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Die Russen natürlich

Denn wer kann so verrückt und selbstmörderisch sein?

Von Felix Abt

Wenn sich in Gut-Deutschland, in Gut-Österreich oder in der Gut-Schweiz ein Unfall oder ein Verbrechen ereignet, werden, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, zunächst Abklärungen getroffen, bevor die Ursache oder der Täter benannt wird, es sei denn, die Beweislage lässt keinen Zweifel zu. Werteorientierte Politiker in den Gut-Ländern sind besonders darauf bedacht, dass die Ermittlungen so gründlich wie möglich sind (und lange dauern), wenn Immigranten aus fernen Ländern und Kulturen und andere besonders schützenswerte Minderheiten schuldig sein könnten.

Ganz anders sieht es aus, wenn die Russen als Schuldige angesehen werden, und das sind sie im kollektiven Gut-Westen oft. Als am 6. Juni 2023 während des russisch-ukrainischen Krieges der Staudamm und das Wasserkraftwerk Kachowka in der Ostukraine schwer beschädigt wurden, wartete Bundeskanzler Olaf Scholz nicht auf die Ergebnisse der Untersuchung und gab Russland noch am selben Tag die Schuld. Auch Aussenminister Baerbock verurteilte Moskau ohne zu zögern dafür.

Und wie reagieren die Russen darauf? In der Regel erfährt man das nicht, denn wenn ein Journalist oder Politiker das enthüllen würde, wäre er automatisch ein Putinversteher und würde seine Karriere unrühmlich beenden. Auf die Gefahr hin, als bezahlter Kreml-Agent angesehen zu werden, werde ich es hier trotzdem erwähnen: Wann immer solche Vorfälle auftreten, fordert Russland eine neutrale Untersuchung, z.B. im UN-Sicherheitsrat eine unabhängige Untersuchung der Sprengung der Nord-Stream-Pipeline oder des Massakers in Butscha. Doch jedes Mal weigern sich die westlichen Regierungen, auch Deutschland, dies zuzulassen. Schweizer Diplomaten bleiben in solchen Fällen neutral. Und die Medien, die ihre Rolle als vierte Gewalt, die den Regierungen auf die Finger schauen sollte, aufgegeben haben, schauen weg. Haben sie Angst, dass neutrale Untersuchungen ihre Kriegspropaganda widerlegen könnten?

Genau drei Monate nach der Beschädigung des Staudamms und des Kraftwerks in der Ostukraine schlug am 6. September eine Rakete auf einem Markt in der Donezker Industriestadt Kostiantynivka ein und tötete zahlreiche Zivilisten. Dies geschah einen Tag vor Beginn der Wahlen zum neuen Regionalparlament in Donezk, das Russland zusammen mit den drei anderen Regionen Lugansk, Saporoshje und Cherson kontrolliert und als sein Gebiet betrachtet und das früher Teil der Ostukraine war. Die westlichen Medien waren voll von fast identischen Schlagzeilen:

«Der Spiegel»: «Mindestens 16 Tote durch russischen Angriff auf Markt in der Ostukraine»

t-online16 Tote bei russischem Angriff auf Marktplatz in der Ostukraine»

Neue Zürcher Zeitung: «Mehrere Tote bei russischem Angriff auf Konstjantiniwka»

The Guardian: «Russian strike on crowded Ukraine market leaves at least 17 dead. Moscow targets cities with missiles as US secretary of state Antony Blinken makes surprise visit to Kyiv.»

CNN: «Russian missile strikes eastern Ukraine market, killing 17, in one of the worst attacks in months

The Washington Post: «Russian missile hits market in eastern Ukraine»

Al Jazeera: «Civilians reported killed as Russia shells outdoor market in east Ukraine»

Das ZDF berichtete: «Bei einem Angriff auf die Stadt Kostjantyniwka in der ostukrainischen Region Donezk sind mehrere Menschen getötet worden. Das teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj über seinen offiziellen Telegram-Kanal mit. Demnach hätten russische Raketen einen Markt und mehrere Geschäfte getroffen. Mindestens 17 Menschen seien tot, darunter ein Kind. Mindestens 32 weitere Personen seien verletzt, wie es in offiziellen Behördenangaben hiess

Die meisten Medien sprachen von einem russischen Raketenangriff, das ehemalige deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» von einem russischen Artillerieangriff.

Auffällig ist, dass weder Separatisten noch andere Bürger am Tatort dazu befragt wurden. Schweizer, deutsche und andere westliche Medien machten sofort Russland für den Anschlag verantwortlich. Aufklärungen wurden nicht einmal abgewartet, Überlegungen darüber, wer ein Motiv für eine solche Greueltat gehabt haben könnte, wurden überhaupt nicht angestellt. Politiker und Medien hierzulande stützten sich ausschließlich auf die Behauptungen von Zelensky, dem Mann, der im Falle einer Drohne, die in Polen eindrang und Zivilisten tötete, darauf bestand, dass es sich um eine russische Drohne handelte, selbst nachdem die US-Regierung bereits bestätigt hatte, dass es sich um eine ukrainische handelte.

Noch auffälliger ist die Tatsache, dass diese «Nachricht» wirklich jeder Logik widerspricht: Warum sollte Russland russische Bürger auf russischem Gebiet bombardieren? Die mehrheitlich russischsprachige Bevölkerung im Osten der Ukraine lehnte das Regime ab, das 2014 durch einen vom Westen unterstützten Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung an die Macht kam, und unter der Führung von Separatisten wurde als Folge im selben Jahr die Donezker Volksrepublik gegründet, zu der auch die Stadt Kostjantyniwka gehört. Statt sie zu beschiessen, wurde sie seither von Russland unterstützt. Die Meldung des RedaktionsNetzwerks Deutschland, dass sie «in den letzten Monaten wiederholt Ziel russischer Angriffe» war, ist daher an Absurdität nicht zu überbieten. Dass dies von einem Redaktionsnetzwerk kommt, das über 60 Tageszeitungen mit einer täglichen Gesamtauflage von mehr als 2,3 Millionen Exemplaren mit solch wahnwitziger Propaganda einlullt, ist wirklich bemerkenswert. Hier ist ein Augenzeugenbericht, den Ihnen die Mainstreammedien vorenthalten haben.

Wenn Russland seine eigenen Bürger mit Raketen (oder waren es Artilleriegranaten?) tötet, während es sich darauf vorbereitet, dort Wahlen abzuhalten, die ebenfalls sabotiert wurden – hat Putin sich selbst sabotiert? – müssen die europäischen Bürger und Medienkonsumenten natürlich davon ausgehen, dass die Russen so bösartig sind, dass es gerechtfertigt und notwendig ist, ihnen nicht nur die Autos, sondern sogar die Koffer mit den Kleidern und die Zahnpasta wegzunehmen, wenn sie es wagen, den Frevel zu begehen, in europäischen Ländern Urlaub zu machen.

Und diejenigen, die es nicht aus Spiegel, RedaktionsNetzwerk Deutschland, FAZ, Süddeutscher Zeitung, bzw. Tages-Anzeiger, NZZ und den zahlreichen anderen gleichgesinnten Medien erfahren haben und mir nicht glauben, verweise ich auf Anhang XXI der EU-Richtlinie Nr. 833/2014, in dem die russischen Waren aufgelistet sind, die unabhängig von ihrem Zweck und der Dauer ihres Aufenthalts in der EU verboten sind, darunter Kleidung, Zahnpasta, Shampoo und andere Hygieneprodukte.

Für die Nicht-Putinversteher sollte dies jedoch als leuchtendes Beispiel dafür dienen, wie entschlossen die Europäische Union angesichts von Putins unheimlichen Touristenhorden an ihren hochfliegenden Idealen festhält.

Vorwärts, es geht zurück

Moderne Kriegsberichterstattung: Massaker an der Wahrheit.

Wie steht es denn nun mit der grossen Offensive der Ukraine? Geländegewinne, Durchbruch, die russische Front wankt, Putin wackelt, Prigoschin schwebt über seinen Wagner-Söldnern? Gibt’s die eigentlich noch?

Will Selenskyj die Krim zurückerobern oder ist er verhandlungsbereit? Bringt der deutsche Leopard etwas oder wird er reihenweise abgeschossen? Ist Uranmunition, sind Streubomben nun eigentlich geächtet oder nur dann, wenn sie von Feinden der Freiheit eingesetzt werden?

