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Man prügelt nicht den Köppel zum Scherz

Denn dann gibt es eine Coverstory in der WeWo.

Roger Köppel ist in einem Alter (57), in dem man sich langsam Gedanken um Werte, Sinn, Liebe und Vergänglichkeit macht. Solange man die dem lieben Tagebuch anvertraut, ist das auch völlig okay. Leider ist Köppels Tagebuch öffentlich, also sorgte er mit einer Seite Liebesgedöns für Fremdschämen und musste hier unter die kalte Dusche gestellt werden.

Zusammen mit einigen Leidens- und Altersgenossen. Da Köppel immer gerne wider den Stachel löckt, konnte er sich diesen Satz nicht verkneifen: «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau. Und nur der Mann, der die Kraft hat, durch den Todesstreifen seiner Verneinung zu marschieren, qualifiziert sich für das Glück, das die ersehnte Frau für ihn verkörpert.»

Mitten in der «Nur ja heisst ja» oder «nein ist nein»-Debatte darüber, was konsensualer Sex ist und was Vergewaltigung, wusste er natürlich genau, dass er damit einen Aufschrei in feministischen Kreisen und im Haltungsjournalismus provoziert.

Der dröhnte ihm dann offenbar doch so in den Ohren, dass er sich sagte: na warte. Und so sieht dann das Na-warte aus:

Für nicht so ganz bildungsbürgerlich Sattelfeste erklärt die WeWo im «Intern», was es mit diesem Gemälde über «Dante und Beatrice» so auf sich hat. Es ist bezeichnend für das verbiesterte Niveau der Debatte, dass seine bewusste Provokation mit dem Nein Geheule und Gebrüll auslöste, dabei aber kaum jemand sich über das gestelzte Geschwurbel in seinem Text lustig machte:

«… sich uneingeschränkt hingebend, eintaucht in einen warmen Ozean des Vertrauens, der totalen Innigkeit, wo die Grenzen zwischen Ich und Du verschwimmen, …, zweisam vereint, auch in der körperlichen Verfliessung, … dem Materiellen, Fleischlichen entrückten Glückseligkeit …»

Weil aber Köppel (meistens) cleverer als seine Gegner ist, benützt er nun die beste Waffe gegen fanatischen Kampffeminismus. Denn unabhängig vom Thema einigt Extremisten, Fanatiker und Gläubige eine Eigenschaft: sie sind völlig humorlos und spassfrei.

Also lässt Köppel die britische Bestseller-Autorin Kathy Lette einen humorvollen, witzigen, schalkhaften, spielerischen Essay schreiben:

Die Autorin, wegen ihres unermüdlichen Einsatzes für Gleichberechtigung und Menschenrechte mit einer Ehrendoktorwürde ausgezeichnet, kann leider nicht als Verräterin am eigenen Geschlecht denunziert werden, die dumme Männerfantasien bedient. Zudem beherrscht sie eine Kunst, die im deutschen Sprachraum selten, in der Schweiz nicht einmal in Spurenelementen vorhanden ist: das wie ein gepflegtes Salongespräch dahinplaudernde Essay, das nicht belehrt, nicht fuchtelt, sondern amüsant-intelligent unterhält.

Man kann sich dem Charme der Autorin schlecht entziehen:

«Also, was wollen Frauen? Nichts Besonderes: gute Brustmuskulatur, Doktortitel, Knackarsch, eine nichtsexistische Einstellung, gebräunte Haut, belesener Penis, die Fähigkeit, etwas mit mangetout zu machen, Krokodile im Ringkampf zu bezwingen, an einer echten Beziehung interessiert zu sein, aber auch an Sex, der einer Frau das Knochenmark schmelzen lässt – das ist doch wirklich nicht zu viel verlangt von einem Milliardär.
Nein, eine Frau möchte einen Mann, der perfekt genug ist, um zu verstehen, warum sie es nicht ist. Sie möchte einen Mann, der wortgewandt ist. Oft hat sie das Gefühl, ihr Dünndarm sei mitteilungsfreudiger als ihr Lebenspartner. Wortspiele sind das beste Vorspiel. Nichts erregt eine Frau mehr als ein Mann mit einem pulsierenden Riesending – dem zwischen seinen Ohren.»

Es ist sozusagen ein Aufruf zur Entbiesterung und Entkrampfung der Debatte. In der Hoffnung publiziert, dass es uns in der Schweiz erspart bleibt, wie in Schweden vor dem Geschlechtsakt beiderseitig eine Einverständniserklärung unterzeichnen zu müssen.

Denn neben allem Spass und aller Tollerei gilt: wenn sich Kirche oder Staat zu sehr in intim Zwischenmenschliches einmischen, kommt das nie gut. Wenn Fanatikerinnen das fordern, muss ihnen mit allen (erlaubten) Mitteln entgegengetreten werden.

Ach, die Liebe

Männer ab einem gewissen Alter denken über die letzten Dinge nach.

«Muss der Mann die Frau mehr lieben?» Solche und ähnliche Gedanken macht sich Mann spätestens, wenn er die 50er-Altersschwelle überschritten hat. Normalerweise tut er das im stillen Kämmerlein, und das ist gut so.

Bei der «Weltwoche» fehlt es aber an Checks and Balances. Also gibt es keinen Herausgeber oder Verleger, der den Chefredaktor davon abhalten kann, sich öffentlich zu entblössen. Leider nicht nur ihn.

Schon in der letzten Ausgabe durfte Peter Wälty fast posthum Ursula Andress zur Ikone des Feminismus umschreiben. Bloss, weil sie vor genau 60 Jahren einen Auftritt im ersten Bond-Streifen «Dr. No» hatte. Da steigt sie aus dem Meer, zieht eine Schnute und lässt sich von Sean Connery beschützen und betatschen. Super.

Im aktuellen Editorial macht sich ein gewisser R. K. Gedanken über die «unausgeglichene Liebe». Das hätten Hedwig Courths-Mahler oder Rosamunde Pilcher nicht schlechter hingekriegt.

Schon im zweiten Satz verliert sich R. K. in einem Bandwurmsatz, der zumindest für Psychoanalytiker von gewissem Reiz ist. Wir steigen mal irgendwo ein und wieder aus:

«… sich uneingeschränkt hingebend, eintaucht in einen warmen Ozean des Vertrauens, der totalen Innigkeit, wo die Grenzen zwischen Ich und Du verschwimmen, …, zweisam vereint, auch in der körperlichen Verfliessung, … dem Materiellen, Fleischlichen entrückten Glückseligkeit …»

Kalte Dusche, kann man nur empfehlen. Und einen Mitarbeiter, der den Mut hat, den Chef vor sich selbst zu beschützen. Oder wie soll man anders als peinlich berührt solchen Sätzen gegenüberstehen: «Jede grosse Liebe beginnt mit einem Nein der Frau. Und nur der Mann, der die Kraft hat, durch den Todesstreifen seiner Verneinung zu marschieren, qualifiziert sich für das Glück, das die ersehnte Frau für ihn verkörpert.» Man wagt es sich nicht vorzustellen, was Ehemann Roger Köppel (57) dafür zu Hause zu hören kriegt.

Schliesslich brauche jeder Mann «eine Restmenge des nomadischen Abenteurers, der dem Besitzanspruch der Frauen (Plural!, Red.) trotzig widersteht». Dafür müsste es eigentlich eine Kopfnuss geben, plus schlafen auf dem Sofa.

Noch mehr mittelalterliche Männer mit Schreibinkontinenz

Köppel ist in dieser Ausgabe nicht alleine; auch der bekennende Katholik Matthias Matussek (68) gönnt sich unkeusche Gedanken und hat sich als Objekt der Begierde Romy Schneider ausgeguckt. Er behauptet, jeweils an Weihnachten versammeln sich «die Deutschen» vor der Glotze, um sich die drei «Sissi»-Filme reinzuziehen. Er übersieht dabei, dass die Mehrheit der Deutschen jünger ist als er. Und ein Jugendlicher fragen würde: Was ist Sissi? Wer ist Romy Schneider? Und was ist ein TV-Gerät?

Es gibt weder Anlass, noch Begründung, wieso Matussek eine Seite vollschwärmen darf: «Romy war ein Klang, eine goldene Wolke.» Altherrenfantasien haben unangenehm «Hautgout», wie der Franzose sagen würde. So macht sich Matussek schwüle Gedanken über den Film «Das Mädchen und der Kommissar» (nur ältere Semester erinnern sich noch): «Wir sehen Romy Schneider über das Trottoir eines schmutzigen Pariser Aussenbezirks laufen in Lackledermantel, Stiefeln und dekolletiertem Kleid, und in der Gefühlsgrammatik dieses Films kann man nur in die Knie sinken und den Boden küssen, den dieser Engel betritt.»

