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Neues vom Seibt

Der Long-Form-Schwurbler hat zugeschlagen.

Natürlich könnte Constantin Seibt etwas hierzu sagen:

Das «Wachstumsziel» von 33’000 Abonnenten ist weiterhin in weiter Ferne. Aber vielleicht weiss Seibt, dass die Millionäre, die hinter der «Republik» stehen, schon nochmals ein Einsehen haben werden. Schliesslich macht das Hansi Voigt mit seinem Loser-Projekt «bajour» vor. Nach der Geldspritze ist vor der Geldspritze.

Seibt könnte vielleicht auch einen Ton dazu sagen, wieso sein Chefredaktor a. i. Daniel Binswanger, obwohl intimer Kenner des «Magazin», keinen Ton zur Affäre Roshani sagt.

Oder Seibt könnte etwas dazu sagen, wieso die «Republik» schon lange aus sämtlichen Schlagzeilen verschwunden ist und ihr unendlich langes Stück über «Google» höchstens als Beitrag gegen Schlaflosigkeit Aufmerksamkeit erzielte.

Aber das sind für Seibt Themen minderer Bedeutung. Pipifax, Kleinklein. Ihm geht es um das Nachzeichnen der grossen Linien, er will dort sein, wo die Action ist. Wenn auch nur im Geiste. Also titelt er:

«Ruhm der Ukraine, Schande der Schweiz». So ein Titel erinnert leise an so was:

«Ruhm dem siegreichen Volk», nach dem Sieg über Hitler-Deutschland. Aber das meint Seibt wohl eher nicht. Er beginnt etwas wolkig-dunkel mit ganz allgemeinen Bemerkungen: «Man macht ein paar Dinge richtig, man vermasselt ein paar – aber am Ende kommt es fast immer unsensationell okay.»

Oha, sagt da der Leser, Zeit für eine Lebensbilanz? Nein, nicht ganz, Seibt wird nun eine Idee konkreter: «Politik etwa ist wie Fussball: Mal gewinnt die eigene Mannschaft, mal die andere. Dann freut man sich. Oder flucht. Und dann folgt das nächste Spiel

Oha, sagt der Leser nochmal, das Runde muss ins Eckige, und ein Spiel dauert 90 Minuten. Aber auch das meint Seibt nicht: «Aber es gibt eine Ausnahme: wenn der Faschismus marschiert.»

Oha, sagt der Leser, nun wird es ernst, und Seibt erklärt uns das Wesen des Faschismus: «Er ist das Gegenteil des Lebens selbst. Er ist der Kult der Vernichtung.» Oha, sagt der Leser zum vierten Mal, schön, dass wir das nun wissen, hätte ja niemand gedacht. Bis Seibt es in Worte zu fassen vermochte. Die er irgendwo abgeschrieben hat.

Aber wo läuft er denn, der Faschismus? «Seit einem Jahr marschiert der Faschismus in der Ukraine.» Unglaublich, denkt da der Leser zunächst, eine Kritik von Seibt an den Asow-Brigaden, an der Verehrung für den Nazikollaborateur und Kriegsverbrecher Stepan Bandera, eine Abrechnung mit der braunen Vergangenheit der Ukraine?

Nein, nicht wirklich, aber nun spannt Seibt urplötzlich einen ganz grossen Bogen: «Und der Faschismus marschiert nicht nur in Russland: Von Ungarn bis zum Iran, von Ankara bis Peking, von «Weltwoche» bis Fox News wächst eine autoritäre Internationale

Oha, sagt der Leser zum letzten Mal, also der Faschismus durchquert Russland, hat Ungarn erfasst, die Mullahs im Iran wissen es zwar nicht, sind aber auch Faschisten, dazu die Türken und erst recht die Chinesen. In diese Reihe passt dann auch noch «Fox News» und natürlich die WeWo. Die sind dann aber, wenn wir Seibt richtig verstehen, nicht faschistisch, sondern autoritär, sehen sich aber dennoch in der Tradition der kommunistischen Internationale.

Sozusagen braune und rote Fäuste vereint. Nun fragt sich der Leser, welche Medikamente oder verbotenen Substanzen Seibt eingenommen haben könnte, damit er solch einen kunterbunten Schwachsinn aufschreibt. Aber er ist, unangenehme Begleiterscheinung von unkontrolliertem Sprachdurchfall, noch nicht am Ende: «Und wie vor hundert Jahren stellt sich wieder die Frage: Wer bist du, wenn es wirklich zählt?» Also 1923?

Das fragt man sich beim Schreibtischhelden Seibt allerdings auch 2023. Denn er hebt nun zur grossen Klage an:

«Wer seinen Job nicht tat, sind wir. Wir, die Schweizer. Alle Schweizer. Denn: Das Einzige, was wir taten, war das Minimum: nach einigen Windungen die Sanktionen der EU zu übernehmen. Plus humanitäre Hilfe.»

Schlimm, ganz schlimm: «Der Rest ist Abwarten, Abwehr, Gefummel.» Keine Waffenlieferungen, auch nicht mit Schlaumeiereien. Schlimm. Ukrainer in der Schweiz «müssen nun ihr Auto verkaufen, falls sie weiter Sozialhilfe erhalten wollen». Noch schlimmer. Ein Ukrainer ohne SUV, unvorstellbar, unmenschlich.

Seibt verzweifelt an uns, an sich: «Es ist schwer zu sagen, was an dieser Politik überwiegt: ihre Miesheit oder ihre Dummheit.» Denn eigentlich wäre jeder Schweizer Mann, jede Schweizer Frau gefordert (und everybody beyond, wie Seibt zu sagen pflegt):

«Das Schlimmste ist: Der Faschismus marschiert und die ganze freie Welt handelt. Nur wir nicht.»

Er mahnt, warnt und weist uns darauf hin: «Als wären es Zeiten wie immer. Als ginge es um nichts. Und nicht um alles: Demokratie, Freiheit, Zukunft.» Aber wenn es um die Zukunft geht, muss Seibt in die Vergangenheit blicken: «Ein Leben lang hing der Geruch nach Verwesung über der Aktivdienst­generation. Fast niemand, der später geboren war, konnte sie ernst nehmen.» Hä?

Doch, doch, alles «kalte Krieger an jedem Kneipen- und Sitzungstisch». Kalte Krieger, war das nicht mal ein Begriff für Antikommunisten? Ist Seibt selbst nicht so ein Held am Schreibtisch? Egal: Aktivdienst, das ist «die Generation, die neutral blieb, als der Faschismus marschierte». Diese Feiglinge, endlich vom Nachgeborenen Seibt an ihren Platz verwiesen.

Wie schliesst der Wortkrieger, der Verzweifelte, der Unverständliche und Unverstandene? «Ruhm der Ukraine. Ruhm den Verteidigern. Keinen Ruhm uns.»