Desertieren russische Soldaten massenhaft oder kaufen sich Ukrainer massenhaft vom Wehrdienst frei, in einer der korruptesten Armeen der Welt? Werden russische Soldaten in der Knochen- und Blutmühle verheizt oder hat die Ukraine bereits 400’000 Mann Verluste zu verzeichnen?

Nehmen wir einen Querschnitt durch die deutsche Medienlandschaft: «Militärexperte Gustav Gressel über die Lage an der Front» («Stern»). Was weiss der Militärexperte im fernen Berlin über die Front? «Auf der russischen Seite sieht man schon deutliche Verschleißerscheinungen».

««Gepanzerte Faust» soll Putins Truppen zerschlagen» («Frankfurter Rundschau»). «Die Ukraine setzt auf eine ‚gepanzerte Faust‘, um jetzt durch die nächsten Linien zu stoßen, erklärte der österreichische Oberst Markus Reisner.»

««Kann ich nicht nachvollziehen». Major kritisiert Deutschlands Taurus-Zögern» («zdf Nachrichten»). Nein kein Major, Claudia Major weiss: «Die Ukraine hat in der Tat in den letzten Tagen große Fortschritte gemacht und hat die Initiative in der Offensive wieder.»

«Die entscheidende Frage der Gegenoffensive» («Welt»). Eine Stimme der Nachdenklichkeit: «Die Ukraine hat bei ihrer Offensive im Süden eine wichtige Verteidigungslinie durchbrochen. Das als entscheidende Erfolgsmeldung zu werten, ist jedoch ein Irrtum. Denn der Durchbruch hat einen hohen Preis

«Militärexperte: Höhepunkt der ukrainischen Offensive rückt näher» («Berliner Zeitung»). Auch hier ein Zukunftsseher mit Rückversicherung: «Militäranalyst Franz-Stefan Gady geht davon aus, dass es in den nächsten Wochen zu entscheidenden Kämpfen kommt.» Ausser, es kommt in den nächsten Wochen zu nicht entscheidenden Kämpfen. Oder so.

Vorwärts oder Rückzug? Gepanzerte Faust oder Abnützungserscheinungen? Demoralisierte Russen oder verzweifelnde Ukrainer?

Unglaublich, aber wahr: das Publikum, die Öffentlichkeit war wahrscheinlich über den Krimkrieg (1853 bis 1856) besser und umfassender informiert als wir heute über den Ukrainekrieg. Instant News via Internet, (wenige) Kriegsreporter vor Ort, massenhaft Analysten in der sicheren Etappe. Fernseher und Fernheiler und Ferndiagnostiker bis zum Abwinken.

Die Offensive ist steckengeblieben, ist erfolgreich, hat Durchbrüche erzielt, hat keine nennenswerte Erfolge gezeitigt. Die Russen sind am Ende, die ukrainische Armee ist am Ende. Den Russen geht das Material aus, der Ukraine geht das Material aus. Die russischen Waffen sind veraltet und untauglich, die westlichen Waffen sind nicht so überlegen, wie behauptet wird.

Was weiss man sicher? Eigentlich nur, dass gebombt, gekämpft und gestorben wird. Dass es hier nicht um einen Endkampf zwischen Freiheit und Demokratie gegen slawischen Untertanengeist und Diktatur geht. Sondern dass ein korruptes Regime mit einer Verbrecherclique an der Macht ein anderes korruptes Regime überfallen hat und sich gewaltig täuschte, wie einfach das sei.

Dass hier ein Stellvertreterkrieg stattfindet, aus dem China als der lachende Dritte auf jeden Fall als Sieger hervorgehen wird. Die Verlierer sind die ukrainische und die russische Bevölkerung. Die Verlierer sind die Europäer, wieder einmal nicht zu einer eigenständigen Aussenpolitik oder zur Verteidigung ihrer Interessen in der Lage. Der Verlierer ist das Putin-Regime. Als wortbrüchiger, unfähiger Haufen entlarvt, die russische Armee in all ihrer Unfähigkeit bis zur Lächerlichkeit demaskiert. Die russischen Waffensysteme weitgehend Schrott. Das wird vielen Waffenkäufern schwer zu denken geben.

Natürlich sind auch die zarten Anfänge einer Demokratie in der Ukraine niedergemacht worden. Opposition mundtot gemacht, eine Pressezensur, die der russischen in nichts nachsteht. Genauso wenig wie die ukrainische Oligarchenclique. Der Unterschied zur russischen besteht nur darin, dass sie Putin domestiziert hat und dominiert. Während sich Selenskyj zwar einigen seiner ehemaligen Förderer und Geldgeber entledigt hat, aber weiterhin über ein Regime herrscht, das im Korruptionswettbewerb ebenfalls mit Russland mithalten kann.

Aber all das sind Probleme der Ukrainer und der Russen. Unsere Problem ist: das Wort von der Lügenpresse trifft nur deswegen nicht ins Schwarze, weil in westlichen Medien nicht nur gelogen wird. Es ist schlichtweg auch reine Unfähigkeit, Hilflosigkeit, Uninformiertheit, mangelnde Kenntnis historischer Zusammenhänge, Gesinnungsjournalismus, mit anderen Worten ein allgemein erbärmliches Niveau der Journaille zu beklagen.

Wenn man den Lackmustest machen könnte, was wäre wohl das Resultat? Eine einfache Frage: wie viele der Ukraine-Berichterstatter kennen die Namen Stepan Bandera oder Kolomojskyj? Kleiner Tipp: es sind sicherlich weniger als 50 Prozent. Fügen wir noch die Frage hinzu: wie viele der ukrainischen Juden fielen im Zweiten Weltkrieg dem Holocaust zum Opfer, und welche Rolle spielten dabei grosse Teile der ukrainischen Bevölkerung, dürften wir mit den richtigen Antworten in den einstelligen Bereich der Berichterstatter kommen.

Das ist unser Problem, und es ist ein gravierendes. Aber Problembewusstsein? Ach was. Viel wichtiger ist doch: war der Sommer nun in der Schweiz zu heiss oder zu kalt? Zu trocken oder zu feucht? Und wie wird das Wetter am kommenden Wochenende? Kann man sich auf die Zahlen von SRF Meteo nun verlassen oder nicht? Das sind doch die weltbewegenden Themen. So ein blöder Krieg, eigentlich weit weg, unter Beteiligung einer Atommacht, na und? Ach, und die Schweizer Neutralität? Irgendwie schon, aber dann doch nicht wirklich. Oder so.

Streubomben gegen die Wahrheit

Schamlos wird schöngeschrieben.

Die Wahrheit ist: Streubomben sind geächtet. Wie chemische oder biologische Waffen gehören sie zur schmutzigen Kriegsführung. Natürlich gibt es keine saubere, aber man bemüht sich, trotz aller Barbarei im Krieg gewisse Regeln aufzustellen – und einzuhalten.

Bei Streubomben sieht die Wahrheit so aus:

111 Staaten der Welt haben die Konvention über den Verzicht des Einsatzes von Streubomben unterzeichnet, dazu gibt es 12 Signatarstaaten. Nigeria trat als 111. Staat Ende Februar dieser Übereinkunft bei.

Sämtliche europäische Staaten darunter die Schweiz, Kanada, Japan und viele afrikanische Staaten sind Mitunterzeichner. Die USA, RusslandChina und die Ukraine nicht.

Die USA haben nicht nur als einziger Staat der Welt Atombomben eingesetzt, sie haben nicht nur in Vietnam chemische Kampfstoffe wie Agent Orange oder Napalm als Kriegsverbrecher benützt. Und natürlich überall auf der Welt Streubomben: «Nach Angaben der UN-Organisation Mine Action Programme (MAPA) ist Afghanistan eines der weltweit am schwersten von Landminen und nicht detonierter Streumunition betroffenen Länder», schreibt Wikipedia.

Streubomben sind nicht zuletzt deswegen verpönt, weil sie immer einen Anteil Blindgänger enthalten – die noch Jahre nach Abwurf schwere Verletzungen und Todesfälle unter der Zivilbevölkerung fordern.

Nun wollen die USA der Ukraine solche Streubomben zur Verfügung stellen, was vom ukrainischen Präsidenten Selenskyj begrüsst wird. Wie eiern da die Schweizer Medien drum herum?