In der Gefühlsgrammatik dieses Geschreibsels kann man nur den Wischmop nehmen und das Gesabber und Gespeichel vom Boden wischen.

Geht da noch einer? Leider ja, denn es gibt den «literarischen Korrespondenten» der «Weltwoche». Der beschreibt – angeblich «basierend auf wahren Begebenheiten» – eine pubertäre Verliebtheit «nach zwei toten Jahren» wegen Corona. Auch hier regiert die Herzschmerzdichtung auf unterstem Niveau: «Zwei Jugendliche stehen vor einem Feld mit blühenden Narzissen. Sie sind achtzehn und frisch verliebt.»

Blumenreigen quer durch die Schweiz

Dann packt Tom Kummer (61) seine botanischen Kenntnisse aus und führt die beiden durch eine Reise durch die Schweiz, die sich durch viele Blumennamen und Banal-Dialoge auszeichnet, die zu Zeiten der «Nouvelle Vague», Teil zwei, ihren Höhepunkt hatten. Schauspieler tauschen aufgeladene, aber völlig belanglose Sätze aus. Kummers Version: «Wir haben uns», sagt er. «Bald ist Sommer!» Zugegeben, Lukas Bärfuss wäre das nicht eingefallen, und es steht zu befürchten, dass Nora Zukker das mit Literatur verwechselt.

Nebenbei benützen die beiden frisch Verliebten noch Papas Kreditkarte und seinen Tesla. Was beides eher unwahrscheinlich ist, und der dichterischen Freiheit ist geschuldet, dass das Elektrogefährt offensichtlich über unerschöpfliche Energiereserven verfügt.

Aber so unter Erwachsenen: Selten wurden vier Seiten der Weltwoche dermassen sinnlos verschwendet. Drei Seiten Kummer, daran schliesst sich «in Zusammenarbeit von BMW Motorrad Schweiz und der Weltwoche» eine Seite über die Midlife-Krise «Traumtöff» an: «Das Leben als grosse Fahrt, aber mit Stil.» Nein, der Journalismus auf den Felgen, als stilloser Werbetext.

Aber immerhin, dafür zahlt BMW. Wieso aber der Leser für viel Altherrenschweiss und Schreibinkontinenz doch stolze 9 Franken abdrücken soll? Gut, es gibt noch andere Inhalte im Blatt. Neben Überflüssigem und Verzichtbarem.

 

Die Welt der «Weltwoche»

Welches Weltbild vermittelt das Blatt? Eines. Seines.

Als Opener ergreift ein gewisser R.K. das Wort und konstatiert: «Die Schweiz verwildert». Wie das? Nun R.K. sticht es in die Nase: «Es riecht nach Willkür und Diktatur in den Berner Wandelgängen.»

Ein wenig Bildungsbürgertum lässt R.K. auch noch auf den Leser regnen, indem er ein Zitat von Napoleon kreativ abwandelt: «Der Weg ist kurz vom moralisch Erhabenen zum politisch Lächerlichen.» Wie verwildert die Schweiz, wer riecht nach Willkür und Diktatur? Nebensächlich, der politische Gegner natürlich. Aber am Schluss entlässt uns der Chefredaktor, Herausgeber, Verleger und Besitzer mit einem Hoffnungsstrahl: «Je grösser der Unsinn, desto kräftiger meldet sich die Vernunft zurück.» Also ER.

Da sind wir beruhigt und denken: «much ado about nothing

Als Nächster wittert Kurt Pelda Unheil: «Terrorist unterrichtet Schweizer Kinder». Das ist natürlich ein starkes Stück, auch wenn man der Wahrheit zuliebe sagen muss, dass dieser Titel den Gedanken der Resozialisierung nach einer verbüssten Strafe nicht gerade unterstützt.

Der Bundeshaus-Redaktor Hubert Mooser nimmt sich als Nächstes die üblichen Verdächtigen vor: Gerhard Pfister, Thierry Burkart plus natürlich Fabian Molina. Der fragt sich inzwischen sicher, was er denn falsch gemacht hat, wenn er einmal nicht in der WeWo drankommt. Auch hier muss vor Verwilderung gewarnt werden, das übernimmt der neutrale Banker Thomas Matter: «Man ist offensichtlich gewillt, den Rechtsstaat auszuhebeln und den Banken den Todesstoss zu versetzen.»

Da möchte man im  Sinne von R.K. rufen: «Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.» Ist zwar nicht von Napoleon, aber auch gut.

Erfrischung mit einer Uralt-Story

So kann’s nicht weitergehen, also darf Bond-Fan Peter Wälty ein taufrisches und ungemein aktuelles Thema als Coverstory abhandeln: Ursula Andress, Honey Ryder, «Dr. No». Ganz alte Leser erinnern sich an das erste Bond-Abenteuer von 1962. Ist nun 60 Jahre her; eine runde Jahreszahl, mehr Anlass braucht’s nicht, um Andress sozusagen fast port mortem zur «Ikone der Frauenbewegung» umzuschreiben. Was zwar ihrer Rolle im Film diametral widerspricht, aber he, dieses Bikini, diese Figur, dieses Gesicht.

Zurück zu ernsten Themen. Thomas Fasbender «ordnet Putins Rede an der Moskauer Militärparade ein». Das ist der gleiche Autor, der den Gewaltsflop einer Titelgeschichte über den unverstandenen Putin verbrach, als der gerade in die Ukraine einmarschieren liess. Das ist ungefähr so sinnvoll wie einen Priester Vaterfreuden einordnen zu lassen.

Dann versucht sich Hansrudolf Kamer, ehemaliger Auslandchef der NZZ, der gerne dort Chefredaktor geworden wäre, im Abklingbecken für pensionierte Weltendeuter an der Frage: «Ukraine: was will Amerika?» Darauf antwortet er im besten NZZ-Stil: einerseits, andererseits, aber dann doch wieder nicht, falls, wobei.

Klare Kante lassen dann Christoph Mörgeli und Beat Gygi nicht vermissen: «Grüner Alptraum. Der «Klimaplan» der Schweizer Umweltschützer ist linksextrem und diktatorisch. Eine Umsetzung wäre eine Katastrophe für Wohlstand, Markt und Gesellschaft.»

Schreckensbleich donnern die Autoren: «Die Grüne Partei verachtet alles, was mit wirtschaftlich-schöpferischem Antrieb zu tun hat und will vor allem Genügsamkeit.» Also vielleicht das, was zwei festangestellte Redaktoren mit Pensionskasse, Ferienanspruch und freier Themenwahl innerhalb des Rahmens, der von R.K. vorgegeben wird, auch nicht wirklich ausleben.

Nachdem sich Oskar Lafontaine mit Karacho von der mitgegründeten Partei «Die Linke» losgesagt und sie damit in die Bedeutungslosigkeit zurückgestossen hat, verfügt er über Freizeit. Da hat’s dann Platz für regelmässige Beiträge in der WeWo, zu seinem Lieblingsfeind Joe Biden. Der ist allerdings mit 79 ein Jahr älter als der Saarländer und immerhin Präsident der USA, während sich Lafontaine in seiner Politkarriere konsequent von oben nach unten vorgearbeitet hat.

Wackelkontakt mit der Realität

Dann verlässt die WeWo mit einem Bericht von Tom Kummer den Bereich der Ernsthaftigkeit, auch wenn sie mit dem Obertitel «Basierend auf wahren Begebenheiten» sozusagen in der Packungsbeilage darauf hinweist, dass die Begebenheiten weder wahr, noch eine Basis sein müssen, sondern auch der Fantasie des Fake-Autors entsprungen sein könnten. Nichts gegen Resozialisierung, aber gibt es nicht genügend reale Storys in der Welt?

Eine Lobhudelei auf den Faschismus-Freund Le Corbusier, das «Genie des vereinfachten Stils», nimmt auch nur sehr partiell Kontakt mit der Realität auf.

Aber anschliessend betreten wir mit «Literatur und Kunst» die Hallen des erhabenen Feuilletons. Natürlich ist hier der Autor Partei, weil er dort ab und an publiziert. Daher verkneifen wir uns sowohl Lob wie Tadel (wobei es nix zu tadeln gäbe, wie wir in aller Objektivität feststellen müssen).