ZACKBUM plädiert dafür, dass wir es eine Nummer kleiner halten. Ruhm für niemanden. Insbesondere keinen Ruhm für Seibt, der den Verteidigern der Schweiz im Zweiten Weltkrieg eins in die Fresse haut. Der wohl erwartet hätte, dass die Schweiz damals – obwohl umrundet von tatsächlich faschistischen Staaten –mutig in den Krieg gegen Deutschland, Österreich, Italien und auch den besetzten Teil Frankreichs gezogen wäre. An der Seite der Sowjetunion womöglich. Gegen die ukrainischen Faschisten zum Beispiel.

Was für ein Irrwisch. Es ist beelendend, wie ein einstmals begabter Schreiber völlig die Fassung, die Fähigkeit zur Analyse und die Selbstbeherrschung verliert. Das erinnert tragisch an den späten Niklaus Meienberg, der auch einen Endkampf zwischen Gut und Böse sehen wollte. Und daran verzweifelte, dass niemand diese Ansicht mit ihm teilte.

Hoffentlich hält Seibt auf diesem Highway to Hell noch rechtzeitig inne und besinnt sich auf die Wirklichkeit. Man muss sich aber ernsthaft Sorgen machen. Oder besser: ihn schlichtweg ignorieren.

 

 

Köppel zeuselt

Der Pyrotechniker kann’s nicht lassen. Und sprengt sich mal wieder selbst in die Luft.

Zum einen muss man ihm dankbar sein. Roger Köppel hat die Rede zur Nation des russischen Präsidenten Putin übersetzen lassen und vollständig ins Netz gestellt. Wer sich durchquält, erhält Einblicke in fahriges Gefasel, mäandrierendes Gelaber eines Orientierungslosen, der nicht wahrhaben will, dass er mit der Invasion der Ukraine Russland so schwer geschädigt hat wie keiner seiner Vorgänger.

«Und wir werden Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent die vor uns liegenden Aufgaben angehen

Es darf gelacht werden.

Zum Jahrestag der Invasion hat er ein Sonderheft herausgegeben, das die altbekannten Meinungen nochmals hübsch zusammenfasst. Auch dafür gebührt ihm Dank.

In seinem Editorial nimmt er einen langen Anlauf über viele Stationen, um sich zu einer vermeintlich ketzerischen Frage durchzukämpfen. Auch Ausflüge in die Tiefen der Geschichte sind ihm dabei recht: «Anders als in früheren Zeiten sind es nun nicht die Päpste und Pfaffen, die den Kreuzrittern die Schwerter salben. Anstatt auf die Bibel berufen sie sich auf eine andere heilige Schrift, das sogenannte Völkerrecht.»

Nebenbei: solche strenge Worte über Pfaffen mag der andere Köppel, der im Alter zu religiösen Erweckungserlebnissen neigt, gar nicht gerne hören.

Aber hier geht es ihm um die Frage, ob der Überfall auf die Ukraine tatsächlich ein «völkerrechtswidriger Angriffskrieg» sei:

«Stimmt das eigentlich? Ist es wirklich so, dass Russland vor einem Jahr das Völkerrecht so krass und eindeutig zertrümmerte, wie das heute geschrieben und wiederholt wird? Hat es zu dieser Frage jemals eine solide wissenschaftliche oder gerichtliche Untersuchung gegeben, Beweiserhebung, Anklage und Verteidigung? Oder handelt es sich um eine sich selbst genügende, sich selbst rechtfertigende Vorverurteilung, ein Urteil jener Gerichtshöfe der Moral, die keinerlei Prozessordnung kennen?»

Hier kann man Köppel ganz einfach weiterhelfen. Das spielt überhaupt keine Rolle. Russland hat damit gegen seine eigenen völkerrechtlich verbindlichen Versprechen verstossen. Vielleicht sollte Köppel nicht so viel Energie auf einleitendes Gedöns in seinem Editorial verwenden, sondern einfach das Budapester Memorandum nachlesen. Dann hätten wir noch die Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris von 1990 und die UNO-Resolution über die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten.

Man braucht keine Beweiserhebung, Anklage, Verteidigung, man braucht noch viel weniger eine solide Untersuchung. Selbst ein galoppierender Köppel müsste einsehen: gegen all diese völkerrechtlich verbindlichen Abmachungen, Abkommen, unterzeichnetenVerträge hat Russland verstossen.

Besonders stossend ist der Verstoss gegen das Budapester Memorandum. Hier hatte Russland als Gegenleistung für den Nuklearwaffenverzicht der Ukraine (bzw. die Rückgabe der dort stationierten Atomwaffen der Ex-UdSSR) völkerrechtlich verbindlich versprochen, die Souveränität, das UN-Gewaltverbot und die bestehenden Grenzen zu achten. Da kann man noch so viel rhetorisches Gedöns, Gelaber und ganze Heerscharen von Nebelkerzen auffahren: ist so.

Kann doch nicht so schwer sein, Roger.

 

 

Sanktionen und die Medien

Kennen Sie das 8. Sanktionspaket der EU gegen Russland?

Die gute Nachricht ist: die Schweiz hat es (noch) nicht übernommen. Warum ist das eine gute Nachricht? Ganz einfach, weil es mindestens eine Sektion enthält, die nun definitiv die Rechtsstaatlichkeit in der EU ritzt.

Welche Sanktion? Nun wird es etwas langfädig, denn es ist eine EU-Bürokratie-Sanktion:

 

Untersagt wird dabei direkte und indirekte Rechtsberatung der russischen Regierung ebenso wie von in Russland niedergelassenen juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen. Dabei ist zu beachten, dass Rechtsberatungsdienstleistungen gemäß der Verordnung „die Rechtsberatung für Mandanten in nichtstreitigen Angelegenheiten, einschließlich Handelsgeschäften, bei denen es um die Anwendung oder Auslegung von Rechtsvorschriften geht; die Teilnahme mit oder im Namen von Mandanten an Handelsgeschäften, Verhandlungen und sonstigen Geschäften mit Dritten; die Ausarbeitung, Ausfertigung und Überprüfung von Rechtsdokumenten“ umfassen, nicht aber „die Vertretung, Beratung, Ausarbeitung von Dokumenten oder Überprüfung von Dokumenten im Rahmen von Rechtsvertretungsdienstleistungen, insbesondere in Angelegenheiten oder Verfahren vor Verwaltungsbehörden, Gerichten, anderen ordnungsgemäß eingerichteten offiziellen Gerichten oder in Schieds- oder Mediationsverfahren“.

 

 

Dann folgt eine ganze Latte von Ausnahmen, weil es eine bürokratische EU-Sanktion ist:

 

 

Ausgenommen von dem Beratungsverbot sind ebenso russische Privatpersonen. Dasselbe gilt für Dienstleistungen, die für die Wahrnehmung des Rechts auf Verteidigung in Gerichtsverfahren und des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf unbedingt erforderlich sind oder zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat oder für die Anerkennung oder Vollstreckung eines Gerichtsurteils oder eines Schiedsspruchs aus einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich sind, sofern die Erbringung dieser Dienstleistungen mit den Zielen des Beschlusses und des Beschlusses (EU) 2014/145/GASP im Einklang steht.