So säuselt der Tagi: «Wozu es führt, wenn die USA jetzt auch noch die international geächteten Streubomben an die Front liefern, will man lieber gar nicht wissen», stellt sich Arthur Rutishauser unwissend. Die NZZ? Winzmeldung am Sonntag, Kriegsgegurgel am Samstag: «Streumunition könnte sich für die ukrainischen Streitkräfte in der gegenwärtigen Lage als besonders nützlich erweisen, denn bei ihrer Gegenoffensive sind sie mit zahlenmässig starken und in Schützengräben verschanzten russischen Einheiten konfrontiert … Der militärische Effekt ist daher grösser als beim Einsatz von Granaten mit nur einem Sprengkörper.» Probleme dabei? Nun ja, ein paar kleine: «Wegen der Gefahr für Zivilisten haben 111 Staaten, eine knappe Mehrheit der Staatenwelt, die 2010 in Kraft getretene Konvention zum Verbot von Streumunition ratifiziert.»

Aber überhaupt: «Als Argument für deren Einsatz im Rahmen der laufenden Gegenoffensive lässt sich anführen, dass das Frontgebiet im Süden nur sehr dünn besiedelt ist. Weil es durch russische Minen völlig «verseucht» ist, muss es dereinst vor einer Rückkehr von Zivilisten ohnehin gründlich entmint werden.»

Dann wird’s richtig brüllend komisch bei der NZZ. Sie erwähnt zunächst: «Die USA haben selber in allen grösseren Kriegen Streumunition eingesetzt, zuletzt im Irak und in Afghanistan.» Das waren völkerrechtswidrige Angriffskriege in einem fremden Land, wie in Vietnam, Kambodscha und Laos. Aber: «Zudem lässt sich der Einsatz von Streumunition durch Russland und die Ukraine nicht auf dieselbe Stufe stellen: Moskau tut dies im Rahmen eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges in einem fremden Land.» Wie verbohrt muss man sein, um diesen schreienden Widerspruch nicht selbst beim Schreiben zu bemerken?

CH Media? Immerhin: «Unerwähnt blieb, dass das Weisse Haus den russischen Einsatz von Streumunition im vorigen Jahr noch als «potenzielles Kriegsverbrechen» bezeichnet hatte

«20 Minuten»? Ein neutraler Artikel, der die schreckliche Wirkung von Streubomben beschreibt, die Ächtung durch 111 Staaten erwähnt, darauf hinweist, dass weder die USA, noch die Ukraine noch Russland diese Konvention unterzeichnet haben und die USA nun diese Bomben liefern wollen.

SDA? Sommerpause. Ringier? Leider nicht. Was Camilla Alabor hier schreibt, sollte für ewige Zeiten am Schandmal journalistischer Fehlleistungen kleben:

«Die Schweiz hätte es in der Hand, die Notwendigkeit zur Verwendung von Streumunition zu vermindern: Indem sie westlichen Ländern endlich die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen und Munition erlaubt.»

Dass so etwas in einem Schweizer Massenmedium erscheinen darf, ohne dass eine Kontrollinstanz eingreift und diesen hanebüchenen Unsinn untersagt, unglaublich. Das macht fassungslos, und das will beim «Blick» und beim «SonntagsBlick» etwas heissen. Es stimmt in so vielen Aspekten nicht, dass nicht einmal das pure Gegenteil richtig wäre.

Mit den paar tausend Schuss Munition, die bislang von der Schweiz angefordert (und zu recht verweigert wurden), wäre weder der Munitionsbedarf der Ukraine gedeckt, noch die Lieferung der USA «vermindert» worden.

Statt solchen Schwachsinn zu schreiben, könnte sich der «Blick» vielleicht mal über die Verlogenheit aufregen, dass der russische Einsatz von Streumunition ein potenzielles Kriegsverbrechen sei, die Lieferung von US-Streumunition aber der Rettung von Freiheit und Demokratie dient – und daher, nun ja, nicht schön, aber eigentlich unvermeidlich ist.

So wie der Einsatz in Afghanistan, in Syrien, im Irak und in so viel weiteren Ländern der Welt, wo er selbst nach Abklingen der Kampfhandlungen bis heute Tote und Verletzte fordert.

Und wieso schreibt Alabor nicht, dass es die Schweiz als Mitglied des UN-Sicherheitsrats und als Mitunterzeichnerin der Ächtung dieser Waffen in der Hand hätte, eine Dringlichkeitssitzung dieses Gremiums einzuberufen, damit über diese kriegsverbrecherische Absicht der USA wenigstens debattiert wird? Alabor ist «Inlandredaktorin» beim «SonntagsBlick» und nicht erst seit gestern am Gerät. Also weiss sie, was sie schreibt.

Und müsste dafür zur Verantwortung gezogen werden. Wenn es so etwas wie Verantwortung noch gäbe im Journalismus, im Hause Ringier.

 

 

Seibt lebt!

Und schreibt. Und schreibt und schreibt. Oh je.

Man wusste nicht, ob man erleichtert oder besorgt sein sollte. Denn im Krisen-Organ «Republik» hatte sich Viel- und Langschreiber Constantin Seibt rar gemacht. Im ganzen Jahr 2023 ein Artikelchen. Bis jetzt.

Kein Wunder, dass die Welt immer mehr aus dem Leim ging, sich sogar die Weltachse um ein paar Zentimeter verschob, die Polarkappen schmelzen, der Klimawandel Urständ feiert, es in der Schweiz, in Europa, überall, vor allem aber in Russland, zugeht wie im hölzernen Himmel.

Denn es geht doch bekanntlich «um alles», wie Seibt nicht müde wurde zu betonen, bevor er verstummte. Aber hurra, er ist wieder da:

Und er ist ganz der Alte. Knapp 32’000 Anschläge, eigentlich für seine Verhältnisse ein schmalbrüstiges Werk. Aber nicht nur das. Es ist ein wirres Werk. Ein bedenklich dunkles Werk. Man ist sich bei Seibt ja gewohnt, dass er sich sprachlich mit der rechten Hand hinter dem linken Ohr kratzt, manchmal auch ungeniert in der Nase bohrt und eigentlich immer die Welt an sich selbst und seinen Befindlichkeiten spiegelt. Statt sich immer neue Titel auszudenken, würde auch ein einziger ausreichen:

Wie Seibt die Welt sieht und wie sie sein sollte.

Hier probiert es Seibt anhand des Furzaufstands eines Söldnerführers in Russland, der die ganze Medienmeute ins Hecheln und Hyperventilieren brachte, mit einem Einblick in die «Küche» des Journalismus. Auch für ihn gälte, wie für die Herstellung von Gesetzen oder Würsten, «dass man besser nicht dabei ist, wenn er gemacht wird».

Ein wahrer Satz, wenn es Seibt nur damit hätte bewenden lassen oder sich an den alten Spruch erinnert hätte: «si tacuisses, philosophus mansisses». Auf Wunsch liefern wir die Übersetzung nach.

Diese Unappetitlichkeit treffe vor allem auf die Berichterstattung darüber zu, was laufe «mit Putin und Prigoschin». Alles Gerichte, Pardon, Gerüchte, alles Lügen, ein «Dickicht aus Behauptungen». Aber nun kommt Seibt, die Machete.

Trotz des langem Messers verliert er sich – und den Leser – schon am Eingang zu seinem ellenlangen Artikel:

«Was tun? Natürlich können Sie nichts tun. Wer schweigt, bleibt weise. Aber genauso im Dunkeln. Sie können also auch versuchen, sich mit Vorsicht und Machete durch das Gestrüpp zu schlagen. Die Wirklichkeit ist schliesslich kein Sessel, sondern ein Weg.
Nur: Bei diesem Weg müssen Sie, falls Sie am Ende einen lesbaren Artikel wollen, an mehreren Gabelungen abzweigen. Normaler­weise gehört zum Job im Journalismus, das still zu tun. Nach bestem Wissen und Gewissen, aber still.»

Das ist nun schon sehr labyrinthisch, aber leider ist kein Faden der Ariadne vorhanden. Im Gegenteil sozusagen: «Im Fall von Jewgeni Prigoschin, Spitzname «Putins Koch», werden Sie nicht als Leserin, sondern als Lehrling mit am Herd stehen. Und die Entscheidungen treffen müssen, die sonst in aller Stille Ihre Leute in der Küche für Sie treffen.»

Hä? Was nun folgt, ist ein eklektischer, aber übergenauer Versuch der Darstellung des Kurzzeit-«Aufstands». Unterteilt in «1. Der Aufstand, 2. Der Deal, 3. Die Woche danach, 4. Die Abrechnung, 5. Prognosen, 6. Maskirowka».