Gegen hinten wird’s dann etwas dünn

Mit «Leben heute» plämpelt das Blatt dann so langsam aus. Alles erlaubt, nur braucht’s im begrenzten Raum der guten Laune, die R.K. unermüdlich verströmen will, wirklich Promiklatsch mit André Häfliger? Premiere des Zirkus Knie; gibt es ein Thema, das noch verstaubter, verschnarchter ist? Ein Stelldichein gut gelagerter B- und C-Promis? Oder wer hat denn schon mal von «Schoscho Rufener» samt «Ehefrau Nadine Borter» gehört? Und muss man nicht sagen: wer sich in dieser Gesellschaft blicken lässt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren?

Aber, wir kommen zum Fazit. Vorangestellt sei, dass R.K. der einzige uns bekannte Chefredaktor ist, der sich in seinem eigenen Blatt von mir kritisieren lässt. Wenn nun also ein Lob kommt, dann hat das nichts mit Bewahrung eines Publikationsplatzes zu tun.

Die WeWo ist, trotz angeblich unbändig guter Laune des Chefs, häufig kreischig, alarmistisch, läutet unablässig Totenglöcklein, befürchtet Schlimmes und Schlimmstes, warnt, mahnt, lebt weiterhin den Reflex aus: gegen den Strom. Wenn alle dafür sind, sind wir dagegen. Und umgekehrt. Worum geht’s? Keine grosse Ahnung, aber gewaltig starke Meinung.

Positiv hingegen ist, dass kein anderes Organ in der Schweiz auf dermassen knappem Raum so viel Anregung enthält. Durchaus auch Aufregung. Jedes Mal, wenn man gähnt und denkt: oh je, wenn der Name Molina auftaucht, kann man gleich weiterblättern, überrascht einen die Zeitschrift mit einem schön quer in der Landschaft stehenden und originellen Ansatz.

Die Feinde haben’s leicht

R.K. macht es seinen Feinden, und die sind zahlreich, manchmal zu leicht, indem er so vorhersehbar ist, dass man eine Replik eigentlich schon schreiben kann, bevor er zum Griffel greift. Und bei aller Kritikfähigkeit bräuchte es schon ein Flächenbombardement mit russischen Überschallwaffen, um ihn aus einer einmal bezogenen Position wieder rauszukriegen.

Die WeWo ist weiterhin, und ergänzt durch ein einsam grosses Feuilleton, ein bunter Strauss. Manche Blumen sind verwelkt, andere stinken. Aber wieder andere duften, verschönern und bereichern. Dagegen ist das meiste andere, was in Schweizer Medien erscheint, vor allem in denen der grossen Medienclans, welkes Gemüse, Brei, selbst gequirlte oder gleich per copy/paste übernommene dünne Suppe.

Die WeWo ist dann die Worcestershiresauce des Schweizer Journalismus. Der verblichene VEB Exzellent Dresden bot sie als Worcestersauce pikant und als Worcestershiresauce «lieblich würzig» an. Diesem Vorbild eifert Köppels Magazin erfolgreich nach.

Wumms: Constantin Seibt

Der Langschreiber ist zurück. Neuer Rekordversuch: 64’291 Anschläge.

Thema: Ukraine. Inhalt: Sprachdurchfall. Tonalität: diffamierend. Beispiel: ein Schwachsinnsdialogfetzen, den der längst abgehalfterte US-Amok Steve Bannon in einer Radio-Show in den USA von sich gibt.

Die Schlussfolgerungen Seibts im Originalton:

«Kurz: Es handelt sich um den international standardisierten Mahlstrom, der die öffentliche Debatte mit austauschbarem Bullshit flutet.
Natürlich, es ist kein Zufall, dass vor allem gealterte, lausbübische Herren mit einer Leidenschaft für die immer gleichen Tabu­brüche dieses Gewerbe betreiben. Es ist intellektuelle Impotenz.
Aus allem, was sie von sich geben, folgt: nichts.
Doch das wäre zu freundlich gedacht. Es handelt sich nicht um privaten Verfall. Es handelt sich um die pausenlose Verstopfung des öffentlichen Diskurses, um einen Angriff auf die Demokratie.
Kurz: um professionelle protofaschistische Propaganda.
Und deshalb gibt es doch eine Antwort auf Texte wie den von Roger Köppel: «Russisches Kriegs­schiff, fick dich!»»

Wer das nicht ganz versteht: keine Bange, das ist ein gutes Zeichen. Seibt gerät nun nicht nur in der Länge aus dem Leim, auch im Inhalt. Denn er ist schreckensbleich: «Die Schübe gehen immer in die gleiche Richtung: Faschismus. Mit jedem Schub schneller

Die Schübe schüben schneller, sie schüben in Richtung Faschismus? Wo das? Nun, eigentlich überall dort, wo man nicht gleicher Meinung wie Seibt ist. Also fast überall.

Der Artikel. Mit Selbstporträt des Autors?

Seine Schübe sind hingegen sehr bedenklich: «Überhaupt gibt es nur wenige demokratische Länder, die frei von Krebs sind: Autoritäre Parteien wuchern überall in Europa.» Autoritäre Parteien, was immer das sein mag, vielleicht meint er demokratisch-legitimierte Parteien wie die SVP oder die AfD, wuchern wie Krebs? Ist es eine Krebswucherung, dass sie beachtliche Mengen an Wählerstimmen bekommen?

Nein, Seibt ist kein Faschist, es wäre dumm, dieses Allerweltsschimpfwort auf ihn anzuwenden. Aber eines ist er sicher: ein Antidemokrat. Und ein Demagoge: «Kein Zufall, dass Rechtsaussen-Politiker, Verschwörungs­anhängerinnen, Corona-Skeptiker und die Putin-Verehrerinnen nun zusammen­wachsen.»

Und ein verpeilter Seher: «Wenn kein Wunder passiert, ist Amerika in naher Zukunft im Lager der Faschisten.»

Was kann man da tun? Von jetzt an sämtliche Ergüsse des verwirrten Herrn ignorieren.

 

Jagdszenen in der Schweiz

Das Vokabular wird kriegerischer und denunziatorischer. Von der NZZ abwärts.

Da interviewt doch die NZZ Peter Regli. Genau, den Apartheid-Regli. Den Aktenvernichter Regli. Den Crypto-Skandal-Regli. Den Fall Bellasi-Regli. Den umfassend disqualifizierten Regli, zu irgendwas irgendwas zu sagen. Sicherheitsrisiko? Das ist nicht die Schweiz, das ist der, der hier interviewt wird.

Wolfgang BorchertDraussen vor der Tür», Kindersoldaten: googeln) wusste, was der Vorwurf Defätismus bedeutet. 1944 wurde er von den Nazis deswegen zu neun Monaten Gefängnis verurteilt und dann zur «Feindbewährung» an die Front entlassen. Er starb 1947 an den Spätfolgen seiner Verwundungen.

Es gibt aktuell einige Wörter aus dem Vokabular der Übermenschen, die noch nicht wieder Einzug in den Sprachgebrauch gehalten haben. Noch nicht. Defätismus ist eines, Patriotismus hingegen erlebt bereits seine Wiederauferstehung. Nationalismus sowieso. «Für Führer und Vaterland» ist allerdings immer noch pfui.

Sehr im Schwang ist aber wieder «Feindpropaganda». Unter Adolf Nazi war es streng verboten, «Feindsender» zu hören. Insbesondere das Erkennungssignal der englischen BBC musste durchs Kopfkissen abgedämpft werden. Wehe, der Nachbar, der Denunziant, hörte es aus dem Zimmer nebenan.

Ein ähnliches Verhältnis entwickeln unsere freien westlichen Medien inzwischen zum Feindsender «Russia Today» (RT). Eigentlich gehörte der verboten, wie in der EU. Nun hat aber der Schweizer Bundesrat – zum Unverständnis vieler Kriegsgurgeln in den Medien – beschlossen, die Bundesverfassung («Zensur ist verboten») ernst zu nehmen. Gegen den Willen der Bundesrätinnen Amherd und Sommaruga, was ihr ewiger Schandfleck bleiben wird.

Wer tritt im Feindsender auf?

Nun wird nicht nur über die Propaganda dieses Feindsenders hergezogen, es wird auch genau beobachtet, wer sich dafür hergibt, bei ihm aufzutreten:

«Gastgeber Köppels war Thomas Fasbender, deutscher Journalist mit eigener RT-Sendung und viel Verständnis für Putin. Seit kurzem wird Fasbender auch als Moskau-Korrespondent von Köppels «Weltwoche» aufgeführt.» Eine Sternstunde des Recherchierjournalismus von Tamedia. Putin-Versteher Köppel, trat doch bei RT auf. Wo dieser Fasbender eine Sendung hat. Der wiederum für die WeWo nicht immer ganz dichte Analysen über Russland schreibt.