Erbracht werden dürfen außerdem solche Dienstleistungen, die zur ausschließlichen Nutzung durch in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen bestimmt sind, welche sich im Eigentum oder unter der alleinigen oder gemeinsamen Kontrolle einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats, eines dem Europäischen Wirtschaftsraum angehörenden Landes, der Schweiz oder eines in Anhang VII aufgeführten Partnerlandes gegründeten oder eingetragenen juristischen Person, Organisation oder Einrichtung befinden.

 

 

Auf Deutsch: Das Recht, sich juristischer Hilfe zu versichern, wird für russische Firmen und Einrichtungen und die Regierung eingeschränkt. Das ist ein eklatanter Verstoss gegen die Fundamente eines Rechtsstaats.

Dementsprechend ist sicherlich das Presse-Echo ausgefallen, denn die Qualitätsmedien werden nicht müde zu betonen, wie wichtig Rechtsstaatlichkeit sei, gerade im Vergleich mit einem Unrechtsstaat wie Russland.

Wir können also sicherlich aus einem ganzen Strauss von Meldungen zitieren. Da wäre mal, öhm. Also zum Beispiel, räusper. Nehmen wir doch nur Tamedia, CH Media, NZZ, Ringier, die haben doch … Nein, die haben nicht. Auch in Deutschland, das ja diese Sanktion bereits umsetzt, hört man zwar strammen Protest aus der BundesrechtsanwaltskammerScharfe Kritik»), aber sonst? Schweigen im Blätterwald. Tiefes Schweigen.

Überall? Nein, immerhin, hinter seiner Bezahlschranke, also unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit, hat der nebelspalter.ch den Skandal nicht nur vermeldet, sondern auch (natürlich kritische) Stellungnahmen von Juristen dazu eingeholt.

Also haben wir hier einen doppelten Skandal. Diese Sanktion selbst – und den ausbleibenden Protest dagegen. Interessant wird, ob die Schweiz auch diese Sanktion, wie bislang alle anderen, sklavisch übernimmt. Oder für einmal ausschert und damit ein Zeichen setzt, dass hierzulande die Rechtsstaatlichkeit einen höheren Wert hat als in der EU.

 

Bombenstorys

Da macht man mal eine Woche Pause im Aburteilen der Sonntagspresse …

Schon regnet es Bombenstorys:

Eine genauso riesige wie hässliche Illustration auf der Front plus Editorial plus 5 Seiten widmet die NZZaS der Frage, ob Putin tatsächlich Atomwaffen einsetzen könnte, und wenn ja, warum nicht, und wenn nein, wieso doch, und überhaupt, und die Schweiz. Im Editorial schafft es Inland-Chefin Anja Burri tatsächlich, zunächst das Überangebot an Bombenstorys zu begründen, um dann versöhnlich die weinenden und Händchen haltenden Tennisstars Federer und Nadal anzuhimmeln: «Sie gehören nicht nur für ihr Tennis gefeiert, sondern auch dafür, wie sie allen zeigen, was männliche Stärke heisst.»

Ja was heisst sie denn, wenn wir der etwas merkwürdigen Formulierung der Autorin (Frauensprache?) folgen können. Öffentlich weinen und Händchen halten? Echt? Also diese Geste (aber bitte ohne weinen) ist höchstens bei solchen Gelegenheiten angebracht:

Verdun, Mitterrand, Kohl. Das war stark.

Ganz anders gewichtet die SoZ:

Federer, milder Winter, Macarons und sexuelle Revolution.

Nochmal anders geht’s der «SonntagsBlick» an:

Vielleicht ein Wort zum Faktischen. Putin hat angeordnet, 300’000 Reservisten einzuberufen. In Russland leben rund 68 Millionen Männer. Davon sind 43,5 Millionen im Alter von 15 bis 65, also potenziell mobilisierbar. Also werden zurzeit 0.69 Prozent aller waffenfähiger Männer mobilisiert. Etwas mehr als einer von 200. Für jeden, den’s trifft, eine Tragödie. Aber «Putin holt sich Russlands Söhne»? Nicht mal im Streubereich der Wahrheit.

Genauso wenig wie das Editorial: «Warum läuft Russlands Krieg gegen die Ukraine unter dem Buchstaben Z? … Z steht für da Ende des Schreckensregimes von Waldimir Putin. Zumindest ist der Verbrecher im Kreml am Ende seines Alphabets angelangt …» Oh je, Gieri Cavelty.

Man kann versuchen, ein schiefes Bild zu retten. Aber dafür grosszügig darüber hinwegsehen, dass das kyrillische Alphabet kein Z kennt?

Der nächste journalistische Tiefpunkt wird mit dem Interview mit dem EU-Botschafter Petrus Mavromichalis erreicht. Der darf unwidersprochen jede Menge Unsinn verzapfen: «Wir unterstützen sie mit Geld, Material und humanitärer Hilfe. Und zwar so lange, bis die Ukraine diesen Krieg gewinnt.» Mit der Hilfe der EU zum Endsieg über Russland? Was für ein Traumtänzer.

Schmallippig wird er aber, wenn er nach der Unterstützung von Deserteuren aus Russland gefragt wird. «Wir schützen Dissidenten aus allen Ländern. Aber wir müssen sorgfältig prüfen, ob Schutzbedürftige oder zweifelhafte Personen kommen.» Auf Deutsch: Die EU konnte sich noch nicht darauf einigen, wie sie Asylsuchenden aus Russland begegnen will. Während der Diplomat dann meint, dass die EU überhaupt nicht mit der aktuellen russischen Führung verhandeln könne, behauptet er nassforsch, dass die Schweiz schon noch mehr tun könnte: «Leider hat es der Bundesrat kürzlich abgelehnt, dass ausländische Staaten Waffen aus Schweizer Produktion an die Ukraine liefern können. Das ist eine verpasste Gelegenheit, etwas Gutes zu tun.»

Das kann man so sehen. Allerdings nur, wenn man keine Ahnung von der Schweizer Gesetzgebung bezüglich Waffenexporte in Kriegsgebiete hat. Sehr vage wird der Botschafter dann, was die Beziehungen der Schweiz zur EU betrifft: «Es gibt, wie gesagt, weiter Unklarheiten.» Auch mit dieser Antwort lässt ihn das Interview-Duo Danny Schlumpf und Gieri Cavelty davonkommen.

Daher darf der Botschafter auch zum Abschluss noch richtige Flachheiten absondern: «Die Schweiz und die EU sind Freunde und werden es immer bleiben. Freundschaft ist aber nicht dasselbe wie die Teilnahme am Binnenmarkt der anderen Seite.» Das ist wohl wahr, aber die Gültigkeit eigener Gesetze im anderen Land zur Voraussetzung für dessen Teilnahme am Binnenmarkt zu machen, auf diese Idee kommt weltweit ausser der EU niemand. Hätte man nachfragen können, aber dann wär’s kein Weichspüler-Wohlfühl-Interview geworden.