Was in den Kapiteln steht? Eine wirre Wiedergabe von Ereignissen. Die allerdings längst bekannt sind und die niemand, nicht einmal der harte Seibt-Fan, in dieser Detailtreue nochmals lesen will. Oder ist es so, dass Seibt nun in seine expressionistische Phase eingetreten ist, sich so als kleiner Döblin sieht? Aber der konnte (siehe «Berlin Alexanderplatz») montieren. Seibt kann’s nicht.

Es gibt aber immerhin ein, zwei Lacher, allerdings erst gegen Schluss:

«Zu jedem brauchbaren analytischen Artikel gehört zumindest ein vager Ausblick. Ein Hauch von Prophezeiung – nicht als Hauptgang, sondern als Gewürz. Also:»

Das mag sein, aber wo ist hier der brauchbare oder gar analytische Artikel? Nun kommt noch ein richtiger Brüller:

«Klar, nichts zu schreiben und ein paar Jahre zu warten, wäre vielleicht weiser. Aber im Journalismus wird man nicht für Weisheit bezahlt.
Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, besteht darin, sich mit Vorsicht und Machete durch den Dschungel zu schlagen. Und zu hoffen, dass der Weg Richtung Wirklichkeit führt.
So weit zum aktuellen Stand des Irrtums. Danke für Ihre Mitarbeit daran. Ende Jahr werden wir – hier in der Republik – darauf zurück­kommen, wo Sie und wir richtig lagen – und wo nicht.»

Hat Seibt nun endlich fertig? Fast: «In einer früheren Version hatten wir die Geldmenge, mit der das russische Verteidigungs­ministerium die Söldnergruppe Wagner im Jahr 2022 unterstützt hat, falsch von Rubel in Franken umgerechnet. Die Zahl ist korrigiert, wir bedanken uns für den Hinweis aus der Verlegerschaft.»

Das ist wenigstens mal eine selbstkritische Analyse. Aber der Rest? Dieses ungeordnete Übereinandertapeln von Realitätsfetzen (oder deren Behauptung) soll die Hoffnung ausdrücken, den Weg «in Richtung Wahrheit» eingeschlagen zu haben?

Also wenn die «Wahrheit» so aussieht, wenn der Journalismus so auf den Hund kommt, dass er nur noch eine Kakophonie von Stimmen, Eindrücken, Behauptungen enthält, wenn Videos nicht beschrieben, sondern abgeschrieben werden, dann ist er am Ende.

Wenn eines der vielen Fazits lautet: «Was die Vermutung nahelegt, dass Präsident Putin wirklich kaum Ahnung hat, was in seinem Krieg tatsächlich passiert», dann liegt die Vermutung nahe, dass hier nur mit Wasser gekocht wird, in dieser Gerüchteküche.

Dann geht es wirklich um alles. Oder um nichts. Denn alles ist nichts, nichts ist alles. Oder so. Oder anders. Warten wir also auf Ende Jahr. Und hoffen, dass sich Seibt bis dahin wieder an sein Schweigegelübde hält. Oder dass bis dahin seine Plattform untergegangen ist.,

Wehe der Realität,

wenn sie der Journaille widerspricht.

Ein Putsch, der Marsch auf Moskau, der Zusammenbruch, das Ende. So galoppierten die Schweizer Journalisten los, reitend auf «Koryphäen», «Spezialisten», «Russland-Kennern» oder einfach jedem, der gerade noch kurz Zeit für ein Telefoninterview fand. Und wusste, dass er ein paar martialische Sachen sagen muss, damit es auch ein schönes Titelquote gibt.

Nachdem das alles publiziert und sogar gedruckt war, sagten aber Prigoschin und Putin «April, April». Statt Haue gibt es Eierkuchen. Marsch ist abgeblasen, die Wagner-Truppe ist aus Rostow abgezogen, es fehlte nur, dass sie noch die Strassen sauber gekehrt hätten und für das getankte Benzin bezahlt.

Der weissrussische Diktator Lukashenko soll der Truppe Exil und Asyl bieten, Prigoschin sagte zum Abschied leise «do svidaniya», und Putin sagte «alles vergeben, alles vergessen, Schwamm drüber». Das ist natürlich blöd, wenn die Journaille so richtig einen Lauf hat und bereits fantasierte, dass Prigoschin am Samstagabend in Moskau einmarschieren könnte.

Abbremsen, absteigen, absatteln, abrüsten? Aber nein, so geht das natürlich auch nicht. Daher:

Komisch, eigentlich war er doch schon am Ende, so wie die «Putin-Versteher», und jetzt wankt er bloss? Auch der Tagi, also Tamedia, vielleicht sogar der «Tage-Anzeiger», ist nachtragend, dass die Wirklichkeit nicht so will, wie sie sollte:

Stefan Kornelius, der Brachial-Rhetoriker von der «Süddeutschen Zeitung», hat mal wieder einen Gastauftritt beim Tagi, also bei Tamedia, na, lassen wir das. Dabei ist ihm sein dummes Geschwätz von gestern ziemlich egal: «Ein Regime mit totalitären Zügen ist hingegen in Moskau an der Macht. Bedauerlicherweise ist seine Beseitigung nicht absehbar.»

Sein Frust, dass sich die Dinge nicht so entwickelten, wie er hoffte, tropft aus jeder Zeile: «Eine Mörderbrigade hat den russischen Diktator gedemütigt und den jämmerlichen Zustand des Militärs entlarvt.»

Vielmehr haben Prigoschin und Putin gezeigt, wie man sich elegant aus einer Konfrontation windet, die für beide nicht ohne Beschädigungen hätte abgehen können. Wobei die Annahme absurd wäre, dass es der Wagner-Truppe hätte gelingen können, Moskau zu erobern oder Putin zu stürzen. Aber wenn der Wunsch Vater des Gedankens ist …

Bei «20 Minuten» erlebt der «Russland-Experte Alexander Dubowy» («Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch») seine Auferstehung, nachdem er bei den Kollegen von CH Media krachend daneben lag. Je nun, es muss halt ein Experte her. Also tönt «20 Minuten»: «Alexander Dubowy ordnet ein», dabei hat der offensichtlich keine Ahnung.

Das übertüncht er mit markigen Sprüchen: «Die Stimmung ist am Kochen. Putins Legitimität bröckelt … Der Versuch, Strassen und Brücken nach Moskau zu zerstören oder mit Lastwagen zu blockieren, war verzweifelt … Es ist gut möglich, dass wir am Samstag den Anfang des Endes von Putins Russland erlebt haben.» Und so weiter.

Es ist nicht gut möglich, sondern schriftlich belegt, dass sich Dubowny auf dem ungeordneten Rückzug von seinen früheren Behauptungen befindet. Aber er gibt nochmal richtig Gas: «Ich denke, dass es Russland in der Form und Grösse, wie wir es heute kennen, bis 2030 nicht mehr geben wird.» Da kann er sich in der sicheren Hoffnung wiegen, dass sich in sieben Jahren keiner mehr an sein Geschwätz erinnern wird.

Einigermassen nüchtern bleibt dagegen «blue news»:

Ziemlich breitbeinig kommt dagegen CH Media daher:

«Alles zum Aufstand der Wagner-Söldner»? Aber immerhin, hier versucht sich Kurt Pelda an einer «Analyse», und der hat immerhin eine Ahnung, wie es vor Ort in der Ukraine zugeht. Ob er tatsächlich zu einer Analyse der russischen Situation fähig ist, sei dahingestellt. Auf jeden Fall steuert er eine hübsche Anekdote bei. Was wohl die russischen Soldaten in der Ukraine von einem Oberbefehlshaber hielten, wenn ihnen bewusst würde, «dass sie von einem schwächelnden Mann kommandiert werden, der heute so ängstlich ist, dass eine Gruppe russischer Kriegsjournalisten, die er kürzlich zu sich zum Gespräch einlud, zuerst eine tagelange Isolation über sich ergehen lassen mussten

Sehr cool nimmt es hingegen weiterhin die NZZ und behält das Wesentliche im Auge: «Das Ende des Prigoschin-Aufstands wirkt sich positiv auf Asiens Börsen aus». Allerdings geht’s dann im Orchester doch auch mit schrillen Tönen weiter: «Aufstieg und Fall eines Kriegstreibers», «Die Angst vor dem Chaos», «Prigoschin fehlt bei der Rebellion der Rückhalt», aber doch auch «Ruhe in Russland nach Aufstand».