Wehrkraftzersetzung hätte man das früher genannt.

Kriegerisches Vokabular auch im Boulevard-Blödblatt «Blick»:

 

Wenn’s ganz blöd und lachhaft wird, darf einer nicht fehlen. Genau, Philipp Loser. Der gibt zuerst damit an, dass er doch tatsächlich Stefan Zweig gelesen hat. Was für ein Kulturbolzen. Von Arnold Zweig hat er aber sicher noch nichts gehört, obwohl sich dessen Lektüre auch lohnen würde.

Ausflug in die Hölle

Aber dieser Kurzausflug in die Niederungen des Trends zum Zweitbuch ist nur die Einleitung hierfür:

«Fast schon unverhohlen, wie man sich rechts der Mitte freut, endlich wieder über Krieg reden zu dürfen, über Sicherheitspolitik, Geostrategie, Panzer und Bomben. Ganz egal wo man in den Gender- und Identitätsdebatten der jüngeren Zeit steht: Müsste es nicht genau umgekehrt sein? Müsste es nicht unser aller Bedürfnis und Bestreben sein, in einer Welt zu leben, in der wir es uns leisten können, leidenschaftlich über den Genderstern zu streiten?»

Rechts der Mitte? Die öffentlich auftretenden Kriegsgurgeln stehen meistens links der Mitte, mit Verlaub. Zudem muss ZACKBUM hier kriegerisch widersprechen: nein, wir wollen keinesfalls, unter keinen Umständen – lieber tot als rot – in einer Welt leben, in der leidenschaftlich über einen Unsinn wie den Genderstern gestritten wird. So stellen wir uns die Hölle vor.

Da fehlt doch nur noch der eine Teil des die Qualitätssicherung vergeigenden Duos, die Reserve-Drittklass-Chefredaktion des «Tages-Anzeiger» in Form von Mario Stäuble. Der orgelt:

«Putins Krieg ist ein direkter Angriff auf Europas Sicherheit, auf die Freiheit, auf die Demokratie. Wo seine Ambitionen enden, weiss niemand mit Sicherheit. Sich auf ein harmloses Szenario einzustellen, wäre schlicht naiv. Also muss man den Schritt machen – und Putins Geldhahn zudrehen, auch wenn es schmerzt. Und auch wenn die Aussichten auf Erfolg ungewiss sind.»

Alles ist ungewiss, nur eines ist ihm klar: Geldhahn zudrehen. Glücklicherweise weiss er auch: wer hört schon auf Stäuble. Wer macht schon mit ihm den Schritt zum Geldhahn …

Apropos:

Was interessieren den Schweizer Leser die Ansichten des 82-jährigen ehemaligen deutschen Finanzministers? Ganz einfach, das Interview des Literaturkritikers der «Süddeutschen Zeitung» Willi Winkler fiel dort von Gabentisch und wird den Lesern der SoZ lauwarm serviert. Das Original erschien am 25. März in der SZ. Da ist dann der SoZ-Leser zweite Wahl zu erstklassigen Preisen. Die SZ kostet am Freitag Fr. 3.70. Die SoZ mit Aufgewärmtem Fr. 6.-, zwei Tage später.

Auch CH Media ist nicht frei von harschen Verurteilungen:

«Man würde von Schröder gerne wissen, wie er dazu steht, dass sein Freund Putin Kinderspitäler bombardieren lässt. Schröder sagt dazu natürlich nichts, lässt sich weiter von Putin bezahlen – und hat sich diskreditiert wie kein anderer Bundeskanzler vor ihm.»

Richtig, gegen den Putin-Versteher war selbst Alt-Nazi, NSDAP-Mitglied und Blockwart Kiesinger weniger diskreditiert. Das gilt natürlich auch für KZ-Baumeister Lübke. Aber was weiss Benini schon von deutscher Geschichte.

So rempelt Francesco Benini den deutschen Altkanzler an, während sein Bruder Sandro bei Tamedia den völlig von der Rolle gekippten Sandro Brotz verteidigt. Die Benini-Amok-Brothers in Fahrt.

Aber, man muss auch loben können, der gleiche CH-Media-Benini berichtet:

«Der FDP-Stadtrat ist in eine Einzimmerwohnung umgezogen, die in der gleichen Siedlung liegt.» Denn Filippo Leutenegger hat seine Vierzimmer-Wohnung einer ukrainischen Flüchtlingsfamilie überlassen.

Das ist wirklich toll, Filippo.  Aber, lieber Francesco, ob der Mut wohl reichen täte, Deinen Besitzer und Brötchengeber und Kriegsgurgel Peter Wanner zu fragen, ob er sich davon nicht ein Scheibchen abschneiden könnte?

So in seinem Herrensitz, seinem Schlösschen im Aargau, umgeben von eigenen Rebbergen? Der hat ja bislang nur bekannt gegeben, dass er dann vielleicht mal in Zukunft, nach dem Krieg, was für den Wiederaufbau der Ukraine spenden werde. Wenn er das bis dahin nicht längst vergessen hat.

Schliesslich ist Wanner doch für «klare Kante», will gerne einen Dritten Weltkrieg riskieren, plädiert dafür, sich von atomaren Drohungen doch nicht in die Knie zwingen zu lassen. Da vermisst man etwas den Kampfesmut von Francesco Benini. Denn wes Brot ich ess

Aber: Vielleicht wäre im Wanner-Schloss noch ein Zimmerchen im Gesindetrakt, im Kutscherhäuschen oder gar im Herrenhaus frei. Nur so als Idee. Könnte doch einer der beiden Beninis mal anregen. Ausserdem baut sich Big Boss Supino gerade einen schönen Herrensitz mit vielen Zimmern hin …

 

 

 

Halte ein, lieber Roger

Nicht einreissen, was Du so fleissig aufgebaut hast.

Stellen wir die Packungsbeilage gleich an den Anfang. Ich publiziere gelegentlich in der «Weltwoche». Aus zwei einfachen Gründen. Weil man mich lässt. Und weil ich zu allem meine Meinung sagen kann, sogar eine kritische zur Überfigur. Denn die Wochenzeitschrift ist das einzige mir bekannte Organ, das sogar einen Verriss ihres Chefredaktors gerne nachdruckt. Wenn’s knackig geschrieben und intellektuell genussvoll zu lesen ist.

Das ist und bleibt ein Alleinstellungsmerkmal. Dazu normalerweise in einer wöchentlichen Ausgabe mehr Brainfood als in einer ganzen Woche Tamedia oder CH Media Dünnbrettbohrerei. Seitdem sich Roger Köppel auch noch gute Laune verordnet hat, weicht sogar – möglicherweise hilft einsetzende Altersweisheit auch – die früher präsente Verkniffenheit, dieses schmallippig Austeilen, einem mehr relaxten Ton.

Ausser, er fällt in alte Reflexe zurück und will einfach der Anti-Man sein. Der, der das Gegenteil sagt. Wobei Gegenteil eigentlich nicht ideologisch oder erkenntnistheoretisch verwurzelt ist. Neben dem für einen SVP-Politiker üblichen Rhabarber über Freiheit, Verantwortung und kleiner Staat, und lange lebe die Marktwirtschaft, ist Köppel kein Ideologe.

Köppel tut unbestreitbar Gutes

Er ist mehr jemand, der sich dorthin stellt, wo ihm eine steife Brise entgegenweht. Da er ein nicht unbegabter mündlicher und schriftlicher Polemiker ist, kommen seine dagegen meist verzwergenden publizistischen Gegner schnell ins Hyperventilieren oder Keifen. Oder sie machen das Cleverste: gar nicht erst ignorieren.

Das gilt vor allem, wenn Köppel etwas unbestreitbar Gutes macht. Wie den Ausbau seines Feuilletons mit einem begabten Leiter. Daniel Weber wurde allenthalben fassungslos vorgehalten, wie er denn nur bei diesem Gottseibeiuns an Bord gehen könne. Dass inzwischen das Kulturangebot der WeWo auf Augenhöhe mit dem der NZZ ist, während alles andere, was in der Schweiz in der Publikumspresse publiziert wird, zu einem kläglichen Witz schrumpft, das wird mit finsterem Schweigen quittiert.

Dabei hat das Elend einen Namen. Wenn eine Nora Zukker sich Literaturchefin nennen darf, im Grossressort assistiert von Toblers, Losers und anderen Flachzangen, dann kann’s eigentlich nicht mehr tiefer sinken.