Zurück zum Organ der besseren Stände und wohlgeborenen Kreise. Die NZZaS wartet mit einer journalistischen Merkwürdigkeit der Sonderklasse auf:

Der Wirtschaftsbund beginnt mit einem Knaller. An der skandalgeplagten HSG hat offenbar ein Professor Mühe, zwischen seiner professoralen Tätigkeit und seiner Funktion als Mitbesitzer einer GmbH zu unterscheiden, die genau die gleichen Themengebiete beackert. Zudem ist seine Frau sowohl an der HSG als «Office-Managerin» wie auch in der GmbH als «Vorsitzende der GL und Miteigentümerin» tätig. Ein neues, saftiges Stück aus dem Fundus dieser Merkwürdig-Uni. Nur: obwohl das Tätigkeitsgebiet des HSG-Instituts ziemlich genau beschrieben wird, handelt es sich um «Herbert Künzle». Der heisse «in Wirklichkeit anders, es gilt die Unschuldsvermutung». Natürlich auch für seine Frau, «nennen wir sie Zita Bergmann».

Ds ist nun Borderline-Journalismus in seiner reinsten Form. Jeder Insider weiss sofort, wer gemeint ist. Aber die NZZaS versteckt sich hinter Pseudonymen. Wunderlich, sehr wunderlich.

Wir haben schon so ausführlich und so notwendig auf dem «NZZaS Magazin» herumgeprügelt, dass es die ausgleichende Gerechtigkeit verlangt, einen Artikel ausdrücklich zu loben:

Ds ist eine singuläre Leistung. Der Autor Daniel Etter ist zwar kein NZZ-Redaktor, aber es gereicht dem Magazin zur Ehre, diese Reportage veröffentlicht zu haben. Dafür verzichten wir auch auf eine kritische Würdigung des Rests des Inhalts …

 

«Schnallt eure Gürtel enger und zieht euch warm an!»

In Europa kommt die «Moral vor dem Fressen», in Asien ist es genau umgekehrt. Teil 1

Von Felix Abt

Nachdem die Megaphone des Wertewestens schon zum totalen Wirtschaftskrieg gegen Russland aufgerufen haben, ertönt nun der Schlachtruf gegen China, ohne Rücksicht auf die Folgen für das «gemeine Volk».

Das ehemalige deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» steht bereits an der Spitze des Propagandakriegs gegen Russland und verbreitet dreiste Lügen, ohne sich dafür zu schämen, wie zu Zeiten ihres chronisch wahrheitswidrig publizierenden Starjournalisten Relotius. Jetzt bläst es zum Angriff auf das nun als brandgefährlich dargestellte China, das diesmal eine viel größere Bedrohung für die Demokratie darstellt als die Taliban am Hindukusch – huch, wo war das noch mal? -, wo NATO-Truppen, darunter auch deutsche Soldaten, angeblich die deutsche Freiheit verteidigten, und auch mehr als die derzeit sehr gefährlichen Russen in der ach so demokratischen Ukraine. Und natürlich fühlen sich zahlreiche deutsche und andere europäische Medien und Politiker bemüßigt, in die gleiche Kerbe zu hauen.

Ein durchschnittlicher litauischer Abgeordneter, der stellvertretend für viele Politiker in den baltischen Staaten steht, unterstellt auf Twitter, China und Russland seien eine grosse – und vermutlich minderwertige – «mongolische» Nation.

Die genannten Beispiele zeigen, wie Politiker und Medien in Europa die Stimmung anheizen und die rote bzw. gelbe Gefahr wieder heraufbeschwören.

Besonders fleißig warnt der in China lebende «Spiegel»-Reporter Georg Fahrion eindringlich vor der unheimlichen Gefahr, die aus China kommt. Er lässt kaum ein gutes Haar an dem Land und spuckt in die chinesische Nudelsuppe, wann immer er kann. Besonders originell ist er dabei nicht, denn die meisten westlichen Journalisten, die sich mit China befassen und im Übrigen kein Chinesisch sprechen, tun mehr oder weniger dasselbe, als hätten sie sich untereinander abgesprochen. Man wird ihnen nie vorwerfen können, China-Versteher zu sein. Als gelernter Politikwissenschaftler kann Fahrion die Lage sicher politisch korrekt einschätzen, wie es seine Chefs in Hamburg und die buntfarbenen Politiker in Berlin von ihm erwarten.

Was er mit vielen seiner deutschen Kollegen gemeinsam hat, ist, dass er noch nie etwas verkaufen musste: keine deutschen Autos, keine Maschinen und keine Adidas-Schuhe, und schon gar nicht in China, wo deutsche Produkte von Millionen von Kunden gekauft werden und Hunderttausende von deutschen Arbeitsplätzen sichern. Die deutsche Autoindustrie zum Beispiel verkauft derzeit 40 % ihrer Autos in China. Ob der hochgelobte «America First»-Verbündete bei einem von deutschen Politikern und Journalisten provozierten Absatzeinbruch aushelfen und viel mehr deutsche Autos kaufen würde, ist zumindest zweifelhaft. Auch haben Fahrion und seine Genossen in den zu intellektuellen Schiessbuden umfunktionierten Redaktionsstuben sicher noch nie Bauteile aus China kaufen müssen, die dazu beitragen, die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig zu halten, oder in China günstig hergestellte Konsumgüter, ohne die die Kaufkraft und der Wohlstand der deutschen Verbraucher viel bescheidener ausfallen würden.

Die deutschen Unternehmer wissen es, aber nicht vom «Spiegel» und anderen russlandfeindlichen Medien: Der Zugang zu russischen Rohstoffen, der ihnen von gutmenschlichen Ideologen in Politik und Medien verwehrt wird, ist eine echte Gefahr für das Überleben ihrer Unternehmen. Die gut bezahlten Weltverbesserer haben ihren russischen Absatzmarkt bereits ruiniert. Wenn es den Medien wieder gelingt, die Politiker so aufzuwiegeln, dass auch ihr China-Geschäft schnellstmöglich den Bach runtergeht, dann könnte sich in Deutschland im Handumdrehen Armut stark ausbreiten. Während die Massen dann hungern, dürfen sich die abgehobenen politischen und journalistischen Eliten wenigstens in ihrer moralischen Überlegenheit sonnen.

Nun, was sollte sich ein Spiegel-Reporter mit gutem Einkommen um die Auswirkungen der China-dämonisierenden Medien scheren? Selbst wenn Beijing eines Tages genug von seinen Tiraden hat und ihn ausweist, wie es mit einzelnen BBC und anderen Anti-China-Journalisten getan hat, wird es sich auch für ihn auszahlen: Ein lukrativer Buchvertrag, in dem seine Story über den heldenhaften Kampf gegen den brutalen roten (oder gelben) Drachen ausgiebig ausgeschlachtet wird, ist ihm sicher, wahrscheinlich auch andere Vorteile, wie eine Beförderung beim «Spiegel» oder ein vom Steuerzahler besser bezahlter Job in der deutschen Regierungsbürokratie oder in der Brüsseler Eurokratie, bei einem Think Tank oder gar an einer Universität.