Der Ausland-Chef Peter Rásonyi versteigt sich allerdings wieder zu einem «Kommentar». Dessen Berichterstattung über den Ukrainekrieg hat sich der «Schweizer Monat» im Februar dieses Jahres zur Brust genommen. Grandioses Resultat: In der NZZ hat die Ukraine schon unzählige Male gesiegt, immer wieder und immer öfter.

Hat Rásonyi daraus etwas gelernt? Zumindest fängt er seinen Kommentar verhalten an, mit einem Stossseufzer: «Jene Tage, an denen Putins Präsidentschaft und sein fürchterlicher Krieg Geschichte sein werden, können keinen Moment zu früh kommen.» Aber wann kommen sie denn? «Es ist allerdings noch nicht so weit. Die Lage in Russland ist weiterhin unübersichtlich.»

Sichtbar in der Unübersichtlichkeit ist aber: «Putin hat das Schlimmste noch einmal abgewendet. Gleichwohl steht er nach den dramatischen Ereignissen vom Wochenende als der grosse Verlierer da.» Warum denn? «Wer am Morgen noch harte Bestrafung für einen Verräter ankündigt und am Abend dieselbe Strafe zurücknimmt und den Täter laufenlässt, wirkt verzweifelt, ängstlich und schwach.»

Was den Ausland-Chef zur Schlussfolgerung bringt: «Schwache Diktatoren leben gefährlich.» Starke übrigens auch.

Kommentatoren hingegen nicht. Sie können ungehemmt Unsinn verzapfen. Stellt sich das als Quatsch heraus, verzapfen sie halt anderen Unsinn. Sollte das wiederum, siehe oben. Aber mit Glaubwürdigkeit, Vermittlung, Kompetenz, Einordnung, Erklärung oder Hilfestellung hat das wenig zu tun. Mit einer Dienstleistung, die geldwert sein soll, noch weniger. Denn für Meinungen am Stammtisch, ohne vertiefte Kenntnis oder Analysefähigkeit, zahlt man schliesslich auch nichts. Kann aber immerhin noch ein Bier dabei bestellen. Oder jederzeit aufstehen und gehen. Was auch immer mehr Abonnenten tun.

 

 

NZZaS ohne Projer

Schauen wir mal, wie’s ohne ihn geht.

Es geht natürlich immer, das ist die einzige Regel im Journalismus ohne Ausnahme. Allerdings hatte die «NZZamSonntag» die spezielle Ausgangslage, dass es in Russland krachte – und dann ein operettenhaftes Ende nahm. Logisch ist das der Aufmacher:

Gleich fünf Schreibkräfte wirft die NZZaS in die Schlacht, um immer noch die Nachwirkungen des angekündigten Rücktritts Bersets zu ventilieren. Man möchte ihnen zurufen: lasst doch noch ein paar Buchstaben übrig, wenn es dann ernst wird. Berset ist bekanntlich noch ein Weilchen im Amt.

«Bürokratie in der Schweiz» das ist immer ein Selbstläufer, allerdings sollte man ihn sich vielleicht fürs richtige Sommerloch aufsparen. Und dann gibt es noch einen befremdlichen Text von Nicole Althaus. «War «Adults only» bis vor kurzem ein Hinweis auf Filme pornografischen Inhalts zum Schutz der Kinder, so hat sich er Begriff zum verkaufsfördernden Gütesiegel gemausert, das Erwachsene vor Kindern schützt.»

Sie meint damit, dass es schon seit Jahren «Adults only»-Hotels gibt, in denen Erwachsene ungestört von Kindergeschrei Ferien machen können. Das wäre nun noch nicht genug für 8500 Anchläge, also macht sich die Autorin noch tiefschürfende Gedanken, was das denn über unsere Gesellschaft sage. Richtig geraten, nichts Gutes: «Eine der wichtigsten Errungenschaften moderner Gesellschaften ist der intergenerationelle Pakt, der besagt, dass wir uns um das Wohlbefinden der Generation sorgen, die nach uns kommt, und für das der Generation, die für uns dasselbe getan hat.»

Der wird natürlich mit Hotels nur für Erwachsene fundamental in Frage gestellt. Neckisch ist noch die Anmerkung zur Autorin: Sie wohne «neben einem Schulhaus und wird jeden Morgen vom Kinderlärm geweckt. Er ist Beweis eines lebendigen Quartiers.» Muss eines der wenigen Schulhäuser sein, wo auch samstags und sonntags unterrichtet wird.

Aber zurück zu zurechnungsfähigen Werken. Was macht die NZZaS ohne Projer, aber mit Anspruch, denn mit der merkwürdigen Situation in Russland? Schon wieder richtig geraten, sie interviewt den «Politologen Fabian Burkhardt». Der publiziert von Regensburg aus zu Osteuropa, der Ukraine und Russland. Und hatte wohl zufällig am Samstag noch einen Termin frei.

Immerhin hält er sich eher bedeckt: «… grösste Herausforderung für Putin … grösseres Blutvergiessen abgewendet … massiven Autoritätsverlust von Putin … das Risiko ist extrem hoch … gewinnen könnte nun die Ukraine.» So viel zum Thema: morgen scheint die Sonne. Ausser, es ist bewölkt.

Stefan Scholl in Moskau versucht sich dann in einem Porträt Prigoschins. Erfährt man darin etwas über die Motive, das Innenleben, die Denke, die Ziele? Kurz gesagt: nein. Dann darf noch Markus Bernath aus Wien die «Chronik eines aussergewöhnlichen Tages» schreiben. Abgesehen davon, dass sich Bernath schon mehrfach mit martialischen Behauptungen disqualifiziert hat («Die Europäer müssen den Krieg wieder lernen. Freiheit und Sicherheit müssen gegen den Mann im Kreml verteidigt werden – notfalls mit Waffen»): Chronik heisst immer, dass die Zeitung noch Platz hat, aber nicht weiss, wie füllen.

Das gilt wohl auch für die nächste Seite über die Implosion des U-Boots, das unterwegs zur Titanic war. Eine Seite, Newswert: null.

Auf Seite 11 ist dann doch der Wunsch die Mutter der Geschichte. «Jetzt ist Keller-Sutter die unbestrittene Chefin». Davon träumt vielleicht die FDP. Aber eine Bundesrätin, die sich einer PUK stellen muss, die bei dem Verscherbeln der CS zum Schnäppchenpreis eine denkbar schlechte Figur gemacht hat, die mit einem fatalen Satz «this is not a bail-out» möglicherweise dem Steuerzahler ein Milliardenproblem aufgehalst hat – an ihr führe «künftig kein Weg vorbei»? Na, schaun mer mal, wohin ihr Weg führt …

Rebekka Lindauer «vertritt Patti Basler während deren Sabbatical». ZACKBUM hätte nie gedacht, dass wir uns nach Basler zurücksehnen könnten.

Auf der «Meinungsseite» schafft es dann die NZZaS, mit gleich drei Kurzkommentaren unterzugehen. «Der Aufstand zeigt die Verrottung von Putins Regime», behauptet Bernath belegfrei. «Hört auf, über den Zinsanstieg zu jammern», haut Albert Steck der Mehrheit der Leserschaft eins in die Fresse. Und schliesslich behauptet Remo Geisser «Frauen können es besser». Beweis? Eine Frau habe in den USA ein Velorennen gewonnen. Medioker, das alles, sehr medioker.

Fast makaber ist, dass im Wirtschafts-Teil noch eine Reportage von Charlotte Jacquemart erscheint, die noch knapp vor Projer die NZZaS wieder verliess. Dass in South Dakota Trusts ziemlich unbelästigt von Kontrolle, Gesetzgebung oder Steuern wirken können, ist allerdings auch nicht gerade taufrisch.

Tja, und dann hätten wir noch «Die Summe aller Frauen». Vielleicht sollte man es Projer übelnehmen, dass er das nicht verhindert hat. Ansonsten: keine Highlights, einige Hänger, eine sehr, sehr mittelmässige Ausgabe der NZZaS, um es höflich zu formulieren. Offenbar war die Redaktion doch in erster Linie mit sich selbst beschäftigt in dieser Woche. Aber da wird Eric Gujer sicherlich mit strenger Hand durchgreifen.

 

Ist Putin am Ende?

Wie man sich in einem Tag lächerlich machen kann.