Sympathiepunkte dank Gegnern

Bei Köppel gilt dagegen das Gleiche wie bei Putin. Der einzige Grund, ihn restlos sympathisch finden zu wollen, der liegt in der unsäglichen Flachheit der meisten seiner Kritiker. Dieses Kriegsgedöns gegen Putin, dieser vollständige Verzicht darauf, Hintergründe aufzuzeigen, diese ewige, klischeehafte Wiederholung der gleichen Adjektive, erbärmlich. Dass Putin inzwischen zum Wahnsinnigen mutiert ist (was er sicherlich nicht ist), dass seine Handlungen nur noch mit psychopathologischem Besteck seziert werden, dass es eigentlich nur unschuldige und gute Ukrainer gibt, gegen schuldige und schlechte Russen, das ist Weltberichterstattung wie vor dem Ersten Weltkrieg.

Nun ist aber Putin, bei allem Verständnis, unter Bruch aller Abmachungen in die Ukraine einmarschiert. Neben allen weitere Auswirkungen: wird sich jemals ein Land wieder ernsthaft überlegen, sich freiwillig von seinem Atomarsenal zu trennen? Gegen die Zusicherung, niemals in seiner territorialen Integrität in Frage gestellt zu werden? Ist es nicht als Kollateralschaden so, dass einige Länder ihre Anstrengungen, Atommacht zu werden, verdoppeln? Aus der einfachen wie richtigen Überlegung: hätte die Ukraine ihr Atomwaffenarsenal nicht an Russland zurückgegeben, hätte es sich Putin zweimal überlegt, dort einzumarschieren. Da er es tat, ist er ein rücksichtsloser Verbrecher.

Dass Roger Köppel wie immer eloquent und mit überreichlich Munition ausgestattet auch in der Ukrainefrage gegen den Strom schwimmt, wieso nicht. Aber jetzt kommen wir zu einem Problem, das innerhalb dieser Debatte um Putin, Ukraine und die Osterweiterung nicht lösbar ist.

Wenn man sich peinlich im Vokabular vergreift

Wie der Westen die Interessen Russlands negiert hat, das sei vergleichbar mit dem Versailler Vertrag? Ein Gequatsche des mehrfach behinderten Wilhelm Zwo vor dem Ersten Weltkrieg kann als Beispiel zum psychologischen Verständnis der Ukrainekrise dienen? Ein offensichtlich drittklassiger Machtstratege wie Putin wird in Stellung gebracht gegen «westliche Dekadenz»? Nur weil der Körperkultler mit nacktem Oberkörper auf einem Ross fotografieren wird, ohne dass ihm das peinlich wäre?

Also der stellvertretende Körperkult eines Schreibtischheros, der früher auch einem Ruderextremismus huldigte und deshalb eine Wesensverwandtschaft mit «ich bin ein richtiger Mann»- Putin verspürt?

Pardon, Roger, halte einmal ein. Das ist Nazivokabular. Alle Statuen eines Arno Breker, dem Lieblingskünstler von Adolf Nazi, zeichnen sich durch eines aus: gut ausgebildete Körper, kleine Köpfe und dem Fehlen jeder Nachdenklichkeit, jedes Zweifels jeder Schwäche.

Leider waren ihre Entsprechungen im sozialistischen Realismus des Kunst- und Kulturbanausen Stalin auch nicht besser. In beiden Denksystemen ging es um das Gesunde, Fortschrittliche gegen das Kranke, Rückschrittliche. Das Starke zermalmt das Schwache. Wer zu viel grübelt, ist dekadent, schwächlich, ein Bourgeois, schädigt den gesunden Volkskörper.

Übergeordnet einem primitivem Antisemitismus verschrieb man sich dem Kampf gegen das Dekadente, das, was Köppel als die «Woke»- und «Cancel-Culture», der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen», beschimpft.

Wer viel spricht und schreibt, produziert auch mal Mist. Da darf man nicht den gleichen Fehler wie Köppel machen und ihn kurzerhand als angebräunten Denker denunzieren. Aber eine Richtigstellung dieses Ausrutschers wäre angebracht.

 

Roger Köppel: der Missversteher

Der Chefredaktor/Verleger/Besitzer hat schon ein Händchen für Timing.

Der bisherige Höhepunkt war «La crise n’existe pas». Eine Jubel-Titelstory «UBS und CS wieder auf dem Vormarsch», publiziert an dem Tag, als die UBS zu Kreuze kriechen und Staatshilfe erbetteln musste. Geschrieben von vier Koryphäen, die seit 2008 nur sehr ungern daran erinnert werden wollen.

Nun legt Roger Köppel mit einer Titelstory über Waldimir Putin, den «Missverstandenen», nach. Publiziert an dem Tag, als der russische Präsident sein Militär Richtung Ukraine in Marsch setzte. Geschrieben von einem regelmässigen Mitarbeiter von «Russia Today». Thomas Fasbender ist Journalist und Unternehmer mit Firmen in Russland.

Das muss seinen Blick nicht unbedingt beeinflussen, könnte ihn aber daran hindern, sich allzu kritisch über den Kreml zu äussern, da dessen Reaktionen auf Kritik – bspw. durch Oligarchen wie Chodorkowski – sattsam bekannt sind.

Die «Weltwoche» versucht sich hier in einem einfühlsamen psychologischen Porträt, einer Motivforschung eines leider «Missverstandenen». Auf der Ebene: «Er will doch nur spielen».

Wieder einmal wird Köppel zum Opfer seines Grundreflexes:

«Wenn alle dafür sind, bin ich dagegen. Worum geht es eigentlich? Keine Ahnung, macht aber nix

Es war absehbar, dass er sich der zunehmend hysterischen und kriegstreiberischen Berichterstattung über Russlands Ukraine-Politik immer massiver entgegenstemmen würde.

Anlass zur Kritik gibt es genug

In seinen täglichen Videocasts, schriftlich, auf allen Kanälen warnte Köppel, warb er um Verständnis, kritisierte eine Verteufelung des Machthabers im Kreml, sah das Wiederaufleben alter Reflexe gegen den russischen Bären.

Es gibt tatsächlich einiges zu kritisieren an der Politik der NATO, den USA und Westeuropas gegenüber Russland, gegenüber ehemaligen Sowjetrepubliken oder Staaten des verblichenen Warschauer Pakts. Es gibt noch mehr zu kritisieren an der teilweise hysterischen Kriegsrhetorik westlicher Medien, die manchmal ohne weiteres den Tonfall treffen, der schon vor dem Ersten Weltkrieg herrschte: «Jeder Schuss ein toter Russ.»

Das ändert allerdings nichts daran, dass man Putin eigentlich nicht missverstehen kann. Wenn man um Verständnis für seine Politik wirbt, wird man selbst unverständlich. Gleich sieben Artikel der aktuellen «Weltwoche» widmen sich dem Thema Putin. In einer «Kleinen Psychologie der Putin-Kritik» versteigt sich Hobby-Historiker Köppel von einem schrägen historischen Vergleich zu einer Abrechnung zwischen «Tradition, Familie, Patriotismus, Krieg, Religion, Männlichkeit, Militär, Machtpolitik und nationale Interessen», verkörpert durch Putin.

Der sei eine «wandelnde Kriegserklärung an den Zeitgeist, an die «Woke»- und «Cancel-Culture», der unsere Intellektuellen und viele unserer Politiker so inbrünstig huldigen». Also kurz, er entlarve «den hohlen Moralismus seiner Gegner. Und die Dekadenz des Westens.» Der gesunde Naturbursche Putin, der sich gerne mit nacktem Oberkörper auf dem Pferd präsentiert, als Gegenbild zum verweichlichten westlichen Intellektuellen, der unter Bedenkenträgerei fast zusammenbricht.

Ähnliche Bilder, sorry to say so, ähnlichen Körperkult betrieben sonst nur die Nazis. Und dass Wilhelm II, ein körperlich und geistig behinderter Irrwisch, durchgeknallte Gespräche führte, die dann zu einem von der deutschen Regierung unverständlicherweise autorisierten Interview in einer englischen Zeitung wurden, das hat nun mit Putin und dem 21. Jahrhundert genau null zu tun.

Gerade Männer des Wortes und der Schrift, wie Köppel einer ist, begeistern sich seit Urzeiten an harten Männern, an Stellvertretern: Putin fahre «mit seinen Panzerdivisionen auf. Botschaft: Es gibt da draussen doch noch so etwas wie eine harte Wirklichkeit der Tatsachen, nicht nur das eingebildete Metaversum der «Diskurse» und «Narrative», mit denen man sich die Welt so zurechtlegt, wie man sie gerne hätte.»