Lady Gaga – das große Vorbild für die nach “Freiheit” lechzenden Chinesen!

Der Londoner «Times» zufolge «verkörpert die Sängerin Lady Gaga alles, wovor China Angst hat».

Bei einem von Lady Gaga gesponserten Festival gab es einen «Artpop»-Moment, bei dem sich ein «Kotzkünstler» auf die Sängerin erbrochen hat.

«Für uns war diese Performance Kunst in ihrer reinsten Form. Aber wir verstehen vollkommen, dass manche Leute das nicht mögen», erklärte Gaga.

Dazu gehören wahrscheinlich mehr als eine Milliarde Chinesen, die von amerikanischer Kotzkunst nicht viel halten und keinen Grund sehen, dieser Künstlerin nachzueifern. Natürlich wird in China auch ausländische Musik gehört, wie K-Pop oder die Musik von Taylor Swift, Ed Sheeran, Shawn Mendes, Drake, Coldplay und Passenger, aber meist von eher jüngeren Menschen. Es gibt sogar eine Fernsehsendung namens «中国有嘻哈», was wörtlich bedeutet: «China hat Hip-Hop». Natürlich erfährt man davon nichts in den westlichen Medien, die China lieber verunglimpfen.

Trendige Videos über Strassenmode in China auf Douyin, der chinesischen Version von Tik Tok, widersprechen der westlichen Medienpropaganda, die das Land als eher trist, farblos und als «kollektivistische Diktatur» darstellt. Wer mehr über China erfahren möchte, und zwar nicht durch die westlich getrübte Linse, kann dies auf diesem von Expats in Hongkong betriebenen Portal tun.

Fortsetzung folgt.

Wumms: Gieri Cavelty

Unser Dauergast verkrampft sich im Thesenjournalismus.

Das kann in jeder Journalistenausbildung als Paradebeispiel dienen, wie man es nicht machen sollte. Zunächst ist immer verdächtig, wenn der Teaser auf der Homepage ganz anders lautet als dann die Artikeleinschenke:

Das ist der Teaser, der Artikel sieht dann so aus:

Ist verständlich, dass «Blick» diesen unverständlichen Titel nicht auf die Homepage genommen hat. Denn dieser Titel ist ungefähr so aussagekräftig wie: Cavelty ist gut. Cavelty ist aber auch ein Brillenträger.

Versemmelt, aber das ist erst der Anfang. Denn Cavelty hat hier eine These. Die Schweiz helfe diplomatisch der Ukraine, die Schweizer Industrie unterstütze aber Russland.

Wenn man eine These hat, muss man anschliessend die Wirklichkeit so hinbüscheln, dass sie zur These passt. Umgekehrt wäre ganz schlecht, denn was real ist, bestimmt dann schon nicht die Realität. Sondern Cavelty.

Wie unterstützt also die Schweizer Industrie Russland? Ganz einfach, sie tut das, weil sie nicht in die Zukunft schauen kann. Hä? Gemach, ein paar Beispiele: «Demnach wurden 2018 sogenannte Rundschleifmaschinen der Fritz Studer AG aus Steffisburg an die Firma JSC Kuznetsov geliefert, die Motoren für Putins Kampfjets fertigt. Demnach lieferte das Schweizer Unternehmen GF Machining Solutions 2017 über eine Drittfirma, die Galika AG in Volketswil, eine Drahtschneidemaschine an Izhevsky Mekhanichesky Zavod, Russlands wichtigsten Produzenten von Kleinwaffen. 2018 lieferte GF Machining Solutions wiederum über die Galika AG Fräsmaschinen an den russischen Rüstungsbetrieb Konstruktorskoe Buro Priborostroeniya, der Flugabwehrraketen und Artilleriesysteme entwickelt.»

Das ist ja unerhört und aus ukrainischen Gazetten abgeschrieben. Wie konnten Schweizer Firmen das nur tun; sie hätten doch schon 2017 oder 2018 wissen müssen, dass Putin 2022 die Ukraine überfällt. Auch die Politik und die Ämter haben hier versagt: «Das Staatssekretariat für Wirtschaft hält summarisch fest, bis zur Übernahme der EU-Sanktionen am 4. März 2022 sei die Ausfuhr von Industriegütern nach Russland grundsätzlich legal gewesen.» Immer dieser Legalismus im Nachhinein, das hätte man doch schon damals verbieten müssen.

Aber einen Knaller hat sich Cavelty noch bis fast zum Schluss aufgespart. Wir machen kurz einen Intelligenztest draus. Wer spielt hier die Hauptrolle? Zu abstrakt? Welche Partei? Ah, da hören wir SVP aus dem Publikum. Genau. Wer macht 100 Punkte? Richtig, der Name Martullo Blocher wird gerufen.

«Die Ems-Chemie von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo betreibt in Russland zwei Fabriken für Autolacke und Ähnliches, die ihre Tätigkeit trotz Putins Vernichtungsfeldzug einfach fortsetzten», zitiert Cavelty aus einer objektiven und unparteiischen ukrainischen Tageszeitung. Die appelliere zudem «an das Bündner Unternehmen, «sich nicht an Putins Verbrechen mitschuldig zu machen!»»

So geht das, wenn zuerst die These steht und dann drauf hingeschrieben wird. Ohne eigene Recherche, einfach per copy/paste aus unverdächtigen Quellen. Daraus entsteht ein prima Lehrstück für den frischgebackenen Chef der Ringier Journalistenschule Peter Hossli. Hoffentlich traut der sich was …

 

NZZ: geht doch

Journalismus mit Hand und Fuss und Hintergrund? Bitte sehr.

Es ist einfach so. CH Media und Ringier haben sich weitgehend von der hintergründigen Berichterstattung verabschiedet. Tamedia lebt höchstens davon, an der Ausschlachtung gestohlener Geschäftsunterlagen beteiligt zu sein. Das sogenannte «Recherchedesk» recherchiert eigentlich nicht, sondern durchpflügt Datenmeere und wertet Zugehaltenes aus.

Auch wenn sich ZACKBUM wiederholen muss, der einzige Lichtblick in diesem Tal der Düsternis ist die NZZ. Das stellt sie mit diesem Gewaltsartikel wieder einmal unter Beweis: «Der Krieg und der Hunger: Warum die Welt vor einer Nahrungsmittelkrise steht.»

Nun kann Herr Beckmesser einwerfen, dass das Thema nun nicht gerade originell und erst von der NZZ entdeckt worden sei. Das ist richtig, Aber was hier sechs Autoren sachlich, kompetent und rundum ausgreifend zusammengetragen haben, erreicht immerhin das Niveau der angelsächsischen Medien. Was sonst keinem Schweizer Blatt und nur ganz, ganz selten einem deutschen gelingt.