Manchmal überstürzen sich die Ereignisse, aber publiziert ist publiziert. Und solche Dümmlichkeiten bleiben dann für alle Zeiten elektronisch gespeichert.Der einzige Vorteil der Hersteller: übermorgen interessiert das schon keinen mehr. Die einzige Frage: wieso fahren die fort, zu publizieren? Denn spätestens in einer Woche ist auch das vorbei, was sie übermorgen schreiben.

Diese Variante der drôle de guerre in Russland erwischte viele Russlandkenner, Experten und Militärstrategen völlig auf dem falschen Fuss. So fragte Albert Stahel auf «Inside Paradeplatz» bang: «Stürzt Putin? Was dann?» Nur einen Tag später kann man ihn beruhigen. Putin stürzt nicht. Jedenfalls nicht so schnell.

Ganz speziell lächerlich macht sich ein Editorial-Schreiber einer niedergehenden Sonntagszeitung. Er ruft «Das Ende der Putin-Versteher» aus. Dabei ist er der Einzige, der mal wieder nichts versteht. Aber wir wollen ja seine Ergüsse weiträumig umfahren.

Das gilt auch für den «Chef Recherche» des «Blick». Erstens ist er Chef ohne Indianer, zweitens kann er nicht recherchieren und findet nicht mal das Büro eines Internetradios. Stattdessen sorgt er dafür, dass sich ein weiterer «Russland-Kenner» lächerlich macht. Der «renommierte Russlandkenner» Ulrich Schmid orakelte am Samstag: «Die Stellung Putins ist sicher gefährdet. Sein Auftritt am Samstagmorgen zeigt, dass er nicht mehr Herr der Lage istEberhard sekundiert: «Wird es dereinst zur Schlacht um die Hauptstadt kommen? – Das halte ich für unwahrscheinlich. Doch allein die Tatsache, dass man sich in Moskau auf dieses Szenario vorbereitet, zeigt, wie verzweifelt die Lage im Kreml sein muss. Das Eingeständnis einer tiefgreifenden Schwäche. Damit ist auch Putins eigene Position grundlegend ins Wanken geraten.»

Wir wischen uns die Lachtränen aus den Augen und gehen zum Kompetenzzentrum «Tages-Anzeiger», Pardon, Tamedia, na ja, was auch immer, weiter. Die leiht sich natürlich ihr Meinung von der «Süddeutschen Zeitung», Auslandchef Münger ist wohl wie meist in den Ferien. Also kommentiert Tomas Avenarius: «Aufstand in Russland: Prigoschins Coup könnte zur Katastrophe werden

Zur Katastrophe wird allerdings nur die prognostische Fähigkeit von Avenarius: «Sollte Prigoschin Hintermänner in der Armeeführung haben, wäre sein vermeintlicher Alleingang keine Meuterei eines einzelnen Kommandeurs gewesen, sondern das Vorspiel zu einem waschechten Militärputsch.»

Auf der sicheren Seite ist der SZ-Autor allerdings, wenn er einen tiefen Blick in der Zeit zurück auf den russischen Bürgerkrieg nach der Machtergreifung der Bolschewiken unter Lenin wirft. Nur: das ist eigentlich alles seit 1922 bekannt. Aber schön, dass man es nochmal lesen darf.

Ganz, ganz weit aus dem Fenster lehnte sich auch Zita Affentranger: «Die Wagner-Söldner könnten am Abend Moskau erreichen. Für den russischen Präsidenten naht jetzt die Stunde der Wahrheit: Er muss die Aufständischen stoppen.»

Damit ist aber schon die Work Force von Tamedia (oder wie immer das heisst) erschöpft. Daher kommt auch noch SZ-Autorin Sonja Zekri zu Wort. Sie betrachtet die Lage aus der Sicht der Ukraine und behauptet: «Viele Ukrainer setzen seit Langem auf einen Zerfall Russlands. Eine fragmentierte, vielleicht in Bruder- oder Diadochenkämpfe verstrickte Nach-Putin-Landschaft werde keine Kapazitäten mehr für Überfälle auf Nachbarstaaten haben. Einige gehen noch weiter: Der russische Bezirk Krasnodar, so rechnen sie vor, gehöre eigentlich zur Ukraine. Die Zeit werde kommen, ihn zurückzuholen.»

Welche Bewohner eines Wolkenkuckucksheim, wenn Zekri das nicht einfach so vor sich hinplaudert. Wenn es um Fehlanalysen geht, darf natürlich auch Stefan Kornelius nicht fehlen: «Sein Machtgeflecht kollabiert, der Aufstand Prigoschins gegen die Armeeführung richtet sich in Wahrheit gegen den Präsidenten. Nun zerfällt der von Putin geschaffene Sicherheitsapparat.»

Etwas gelassener – wie es sich gehört – nimmt’s die NZZ: «Der Machtkampf in Russland eskaliert: Wagner-Chef Prigoschin wagt den bewaffneten Aufstand gegen die russische Armeeführung». Dabei weiss Markus Ackeret in Moskau, unterstützt von der DPA: «Prigoschin hat sich offenbar zum «letzten Kampf» entschlossen. Eine Möglichkeit des Rückzugs gibt es nach seinen Äusserungen, den Handlungen seiner Truppe und der Reaktion der Strafverfolgungsbehörden darauf kaum noch.»

Wir wischen uns wieder die Lachtränen aus den Augen und schalten um zu CH Media. Auch sie montiert einen «Russland-Experten» den «Politanalyst Alexander Dubowy». Der Österreicher analysiert messerscharf: «Russland steht an der Schwelle zum Bürgerkrieg … Es handelt sich tatsächlich um einen Militärputsch … Wenn er (Prigoschin, Red.) überleben will, bleibt ihm keine andere Wahl als anzugreifen. Wagner wird versuchen, schneller nach Moskau vorzudringen und einfach sehen wie weit sie kommen.»

Da steht zu befürchten, dass Dubowys Karriere als «Russland-Spezialist» zumindest in der Schweiz relativ schnell ihr Ende findet.

Ist es nicht ein wenig unfair, mit dem Wissen im Nachhinein all diese aufrechten Unken in die Pfanne zu hauen, die doch auch nur den feuchten Finger in die Luft halten können?

Nein, ist es nicht. Denn vor allem als Kenner oder Forscher oder Spezialist sollte man wissen, wann eine Lage so unübersichtlich ist, dass man sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen sollte.

Natürlich kann die Spekulation nun munter weitergehen. War das alles ein abgekartetes Spiel? Konnte Prigoschin deswegen Rostow so leicht erobern? Ging es einfach darum, ihn elegant aus dem Spiel zu nehmen und ins Exil zu schicken? Würde Lukashenko irgend etwas ohne engste Abstimmung mit Putin tun? Man weiss es nicht.

Deshalb dürfen sich all diese Kenner und Orakel weiterhin lächerlich machen. Ganz schlau geht da schon mal ein «Spiegel»-Kommentator voran: «Prigoschin hat nicht gewonnen. Aber Putin hat trotzdem verloren». Wir wischen uns nochmals die Lachtränen aus den Augen.

 

 

Nur die allerdümmsten Kälber …

Neben Genderfragen beschäftigt Tamedia Unterwürfigkeit sehr.

«Hinter der Trommel her
Trotten die Kälber                                 
Das Fell für die Trommel                          
Liefern sie selber.»

Das ist von Bertolt Brecht. Es ist denkbar, aber nicht sehr wahrscheinlich, dass Oliver Zihlmann oder Christian Brönnimann, die beiden Heros vom «Recherchedesk» von Tamedia, es kennen. Normalerweise beschäftigen sie sich mit dem Ausschlachten von gestohlenen Geschäftsunterlagen, die sie als «Leaks» oder «Papers» schönreden.

Nun haben sie ein anderes Thema auf die Hörner genommen:

Die USA hätten bereits «16 Schweizer Personen und 14 Schweizer Firmen auf ihre Sanktionsliste gesetzt». Sauber recherchiert, nur wären hier die Fragen: aufgrund welcher Kriterien, welcher Indizien, mit welcher Begründung? Haben sich die Betroffenen tatsächlich eines Verstosses gegen die Sanktionsbestimmungen schuldig gemacht? Wer hat das wo entschieden? Werden hier US-Gesetze oder Schweizer Bestimmungen angewendet? Handelt es sich wieder um einen rechtsimperialistischen Übergriff der USA?

Das alles wären interessante Fragen für Recherchierjournalisten. Daher fühlen sich Zihlmann und Brönnimann davon nicht angesprochen.