Im Grunde ist das eine Selbstkritik des Autors, der genau das tut. Sich als Hobbywelterklärer ein Metaversum schaffen, ein Narrativ eines unverstandenen Naturburschen Putin aufbauen. Wir wagen es nicht zu hoffen, dass Köppel zur Selbstreflexion und Selbstkritik fähig ist, die nun angebracht wäre.

Denn bevor in den Nebeln der Worte und des Krieges die Wirklichkeit der Tatsachen verschwindet:

Jeder wie auch immer geartete Angriff auf die territoriale Integrität der Ukraine ist ein klarer Bruch russischer Zusicherungen und vertraglicher Vereinbarungen. Damit ein Angriff auf das Völkerrecht, lässt an der Vertragstreue Russlands im Allgemeinen zweifeln.

Sollte Russland tatsächlich die Ukraine erobern, was militärisch kein grosses Problem sein dürfte, bindet sich der Kreml ein Milliardenproblem ans Bein, müsste einen bankrotten, korrupten Staat aufräumen, der im «nation bulding» seit 1991 nicht wirklich weit gekommen ist. Ein Spielball von Oligarchen und Cliquen, bei dem ein Komiker der kleinste gemeinsame Nenner für einen Staatspräsidenten ist.

Wenn man sich die Welt nicht so zurecht legt, wie man sie gerne hätte: wäre Putin wirklich ein geschickter Machtpolitiker, würde er nicht in ein solches Fass ohne Boden hopsen. Aber wer sich als Naturbursche mit nacktem Oberkörper fotografieren lässt …

 

 

 

 

 

Obduktion der «Weltwoche»

Aktuelle Ausgabe im Schnelldurchlauf.

Was bekommt man für immerhin 9 Franken am Kiosk? Mit Bonus 84 Seiten im A4-Format. Das ist die Form, was ist der Inhalt der «Weltwoche»*?

Der zerfällt sozusagen in mehrere Teile. Da hätten wir mal den aktuellen Politteil, in dem SVP-Nationalrat Roger Köppel toben lässt. Bundespräsident Cassis wird auf dem Cover kurzerhand zum «gefährlichsten Politiker der Schweiz» ernannt.

Was gefährdet der denn genau? Er «verstrickt die Schweiz ohne böse Absicht in fremde Händel». Wie das? Ach, der mögliche Eintritt in den UN-Sicherheitsrat. Aber Hilfe naht, wie immer, wenn das Vaterland in Gefahr ist. Die SVP habe eine Sondersession erwirkt und fordere den Bundesrat auf, die Bewerbung zurückzuziehen.

Aber, leider, leider, die Genossen und die Grünen seien natürlich «ganz wild» auf den Sicherheitsrat, die FDP verweigere der Notrettungsaktion der SVP auch die Unterstützung. Bleibt die bange Frage an Bundespräsident Cassis:

«Wird er das Himmelfahrtskommando stoppen?»

Wohl nicht, befürchtet die «Weltwoche», dabei könnte es doch so einfach sein. Brief schreiben, auf Bewerbung verzichten, und schwupps: «Aus Cassis, dem gefährlichsten Politiker der Schweiz, würde mit einem Federstrich der weitsichtigste Staatsmann des Landes

Ziemlich verstiegen, diese Anhäufung von Anschuldigungen mit leicht kreischigem Oberton. Himmelfahrtskommando? Kaum Überlebenschance? Viele Verwundete und Tote auf dem Weg in den Himmel? Echt jetzt?

Das ist nun Politberichterstattung mit Schäufelchen und Eimerchen aus dem Sandkasten, wo Kuchen gebacken werden. Im Vorbeilaufen werden noch in dieser Reihenfolge der kanadische Premier, Simonetta Sommaruga und Micheline Calmy-Rey abgewatscht. Sozusagen der wöchentliche Rundlauf.

Wo ist im Politteil die gute Laune?

Nicht viel von der guten Laune zu verspüren, die Chefredaktor Roger Köppel neuerdings unermüdlich anmahnt. Die kommt dann beim Artikel «Tiere sind Kapitalisten» auf. Hier lernen wir, dass auch die Hummel ein «konsequentes Zeit- und Energiebudget» verwalte. Da können sich die Bienen noch eine Honigscheibe von abschneiden.

Es gibt wie immer eine Reihe von Trouvaillen, die die vorhersehbare Politschimpferei abtemperieren. So kann man traurig lesen, dass der Guide Michelin, seit vielen Jahrzehnten die erste Adresse für die Bewertung von Hotels und Restaurants, seine Dienste teilweise einstellt und nur mehr digital verfügbar sein wird. Ein trauriger Tag für alle, die von ihm fehlerfrei und tadellos beraten wurden.

Dazu gehört auch ein Fundstück von Christoph Mörgeli aus dem Wirken von Gottfried Keller, der sich über die Behandlung eines Direktors der Zürcher Irrenanstalt echauffierte, dem damals schon in den Medien nachgerufen wurde: «Werft ihn ‘naus, den Juden Itzig.» Eine Sternstunde des «Weinländer», der eigentlich kein antisemitisches Klischee ausliess. Dagegen verfasste Keller ein flammendes Plädoyer «Die öffentlichen Verleumder». Spannend.

Es folgt ein echter Belastungstest

Dann kommt ein Stück, bei dem man wieder bedauert, dass die «Weltwoche» einen Chefredaktor hat, der gleichzeitig der Verleger, Herausgeber und Besitzer ist. Denn nur so ist es zu erklären, dass ein Interview mit dem abgehalfterten Klaus von Dohnanyi mit ganz grosser Kelle angerührt und eingeschenkt wird. Peinlich, wie hier offensichtlich flache Sprüche demutsvoll entgegen genommen werden: «Ich lese viel Geschichte, weil ich überzeugt bin, dass die Geschichte ein mächtiger Faktor in der Gegenwart ist.» Hammererkenntnis, aber es geht noch weiter: «Das gilt auch für die Schweiz.»

Welche Tiefe des Gedankens, welche Luzidität, welche Eloquenz in der Formulierung. In Wirklichkeit hat Dohnanyi nie verwunden, dass er sich eigentlich gerne wie Helmut Schmidt in der Rolle des Elder Statesman gesehen hätte, aber damit ziemlich alleine blieb. Denn es fehlte und fehlt ihm zwar nicht an Gehabe, aber an Format.

Aber wo Schatten ist, da ist auch Licht. Die Rubrik «Literatur und Kunst», nicht etwa nur betreut, sondern herausgegeben von Daniel Weber, beinhaltet ein Vielfaches an Anregung, Unterhaltung und Erkenntnisgewinn als die Durststrecke Interview mit Dohnanyi.

Dann folgen, ein Auf und Ab, wieder einige Seiten, die man für Vernünftiges verwenden könnte. «Leben heute» versammelt Abgehangenes. Mark van Huissling zitiert allen Ernstes aus einem eigenen Werk von 2013, als wäre da noch etwas zu verramschen. Linus Reichlin stellt eines seiner Zuckerwattestücke her. Elegant geschrieben, schmeckt, aber ist eigentlich nichts mehr als viel, viel Luft.

Claudia Schumacher, das kann jetzt als frauenfeindlich angesehen werden, nimmt jede Woche an einem Vierkampf teil. Sie, Dania Schiftan, Anabel Schunke und Tamara Wernli wetteifern darum, bei wem sich beim Leser am schnellsten das Gefühl einstellt, in ein nasses Handtuch zu beissen. In dieser Ausgabe ist’s ein Fotofinish.

Die Gesamtbeurteilung mit Augenmass

Wir wollen weise und gerecht bleiben: Die «Weltwoche» ist jede Woche eine Wundertüte. Gefüllt mit kleinen Knallern, grossen Petarden, einigem an Denknahrung, aber auch Ausflügen in die Flachlande der biederen Parteipolitik. Vieles ist elegant geschrieben, einiges brillant, manches ist ärgerlich überflüssig.

Der Dirigent des Chaosorchesters schwingt mit beeindruckender Energie den Taktstock, und verausgabt sich täglich mit wie Videocasts, abgesehen von all seinen sonstigen Aktivitäten. Einem solchen Energiebolzen kann man schwer Widerstand leisten, selbst wenn er nicht auch noch der Besitzer mit der Lizenz zum Töten wäre, also zum Entlassen. Dass sich Köppel ungeheuerlich engagieren kann, begeistern, losgaloppieren, spricht ungemein für ihn. Zudem man auch erste Anzeichen von Altersweisheit oder zumindest –milde zu beobachten meint.

