ist diskussionslos widerwärtig, dass in Deutschland (und in kleinerem Umfang auch in der Schweiz) antisemitische Ausschreitungen stattfinden. Wer die Sache Palästinas mit radikalfundamentalistischen Wahnsinnigen wie Hamas vermischt, ist ein Vollidiot und schadet der Sache Palästinas schwer. Aber wer Antisemitismus als wohlfeiles Totschlagargument gegen jede, auch gegen berechtigte Kritik an Israel verwendet, schadet einer fundamental wichtigen Sache unserer westlichen Gesellschaft: dem freien Diskurs. Der Überzeugung, dass nur im Austausch von Argument und Gegenargument, von Meinung gegen Meinung Erkenntnis und somit Fortschritt möglich ist.

Niemand hat das anschaulicher auf den Punkt gebracht als der ehemalige Pfaffenbüttel Giuseppe Gracia: «Wer Israel für Dinge kritisiert, die er bei anderen Staaten akzeptiert, ist ein Antisemit.» Wer Israel kritisiert, muss also zuerst Vorbedingungen erfüllen, die von Gracia und seinen Gesinnungsgenossen selbstherrlich aufgestellt werden. Wer Israel kritisiert, muss zuerst eine Litanei herunterbeten, welche anderen Staaten er auch kritisiert. Wer Israel kritisiert, muss zuerst Bekenntnisse ablegen. Zu oder gegen oder über. Sonst sei er Antisemit. Wer sagt «Israel verübt im Gazastreifen Kriegsverbrechen», dürfte das laut diesen Zensoren allenfalls nur sagen, ohne als Antisemit beschimpft zu werden, wenn er vorher sagt «Russland verübt Kriegsverbrechen in der Ukraine, die USA verüben Kriegsverbrechen überall auf der Welt, der Iran verübt Kriegsverbrechen, Saudiarabien, die sudanesische Regierung» usw. usf.

So wie früher die Inquisition forderte, dass Bekenntnisse abgelegt werden mussten, bevor in von ihr bestimmtem engem Rahmen Kritik an der Kirche geübt werden durfte. Bis man ihr dieses Recht wegnahm. So wie man es heute all diesen Anti-Aufklärern wegnehmen muss. Denn wer da zuschaut, wenn freie Rede beschränkt werden soll, ist das nächste Opfer.

Oder ganz einfach: grausame Kriegsverbrechen, die gegen Israel begangen werden, rechtfertigen, erklären, beschönigen nicht Kriegsverbrechen, die Israel begeht. Dass für persönlich Betroffene Hamas-Anhänger Tiere sind, die vernichtet werden müssen, ist menschlich verständlich. Dass der israelische Verteidigungsminister von menschlichen Tieren spricht, die als solche behandelt werden müssten, ist inakzeptabel. Ein militanter Israel-Verteidiger hat vor Kurzem in der NZZ eine richtige Frage gestellt: Wie kann Israel auf monströse Taten reagieren, ohne selbst zum Monster zu werden?

Auch beim Kampf gegen Monster darf man nicht selbst zum Monster werden. Auch gegen Palästinenser gab es Massaker, oder hat man die Namen Sabra und Schatila samt der üblen Rolle Israels bereits vergessen? Erinnert man sich schon nicht mehr an den Werdegang des aktuellen israelischen Ministerpräsidenten, den nur sein Amt vom Knast trennt? Entschuldigt, relativiert, verniedlicht, erklärt das die bestialischen Massaker der Hamas? In keiner Art und Weise. Aber es hilft dabei, nicht auf Stammtischniveau dumm zu schwätzen.

Das Schlimmste, was den Palästinensern in den letzten Jahren passiert ist, ist die Machtübernahme durch fundamentalistische Islamisten, durch Anhänger einer menschenverachtenden Todesreligion. Was Hamas will, ist Zerstörung, sie haben keinerlei positive Perspektive. Weder für Israel, noch für die Palästinenser. Was will aber Israel? Wo bleibt hier der gesunde Menschenverstand, der freie Diskurs, die konstruktive Debatte?

Einfache Frage: sollte es Israel gelingen, die Hamas zu liquidieren, wie es sein erklärtes Ziel ist: und dann?

Vorbei, verweht, unmöglich.

Lügen haben kurze Beine: Ein Nachtrag

Ukrainische Rakete verursachte Massaker.

Von Felix Abt

Zackbum hat die schamlosen falschen Anschuldigungen von Präsident Selensky gegen Russland entlarvt, die von den westlichen Medien tagelang unkritisch verbreitet wurden.