Nun haben sich die beiden Asse den Brief nochmals vorgenommen, den die Botschafter der G-7-Staaten an den Bundesrat richteten. Tapfer unterschrieben von allen:

Der US-Botschafter hatte die Schweiz bereits mit dem Loch in der Mitte eines Donuts verglichen, was ihre Teilnahme an den Sanktionen betrifft. Das wären eigentlich zwei Gründe gewesen, ihn zur persona non grata zu erklären. Erstens der Vergleich als solcher, zweitens die Verwendung des Donuts, ein grauenhaftes US-Süssgebäck.

In diesem Brief vom April wird die Schweiz nun nochmals aufgefordert, «verdächtige Finanzstrukturen aktiv zu untersuchen». Mehr noch: «Das Schreiben ignoriert die üblichen diplomatischen Gepflogenheiten und kritisiert die Schweiz massiv für ihr zögerliches Sanktionsregime.»

Um hier die Kirche im Dorf und das Loch im Donut zu lassen: Die Schweiz übernimmt sklavisch und ohne Prüfung alle neuen Sanktionslisten der EU und der USA. Wie klug das für einen neutralen Staat ist, sei dahingestellt. Die rechtsstaatlichen Implikationen sind hingegen gravierend und beunruhigend. Denn ein von solchen Sanktionen Betroffener hat keine Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg dagegen zu wehren.

Das ist ein Skandal, nicht mehr und nicht weniger. Er kann sich lediglich an den Bundesrat wenden, der damit die Aufgaben der Exekutive, Legislative und Judikative auf sich vereint. Ein Skandal. Allerdings beantwortet der Bundesrat solche Anschreiben schlichtweg nicht, sondern schmeisst sie in den Papierkorb. Ein weiterer Skandal.

Darüber hätte dieses Duo von angeblichen Recherchierjournalisten auch schreiben können. Tat es aber nicht. Denn es betreibt keinen Recherchier-, sondern einen Thesenjournalismus. Und die These ist: die Schweiz beteilige sich zu wenig an den internationalen Sanktionen gegen Russland. Aber immerhin mehr als die überwältigende Mehrheit aller Staaten. Denn lediglich 36 Länder haben Sanktionen gegen Russland beschlossen. Zählt man die EU als eine Staatenunion, sind es noch ganze 10, von 199 Staaten auf der Welt.

Aber auch das interessiert die beiden einen feuchten Furz. Stattdessen kommen sie zum Höhepunkt, zum wirklichen Knaller ihrer «Recherche»: «Liechtenstein zeigt, wie man es besser macht.» Liechtenstein? Das Raubritter-Fürstentum in der Mitte Europas, in dem wenige Treuhänder unablässig für Riesenskandale sorgen, die fürstliche Justiz weder willig noch fähig ist, diesen Sumpf auszutrocknen? Wo Stiftungen dekantiert, ausgenommen und bestohlen werden, die Besitzer am ausgestreckten Arm der Justiz gehalten werden, bis sie nach Jahren aufgeben?

Selten so gelacht. Aber nun marschieren die beiden in die Zielgerade: «Im Laufe des Jahres 2022 wuchs in den diplomatischen Vertretungen der G-7 und der EU in Bern die Frustration. Meint die Schweiz es ernst mit den Sanktionen? Oder macht sie nur mit, damit sie nicht weiter unter Druck gerät

Der «Londoner Sanktionsexperte Tom Keatinge» bekommt dann das Schlusswort: Nach dem Problem mit dem Bankgeheimnis sei es nun so: «Wenn jetzt in den Hauptstädten der G-7 ein Verdacht aufkommt, dass die Schweiz den Russen hilft, und sei es nur durch Untätigkeit, dann sind viele bereit, das sofort zu glauben. Das ist politisch brandgefährlich.»

Vielleicht sollte man die beiden tapferen Eidgenossen darauf aufmerksam machen, dass die Schweizer Politik eigentlich in Bern gemacht wird. In den «Hauptstädten der G-7» Stirnrunzeln oder schallendes Gelächter ausbrechen würde, wenn die Schweiz sich dort mit irgendwelchen «Verdächten» melden würde.

Den Russen helfen? Durch Untätigkeit? Das Einzige, was in der Schweiz zählen sollte, ist das Befolgen der Regeln des Schweizer Rechtsstaats. Die Anwendung von Notrecht – oder gar das Einknicken vor Drohungen aus dem Ausland – war noch nie eine gute Idee.

Wenn die G-7 oder die wenigen anderen Staaten, die diese Sanktionen anwenden, sich einen feuchten Kehricht für ihre eigenen Gesetze interessieren, für Rechtsstaatlichkeit, für die fundamentale Eigentumsgarantie, um die Möglichkeit jedes gerade von staatlichen Massnahmen Betroffenen, sich dagegen rechtlich wehren zu können, dann ist das deren Problem. Sie werden die Auswirkungen davon zu tragen haben.

Aber es ist sicherlich nicht ratsam, dass sich die Schweiz auf diesen schlüpfrigen Boden begibt. Dass hier ungeniert und ohne Rücksicht auf diplomatische Gepflogenheiten gedroht wird, ist eine Unverschämtheit. Dass willige Schreiberlinge dem applaudieren, ist eine Dummheit.

Neues vom Seibt

Der Long-Form-Schwurbler hat zugeschlagen.

Natürlich könnte Constantin Seibt etwas hierzu sagen:

Das «Wachstumsziel» von 33’000 Abonnenten ist weiterhin in weiter Ferne. Aber vielleicht weiss Seibt, dass die Millionäre, die hinter der «Republik» stehen, schon nochmals ein Einsehen haben werden. Schliesslich macht das Hansi Voigt mit seinem Loser-Projekt «bajour» vor. Nach der Geldspritze ist vor der Geldspritze.

Seibt könnte vielleicht auch einen Ton dazu sagen, wieso sein Chefredaktor a. i. Daniel Binswanger, obwohl intimer Kenner des «Magazin», keinen Ton zur Affäre Roshani sagt.

Oder Seibt könnte etwas dazu sagen, wieso die «Republik» schon lange aus sämtlichen Schlagzeilen verschwunden ist und ihr unendlich langes Stück über «Google» höchstens als Beitrag gegen Schlaflosigkeit Aufmerksamkeit erzielte.

Aber das sind für Seibt Themen minderer Bedeutung. Pipifax, Kleinklein. Ihm geht es um das Nachzeichnen der grossen Linien, er will dort sein, wo die Action ist. Wenn auch nur im Geiste. Also titelt er:

«Ruhm der Ukraine, Schande der Schweiz». So ein Titel erinnert leise an so was:

«Ruhm dem siegreichen Volk», nach dem Sieg über Hitler-Deutschland. Aber das meint Seibt wohl eher nicht. Er beginnt etwas wolkig-dunkel mit ganz allgemeinen Bemerkungen: «Man macht ein paar Dinge richtig, man vermasselt ein paar – aber am Ende kommt es fast immer unsensationell okay.»

Oha, sagt da der Leser, Zeit für eine Lebensbilanz? Nein, nicht ganz, Seibt wird nun eine Idee konkreter: «Politik etwa ist wie Fussball: Mal gewinnt die eigene Mannschaft, mal die andere. Dann freut man sich. Oder flucht. Und dann folgt das nächste Spiel

Oha, sagt der Leser nochmal, das Runde muss ins Eckige, und ein Spiel dauert 90 Minuten. Aber auch das meint Seibt nicht: «Aber es gibt eine Ausnahme: wenn der Faschismus marschiert.»

Oha, sagt der Leser, nun wird es ernst, und Seibt erklärt uns das Wesen des Faschismus: «Er ist das Gegenteil des Lebens selbst. Er ist der Kult der Vernichtung.» Oha, sagt der Leser zum vierten Mal, schön, dass wir das nun wissen, hätte ja niemand gedacht. Bis Seibt es in Worte zu fassen vermochte. Die er irgendwo abgeschrieben hat.

Aber wo läuft er denn, der Faschismus? «Seit einem Jahr marschiert der Faschismus in der Ukraine.» Unglaublich, denkt da der Leser zunächst, eine Kritik von Seibt an den Asow-Brigaden, an der Verehrung für den Nazikollaborateur und Kriegsverbrecher Stepan Bandera, eine Abrechnung mit der braunen Vergangenheit der Ukraine?