Dem würden Sie sicher eine WeWo abkaufen: Roger Köppel.

Aber dann fehlt es wieder an Checks and Balances. Gibt es einen fatalen Hang zu Blubber-Königen wie Steve Bannon, der inzwischen nicht mal mehr mit Provokationen auffällt. Oder zu einem Dohnanyi, der für sein Alter tatsächlich noch recht kregel ist, aber das sollte noch lange kein Grund sein, ihm eine vielseitige Medizinstrecke für Schlaflose zu widmen.

Aber jede Woche ist eine neue Woche, und es gibt wohl kaum einen Chefredaktor, der so unermüdlich und mit sichtbarem Vergnügen ankündigt, dass die aktuelle Ausgabe mal wieder ganz besonders gut gelungen sei. Es liegt leider auch an der Konkurrenz, dass er damit – relativ gesehen – eigentlich fast immer recht hat.

 

*Packungsbeilage: René Zeyer veröffentlicht gelegentlich in der «Weltwoche».

Und Er heisst Köppel?

Der Mann kann was. Aber er ist nicht allmächtig.

Was über alles für Roger Köppel spricht: er ist der einzige Verleger, Herausgeber, Besitzer und Chefredaktor, den man in seinem eigenen Blatt kritisieren kann. Das schreibt ZACKBUM völlig schleimfrei, weil nicht nur wir das schon tun durften. Denn sein Kriterium ist einzig: wenn’s gut und anregend geschrieben ist, hat’s Platz in seiner «Weltwoche».

Allerdings verkörpert er auch als Einziger eine solche Personalunion und damit Machtvielfalt, sozusagen seine eigene Dreifaltigkeit. Hier kann kein Verleger, und erst recht kein Besitzer dem Chefredaktor sagen: lass den Quatsch, sonst knallt’s. Wenn schon, dann knallt’s unter ihm. So hat er nicht immer ein glückliches Händchen bei der Auswahl seiner Mitarbeiter oder gar Stellvertreter. Kenneth Angst, gerade nach einer üblen Affäre bei der NZZ in hohem Bogen herausgeflogen, denn deren Firmen-Kreditkarte sollte man nicht unbedingt im Rotlichtmilieu missbrauchen, konnte er bei der WeWo an Bord gehen. Kurzer Ausflug.

Viel länger hielt sich Philipp Gut auf dem Posten. Solidarisch, treu, Köppel konnte «fass» sagen, und Gut schnappte zu, verbiss sich und liess nie mehr los. Selbst Gerichtsurteile konnten ihn davon nicht abhalten. Dann zackiger Abgang, «nicht ganz freiwillig» mehr weiss man nicht. Auch hier: keine übergeordnete Kraft, die Köppel mal kurz in den Senkel stellte.

Die Auswahl des Personals ist nicht seine Kernkompetenz 

Auch Hanspeter Born (Toast Hawaii), wohl der einzige Journalist der Welt, der einen Täter freigeschrieben hat, kommt auch nach seiner Pensionierung immer wieder zu Gastauftritten. Urs Gehriger, mehrfach des Plagiats überführter «Auslandchef», echter Groupie von Donald Trump (und dessen Frau!): beim wiederholten Mal ein strenger Blick von oben, angebliches Opfer «interner Massnahmen», aber sonst: weiter so, Ausland ist weitgehend gegendarstellungsfrei, weiss man doch.

Dann füllt sich das Blatt mit der Krankheit Kolumnitis wie kein zweites. Darunter edle Federn, aber auch Abgehalftertes wie Hansrudolf Kamer, pensionierter Auslandchef der NZZ, mitten im Abklingbecken von ehemaligen Weltenordnern. Andreas Honegger, ehemaliger Zürich-Chef des Weltblatts, der schon damals sehr viel Zeit in Restaurants verbrachte. Oder Anabel Schunke, Postergirl von achgut.de und anderen Selbstbestätigungsplattformen. Claudia Schumacher, die das letzte Tröpfchen Langeweile aus dem Thema Liebe, Beziehungen und Sex rauspresst. Ganz zu schweigen von Tamara Wernli, die flacher als ein Blatt Papier schreibt.

Aber den Vogel schiesst Köppel gerade mit einem Wiederholungstäter ab. Das muss man schon beinahe pathologisch nennen. Denn Tom Kummer begleitet ihn schon seit vielen Jahren. Bereits im «Magazin» des «Tages-Anzeiger» durfte das Relotius-Vorbild seine Lügen- und Fakestorys veröffentlichen. Den Kollegen von der Süddeutschen kostete das den Job.

Und immer wieder grüsst der Faker

Nichtsdestotrotz bekam Kummer weitere Chancen in der WeWo. Und füllte das Blatt, wen wundert’s, mit Fake News. Resozialisierung, zweite Chance, Köppel war ganz als Mutter Theresa gestimmt. Und wieder fehlte ein Vorgesetzter, der ein Machtwort sprach: Köppel, lass den Quatsch. Kummer flog, Kummer fliegt wieder hinein. Und Köppel wird ein weiteres Mal auf die Schnauze fliegen, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.

Checks and Balances ist nicht nur in der Politik eine gute Sache. Wenn das fehlt, kommt es hierzu:

«Wir freuen uns, Ihnen den Berner Schriftsteller Tom Kummer als neuen freien Mitarbeiter der Weltwoche vorstellen zu dürfen.»

Der soll angeblich einen Sohn haben, der in New York wohne, wo ihn Kummer besucht habe. Das schlägt nun alles.

Dem glaubt man nicht mal ein Selfie:
das soll Tom Kummer sein, möglicherweise vor Fototapete.

Schliesslich fehlt eine leitende Hand von oben, um Köppel vor sich selbst zu schützen. Denn der Workoholic mit täglichem Morgengrauen-Videocast, der unermüdliche Schaffer und Schreiber, der mehr Energie im kleinen Finger hat als ganze Redaktionen in allen Händen, schreibt auch ein markig mit «R.K.» gezeichnetes Editorial.

Eigentlich immer seiner nach Jahren etwas ausgeleierten Doktrin folgend: gegen den Strom. Was alle gut finden, finden wir aus Prinzip schlecht. Wenn alle Donald Trump bashen, entdecken wir seine staatsmännischen Seiten. Wenn alle Steve Bannon für einen geschwätzigen Vollidioten halten, der es sogar schafft, sich selbst aus rechtsgewirkten Plattformen zu kübeln, dann laden wir den nach Zürich ein und wollen uns in seiner aschgrauen Sonne glänzen sehen.

Auch ein Gottgleicher kann nicht alles

Vor allem aber, wenn es philosophisch wird, spielt Köppel leider ziemlich oberhalb seiner geistigen Gehaltsklasse. So bezeichnet er in seinem jüngsten Editorial den tief angebräunten Schwulstschwätzer aus dem Schwarzwald, den ehemaligen Nazi-Rektor und Lobhudel der braunen Pest, also den völlig zu Recht bis heute verfemten Martin Heidegger, als «Über-Philosophen», als «enttäuschten Katholiken», der nie über Nietzsche hinweggekommen sei.

Dabei ist dessen mystisches Geraune über Gesamtzusammenhänge der Welt als «Geviert» zutiefst kontaminiert durch seine NSDAP-Mitgliedschaft von 1933 bis 1945. Als Rektor der Freiburger Universität (und Nachfolger eines SPD-Rektors) salbaderte er über «Grösse und Herrlichkeit des Aufbruchs» der Nazis, war unbedingter Anhänger des Führerkults und mit einem Wort ein in der Wolle gefärbter Faschist.

Bis heute eigentlich nicht zitierfähig, abgesehen davon, dass sein schwülstiges Werk schwer verständlich ist und ohne Verluste an Erkenntnis ignoriert werden kann. Aber das ist für Köppel leider nur die Einleitung zu seinem eigenen Glaubensbekenntnis:

«Ich behaupte: es muss eine gütige Vorsehung geben, einen gnädigen Gott.»

Der Pfarrer von der Kanzel könnte es nicht besser: «Spielt es eine Rolle, ob wir an Gott glauben? Gottseidank glaubt Gott an uns.» Um mit einem urbi et orbi zu schliessen: «Fürchtet euch nicht. Bald ist Weihnachten.»

Nun ist Glauben Privatsache. Schon Bob Dylan sang:

But you’re gonna have to serve somebody, yes indeed
You’re gonna have to serve somebody
Well, it may be the devil or it may be the Lord
But you’re gonna have to serve somebody

Aus dieser Verirrung kam er dann auch wieder heraus, damals besass er noch eine Singstimme, und zusammen mit Mark Knopfler war das ganz schön rhythmisch inszeniert. Bei Köppel muss man bedauern, dass er selbst gottgleich über seiner Redaktion thront. Die darf zwar schon widersprechen, so ist’s nicht. Aber vor und nach Weihnachten entscheidet dann nur einer.