Wenn ein Online-Stück der NZZ mit einer opulenten Startillustration beginnt, kann man darauf gehen, dass nun nicht nur informative 17’000 Buchstaben folgen, sondern auch illustrative Infografiken:

Sicherlich, auch diese Zahlen werden hier nicht zum ersten Mal enthüllt. Aber die Grafiken sind auch nicht einfach per copy/paste übernommen, sondern stellen eine Mischung aus Quellen und eigenen Recherchen dar.

Situation in der Ukraine, Exportmöglichkeiten, die Bedeutung von Russland und der Ukraine bei landwirtschaftlichen Produkten, aber auch als Kali-Produzenten und Exporteure von Rohstoffen für Düngemittel: es ist ein Rundum-Panorama zum Thema, das die NZZ hier abliefert.

Solche Stücke sind die Basis für jede Meinungsbildung zum Thema. Aber in den übrigen Medien werden lieber Luftkämpfe ausgetragen, ob Putin das ukrainische Getreide als Erpressungsmittel missbraucht, ob er höchstpersönlich für eine Hungersnot von «biblischem Ausmass» (SoBli) verantwortlich ist. Auch bei solchen Fragen hilft dieser Artikel zur Einordnung.

Auslegeordnung, ein schönes Schweizer Wort, das hier von der NZZ mit neuem Leben erfüllt wird.

Wären die Redaktoren bei CH Media und Tamedia inzwischen nicht völlig schmerzfrei, müssten sie einen Moment lang innehalten und sich was schämen.

Wer haftet bei Verbrechen?

Auch Kriegsverbrechen haben Täter und Verantwortliche.

Für den durch ein Verbrechen angerichteten Schaden haftet normalerweise der Täter. Allerdings steht auch in der Schweiz seine Bestrafung, bzw. Resozialisierung im Vordergrund. Schadenersatz, Wiedergutmachung ist leider zweitrangig. Bei materiellen Schäden steht meistens die Zahlungsunfähigkeit des im Gefängnis sitzenden Übeltäters im Wege. Und immaterielle Schäden, Verlust, Traumata, Ursache für psychische Krankheit, das ist ein weitgehend vernachlässigtes Feld.

Kriegsverbrechen werden zwar auch von individuellen Tätern verübt, aber hier spricht man von der Haftung eines Staates für Schäden völkerrechtswidrigen Handelns seiner Organe. Reparationszahlungen für kriegerische Handlungen sind ein altbekanntes Beispiel.

Üblicherweise zahlt aber nicht unbedingt der Schuldige, sondern der Unterlegene. Auch wenn das häufig zusammenfällt, wie im Beispiel Deutschlands in den beiden Weltkriegen des letzten Jahrhunderts.

Welche Schäden dabei wie lange und durch wen bezahlt werden müssen, wird aktuell in der EU am Beispiel Griechenlands debattiert. So erheben griechische Staatsbürger oder deren Hinterbliebene bis heute Ansprüche an die Bundesrepublik Deutschland für Verbrechen der Deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.

Auch im Fall der Ukraine ist die Frage, wer womit und warum für die Kriegsschäden zur Verantwortung gezogen werden soll. Naheliegend ist das der Aggressor Russland. Nach aktuellen Schätzungen würde der Wiederaufbau der Ukraine rund 500 Milliarden Dollar kosten. Sollte sich der Krieg noch weiter hinziehen, stiege diese Summe natürlich.

Das BIP der Ukraine betrug vor dem Krieg 155,6 Milliarden; dasjenige Russlands 1483 Milliarden. Es ist also illusorisch, dass die Ukraine aus eigenen Kräften oder aber ein zu Reparationen verurteiltes Russland diese Summe aufbringen könnten.

Zudem hätte eine Kostenübernahme durch Russland zur Voraussetzung, dass das Land dazu gezwungen werden kann. Denn Sieger oder zumindest Ungeschlagene zahlen keine Reparationen.

Das beste, bzw. schlechteste Beispiel dafür sind die USA. Angesichts ihrer ungezählten direkten oder indirekten militärischen Interventionen seit dem Zweiten Weltkrieg bleiben wir beim Beispiel Vietnam. Für den verbrecherischen Einsatz des hochgiftigen Entlaubungsmittels Agent Orange haben die USA zwar ihren eigenen Soldaten Entschädigungen ausbezahlt, aber den Vietnamesen keinen Cent.

Auch für die übrigen angerichteten Schäden, verursacht durch den Vietnamkrieg, der 1975 mit der völligen Niederlage der USA endete, wurde bislang null Reparationen bezahlt. Im Gegenteil, das siegreiche Nordvietnam wurde dazu gezwungen, die Schulden Südvietnams zu übernehmen, um international Kredite zu erhalten und das Handelsembargo durch die USA zu beenden.

Der Vietnamkrieg forderte bis zu 4 Millionen einheimische Tote und das Leben von rund 60’000 Amerikanern. Während die Kosten für die USA ziemlich genau aufgeschlüsselt sind, gibt es nur vage Schätzungen, welche Schäden die verbrecherische Kriegsführung der USA in Vietnam angerichtet haben.

Nach heutiger Kaufkraft dürfte es sich ebenfalls um Hunderte von Milliarden Dollar handeln. Nur eine Angabe dazu: Die USA warfen über Vietnam die zwei- bis dreifache Bombenmenge ab wie im gesamten Zweiten Weltkrieg überall.

«In die Steinzeit zurückbomben», sagte US-General Westmoreland.

So wie der Verbrecher bei Einzeltaten gefasst werden muss, damit man ihn für sein Handeln haftbar machen kann, gilt international schlichtweg das Recht des Stärkeren. Wer einen Krieg verliert, zahlt. Aber nur, wenn er sich gegen Reparationsforderungen nicht wehren kann. Die USA verloren den Vietnamkrieg, blieben aber dennoch die grösste Militärmacht der Welt. Also können sie bis heute jegliche Forderungen nach Wiedergutmachung zurückweisen.

Es ist kaum anzunehmen, dass Russland als militärisch so geschwächter Verlierer aus dem Ukrainekrieg hervorgehen wird, dass es Forderungen nach Reparationen nicht zurückweisen könnte.

Neuerdings wird mit dem Gedanken gespielt, ersatzweise Vermögenswerte reicher Russen im Westen nicht nur zu beschlagnahmen, sondern sie auch zu verwerten und den Erlös dem Wiederaufbau der Ukraine zukommen zu lassen. Oder sie allenfalls sogar für die Begleichung der Kosten von Waffenlieferungen heranzuziehen. Denn normalerweise übernehmen westliche Regierungen die Milliardenkosten dieser militärischen Hilfe.

In den USA werden aus diesem Grund schon erste Stimmen laut, dass US-Präsident Biden endlich einmal klare Ziele der US-Politik in der Ukraine definieren soll, nachdem bereits Zusagen in Milliardenhöhe für die Lieferung von militärischem Gerät gemacht wurden.