Nein, nicht wirklich, aber nun spannt Seibt urplötzlich einen ganz grossen Bogen: «Und der Faschismus marschiert nicht nur in Russland: Von Ungarn bis zum Iran, von Ankara bis Peking, von «Weltwoche» bis Fox News wächst eine autoritäre Internationale

Oha, sagt der Leser zum letzten Mal, also der Faschismus durchquert Russland, hat Ungarn erfasst, die Mullahs im Iran wissen es zwar nicht, sind aber auch Faschisten, dazu die Türken und erst recht die Chinesen. In diese Reihe passt dann auch noch «Fox News» und natürlich die WeWo. Die sind dann aber, wenn wir Seibt richtig verstehen, nicht faschistisch, sondern autoritär, sehen sich aber dennoch in der Tradition der kommunistischen Internationale.

Sozusagen braune und rote Fäuste vereint. Nun fragt sich der Leser, welche Medikamente oder verbotenen Substanzen Seibt eingenommen haben könnte, damit er solch einen kunterbunten Schwachsinn aufschreibt. Aber er ist, unangenehme Begleiterscheinung von unkontrolliertem Sprachdurchfall, noch nicht am Ende: «Und wie vor hundert Jahren stellt sich wieder die Frage: Wer bist du, wenn es wirklich zählt?» Also 1923?

Das fragt man sich beim Schreibtischhelden Seibt allerdings auch 2023. Denn er hebt nun zur grossen Klage an:

«Wer seinen Job nicht tat, sind wir. Wir, die Schweizer. Alle Schweizer. Denn: Das Einzige, was wir taten, war das Minimum: nach einigen Windungen die Sanktionen der EU zu übernehmen. Plus humanitäre Hilfe.»

Schlimm, ganz schlimm: «Der Rest ist Abwarten, Abwehr, Gefummel.» Keine Waffenlieferungen, auch nicht mit Schlaumeiereien. Schlimm. Ukrainer in der Schweiz «müssen nun ihr Auto verkaufen, falls sie weiter Sozialhilfe erhalten wollen». Noch schlimmer. Ein Ukrainer ohne SUV, unvorstellbar, unmenschlich.

Seibt verzweifelt an uns, an sich: «Es ist schwer zu sagen, was an dieser Politik überwiegt: ihre Miesheit oder ihre Dummheit.» Denn eigentlich wäre jeder Schweizer Mann, jede Schweizer Frau gefordert (und everybody beyond, wie Seibt zu sagen pflegt):

«Das Schlimmste ist: Der Faschismus marschiert und die ganze freie Welt handelt. Nur wir nicht.»

Er mahnt, warnt und weist uns darauf hin: «Als wären es Zeiten wie immer. Als ginge es um nichts. Und nicht um alles: Demokratie, Freiheit, Zukunft.» Aber wenn es um die Zukunft geht, muss Seibt in die Vergangenheit blicken: «Ein Leben lang hing der Geruch nach Verwesung über der Aktivdienst­generation. Fast niemand, der später geboren war, konnte sie ernst nehmen.» Hä?

Doch, doch, alles «kalte Krieger an jedem Kneipen- und Sitzungstisch». Kalte Krieger, war das nicht mal ein Begriff für Antikommunisten? Ist Seibt selbst nicht so ein Held am Schreibtisch? Egal: Aktivdienst, das ist «die Generation, die neutral blieb, als der Faschismus marschierte». Diese Feiglinge, endlich vom Nachgeborenen Seibt an ihren Platz verwiesen.

Wie schliesst der Wortkrieger, der Verzweifelte, der Unverständliche und Unverstandene? «Ruhm der Ukraine. Ruhm den Verteidigern. Keinen Ruhm uns.»

ZACKBUM plädiert dafür, dass wir es eine Nummer kleiner halten. Ruhm für niemanden. Insbesondere keinen Ruhm für Seibt, der den Verteidigern der Schweiz im Zweiten Weltkrieg eins in die Fresse haut. Der wohl erwartet hätte, dass die Schweiz damals – obwohl umrundet von tatsächlich faschistischen Staaten –mutig in den Krieg gegen Deutschland, Österreich, Italien und auch den besetzten Teil Frankreichs gezogen wäre. An der Seite der Sowjetunion womöglich. Gegen die ukrainischen Faschisten zum Beispiel.

Was für ein Irrwisch. Es ist beelendend, wie ein einstmals begabter Schreiber völlig die Fassung, die Fähigkeit zur Analyse und die Selbstbeherrschung verliert. Das erinnert tragisch an den späten Niklaus Meienberg, der auch einen Endkampf zwischen Gut und Böse sehen wollte. Und daran verzweifelte, dass niemand diese Ansicht mit ihm teilte.

Hoffentlich hält Seibt auf diesem Highway to Hell noch rechtzeitig inne und besinnt sich auf die Wirklichkeit. Man muss sich aber ernsthaft Sorgen machen. Oder besser: ihn schlichtweg ignorieren.

 

 

Köppel zeuselt

Der Pyrotechniker kann’s nicht lassen. Und sprengt sich mal wieder selbst in die Luft.

Zum einen muss man ihm dankbar sein. Roger Köppel hat die Rede zur Nation des russischen Präsidenten Putin übersetzen lassen und vollständig ins Netz gestellt. Wer sich durchquält, erhält Einblicke in fahriges Gefasel, mäandrierendes Gelaber eines Orientierungslosen, der nicht wahrhaben will, dass er mit der Invasion der Ukraine Russland so schwer geschädigt hat wie keiner seiner Vorgänger.

«Und wir werden Schritt für Schritt, sorgfältig und konsequent die vor uns liegenden Aufgaben angehen

Es darf gelacht werden.

Zum Jahrestag der Invasion hat er ein Sonderheft herausgegeben, das die altbekannten Meinungen nochmals hübsch zusammenfasst. Auch dafür gebührt ihm Dank.

In seinem Editorial nimmt er einen langen Anlauf über viele Stationen, um sich zu einer vermeintlich ketzerischen Frage durchzukämpfen. Auch Ausflüge in die Tiefen der Geschichte sind ihm dabei recht: «Anders als in früheren Zeiten sind es nun nicht die Päpste und Pfaffen, die den Kreuzrittern die Schwerter salben. Anstatt auf die Bibel berufen sie sich auf eine andere heilige Schrift, das sogenannte Völkerrecht.»

Nebenbei: solche strenge Worte über Pfaffen mag der andere Köppel, der im Alter zu religiösen Erweckungserlebnissen neigt, gar nicht gerne hören.

Aber hier geht es ihm um die Frage, ob der Überfall auf die Ukraine tatsächlich ein «völkerrechtswidriger Angriffskrieg» sei:

«Stimmt das eigentlich? Ist es wirklich so, dass Russland vor einem Jahr das Völkerrecht so krass und eindeutig zertrümmerte, wie das heute geschrieben und wiederholt wird? Hat es zu dieser Frage jemals eine solide wissenschaftliche oder gerichtliche Untersuchung gegeben, Beweiserhebung, Anklage und Verteidigung? Oder handelt es sich um eine sich selbst genügende, sich selbst rechtfertigende Vorverurteilung, ein Urteil jener Gerichtshöfe der Moral, die keinerlei Prozessordnung kennen?»

Hier kann man Köppel ganz einfach weiterhelfen. Das spielt überhaupt keine Rolle. Russland hat damit gegen seine eigenen völkerrechtlich verbindlichen Versprechen verstossen. Vielleicht sollte Köppel nicht so viel Energie auf einleitendes Gedöns in seinem Editorial verwenden, sondern einfach das Budapester Memorandum nachlesen. Dann hätten wir noch die Schlussakte von Helsinki, die Charta von Paris von 1990 und die UNO-Resolution über die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Staaten.

Man braucht keine Beweiserhebung, Anklage, Verteidigung, man braucht noch viel weniger eine solide Untersuchung. Selbst ein galoppierender Köppel müsste einsehen: gegen all diese völkerrechtlich verbindlichen Abmachungen, Abkommen, unterzeichnetenVerträge hat Russland verstossen.

Besonders stossend ist der Verstoss gegen das Budapester Memorandum. Hier hatte Russland als Gegenleistung für den Nuklearwaffenverzicht der Ukraine (bzw. die Rückgabe der dort stationierten Atomwaffen der Ex-UdSSR) völkerrechtlich verbindlich versprochen, die Souveränität, das UN-Gewaltverbot und die bestehenden Grenzen zu achten. Da kann man noch so viel rhetorisches Gedöns, Gelaber und ganze Heerscharen von Nebelkerzen auffahren: ist so.

Kann doch nicht so schwer sein, Roger.