The Man. The Boss. Der, der keinen über sich hat und sich vor keiner Fehlentscheidung fürchtet.

 

Packungsbeilage: René Zeyer schreibt mehr oder minder regelmässig in der «Weltwoche». Weniger über Gott, mehr über die Welt.

Ein Mops kommt selten allein

Kopflose Satire, Dauerfeuer und andere Aufregungen. Es wird gemopst, gekeift und gefuchtelt.

In der öffentlichen Debatte schenkt man sich nichts. Vor allem, wenn es nicht mehr um inhaltliche Auseinandersetzungen geht, sondern um gegenseitiges Fertigmachen. Dabei kann man dann irgendwann nur noch Stilnoten verteilen oder eine Bewertung von Erfolg, bzw. Misserfolg vornehmen.

Im Schlachtgetümmel, das sind die Nebel des Krieges, ist schnell nicht mehr ersichtlich, was Ursache, was Wirkung, was Anlass, was Reaktion ist. Sobald der Deckel vom Topf fliegt und das Gebräu überkocht, ist das Thema Erkenntnisgewinn durch Debatte erledigt.

Tölpelei, Heuchelei, Unterstellungen, Unter- und Übergriffe, alles erlaubt, alles gern genommen. Dann wird einfach geholzt, gerempelt und die Blutgrätsche mehr oder minder elegant praktiziert.

Selten gibt es parallel zwei Beispiele dafür, bei denen vor allem unglaubliche Heuchelei auffällig ist. Zum einen regt sich Tamedia – zu Recht – über eine idiotische Karikatur eines anonymen Organs namens «megafon» auf. Das wiederum hatte sich über eine Bemerkung einer Tamedia-Journalisten aufgeregt, die häufiger mit Todesmetaphern arbeitet.

Man darf nicht alles. Freiheit muss Grenzen haben

Nun darf ungeniert geprügelt und gehauen werden, verbal und auch im Bild. Ausser, man verstösst dabei gegen Gesetze. Ob es gegen Sachen oder Personen geht: nicht alles, was dem Autor Spass macht, ist erlaubt. Die Bank X ist eine kriminelle Vereinigung – geht nicht. Person Y ist ein verlogener Betrüger – geht nicht.

Allerdings sind die Gesetze unvollkommen und auslegungsbedürftig. Wer sich einen guten Anwalt leisten kann, ist im Vorteil. Wer das durch Cleverness, Geschick, Verschleierung, Umschreibung ersetzt, auch. Wer primitiv holzt, kracht meistens früher oder später an die Bande der Grenzziehung durch entsprechende Artikel in den Gesetzbüchern.

Zum einen – anonym macht mutig – zeigte ein Kollektiv aus dem Umfeld der Berner Reitschule, dass man nicht in Windeln und kurzen Hosen bei den Grossen mitspielen sollte. Vor allem, wenn man die Spielregeln nicht beherrscht. Also desavouierten die eine durchaus bedenkenswerte Kritik an einer Formulierung durch einen schlichtweg brunzblöden Karikaturversuch. Nicht minder dumm solidarisierten sich einige Verwirrte, meistens ebenfalls anonym, mit dieser Geschmacklosigkeit, darunter auch die grosse Kämpferin gegen Hate Speech im Internet, Jolanda Spiess-Hegglin.

The Empire strikes back, of course

Daraufhin schlug das Tamedia-Imperium zurück und skandalisierte die Karikatur. Das rief natürlich politische Gegner der ganzen Reitschule-Veranstaltung auf den Plan, darunter so leuchtende Gestalten der gepflegten politischen Auseinandersetzung wie den SVP-Nationalrat Andreas Glarner. Der hofft, dass durch diese positive Erwähnung seine Feindin Spiess-Hegglin staatliche Subventionierung gestrichen bekommt, «dafür sorge ich persönlich» droht er.

Keiner zu fein, Mops zu sein.

Andere, wie der SVP-Nationalrat und Chefredaktor der «Weltwoche» Roger Köppel, benützen die Gelegenheit, von symbolisch geköpften Journalisten zu real geköpften eine Blutlinie zu ziehen und damit die Urheber der Karikatur zu diskreditieren. Nach längerem Brüten wirft sich auch der Oberchefredaktor von Tamedia in die Wirtshausschlägerei und kündigt eine Strafanzeige an. Allerdings dachte auch er nicht lange genug nach und donnerte am Schluss seines rund 60 Stunden post festum veröffentlichten Kommentars, dass es sich hier um linke Volksverhetzung handle.

Den Zusatz «wie wir sie bei Rechtsextremen erwarten und wie wir sie eigentlich seit 1945 bei uns überwunden glaubten», streicht der Schriftleiter schnell wieder aus seinem Kommentar, nachdem ihm offenbar bedeutet wurde, dass das nun doch zu bescheuert sei.

Das «megafon» hatte schnell die Karikatur gelöscht und sich dafür bei der Betroffenen entschuldigt. Allerdings können es die anonymen Schreibtischtäter nicht lassen, mit einer länglichen «Stellungnahme» nochmals ihren Standpunkt zu verdeutlichen.

«Vorgeschichte, satirischer Flügel, hätte erledigt sein können, aus dem satirischen Kontext gerissen, eskaliert, irreführend».

Selbstgerechtes Gejammer über eine Geschmacklosigkeit, die auch durch Löschung nicht aus der Welt geschafft werden kann. Plus breitbeiniges Gehabe: «Der Strafanzeige des 935 Millionen schweren Medienkonzerns schauen wir mit Gelassenheit entgegen. Wir vertrauen darauf, dass die Satirefreiheit in der Schweiz auch für misslungene Werke gilt.»

Keiner zu klein, mopsig zu sein.

Gut, sie haben’s immer noch nicht kapiert, aber was soll’s. Zusätzlich für Verwirrung sorgten natürlich wilde Ausflüge in die Thematik «was darf Satire?». Gelehrtere Klugscheisser verwiesen auf Kurt Tucholsky, andere brachten «Charlie Hebdo» ins Spiel, man solidarisierte sich, brachte seinen Abscheu zum Ausdruck, verstieg sich in Verästelungen und Nebenschauplätze – wie üblich halt, wenn haltlose Intellektuelle schlaumeiern wollen. Verbale Gewalt, reale Gewalt, Anstand oder Freiheit, Klein gegen Gross, links gegen rechts. Schiessscharte auf, Feuer, Schiessscharte zu. Ungefähr so sinnvoll wie die Schlacht bei Verdun.

Kopf ab furchtbar, Theatermord entschuldbar

Gleichzeitig feuerte aber ausgerechnet Tamedia selbst aus allen Rohren gegen einen SVP-Posseli, der fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit den Ausdruck «Feuer frei!» verwendet hatte. Mit viel bösem Willen liess sich daraus konstruieren, dass er damit provozieren könnte, dass jemand diese Aufforderung ernst und wörtlich nehme. Erschwerend komme noch hinzu, dass sich ein SVP-Regierungsrat davon doch tatsächlich nicht «distanziere», dieser als Biedermann verkleidete Brandstifter.

Dass im gleichen Organ ein sogenannter Kulturredaktor auch schon einen Mordaufruf gegen Roger Köppel als im Kontext zu verstehenden «Theatermord» verniedlichte, das ist schon längst aus dem Kurzzeitgedächtnis der Öffentlichkeit gefallen. Aber angesichts dieser Heuchelei bei Tamedia erscheint die Haltung des «megafon» zumindest einigermassen reflektiert.

Falls die dort tätigen «Redaktor*innen» allerdings mal aus den Windeln herauswachsen wollen, sollten sie sich das zu Herzen nehmen: wenn man einen Stink gemacht hat, dann sollte man ihn – sobald dazu in der Lage – so schnell wie möglich wegräumen. Den Raum lüften und aufs Vergessen hoffen. Aber nicht noch weiter drin rumrühren, die Wände damit beschmieren und markig «Gelassenheit» markieren. Vielleicht könnte auch helfen:

  • Masse mindert Moral. Anonymität mehrt feigen Mut.

Wer wenigstens mit seinem Namen hinter seinen öffentlichen Aussagen steht, überdenkt sie vielleicht das Sekündlein länger, das dann ausreicht, um noch rechtzeitig den Weg zur Kloschüssel statt ins Netz zu finden.