Würde man das Prinzip der Haftbarkeit reicher Staatsbürger für Reparationsforderungen verallgemeinern, könnte und müsste man die Vermögenswerte von reichen US-Bürgern beschlagnahmen und verwerten, die in irgend einer Form vom Vietnamkrieg profitierten. Also Besitzer und Aktionäre von Rüstungsfirmen, von Produzenten von Waffen, Bomben oder Chemikalien. Von allen möglichen Ausrüstern der US-Armee bis hin zu Logistik, Ernährung und Unterhaltungsprogramm. Auch da würde ein hübsches Sümmchen zusammenkommen, das als Entschädigung für Vietnam verwendet werden könnte.

Auch Kriege haben sehr viel mit Wirtschaft zu tun. Mit Kosten, Nutzen, Ausgaben, Zerstörungen, Wiederaufbau. Es versteht sich von selbst, dass ein Krieg kein Ereignis ist, bei dem Wertschöpfung betrieben wird. Im Gegenteil. Krieg zerstört, und sogar die Zerstörung kostet Unsummen.

Wer sich wie an den Wiederaufbaukosten im Fall Ukraine beteiligen wird, das steht zurzeit in den Sternen. Dass der Verursacher zur Kasse gebeten wird, dürfte allerdings illusorisch sein.

Die Welt gegen Russland?

Die Verurteilung ist überwältigend. Aber Sanktionen? Da ist die Medienwelt abgekoppelt.

Nimmt man UNO-Vollversammlung, stimmte von wenigen Ausnahmen abgesehen die Mehrheit aller Staaten weltweit einer Resolution zu, die den Einmarsch Russlands in die Ukraine verurteilt.

5 Nein-Stimmen und 35 Enthaltungen (sowie einige Absenzen) standen 141 Ja-Stimmen gegenüber. Ein solches Resultat wird jeweils nur von Verurteilungen des US-Handelsembargos gegen Kuba übertroffen.

In Europa – und auch in der Schweiz – wird das als weltweite Zustimmung auch für Sanktionen gegen Russland verstanden. Das ist aber ein Trugschluss.

Einige wenige Länder mit vielen Sanktionen (Quelle: statista).

Es wird ausgeblendet, dass im Gegensatz zu den USA, der EU, Japan, Australien alle anderen Länder der Welt keine Sanktionen gegen Russland mittragen.

USA, Kanada, EU, Australien, Neuseeland, Japan – und die Schweiz …

Auch auf dem für Sanktionen wichtigsten Gebiet herrscht zumindest Uneinigkeit. Während die USA bereits einen völligen Ölboykott gegen Russland beschlossen haben, die EU noch daran herumlaboriert, sind die grossen Volkswirtschaften China und Indien, mitsamt vielen weiteren Ländern, nicht bereit, mitzumachen.

Noch fataler für den westlichen Ölboykott: Der grösste Ölproduzent der Welt, Saudi-Arabien, ist nicht bereit, seine Ölförderung wesentlich zu steigern und damit für einen Ersatz ausbleibender russischer Öllieferungen in den Boykottländern zu sorgen. Das Land mit den grössten Ölreservern der Welt, Venezuela, ist aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage, mehr Öl auf den Markt zu giessen. Nach jahrelanger Misswirtschaft ist die Ölinfrastruktur völlig verrottet und bräuchte Milliardeninvestitionen sowie Jahre, um alte Höchststände wieder zu erreichen.

Zudem ist das Öl bereits auf Jahre hinaus an Kreditgeber verpfändet – darunter in erster Linie China und auch Russland. Auch bei arabischen Gasproduzenten sieht es nicht viel anders aus. Sehr reserviert zeigen sich auch afrikanische Staaten gegenüber einem Ölboykott, insbesondere Nigeria oder Angola sind ebenfalls nicht bereit, ihre Ölproduktion zu steigern und damit gegen Vereinbarungen der OPEC, bzw. OPEC+ zu verstossen.

Gleichzeitig profitieren alle grossen Erdölproduzenten, inklusive Russland, von den hohen und weiterhin steigenden Ölpreisen:

Quelle: statista.

In einem Jahr fast eine Verdoppelung, das ist Bonanza für alle ölexportierenden Länder der Welt, inklusive Russland.

Der Rubel ist wieder so stabil wie vor dem Überfall

Nicht zuletzt damit erklärt sich das Erstarken des Rubels, der im Gegensatz zu allen Prognosen nach einem ersten Taucher inzwischen wieder seinen Vorkriegswert im Vergleich zu den wichtigsten Devisen erreicht hat.

Das bedeutet natürlich nicht, dass die Sanktionen Russland nicht schwer treffen. Da es das Land bis heute nicht geschafft hat, vor allem im Hightech-Bereich nennenswerte eigene Produktionskapazitäten zu entwicklen, ist vor allem der Stopp des Verkaufs von IT-Produkten an Russland sehr schmerzhaft. Auch im Westen leiden ganze Wirtschaftszweige schnell, wenn es bei Halbleitern oder Chips Produktionsengpässe gibt. Denn das Fehlen dieser Komponente bedeutet, dass ganze Fahrzeuge oder Industrieprodukte stillstehen.

Dramatisch muss das in Russland auch bei Militärausrüstung sein. Gerüchteweise wird vermeldet, dass die geplante grosse Flugschau zur Feier des 9. Mai nicht wegen Wetterbedingungen, sondern wegen mangelnden Ersatzteilen abgesagt wurde.

Narrative und Realitäten

Wer sich auch hier genauer mit der Realität beschäftigt, kann im Gegensatz zum Narrativ in den Mainstream-Medien Folgendes konstatieren:

  1. Die Verurteilung des Einmarschs in die Ukraine ist weltweit grossmehrheitlich. Nur 5 Staaten haben in der UNO dagegen gestimmt, immerhin 35 haben sich der Stimme enthalten und 12 weitere schwänzten die Abstimmung.
  2. Ganz anders sieht es bei der Unterstützung von Sanktionen gegen Russland aus. Hier stehen wenige westliche Staaten einer überwältigenden Mehrheit von Staaten gegenüber, die sich nicht daran beteiligen. Darunter Schwergewichte wie China oder Indien.
  3. Auch der Versuch, Russland durch einen Ölboykott massiv zu schädigen, kommt nicht recht vom Fleck. Die USA haben es umgesetzt, deckten aber zuvor nur rund 8 Prozent ihres Importbedarfs mit russischem Öl. Die EU laboriert noch an einem entsprechenden Beschluss.
  4. Wichtige erdölproduzierende Länder wie Saudi-Arabien, Nigeria oder Angola weigern sich, ihre Ölproduktion wesentlich zu steigern und halten sich an die Abmachungen der OPEC. Länder wie Venezuela sind nicht in der Lage, mehr Erdöl zu fördern.
  5. Sanktionen im Hightech-Bereich schädigen zurzeit die russische Wirtschaft und wohl auch das Militär am empfindlichsten.
  6. Die Beschlagnahmung von Guthaben der russischen Notenbank oder von Vermögenswerten reicher Russen im Ausland haben bislang keine spürbare Wirkung erzielt. Auch die gehoffte Abkehr von russischen Oligarchen vom Putin-Regime hat nicht stattgefunden.
  7. Ob die massive Belieferung der Ukraine mit westlichen Waffen den Kriegsverlauf dort wesentlich beeinflusst, ist zurzeit noch nicht absehbar. Russland hat allerdings offenbar seine Strategie geändert und konzentriert sich auf die Gebiete im Südosten der Ukraine und versucht, dem Land den Zugang zum Meer abzuschneiden.
  8. Da Russland und die Ukraine zu den grössten Getreideproduzenten der Welt gehören, hat der Krieg bereits spürbare Auswirkungen auf die Lebensmittelpreise. Vor allem in Ländern der Dritten Welt wird das zu einer explosiven Situation führen, wenn immer mehr Bevölkerungskreise nicht mehr in der Lage sind, wie gewohnt ihre Lebensmittel zu kaufen.