Selensky und die Medien behaupteten, dass eine russische Rakete (Der «Spiegel» sprach von einer russischen Artilleriegranate) Dutzende von ukrainischen Zivilisten auf einem ostukrainischen Markt getötet habe.

Doch nun ist die Propaganda und die Ablenkung vom wahren Schuldigen nicht mehr haltbar: Ausgerechnet die «New York Times» entlarvt den Betrug und den Verbrecher öffentlich: Selenskys Rakete hat das Massaker verursacht, auch wenn die Zeitung versucht, das Verbrechen mit einer angeblich verirrten ukrainischen Rakete zu entschärfen.

Die Zeitung berichtet Folgendes: «Zeugenaussagen und eine Analyse von Videoaufnahmen und Waffenteilen deuten darauf hin, dass eine ukrainische Rakete ihr beabsichtigtes Ziel verfehlte und in einer belebten Straße landete – mit verheerenden Folgen.»

Das Selensky-Regime wollte das Verbrechen vertuschen. Die «New York Times» erklärt dies so: «Die ukrainischen Behörden versuchten zunächst, Journalisten der Times daran zu hindern, die Raketentrümmer und das Einschlagsgebiet unmittelbar nach dem Einschlag zu betreten. Doch schließlich gelang es den Reportern, an den Ort des Geschehens zu gelangen, Zeugen zu befragen und Überreste der eingesetzten Waffe zu sammeln.»

Der Rest der Medien wird die Falschmeldungen nun bestenfalls kleinlaut korrigieren, wenn überhaupt. Dennoch wird der Eindruck von den «bösen» Russen (und den «guten» Ukrainern), der nicht unbeabsichtigt entstanden ist, bei der Masse der Medienkonsumenten schwer zu korrigieren sein.

Die Russen natürlich

Denn wer kann so verrückt und selbstmörderisch sein?

Von Felix Abt

Wenn sich in Gut-Deutschland, in Gut-Österreich oder in der Gut-Schweiz ein Unfall oder ein Verbrechen ereignet, werden, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, zunächst Abklärungen getroffen, bevor die Ursache oder der Täter benannt wird, es sei denn, die Beweislage lässt keinen Zweifel zu. Werteorientierte Politiker in den Gut-Ländern sind besonders darauf bedacht, dass die Ermittlungen so gründlich wie möglich sind (und lange dauern), wenn Immigranten aus fernen Ländern und Kulturen und andere besonders schützenswerte Minderheiten schuldig sein könnten.

Ganz anders sieht es aus, wenn die Russen als Schuldige angesehen werden, und das sind sie im kollektiven Gut-Westen oft. Als am 6. Juni 2023 während des russisch-ukrainischen Krieges der Staudamm und das Wasserkraftwerk Kachowka in der Ostukraine schwer beschädigt wurden, wartete Bundeskanzler Olaf Scholz nicht auf die Ergebnisse der Untersuchung und gab Russland noch am selben Tag die Schuld. Auch Aussenminister Baerbock verurteilte Moskau ohne zu zögern dafür.

Und wie reagieren die Russen darauf? In der Regel erfährt man das nicht, denn wenn ein Journalist oder Politiker das enthüllen würde, wäre er automatisch ein Putinversteher und würde seine Karriere unrühmlich beenden. Auf die Gefahr hin, als bezahlter Kreml-Agent angesehen zu werden, werde ich es hier trotzdem erwähnen: Wann immer solche Vorfälle auftreten, fordert Russland eine neutrale Untersuchung, z.B. im UN-Sicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline oder des Massakers in Butscha. Doch jedes Mal weigern sich die westlichen Regierungen, auch Deutschland, dies zuzulassen. Schweizer Diplomaten bleiben in solchen Fällen neutral. Und die Medien, die ihre Rolle als vierte Gewalt, die den Regierungen auf die Finger schauen sollte, aufgegeben haben, schauen weg. Haben sie Angst, dass neutrale Untersuchungen ihre Kriegspropaganda widerlegen könnten?

Genau drei Monate nach der Beschädigung des Staudamms und des Kraftwerks in der Ostukraine schlug am 6. September eine Rakete auf einem Markt in der Donezker Industriestadt Kostiantynivka ein und tötete zahlreiche Zivilisten. Dies geschah einen Tag vor Beginn der Wahlen zum neuen Regionalparlament in Donezk, das Russland zusammen mit den drei anderen Regionen Lugansk, Saporoshje und Cherson kontrolliert und als sein Gebiet betrachtet und das früher Teil der Ostukraine war. Die westlichen Medien waren voll von fast identischen Schlagzeilen:

«Der Spiegel»: «Mindestens 16 Tote durch russischen Angriff auf Markt in der Ostukraine»

t-online16 Tote bei russischem Angriff auf Marktplatz in der Ostukraine»

Neue Zürcher Zeitung: «Mehrere Tote bei russischem Angriff auf Konstjantiniwka»

The Guardian: «Russian strike on crowded Ukraine market leaves at least 17 dead. Moscow targets cities with missiles as US secretary of state Antony Blinken makes surprise visit to Kyiv.»