 

 

Heuchelei und Doppelmoral

Medien können nur ein Thema aufs Mal verarbeiten.

Treffer für Ukraine im Medienarchiv SMD in den letzten sieben Tagen: über 10’000. Für Jemen: 82.

Wieso der Vergleich? Weil in beiden Ländern Vergleichbares geschieht. Seit 2015 führt im Jemen Saudi-Arabien einen schmutzigen Krieg. Unterstützt und ausgerüstet von den USA, Grossbritannien und Frankreich.

Es ist ein klassischer Stellvertreterkrieg um eine strategisch wichtige Region. Denn der arme Jemen hat zwar keine nennenswerten Ölvorkommen, aber das Land liegt an der Meerenge zum Roten Meer, eine der Hauptschifffahrtsstrassen des Ölhandels.

Saudi-Arabien, angetrieben vom Westen, kämpft hier gegen den schiitischen Iran, der seinen Einflussbereich an die Grenzen des Königreichs ausdehnen möchte. Schreckensbilanz nach 8 Jahren: die UNO bezeichnet den Konflikt als die grösste humanitäre Katastrophe dieses Jahrhunderts. Mehr als 300’000 Tote, 20 der 30 Millionen Einwohner sind nicht in der Lage, sich ohne Hilfslieferungen ausreichend zu ernähren.

Da Saudi-Arabien trotz massiver Militärhilfe des Westens und täglichen Kosten von über 200 Millionen US$ nicht in der Lage ist, die Oberhand zu gewinnen, verwandelt sich das Land immer mehr in eine Trümmerlandschaft, wo Bombardements und Verheerungen zum Alltag gehören.

Die Kriegsursachen sind recht ähnlich wie beim Ukrainekonflikt. Eine lokale Grossmacht möchte die Ausdehnung einer anderen verhindern; beide Seiten scheuen eine direkte Konfrontation, also bietet sich der Jemen als Schlachtfeld an.

In der Tradition von Kriegen gegen den Iran

Solche Kriege gegen den Iran mit seiner Herrschaft von Ajatollahs haben Tradition. So unterstützten die USA lange Zeit den irakischen Diktator Saddam Hussein, der jahrelang Krieg gegen den Iran führte, mit einem fürchterlichen Blutzoll auf beiden Seiten. Erst später fiel Hussein in Ungnade, als er meinte, die Erlaubnis für die Eroberung von Kuweit von den USA bekommen zu haben. Sein Schicksal besiegelte aber seine Ankündigung, den Ölhandel von US$ auf Euro umstellen zu wollen.

Für solche Manöver ist das saudische Herrscherhaus zu clever. Diese fundamentalistischen Wahhabiten herrschen bis heute mit mittelalterlichen Methoden als unglaublich korrupte Clique. Menschenrechte, Gleichberechtigung von Frauen, demokratische Reformen: nichts, höchstens ein wenig Kosmetik, wenn Proteste zu laut werden. Selbst die Ermordung und Zerstückelung eines Oppositionellen in einer saudischen Botschaft sorgte zwar für verbale Empörung, aber nicht viel mehr.

Alleine wegen des jahrelangen, schmutzigen Kriegs im Jemen müssten eigentlich saudische Besitztümer in Europa, auch in der Schweiz, schon lange beschlagnahmt worden sein. Alle Schmarotzer, die nahe am Königshaus in Saus und Braus leben, müssten ein Einreiseverbot bekommen haben, neben der ukrainischen und der Pace-Fahne müsste auch die Flagge des Jemen vor jeder anständigen WG im Wind flattern.

Saudis in ihrer typischen Tracht müssten genauso gesellschaftlich verachtet und geschnitten werden wie Oligarchen. Ihr mittelalterliches Verhältnis zu Frauen müsste thematisiert und kritisiert werden. Und vor allem müssten sie mit Demonstrationen und Protesten dazu aufgefordert werden, endlich den grausamen Stellvertreterkrieg im Jemen zu beenden und Reparationen für angerichteten Zerstörungen zu bezahlen.

Müsste, würde, sollte. Warum geschieht das nicht? Gibt es weniger protestwürdige Stellvertreterkriege? Ist der Jemen einfach zu weit weg, und tote Araber bekümmern uns weniger als tote Ukrainer?

Wir Europäer, wir Heuchler

Nein, der wahre Grund dafür, dass die Ukraine übermächtig in der medialen Aufmerksamkeit herrscht, während der Jemen kaum jemals erwähnt wird, liegt in der einfachen Tatsache, dass Westeuropa auf der Seite der Ukraine gegen Russland steht. Und durch den möglichen Boykott von russischen Rohstofflieferungen noch mehr in die Abhängigkeit von Saudi-Arabien gerät. Wobei die Ölfördermöglichkeiten beispielsweise in Libyen auch durch Mitverschulden der Europäer bürgerkriegsbedingt eingeschränkt sind.

Da kennt auch der grüne deutsche Vizekanzler nichts und reist nach Katar, um sich dort in die lange Schlange der Bittsteller einzureihen, die mehr Erdgas wünschen. Katar ist mindestens so mittelalterlich wie Saudi-Arabien und von dessen militärischer Unterstützung abhängig. Auch bei den wenigen Protesten in diesem Halbinselstaat sind die Saudis gerne behilflich, das niederzuschlagen.

Mit grossem Erstaunen stellt Europa fest, dass nur in wenigen Gegenden der Welt unser bedingungsloses Eintreten für das Invasionsopfer Ukraine mit ungeteiltem Beifall begrüsst wird. Denn zu heuchlerisch, opportunistisch, einäugig und doppelmoralinsauer wird das empfunden.

Völlig zu Recht. Im Jemen Seite an Seite mit einem Aggressor stehen und den für Multimilliarden mit Waffen ausrüsten. In der Ukraine Seite an Seite mit dem Aggressionsopfer stehen und das für Multimilliarden mit Waffen ausrüsten. Verlogener geht es ja nicht.