CNN: «Russian missile strikes eastern Ukraine market, killing 17, in one of the worst attacks in months

The Washington Post: «Russian missile hits market in eastern Ukraine»

Al Jazeera: «Civilians reported killed as Russia shells outdoor market in east Ukraine»

Das ZDF berichtete: «Bei einem Angriff auf die Stadt Kostjantyniwka in der ostukrainischen Region Donezk sind mehrere Menschen getötet worden. Das teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über seinen offiziellen Telegram-Kanal mit. Demnach hätten russische Raketen einen Markt und mehrere Geschäfte getroffen. Mindestens 17 Menschen seien tot, darunter ein Kind. Mindestens 32 weitere Personen seien verletzt, wie es in offiziellen Behördenangaben hiess

Die meisten Medien sprachen von einem russischen Raketenangriff, das ehemalige deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» von einem russischen Artillerieangriff.

Auffällig ist, dass weder Separatisten noch andere Bürger am Tatort dazu befragt wurden. Schweizer, deutsche und andere westliche Medien machten sofort Russland für den Anschlag verantwortlich. Aufklärungen wurden nicht einmal abgewartet, Überlegungen darüber, wer ein Motiv für eine solche Greueltat gehabt haben könnte, wurden überhaupt nicht angestellt. Politiker und Medien hierzulande stützten sich ausschließlich auf die Behauptungen von Zelensky, dem Mann, der im Falle einer Drohne, die in Polen eindrang und Zivilisten tötete, darauf bestand, dass es sich um eine russische Drohne handelte, selbst nachdem die US-Regierung bereits bestätigt hatte, dass es sich um eine ukrainische handelte.

Noch auffälliger ist die Tatsache, dass diese «Nachricht» wirklich jeder Logik widerspricht: Warum sollte Russland russische Bürger auf russischem Gebiet bombardieren? Die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung im Osten der Ukraine lehnte das Regime ab, das 2014 durch einen vom Westen unterstützten Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung an die Macht kam, und unter der Führung von Separatisten wurde als Folge im selben Jahr die Donezker Volksrepublik gegründet, zu der auch die Stadt Kostjantyniwka gehört. Statt sie zu beschiessen, wurde sie seither von Russland unterstützt. Die Meldung des RedaktionsNetzwerks Deutschland, dass sie «in den letzten Monaten wiederholt Ziel russischer Angriffe» war, ist daher an Absurdität nicht zu überbieten. Dass dies von einem Redaktionsnetzwerk kommt, das über 60 Tageszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als 2,3 Millionen Exemplaren mit solch wahnwitziger Propaganda einlullt, ist wirklich bemerkenswert. Hier ist ein Augenzeugenbericht, den Ihnen die Mainstreammedien vorenthalten haben.

Wenn Russland seine eigenen Bürger mit Raketen (oder waren es Artilleriegranaten?) tötet, während es sich darauf vorbereitet, dort Wahlen abzuhalten, die ebenfalls sabotiert wurden – hat Putin sich selbst sabotiert? – müssen die europäischen Bürger und Medienkonsumenten natürlich davon ausgehen, dass die Russen so bösartig sind, dass es gerechtfertigt und notwendig ist, ihnen nicht nur die Autos, sondern sogar die Koffer mit den Kleidern und die Zahnpasta wegzunehmen, wenn sie es wagen, den Frevel zu begehen, in europäischen Ländern Urlaub zu machen.

Und diejenigen, die es nicht aus Spiegel, RedaktionsNetzwerk Deutschland, FAZ, Süddeutscher Zeitung, bzw. Tages-Anzeiger, NZZ und den zahlreichen anderen gleichgesinnten Medien erfahren haben und mir nicht glauben, verweise ich auf Anhang XXI der EU-Richtlinie Nr. 833/2014, in dem die russischen Waren aufgelistet sind, die unabhängig von ihrem Zweck und der Dauer ihres Aufenthalts in der EU verboten sind, darunter Kleidung, Zahnpasta, Shampoo und andere Hygieneprodukte.

Für die Nicht-Putinversteher sollte dies jedoch als leuchtendes Beispiel dafür dienen, wie entschlossen die Europäische Union angesichts von Putins unheimlichen Touristenhorden an ihren hochfliegenden Idealen festhält.